zf-entwicklung-gesamt - Fachschaft Psychologie Freiburg

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Entwicklungspsychologie Zusammenfassung
Miller Kap. 1: Piaget
Biographie:
-
*1896 Neuchatel, Schweiz
mit 10 J. erste Publikation
Doktorarbeit über Weichtiere
Traf Theodore Simon (Pionier in Intelligenztests) und kam so zur Entw. Psych.
† 16. September 1980
Generelle Orientierung in der Theorie:
-
Genetische Epistemologie  Bereich der Philosophie, der sich mit Wissen befasst
Fragestellungen: Wie kommen wir zu Wissen? Gibt es angeborene Ideen, oder
muss alles erworben werden?
Genetisch  meint nicht Gene wie heute, sondern Entwicklung oder
Entstehung/Sichtbarwerden (Emergence)
Entscheidende Themen: Zeit, Raum, Kausalität, Größe (Quantity)
Piagets einfache, aber revolutionäre Lösung des Problems der Epistemologie ist:
Wissen ist eher ein Prozess als ein Zustand  Beziehung zwischen dem aktiven
Wissenden und dem Wissen
Verstehen der Dinge durch Handlung (ein Kind versteht eine Rassel durch das
„Damit etwas tun“, körperl. oder mental  „Konstruktion“ des Wissens
Kindliches Wissen über die Welt verändert sich mit Entwicklung des kognitiven
Systems und da sich der Wissende ändert, ändert sich auch das Wissen.
Folge der Theorie Piagets: Wissen ist verzerrt, vielleicht bis zum Ende der letzten
Stufe in bestimmten Bereichen
Biologischer Ansatz:
-
Piaget  durch biolog. Interesse sah er mehr in z.B. Weichtieren: Generelle
Prinzipien wie sich Organismen an die Umwelt anpassen
P.s Definition von Intelligenz: Anpassung an die Umwelt  so wie sich menschl.
und nicht – menschl. Lebewesen körperlich an die Umwelt anpassen, passen sich
Gedanken auf einem psychologischen Level an
Strukturalismus:
-
es werden Strukturen und Beziehungsbezüge untersucht
P. postulierte, dass auch kleinen mentalen Aktionen großen Denkepisoden
unterliegen  da ist eine Struktur „drunter“
Kognitive Strukturen = Schemata = ein strukturiertes Verhaltesmuster, das eine
spezifische Form der Interaktion mit der Umwelt widerspiegelt.
Für Piaget gehört alles wiederholbare und Generalisierbare einer Handlung zu
einem Schema, Bsp.: Saugschema
1
Ansatz der Entwicklungsstadien:
-
Entwicklung vollzieht sich in Stadien
= aufeinanderfolgende Ebenen der Anpassung
Stadium ist ein strukturiertes Ganzes in einem Zustand des Gleichgewichts
o Jedes Stadium ist gekennzeichnet durch eine spez. Struktur, die einen
spez. Typus der Interaktion zwischen Kind und Umwelt ermöglicht
o Jedes Stadium geht aus dem vorangegangenen Stadium hervor, integriert
und transformiert es und bereitet das nachfolgende vor.
o Invariate Sequenz = Die Stadien folgen in einer bestimmten Reihenfolge
aufeinander
o Stadien sind universell: Egal ob in Berlin oder afrikanischer Dschungel,
jedes Kind hat diese Stadien, Regression in ein früheres Stadium ist nicht
möglich
o Vom Werden zum Sein: Zu jedem Stadium gehört eine Phase der
Vorbereitung und eine Periode der Vervollkommnung
Die einzelnen Stadien:
-
-
Das sensumotorische Stadium (von Geburt bis 2J.)
1. Stufe Reflexmodifikation (bis 1. Monat)
2. Primäre Zirkulärreaktionen (ca. ein bis 4 Monate): Verhalten das sich ständig
wiederholt, weil es ein interessantes Ergebnis hervorbringt, auf eigenen
Körper bezogen
3. Sekundäre Zirkulärreaktionen (4-8 Monate): auf äußere Welt bezogen  Ball
anstoßen  er rollt
4. Koordination der sekundären Verhaltesschemata (8-12 Monate): Schemata
werden auf komplexe Weise kombiniert, es entwickeln sich Planung und
Intentionalität
5. Tertiäre Zirkulärreaktionen (12-18 Monate): kleine Experimente werden
durchgeführt  Kind als Wissenschaftler
6. Erfindung neuer Mittel durch geistige Kombination (19-24 Monate):
Abschluss des sensumotorischen Stadiums, Objekte und Phänomene werden
nun geistig abgebildet, repräsentiert.
a. Kinder geben ihr Versuch und Irrtum Verhalten auf
b. Sie erfinden spontan neue Lösungen (Mittel zum Zweck)
c. Sie manipulieren Vorstellungsbilder, die äußeren Phänomenen
entsprechen
Objektpermanenz, wir zwischen dem 6-8 Monat entwickelt
Nachahmungsverhalten: kann erst dann gezielt, also zeitverzögert gezeigt
werden, wenn es innerlich repräsentiert wird
Symbolhandlungen: Kissen nehmen und Kopf darauf legen  Symbol für
Schlafen
Das präoperative Stadium (2-7J)
1. Egozentrismus: Perspektivenwechsel nicht möglich: 3 Berge Versuch
2
2. Rigidität des Denkens: Umschüttversuch, Aufmerksamkeit liegt nur beim
Füllstand, also nur bei einem Merkmal, das Fassvolumen wird vernachlässigt;
Ergänzung einer 2dimensionalen Matrix noch nicht möglich, Klasseninklusion
3. Prä-logisches Schlussfolgern: Sicht über die Welt
4. Begrenzte soziale Kognition
-
Das konkret operative Stadium (7-11J)
o Operation = verinnerlichte Handlung und Teil einer organisierten
Struktur.
o Umschüttaufgabe wird korrekt
o „Erhaltungsbegriff“
o Reversibilität möglich
o Mentale Operationen werden auf Objekte und Phänomene angewandt
-
Formal operative Stadium (11-15)
o Denken ist logisch, abstrakt und hypothetisch geworden
o Kognitive Möglichkeiten vervollständigt
o Denken geht in spez. Weise über vorgefundene oder gegebene
Informationen hinaus
Gedächtnis:
-
Stäbeversuch:
o 3-4jährige zeichnen nach einer Woche i.d.R. gleichlange Stäbe
nebeneinander auf
o 5-6jährige einige lange und einige kurze Stäbe
o 7-8jährige können Anordnung wiedergeben
o Nach einem Jahr verändert sich das hin zum nächsthöheren
Entwicklungsstadium
Mechanismen der Entwicklung:
-
Entwicklung vollzieht sich in kleinen Schritten
Diese werden durch funktionale Invarianten vorangetrieben = geistige
Funktionen, die während der Entw. Konstant bleiben
Die elementarsten sind Organisation und Adaptation
Kognitive Organisation:
-
Organisation bezeichnet die Tendenz des Denkens, integrierte Systeme
auszuformen, deren einzelne Teile sich zu einem Ganzen verbinden.
3
Kognitive Adaptation:
-
Hier gehören 2 komplementäre Prozesse dazu:
1. Assimilation:
o = Prozess, in dem das Individuum die Realität in seine aktuelle kognitive
Organisation einpasst.
o 4 Arten:
 Reproduktion
 Generalisierung
 Erkennen
 Koordination
 Säuglinge tendieren dazu, wiederholt (Reproduktion) an den ihren
Fingern, der Brustwarze ihrer Mutter, Decken und Spielzeug
(Generalisierung) zu saugen, aber jew. in etwas unterschiedlicher
Weise (Erkennen) und kombiniert mit dem Beobachten von
Gegenständen, dem Greifen nach ihnen und dem zum Mund Führen
(Koordination).
2. Akkomodation:
o = Anpassung der kognitiven Organisation an die Erfordernisse der
Umwelt.
o Resultat: Neuorganisation des Denkens
Kognitive Äquilibration:
-
Jeder Organismus strebt nach Gleichgewicht mit der Umwelt  Durch
Assimilation und Akkomodation wird Gleichgewicht wieder hergestellt.
Vorher Ungleichgewicht, weil unzureichende Interpretationsmöglichkeiten oder
ungenügende Schemata vorhanden sind. Oder durch fehlgeschlagene
Assimilation, Widersprüche bei 2 Urteilen, Ungleichgewicht zwischen
Problemstellung und Frage
Kritik der Theorie:
1. Stärken:
- Zentrale Rolle der Kognition
- Der integrative und heuristische Wert (Beobachtungstatsachen integrieren und
sie in einen Sinnzusammenhang einordnen, der weiteren Forschung ein
heuristisches Instrument an die Hand geben  Kind baut Wissen aktiv auf)
- Entdeckung überraschender Merkmale im kindlichen Denken (umfassende
Darstellung dessen, was sich entwickelt)
- Breites Anwedungsgebiet
- Ökologische Validität (= Generalisierbarkeit)
2. Schwächen:
- Unzureichende Bestätigung des Stadienbegriffs
- Unzureichende Erklärung der Mechanismen der Entw.
- Bedarf nach einer Theorie der Performanz (es fehlt eine Erklärung, wie kognitive
Strukturen in Verhalten umgesetzt werden)
4
-
Vernachlässigung der emotionalen und sozialen Aspekte der Entw. Z.B. Lernen
durch Beobachtung
Methodische und stilistische Unzulänglichkeiten (Untersuchung der 3 eigenen
Kinder  Stichprobe zu klein; klinische Methode im Interview mit älteren
Kindern; Laboruntersuchungen)
Überschätzung der älteren Kinder, Unterschätzung der jüngeren
komplexer Versuchsaufbau
Vernachlässigung der Entw. Nach der Adoleszenz
Piaget lieferte Entwicklungsbeschreibungen, keine Erklärungen
Aufgaben:
Entwerfen Sie (ca. drei) verschiedene Szenarien mit verschiedenen Gewichten jeweils an
den beiden Seiten der Balkenwaage und machen Sie eine Vorhersage, was ein Kind
jeweils in der prä-operationalen, in der konkret-operationalen und in der formaloperationalen Stufe als Antwort geben (ankreuzen) würde (Begründung!).
In welcher Beziehung steht die Annahmen von Stufen mit dem strukturalistischen
Ansatz von Piaget.
Warum wird die Theorie Piagets als eine konstruktivistische Theorie bezeichnet?
Warum unterschätzte Piaget vielfach das Denken von Vorschulkindern? Illustrieren Sie
Ihre Erklärung mit einem Beispiel
Warum beinhaltet nach Piaget eine Handlung jeweils (so gut wie immer) Assimilation
UND Akkomodation?
5
Musterlösung zur Vorlesung 09.11.2009 – Piaget II
Von Petra Buys
Aufgabe 1
Verschiedene Faktoren sind dafür verantwortlich, dass Piagets Theorie als eine
konstruktivistische bezeichnet wird.
Piaget versteht Wissen als Prozess; er sagt : „Das Wissen wächst mit dem Wissenden.“
Wissender bzw. Lernender und Wissen stehen also in ständiger Interaktion.
In dieser Aussage stecken zwei Bestandteile des Konstruktivismus: Zum Einen ist
Wahrnehmung immer voreingenommen und gefiltert (selektiv). Sie ist abhängig von unserem
Vorwissen, unseren Erfahrungen und unseren Bedürfnissen (vorerfahrungsbezogener Aspekt
der Handhabung von Umweltgegebenheiten ist die Assimilation, s. Aufgabe 3). Wissen kann
uns also nicht einfach in den Kopf „gepflanzt“ werden, sondern es wird von jedem Lernenden
aktiv konstruiert – in Abhängigkeit, wie bereits aufgeführt, von Vorerfahrung, Basiswissen
und aktuellen Bedürfnissen. So erklärt es sich auch, dass ein und dieselbe Situation sich in
den Wahrnehmung verschiedener Personen immer unterscheidet – in Details und
Schwerpunkten oder ganz gravierend.
Der zweite wichtige Aspekt der obigen Aussage bezieht sich auf die kognitive Entwicklung
des Lernenden. Je höher sein kognitives Niveau ist, umso besser und differenzierter kann er
Informationen aufnehmen und zu Wissen verarbeiten. Einmal aufgebautes Wissen kann dann
als Grundlage für die Integration weiterer Informationen dienen und somit seinen Teil zur
Interaktion beitragen.
Ein weiterer bedeutender Faktor von Piagets Theorie ist das Kriterium der Viabilität, also der
„Brauchbarkeit“. Nach Piaget zielt die Entwicklung auf die bestmögliche Anpassung des
Organismus an die Umwelt ab (durch Akkomodation, s. Aufgabe 3). Die Konstruktion des
Wissens durch den Wissenden verfolgt also vor allem das Ziel der Brauchbarkeit; der
Unterstützung bei der Bewältigung seiner Umwelt – und nicht etwa das der
„Wahrheitsfindung“.
Aufgabe 2
Die systematische Unterschätzung der Vorschulkinder ist auf unterschiedliche methodische
Ungenauigkeiten Piagets zurückzuführen. Einige davon sollen nun (z.T. mit Beispielen)
auseinandergesetzt werden.
Die Studien Piagets beinhalteten an verschiedenen Stellen zusätzliche Schwierigkeiten, die
die Lösung der Aufgaben, welche kleinen Kindern gestellt wurden, erschwerten. Diese lagen
vor allem in folgenden Bereichen:

Aufgabe: Komplizierte Versuchsaufbauten führten dazu, dass Kinder die
Aufgabenstellung gar nicht erst verstanden
 Beispiel: Drei – Berge – Versuch zur Perspektivübernahme: In
unkomplizierteren Experimenten (Denkt an den Kartenversuch
von den amerikanischen Studenten) hatten viel jüngere Kinder
Erfolg

Voraussetzungen: Es wurde Vorwissen vorausgesetzt, dass manche Kinder noch nicht
hatten – ihr Misserfolg war also möglicherweise nicht auf ihr kognitives Level,
sondern auf ihren Wissensstand zurückzuführen

Sprache: Anforderungen an Sprachverständnis (Erklärungen folgen können) und
sprachlichen Ausdruck (Lösungen explizit erklären können) waren oftmals zu hoch
6
 Beispiel: Die Lösung einer Aufgabe zur Mengenkonservation
wurde nur als richtig anerkannt, wenn Kinder sie genau
ausformulieren und begründen konnten. Kinder, die dazu (u.U.
nur sprachlich) nicht in der Lage waren, wurden als „nonconserver“, ihre Antworten als zufällig eingestuft.

Versuchsleiter: Die Versuche wurden von Erwachsenen durchgeführt; etwaigen
Versuchsleitereffekten wurde wenig Beachtung geschenkt
 Beispiel: Umschüttversuch: Die zweimalige Frage nach der
Menge des Wassers konnte Kinder auf den Gedanken bringen,
dass von ihnen unterschiedliche Antworten erwartet wurden.
Um den Erwartungen des Erwachsenen gerecht zu werden,
könnten sie durchaus nach dem Kriterium der „sozialen
Erwünschtheit“ geantwortet und ihre tatsächliche Einschätzung
für sich behalten haben.
In Nachfolgestudien zeigte sich, dass Kinder bei einfacherer Versuchsanordnung und
nonverbalen Versuchen in einigen Bereichen besser abschnitten, als Piaget es vorhergesagt
hatte – in vielen Bereichen ergaben sich aber auch keine oder nur minimale Unterschiede.
Insgesamt ist bei dieser Piagetkritischen Auseinandersetzung zu beachten, dass Piaget mehr
Wert auf die Abfolge und das Gesamtprinzip der Stufen als auf tatsächliche Alterszuordnung
gelegt hat. Dementsprechend war seiner Forschung von dem Versuch der Vermeidung
falscher positiver Ergebnisse geprägt – Piaget hat es also bewusst vorgezogen, Fähigkeiten
von Kindern zu „übersehen“ anstatt sie zu früh Stufen zuzuordnen, die sie noch nicht erreicht
hatten.
Aufgabe 3
Entwicklung vollzieht sich nach Piaget vor allem durch die zusammenwirkenden
Mechanismen von Organisation (internaler Aspekt) und Adaptation (externaler Aspekt). Die
Stimmigkeit und Ausgewogenheit dieser Faktoren führt zu einem Zustand der Äquilibration
(innere Stimmigkeit einerseits, Gleichgewicht zwischen Assimilation und Akkomodation
andererseits).
Die kognitive Verarbeitung der Umwelt vollzieht sich in Tausenden kleinen Schritten, die das
Kind (der Mensch) ständig vollzieht. Diese Schritte beginnen nach Piaget mit einem Versuch
der Assimilation, also der Integration neuer Gegebenheiten in bestehende Schemata.
Missglückt diese Assimilation ganz oder teilweise (durch direktes Fehlschlagen, empirisches
Widerlegen o.ä.), entsteht ein kognitiver Konflikt, das Gleichgewicht gerät in „Gefahr“
(Disäquilibration). Das Kind (der Mensch) reagiert nun mit Akkomodation, also mit
Veränderungen der kognitiven Organisation, die aus den Anforderungen der Realität
resultieren. Die Akkomodation tritt also – anders ausgedrückt – in Kraft, wenn aktuelle
Strukturen ein Objekt oder eine Situation nicht zufriedenstellend interpretieren können; die
daraus resultierende Reorganisation führt zu anderer und besserer Assimilation.
