DOC Fragebogen

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Der Fragebogen
1. Einführung
Es dürfte relativ wenige erwachsene Bundesbürger geben, deren Meinungen, Ansichten,
Einstellungen usw. nicht schon einmal mittels eines Fragebogens erhoben worden sind. Über
diesen Kontakt haben viele von uns mehr oder weniger genaue Vorstellungen von einem
Fragebogen sowie von den Umständen und dem Ablauf einer Befragung. Das mag einer der
Gründe sein, warum bei der Auswahl einer geeigneten Forschungsmethode im Team so
häufig der Fragebogen genannt wird. Erstellung und Einsatz eines Fragebogens erscheinen
den meisten relativ einfach („na ja, stellen wir halt ein paar Fragen zusammen“). Dass dem
aber nicht so ist und dass bei der Entwicklung eines brauchbaren (!) Fragebogens eine Reihe
von Gesichtspunkten zu beachten sind, soll im Folgenden verdeutlicht werden.
Der Fragebogen gehört wie das Interview zu den Befragungsmethoden. Während das
Interview eine mündliche Form der Befragung ist, stellt der Fragebogen eine schriftliche
Befragungsform dar. Aus dem Tatbestand, dass hierbei Personen schriftlich fixierte Fragen
zur Beantwortung vorgelegt werden, ergeben sich besondere Anforderungen und
Schwierigkeiten bei der Entwicklung und Verwendung dieses Datenerhebungsinstruments.
Daraus resultieren nämlich u.a. besondere Ansprüche an die sprachliche Formulierung von
Fragen, weshalb das eigentliche Kernproblem der Fragebogenkonstruktion in der „Kunst der
Frage“ zu sehen ist. Wer fragt, will Antworten bekommen. Welche Antworten ForscherInnen
erhalten, hängt im wesentlichen von der Frageformulierung ab (s. unten).
2. Wissensgrundlage und Methodenentscheidung
Das Stellen von Fragen setzt das Vorhandensein einer Wissensbasis voraus. Man kann nur
nach einem Gegenstand, Tatbestand usw. fragen, dessen Existenz einem bekannt ist. Die
Frage „Können Sie mir sagen, wie ich hier zum Bahnhof komme?“ setzt bspw. voraus, dass
dem Fragenden bekannt ist oder dass er zumindest begründet vermutet, dass es in diesem Ort
einen Bahnhof gibt. Sollte ihm dies unbekannt sein, wird er vermutlich andere Fragen stellen,
bspw.: „Mit welchen Verkehrsmitteln komme ich von hier fort?“ Sachdienliche Antworten
wird der Fragende nur erhalten, wenn (a) der Befragte den Fragenden versteht, d.h. wenn
beide dieselbe Sprache sprechen (es wäre müßig, diese Fragen einem der deutschen Sprache
nicht mächtigen Chinesen zu stellen) und (b) wenn beide in etwa das Gleiche unter den in der
Frageformulierung verwendeten Begriffen/ Konzepten („Bahnhof“, „Verkehrsmittel“)
verstehen. Das Frage-Antwort-Spiel klappt also nur unter der Bedingung,
- dass A und B denselben Kode beherrschen und
- dass bei A und B eine teilweise sich überschneidende, gemeinsame Wissensbasis (eine
gewisse Übereinstimmung hinsichtlich der verwendeten Konzepte) vorhanden ist.
Diese Gesichtspunkte (gemeinsamer Kode, geteilte Wissensbasis) werden bei der
Fragebogenerstellung als gegeben unterstellt. Das den ForscherInnen zu dem
Untersuchungsgegenstand verfügbare Wissen geht in den Fragebogen ein und ist Grundlage
und Ausgangspunkt der Frageformulierungen. Deshalb ist bei der Entscheidung, einen
Fragebogen einzusetzen, im Team ausführlich darüber zu diskutieren:
- Was wissen wir über den fraglichen Gegenstand, Objektbereich, das zu untersuchende
Problem?
- Welche Teilaspekte sind bekannt?
- Welche Gesichtspunkte sind im Zusammenhang unseres Erkenntnisinteresses bzw. der
Forschungsfrage von Belang?
