Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? FH-Studiengang „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ in Bad Gleichenberg. Gelungene Institutionalisierung von Innovation in der Tourismusausbildung oder doch nur ein Disziplinen-Kaleidoskop? Von Harald A. Friedl Erschienen in: Schmude, Jürgen; Schaarschmidt, Karen (Hg.) (2007): Tegernseer Tourismus Tage 2006. Proceedings. Beiträge zur Wirtschaftsgeographie Regensburg, Band 9. Regensburg: Universität Regensburg, S. 161-172. Abstract Mit dem Start des Studienganges „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ im Jahr 2001 in Bad Gleichenberg wurde versucht, mit Tourismus und Gesundheit zwei bislang scheinbar getrennte Wissenschafts- und Lebensbereiche im touristischen Ausbildungsbereich zu einem Gesamtkonzept zu verknüpfen. Dies geschah vor dem Hintergrund absehbarer Zukunftstrends, aber auch in Hinblick auf die Entwicklung einer innovativen Ausbildung, die ihrerseits die Fähigkeit zum innovativen und vernetzten Denken und Handeln vermitteln soll. Das Ausbildungskonzept stieß unter Studierenden wie auch unter Betrieben auf sehr positives Echo. Darüber hinaus führte es auch unter den Studienplanautoren und Lehrenden zu neuen Lernprozessen. Die Erfahrungen mit den ersten abgeschlossenen Jahrgängen und mit den bisherigen Curriculumsreformen lassen vermuten, dass der Versuch, in diesem explizit interdisziplinären Studiengang den Prozess einer permanenten Innovation implizit zu verankern, gelungen sei. Inhalt: 1. Lasst sich Innovation in der Tourismusausbildung institutionalisieren? ......................................... 2 2. Die FH JOANNEUM in der Steiermark .......................................................................................... 2 3. „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ – was ist das? ............................................................... 3 3.1 Megatrend Tourismus und Freizeit ............................................................................................ 4 3.2 Megatrend Gesundheit ............................................................................................................... 4 3.3 Megatrend Gesundheitstourismus .............................................................................................. 5 4. Ausbildung zum Gesundheitstouristiker: nur in Bad Gleichenberg! ............................................... 6 5. Die Evolution des Studienganges in Bad Gleichenberg .................................................................. 8 5.1 Der Start im Jahr 2001 in Bad Gleichenberg ............................................................................. 8 5.2 Die erste Studienreform im Jahr 2003 ....................................................................................... 9 5.3 Die Umstellung auf Bachelor und Master im Jahr 2005 ............................................................ 9 5.3.1 Wie und wo sind „Gesundheitsmanager / -innen im Tourismus“ tätig? ........................... 10 5.3.2 Verstärkte Verschränkung von Praxis und Forschung ...................................................... 10 5.3.3 Gelebte Inter- bzw. Transdisziplinarität............................................................................ 11 6. Schlussfolgerungen ........................................................................................................................ 12 Quellen: .............................................................................................................................................. 12 1 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? 1. Lasst sich Innovation in der Tourismusausbildung institutionalisieren? In einer Zeit der gesättigten Märkte, der sich immer stärker differenzierenden Konsumenten und vor allem einer Welt, in der es bereits alles in jeder beliebigen Form gibt, wird es immer schwieriger , neue bahnbrechende Produkte für die Freizeit- und Tourismusindustrie zu erfinden und zu entwickeln. Thomas A. Edisons alte Regel für kreative Arbeit besagt, dass 99 % des Erfolges auf Transpiration und nur 1 % auf Inspiration beruhe. Für den dauerhaften Erfolg in der Tourismusbranche bedürfe es somit in erster Linie zuverlässiger, sauberer (Entwicklungs-)Arbeit und nur dann und wann einer zündenden Idee. Daraus würde folgen, dass es für die Zukunftsfähigkeit des Tourismus im Wesentlichen solchen (Management-)Personals bedürfe, das über eine solide Ausbildung in den wesentlichen touristischen Handwerksbereichen verfügt. Was aber soll geschehen, wenn der kleine, feine Geistesblitz letztlich ausbleibt, oder schlimmer noch, wenn der Geist zwar blitzt, aber von den „soliden“ fleißigen Mitarbeitern ganz einfach nicht erkannt wird, etwa weil er als zu „grell“ im Sinne von visionär empfunden werde, oder weil die Umsetzung des dahinter stehenden Konzepts den Mitarbeitern Kompetenzen abverlangen würde, über die sie nicht verfügen? Sind aber solche Einwände hinreichend genug, um einfach nur die Schultern zu zucken, weiterhin auf rechtzeitig eintretende, hoffentlich dann auch „verständliche“ Geistesblitze zu vertrauen und an der Strategie einer „soliden“ touristischen Grundausbildung festzuhalten? Sollte es nicht vielmehr zu denken geben, dass die meisten großen neuen Erkenntnisse sich deswegen lange Zeit nicht durchsetzen und dynamische Entwicklungsprozesse initiieren konnten, eben weil sie in ihrem Umfeld auf grundlegendes Unverständnis, wenn nicht gar auf massiven Widerstand, stießen (vgl. Kuhn 1976)? Resultieren gegenwärtig die großen neuen Erkenntnisse nicht im Wesentlichen aus der Verknüpfung von solchen Wissensbereichen, die traditionellerweise als von einander