Assimilation und Akkomodation sind also eng verknüpfte Bestandteile jeder kognitiven
Aktivität. Assimilationsversuche führen fast immer zu zumindest kleinen Veränderungen
kognitiver Strukturen, also zur Akkomodation, welche dann wiederum (wie gesagt) im
folgenden höherwertige Assimilation erlaubt.
7
Miller Kapitel 7: Vygotsky
Der soziokulturelle Ansatz:
-
Kind in Aktion im kulturellen Kontext ist die kleinstmögliche Einheit der Studie:
o Kontext = größerer kultureller Kontext, aber auch das kleiner Setting zu
Hause, beim Einkaufen... ect.
o Kindl. Geist (mind) ist sozial: „Der Weg von Objekt zum Kind und vom
Kind zu Objekt geht durch eine andere Person.“
o Kind, die andere Person und der soz. Kontext sind verschmolzen in die
Aktivität
o Kinder haben bestimmte Wegen, weil sie Bedürfnisse und Ziele haben, die
die Umwelt einbeziehen.
o Personen in der Umwelt und die Umwelt selbst sind nicht getrennt von
einander zu betrachten, sondern definieren sich als Einheit für das Kind.
o Soziokulturelle Ansätze fokussieren sich auf die Teilnahme der Kinder an
kulturellen Aktivitäten, wie sie die Möglichkeiten erforschen, die die
Kultur ihnen durch aktive Teilnahme bei z.B. Ritualen, Geschichten, und
Familienstrukturen
o Vieles der Entwicklung hat mit Veränderungen darin zu tun, wie
teilgenommen wird. Diese Teilnahme – Veränderungen sind verknüpft
mit den Veränderungen in der Kognition.
o Kultur: Bräuche, Sprache, soz. Settings (z.B. Schule), Objekte (z.B.
Werkzeuge)
o Vygotsky stellt dar, wie sozio – ökonomisch – kulturelle Veränderungen
psychologische Veränderungen mit sich bringen.
Zone der Proximalen Entwicklung:
-
Das ist die Zone zwischen dem was ein Kind im aktuellen Entwicklungsstadium
schon lösen kann und dem, was es nur mit Hilfe eines Erwachsenen oder
kompetenteren Kameraden lösen kann.
Entwicklung ist der Prozess der Veränderung, nur in der Prozessbetrachtung
lässt sich Entwicklung verstehen
Prozess ist wichtiger als das Ergebnis (z.B. eine richtige oder eine falsche
Antwort)
Im Alltag beschäftigen sich Erwachsene und Kinder gemeinsam mit Tätigkeiten,
bei denen sich die Kinder in Dingen üben, die für sie und ihr Leben von
Bedeutung sind.
Erwachsene sorgen so für „benutzerfreundliche“ Kontexte, in denen das Kind
Fertigkeiten vervollkommnen kann, die es braucht um in der Kultur zu überleben
und Erfolg zu haben  Kultureller Lernplan
„Lernen voraus“  Schulbildung oder Lehrzeit sollte sich an der Lernbereitschaft
des Kindes orientieren und nicht am aktuellen Entwicklungsstand
Kulturelle Lehre: Weben der Mädchen bei den Maya, s. S. 350
8
Das Intermentale konstruiert das Intramentale:
-
Intermental = zwischen Menschen
Intramental = innerhalb eines Menschen
Von dem was zwischen Personen geschieht wird das Kognitive konstruiert.
Aus Diskussion und Dialog entsteht das Denken jedes „Thema“ gibt es auf 2
Ebenen, erst auf der intermentalen und dann, verinnerlicht, auf der
intramentalen
Kind kommuniziert mit sich selbst, so wie 2 Menschen miteinander
kommunizieren  als Dialog zwischen 2 Menschen wir ein innerer Dialog
Transformation des Intermentalen während der Internalisierung  Wissen wir
so konstruiert und nicht kopiert
Einfluss psychologischer Werkzeuge einer Kultur auf das Denken:
-
Werkzeuge können hier sein: Sprache, Diagramme, Zahlensysteme, Kunstwerke
 sie sind psychologische Werkzeuge und sind intern orientiert indem sie
Denkprozesse verändern und Verhalten steuern
Andere Werkzeuge können Computer sein, oder Schreibmaschinen, oder Axt,
Pflug  technische Werkzeuge, sind extern orientiert, dienen dazu Natur zu
beherrschen, Dinge zu verändern
Psychologische Werkzeuge verändern elementare geistige Fähigkeiten hin zu
höheren geistigen Fähigkeiten wie z.B. Aufmerksamkeit und logisches Denken
Sprache hier wichtiges Werkzeug, dass auch das Denken verändert  soziales
Instrument zur Strukturierung des sozialen Kontaktes
Problemlösen von Kindern durch lautes Sprechen mit sich selbst, Sprache wird
benutzt „wie Augen und Hände“, Wahrnehmen, Sprechen und handeln bildet eine
Einheit.
Methodologie:
-
-
Dynamische Beurteilung: Ein Kind ist was es sein kann.
Zone der proximalen Entwicklung wir untersucht
Bsp.: 2 Kinder mit Intelligenzalter von 7, ein Kind kann mit Beispielen und
Hinweisen Aufgaben eines 9jährigen spielend lösen, das andere Kind die eines
8jährigen, so sind die Kinder unterschiedlich voneinander
Ein Kind hat weite ZPD, anders hat enge ZPD
Kinder zeigen in ihrem eigenen sozialen Kontext ein höheres Maß an sozialer
Kognition als im Labor (Bsp.: 2jährige ärgert ihre Schwester)
Methode bei der Untersuchung der ZPD:
o Mikrogenetische Methode = Beobachtung der Veränderungen in einer
oder mehreren Versuchssitzungen mit dem Ziel, einen „Augenblick in der
Entwicklung“ einzufangen
Im Mittelpunkt steht der Prozess des Problemlösens
Botschaft für heutige Forschung: Wenn man Verhalten verstehen will, muss man
den Kontext genauso untersuchen wie das Kind selbst
Noch besser: Verschiedene Kontexte, da Untersucher sonst nicht davon ausgehen
kann, ein universellen Entwicklungsphänomen zu beobachten, die eher selten
sind und von Kontext zu Kontext variieren
9
-
Meist werden nicht einzelne Kinder, sondern Paare oder Gruppen untersucht, im
Idealfall im Labor und im Alltag
Egozentrisches und inneres Sprechen:
-
Enge Beziehung zwischen Denken und Sprechen
Ca. im Alter von 2J. beginnt Denken und Sprechen zu verschmelzen
Ab 3J teilt sich das Sprechen zwischen kommunikativem Sprechen und
egozentrischem Sprechen
- Ab 7/8J. wird das laute egozentrische Sprechen zum inneren Sprechen
- „Stellen Kinder fest, dass sie ein Problem nicht lösen können, wenden sie sich
anstatt an den Erwachsenen an sich selbst.“
- Heute „Privatsprache“, wird auch von Erwachsenen angewandt
- Vergleich Piaget vs. Vygotsgy:
Piaget
Vygotsgy
- Sprechen reflektiert die Unfähigkeit
- Sprechen hilft dem Kind, seine
des Kindes, die Perspektive eines
Aktivitäten beim Problemlösen zu
anderen zu übernehmen
steuern
- Egozentrisches Sprechen verliert
- Egozentrisches Sprechen wird zum
sich mit der Zeit
inneren Sprechen
- Kognition geht der Sprache voran
- Sprache und Denken entwickelt
- Sprache ist Ausdruck der sich
sich unabhängig voneinander und
entwickelnden symbolischen
verschmilzt ineinander, Sprache
Fähigkeiten (18-24 Monate)
beschleunigt die Entwicklung des
Denkens und ermöglicht Formen
des Denkens, die ohne Sprache
nicht mögl. wären.
Entwicklung von Begriffen:
-
Mikrogenetische Methode: „Doppelte Stimulation“  Vorhandensein 2er
Reizquellen, einen symbolischen und einen nicht-symbolischen Stimulus
Wygotsgy Blöcke
Spiel der verbotenen Farben
Kritik:
-
-
Stärken:
o Berücksichtigung des sozial-kulturellen Kontext:  Grenze zwischen
Individuum und anderen ist fließend  Entwicklung vollzieht sich an der
Grenze zwischen Gesellschaft und Kind und nicht im Kind allein
o Integration von Lernen im Alltag und Entwicklung  Lernen als Motor für
Entwicklung
o Sensibilität für die Vielfalt von Entwicklung: Was für eine Gruppe zutrifft,
muss für eine andere nicht zutreffen.
Schwächen
o Vage Definition der ZPD
o Unzureichende Berücksichtigung des Entwicklungsaspekts  Welcher Art
sind die Entwicklungsprozesse?
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o Probleme bei der Untersuchung kulturell-historischer Kontexte  da
teuer und aufwändig
o Fehlen prototypischer Aufgaben zum Nachweis interessanter
Entwicklungsphänomene  Forschung wurde nicht genügend angeregt
Aufgaben:
Geben Sie ein Beispiel, das einem psychologischen Laien plausibel machen würde, wieso
höhere kognitive Funktionen ihren Ursprung in sozialer Interaktion haben können.
Warum wird die Theorie von Vygotsky als sozialkonstruktivistisch bezeichnet?
Welche psychologischen Werkzeuge erwerben Sie in B.Sc.-Studium der Psychologie.
Geben sie Beispiele!
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Theorie – Theorie; O &M Kap. 12: Entwicklung begrifflichen Wissens; Sodian
Begriffliche Repräsentationen
1. Begriffliche Repräsentation:
-
Begriffe werden durch Verknüpfungen von einer Reihe von Merkmalen zu
Wissenseinheiten im Gedächtnis (Bsp: Hund, wir wissen er hat ein Fell, 4 Beine
usw.
Wissenseinheit kann sich auf ein Individuum oder eine Kategorie beziehen
2. Merkmalsbasierte Ansätze:
a. Theorie deterministischer Merkmalsrepräsentation
o Annahme, dass Begriffe Lexikoneinträgen ähneln (semantische
Merkmalstheorien)
o Problem: für viele Begriffe gibt es keine Definitionen im Sinne
notwendiger und hinreichender Bedingungen z.B. Begriff „Spiel“
b. Theorie probabilistischer Repräsentationen
o Wir repräsentieren wahrscheinliche Relationen zwischen Merkmalen und
Begriffen und nicht deterministische (vorbestimmte)
o Bsp.: „Flugfähigkeit“ ist ein hoch valider Hinweis darauf, dass ein objekt
ein Vogel ist, jedoch wieder ein notwendiges, noch ein hinreichendes
Definitionskriterium
o Ähnl. Einem semantischen Netzwerk?
o Problem: Der Merkmalsbegriff bleibt vage, Frage: Wie kommen Kinder
dazu, dass sie wissen welche Merkmale relevant sind und welche zu
ignorieren sind?
3. Theoriebasierte Ansätze
-
-
Betrachtung größerer Systeme begrifflichen Wissens, Begriffe wie „Hund“,
„Vogel“, „Auto“, „Tisch“, „Mitleid“ sind eingebettet in größere
Wissensdomänen: Die biologische, physikalische und psychologische
Domäne.
Unser begriffliches Wissen besteht nicht nur aus Merkmalsassoziationen,
sondern es enthält Annahmen darüber, warum die Welt so ist, wie sie ist.
Da sie kohärente (zusammenhängende) Vorhersagen und Erklärungen für
einen Phänomenbereich erlauben werden diese Annahmen als theoretische
Annahmen bezeichnet. (Wellman & Gelman 1998)
4. Entwicklung begrifflicher Repräsentation
-
Fähigkeit Begriffe zu bilden und sie zu Induktionen zu verwenden ist nicht
entwicklungssensitv, aber es ändert sich im Laufe der Entw. Die Inhalte von
Begriffen  quantitativer Wissenszuwachs verdeutlicht das
(Hunderassenbeispiel)
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Wissensentwicklung in grundlegenden Domänen
1. Theoretische Ansätze
-
Modell des Expertiseerwerbs
o Kind als „universeller Novize“
o Entwicklung von Wissen wird hier analog zum Erwerb von
Kulturtechniken (Bsp. lesen) und Fertigkeiten (Klavierspiel) dargestellt.
o Es werden keine Annahmen über einen angeborenen Ausgangszustand
gemacht oder über domänenspezifische Mechanismen.
o Es genügen Infoverarbeitungsfähigkeiten und domänenspezifischer Input
zur Erklärung des Expertiseerwerbs.
-
Modularitätstheorien
o Annahme: es gibt spezialisierte Systeme für Infoverarbeitung
o Manche nehmen an, dass kogn. Module eine evolutionär angelegte
neurologische Basis haben.
o Module müssen aber nicht notwendigerweise angeboren sein.
o Jedoch starke Annahme über angeborene domänenspezifische
Verarbeitungssysteme.  Input aus der Umwelt ist nötig, um die
modulare Verarbeitung anzuregen.
o Infoverarbeitung grundsätzlich gleich bei Kindern und Erwachsenen
o Minimum an Erfahrung notwendig um modulare Verarbeitung in Gang zu
setzen, dann läuft die Entwicklung (z.B. der Sprache) weitgehend nach
biologischen Prinzipien und die möglichen Ergebnisse sind fixiert oder
variieren nur in sehr engen Grenzen
-
Theorie-Theorie
o Vorstellung von fundamentalen „qualitativen“ Veränderungen im Laufe
der kindl. Entwicklung, Domänenspezifische Entwicklungstheorie
o Das ist die Theorie, dass sich die kogn. Entwicklung eines Kindes als
Wandel intuitiver Theorien beschreiben lasse. Dabei hat dieser Wandel
Ähnlichkeiten mit dem Wandel von Rahmentheorien (Paradigmen) in der
Wissenschaftsgeschichte.
o Vertreter der T-T nehmen an, das kindl. Wissen schon früh theorieähnlich
organisiert ist und dass diese Theorien sich wesentlich von denen
Erwachsener unterscheiden.
o Im Ggs. zu Piaget, der bereichsübergreifende kognitive Strukturen
annahm, lokalisiert die T-T den kogn. Fortschritt im begrifflichen
Verständnis der jeweiligen Domäne.
o Die früh erworbene Ausgangstheorie (auf der Basis weniger angeborener
domänenspezifischer Prinzipien) bestimmt das Denken des Kindes in der
Jeweiligen Domäne und leitet dessen weitere Entwicklung.
o Beim Lernen durch Instruktion wird neue Information im Rahmen der
intuitiven Theorie interpretiert. Der Wandel von Rahmentheorien
vollzieht sich langsam über große Zeiträume hinweg und ist durch
Instruktion nicht direkt und unproblematisch erreichbar.
13
2. Intuitive Physik: Basales Wissen
-
Prinzip der Kontinuität und Solidität, siehe Folien
o Säuglinge scheinen schon in der ersten Hälfte des ersten LJ zu wissen dass
Objekte solide sind.
-
Entwicklung physikalischen Wissens: Begrifflicher Wandel
o Misconceptions, die teilweise bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben
o Diese sind bei Kindern sehr resistent (Gleichgewichtstest  Schwerpunkt
liegt immer in der Mitte  auf wenn Kinder Schwerpunkt ertastet haben,
sobald sie die Augen öffneten wiesen sie die gefundene Problemlösung
von sich und blieben bei ihrer Theorie)
o Mgl Erklärung für Resistenz: Theorien sind eingebettet in alternative
intuitive Theorien  Bsp. Siehe Folien (vom geozentrischen zum
heliozentrischen Weltbild)
-
Intuitive Psychologie (Theorie of mind)
o Wir erklären uns menschliches Verhalten indem wir uns selbst und
anderen Wünsche und Überzeugungen zuschreiben.
o Wellman 1990, Sodian
o Ggs. Piaget: Er glaubte, dass Kinder erst in der Phase der konkreten
Operationen (ca. 7 J.) zwischen Realität und Vorstellung (Mentalität)
unterscheiden können.
o Heute weiß man, dass schon 3jährige zwischen mentaler und
physikalischer Welt unterscheiden können (Richtigen Hund kann mann
streicheln, vorgestellten nicht)
o EX: Kinder bekommen Geschichte erzählt von einem Kind, dass sein
Kaninchen mit in den Kindergarten nehmen möchte. Kaninchen kann
entweder im Vorgarten oder in der Garage sein.  geht in die Garage und
findet je nach Bedingung: Kaninchen, Nichts, Hund nach dem sie nicht
suchte. Frage an die Kinder: Was wir die Figur der Geschichte als nächstes
tun? Kinder antworteten im Alter von 3 Jahren so dass klar war dass sie
verstehen, dass Handlungen von Zielen und Absichten abhängig sind.
o Verständnis falschen Glaubens: Maxi und die Schokolade
o 3jährige beantworten diese Fragen konsistent falsch.
o Eigene falsche Überzeugungen: Smarites Aufgaben
o 3jährige können nicht lügen im eigentlichen Sinne, sie können nicht
täuschen: „Ich bin ja sooo müde“ Bsp.
o Sie können nicht verstehen, dass sich subjektive Überzeugungen von der
Realität unterscheiden können.
o Konzept der Überzeugungen wir erst zw. 3 und 4 Jahren gelernt
o Defizit:
 Trickobjekte, z.B. Kerze die wie Apfel aussieht
 Kinder von 3 Jahren sagen bei der Frage: „Wie sieht es aus?“ und
bei der Frage: „Was ist es wirklich?“ – Apfel
 Erst 4jährige können zwischen Aussehen und Realität
unterscheiden und sind so fähig zu verstehen, dass ein und
dasselbe Objekt auf verschiedene Arten repräsentiert werden
kann.