Das gegenstandsbezogene Wissen der ForscherInnen kann durchaus lückenhaft sein. Einige
„Leerstellen“ sollen ja gerade durch die Befragung aufgefüllt werden. Aber man muss
zumindest die Aspekte benennen können, zu denen man nähere Auskünfte haben möchte,
sonst kann man sie im Fragebogen nicht thematisieren. Sollte sich herausstellen, dass das
gegenstandsbezogene Wissen nicht hinreicht, um darauf aufbauend einen Fragebogen zu
entwerfen, empfiehlt sich ein zweischrittiges Verfahren:
1. Über Felderkundungen, Beobachtungen, offene Befragungen (z.B. unstrukturierte
Interviews) verschafft man sich weitere Informationen.
2. Auf der Grundlage der gewonnenen Informationen wird der Fragebogen entwickelt.
An die bei einer reflektierten Methodenentscheidung grundlegenden Fragen
- Bekommen wir mit dieser Methode die Daten, die wir haben wollen und brauchen?
- Was spricht für und was spricht gegen den Einsatz dieser Erhebungsmethode?
schließen sich, sofern die Entscheidung für eine Fragebogenerhebung gefallen ist, noch eine
Reihe spezifischer Fragen an, die im Team schrittweise abzuarbeiten sind:
- Was soll erfragt werden?
- Wer soll befragt werden?
- Wie soll der Fragebogen gestaltet und strukturiert werden?
- Wie und wann wird die Befragung durchgeführt? Wer führt sie durch?
- Wie sollen die Daten ausgewertet und dargestellt werden? Wer wertet aus?
3. Die Kunst der Frage
Brauchbarkeit und Ergiebigkeit eines Fragebogens hängen wesentlich von der
Frageformulierung ab. Bei dieser wiederum kommt es darauf an, wer befragt werden soll.
„Die Formulierung von Fragen wird zwar weitgehend vom Erhebungsziel bzw. vom
Erhebungsgegenstand determiniert, aber die Qualität der Antworten ist abhängig von (...) der
Anpassung (...) der Fragen an die Adressaten. Der Wortschatz, das Sprachverständnis der
Befragten muß (...) berücksichtigt werden !“ (Völkl, 1980, S. 24). GrundschülerInnen sind
anders formulierte Fragen vorzulegen als bspw. Lehrerinnen und Lehrern. Falls möglich,
sollte man sich vorab über das Sprachverständnis der Befragten, über von ihnen verwendete
Begrifflichkeiten usw. informieren. Die Fragen sollten die befragten Personen nicht
überfordern. Sie sind dem Entwicklungsstand, den Kenntnissen usw. der Befragten
anzupassen. Keinesfalls darf vom eigenen Wissensstand auf den der Befragten geschlossen
werden. Fähigkeiten, Vorstellungskraft und Erinnerungsvermögen von „Datenlieferanten“
werden häufig überschätzt.
In der Literatur werden folgende „Faustregeln“ für das Formulieren von Fragen genannt (vgl.
Atteslander, 1993, S. 188 ff.; Schnell, Hill & Esser, 1995, S. 303 ff.):
- Fragen sollten eindeutig und klar formuliert sein. Nur eindeutige Fragen können richtig
beantwortet werden. Der Befragte soll nicht lange grübeln müssen, was gemeint ist und
worauf die Frage abzielt.
- Fragen sollten einfache Worte enthalten, die Umgangssprache der Adressaten ist zu
berücksichtigen. Zu vermeiden sind Fremdworte, Abkürzungen und Fachbegriffe.
- Fragen sollen kurz sein und sich jeweils nur auf einen Sachverhalt beziehen. Doppelfragen
(zwei oder mehr Sachverhalte werden in einer Frage angesprochen) sind zu vermeiden.
- Man sollte von schwierigen grammatikalischen Konstruktionen (Schachtelsätze, doppelte
Verneinung usw.) Abstand nehmen.
- Fragen sollten Tatbestände direkt und konkret ansprechen. Abstrakte Begriffe sind zu
konkretisieren.