unabhängig betrachtet, gelehrt und beforscht wurden? Daraus würde aber folgen, dass zukünftiges Tourismuspersonal, um mit innovativen Ideen besser umgehen oder gar selbst leichter innovatives Denken hervorbringen zu können, in der Verknüpfung von unterschiedlichen Disziplinen geschult werden müsste. Lässt sich aber ein solches Curriculum entwickeln, das 1. für eine große Zahl von Studierenden und nicht für wenige Spezialisten attraktiv ist, 2. auch vom Arbeitsmarkt als Bereicherung empfunden und angenommen wird, und 3. die Förderung von innovativem Denken auch dauerhaft leisten kann? Mit der Einrichtung des FH-Studienganges „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ in Bad Gleichenberg durch die FH JOANNEUM wurde ein solches Experiment gewagt, indem die drei Bereiche Tourismus, Gesundheit und Management miteinander verknüpft wurden. Gelang letztlich den Curriculumsautoren, das scheinbare Paradox der Institutionalisierung von Innovation aufzulösen, oder handelt es sich bei diesem Studiengang letztlich nur um einen bunten Haufen willkürlich aneinander gereihter Disziplinen im Sinne von Lengkeeks und Platenkamps Konzept von Tourismusforschung als Paradigmen-Kaleidoskop (vgl. Lengkeek / Platenkamp, 2006)? 2. Die FH JOANNEUM in der Steiermark Die Entwicklung von Fachhochschul-Studiengängen in Österreich wurzelt in den frühen 1990er Jahren und resultierte aus dem Bedürfnis, hoch qualifizierte, akademische Bildung praxisnäher zu gestalten und zu vermitteln. Dieser Wunsch wurde vor allem seitens der Privatwirtschaft an die Bildungspolitiker herangetragen. Darin spiegelte sich die durchwegs ambivalenten Erfahrungen von 2 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? Unternehmen mit theoretisch fundiert ausgebildeten Universitätsabsolvent / -innen wieder, denen es häufig an praktischen Erfahrungen im Umgang mit ihrer abstrakt vermittelten Materie mangelte. Ein noch größeres Problem war jedoch der unter Universitätsabsolventen verbreitete Mangel an Kompetenzen, die für die Umsetzung von theoretischen Kenntnissen in die Praxis Voraussetzung sind, wie etwa soziale und Fremdsprachenkompetenzen oder Kenntnisse in den Bereichen Projekt-, Organisations- und Konfliktmanagement. Im österreichischen Bundesland Steiermark wurde im Jahr 1995 mit der Gründung der FH JOANNEUM in Graz der erste Schritt zum Aufbau einer Privatuniversität nach den Prinzipien des FHStG (1993) gesetzt. Für die Organisationsstruktur wurde die Konstruktion einer Kapitalgesellschaft gewählt, welche die Aufgabe der wirtschaftlichen Verwaltung, wissenschaftlichen Koordination und strategischen Weiterentwicklung zu erfüllen hatte. Bei den ersten vier genehmigten Studiengängen im Jahr 1995 (vgl. FH JOANNEUM 2006, S. 39) handelte es sich überwiegend um solche mit technischer Ausrichtung. Diese Studienpolitik erschien vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Struktur der zentralen Steiermark nahe liegend, zeichnete sich diese Region doch durch die Ausbildung eines veritablen Autoclusters im Umfeld von internationalen Entwicklungs- und Produktionsunternehmen wie AVL und MAGNA STEYR aus. Mittlerweile sind unter der FH JOANNEUM über 30 Studiengänge mit rund 3.000 Studierenden vereint, betreut von knapp 300 Vollzeit-Lehrenden sowie zahlreichen externen Lehrenden. Die Studiengänge sind verteilt auf drei Standorte. Die Zentrale mit den meisten Studiengängen befindet sich in der Landeshauptstadt Graz, ein technisch-elektronisch ausgerichteter Standort wurde im alten Industriegebiet von Kapfenberg angesiedelt, und ein gesundheitlich-touristisch ausgerichteter Standort wurde im Jahr 2001 in Bad Gleichenberg gegründet. Eines der Grundprinzipien von Fachhochschul-Studiengängen liegt in ihrer optimalen berufsfeldbezogenen Qualifikation auf wissenschaftlicher Basis. Das gegenwärtige Umfeld von Hochschulen, die postmoderne Gesellschaft, ist als hochdynamisch und von weit reichendem Wandel gekennzeichnet zu begreifen. Daraus folgt zwangsläufig, dass Studiengänge, wollen sie dem genannten Fachhochschul-Prinzip entsprechen, einer ständigen Evaluierung hinsichtlich ihrer Kompatibilität mit den gesellschaftlichen Anforderungen unterzogen werden müssen. Dies gilt jedoch nicht nur für die Curricula von Studiengängen, sondern auch für Studiengänge an sich. Die Fachhochschule als wissenschaftsbasierte Reflexion gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedürfnisse hat den Auftrag, auf die Wahrnehmung von gesellschaftlichen Veränderungen oder neuen Bedürfnissen mit entsprechenden Angeboten zu reagieren. Dazu zählt insbesondere die Identifikation bzw. Entwicklung neuer Berufsfelder sowie von darauf aufbauenden neuen Studiengängen. 3. „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ – was ist das? Ende der 1990er Jahre wurde im Umfeld der FH JOANNEUM das Bedürfnis nach hoch qualifiziert ausgebildetem Personal in den Überschneidungsbereichen Gesundheit, Freizeit und Tourismus, insbesondere Thermentourismus, sowie Management wahrgenommen. Diese Branchen wiesen immer mehr Überlappungen und Gemeinsamkeiten auf, sodass schließlich als Antwort darauf das Berufsfeld des „Gesundheitsmanagers im Tourismus“ gleichsam „erfunden“ wurde. Darauf aufbauend wurde der Studiengang „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ entwickelt. Im Folgenden werden die identifizierten „Megatrends“ in den genannten Bereichen und insbesondere die erkannten Überschneidungen näher erläutert 3 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? 