14
o Vorläufer Kindheit: Mit 18 Monaten unterscheiden Kinder zwischen
eigenen und fremden Wünschen, wenn sie selbst Interesse an Crackern
haben, der VL aber Interesse an Broccoli zeigt, so geben sie ihm den
Broccoli. Noch mit 14 Monaten hätten sie ihm die Cracker gegeben.
-
Intuitive Biologie
o Siehe Folien
-
Metabegriffliches Wissen:
o Sieht Folien
Theorie – Theorie; Miller Kap 8, 5 Seiten
-
Kinder werden mit der Tendenz geboren, naive oder Volkstheorien zu bilden
Nach der T-T haben Kinder die angeborene Fähigkeit, Infos aus Ereignissen
herauszuziehen und das hilft ihnen, ihre Theorien zu bilden
4-5jährige denken, dass Überzeugung zu Verhalten führt, sogar wenn die
Überzeugung falsch ist
Die Theorien sind sehr resistent
desire-belief vs belief-desire siehe Folien
keine wissenschaftlichen Theorien
Aufgaben:
Erklären Sie die Logik des Habituationsparadigmas, so dass es auch ein Informatiker, die
von Psychologie kaum etwas weiß, verstehen würde.
Nennen Sie Elemente aus den kindlichen Rahmentheorien, die es erschweren, die Erde
als rund "zu akzeptieren". Warum erschweren es diese Elemente, die Erde als rund "zu
akzeptieren"?
Warum ist die Integrationsstrategie in vielen Fällen die aussichtsreichste?
Musterlösung zur Theorie-Theorie
Von Petra Buys
Aufgabe 1:
Das Habituationsparadigma beschreibt eine Methode der Säuglingsforschung. Da sehr
kleine Kinder sich noch nicht sprachlich ausdrücken oder Anweisungen Folge leisten
können, braucht es eine spezielle Methode, um dennoch Aufschluss über ihre geistigen
Fähigkeiten zu erhalten.
Das Habituationsparadigma baut auf der Tatsache auf, dass das Interesse von
Säuglingen nachlässt, wenn man ihnen Objekte oder Ereignisse gleicher Art wiederholt
vorführt. Dieser Gewöhnungseffekt spiegelt sich im Blickverhalten des Kindes wieder:
Die so wiederholten Darbietungen werden immer kürzer und unkonzentrierter
(häufiges Wegschauen) fixiert, umso häufiger sie gezeigt werden. Bei der Darbietung
neuer Objekte oder Ereignisse kehrt sich dieser Effekt um: Die Blickdauer verlängert
sich deutlich und das Betrachten des Gezeigten wird intensiviert. Diese Rückkehr der
Aufmerksamkeit wird als Dishabituation bezeichnet.
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Bei Verwendung der Methode werden nun Babies nach dem beschriebenen System an
Objekte gewöhnt. Anschließend werden Eigenschaften des Gegenstands verändert und
die – am Blickverhalten gemessene – wechselnde Aufmerksamkeit des Kindes
beobachtet. Aus diesen Messungen kann abgelesen werden, welche der vorgenommenen
Veränderungen vom Säugling bemerkt werden und dazu führen, dass er etwas als „neu“
wahrnimmt.
In leicht abgewandelter Form kann das Habituationsparadigma dazu verwendet werden
zu testen, welche generellen (z.B. physikalischen) Prinzipien Säuglinge schon verstehen
und welche nicht. Hierzu werden dem Baby mögliche (Ball, der auf einen Tisch fällt) und
unmögliche (Ball, der durch einen Tisch fällt) Ereignisse gezeigt. Durch die beschriebene
Methode der Messung von Blickdauer wird nun betrachtet, welchem Ereignis das Kind
mehr Aufmerksamkeit schenkt. Betrachtet es die unmöglichen regelmäßig wesentlich
länger als die möglichen Ereignisse, wird geschlossen, dass diese ihm merkwürdig
vorkommen, es also ihre „Unmöglichkeit“ wahrnimmt. Das wiederum würde bedeuten,
dass der Säugling das zugrundeliegende Prinzip (in diesem Fall die Solidität von
Objekten) bereits kennt und ihm Verstöße dagegen auffallen.
Aufgabe 2:
Eines der großen Hindernisse beim Wechsel von intuitiven zu wissenschaftlichen
Konzepten – und somit eine bedeutende Schwierigkeit im Lehr-Lern-Prozess – ist die
Einbettung von Misskonzepten in eine größere Rahmentheorie. Diese Rahmentheorie
ergibt sich aus unzähligen Beobachtungen im Alltag und hat sich als nützlich zur
Lebensbewältigung erwiesen. Aufgrund dieser hohen Kohärenz und Nützlichkeit sind
Rahmentheorien und die darin enthaltenden Misskonzepte oftmals höchst resistent und
durch Instruktion sehr schwer zu erreichen.
Auch der Vorstellung einer flachen Erde liegen vielzählige Elemente von
Rahmentheorien zugrunde, die einem tiefen Verständnis der wissenschaftlichen
Erklärung „im Wege stehen“:
 „Fallen gelassene Objekte fallen nach unten“
Diese sehr konsistente Alltagsbeobachtung kollidiert massiv mit dem Bild einer
runden Erde. Auf der anderen Seite der Kugel müssten sowohl Menschen
als auch
Gegenstände „von der Erde fallen“. Dieses Konzept ist zu wichtig um
einfach
aufgegeben zu werden; die runde Erde muss langsam integriert werden,
so dass
sinnvolle Zusammenhänge gefunden werden können (s.a. Aufgabe 3)
 „Die Erde ist unten, der Himmel oben“
„Oben“ und „unten“ sind nicht vertauschbar. Ist die Erde rund, kann diese Vorstellung
nicht so einfach aufrecht erhalten werden. Ein Mensch auf der anderen Seite steht
andersherum als ich, aber dennoch aufrecht; und auch bei ihm sind Erde unten und
Himmel oben!?
 „Die Erde sieht aus wie eine Scheibe!“
Die Erde lässt sich für das Kind in unendlich vielen Alltagssituationen nur als flach
beobachten. Besonders junge Kinder verfolgen zudem grundsätzlich das Prinzip,
dass alles „ist“, wie es „scheint“. Warum sollte also eine Erde, die immer als flach
wahrgenommen wird, plötzlich rund sein?
All diese Elemente tragen dazu bei, dass Kinder in aller Regel die von außen an sie
herangetragene Erklärung, die Erde sei rund, nur sehr schwer in ihr Weltbild integrieren
können und stattdessen z.T. auf inadäquate „Halbintegrationen“ wie die Erde als
Hohlkugel oder das Modell der „discearth“ verfallen.
Aufgabe 3
16
Als Methoden für den Umgang mit Misskonzepten in der Vermittlung neues Wissens
haben sich vor allem drei Strategien durchgesetzt:
Die Ausklammerungsstrategie zielt darauf ab, neues Wissen „einzupflanzen“, während
intuitives Wissen ausgeklammert, also ignoriert wird. Ziel ist dabei die Abspaltung des
intuitiven Wissens vom wissenschaftlichen Begriffssystem und das „Absterben“ von
vorher bestehenden Misskonzepten.
Die Ersetzungsstrategie zielt ebenfalls darauf ab, intuitives durch neues, wissenschaftlich
korrektes Wissen zu ersetzen. Dabei bezieht sie intuitives Wissen und Vorwissen aber
bewusst mit ein. Ziel der Strategie ist die Ersetzung von Wissen und die Akkomodation;
dies geschieht durch das Erzeugen von kognitiven Konflikten.
Die Integrationsstrategie zielt darauf ab, intuitives Wissen und normatives Wissen
parallel zu erhalten, jedoch nicht „nebeneinander her“, sondern vernetzt und integriert.
Auch hier wird das Vorwissen intensiv thematisiert und analysiert. Anschließend wird
nach Verknüpfungspunkten und Überschneidungen mit dem zu vermittelnden
normativen Wissen gesucht, die als Ansatzpunkte für Wissensaufbau dienen.
Die Integrationsstrategie verfügt im Vergleich zu den anderen Strategien über einige
Vorteile, die sie in vielen Situationen zu der aussichtsreichsten Methode werden lässt:
 Im Gegensatz zur Ausklammerungsstrategie bezieht sie Vorwissen und intuitive
Konzepte explizit mit ein. Dies ist ein sehr wichtiger Aspekt, da sich gezeigt hat,
dass das Ignorieren der Konzepte nicht zum gewünschten Erfolg, sondern
stattdessen zu einer automatischen Aktivierung des Vorwissens führt, dass dann
– da unbeachtet – den Lernerfolg be- oder verhindern kann.
 Darüber hinaus – und dies im Gegensatz zur Ersetzungsstrategie – betrachtet die
Integrationsstrategie Vorwissen nicht als „lästiges Übel“. Im Gegensatz wird die
Alltagsrelevanz der vorhandenen Konzepte ausdrücklich anerkannt und genutzt.
Anstatt die unliebsamen Strukturen austauschen zu wollen, werden richtige und
gute Punkte im Vorwissen gesucht, auf denen dann aufgebaut werden kann.
 Die Integrationsstrategie nutzt Überschneidungen zwischen intuitiven und
wissenschaftlichen Konzepten, um Querverbindungen herzustellen. Das Konzept
wird somit nicht aus seiner Rahmentheorie „herausgerissen“ - das macht diese
Methode besonders bei sehr resistenten Theorien wirksam und aussichtsreich.
 Ein wichtiger Kernpunkt der Theorie ist die Zusammenarbeit von Lernenden und
Lehrenden. Gemeinsam arbeiten sie intuitive Konzepte heraus, suchen nach Vorund Nachteilen darin und erarbeiten sich so eine integrierte Struktur. Dies
erleichtert es Kindern oftmals, Neues (selbst Miterarbeitetes!) an- und auch
tatsächlich aufzunehmen.
Informationsverarbeitungsansatz Miller Kap. 4
-
-
untersucht, wie menschliche Symbole verarbeitende Systeme, deren Kapazitäten
begrenzt sind, arbeiten.
Computerprogramme als Modell
Entwicklungsbedingte Veränderungen in Repräsentation, Speicherung und
Kombination von Informationen entstehen durch Selbstmodifikation, = wenn
Kinder Regeln zur Entscheidungsfindung formulieren und sie anhand eines
Feedbacks modifizieren
Balkenwaage  Strategieentwicklung Robert Siegler
17
Warum sind Wissen und Strategie nicht als völlig unabhängige Entwicklungsmotoren
des Gedächtnisses zu sehen?
Finden Sie zwei Argumente für oder gegen die Annahme, dass Variabilität und nicht die
"monotone" Höherentwicklung Entwicklungs-prozesse charakterisiert (egal, ob zwei
pro, zwei contra oder jeweils eine pro und contra)
Beispiel:
Lernstrategien bei "Ersties" im B.Sc. Psychologie
Geben Sie jeweils ein Beispiel für eine Strategie, bzgl. der bei vielen "Ersties" vermutlich
ein Produktionsdefizit bzw. ein Nutzendefizit vorliegt.
Musterlösung zum Informationsverarbeitungsansatz
Von Petra Buys
Aufgabe 1:
Der Informationsverarbeitungsansatz sieht Gedächtnis, Strategien, Wissen,
Metagedächtnis und Gedächtniskapazität als eng verbundene Aspekte, die ein
gemeinsames System bilden.
Die Strategien werden dabei als kontrollierte Aktivität, mit der das Ziel einer Erinnerung
angestrebt wird, verstanden. Dazu gehören systematische Wiederholung,
Kategorienbildung und auch schriftliches Festhalten von Informationen.
Auch Wissen betrachtet der Ansatz als Teil des kognitiven Systems; Wissen, wie
Strategien, hilft der Erinnerung. Einige besondere Verknüpfungspunkte sollen
veranschaulichen, an welchen Stellen Wissen und Strategie zusammenhängen und
gemeinsam die Gedächtnisentwicklung vorantreiben:
 Strategie durch Wissen: Wissen ermöglicht in vielen Fällen erst die Bildung und
Nutzung von Strategien. So können zum Beispiel nur dann größere Einheiten
statt einzelnen Chunks erinnert werden, wenn das Vorwissen die Wahrnehmung
der (inhaltlichen) Einheiten überhaupt erlaubt (Beispiel Schachstellung, s. VL).
Hierzu gehören ebenso die Strategien Kategorisierung (nur möglich mit
Vorwissen über Kategorienzugehörigkeit) sowie andere Formen der Ordnung zur
besseren Erinnerung, die nur stattfinden können, wenn genug Wissen über die zu
ordnenden Stimuli vorhanden ist.
 Kapazität: Im Zusammenhang mit der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses
besteht ein wechselseitiger Zusammenhang von Strategien und Wissen: Sind
Strategien vorhanden und automatisiert, beanspruchen sie weniger
Arbeitsspeicherkapazität und lassen somit mehr „Raum“ für die Aufnahme von
Wissen. So können mehr Informationen berücksichtigt werden, das Lernen
schreitet voran. Ebenso verhält es sich umgekehrt: Ist mehr spezifisches
Vorwissen oder auch allgemeine „Lebensweisheit“ vorhanden, braucht das Kind
weniger Kapazität für die Wissensaufnahme, die Einordnung und Verknüpfung
mit Gedächtnisinhalten ist leichter und erweitert möglich. In diesem Fall
„schaufelt“ das automatisierte Wissen Kapazität für bessere Strategieanwendung
frei.
 Metawissen: Auch das Wissen darüber, wie (ungefähr) Wissen und Erinnern
abläuft und insbesondere, welche Einschränkungen es gibt, ermöglicht erst die
Bildung von Strategien (deren Notwendigkeit vorher einfach nicht bemerkt
18
wird); es ist eine Grundlage der bewussten und effizienten Strategieentwicklung
und –nutzung.
Aufgabe 2:
Pro: Ein Argument für die Annahme der intraindividuellen Variabilität als
charakteristisches Entwicklungsmerkmal wäre die Logik und Funktionalität des
Konzepts. Die parallele, überlappende, wechselnde Anwendung einer Vielzahl von
Strategien erlaubt Kindern das allmähliche Herauskristallisieren der effektivsten und
angenehmsten Strategien durch „trial and error“ (survival of the fittest der Strategien).
Durch die längere Überlappungszeit bleiben „ältere“ Strategien dabei dennoch
vorhanden, so dass bei neuen Problemen auf sie zurückgegriffen werden kann (Analogie
der Biodiversität: Gleichgewicht und Erhaltung auch „untergeordneter“
Arten/Strategien; bei neuen Anpassungsanforderungen kann darauf „zugegriffen“
werden). Dementsprechend spiegelt die Variabilität in Grenzen auch unser eigenes
Erleben als Erwachsene wieder: Es gibt keinen klar linearen Anstieg von Fähigkeiten,
Wissen und Methoden; Wissenserwerb und Entwicklung entsteht eher durch
Ausprobieren, Reflektieren und die langsame Isolierung der effektivsten Methode.
Contra: Die Variabilität der Entwicklung wurde vornehmlich in kurzzeitigen
mikrogenetischen Settings festgestellt. Die Übertragung auf Langzeitstufenmodelle wie
das von Piaget sind schwierig und wurden auch nicht systematisch vorgenommen
(Miller, 2003). Es ist daher unklar, ob die „Schwankungen“ in den Fähigkeiten der
Kinder nicht doch genauso im Rahmen revolutionärer qualitativer Umstrukturierungen
(wie in Piagets Stufenmodell) als Unsicherheiten (Variabilität) im Zusammenhang mit
den Übergängen zwischen zwei Phasen erklärt werden können. Auch bei Piaget (und
vergleichbaren Modellen) befindet sich das Kind ja im ständigen Wandel, und auch
„zurückfallen“ in frühere Schemata ist im Rahmen der Stufenübergänge durchaus
erklärbar. Dann gäbe es also ebenfalls Variabilität in der Entwicklung, aber
charakterisiert wäre sie dennoch durch einen stetigen, monotonen Aufstieg – auf lange
Sicht gesehen.
Aufgabe 3
Produktionsdefizit: Ein solches Defizit besteht, wenn eine Strategie zwar nicht spontan
eingesetzt wird, aber hilfreich beim Problemlösen ist, wenn sie von außer induziert
wurde. Für Erstsemesterstudenten der Psychologie dürfte dies zum Beispiel bei Inhalten
des Praktikum I der Fall sein, wie bestimmten Beobachtungstechniken. Diese werden
zum Teil spontan nicht (systematisch) eingesetzt; wenn sie jedoch vermittelt wurden,
helfen sie sofort (beim ersten Ausprobieren) bei der Erweiterung, Strukturierung und
Interpretation von Beobachtungen.