-
-
Die Fragen sollten keine bestimmte Antwort provozieren (Suggestivfragen).
Die Fragen sollten neutral formuliert sein und möglichst keine „belasteten“ bzw.
wertenden Begriffe beinhalten (z.B. „Bürokrat“, Boss“ usw. - Also nicht: „Wie reagiert
Ihr Boss, wenn Sie...?“, sondern „Wie verhält sich Ihr Vorgesetzter, wenn Sie...?“).
Die Fragen sollten „formal balanciert“ sein, d.h. sie sollten ein möglichst breites
Antwortspektrum ermöglichen.
Hypothetische Fragen sollten nicht gestellt werden („Angenommen, Sie würden im Lotto
gewinnen, würden Sie das Geld sofort ausgeben oder sparen?“). Begründung:
Hypothetische Fragen zielen auf Sachverhalte ab, zu denen die Befragten keine
Erfahrungen und über die sie bisher meist nicht nachgedacht haben. Die Antworten
dürften deshalb wenig zuverlässig sein. Trotz dieses Vorbehalts sind hypothetische Fragen
manchmal nützlich, man muss sich dann allerdings über den Stellenwert der Antworten im
Klaren sein. Ähnliches gilt übrigens auch für die Verwendung retrospektiver Fragen
(„Wie war das damals zu Beginn Ihres Aufenthalts in der BRD...?“). Angaben zu solchen
Fragen gelten als wenig zuverlässig, weil sie durch Erinnerungslücken, nachträgliche
Rationalisierungen usw. beeinträchtigt sind (Schnell, Hill & Esser, 1995, S. 314).
Die letztgenannten Formulierungsregeln verweisen auf den Aspekt der Gültigkeit der
Antworten. Aus Untersuchungen sind folgende Zusammenhänge bekannt:
- Je weiter ein Ereignis zurückliegt, desto ungenauer werden die Angaben.
- Je mehr sich eine Person für ein Thema interessiert, desto gültiger und zuverlässiger sind
die Antworten.
- Je wichtiger ein Ereignis für eine Person ist, desto genauer werden die Angaben.
- Je bedrohlicher ein Ereignis war, umso eher wird es vergessen.
- Über sozial missbilligte Sachverhalte wird wenig berichtet; man bekommt hierzu selten
offene Antworten (s. unten).
- Je höher etwas sozial bewertet ist, umso eher sind die Angaben zu hoch
(Verzerrungseffekt).
- Bei geschlossenen Fragen mit zwei Antwortalternativen hat die letzt genannte Alternative
die größere Anziehungskraft.
4. Fragetypen und Antwortformen
Grundsätzlich wird zwischen offenen und geschlossenen Fragen unterschieden.
Bei offenen Fragen können die Befragten die Antwort frei formulieren, sie können
persönliche Schwerpunkte setzen und bestimmen Inhalt, Form und Ausführlichkeit der
Beantwortung. Das Stellen offener Fragen bietet sich an, wenn die ForscherInnen über ein
geringes Vorwissen hinsichtlich der Einstellungen, Ansichten usw. der Adressaten zu einem
Thema verfügen und deshalb keine detaillierte Aufgliederung des zu untersuchenden
Gegenstands vornehmen können. Angezeigt sind offene Fragen, wenn der Bezugsrahmen von
Personen ermittelt werden soll und wenn Begründungen für Meinungen, Einstellungen usw.
erhoben werden sollen. Der Befragte kann innerhalb seines Bezugssystems antworten, so dass
das Wissen und die Einstellungen, die bei der befragten Person tatsächlich vorhanden sind,
ans Licht kommen. Die Verwendung offener Fragen hat den Nachteil, dass man dadurch
persönliche und nur begrenzt vergleichbare Daten erhält. Außerdem hängt die Qualität der
Antworten seht stark von Artikulationsfähigkeit und –bereitschaft der Befragten ab. Wir
konnten bei Teamforschungsvorhaben wiederholt beobachten, dass viele SchülerInnen ungern
schreiben, entsprechend karg und unergiebig fallen oft die Antworten zu offenen Fragen aus.