3.1 Megatrend Tourismus und Freizeit Die wachsende Bedeutung des Tourismus im internationalen Kontext beweisen die alljährlichen Rekordmeldungen der UNWTO (2006). Mit 808 Million internationalen Ankünften bei einem stetigen Wachstum von 5 % im Jahr 2005 gilt der internationale Tourismus mittlerweile als Leitwirtschaft des 21. Jahrhunderts (vgl. Oberste-Lehn 2005). Dies gilt umso mehr für Österreich, einem der Länder mit dem verhältnismäßig dichtesten Tourismusaufkommen der Welt. Im Jahr 2004 wurden hier durch direkte und indirekte Wertschöpfungseffekte des Tourismus rund 21 Mrd. € erwirtschaftet, was knapp 9% der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung entspricht. Rechnet man den Freizeitkonsum der Inländer am Wohnort hinzu, so beträgt der Gesamtanteil der Tourismus- und Freizeitwirtschaft am österreichischen BIP rund 16,4 %. Diese überragende ökonomische Bedeutung der Tourismus- und Freizeitwirtschaft spiegelt auch die Beschäftigungssituation in Österreich wieder. So sind rund 270.000 Personen direkt oder indirekt im Tourismus beschäftigt, weitere 480.000 Menschen in der Freizeitwirtschaft. Somit wird „etwa jeder 5. Vollarbeitsplatz (...) durch die Tourismus- und Freizeitwirtschaft generiert.“ (Laimer / Smeral 2005, S. 6) Das Bild von der Bedeutung des Tourismus in der Steiermark ist sogar noch nuancierter. Hier bewältigen rund 7.000 Beherbergungsbetriebe mit insgesamt knapp 105.000 Betten rund 10 Millionen Nächtigungen von 2,7 Mio. Gästen. Die Steiermark ist übrigens auch das beliebteste Urlaubsland der Österreicher / -innen, wählen doch rund 20 % aller Österreicher, die für ihren Urlaub im eigenen Land bleiben, die Steiermark als Ziel (vgl. Statistik Austria 2006, S. 410 ff.). Eine herausragende Rolle spielt in der Steiermark der Thermen- und Bädertourismus. Hier gibt es derzeit fünf Heil- und Erlebnisthermen, darunter die bekannte Hundertwasser-Therme in Blumau. Deren wirtschaftliche Bedeutung zeigt sich daran, dass sich 28% aller Spa-Nächtigungen in Österreich auf die Steiermark konzentrieren, bei einem jährlichen Umsatz von rund 50 Mio. Euro. Bevölkerungsstatistische Rahmenbedingungen lassen davon ausgehen, dass die Nachfrage nach Freizeit- und Tourismusprodukten weiter zunimmt. Überspitzt formuliert, leidet Europa zunehmend an Veralterung. Während die Fertilitätsraten sinken, nimmt die Lebenserwartung der Menschen zu. Dies bedeutet, dass immer mehr Menschen immer länger frei von Arbeitszeit sind und damit zum Zielmarkt für entsprechende Freizeit- und Tourismusprodukte werden. Allerdings haben „60+“Kunden völlig andere Bedürfnisse als etwa junge Familien. Das wohl wichtigste Bedürfnis älterer Menschen, das zugleich auch die Grundvoraussetzung für den Konsum von Freizeitangeboten darstellt, ist Gesundheit. Denn nur bei entsprechender körperlicher Verfassung wird die Lebensphase des Ruhestandes zum Genuss anstatt zur Plage. 3.2 Megatrend Gesundheit Die steigende Lebenserwartung macht Gesundheit zu einem der wichtigsten Güter für Menschen. Dies gilt jedoch nicht nur in Hinblick auf die Sicherung der Lebensqualität, sondern auch in ökonomischer Hinsicht. Erfahrungsgemäß steigen die Ausgaben für Gesundheit mit zunehmendem Alter an. Steigende Lebenserwartung bedeutet somit für die öffentliche Hand auch massiv steigende Gesundheitskosten. Gesundheitsförderung ist somit die Voraussetzung sowohl für mehr Lebensqualität im Alter als auch für eine substanzielle Entlastung der Krankenversicherungen. Während alte Menschen gesund bleiben wollen, um ihren Lebensabend genießen zu können, geraten jüngere Menschen zunehmend in die Situation gesund bleiben zu müssen. Am Arbeitsmarkt werden die Anforderungen immer härter. Seltenere Krankenstände von Angestellten sind hier weniger Ausdruck von gesünderen Menschen als vielmehr von Angst vor dem Arbeitsplatzverlust. So befindet sich auch eine wachsende Zahl von Menschen in neuen, unternehmerähnlichen Beschäftigungsformen, die im Krankheitsfall den Anspruch auf Einkommen verlieren. 4 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? Gleichzeitig steigen auch die beruflich sowie gesellschaftlich bedingten Belastungen der Menschen. Die beschleunigte Mobilisierung aller Lebensbereiche, die mit Phänomenen wie häufiger Jobwechsel, Partnerwechsel, Patchwork-Familien und allgemeinen Wertewandel verbunden ist, steigert die täglichen Anforderungen an die Menschen. Lebenslanges Lernen, Flexibilisierung, Wissensmanagement, Zeitmanagement, Netzwerkbildung etc. sind nur einige Schlagwörter, welche die Herausforderungen der neuen Arbeitswelt zum Ausdruck bringen. Die Folgen dieser vielfältigen, überwiegend stressverknüpften Belastungen äußern sich in Krankheitsbildern wie Burn-out, Depressionen und anderen mentalen Krankheiten. Illing (2006) diagnostiziert für die Gesellschaft eine Entwicklung, wonach die Belastungen der Gesundheit im ganzheitlichen Sinne zunehmend, während gleichzeitig die wirtschaftlichen und sozialen Kosten von Krankheit rapide steigen. Angesichts dieser Situation ist es nur scheinbar ein Paradox, dass der Lebensstil der postmodernen Gesellschaft alles andere als gesund ist. So gelten heute 50 % der Deutschen als übergewichtig und 20 % als adipös (vgl. Huth 1996). Krankhaftes Übergewicht führt jedoch zu Erkrankungen wie Diabetes mellitus und zu Schädigungen u. a. von Herz und Kreislaufsystem sowie des Stützapparats. Dieser gesundheitsschädliche Lebensstil ist jedoch selbst lediglich eine Reaktion auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die man im Sinne Ritzers (2003) als „eisernen Käfig“ des Zwangs zur Rationalisierung verstehen kann. Weil Zeit für die arbeitende Bevölkerung zum knappsten Gut wird, werden kompensierende Tätigkeiten wie Nahrungszunahme und Genusskonsum in konzentrierter Weise vorgenommen, etwa in Form von Fastfood, bestehend aus viel Fett und Zucker, oder in Form von immobilen Freizeittätigkeiten wie Fernsehen, Videospielen oder Autofahren. Was der Körper aber als Ausgleich für berufsbedingte Belastungen und Bewegungsarmut benötigen würde, wäre eine vitamin- und ballaststoffreiche, fett- und zuckerarme Ernährung bei gleichzeitig mehr körperlicher Betätigung. 