Ein Nutzungsdefizit beschreibt die Unfähigkeit, eine vorhandene Strategie nutzbringend
einzusetzen. Dies ist häufig ein vorübergehender Zustand, oft auch beim Einsatz neu
erworbener Strategien. Solche Strategien finden sich zu Beginn des
Psychologiestudiums häufig im Fach Statistik. Die dort vermittelten Methoden der
Datenauswertung auf verschiedensten Ebenen können, sobald gelernt, eingesetzt
werden, sie stehen also zur Verfügung. Dennoch erleichtern sie das Arbeiten in der
19
ersten Zeit oft nicht, das sie – gerade erst gelernt – selber viel Zeit und Aufmerksamkeit
erfordern. Das Einordnen von Informationen, die Kategorisierung und konkrete
Berechnung mit statistischen Verfahren ist zunächst an sich zu schwierig, um
Erleichterung im Umgang mit neuen Stimuli zu bringen – sind die Verfahren jedoch erst
einmal (zumindest teilweise) automatisiert, erleichtern sie die Bearbeitung von und den
Umgang mit gegebene Informationen oft enorm.
Lernen und Leisten im (höheren) Erwachsenenalter O&M Kap. 9
-
Mittleres Erwachsenenalter: 35-65
Höheres Erwachsenenalter: 65-80
Hohes Alter: ab 80
Übergänge zwischen diesen Lebensphasen sind kontinuierlich, doch ihre
Anforderungen und Möglichkeiten unterscheiden sich wesentlich.
Mittleres Erwachsenenalter: verbunden mit Differenzierung und Expansion von
Aufgaben, Kompetenzen und Ressourcen
Hohes Alter: Konzentration der Kräfte und Nutzung vorhandener Stärken
(aufgrund von biologisch bestimmten Einschränkungen)
1. Entwicklung im Erwachsenenalter:
-
Die generelle Architektur des Lebenslaufs:
o Strukturierende Altersfunktionen nach Baltes 1997, 3 grundlegende
interdependente Altersfunktionen:
 Die positiven Auswirkungen des evolutionären Selektionsdrucks
nehmen mit dem Alter ab (nach der reproduktiven Phase)
 Bedarf an Kultur nimmt mit dem Alter zu (Konzept der
Entwicklungsaufgaben Havighurst 1973: Entwicklungsaufgaben
strukturieren die Lebensspanne als Folge von Herausforderungen,
die vom Individuum als persönliche Entwicklungsziele wahr- und
20
angenommen werden, z.B. Erlernen der Muttersprache, Arbeit
Familie, Pensionierung, Tod und Sterben.)
 Wirkungsgrad von Kultur lässt mit dem Alter nach.
-
Veränderung der relativen Ressourcenallokation (=Zuteilung von
(geringen) Ressourcen):
o Funktionserhalt und Verlustregulation werden wichtiger.
-
Selektive Optimierung mit Kompensation:
o Allgemeine Entwicklungstheorie nach Baltes et al 1980
o Entwicklung (= Maximierung von Gewinnen und Minimierung von
Verlusten) wird durch Zusammenspiel der 3 Entwicklungsprozesse
hervorgebracht:
 Selektion = Auswahl von Funktionen, auf die sich die begrenzten
Ressourcen konzentrieren, ermöglicht Spezialisierung
 Optimierung = Produktion von Entwicklungsgewinnen, Erwerb,
Verfeinerung und Anwendung von Ressourcen um
Entwicklungsziele zu erreichen.
 Kompensation = Aufrechterhaltung des Funktionsniveaus bei
Verlusten  Erwerb, Verfeinerung und Anwendung von
Ressourcen um Verlusten entgegenzuwirken.
o Die drei können bewusst, oder unbewusst, aktiv oder passiv, intern oder
extern erfolgen. Bsp.: Rollstuhl = externe Kompensation
o Mit SOK Modell kann untersucht werden, wie und in welchem Maß
Personen Entwicklungszugewinne maximieren und Verluste minimieren.
o Zu berücksichtigen sind neben Entwicklungszielen auch objektive
(Verhaltenskompetenz der Person) und subjektive Kriterien (Werte und
Selbst-Konzeptionen)
o Handlungstheoretische Ausformulierung siehe Buch S 355
2. Intellektuelle Entwicklung im mittleren und höheren Erwachsenenalter
-
Zweikomponentenmodelle der intellektuellen Entwicklung:
o Unterscheidung zwischen biologischen und kulturellen Determinanten
kognitiver Leistungen.
o Empirisch stützten sich Baltes et al auf die Unterscheidung zwischen
alterungsanfälligen und alterungsresistenten intellektuellen Fähigkeiten.
 Alterungsanfällig: Leistungen, die auf Schnelligkeit, Genauigkeit
und Koordination elementarer kognitiver Prozesse basieren.
o Siehe Abbildungen S 357
o Fluide und kristalline Fähigkeiten:
 Fluid:
 Eher angeboren, z.B. Auffassungsgabe, generelles
Verarbeitungsniveau
 Nicht durch Umwelt zu beeinflussen
 Baut am schnellsten ab
 Kristallin:
 Alles was man erlernt hat, z.B. Wortschatz, numerisches
Wissen
 Durch Umwelt bestimmt
21
 Leichter Abbau
o Mechanik der Kognition:
 Hardware
 Biologische Komponente
o Pragmatik der Kognition
 Wissen
 Kulturelle Dimension der intellektuellen Entw.
-
Relative Stabilität intellektueller Leistungen über die Lebensspanne
o Nativistisch betrachtet:
 Extrauterines Leben wird mit leistungsfähigen Lernmechanismen
begonnen
 Das betrifft z.B. Wahrnehmungsleistungen im Bereich der Sprache
und des Gesichtererkennens
 Die Pragmatik der Kognition baut auf diesen vorstrukturierten, der
Mechanik zuzurechnenden Kernbereichen auf.
 Demnach ist die kognitive Entwicklung von Anfang an auf
Interaktion zwischen Pragmatik und Mechanik angewiesen.
Aufgaben:
Nennen Sie ein Beispiel für Domänen oder berufliche Tätigkeiten, in denen eine Abbau
in der Mechanik, gut kompensierbar ist. Begründung!
Nennen Sie ein Beispiele für Domänen oder berufliche Tätigkeiten, in denen eine Abbau
in der Mechanik, schlecht kompensierbar ist. Begründung!
Nennen Sie zwei Beispiele aus dem Alltagsleben einer pensionierten Person, in denen
die schwindende Fähigkeit von Älteren Irrelevantes auszublenden (Inhibition), ein
besonderes Problem darstellen stellen könnte.
Aufgabe zu 60-jähriger Betriebswirtin:
Erfinden Sie einen Satz, der Teil einer Antwort einer relativ weisen Person sind könnte.
Begründung!
Erfinden Sie einen Satz, der Teil einer Antwort einer weniger weisen Person sein könnte.
Begründung!
Musterlösung zum Thema „Leistung und Lernen im höheren Erwachsenenalter“
Von Petra Buys
Aufgabe 1:
Gut kompensierbar wäre ein Abbau der Mechanik zum Beispiel im Beruf des Kellners
(unter der Annahme, dass die motorischen Einbußen sich in Grenzen halten): Die
verminderte Leistungsfähigkeit des Arbeitsspeichers würde die Arbeit erschweren, da
dieser z.B. für Kopfrechnen, das Merken von Bestellungen sowie die (auswendige)
Kenntnis der Speisekarte benötigt wird (mechanischer Aspekt). Jedoch wird ein Kellner,
der seit vielen Jahren in seinem Beruf arbeitet, zahlreiche hocheffektive Strategien zu
diesen Aspekten entwickelt haben:
 Das Kopfrechnen hat er wieder und wieder geübt und wird darin so manchen
jungen, gerade eingestellten Kellner „schlagen“,
22
 Für das Merken von Bestellungen hat er zahlreiche Strategien wie
Kategorisierung u.ä. entwickelt, so dass es seinen Arbeitsspeicher nur minimal
belastet,
 Die Speisekarte kennt er seit Jahren auswendig, so dass einzelne sich
verändernde Faktoren mühelos in dieses Vorwissen integriert werden können.
Weniger gut kompensierbar ist ein Nachlassen der Mechanik in verschiedenen
Bereichen, in denen Höchstleistungen gefordert werden – zu den Abbauerscheinungen
im Alter gehört schließlich in besonderem Ausmaß auch die Senkung der oberen
Leistungsgrenze. Ein Beispiel für eine solche Domäne könnte der Beruf „Fluglotse“ sein:
„Ernstfälle“, in denen schnelles Denken und Handeln unter Zeit- und Leistungsdruck
eine enorme Rolle spielen, kommen eher selten vor. Die in solchen Situationen
erforderlichen Handlungen können also in geringerem Maße geübt und automatisiert
werden, als es in den meisten Berufen der Fall ist. Für einen älteren Arbeitnehmer ist es
daher schwieriger, die dann dringend erforderlichen (aber im Alter deutlich
abbauenden) mechanischen Eigenschaften wie Geschwindigkeit des Denkens und
Koordination mehrerer Wahrnehmungs- und Handlungsstränge durch pragmatische
Fertigkeiten zu kompensieren (noch weiter erschwert dadurch, dass die Ausbildung und
das Training bei Älteren länger her ist und Fortbildungen seltener angetreten werden):
Aufgabe 2:
Beispiel 1: Als zunehmend anstrengender und schwieriger können hier Situationen
empfunden werden, die das zusammentreffen vieler Personen beinhalten – wie
Familientreffen, Ehemaligentreffen usw. Durch die schwindende Fähigkeit zur Inhibition
irrelevanter Reize (wie die Gespräche in der Nachbargruppe sowie vielfältige akustische,
visuelle, olfaktorische u.a. Reize) können Großveranstaltungen als überfordernd und
kräftezehrend im Sinne einer Reizüberflutung erlebt werden.
Beispiel 2: Ähnliches kann für verschiedene Situationen im Straßenverkehr gelten: An
unübersichtlichen Stellen kann es älteren Menschen schwer fallen, die Situation zu
strukturieren, sich auf relevante Aspekte zu konzentrieren und so den Überblick zu
behalten. So ist es möglich, dass z.B. bedrohliche Situationen nicht schnell genug
eingeschätzt und als gefährlich erkannt werden. Bei solchen Situationen kann jedoch
unter Umständen gut kompensiert werden: Ein Autofahrer mit jahrelanger Übung kann
die Einbußen mechanischer Fähigkeiten (hier Inhibition) durch seine Erfahrung
(Vergleich mit ähnlichen Situationen) und vorausschauendes Fahren ausgleichen (s.a.
Bremszeituntersuchung) und somit dennoch zu einer guten Einschätzung der Situation
gelangen.
Aufgabe 3:
„Wir werden eine Kombination finden, mit der wir alle gut leben können: Es gibt
Institutionen, die dich bei der Erziehung beraten und entlasten können, ich kann meine
Arbeit noch für eine Weile zurückschrauben und du kannst deine auch ein wenig
reduzieren.“
Dieser Satz könnte Teil der Antwort einer „weisen“ Person sein. Verschiedene
Weisheitskriterien auf deklarativer und prozeduraler Ebene werden berücksichtigt:
 Wissen um die Ungewissheit des Lebens und keine zu starke Festlegung auf
einmal gefasste Pläne,
 Wissen um die Relativität von Lebenszielen: Was vor Kurzem noch wichtig war,
kann unter veränderten Bedingungen an Bedeutung verlieren,
23
 Kenntnis von gesellschaftlichem Wandel (auch: Das Rollenverständnis hat sich
verändert, es ist nicht mehr undenkbar, dass ein Mann seine Kinder alleine
aufzieht) und Kontexten des Lebens (z.B. die (deklarative) Kenntnis von
möglichen Beratungseinrichtungen.
„Ich habe mich fest auf meine berufliche Zukunft eingestellt; ich werde das nicht
aufgeben und du solltest es auch nicht. Dein Beruf war dir doch immer so wichtig, ein
Mann kann sich doch nicht nur um Kinder kümmern.“
Diese Sätze wären eher Bestandteil der Antwort einer weniger weisen Person. Die
Weisheitskriterien werden hier (genau konträr zur obigen Antwort) nicht erfüllt:
 Die Ungewissheit des Lebens wird nicht berücksichtigt, Veränderungen „werfen
aus der Bahn“,
 Werte und Lebensziele werden als absolut verstanden,
 Gesellschaftlichem Wandel wird keine Bedeutung zugemessen, es werden zudem
keine konstruktiven Vorschläge zur Problemlösung beigetragen.
Epistemologische Entwicklung, Artikel Hofer & Pintrich
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Natur und Rechtfertigung menschlichen Wissens, Überzeugungen über die Natur
des Wissens, Theorien über das Wissen
Piaget (1950): genetische Epistemologie
Perry (1970): wie Schüler pluralistische Lernerfahrungen interpretieren –
Weiterentwicklung durch King und Kitchner
Geschlechtsunterschiede, wie epistemologisches Bewusstsein Teil des Denkens
und Begründungen sein kann (Kuhn)
kein Versuch der konzeptuellen Integration von Piagets Konzept, Theory of mind
etc
generell postulieren Theorien strukturelle, entwicklungsartige Sequenzen
Perry: wie Menschen ihre eigene Lernerfahrung interpretieren
zweite Gruppe: wie diese Überzeugungen sich auf das Denken auswirkenen- vor
allem reflektierte Urteile
dritte Gruppe: epistemologische Ideen sind ein System von Überzeugungen, eher
unabhängig voneinander
Perrys Schema der intellektuellen und ethischen Entwicklung:
2 große Längsschnittstudien an College Studenten- checklist of educational
values
fortschreitende qualitative Reorganisation der Bedeutung, invariante,
hirarchische Sequenz, vom Typ Piagets, Veränderung durch kognitives
Disäquilibrium, Interaktion mit Umwelt, Reaktion zu neuen Erfahrungen durch
Assimilation oder Akkomodation
9 Positionen des Schemas, in 4 sequentielle Kategorien eingeteilt:
1) Dualismus = absolutes Wissen= Kuhn: Absolutismus(1+2): richtig und falsch
Weltbild, Autoritäten vermitteln Wissen
2) Multiplismus = vorübergehendes Wissen = Kuhn: Multiplismus (3)
Modifikation des Dualismus (4) wo es keine eindeutigen Antworten gibt, haben
Autoritäten keine Macht- alle Sichtweisen sind gleich gültig
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3) Relativismus = unabhängiges Wissen= Kuhn: Evaluatismus (5) das Selbst als
aktiver Produzent von Bedeutung (6) Wissen ist relativ
4) Bekenntnis im Relativismus = kontextuelles Wissen= reflektives DenkenVerantwortung (7-9) (siehe Renkl)
Veränderungen in der Epistemologie- Veränderungen im Lernen (?)
die Interpretation der Bedeutung ist kein Zeichen von Persönlichkeit sondern
von entstehenden Entwicklungsprozessen
Nachteile: eingeschränkte ökologische Validität, Objektivität (Beobachter etc.)
wirklich Entwicklung oder Sozialisation?
generell: eher Orientierung am männlichen Teil der Population (Kritik Gilligans
an Kohlbergs Theorie)
Belenky: nur Frauen, im Anschluss an Gilligans und Kohlbergs Rahmentheorie,
keine Stufen aber Entwicklungswege (Stille, erhaltenes Wissen, subjektives
Wissen, prozedurales Wissen (verbunden- Empathie und getrennt- jeder kann
Fehler machen), konstruiertes Wissen- Integration von subjektiv und objektiv,
kontextuell)
aber keine Identifikation mit der Autorität wie bei den Männern
Perry ging es eher um die natur des Wissens und Belenky mehr um die Quelle des
Wissens und der Wahrheit
Baxter Magolda: Implikationen in Verbindung mit dem gender: 4 qualitative
Arten des Wissens (absolut, vorübergehend, unabhängig, kontextuell)
Modell des reflektierten Urteils (King und Kitchener):
Untersuchung der epistemologischen Annahmen über das Urteilsvermögen
(reasoning)
15 Jahre Interviewstudien, Verfeinerung des Modells zu einem 7 Stufen
Entwicklungsmodell
reflektiertes Urteilen ist ein ultimater Ausgang und Entwicklungsendpunkt
nature of knowledge und nature of justification
prereflektiv (können nicht verstehen, dass es auch Fragen ohne korrekte Antwort
gibt,1: Wissen muss nicht hinterfragt werden, 2: Autoritäten haben Wissen, aber
nicht alle anderen, 3: temporäre Unsicherheit), quasireflektiv (4: jede Person hat
ihre eigene Position, 5: Wissen ist kontextuell und relativ) und reflektiv (6: aktive
Konstruktion von Wissen, 7: kritisches Hinterfragen, Wahrscheinlichkeitsurteile)
Flavells Kriterien für Stufen: Organisation, qualitative Unterschiede, invariante
Sequenz
Mechanismen der Veränderung wie bei piaget (Assimiliation und Akkomodation)
Individuen operieren aber nicht nur in einem Level: optimales und funktionales
(Differenz = bandbreite- wie bei Vygotsky)
Zusammenhang zwischen Alter und Stufe + Ausbildung und Stufe
Argumentatives Denken nach Kuhn:
wie reagieren Ind. auf alltägliche Probleme, die keine eindeutige Lösung haben
(ill- structured)
Vpn nach Kohorten aufgeteilt, sollten kausale Erklärungen für Probleme geben
(warum sind Kinder schlecht in der Schule) wie sind sie zum urteil gekommen,
auch gegenposition darstellen
Beweis, Expertise, multiple Sichtweisen, Ursprünge der Theorien, Sicherheit des
Urteils wiesen auf die epistemologischen Standards hin
gleiche Formen wie bei Perry (absolutistisch- Sicherheit des Wissens durch
Experten, multiplistisch- Leugnung der Sicherheit des Wissens durch Experten=
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radikale Subjektivität, eigenes Wissen gleichwertig, evaluativ- Anerkennung von
Expertise, eigenes Wissen ist weniger Sicher)
nur wenigen befanden sich genau in einer Phase: decalage (Piaget)- Hinweis für
Domäneneffekte?
drei Fähigkeiten des argumentierens: Generierung authentischer Beweise,
Generierung von Alternativtheorien, Generierung jeder Form von
Gegenargument
Metakognition wird benötigt (formale Operation- piaget)
Dimensionen epistemologischer Überzeugungen nach Schommer:
Zusammenführung von Perrys Schema und Metaverständnis- ep. Überzeugungen
sind unidimensional und entwickeln sich in festen Stufen
Überzeugungssystem von 5 Stufen (Sicherheit, Quelle, Struktur des Wissens +
Kontrolle und Geschwindigkeit der Wissensaneignung
4 Faktoren: feste Fähigkeiten, schnelles Lernen, einfaches Wissen und sicheres
Wissen- alle kontinuierlich
in Zusammenhang mit Überzeugungen zu Mathe und Intelligenz
Ryan: Veränderungen in den Überzeugungen führen zu Veränderungen in
Informationsverarbeitungsstrategien
Schommer hat die Effekte auf akademische Arbeit weiter untersucht
Theoretische Grundlagen zu epistemologischen Überzeugungen
Überzeugungen einer Person über die Natur des Wissens und des Lernens werden als
epistemologische Überzeugungen bezeichnet (Schommer, 1990). Diese subjekti-ven
Vorstellungen über die Objektivität, die Richtigkeit oder die Aussagekraft neuer
Informationen und neuer Lerninhalte beeinflussen Informationsverarbeitung,
Lernverhalten, Lernmotivation und Lernleistung von Individuen. Sie spielen so-wohl im
Alltagsleben als auch in Studium und Beruf eine wichtige Rolle.