Offene Fragen sind also eher geeignet für Personen, die sich differenziert ausdrücken können
und wollen.
Bei offenen Fragen erhält man qualitative Daten (Texte). Das bedeutet: Es entsteht ein relativ
hoher Auswertungsaufwand, da die Texte inhaltsanalytisch bearbeitet und mittels eines
Kategoriensystems erschlossen werden müssen.
Für die Abwägung, ob man eher offene oder eher geschlossene Fragen verwendet, gelten die
Thesen von Eikenbusch (1998, S. 103):
- Am einfachsten zu erstellen sind offene, am einfachsten auszuwerten sind geschlossene
Fragen.
- Offene Fragen schränken die Antworten nicht ein, geschlossene Fragen bieten den
Respondenten Anhaltspunkte für die Meinungsbildung.
- Offene Fragen können helfen, Problemlagen zu identifizieren, geschlossene Fragen
helfen, Sichtweisen zu quantifizieren (vgl. auch die Übersicht bei Burkhard &
Eikenbusch, 2000, S. 117 f.).
Wir kommen damit zu den geschlossenen Fragen, bei denen Antwortmöglichkeiten
vorgegeben sind. Die Nachteile offener Fragen sind gleichzeitig Vorteile geschlossener
Fragen. Personen, die sich (noch) nicht differenziert ausdrücken können oder wollen,
kommen mit geschlossenen Fragen besser zurecht; geschlossene Fragen werden häufiger
beantwortet als offene. Die Daten geschlossener Fragen lassen sich relativ gut vergleichen,
man erhält quantitative Ergebnisse, die natürlich auch zu interpretieren sind. Geschlossene
Fragen thematisieren das Bezugssystem der ForscherInnen; es werden nur die Gesichtspunkte
angesprochen, die dem Forschungsteam wichtig sind. Über die Gesichtspunkte, die darüber
hinaus für die Befragten relevant sind, erfährt man nichts. Problemtisch kann dies werden,
wenn sich die Befragten mit Gesichtspunkten konfrontiert sehen, zu denen sie sich noch keine
Meinung gebildet haben. Verstärkt wird diese Problematik durch eingeschränkte
Antwortmöglichkeiten. Um dem zu entgehen, bieten sich „Indifferenzangebote“ (Kategorie
„weiß nicht“) und das Hinzufügen von „Öffnungskategorien“ („Sonstiges“) an (vgl. Schnell,
Hill & Esser, 1995, S. 341 f.).
Vom Antwortformat her lassen sich folgende Typen geschlossener Fragen unterscheiden:
- Alternativfragen: Es sind nur zwei Antwortmöglichkeiten gegeben (ja – nein; stimmt –
stimmt nicht o.ä.).
- Auswahlfragen: Von mehreren Antwortvorgaben soll eine Antwort ausgewählt und
angekreuzt werden. Man kann auch die Auswahl mehrerer Anworten aus 5 bis 7
vorgegebenen Alternativen zulassen (Mehrfachwahlfrage). Es empfiehlt sich, die Auswahl
zu begrenzen („maximal 3 Nennungen“). Eine Sonderform stellt die Skalenfrage dar. Sie
ist dann geeignet, „wenn die vorgegebenen Alternativen als Abstufungen einer
Fragedimension interpretiert werden können.“ (Hagmüller, 1979, S. 98) (z.B.: „Kreuzen
Sie bitte nach Grad der Zustimmung an: trifft völlig zu/ trifft teilweise zu/ trifft eher nicht
zu/ trifft überhaupt nicht zu“. – Oder: Nummerisch skaliert (sog. Likert-Skala): 1 – 2 – 3 –
4. Achtung: Bei „ungerader“ Skalierung (z.B. 5stufig) gibt es eine „Mitte“, die besonders
von unschlüssigen Personen oder Befragten ohne dezidiertes Urteil angekreuzt wird
(„Tendenz zur Mitte“). Will man polarisieren, muss man eine „gerade“ Skalierung (z.B.