3.3 Megatrend Gesundheitstourismus Mittlerweile macht sich innerhalb der westlichen Gesellschaft ein Wandel im Bewusstsein um die Bedeutung der Gesundheit bemerkbar. Das zeigt sich deutlich an der wachsenden Nachfrage für Nahrungsergänzungsprodukte, vor allem aber am Zauberwort „Wellness“. Vom Urlaub über das Menü bis zu den Socken, das Prädikat „Wellness“ hat mittlerweile fast alle Lebensbereiche erobert. Für Deutschland wurden die Umsätze für Wohlfühlprodukte und Dienstleistungen im Jahr 2003 auf ca. 44 Mrd. Euro geschätzt (Romeiß-Stracke 2002, S. 6 f.). Darin kommt das Bedürfnis des postmodernen Menschen zum Ausdruck, wahrgenommene Defizite wiederum durch Konsum, wenn auch durch vermeintlich „besseren“, zu kompensieren. Dass Gesundheitserhalt jedoch in erster Linie Resultat eines gesundheitsförderlichen Lebensstils ist, dass somit Gesundheit im ganzheitlichen Sinn der WHO-Definition von Ottawa (vgl. WHO 1992) als Ausdruck von Selbstverantwortung und nicht etwa von staatlicher Leistung oder göttlicher Segnung begriffen werden muss, dies ist für viele Menschen eine schmerzliche und darum konsequent verdrängte Erkenntnis. Daraus folgt aber auch, dass Gesundheitsförderung, will sie erfolgreich angenommen werden, dem Zielpublikum als Lustgewinn vermittelt werden muss. Darum bietet sich der Freizeit- und Tourismusmarkt als zentrales Feld der Gesundheitsförderung an, denn hier sind Menschen leichter bereit sich die Zeit zu nehmen, um sich und ihrem Körper über den Umweg von besonderen Erlebnissen Gutes zu tun. Hier existieren bereits eine sehr große Zielgruppe von Personen, die bereits spürbar gesundheitsfördernde Dienstleitungen nachfragt, und eine weitere wachsende Zielgruppe von Personen, die bei entsprechender Angebotserstellung und gesundheitsfördernder Begleitung zusätzliche Nachfrage artikulieren könnte. In der Steiermark erweist sich der Gesundheitstourismus seit bald fünfzehn Jahren als der wichtigste Wachstumsmark. Während etwa in den Jahren 1993-94 die gesundheitstouristisch 5 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? orientierten 14 Kur- und Heilorte des Bundeslandes ihre Übernachtungen um 7 % ausbauen konnten, hatten die restlichen Gemeinden im selben Zeitraum einen Rückgang von Nächtigungen im Ausmaß von 1,6 % zu verzeichnen (Industriewissenschaftliches Institut 1995). Aufgrund der spezifischen, vernetzten Struktur des Gesundheitstourismus ist er zudem hervorragend geeignet, über das bloße branchenspezifische Wachstum hinaus auch regionale Wachstums- und Entwicklungsprozesse zu fördern. Gesundheitstourismus verbindet Elemente der Erholung mit Fitness, Ernährung mit Genuss, Körperpflege mit Entspannung und Erlebnis, aber auch Unterhaltung mit Elementen wie Lern- und Erkenntnisprozessen und mentaler Stärkung. So fließen in entsprechenden Produkten die Kompetenzen der Anbieter verschiedener Massage- und Entspannungstechniken über Fitnesstrainer bis zu Biobauern und Forstwirten zusammen. Ein wesentlicher Wachstumsmarkt für Gesundheitstourismus wird auch dort liegen, wo entsprechende Angebote als Ergänzung zu klassischen Tourismusprodukten verfügbar sind. Dabei ist etwa an Wellness-Angebote in Verbindung mit Kultur-, Kunst-, Natur- und Gastronomieangeboten, mit Kreuzfahrten und Schiurlauben zu denken. Der wachsende Druck auf die Zeitbudgets der Kunden wird wohl auch den Trend zu mehr Kurzurlauben verstärken. Und diese werden dann genutzt werden, um die „eigenen Akkus wieder aufzuladen“. Die Herausforderung im Gesundheitstourismus liegt nun darin, qualitativ hochwertige Produkte zu entwickeln, die zum einen dem üblichen Standard und Komfort von klassischen Tourismusprodukten entsprechen, zum anderen aber der Gesundheit zuträglich und sogar förderlich sind. Diesen völlig neuen Herausforderungen für Freizeit- und Tourismusunternehmen konnten diese bislang, nicht zuletzt mangels verfügbarer Qualifikationen, jedoch nicht ausreichend entsprechen. Der Grund dafür liegt in erster Linie in fehlenden Ausbildungsinstitutionen, die Kompetenzen sowohl aus den Bereichen Tourismus, Gesundheit und Gesundheitsförderung sowie auch Management in integrierter Form vermitteln. 4. Ausbildung zum Gesundheitstouristiker: nur in Bad Gleichenberg! Welche Mindestfertigkeiten benötigt nun ein Gesundheitstouristiker, und wo kann er diese erlernen? Wer den Erholungsbedürfnissen seiner Kunden gerecht werden, gleichzeitig mit seinem Produkt deren Gesundheit fördern und schließlich auch entsprechend verdienen will, muss Fähigkeiten wie Freizeit- und Tourismusproduktgestaltung, Gesundheitsförderung, Animation, Kommunikation, Public Relations und Marketing, und nicht zuletzt Management, Betriebswirtschaftslehre, Qualitätssicherung und vieles mehr beherrschen. Dabei geht es in erster Linie darum, Bedürfnisse und Entwicklungsmöglichkeiten an den Schnittstellen zwischen dem Gesundheits- und Freizeitwesen zu erkennen, gesundheitsfördernde und gesundheitsberatende Dienstleistungsangebote zu entwickeln und organisieren, dabei jedoch wissenschaftliche Grundlagen, praktische Erfahrungen und internationale Entwicklungen zu berücksichtigen. Die darauf aufbauenden touristischen Angebote sollen den Bedürfnissen an eine postmoderne Freizeitnutzung entsprechen und zugleich dem Aspekt der Gesunderhaltung und Gesundheitsförderung gerecht werden. Wer freilich derart komplexen Anforderungen entsprechen will, bedarf auch