Forschung über epistemologische Überzeugungen hat in den letzten Jahren e-norm
an Bedeutung in der Pädagogik und in der Psychologie gewonnen. Dies hat vor allem
damit zu tun, dass die individuelle Epistemologie als eine wichtige Kom-ponente des
informellen Wissens von Lernenden erkannt wurde, die eine bedeu-tende Rolle bei der
Initiierung und Aufrechterhaltung von Lernprozessen spielt. Die Relevanz
epistemologischer Überzeugungen zeigt sich aber nicht nur in der Forschung, sondern
auch im täglichen Lehr-Lern-Geschehen: Lehrende, die aner-kennen, dass Lernende
über bestimmte epistemologische Überzeugungen verfügen und diese zur Grundlage
von Lernentscheidungen machen, sehen die Lernenden mit anderen Augen
(Hasanbegovic, Gruber, Rehrl & Bauer, in press). Es gelingt ihnen einfacher, Stärken und
Schwächen und damit den Förderungsbedarf der Ler-nenden zu erkennen und die
Lernsituation angemessen zu gestalten.
Um die Tragweite der Ansätze über epistemologische Überzeugungen bewusst zu
machen, wurde in der Sommerakademie in Kleingruppenarbeit zunächst der Stand der
Forschung erarbeitet. Besonders erwähnenswert ist, dass auch dieser For-schung Piaget
Pate stand, der sich bereits seit Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts mit der
Entwicklung der Erkenntnisstrukturen beschäftigt hatte (z. B. Piaget, 1936). Sein
genetisches Modell der intellektuellen Entwicklung sieht eine ständige kognitive
Höherentwicklung im Kindesalter vor. Piaget ging dabei von einer Aufeinanderfolge von
Entwicklungsstufen aus, die jeweils durch eine spezifische Denkstruktur gekennzeichnet
sind. Auf dieser Grundlage formulierte Piagets Schüler Perry (1970) den ersten großen
Forschungsansatz über epistemolo-gische Überzeugungen, der im folgenden Überblick
auch zuerst angeführt wird.
26
Die in der Folgezeit entstandenen Konzeptionen über epistemologische Überzeugungen entstanden großenteils aus der Auseinandersetzung mit Perrys Arbeit, sei es,
dass sie seine Auffassung weiter entwickelten, sei es, dass sie sich kritisch von ihm
absetzten. Der von Perry erhobene allgemeine Gültigkeitsanspruch wurde in Frage
gestellt; dies führte zu einer konstruktiven Fortentwicklung der theoretischen
Grundlagen zu epistemologischen Überzeugungen. Um diese Fortschritte darzustellen,
werden im Folgenden in Anlehnung an die Arbeiten von Hofer und Pintrich (1997,
2002) sechs zentrale theoretische Ansätze präsentiert:
1. Perrys Modell der intellektuellen und ethischen Entwicklung
2. Belenkys Kritik an Perrys Modell: Vernachlässigung von Geschlechterunterschieden
3. Baxter Magoldas epistemologisches Reflexionsmodell
4. King und Kitcheners Reflective Judgment Model
5. Kuhns Argumentative Reasoning-Ansatz
6. Schommers Modell unabhängiger Dimensionen
Perrys Modell der intellektuellen und ethischen Entwicklung
Der amerikanische Psychologe Perry war ursprünglich an Fragen von Autoritätshörigkeit und Persönlichkeit interessiert und entwickelte hierzu ein Stufenmodell, das sich
an die Arbeit des Entwicklungspsychologen Piaget anlehnte.
Perry (1970) meinte, die Entwicklung von Überzeugungen zum Wissen und zum
Lernen, also von epistemologischen Überzeugungen, hänge weniger von all-gemeinen
Persönlichkeitsmerkmalen ab als vielmehr von der Ausprägung intraindi-vidueller
kognitiver Prozesse. Zur Überprüfung seiner Überlegungen entwickelte Perry zunächst
die „Checklist of Educational Values“ (CLEV) und setzte diese in Untersuchungen bei
amerikanischen College-Studierenden ein. Spätere Instrumente zur Erhebung
epistemologischer Überzeugungen bauen zum Teil auf der CLEV auf.
Mit ausgewählten Versuchspersonen führte Perry (1970) nach der Bearbeitung der
CLEV ausführliche Interviews durch. Basierend auf diesen Daten nahm er in seinem
Stufenmodell an, der Mensch entwickle stetig neue qualitative Vorstellungen von der
Organisation des Wissens. Er formulierte ein auf neun Positionen basie-rendes
Entwicklungsschema. Die Positionen lassen sich in vier Kategorien zusam-menfassen
(Hofer & Pintrich, 1997):
1. Dualism: Es wird von einer absoluten Wahrheit ausgegangen, Dinge gelten als
entweder richtig oder falsch, gut oder schlecht (Schwarz-Weiß-Position).
2. Multiplicity: Es wird von drei möglichen Kategorien ausgegangen, „rich-tig“,
„falsch“ oder „noch nicht bekannt“. Unsicherheiten werden akzeptiert, aber es
wird angenommen, dass sich diese Unsicherheiten im Prinzip in Zukunft
auflösen lassen.
3. Contextual relativism: Wissen wird als relativ und kontextbezogen angese-hen. Es
wird anerkannt, dass nur Weniges eindeutig richtig oder falsch ist, und dass die
Aneignung von Wissen ein aktiv-konstruktiver Prozess ist.
4. Commitment within relativism: Es wird Verantwortung für die eigene
Konstruktion von Wissensaneignungs- und Lernprozessen übernommen, die
individuelle Annahme der Richtigkeit oder Wichtigkeit von Wissen wird
27
moralisch-ethisch begründet.
Perry (1970) nahm an, dass Veränderungen – also der Übergang von einer Position zur
nächsten Position oder von einer Kategorie zur nächsthöheren Kategorie – durch ein
kognitives Ungleichgewicht als Reaktion auf Umwelteinflüsse herbeige-führt werden.
Perry postulierte eine fortlaufende Höherentwicklung hin zu reiferen epistemologischen
Überzeugungen. Ausgehend von der Annahme absoluter Wahr-heiten gelange der
Mensch über die Akzeptanz vielfältiger Vorstellungen hin zu der Konzeption einer
kontextabhängigen Wahrheit, die mit relativen Wissensbegriffen und schließlich in der
Verantwortungsübernahme für diese relative Position endet.
Belenkys Kritik an Perrys Modell: Vernachlässigung von Geschlechterunterschie-den
Belenky, Clinchy, Goldberger und Tarule (1986) kritisierten die Untersuchungen von
Perry (1970), weil er ausschließlich männliche Studierende befragt hatte. Sie
argumentierten, dass Perrys Entwicklungsschema zu sehr auf Vorstellungen über die
männliche Entwicklung epistemologischer Überzeugungen fußte. Deshalb un-tersuchten
Belenky et al. (1986) in ihren Interviews ausschließlich weibliche Pro-banden. In ihren
Analysen der Interviewdaten kamen sie ebenfalls zu einem Stu-fenmodell. Dieses Modell
unterscheidet sich in einigen Punkten von dem Modell Perrys (1970) und soll die
weibliche Entwicklung epistemologischer Überzeugun-gen angemessen darstellen. Das
Modell enthält die folgenden Stufen:
1. Silence: Es wird angenommen, dass Frauen mit einem bestimmten sozialen
Hintergrund - wie Armut, Isolation, Ablehnung, Unterordnung und Gewalt Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Gedanken und Gefühle zu artikulieren. Die
„zum Schweigen Gebrachten“ sehen sich in einer passiven Position, in der sie von
Autoritäten dominiert werden. Sie haben den Eindruck, vieles nicht zu verstehen,
wagen es nicht, „dumme“ Fragen zu stellen, sind in Dis-kussionen verunsichert
und melden sich deshalb nicht zu Wort. Auch gebildete Frauen berichten von
Situationen, in denen sie sich ähnlich sprachlos fühlen.
2. Received Knowing: Es wird in einer dualistischen Position von einer absolu-ten
Wahrheit ausgegangen; Autoritäten stellen eine externe Quelle des Wis-sens dar,
und es kommt zu einer Identifikation mit der Autorität.
3. Subjective Knowing: In gewisser Weise das Gegenteil von received know-ledge; die
Autorität von anderen Personen wird angezweifelt. Wahrheit und Meinungen
sind strikt individuell und gültig für die einzelne Person; es wird also von einer
internen Quelle des Wissens ausgegangen. Hierbei sind Unter-schiede in der
persönlichen geschlechtsspezifischen Wissenserfahrung beob-achtbar.
4. Procedural Knowing: Wissen ist ein Prozess und erfordert Arbeit; bei der
Wissensaneignung sind unterschiedliche Interpretationen und Konstruktio-nen
gegeneinander abzuwägen. Die Qualität des Wissens hängt von der Qua-lität der
Abwägeprozesse ab.
5. Constructed Knowing: Alles Wissen ist konstruiert; Wissen ist relativ und
kontextbezogen, weswegen es eine hohe Toleranz für Unsicherheiten und
Widersprüche gibt. Somit spielt eine dialektische Position der „Konversati-on“
zwischen widersprüchlichen Auffassungen eine große Rolle für Wissenskonstruktionsprozesse.
Baxter Magoldas epistemologisches Reflexionsmodell
28
Baxter Magolda (1992) bezog in ihre Untersuchungen im Gegensatz zu Perry (1970) und
Belenky et al. (1986) Frauen und Männer in einem ausgewogenen Ver-hältnis ein. In
einer Längsschnittstudie über fünf Jahre mit 70 Versuchspersonen setzte sie ihren
Fragebogen „Measure of Epistemological Reflection“ (MER) ein und ergänzte diese
Erhebungen durch Interviews. So konnte Baxter Magolda (1992) auch
Entwicklungsannahmen methodisch gut begründet formulieren.
Baxter Magolda (1992) geht in ihrem epistemologischen Reflexionsmodell davon aus,
dass sich Vorstellungen über Wissen und Wissenserwerb in vier Stufen entwi-ckeln.
1. Absolutes Wissen: Unreflektierte Stufe der epistemologischen Überzeugung durch
die starke Fixierung auf Autoritäten; Wissen ist sicher und von Autori-täten
bestimmt.
2. Transitionales Wissen: In manchen Domänen (z. B. Mathematik und Naturwissenschaften) ist Wissen sicher, in manchen anderen Domänen (z. B. Geis-tesund Sozialwissenschaften) ist Wissen unsicher. Diese Unterscheidung verweist
auf einen Übergang zu eigenständigem, subjektivem Denken und kritischer
Reflexion.
3. Unabhängiges Wissen: Denken wird als von Autoritäten unabhängiger Pro-zess
propagiert; es wird von der individuellen Konstruktion von Wissen und damit
von dem relativen Wert von Wahrheit ausgegangen.
4. Kontextuelles Wissen: Verständnis von Wissen als ständigem Entwicklungsprozess, der von neuen Fakten und Kontexten abhängig ist.
Geschlechtsunterschiede in der Entwicklung konnten in den Untersuchungen von Baxter
Magolda (1992) nicht konstatiert werden.
King und Kitcheners “Reflective Judgment Model”
Das Reflective Judgment Model von King und Kitchener (1994) zeigt, dass sich
Denkprozesse in unterschiedliche Reflexionsstufen einteilen lassen. King und Kit-chener
(1994) konfrontierten Versuchspersonen mit Problemen, für die es keine eindeutigen
Lösungen gibt, und baten sie, über diese laut nachzudenken. Die Ant-worten wurden
wörtlich transkribiert und durch ausgebildete Rater kodiert.
In Anlehnung an Dewey (1933) erwarteten King und Kitchener (1994), dass durch die
Beobachtung von Personen beim Bearbeiten schwer oder nicht lösbarer Probleme
besonders viel über reflexive Prozesse zu erfahren sei. Aufgrund ihrer Studien
unterschieden King und Kitchener (1994) folgende Reflexionsstufen:
1. Prä-reflexive Stufe: Probleme sind grundsätzlich lösbar; Wissen ist absolut und
zum größten Teil autoritätsbezogen.
2. Quasi-reflexive Stufe: Das Bewusstsein, dass Wissen nicht sicher ist, wächst;
Wissen ist relativ und kontextbezogen.
3. Reflexive Stufe: Wissen wird aktiv konstruiert und muss kontextbezogen betrachtet werden. Manche Beurteilungen sind vernünftiger und gültiger als
andere, aber bleiben offen für weitere Einschätzungen.
Im Vergleich mehrerer Altersgruppen von Studierenden zeigte sich, dass mit zunehmendem Studienfortschritt höhere Reflexionsstufen eingenommen wurden, wobei
beim Wechsel vom grundständigen Studium zum Promotionsstudium ein besonders
großer Sprung auftrat.
Kuhns “Argumentative Reasoning“-Ansatz
29
Kuhns (1993) Forschung zum Argumentative Reasoning zielt auf die Untersu-chung des
argumentativen Denkens sowie von epistemologischen Überzeugungen und ihrer
Begründung ab. Die Methode der Wahl in ihren Untersuchungen waren Interviews, in
denen sie analog zu King und Kitchener (1994) den Versuchsperso-nen Fragen zu
alltäglichen, schwer fassbaren Problemen stellte. Typische Fragen lauteten: "Warum
versagen manche Kinder in der Schule?" oder "Was verursacht Arbeitslosigkeit?" Die
Versuchspersonen mussten in den Interviews zwei einander widersprechende
Meinungen jeweils überzeugend begründen.
Aufgrund der Häufigkeit in der Belegung der Auswertungskategorien „Beweis“,
„Expertise“, „Sicherheit“, „multiple Standpunkte“ und „Ursprung von Theorien“
unterteilte Kuhn (1993) die Versuchspersonen in drei Gruppen: Absolutisten, Multiplisten und Evaluative.
1. Absolutisten: Sie betrachten das Wissen als absolut und sind sich ihrer ei-genen
Ansicht sehr sicher; dabei orientieren sie sich bei ihren Argumenta-tionen an
Fakten und Expertenmeinungen.
2. Multiplisten: Sie vertrauen ihren subjektiven Ansichten und schätzen ihre
individuellen Überzeugungen als genauso bedeutsam und richtig ein wie die
von Experten.
3. Evaluative: Sie sind in der Lage, über Beweisführung, Alternativenfindung und
Gegenargumentation verschiedene Ansichten zu reflektieren und zu bewerten,
weswegen sie sich ein begründetes Urteil bilden.
Besonders bemerkenswert an Kuhns Arbeiten ist die Berücksichtigung einer großen
Variationsbreite bei der Stichprobenziehung, z. B. bezogen auf das Geschlecht, das Alter
und den Bildungsstand.
Schommers Modell unabhängiger Dimensionen
Schommer (1990) entwickelte einen völlig neuartigen Ansatz zur Analyse epistemologischer Überzeugungen, der sich von der Vorstellung einer klaren Abgrenzung in
verschiedene Entwicklungsphasen bzw. -gruppen löste. Sie entwarf, vor allem unter
Bezug auf Perrys CLEV und auf die Arbeit von Dweck und Leggett (1988), ein Sys-tem
von fünf relativ unabhängigen Dimensionen, die sie quantitativ mit Hilfe eines
Fragebogens („Epistemological Questionnaire“) untersuchte. Dabei wurden die
folgenden fünf Faktoren mittels 63 Aussagen, die in zwölf Subsets untergliedert waren,
untersucht:
1. Quick Learning (Lernen erfolgt schnell oder schrittweise)
2. Fixed Abi-lity (Lernfähigkeit ist angeboren oder veränderbar)
3. Simple Knowled-ge (Wissen besteht aus isolierten, einfachen Fakten oder aus
einem komplexen, vernetzten System)
4. Certain Knowledge (Wissen ist sicher oder unsicher)
5. Source of Knowledge (Wissen wird von Autoritäten vermittelt oder selbst
aktiv konstruiert)Der Fragebogen erlaubte erstmals Aussagen über die
Zusammenhänge zwischen epistemologischen Überzeugungen, Leistung und
Lernstrategien und wurde ein wichtiger Wegbereiter für eine neue Linie der
Erforschung epistemologische Überzeugungen.