4stufig) wählen. Anmerkung: Von der Art der Antwortvorgaben hängt ab, welche
Operationen hinterher bei der Auswertung möglich und zulässig sind; Stichwort:
Skalenniveau).
- Listen-, Kartei- bzw. Katalogfragen: Aus einer Reihe von Begriffen, Eigenschaften,
Aussagen usw. sind solche auszuwählen, die hinsichtlich einer bestimmten Fragestellung
zutreffen.
Neben dieser Klassifizierung können Fragen allgemein (offene wie geschlossene) nach Inhalt
oder Zweck der Fragestellung unterschieden (Einstellungs-, Meinungs-, Überzeugungs-,
Verhaltens-, Eigenschaftsfragen usw.) oder nach ihrer befragungstechnischen Funktion
eingeordnet werden. Dann spricht man – um nur die wichtigsten zu nennen – von:
- Kontakt- oder Einleitungsfragen: Sie sollen leicht zu beantworten sein und zur
Beantwortung der weiteren Fragen motivieren.
- Pufferfragen: Sie haben die Aufgabe, den Einfluss eines behandelten Themas auf
nachfolgende Fragenkomplexe bzw. Themenblöcke zu verhindern (Ausstrahlungseffekt;
vgl. Hagmüller, 1979, S. 102).
- Kontrollfragen: Derselbe Sachverhalt wird in abgewandelter Formulierung an anderer
Stelle des Fragebogens erneut angesprochen. Dies dient der Überprüfung, ob die
Respondenten Frageinhalte zutreffend erfassen und konzentriert „bei der Sache“ sind.
- Filterfragen: Sie dienen der Ausschaltung solcher Personen, auf die die Hauptfragen nicht
zutreffen (s. unten).
- Ergänzungs- oder Folgefragen: Sie dienen der Weiterverfolgung einzelner Aspekte
vorheriger Antworten.
5. Unangenehme Fragen und soziale Erwünschtheit
Es kommt immer wieder vor, dass ForscherInnen von Personen Angaben zu Themen haben
wollen, zu denen sich die Befragten nur ungern offen äußern. Die Frage „Wovor hast du
Angst?“ ist in der Tat angstauslösend. Fragen nach Kindererziehung, Einkommen,
Familienverhältnissen usw. sind den Befragten unangenehm. Es gibt Bereiche, zu denen
Kinder und Jugendliche Erwachsenen gegenüber keine Auskunft geben möchten. Dies muss
bei der Entwicklung eines Fragebogens beachtet werden, eine solche Reflexion darf aber nicht
in eigene Unsicherheit münden. Um auch bei „Tabu-Themen“ verwertbare Ergebnisse zu
bekommen, empfiehlt sich eine indirekte Frageformulierung. Es wird nicht direkt nach
Verhaltensweisen, Einstellungen usw. der jeweiligen Person gefragt, sondern Sachverhalte
werden als Verhalten anderer Personen, zu dem man sich äußern kann, dargestellt. Den
Befragten bleibt somit erspart, das eigene Verhalten preisgeben zu müssen.
Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Neigung der Befragten, im Sinne sozialer
Erwünschtheit zu antworten. In der Regel ist Personen deutlich bewusst, was positiv und was
negativ zu bewerten ist, was man tun und was man eher lassen sollte usw. Die Befragten
wollen sich den ForscherInnen gegenüber möglichst positiv darstellen und geben deshalb
Antworten, die sie „ins rechte Licht setzen“. Die Zusage der Anonymität schwächt diese
Tendenz eventuell etwas ab, verhindert sie aber nicht völlig. Bei Frageformulierungen und
Antwortvorgaben ist deshalb zu überlegen, ob diese nicht auch Signale im Sinne sozialer
Erwünschtheit beinhalten. Ein breites Spektrum von Antwortvorgaben und die Verwendung
möglichst nicht-wertender Begriffe in der Frageformulierung (s. oben) sind dazu angetan,
dieser Tendenz entgegenzuwirken.