hinreichender Fähigkeiten im selbstverantwortlichen Management, gilt es doch, verschiedene Anbieter von Teilleistungen zu koordinieren, umzusetzen und als Gesamtpaket zu vermarkten, die Aufrechterhaltung der Produktqualität zu gewährleisten und letztlich auch permanent weiter zu entwickeln. Der erste Blick auf derartige Anforderungen könnte den Eindruck vermitteln, ein solcher „Gesundheitsmanager im Tourismus“ sei eine „Eier legende Wollmilchsau“, gleichsam ein 6 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? postmodernes Pendant zum Universalgelehrten der Aufklärung im Stile Immanuel Kants, jedoch zusätzlich versehen mit dem nötigen praktischen und sozialen Know-how. Der Eindruck kommt nicht von ungefähr, entspricht doch der Kerngedanke hinter diesem scheinbar visionären Ausbildungskonzept dem postmodernen Selbstverständnis von wissenschaftlicher Berufsfeldorientierung im Gegensatz zu wissenschaftlicher Disziplinorientierung. In diesem Sinn sollen profunde Basiskenntnisse in den wichtigsten Grundlagenwissenschaften und –methoden sowie Einblicke in verknüpfte Disziplinen jene (Selbst-)Sicherheit vermitteln, die Voraussetzung für Offenheit und Neugierde gegenüber neuen Entwicklungen, Methoden und Disziplinen im Bereich der Tourismus- und Gesundheitswissenschaften sind. Erfolgreich ist dieses Ausbildungskonzept dann, wenn es die Bereitschaft und Befähigung zur Auseinandersetzung mit bzw. zur Integration von Neuem zu freizeitmarktfähigen, gesundheitsfördernden Produkten fördert. Denn in einer postmodernen, interkulturellen, wissensbasierten Gesellschaft kommt es weniger darauf an, möglichst viele „Sprachen“ möglichst gut zu sprechen, als vielmehr sich möglichst rasch in einer sich ständig ändernden Sprachwelt zurecht zu finden und zu reagieren. Für einen Manager, auf welcher Ebene auch immer, bedeutet dies die Fähigkeit, die individuellen Bedürfnisse von Kunden in Hinblick auf ihr Wohlbefinden und ihre Stärkung zu erspüren, ein entsprechendes Gesamtprodukt zu entwickeln und zu inszenieren, und schließlich die jeweils passenden, qualifizierten Personen für die entsprechenden Teilbereiche des Gesamtprodukts zu engagieren und zu koordinieren. Im Fall des Gesundheitstourismus ist dies ohne grundlegende Kenntnisse der jeweiligen Teilmaterien, Gesundheit und Tourismus, unmöglich, ohne Gefahr zu laufen, dilettantische, wirtschaftlich erfolglose oder gar gesundheitsgefährdende Produkte anzubieten. Wo aber hätte man sich gegen Ende der 1990er Jahre diese Kompetenzen aneignen können? Damals gab es Europaweit keine einzige Ausbildungsinstitution, die den oben genannten interdisziplinären Anforderungen gerecht werden konnte. Vielmehr teilte sich das weite Feld der berufsbildenden, höheren und Hochschulen in jenes der Gesundheits- bzw. gesundheitsfördernden Ausbildungsstätten, die jedoch keinerlei signifikante Elemente der Freizeit- und Tourismuswirtschaft aufweisen konnten, und jenes der freizeit- und tourismusorientierten Ausbildungsstätten, die gesundheitstouristisch relevante Teilaspekte wie „Lifestyle“ bestenfalls am Rande behandelten. In die Tiefe gingen zwar „Wellness-Trainer“-Akademien wie jene in Niederösterreich, doch wurden dort überwiegend praktische Fertigkeiten ohne wissenschaftliche Fundierung vermittelt. Darüber hinaus gab es auch einige wenige Studienangebote zum Themenbereich Spa-Management wie jenes im Deutschen Baden-Baden, wo seit dem Jahr 2001 die European Spa Academy e.V. die Ausbildungen zum Spa Managern und Spa Practitioner anbietet. Gesundheitstourismus als ein innovatives, interdisziplinäres Feld und als boomender Zukunftsmarkt wurde von Hochschulen erst in den Folgejahren entdeckt. So bietet seit dem Jahr 2006 die Fachhochschule Coburg den Studiengang „Integrierende Gesundheitsförderung“ an. Dessen Curriculum lehnt sich weitestgehend an jenes des Pionier-Studienganges in Bad Gleichenberg an (vgl. Fachhochschule Coburg 2006; FH JOANNEUM 2001). Pionierprojekte haben notwendigerweise Kinderkrankheiten, die erst mit der Bewährung von Studierenden in der Praxis kuriert werden können. Zudem verändert sich seit der „Erfindung“ eines Studiengangs auch das gesellschaftliche Umfeld. Dies führt zwangsläufig dazu, dass ein innovativer Studiengang, will er dies auch bleiben, „reifen“ und sich auch weiterentwickeln muss. 7 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? 5. Die Evolution des Studienganges in Bad Gleichenberg Die Verknüpfung von scheinbar so unterschiedlichen Disziplinen wie Tourismus und Gesundheit birgt ein gewisses Konfliktpotenzial, wie es aus der Geschichte der zaghaften Versuche zu interdisziplinärer Forschung bestens bekannt ist (vgl. Kocka 1987). Damit war aber auch von Beginn an klar, dass ein solcher Studiengang als Entwicklungsprozess begriffen werden müsse. Die Vertreter der diversen Disziplinen, die am Studiengang unterrichten, mussten in einem diskursiven Prozess erst langsam „zusammen wachsen“, ihre jeweiligen Erfahrungen, Expertisen und Perspektiven einbringen, vor allem aber auch voneinander lernen, um letztlich eine gemeinsame „Sprache“ im kulturalistischen Sinne (vgl. Rähme 1998) zu entwickeln. Nachdem aber derartige Erfahrungen bis zur Akkreditierung des Studiengangs im Jahr 2001 nicht vorlagen, wurde dessen Umsetzung in Bad Gleichenberg zu einem – letztlich erfolgreichen – Experiment für eine innovative Tourismusausbildung. 