30
Aufgaben:
Erklären Sie anhand eines eigenen Beispiels in "oma-kompatibler" Weise, warum man
das Nachdenken über komplexe Phänomene als "inneres Argumentieren" begreifen
kann, und warum für sophistiziertes "inneres Argumentieren" epistemologische
Überzeugungen von Relevanz sein können.
Fiktive Interviewfrage:
Können Entwicklungspsychologen endgültige Erklärungen für das Voranschreiten
kognitiver Leistungen vom Vorschulalter bis in die frühe Adoleszenz finden?
Geben Sie bitte einen Antwortausschnitt einer jeweils fiktiven Kommilitonin wieder, der
je einer der drei von Kuhn unterschiedenen Ebene zuzuordnen wäre. Begründung!
Haben sich im ihrem bisherigen Psychologie-Studium Anlässe ergeben, die Sie über
epistemologische Fragen haben nachdenken lassen und die ggf. zu einer Veränderung
Ihrer entsprechenden Überzeugungen geführt haben? Wenn ja, bitte kurz erklären.
Wenn nein, was hätte dafür wohl passieren müssen?
Musterlösung zum Thema „Entwicklung epistemologischer Überzeugungen“
Aufgabe 1:
Nach Deanna Kuhn ist das Argumentieren eine wichtige Strategie zum Wissenserwerb auf sozialer Ebene oder intrapersonell als „Nachdenken“. Diese Strategie spielt
besonders bei komplexen Problemen eine Rolle, wie hier an einem Beispiel erläutert
werden soll.
31
Das Thema „Bahnstreik“ ist ein komplexes Thema, welches nicht auf den ersten Blick zu
durchschauen ist. Es gibt keine definitive Lösung für das Problem, sogar die
Ausgangssituation kann als komplex bezeichnet werden. Ebenso sind Anzahl und Art
der Lösungsschritte nicht zweifelsfrei festzulegen.
Um bei einem solchen Problem zu einer fundierten Meinung oder gar einer Lösung zu
kommen, ist es notwendig, intensiv darüber nachzudenken, was hier einem inneren
Argumentieren (argumentieren mit sich selbst) gleichkommt: Man mag die
unterschiedlichen Seiten der Situation (Interessen von Bahn, Gewerkschaft, Kunden,
moralische Verpflichtungen, Wirtschaft...) zunächst grob gegeneinander abwägen, um so
zu einer Theorie (hier: einer Entscheidung oder Lösungsmöglichkeit) kommen zu
können. Diese muss argumentativ begründet werden. Anschließend ist es weiterhin
wichtig – will man sich wirklich ernsthaft mit dem Problem befassen – die eigene mit
möglichen anderen Positionen zu vergleichen, die Argumente dieser anderen Positionen
zu durchdenken und zu entkräften (oder aber die eigene Theorie zu modifizieren). Mit
diesem argumentativen Vorgehen ist es möglich, zu einem guten, das heißt fundierten
und durchdachtem Ergebnis zu kommen. Das intensive „Nachdenken“ funktioniert also
ganz ähnlich dem Argumentieren zwischen mehreren Personen.
Es gibt jedoch mehrere Faktoren, die Voraussetzung für dieses Vorgehen sind: Zum
Einen muss der „denkenden“ Person bewusst sein, dass sie die Strategie des
Argumentierens nutzen kann; sie muss merken, dass hier eine Strategie nötig ist und in
der Lage sein, eine geeignete auszuwählen (Metawissen). Das gibt ihr die Kompetenz,
das Argumentieren einzusetzen. Zum Anderen muss sie ein gewisses Level
epistemologischer Überzeugung erreicht haben: Befindet sie sich noch auf der (nach
Kuhn) absolutistischen oder der multiplistischen Stufe, ist sie sich relativ bis sehr sicher,
dass ihr momentaner Standpunkt „richtig“ ist. Sie berücksichtigt verschieden Positionen
nicht (absolutistisch) oder setzt sie nicht systematisch in Bezug zueinander
(multiplistisch). Dementsprechend wird sie – aufgrund dieser Sicherheit – keine
Notwendigkeit sehen, ihren Standpunkt argumentativ zu durchdenken und mit anderen
Standpunkten zu vergleichen. Um den nötigen Antrieb für die Anwendung der
Argumentationsstrategie zu erhalten, muss die Person sich also auf dem
evaluatistischen Level (Kuhn) befinden und sich der Unmöglichkeit von absolutem
Wissen sowie der niedrigen Sicherheit ihrer Ansichten bewusst sein und verschiedene
Positionen systematisch vergleichen können.
Aufgabe 2
Antwort auf absolutistischer Ebene:
"Es nervt etwas, dass wir immer nur so Wischi-Waschi-Theorien vorgestellt bekommen.
Ich würde es vorziehen, wenn mehr auf die Fakten, die man gefunden hat, fokussiert
werden würde. Die Theorien sind ja offenbar alle nicht das "Gelbe von Ei".
Begründung: Es wird auf Fakten Wert gelegt: Diese gibt es und diese sind das, was zählt.
Multiple Standpunkt werden nicht als legitim gesehen oder wertgeschätzt.
Antwort auf multiplistischer Ebene:
"Mir scheint, dass sich da viele Entwicklungspsychologen ihre eigene Theorie
"zusammengebastelt" haben. Sie erklären alles etwas, aber vieles auch wieder nicht.
Eigentlich ist es völlig egal, welche Theorie man heranzieht, da ja keine bewiesen ist."
32
Begründung: Der Fokus ist nicht mehr auf den Fakten, sondern auf den multiplen
Standpunkten. Diese werden als "austauschbar" und mehr oder weniger gleich legitim
gesehen.
Antwort auf evaluatistischer Ebene:
"Wir haben ja eine Vielzahl von Theorien vorgestellt bekommen, die alle nicht die
endgültige Antwort sind. Wir haben aber auch gesehen, dass man die Theorien bezüglich
Ihrer Stärken und Schwächen bewerten kann. Manche Theorien, etwa Piaget, haben
auch primär historischen Wert, indem sie weitere Forschung angestoßen haben. Was ich
- glaube ich - gelernt habe, ist, dass man wissenschaftliche Ansätze, Theorien nicht
einfach für "bare Münze" nehmen sollte. Man muss sie vielmehr kritisch bewerten und
dann sehen, welchen Wert sie dann haben."
Begründung: Der Fokus ist nicht mehr auf den Fakten, sondern auf den multiplen
Standpunkten. Diese werden als bewertbar und mit spezifischen Stärken und
Schwächen versehen eingeschätzt.
Aufgabe 3
Beispiele für solche Anlässe könnten sein:
 Vielfältige, sich oft widersprechende Studien und Theorien zu Gebieten,
jahrzehntelange Diskussionen (z.B. Anlage-Umwelt, Erklärung von
Gedächtnisphänomen, Entwicklung...)
 Veränderung von Theorien über die Jahre hinweg, Paradigmenwechsel – oft hin
zu massiv anderen Erklärungsmodellen
 Fällt auf, dass zu allen Theorien der Punkt „Kritik“ folgt – nichts ist
unangefochten, geschweige denn „wahr“
 Methodenkritik, Gegenevidenz und massivste Einschränkung sogar der „größten“
Psychologen der Geschichte (z.B. schwere Kritik an Freud, Piaget)
All dies sind Situationen, die einem Studenten gerade auch der Psychologie begegnen
und seine Einstellung zu epistemologischen Fragen grundlegend beeinflussen können.
Es wird immer deutlicher, dass Wissen nicht absolut, sondern in höchstem Maße von
der Perspektive des Betrachters sowie auch von u.a. historischen und kulturellen
Faktoren abhängig ist. Die epistemologischen Vorstellungen entwickeln sich immer
mehr von der Suche nach Wahrheit hin zum Streben nach erklärungsmächtiger Theorie.
33
Spracherwerb:
-
-
-
-
Meilensteine und Entwicklungslinien des Spracherwerbs
bereits vorgeburtlich, Wiedererkennensleistung und Präferenz rhythmisch
prosodischer Merkmale, Unterscheidung von anderen
zentrale Entwicklungsaufgabe 1. LJ: erwerb phonologisch- prosodischen Wissens
der Muttersprache
zunehmend differenzierteres Wissen über prosodische Satzgliederung
frühe phonologische Entwicklung: sensitiv für lautliche Kontraste, Kategorien
und Lautkombinationsregeln- Unterscheidung für andere Sprachen nimmt dabei
parallel ab
Einstieg in den Worterwerb: 4 Monate- Erkennung des eigenen Namens im
Laustrom, 9 Monate: erstes Wortverständnis
Ende des 1. LJ Wissen über suprasegmentalen r-p Charakter der Muttersprache,
Regularitäten = Grundlagen für den Wortschatz und Grammatikerwerb
zentrale Entwicklung im 2. LJ: lexikalische Entwicklung
10-14 Monate: produkive Nutzung, rezeptiver Wortschaftz 60
17-19 Monate, 50 produktiv, 200 rezeptiv; 9 neue Wörter pro Tag =
Wortschatzspurt
erste vorläufige Bedeutung nach einmaliger Präsentation = „fast mapping“, Wort
Objekt Zuordnung, Extension
Kinder tragen selbst Erwartungen („Constraints“) heran, viele Unter- oder
Übergeneralisierungen
20 Monate: produktiv 170 (große Varianz)
erste Wortkombinationen: ab 18 Monate, kommunikativ nützlich aber
kontextgebunden
deutsche Kinder lassen oft Artikel, Hilsverben weg, in anderen Sprachen nicht
der Fall
zentrale Entwicklungsaufgabe 3. LJ: Erwerb grundlegender Satzbaupläne und
morphologischer Paradigmen
komplexere Sätze aber häufig, durch eingeschränkte Aufmerksamkeitsspanne,
auf Kosten phonologischer Details
Ende des 3. LJ: nicht hier und jetzt = Planen möglich
Abstrakte Regularitäten: keine lineare Annäherung an die Erwachsenensprache
sondern schrittweise systeminterne Reorganisation; Indikatoren der
schrittweisen Abstraktion:
a) lexikalische Fehler (Übergeneralisierung) und Erwerb von
Hintergrundbedeutung
b) morphologische Fehler (falsche Übergeneralisierung, aber auch
Rückgang
durch Ersetzung mit korrekten Formen)
c) fälschliche Übermarkierungen (Reorganisation der FormFunktionseinheit) Sprachsystem wird nun selber Gegenstand nicht bewusster
Analyseprozesse
metalinguistisches bewusstsein aber erst ab 6/7 mit Vorläufern im Vorschulalter
phonemisches Bewusstsein aber erst mit Beginn des Schriftsprachenerwerbs
34
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-
Spracherwerb im Kontext anderer Entwicklungsbereiche:
extreme Positionen: kognitiv- deterministisch oder nativistisch- modular = Kind
bringt ein autonomes, modular abgekapseltes Sprachverarbeitungssystem im
Sinne Fodors oder von Beginn an Universalgrammatik (Chomsky)
outside in Theorie: zentrale bedeutung der kognitiven Entwicklung und des
Lernens für den Spracherwerb
Spracherwerb und kognitive Entwicklung:
Spracherwerb als eigenständiger Problembereich aber keine vollständige
Dissoziation
Wortschatz hat zb gedächtnisbezogene Voraussetzungen
Bootstrapping / Constraint Theorien: Zusammenwirken von bereits erworbenen
sprachlichen Wissenskomponenten und spezifischen
Infoverarbeitungsprinzioien
Rückwirung des Spracherwerbs auf das Wissen und Konzepterwerb = theory of
mind = sprachlich vermittelter Erwerb inhaltlicher und metakognitiver
Wissensbestände und Selbstregulierung (Piaget, Vygotsky)
Spracherwerb und sozial kommunikative Entwicklung:
Kinder von Beginn an soziale Wesen
Bedeutung sprachlicher Interaktion für den Spracherwerb
kindliche Sensitivität für Rhythmik und Prosodie trifft auf eine entsprechend
strukturierte Umweltsprache (baby talk als Unterstützung, geeignete
Dialogstrukturen, gemeinsame Aufmerksamkeitslenkung)
intuitive Sprachlehrleistungen
35
Geschlechtstypisierung, O+M Kapitel 19
1. Einleitung

Bedeutung des Geschlechts für Individuum und Gesellschaft
In wenigen Kulturen gibt es auch noch andere Geschlechtskategorien als männlich/
weiblich, z.B. nordamerikanische Indianer: „Berdaches“: sowohl für Frauen als auch
Männer beschrieben, können männliches/ weibliches Verhalten zeigen;
Moderne Industriekulturen: Queers, Transgenders, Drags, etc.
Umwelt und Sprache
Natur bestimmt männlich/ weiblich, Umwelt legt fest, was es bedeutet männlich oder
weiblich zu sein;
Kind macht geschlechtsspezifische Erfahrungen schon bevor es sich selbst als männlich
oder weiblich ansieht.
 Viele Bemühungen, sprachlichen Sexismus (Titel, Berufsbezeichnungen, etc.) abzubauen.
Identität
Geschlecht hat für Aufbau und Aufrechterhaltung der Identität zentrale Bedeutung;
 Wichtig für Entwicklungspsychologie, wie die Geschlechter ihre Geschlechtstypisierung wahrnehmen, und wie dies mit Verhaltensweisen und Eigenschaften zusammenhängt;
Geschlechtsspezifische und Geschlechtstypische Merkmale
Biologische/ Soziale Geschlechtskategorien sind dichotom und invariant, die mit diesen
Kategorien verbundenen physischen und psychischen Merkmale allerdings nicht!
„Geschlechtsspezifisch“: ist ein Merkmal nur dann, wenn es tatsächlich nur bei
einem Geschlecht vorkommt!
 trifft nur auf wenige spezifische Merkmale zu, die mit Reproduktion in
Zusammenhang stehen; (z.B. Menstruation, stillen, etc.)
„Geschlechtstypisch“: alle Merkmale, die relativ häufiger bei einem Geschlecht
vorkommen (die meisten psychischen, aber auch physischen Merkmale!)
Allgemein herrscht in Gesellschaften hinsichtlich geschlechtstypischer Merkmale ein
ziemliches „Entweder – Oder“ vor; z.B. Frauen etwas besser für Kinderpflege geeignet ->
schnell abgeleitet, dass nur Frauen Kinderpflege übernehmen sollten!

Die Geschlechtsvariable in der psychologischen Forschung
Psychologische Forschung zum Thema Geschlechterdifferenzierung kann man in 3
Gruppen unterteilen (je nach Art der Verwendung der Geschlechtsvariable):
1. Geschlecht als individuelles Merkmal
2. Geschlecht als soziale Kategorie und Stimulusvariable
3. Geschlecht als Dimension der Selbstwahrnehmung
36
Ad. 1.) Geschlecht als individuelles Merkmal:
Tradition der Differentiellen Psychologie -> Geschlecht als individuelles Merkmal, Geschlecht: UV in empirischen Untersuchungen, Merkmale sind AV; Maß für Geschlechtsunterschiede: Mittelwertsdifferenzen zwischen beiden Geschlechtsgruppen;
Ad. 2.) Soziale Kategorie und Stimulusvariable:
Geschlecht als bedeutsame soziale Kategorie betrachtet, mit der bestimmte Rollenerwartungen und Rollendifferenzierungen verknüpft sind.
 alle heranwachsenden männlichen/ weiblichen Personen werden mit geschlechtsbezogenen Informationen konfrontiert
 Geschlecht ist also auch ein sozialer Stimulus!
 Man fragt nicht nur nach Unterschieden zwischen den Geschlechtern sondern
eher danach, was für einen Unterschied es macht, in einem bestimmten Kontext
männlich oder weiblich zu sein;
Ad. 3.) Dimension der Selbstwahrnehmung und Informationsverarbeitung:
Ausmaß der eigenen Geschlechtstypisierung kann ebenfalls zu einem sozialen Stimulus
(für einen selbst und andere) werden.
Im Vordergrund steht Selbstwahrnehmung -> wie unterscheiden sich Personen mit unterschiedlich selbst erlebter Geschlechtsidentität?
Informationsquellen des Selbstkonzepts
Aufbau der individuellen Geschlechtsidentität auf Grundlage mehrerer Informationsquellen:
 Wahrnehmung und Beobachtung von Attributen der eigenen Person
 Vergleich von Attributen der eigenen mit denen anderer Personen
 Soziale Reaktionen auf eigenes Verhalten;
Sowohl Selbstwahrnehmung als auch Wahrnehmung durch andere orientiert sich in
hohem Maß an sozialen Geschlechtskategorien;
Geschlechtsschema – Theorien
Im Lauf der Entwicklung bauen sich auf Grundlage sämtlicher Informationen Geschlechtsschemata auf -> werden zu einer Art Filter der Aufnahme und Speicherung
weiterer eingehender Informationen;
 Beim Aufbau dieser gibt es sowohl große intraindividuelle Veränderungen als
auch interindividuelle Schwankungen;
 Die Geschlechtsidentität als Teilaspekt der individuellen
Geschlechtstypisierung
Bis ca. 70er: Geschlechtstypisierung als ganzheitlicher Prozess betrachtet -> „Geschlechtsrollenübernahme“, „Geschlechtsrollenidentifikation“.