6. Fragebogenstruktur
Nach der Formulierung ist der Anordnung und Reihenfolge der Fragen sowie der Abfolge
inhaltlich-thematischer Fragebogenkomplexe die meiste Beachtung zu schenken. Auch hierzu
gibt es einige beherzigenswerte Tipps. So wird empfohlen, allgemeine Fragen den
besonderen, bekannte Sachverhalte den unbekannten und einfache Fragen den komplizierten
voranzustellen. Fragen zu heiklen Themen (Sex, Drugs & Rock ´n´ Roll) wird man frühestens
im mittleren Teil des Fragebogens platzieren, da sie bei späteren Fragen zu einer
Antwortverweigerung führen können. Entgegen der vielfach geübten Praxis sollten
Sozialdaten (Alter, Konfession, Einkommen, Schulbildung usw.) erst am Schluss des
Fragebogens erhoben werden, da die Befragten diese Angaben meist ungern machen („das
geht niemanden etwas an“) und ein Nachfragen Verstimmung auslösen kann.
Meist werden zu einem inhaltlichen Teilaspekt mehrere Fragen formuliert. Diese Fragen
werden zu thematischen Blöcken zusammen gefasst. Es ist nun darauf zu achten, dass diese
Fragebogenkomplexe in eine logische Reihenfolge gebracht werden, um „Brüche“ und
„Herumspringerei“ zu vermeiden. Die Befragten müssen sich ja auf jedes Teilthema kognitiv
einstellen und erleben das „Umschalten“ als anstrengend und ermüdend.
Diekmann (1995, S. 414 f.) gibt folgende Empfehlungen:
1. Am Beginn des Fragebogens stehen Eröffnungsfragen, die auf das Thema hinführen und
Interesse wecken sollen (warming up).
2. Die wichtigsten Fragen sollten im zweiten Drittel des Fragebogens untergebracht werden.
3. Die einzelnen Fragebogenkomplexe (Module) sollten in sich nach dem Trichterprinzip
strukturiert werden. Damit ist eine Fragenfolge gemeint, bei der man von allgemeinen zu
immer spezielleren Fragen übergeht – oder umgekehrt. Fragetrichter der ersten Art
werden bspw. verwendet, um Antworthemmungen zu überwinden. Der umgekehrte
Trichter (erst spezielle, dann allgemeine Fragen) bietet sich an, wenn man die Befragten,
ausgehend von konkreten Beispielen, zu allgemeinen Äußerungen hinführen will, zu
denen man sonst nur schwer Zugang findet.
Wo es sinnvoll ist, sollten Filterfragen (s. oben ) und Gabelungen eingebaut werden, um
überflüssige Fragen zu vermeiden und die Befragungszeit zu reduzieren. Beispiele: „Wenn
„ja“ angekreuzt, dann weiter zu Frage X“; „Wenn Lehrer/in, dann bitte Fragen 8 – 12
beantworten, wenn Schüler/in bitte mit Frage 13 fortfahren“.
Manchmal ist es angebracht, in den Fragebogen Erläuterungen und Definitionen zu
integrieren, um den Befragten Anhaltspunkte zu geben, wie die ForscherInnen einzelne
Begriffe verstehen. Es sollte aber nur die Richtung angedeutet werden, in welche die
Befragten denken sollen; man muss aufpassen, dass man dadurch die Antworten nicht zu sehr
beeinflusst.
Zulässig sind auch Überleitungssätze zwischen den einzelnen Themenblöcken. Man könnte
auch von einer „Befragten-Führung“ sprechen. Ein abrupter Themenwechsel kann für die
Befragten irritierend sein. Mit Überleitungsformulierungen kann man den Themenwechsel
erträglicher gestalten und auf das neue Thema vorbereiten (Diekmann, 1995, S. 415).
7. Fragebogenentwicklung
Das Team bietet besonders günstige Voraussetzungen für die Entwicklung eines Fragebogens.
Es leuchtet ein, dass bei der Formulierung von Fragen in einer Gruppe mehr Einfälle zustande
kommen, als wenn ein einzelner Forscher am Schreibtisch über der Erstellung eines
Fragebogens brütet. Bei der folgenden Schrittfolge kann das Teampotential an mehreren
Stellen genutzt werden:
1. Problemanalyse und Festlegung des Befragungsziels (was wollen wir wissen?).
2. Festlegung thematischer Blöcke (Module): Der zu untersuchende Gegenstand wird in
Hauptaspekte bzw. Bereiche zerlegt.