5.1 Der Start im Jahr 2001 in Bad Gleichenberg Das Diplom-Studienprogramm „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ wurde anfänglich nur mit 45 Studienplätzen ausgeschrieben, für die sich auf Anhieb knapp 400 Bewerber / -innen meldeten. Der Studienplan, wie er in seinen wesentlichen Strukturen heute noch gilt, baute auf der Integration der fünf Elemente Gesundheit (mit Gesundheitsförderung, Gesundheitsmanagement und Gesundheitssport), Tourismus und Freizeitwissenschaften (mit Freizeit- und Eventmanagement), Gesundheitstourismus (mit Kurbäder- und Wellnessressort-Management), Studium generale (mit soziologischen, betriebswirtschaftlichen und ethischen Inhalte) und Praxiselemente (mit berufsspezifischen Fremdsprachen, Sozial- und Kommunikationskompetenz und Praktika) auf. Dabei vermittelte das Basisstudium von vier Semestern die Grundlagen in den diversen Disziplinen. Wahlfächerbündel im zweiten Studienabschnitt ermöglichten eine individuelle Schwerpunktsetzung in Richtung gesundheitsfördernder und -beratender Kompetenzen in Verbindung mit touristischen Managementqualifikationen einerseits und dem Management im Tourismus– und Freizeitbereich in Verbindung mit gesundheitsfördernden Elementen andererseits. Wesentliche strukturelle Elemente schon dieses ersten Studienplans waren die Verbindung von fachlichen Inhalten mit ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Fächern, insbesondere mit der Managementlehre, sowie mit kommunikativen und persönlichkeitsbildenden Aspekten. Dazu zählte eine durchgehende Sprachausbildung in Englisch, die insbesondere auf die Fertigkeiten in den Fachsprachen im Umgang mit wissenschaftlicher Literatur, vor allem aber auf Kompetenz in Diskussions- und Verhandlungstechnik in der Fremdsprache ausgerichtet war. Großer Wert wurde auch auf die Entwicklung der Fähigkeit der Studierenden gelegt, in globalen wie auch spezifischen Kontexten zu denken. Den Praxisbezug sollten zwei verpflichtende Berufspraktika, die im 3. und 7. Semester stattfanden, sowie Exkursionen und Projektarbeiten, sichern. Die ersten Tage dieses neuen, viel versprechenden Studiums führten unter den 45 zugelassenen Studierenden zu einem Schock: Entgegen den Empfehlungen des FH-Rates, dem Akkreditierungsorgan in Wien, hatte die steiermärkische Landesregierung beschlossen, Bad Gleichenberg als neuen Standort der FH JOANNEUM zu entwickeln. Dieser kleine 2000-SeelenOrt 70 km südwestlich von Graz konnte zwar auf eine große Tradition als Heiltherme zurückblicken, deren Beliebtheit einstmals unter österreichischem und russischem Hochadel verbreitet war. Mittlerweile beruhte aber der Ruf des Ortes nur noch auf den hiesigen Tourismusschulen, während die Therme wie auch der Ortskern zunehmend in einem Schlummer versank. 8 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? Aus regionalpolitischer Sicht erwies sich diese Standortentscheidung als visionär. Die Studierenden hingegen wurden mit einem Studienort konfrontiert, der von Graz aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln im günstigsten Fall binnen zwei Stunden erreichbar ist und in dem es keinerlei studentische Infrastruktur, weder entsprechende Unterkünfte noch ein Hochschulgebäude, gab. Dies führt anfangs dazu, dass sich nur wenige kompetente Lehrende zur Übernahme von Lehrverpflichtungen an diesem „morbiden Ende Österreichs“ bereit erklärten. Die Revanche des überstimmten FH-Rats für dieses Experiment war die Ankündigung einer Evaluierung binnen zweier Jahre sowie die vorläufige Genehmigung des Studiengangs für lediglich zwei Jahrgänge. Tatsächlich drohte das Experiment anfangs zu kippen. Die Studierenden hatten angesichts ihrer Unterbringung in Containern mit offenem Aufstand gedroht. Eine Entspannung zeichnete sich erst mit der Übernahme der Studiengangsleitung durch die Weltraummedizinerin, Dr. Eva AdamerKönig, ab. Ihr gelang es mit einer Mischung aus Verständnis, Charme, Überredungskunst und vorbildlichem Engagement, die Studierenden zu einem gemeinsamen Vorgehen insbesondere auch mit dem engagierten Team der Lehrenden zu bewegen. Erstaunlicherweise bewarben sich trotz dieser anfangs so schwierigen Studienbedingungen im zweiten Jahr sogar knapp 500 Bewerber. 5.2 Die erste Studienreform im Jahr 2003 Der vereinte Kampf von Studiengangsleitung und Studentenvertretung für bessere Studienbedingungen mündete u. a. in den Bau eines neuen Campus, der im Herbst 2003 eröffnet wurde. Mittlerweile konnte der Studiengang drei hauptberuflich und 22 nebenberuflich Lehrende aufweisen, weitere Professuren für Public Health, Betriebswirtschaftslehre sowie für Freizeitwissenschaften wurden ausgeschrieben. Der Auf- und Ausbau internationaler Aktivitäten und Kooperationen wurde durch die Aufnahme von Prof. James Miller aus dem US-Bundesstaat New York gesichert. Die äußerst positiv ausgefallene Evaluierung des Studienganges durch den FH-Rat sowie der anstehende Antrag auf die Verlängerung des Studienganges eröffnete nunmehr die erste Möglichkeit, bisherige Erfahrungen mit der Lehre und den ersten Praktika für die Verbesserung des Curriculums zu nutzen. Im Wesentlichen wurden störende Doppelgleisigkeiten bei Lehrveranstaltungen entschärft, was etwa zur Reduktion der anfänglichen Soziologielastigkeit des Studiengangs führte. Dafür wurde das Lehrangebot im Bereich Event-Know-how, Projektmanagement, Destinationsmanagement, Qualitätsmanagement und Social Skills erweitert und vertieft, um nur einige zu nennen. Auf Anregung von Praktikumsbetrieben als auch von Studierenden wurde das Berufsorientierungspraktikum vom 3. Semester in das 4. Semester verlegt und von 450 auf 240 Stunden verkürzt. Dadurch konnten die Studierenden mit einem vertieften Wissensstand in ihr Praktikum gehen, sich auf diese Weise besser in den Betrieben einbringen und zudem freiwillig bis zum Ende der Sommerferien Erfahrungen sammeln. Als weitere Maßnahme wurde in Reaktion auf den großen Andrang durch Studiengangsbewerber dieser auf 75 Plätze aufgestockt. 