Mit dieser Sichtweise waren meist noch folgende Annahmen verbunden:
 Übernahme von der sozialen Umwelt vorgegebenen Geschlechtsrollenstandards ist ein „natürliches“ Entwicklungsziel.
 Die entscheidenden Prozesse finden in der frühen Kindheit statt
 Die größte Bedeutung kommt dabei den Eltern zu (Bekräftigung von ge37
schlechtstypischen Verhalten)
 Meist nur Jungen untersucht
 Fast nur interindividuelle, kaum intraindividuelle Unterschiede untersucht!
Alle 3 Thesen heute überholt!
Wandel der Forschungsfragen
70er: Frauenbewegung -> „Frauenfragen“ beherrschen die Diskussion!
 Eher Vereinigung aller positiven männlichen/ weiblichen Eigenschaften Entwicklungsziel;
 Jugend-, Erwachsenenalter eher im Blickpunkt
 Spätere Entwicklung nicht mehr als determiniert angesehen
 Einfluss von Peers zunehmend größere Bedeutung beigemessen;
2.1. Huston Matrix
Huston (1983): Differenzierung der Geschlechtstypisierung in Form einer Matrix:
 4 Konstrukte (Entwicklungsdimensionen) unterschieden
 (Konzepte/ Identität/ Präferenzen/ manifestes Verhalten)
 Können sich auf jeweils 5 Inhaltsbereiche beziehen. (1998 um einen 6. erweitert)
 Festgestellt, dass die verschiedenen Entwicklungsmerkmale der Geschlechtstypisierung weniger eng korrelieren, als eine ganzheitliche Konzeption erwarten
lässt.
 Geschlechtsidentität stellt demnach nur einen Teilaspekt der individuellen Geschlechtstypisierung dar;
Weitere Unterscheidung:
 Globale Geschlechtsidentität: überdauernde Selbstwahrnehmung, eindeutig
männlich oder weiblich zu sein;
 Spezifische Geschlechtsidentität: z.B. Erleben des eigenen Körpers, der eigenen
Fähigkeiten, Interessen, Verhaltensweisen, etc. als eher maskulin oder feminin.
Früher: Maskulinität und Femininität als gegensätzliche Pole betrachtet -> heute als
zwei voneinander unabhängige Dimensionen aufgefasst (d.h. in einem Menschen können maskuline und feminine Anteile vereinigt sein).
Es muss also nicht in allen Bereichen eindeutig eine maskuline/ feminine Identität gegeben sein, z.B. kann man homosexuell sein, und sich trotzdem als Mann/ Frau verstehen.
2.2. Individuelle konstitutive Elemente des Selbstkonzepts
Kognitive Aspekte
Welche kognitiven Aspekte sind wesentlich zur Aufrechterhaltung der Geschlechtsidentität?
 Kulturabhängig (z.B. in unserer Kultur ist äußeres Erscheinungsbild wichtiger als
typisch männlich/ weibliche Fähigkeiten)
 Untypisches Erscheinungsbild tangiert die Geschlechtsidentität bei einer Frau
mit ansonsten femininem Selbstkonzept nicht.
38
 Es kann aber auch notwendig werden, sich äußerlich stärker anzupassen, damit
Geschlechtsidentität nicht ins Wanken gerät -> z.B. abhängig von Subgruppen der
eigenen Geschlechtsgruppe (z.B. Girlies, Emanzen, Karrieretyp, etc.)
Entwicklungsverlauf
Jüngere Kinder denken noch in absoluten Kategorien von Männlich/ weiblich (z.B. Junge
sein bedeutet gleichzeitig auch maskulin zu sein). Beschäftigung mit geschlechtsuntypischen Aktivitäten führt somit sofort zu Gefährdung der Geschlechtsidentität.
 Kinder wählen lieber ein unattraktives, geschlechtstypisches Spielzeug statt einem attraktiven geschlechtsuntypischen!
Erwachsene wissen, dass Geschlechtsgruppe und Maskulinität/ Femininität sich unterscheiden.
Emotionale Aspekte und Verhaltenskomponenten
Individuelle Geschlechtsidentität beinhaltet eine emotionale – und eine Verhaltensseite;
(z.B. ersichtlich in Konflikten zwischen Kindern wegen geschlechtsuntypischen
Verhalten!)
Huston – Matrix:
- Emotionale Anteile unter „Präferenzen“
- Verhaltenskomponente unter „geäußertes Verhalten“
 Die Entwicklung der Geschlechtsidentität über die Lebensspanne



Anfangs: chromosomale Festlegung XX/ XY
5. SSW: Ausdifferenzierung der Gonaden
10. – 12. SSW: Ausbildung innerer und äußerer Genitalstrukturen -> an äußeren
wird das soziale/ Erziehungsgeschlecht bestimmt;
Festgelegte Entwicklungsschritte
Vor der Geburt müssen die Entwicklungsschritte in einem gewissen zeitlichen Rahmen
auftreten; Kommt es zu einer Störung, sind alle danach ablaufenden Schritte ebenfalls
gestört.
 Auch nach der Geburt von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter tw. feste Abfolgen (z.B. Menarche, Menopause)
 Kognitive/ affektive Komponenten sind allerdings auch von sozialen/ individuellen Entwicklungsvoraussetzungen abhängig.

Entwicklung der Geschlechtsidentität in der Kindheit
3.1.1 Null bis zwei Jahre
Habituationsexperimente  man kann sehen, welche kategorialen Unterschiede wahrgenommen/präferiert werden.
- Ab 3 – 6 Monaten: können Säuglinge männliche/ weibliche Stimmen auseinander
halten
39
-
Ab 9 – 12 Monaten: können sie männliche/ weibliche Gesichter unterscheiden 
wissen auch, welche Gesichter und Stimmen zusammengehören.
Ab 10 – 14 Monaten: 2 Filme vorgespielt -> schauen Kinder des eigenen Geschlechts signifikant häufiger an! (besonders Mädchen!)
Unterscheidung: v.a. anhand visueller Merkmale wie Haarlänge, Kleidung; Genitalien
spielen noch keine Rolle;
Kinder könne in diesem Alter allerdings die Frage „bist du ein Bub/ Mädchen“ noch
nicht beantworten; (erst mit 2,5 – 3 Jahren)
Jungen identifizieren sich stärker mit eigenem Geschlecht -> merken sich in einem Experiment typisch männliche Spielhandlungen besser!
Bis zum Ende des 2. LJ können Kinder beide Geschlechter klar unterscheiden, und besitzen zumindest rudimentäres Wissen über Gegenstände/ Verhaltensweisen, die zu den
Geschlechtern passen;
3.1.2 Drei bis sechs Jahre
3 Jahre:
o Geschlechtszugehörigkeit wird noch nicht als erschöpfende Klasse gesehen
o Kein Wissen über Geschlechtskonstanz
Geschlechterkategorien
Bekommen jetzt zunehmende Bedeutung –> zurückzuführen auf Tendenz zur Gruppierung von Dingen nach Ähnlichkeiten/ Verschiedenheiten in diesem Alter. Kinder erkennen, dass sie Geschlecht nicht durch Wunsch oder Erscheinung wechseln können.
Geschlechtsstereotype
Kinder erweitern jetzt ihr Wissen über Geschlechtsattribute -> Überzeugung, dass bestimmte Gegenstände/ Aktivitäten besser zu einem Geschlecht passen als zum anderen;
Entwickeln sich bei beiden Geschlechtern etwa gleich schnell; „Gute“ Eigenschaften werden aber tendenziell dem eigenen Geschlecht zugeschrieben.
Auch bestimmte metaphorische Eigenschaften werden als typisch männlich/ weiblich
klassifiziert; z.B. Feuer, Haie, etc. -> männlich, Schmetterlinge Wolken -> weiblich)
Vorschulalter: Geschlechtskonzepte sehr rigide -> Wahl von Spielzeug orientiert sich
jetzt stark an Kriterium der Geschlechtsangemessenheit;
Geschlechtshomogene Gruppen
Gleichgeschlechtliche Interaktionsartner7 Veraltensmodelle werden immer wichtiger 
geschlechtshomogene Gruppen wichtig! Hier entwickeln sich unterschiedliche Spielkulturen.
Jungen entwickeln intensiver Dominanzhierarchien, sind darauf aus, ihren Status zu
sichern;
 Mädchen empfinden die Spielweise der Buben oft als zu grob, lassen sich weniger
beeinflussen!
3.1.3 Sieben bis elf Jahre
Ab 7 Jahre: Zwei entscheidende Entwicklungsvoraussetzungen gegeben, um Geschlechtskonstanz verstehen zu können:
40
-
Konkret – operationales Denken: sichere Unterscheidung zwischen äußerer Erscheinung und erschlossener Wirklichkeit
Erkenntnis der genitalen Grundlage des Geschlechts;
Flexiblere Geschlechtsrollenstereotype
Bislang rigide Geschlechtsstereotypen werden langsam flexibler. Es wird erkannt, dass
auch Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern bestehen.
Weiter höhere Rigidität bei:
 Merkmalen der Erwachsenenrolle im Vgl. zu Merkmalen der Kinderrolle
 Bei maskulinen Eigenschaften
 Eher bei Aktivitäten als bei Persönlichkeitseigenschaften
Vorschulkinder urteilen über Interessen/ Vorlieben einer Person die sie nicht kennen
fast ausschließlich auf Grundlage des Geschlechts;
Während der mittleren Kindheit steigt die Akzeptanz nicht geschlechtstypischen Verhaltens an.
Geschlechtsrollenpräferenzen
Im Grundschulalter treten generelle Alterstrends gegenüber interindividuellen des Entwicklungsverlaufs in den Hintergrund.
3.2. Geschlechtsidentität in der Adoleszenz
Über weitere Entwicklung in der Adoleszenz ist weniger bekannt als in der Kindheit;
Beschäftigung mit dem Selbst
Zunehmende Beschäftigung mit dem Selbst, erhöhte Selbstaufmerksamkeit -> Gewinnung der Identität -> Teil davon: Geschlechtsidentität;
Gründe für erhöhte Beschäftigung mit dem Selbst:
 Jugendlicher versteht, dass es gemeinsame und verschiedene
Eigenschaften und Interessen mit anderen gibt
 Druck von außen wächst, sich mit eigener Zukunft (Beruf/ Familie) auseinander zusetzten.
 Rasche und auffällige körperliche Veränderungen;
Entwicklungsaufgaben
(Erstmals) thematisierte Inhalte im Jugendalter:
 Akzeptierung des weiblichen/ männlichen Körpers
 Aufbau der sexuellen Orientierung
 Aufnahme neuartiger Beziehungen zu Gleichaltrigen
 Auseinandersetzung mit Geschlechtsrollen
 Ausbildung schulischer/ beruflicher Interessen
Oft zentrieren sich Selbstwahrnehmung/ Selbstbewertung auf die Frage nach der
Attraktivität beim anderen Geschlecht -> Aussehen bei Mädchen wichtiger als bei Jungen!
41
Physische Reifung
In der Pubertät werden die körperlichen Geschlechtsunterschiede markanter. Körperliche Reifung bei Mädchen früher -> Förderung gleichgeschlechtlicher Freundschaften!
Allerdings erhebliche interindividuelle Unterschiede!
Geschlechtsunterschiede
Bei schulischen Interessen in Richtung von Geschlechtsstereotypen -> beeinflusst spätere Berufswahl!
Jungen ist ihre berufliche Zukunft wichtiger.
Geschlechtsstereotype
Kenntnis kann bei Jugendlichen vorausgesetzt werden; ob sie zu-, oder abnehmen ist
nicht geklärt.
 Müssen sich nicht unbedingt auf die Wahrnehmung bekannter Jungen und
Mädchen auswirken!
Geschlechtersegregation
Wird im Jugendalter eher zugunsten heterosexueller Beziehungen aufgebrochen; andere
Abgrenzungsmerkmale als Geschlecht werden bedeutsam, z.B. Kleidung, Sprache, Werte,
etc.
3.3. Geschlechtsidentität im Erwachsenenalter
3 neue Entwicklungsaufgaben:
 Eingehen dauerhafter Partnerbeziehungen
 Ausfüllung einer Berufsrolle
 Übernahme elterlicher Pflichten
Verhaltenstendenzen aus Kindheit und Jugend sind entsprechend zu
transformieren.
Rollenvorgaben
Heute immer noch starke Geschlechtsunterschiede -> Geschlechtsidentität erhält erneut
eine besondere Bedeutung für die erwachsene Persönlichkeit; -> Verhaltensspielraum
durch Rollenvorgaben viel enger als in der Kindheit -> führt zu strukturellen
Unterschieden in sozialen Positionen von Männern und Frauen;
Rolle der Frau
 Stärkere ökonomische Abhängigkeit
 Oder Doppelbelastung
Führt zu Konflikte in folgenden Bereichen:
 Globale Geschlechtsidentität (wird nicht in Frage gestellt)
 Selbstkonzept eigener Femininität – Maskulinität
 Individuelle Präferenzen und Lebensziele
Sozialer Wandel
 Stärkere Ausrichtung von Frauen auf den Beruf
 Hinausschieben des Heiratsalters
42


Absinken der Kinderzahl
Aufnahme von Ausbildungen und Berufstätigkeit nach einer Phase der Hausfrauentätigkeit
Komplementäre Entwicklungen bei Männern sind nicht festzustellen (außer bei
stärkerer Beteiligung bei Kindererziehung)
In der 2. Lebenshälfte findet dann eine gewisse Annäherung der beiden Geschlechter in
ihrer Geschlechtsidentität statt -> biologische Sicht: keine Notwendigkeit von
Reproduktion mehr vorhanden!
 Erklärungsansätze für die Entwicklung der Geschlechtsidentität
Freud: Theorie der psychosexuellen Identifikation
Gegenstand: Ausbildung der heterosexuellen Orientierung;
 Bewältigung des Ödipuskomplexes in der phallische Phase (5. LJ). Kleiner Junge
begehrt die Mutter sexuell -> erlebt Vater als Rivalen -> Kastrationsängste ->
identifiziert sich mit bedrohlichem Vater -> sexuelles Begehren der Mutter
verwandelt sich in Zärtlichkeit -> Heterosexualität in Pubertät manifest!
 Mädchen: verläuft gleich, aber: an Stelle von Kastrationsangst -> Penisneid! Identifikation mit Mutter erfolgt aus Angst vor Liebesverlust.
Nicht empirisch fundiert -> heute nur noch historische Bedeutung!
Gegenstand aktueller Erklärungsansätze
Aktuell 3 verschiedene:
1.) Aufbau der Geschlechtsidentität/ Veränderungen im Lauf der Ontogenese
2.) Unterschiede zwischen den Geschlechtern
3.) Individuelle Unterschiede innerhalb der Geschlechter
 schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern ergänzen sich!
1.1
Biologische Ansätze
1.1.1 Chromosomale/ hormonelle/ neuronale Grundlagen
Chromosomensatz XX/ XY führt nicht nur zum biologischen, sondern auch zum sozialen
Erziehungsgeschlecht -> gehen die chromosomalen Unterschiede nur mit physischen,
oder auch mit Verhaltensunterschieden einher?
Da meist chromosomales/ gonadales/ morphologisches und Erziehungsgeschlecht übereinstimmen, lässt sich in Fällen von „normaler“ Entwicklung nicht sagen, welches
Gewicht den einzelnen Faktoren zukommt
-> Nur bei Widersprüchen auf den verschiedenen Ebenen feststellbar!
Literatur: hauptsächlich klinische Bsp. Über hormonelle Faktoren;
 Weisen darauf hin, dass die vorgeburtlich einwirkenden Hormone zu
unterschiedlichen Mustern späteren Sozialverhaltens beitragen.
 Jungen/ Mädchen dürften auf verschiedene Arten von Reizen emotional
43
unterschiedlich reagieren!
 Ob sich eher das soziale/ biologische Geschlecht durchsetzt, wird
kontrovers diskutiert.
1.1.2 Evolutionäre Grundlagen der Geschlechtsdifferenzierung
Geschlechtsunterschiede am ehesten dort zu erwarten, wo großer Selektionsdruck
herrschte!
Drei biologische Imperative:
 Bis ins fortpflanzungsfähige Alter überleben
 Sich fortpflanzen
 Nachwuchs aufziehen, bis dieser das fortpflanzungsfähige Alter erreicht hat;
Unterschiedliche Fortpflanzungsfunktionen der beiden Geschlechter:
♀: begrenzte Zahl von Nachkommen, lange Schwangerschaft und Pflegezeit
♂: viele Nachkommen, Unsicherheit über Vaterschaft;
 unterschiedliche Verhaltensstrategien in der Konkurrenz um Sexualpartner!
 Geschlechtsunterschiede sind wahrscheinlich dann evolutionär bestimmt, wenn sie
kulturübergreifend vorkommen, und wenn es geringen Sozialisationsaufwandes bedarf, um sie auszulösen;
Schwächen:
 Gegenstand sind nur Unterschiede zwischen, nicht innerhalb der
Geschlechter
 Angepasstheit des Verhaltens zeigt sich erst nach Erreichen der Fortpflanzungsreife -> erklärungsbedürftige Entwicklungsprozesse finden
jedoch schon vor dieser Zeit statt.