3. Sammlung und Formulierung von Fragen zu jedem Modul. Vor allem hier kommt das
kreative Potential des Teams zum Tragen.
(a) Jede(r) formuliert so viele Fragen zu jedem Aspekt, wie ihm/ ihr einfallen
( Einzelarbeit). Die Fragen werden auf Karteikarten geschrieben.
(b) An einer Stellwand werden die Karteikarten unter den Überschriften der
Themenblock angeheftet. Danach wird der zu jedem Themenkomplex entstandene
Fragen-Pool gemeinsam durchgearbeitet (Ausscheiden von Doubletten; bei ähnlichen
Formulierungen abwägen, welche Formulierung die bessere, treffendere usw. ist;
zumeist findet man auch noch weitere Fragen).
(c) Reduktion des „Angebots“ auf die Fragen, die in den Fragebogen aufgenommen
werden sollen.
4. Überprüfung der Fragen nach inhaltlichen und sprachlichen Kriterien (s. oben).
5. Festlegung der Reihenfolge (Sortieren), und zwar
(a) der Reihenfolge der Fragen innerhalb jedes Themenkomplexes
(b) der Reihenfolge der Themenkomplexe.
6. Festlegung der Auswertungsverfahren (spätestens hier können noch offene durch
geschlossene Fragen ersetzt werden – und umgekehrt).
7. Pretest: Der vorläufige Fragebogen sollte in einem „Probelauf“ getestet werden. Dabei
kommt es vor allem auf die Überprüfung der Verständlichkeit von Formulierungen an.
Außerdem kann man die Befragungszeit ermitteln. Meist erhält man von den Probanden
Hinweise, wie Fragen besser formuliert werden können bzw. welche Fragen fehlen. Die
Rückmeldungen werden berücksichtigt, so dass danach der endgültige Fragebogen
vorliegt.
8. Durchführung der Befragung (s. unten).
In diese Schrittfolge sollten Zwischen-Überprüfungen eingebaut werden. Zum Beispiel muss
bei Schritt 3 immer wieder reflektiert werden: „Warum stellen wir diese Frage?“ „Steht“ der
Fragebogen in den Grundzügen, sind die Antwortformate noch einmal zu überprüfen. Ebenso
muss man sich vergewissern, ob für alle Fragen Operatoren angegeben sind. Darunter
versteht man Anweisungen, was die Befragten jeweils tun sollen bzw. was man von ihnen
erwartet (z.B. „Zutreffendes ankreuzen“; „Mehrfachnennungen möglich“ usw.). Fragen ohne
Angabe von Operatoren sind wertlos. Für einen Abschluss-Check kann eine entsprechende
Prüfliste herangezogen werden (z.B. Burkhard & Eikenbusch, 2000, S. 125 f.).
Etwas Zeit sollte in die optische Gestaltung des Fragebogens investiert werden. Der
Fragebogen sollte klar gegliedert und übersichtlich gestaltet sein. Kästen, verschiedene
Schrifttypen usw. optimieren das Lay out. Wenn man bei offenen Fragen zu wenig Platz lässt,
darf man sich nicht wundern, wenn die Befragten nur wenige Stichworte eintragen.
Zuguterletzt geht es darum, ein Anschreiben zu formulieren (unverzichtbar, wenn die
ForscherInnen in der Erhebungssituation nicht zugegen sind). Das Anschreiben soll die
Befragung legitimieren und die Befragten zur Mitarbeit bzw. zum Ausfüllen motivieren. Das
gelingt am ehesten, wenn sie den Sinn der Befragung einsehen und sich davon auch einen
(persönlichen) Nutzen versprechen (Rückmeldung der Ergebnisse; welche positiven Folgen
sind erwartbar?). Das Anschreiben sollte folgende Punkte beinhalten:
- Name/ Adresse des Absenders
- Thema der Befragung
- Zusammenhang von Thema, Verwertungsziel und Interessen
- Anonymität der Befragung
- eventuell Begründung, warum gerade diese Person/ Personengruppe befragt wird
- eventuell Hinweis auf Rückmeldung der Ergebnisse
-
Rückgabetermin
eventuell Anreize für die Rücksendung.