5.3 Die Umstellung auf Bachelor und Master im Jahr 2005 Die Entscheidung der FH JOANNEUM, dem Auftrag der Bologna-Erklärung möglichst rasch nachzukommen und eingliedrige Diplom-Studiengänge zu zweigliedrigen Bachelor- und Masterstudiengängen weiterzuentwickeln, eröffnete in den Jahren bis 2005 neuerlich die Chance zu einer Revision und Anpassung des Studiengangskonzepts. Dazu konnten mittlerweile die Erfahrungen aus zahlreichen Praktika und den ersten Diplomarbeiten verwertet werden, was Antworten auf die Frage lieferte, was denn eigentlich ein / -e „Gesundheitsmanager / -in im Tourismus“ tatsächlich mache und wo er /sie tätig sei. 9 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? 5.3.1 Wie und wo sind „Gesundheitsmanager / -innen im Tourismus“ tätig? Die Frage nach dem faktischen Tätigkeitsfeld der Studierenden und Absolventen ergab ein verblüffendes Ergebnis hinsichtlich der enormen Einsatzbreite. Grob vereinfacht ließen sich dabei folgende Tätigkeitsbereiche herauskristallisieren: - Tourismus mit den Bereichen Rezeption, mittleres Management, Regionalentwicklung - Eventorganisation, Animation, Marketing und PR - Spa-, Wellness- und Trainingskonzept-, programmentwicklung sowie –durchführung - Gesundheitsprogrammentwicklung und -durchführung, betriebliche Gesundheitsförderung - Sozialdienste, Qualitätsmanagement - Markt- und Produktforschung, Gesundheitsforschung, Produktentwicklung In abstrahierter Form ließe sich dieses breite Tätigkeitsprofil der damaligen Praktikanten mit den Funktionen des Planens und Entwickelns, des Umsetzens und des Vermittelns auf den Punkt bringen, also letztlich die gesamte Spanne des weiten Marktes des Tourismus, der Gesundheit und seiner Überschneidungsgebiete. Diesen Eindruck bestätigen auch die unterschiedlichen, breit gestreuten Kategorien von Unternehmen und Organisationen, in denen „Gesundheitsmanager / innen im Tourismus“ tätig waren, nämlich - private und öffentliche Forschungsinstitute, Hochschulen und politische Büros, - Thermen und Kurbäder, Fitnesszentren, Abenteuercamps... - Eventbüros, Hotels, Ressorts, Freizeitparks, Naturparks … - PR- und Regionalentwicklungsagenturen, Tourismusverbände, Non-Profit-Organisationen… - Krankenhäuser, Pflege- und Sozialinstitutionen, Gesundheitsagenturen... - große Privatunternehmen wie Hilti, VOEST, OMV… Die hohe Zufriedenheit der Studierenden mit ihren Erfolgen in den Praktika und insofern mit dem vom Studiengang vermittelten Handwerkszeug indizierte, dass sich der Studiengang am richtigen Weg befand. Dies bestätigte auch das äußerst positive Feedback der mittlerweile über 300 Praktikums-Kooperationsunternehmen, die zur überwiegenden Zahl explizit die Kooperation mit den Diplomanden des Studienganges wünschten, und von denen rund 50 % sogar konkrete Jobs für zukünftige Absolventen in Aussicht stellten. All dies ermutigte dazu, das Curriculum auch für zukünftige Absolventen „nachhaltig innovativ“ zu gestalten. Dazu wurden im Wesentlichen zwei Strategien, jene der engeren Verschränkung von Praxis und Forschung und jene zur verstärkten Anwendung von Transdisziplinarität, verfolgt. 5.3.2 Verstärkte Verschränkung von Praxis und Forschung Die äußerst positiven Erfahrungen mit den Praktika ließen es als fahrlässig erscheinen, von diesem didaktisch wertvollen Instrument abzugehen. Aus Wien wurde jedoch seitens des FH-Rats signalisiert, ein Praktikumssemester werde als mit einem wissenschaftlichen Masterstudium unvereinbar und somit als teure Zeitvergeudung betrachtet. Zur Entkräftung dieses Einwands wurde daraufhin das Konzept einer „integrierten Forschung in der Praxis“ entwickelt, das zwar nach dem Prinzip eines Praktikum in einem Betrieb zu absolvieren ist, dabei aber zwingend an ein Forschungsprojekt gekoppelt sein muss. Da im dritten Master-Semester gelegen, konnte dieses Projekt jedoch direkt mit der nachfolgenden Diplomarbeit verknüpft werden, etwa in Gestalt einer 10 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? empirischen Forschung für den Praktikumsbetrieb. Auf diese Weise können zukünftige MasterStudierende auch weiterhin über ein Praktikum ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz als Absolvent steigern, werden aber zusätzlich zu ihrem „Glück gezwungen“, ihr kritisches und forschendes Potenzial im Betrieb einzubringen, um dieses im günstigsten Fall als Diplomarbeit zu verwerten. Von dieser Strategie wird zum einen die verstärkte Praxisorientierung der Diplomarbeiten erwartet, aber auch eine Steigerung des Anteils jener Arbeiten, die von Betrieben unter Bezahlung in Auftrag gegeben werden. Den Erfolg dieses Konzepts muss erst die Zukunft erweisen. Bildungspolitisch interessant ist allerdings, dass der FH-Rat seit dem Jahr 2006 schlichte Praktikumssemester für Masterstudiengänge wieder zulässt. Ob diese Rückkehr zur „Schlichtheit“ zukunftsweisend ist, müssen nachfolgende Studiengänge für sich in Erfahrung bringen. 