Einen persönlichen Charakter erhält das Anschreiben durch eine Original-Unterschrift
(Beispiele für Anschreiben: Eikenbusch, 1998, S. 105; Friedrichs, 1973, S. 240).
9. Durchführung der Befragung
Es gibt verschiedene Varianten, eine Befragung durchzuführen. Die Erhebungssituation hat
Auswirkungen auf die Qualität einer Befragung (wann und wo wird der Fragebogen
ausgefüllt?). Es ist auch nicht unerheblich, ob die ForscherInnen bei der Bearbeitung des
Fragebogens anwesend sind oder nicht. Räumt man den Befragten ein, den Fragebogen
beispielweise zu Hause ausfüllen und zu einem späteren Zeitpunkt abgeben zu können, wird
man mit einer geringeren Rücklaufquote rechnen müssen, als wenn Fragebögen in Gegenwart
der ForscherInnen ausgefüllt und anschließend von ihnen gleich eingesammelt werden.
Die Anwesenheit der ForscherInnen in der Erhebungssituation gibt den Befragten Gelegenheit
zu Rückfragen. Der Wert einer Befragung wird dadurch in der Regel nicht beeinträchtigt.
Allerdings muss vorab geklärt werden, welche Erläuterungen ggf. gegeben werden. Es ist
strikt auf ein übereinstimmendes Vorgehen und auf das Einhalten verabredeter „Spielregeln“
zu achten (wenn z.B. in einer Gruppe Rückfragen zugelassen werden, muss dies auch bei
anderen Befragten gelten). Man muss auch aufpassen, dass die Erläuterungen, Erklärungen
usw. so formuliert werden, dass sie den Befragten nicht bestimmte Antworten nahe legen.
10. Ein Beispiel
====== hier den Fragebogen UEG Leer, zur Facharbeit einsetzen; scannen, dabei evtl. leicht
stauchen – auf alle Fälle sollte das schlampige Lay out erhalten bleiben
Kommentar: Der Fragebogen stellt kein positives Muster dar, sondern soll zur kritischen
Analyse anregen, ob die zuvor genannten Gesichtspunkte beachtet wurden. Dazu gebe ich
einige Reflexionsimpulse:
- Wie sind Gliederung und Lay out zu beurteilen?
- Sind die Kriterien zur Frageformulierung beachtet worden? (z.B. Klarheit,
Verständlichkeit, breites Spektrum von Antwortmöglichkeiten, Kategorien „weiß nicht“,
„Sonstiges“).
- Wissen die Befragten, was sie jeweils tun sollen? (Angabe von Operatoren).
- Wo werden sich vermutlich Probleme bei der Auswertung ergeben?
11. Vorteile – Nachteile
Vorzüge:
- Fragebögen sind geeignet, Auskünfte von einer großen Anzahl von Personen zu
bekommen („Breite“).
- Sie können ohne großen organisatorischen Aufwand eingesetzt und in relativ kurzer Zeit
ausgefüllt werden (Praktikabilität: geringe Kosten, geringer Zeitaufwand).
- Da Fragebögen in der Regel anonym bearbeitet werden, erhält man tendenziell ehrlichere
Antworten als bei anderen Methoden.
- Der Befragte hat im Vergleich zum Interview mehr Zeit für das Beantworten einer Frage,
er kann Fragen durchdenken und überlegte Antworten geben.
Nachteile:
- Unter Umständen ist die Rücklaufquote gering.
- Das Reaktionsspektrum der Befragten ist eingeengt.
- Unklare Antworten können aufgrund der Anonymisierung und der Abwesenheit der
Befragten während der Auswertung nicht hinterfragt werden.
12. Literatur
Kirchhoff, Kuhnt, Lipp, Schawin: Der Fragebogen, UTB 2245, 2. Aufl., 2001
(
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