5.3.3 Gelebte Inter- bzw. Transdisziplinarität Will man als Lehrender wissen, was ein / -e „Gesundheitsmanager / -in im Tourismus“ sei, so sollte man genau genommen das gesamte Studium auch selbst durchlaufen. Auf diese Weise käme man wohl am einfachsten in den Genuss, die unterschiedlichsten Disziplinen von den mittlerweile zahlreichen Lehrenden vermittelt zu bekommen, die selbst vielfältiger nicht sein könnten. Rekrutiert sich doch das Lehr- und Forschungspersonal aus so erstaunlichen und insofern befruchtenden Bereichen wie Weltraummedizin, Journalismus, Projektmanagement, kybernetische Ethik, Systemwissenschaften, Wirtschaftspädagogik, Trainingswissenschaften und vieles mehr. Doch auch die Vielfalt der kulturellen Hintergründe, welche die Lehrenden aus Österreich, Deutschland, Ungarn, Afrika, den USA und anderen Ländern mitbringen, ist erstaunlich und letztlich für diesen Studiengang auch bezeichnend. Die große, jedoch äußerst fruchtbare Herausforderung für dieses heterogene Team besteht nun darin, Gemeinsamkeiten zu entdecken und weiterzuentwickeln, etwa zu gemeinsamen Forschungsund Entwicklungsprojekten und über diese gemeinsame Praxis zu einer gemeinsamen „Sprache“, verknüpft mit einem gemeinsamen Selbstverständnis. In diesem Kontext stellt sich für das Mitarbeiter-Team die zentrale Frage, was denn „Gesundheitstourismus-Wissenschaft“ sein könne, welche wichtigen Fragen in dieser transdisziplinären Disziplin zu stellen seien, und mit welchen neuen Methoden diese am besten beforscht werden können. Vor dem Hintergrund des holistischen Gesundheitsbegriffs der WHO bzw. des Balance-orientierten Wellness-Begriffs des National Wellness Institute mit seinen sechs Dimensionen Soziales, Beruf, Spiritualität, Physis, Intellekt und Gefühl (vgl. Hettler zit. in Miller 2005, 98 f.) ist die Vermutung gerechtfertigt, dass über die Integration von touristischen und Gesundheitskonzepten mit den Instrumenten von Psychologie, Pädagogik und moderner Systemtheorie der Weg zu einem neuen Verständnis des postmodernen Menschen als Gestalter von zukunftsfähiger Wirklichkeit beschritten werden könnte. Diese Überlegungen flossen in das reformierte Curriculum in Gestalt einiger neuer Fächer ein: - „Sustainable Tourismdevelopment“ im Sinne eines Changemanagements komplexer Systeme - „Ethik im Tourismus“, verstanden als prozessorientiertes Konfliktmanagement im Kontext heterogener Sprachen und Werte - „Rural Tourism Development“ und „Ökotourismus“ (vgl. FH JOANNEUM 2005)als theoretisch fundierte Reflexion schon bisher praktizierter Regionalentwicklungsprojekte zur Förderung einer „Gesunden Region“. Am Beispiel dieser neuen Fächer, besonders aber anhand ihrer systemischen Konzeption, lässt sich bereits erahnen, wohin die Entwicklung dieses Studienganges gehen dürfte. Auf den Punkt bringen lässt sich dessen Selbstverständnis mit dem Leitsatz „Wir leben, was wir lernen und lehren!“, nämlich das Bemühen, Gesundheit, menschliche Bedürfnisse, Sehnsüchte und Fähigkeiten, aber 11 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? auch Grenzen und der Respekt vor eben diesen in Wissenschaft, Forschung und Lehre, aber auch in die Organisationsprozesse des Studiengangs selbst, einfließen zu lassen. 6. Schlussfolgerungen Eine Geistesgröße wie Immanuel Kant mag zwar Universalgelehrter gewesen sein, letztlich kannte er die soziale Welt und deren Dynamik kaum, hatte er doch Königsberg zeitlebens nie verlassen. Sein Ziel war aber auch „nur“ die Erkenntnis der Grenzen des Denkens. Gesundheitsmanager / -innen im Tourismus hingegen sind wagemutiger und zugleich bescheidener: Sie sind wagemutiger, müssen sie doch über Kants Beschränkung weit hinausgehen, denn sie suchen nach der Erkenntnis, wie Grenzen von Verhaltensspielräumen überwindbar gemacht werden können, um individuelle und gemeinschaftliche Lebensqualität zu verbessern. Sie sind aber auch bescheidener als Kant, denn für ihr Ziel bedarf es keiner paradigmatischen Erkenntnisse, als vielmehr permanenter Lern- und Anpassungsprozesse an neue gesellschaftliche Entwicklungen. Mit dem Studiengang „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ scheint es gelungen zu sein, unter den Studierenden die Bereitschaft für die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Disziplinen zu stimulieren, dadurch die permanente Neugierde für die Umwelt zu fördern und so die Sensibilität für Veränderungen zu steigern. Dies garantiert keine Geistesblitze, steigert aber die Chance dazu enorm. Ist also das Experiment dieses Studienganges gelungen? Zumindest lässt sich festhalten, dass sich pro Studienplatz bis zu zehn Kandidaten / -innen bewerben, und dass die Absolventen bislang über Arbeitslosigkeit nicht klagen können. Ob die Innovativität des Studienganges auch in Zukunft erhalten bleibt, ist erst zu beweisen. Dass dieses Curriculumsexperiment zumindest gegenwärtig als vorbildlich betrachtet wird, beweisen die ersten nachfolgenden „Copy-and-Paste“-Studienangebote im Ausland... MMag. Dr. Harald A. Friedl lehrt seit dem Jahr 2003 am Studiengang in Bad Gleichenberg und war seit 2004 Mitglied des Curriculum-Entwicklungsteams. Quellen: Fachhochschule Coburg (2006): Integrierende Gesundheitsförderung. Übersicht der einzelnen Module. Online im Internet: http://www.fhcoburg.de/fileadmin/SG_IGF/IGF_Modul_bersicht_09.2005.pdf [Stand: 29.12.2006] FH JOANNEUM (2001): Gesundheitsmanagement im Tourismus. Studium FH (Folder).Graz. FH JOANNEUM (2005): Bakkalaureats-Studium (FH) Gesundheitsmanagement im Tourismus. Magister-Studium (FH) Gesundheitsmanagement im Tourismus (Folder). Graz. FH JOANNEUM (2006): Wissensbilanz. Graz. FHStG (1993). Bundesgesetz über Fachhochschul-Studiengänge. BGBl 1993/340. Wien. Huth, K. (1996): Die Situation des Übergewichts in Deutschland. In: UGB-Verband. Online im Internet: http://www.ugb.de/e_n_1_139610_n_n_n_n_n_n_n.html [Stand: 24.7.2006] 12 Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess? Illing, K. (2006). Tourismus für Seele & Selbst: Begriffe, Bestandsaufnahme, Chancen und Trends. Paper präsentiert am 28. April 2006 am Symposium „Mentale Wellness“. Bad Gleichenberg. Industriewissenschaftliches Institut (Hrsg.) (1995): Wirtschaftsleitbild Steiermark (Projektleitung Clement) Wien. Kocka, J. (1987): Interdisziplinarität. Praxis, Herausforderung, Ideologie. Frankfurt am Main. Kuhn, T. (1976): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. 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