 Keine Aussagen, auf welchem Weg die geschlechtstypischen Prädispositionen vermittelt werden.
 Biologische Faktoren und Verhalten beeinflussen sich wechselseitig
1.2
Sozialisationstheoretische Ansätze
4.2.1 Bekräftigungstheorie: 3 aufbauende Hypothesen



Differentielle Erwartungen an Jungen und Mädchen: empirisch gut belegt, allerdings kann man daraus nicht ableiten, dass Eltern ihre Kinder deshalb auch so erziehen!
Differentielle Bekräftigungen für unterschiedliches Verhalten: konnten ebenfalls
nachgewiesen werden, besonders für Spielverhalten und wenn Väter einbezogen
wurden. (Jungen: stärkeres Leistungs-, Wettbewerbsverhalten, mehr Strafen,
Mädchen: mehr Zuwendung, Erziehung zur Sauberkeit, Unterbinden von zu wilden Spielen) -> nimmt mit zunehmendem Alter ab, und in der Adoleszenz wieder
zu!
Differentielle Bekräftigungseffekte: Geschlechtstypisierung nimmt aufgrund unterschiedlicher Bekräftigungsmuster zu.
44
Interpretationen
Elterliches Verhalten kann sowohl als Ursache für Geschlechtsunterschiede aufgefasst
werden, als auch als Folge -> möglicherweise beeinflussen Eltern nur dann das
Verhalten ihrer Kinder, wenn es außerhalb des Toleranzbereichs der Geschlechtsrollenerwartungen liegt.
Auch Lehrer, Geschwister, Peers haben großen Einfluss -> letztere besonders aufgrund
der Tendenz zur Geschlechtersegregation!
1.2.2 Imitationstheorie
Imitation von weiblichen/ männlichen Modellen führt zur Geschlechtsidentität.
3 Teilhypothesen
 Differentielle Beobachtungshäufigkeit: es gibt mehr Gelegenheiten zur Beobachtung gleichgeschlechtlicher Modelle als gegengeschlechtlicher -> nicht
richtig -> gleich viel Kontakt zu beiden Geschlechtern außer in früher Kindheit:
mehr Kontakt zu Frauen!
 Selektive Nachahmung: es werden eher gleichgeschlechtliche Modelle imitiert
(gilt nur bedingt -> selektive Nachahmung erst, wenn geschlechtstypische Verhaltenswiesen und Einstellungen bereits ausgeprägt sind).
 Der gleichgeschlechtliche Elternteil ist das bevorzugt nachgeahmte Modell ->
konnte nicht empirisch belegt werden!
Die im Lauf des Vorschulalters auftretende zunehmende selektive Nachahmung ist eher
Ergebnis kognitiver Verarbeitungsprozesse als Grundlage des Aufbaus von Geschlechtsidentität; -> verstärkt nur bereits vorhandene Tendenzen!
Selbstsozialisation: Informationen über geschlechtstypisches Verhalten/ Modelle
werden nicht selten vom Subjekt selbst ausgesucht!
4.3.
Kognitive Ansätze
Bereits in ersten LJ rudimentäres Wissen über Geschlechtsdifferenzen -> wächst an und
führt zu zunehmendem Verständnis für biologische/ soziale/ psychische Geschlechterdifferenzierung;
 Treibende Kraft die für das eigene Geschlecht typischen Merkmale zu
übernehmen, und positiv zu bewerten!
 Selbstsozialisation von zentraler Bedeutung
 Äußere Anstöße nur Erleichterung
4.3.1 Theorie Kohlbergs
Prozess zur Entwicklung der Geschlechtsidentität vollzieht sich in 3 Schritten:
1. Auf Basis wahrgenommener Ähnlichkeiten vollzieht sich die Selbstwahrnehmung
als Junge/ Mädchen mit ca. 2 – 3 Jahren
45
2. Mit zunehmendem Verständnis für Geschlechtskonstanz nimmt die aktive Suche
nach geschlechtsbezogenen Informationen deutlich zu
3. Führt zu selektiver Nachahmung gleichgeschlechtlicher Modelle;
Entscheidend: Verständnis der Geschlechterkonstanz! Aber:
 Geschlechtstypische Präferenzen werden bereits einige Jahre davor
beobachtet -> es scheinen auch niedrigere Formen des
Verständnisses der Geschlechtsdifferenzierung auszureichen!
 Höhere Bewertung der männlichen Rolle durch beide Geschlechter
nicht mit Kohlbergs Theorie vereinbar
 Weiterhin ungeklärt, inwieweit Geschlechtsstereotype den Geschlechtspräferenzen vorausgehen oder auf sie folgen.
4.3.2 Geschlechtsschema Theorien: (Martin und Halverson)
Geschlechtsschema: kognitive Repräsentation sämtlicher geschlechtsbezogener Informationen.
 Lenken die Informationsverarbeitung
 Steuern das Verhalten.
Es handelt sich um einen aktiven Konstruktionsprozess, wobei das aufgebaute Wissen
auch eine motivationale Funktion hat  primär Frage danach, wie sich diese Schemata
im Lauf der Kindheit entwickeln.
2 Arten von Schemata unterschieden:
 Allgemeines Schema von männlich und weiblich (overall ingroup –
outgroup – Schema) -> Kategorisierung von Eigenschaften/
Aktivitäten/ Rollen als typisch männlich/ weiblich.
 Spezifisches Schema des eigenen Geschlechts (own sex schema)
engere und detailliertere Version eines Teils des allgemeinen Schemas
-> gleichzeitig tritt das Phänomen der Höherbewertung der eigenen
Geschlechtsgruppe auf!
Offene Fragen
 Unter welchen Bedingungen werden schemakonsistente/ schemainkonsistente
Informationen beachtet und behalten?
 Welche Variablen beeinflussen sie subjektive Bedeutsamkeit der Geschlechtsvariablen?
5. Schlussfolgerungen und Ausblick
Verschiedene Theorien sollten so integriert werden, dass das Zusammenwirken biologischer/ sozialer/ kognitiver Faktoren deutlich wird.
 Alle Faktoren zielen darauf ab, die individuelle Entwicklung in eine geschlechtstypische Richtung zu lenken.
 Ausbildung einer Geschlechtsidentität scheint also überdeterminiert zu sein.
46
 Geringe Geschlechtsunterschiede die von einem Faktor hervorgerufen werden
(z.B. evolutionär bedingtes stärkeres Wetteifern bei Kindern) wird dann noch
von außen verstärkt.
 Wenn diese Faktoren über längere Zeiträume wirken, werden die Unterschiede
immer größer, und generalisieren auf die unterschiedlichsten sozialen Kontexte.
 Entwicklung der Geschlechtsidentität ist somit als transaktionaler Prozess anzusehen.
Wandel der Passung Individuum – Umwelt
Die Passung von individuellen Faktoren und Umweltgegebenheiten ist einem ständigen
Wandel unterworfen. Sowohl Bedeutsamkeit verschiedener, als auch Auswirkungen von
gleichen Faktoren ändern sich.
Geschlecht als relationale Variable
Entwicklung der Geschlechtsidentität ist außer auf der individuellen Ebene auch auf anderen Ebenen zu sehen:
 Interpersonelle Ebene
 Intergruppenebene
 Interkulturelle Ebene
Geschlechtsidentität wird damit zu einer relationalen Variable:
 Sozialpsychologische Ansätze geraten ins Blickfeld, welche die Entwicklungspsychologie vernachlässigt hat.
47
Wie kann man die Rigidität der Geschlechter-vorstellungen im Kindergartenalten
erklären und warum "kann" diese nach dem Erkennen der Geschlechtskonstanz
abnehmen?
Könnte eine Teil der positiven Effekte von Mono-Edukation auf die fehlende Aktivierung
von geschlechtsbezogenen Schemata zurückzuführen sein? Warum?
48
Entwicklung der Leistungsmotivation
- Was ist Leistungsmotivation:
- besondere Form der Zielverfolgung- Handlungen oder Handlungsergebnisse
werden auf einen Tüchtigkeitsmaßstab bezogen- am Ende steht Erfolg oder
Misserfolg
- leistunsmotiviert = wenn die Bewertung der eigenen Tüchtigkeit den
wesentlichen Anreiz für die Zielverfolgung darstellt (+normaitve Dimension- kein
Schummeln)
- Bezugsnormen = normative Vermittlungsglieder
- durch Erfolg/ Misserfolg ausgelöste oder antizipierte Emotionen (Scham, Neid)
- Leistungsmotivation als Schlüsselkompetenz zur erfolgreichen Bewältigung von
zb Schule
- Komponenten der Leistungsmotivation und ihre Entwicklung:
- am Anfang zb Erwartungs mal Wert Theorie nach Atkinson,
Selbstbewertungsmodell nach Heckhausen
- Leistungsmotivation als Selbstbewertungssystem: Heckhausens
Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation als Integration der Theorien
von McClelland, Atkinson und Weiner
- von McClelland: Leistungsm. als Resultat 2er Strebungen =
1) erfolgszuversichtliche Motivkomponente (Antizipation des Stolzes- Aufgabe
angehen)
2) misserfolgsängstliche Motivkomponente- 2 Formen: aktiv und
handlungsorientiert= geringes Fähigkeitskonzept, passiv und lageorientiert =
soziale Folgen des Misserfolgs (Antizipation des Schams- Aufgabe vermeiden)
- Leistungsmotiv als Folge gemachter Erfahrungen, habituelle
Verhaltensdisposition
- von Atkinson (Erwartung mal Wert): damit sie zu einer handlungsinitiierenden
Motivation wird = 1) Erwartung, auch tatsächlich Erfolg zu haben 2) Wert, dem
man diesem Erfolg zumisst
- von Weiner (Attributionstheorie): Ursachenerklärung beeinflusst die
Motivationsausprägung; Erklärungen: internal- stabil (Fähigkeiten), internalvariabel (Anstrengung), external- stabil (Aufgabenschwierigkeit), externalvariabel
(Glück/Pech); Ursachenzuschreibung = Attribution
- Bezugsnormen und ihre Auswirkung auf die Leistungsmotiventwicklung:
- Erklärung durch Heckhausens Selbstbewertungsmodell: herausbildung
erfolgszuversichtlicher oder misserfolgsmeidender Leistunsmotivation durch
ontogenetisch gesammelte Erfolgs- oder Misserfolgserfahrungen
- Einschätzung der eigenen Leistung immer relativ zu einer akzeptierten
Bezugsnorm (individuelle oder soziale Bezugsnorm)
- individuelle Bezugsnormorientierung: mit früheren Leistungen verglichen, durch
Anstrengung kann kontinuierlich höhere Leistung erbracht werden
- soziale Bezugsnormorientierung: Vergleich mit den Leistungen einer
Bezugsgruppe (Schulklasse)- begünstigt die Entwicklung leistungsstärkerer
Schüler- Erfolg auf Fähigkeiten, Misserfolg auf Pech oder mangelnden
Antrengung, leistungsschwache Schüler führen allerdings dann Misserfolg auf
mangelnde Fähigkeiten (internal- stabil) und Erfolg auf Zufall (external- variabel)
zurück = Anstrengung lohnt sich nicht
- Entwicklung der Leistungsmotivation:
- nach Heckhausen:
49
-
-
-
-
-
-
1) Freude am Effekt (ab 3. Monat) = Freude an absichtsvoll bestimmten Effekten
= Effektmotivation
2) Selbermachenwollen (ende des 1. LJ, 2.) = solche Effekte ohne Hilfe
hervorrufen, explizites Verständnis eigener Urheberschaft, auch verbal
ausgedrückt, Bezugspersonen messen nun Kinder entsprechend ihres
Fähigkeitsniveaus an individuellen Bezugsnormen (Lob oder Missbilligung- Stolz
oder Verlegenheit)
3) Verknüpfung des Handlungsergebnisses mit der eigenen Tüchtigkeit (3.5
Jahre) = nun auch Stolz und Scham, Bezug auf Urheberschaft + Wertmaßstab von
Tüchtigkeit- jetzt leistungsmotiviert und nicht nur effektmotiviert; nach
Holodynski aber erst nur in Anwesenheit von Erwachsenen- erst in der
Grundschule auch in Alleinsituationen
bereits im Vorschulalter zeigen sich Unterschiede
4) Bezugsnormsetzung und Zielorientierung (4.5) = Kombination von eigener
Tüchtigkeit und Aufgabenschwierigkeit; eigenständige Zielsetzungeigenständige Setzung von Bezugsnormen, erst nur individuell, ab Grundschule
(8) dann sozial wichtig, im Laufe der Sekundarstufe nebeneinander
aufgabenorientierte Zielwahl: Interesse
leistungsziel/ ich- orientiert: besser als die anderen abschneiden
5) Entwicklung der Ursachenzuschreibung von Erfolg und Misserfolg:
a) ab 5: Anstrengung als Erklärung für Leistung (proportionale Beziehung)
b) ab 10: Fähigkeit als Erklärung
c) ab 12: Glück als Erklärung
Erweiterung der Erwartung x Wert- Theorie:
spaltung der Kategorien von Atkinson (Motiv, Erwartung, Wert) in
Subkonstrukte- Problem = Vernachlässigung der Rahmentheorie
Subkonstrukte der Motivkomponente: was motiviert Menschen generell, Aufgaben
in Angriff zu nehmen?- nun auch Beachtung wenn Aufgaben aus anderen
Gründen angegangen werden (Interesse, Flow Erleben, Aufgabenorientierung,
Lernzielorientierung, Streben nach Autonomie- oder Kompetenzerleben
Covington (Selbstwerttheorie) = Selbstwertmotiv als Wunsch nach einem
positiven Selbstbild- so lässt sich Vermeidungsverhalten erklären (bedrohung
des Selbstwertes durch Scheitern, Anstrengung vermeiden)
Subkonstrukte der Erwartungskomponente: Atkinson = subjektive
Erfolgswahrscheinlichkeit
Bandura (Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung) =Zutrauen in eigene
Fähigkeiten
Marsh (Fähigkeitsselbstkonzept) = domänenspezifisch
PISA, IGLU erfassen domänenspezifische Fähigkeistselbstkonzepte (erst
unrealistisch hoch, dann Sinken)
Subkonstrukte der Wertekomponente: Atkinson und Heckhausen = Umkehrwert
der eingeschätzten Erfolgswahrscheinlichkeit
Eccles: Aufpaltung in 4 Komponenten
1) Tüchtigkeitswert = einem Tüchtigkeitsmaßstab genügen wollen
2) intrinsischer Wert = Freude (Interessen, Erleben von KompetenzMotivkompon.)
3) instrumenteller Wert = Nutzen für weitergehende Ziele
4) Kosten = negative Effekte der Bewältigung
Erwartungs- und Wertekomponente stehen nicht reziprok zueinander
50
-
Interesse verschiebt sich im Laufe der Schulzeit auf die Fächer, in denen man gut
ist; Abwertung schützt vor einer negativen Selbstwertbilanz
Bedingungen der Leistungsmotivationsgenese:
drei zentrale soziale Kontexte = Elternhaus, Schule, Peers mit Einfluss auf die
Leistungsmotivation
Elternhaus: 2 Faktoren für eine positive Entwicklung
1) warmherzig und unterstützend
2) hohe aber realistische Leistungserwartung = herausfordernde Atmosphäre
51
Zusammenfassung Schule
- Schulleistungen: das auf dem Lehrplan stehende deklarative und prozedurale
Wissen in verschiedenen Domänen; Erwerb an Lerngelegenheiten gebunden
- Zusammenspiel internale Prozesse und den Lernangeboten
- 4 Kernbereiche: Kompetenzen in
1) Muttersprache
2) Mathe
3) Naturwissenschaften
4) Englisch
- richtig „Schülerleistungen“
- offen, ob gute Fachleistungen im jeden Alter die gleiche latente Dimension
widerspiegeln
- will man Annahme machen, dass Geometrieleistungen sich auf der selben
Dimension abbilden lassen, z.B. in 5. Und 10. Jahrgangsstufe, dann sieht man, dass
diese Dimension kein psychologisches Merkmal im engeren Sinne ist, sondern
vielmehr das erreichte Curriculum im Geometrieunterricht repräsentiert
- Daher kann es keine psychologische Theorie zur Schulleistung geben
- systematische Lerngelegenheiten- permanenter Anstieg der Leistungen, sofern
kummulativ
- Anknüpfung neuer Inhalte entscheidet, ob das Fachswissen verknüpft/
konsolidiert wird und ob es zu einer kognitiven Repräsentation kommt
- bei kompartimentalisierten Inhalten kommt es a) zu Vergessensprozessen
gelernter Inhalte b) neue Inhalte werden schwerer abgespeichert =Rolle des
Vorwissens für gelingende schulische Leistungen (Renkl), je kummulativer desto
positiver
- Naturwissenschaften kommen zu kurz: basiert auf Piaget- in der konkretoperationalen Phasen fehlt Kindern die Voraussetzung für den Erwerb formal
abstrakter Unterrichtsinhalte (Physik, Chemie)
- 2. Grund ist, dass die Lehrer nicht über die fachlich-didaktische Ausbildung in
beiden Fächern verfügen
- Stern: Basis Vygotsky = bei gelingender Nutzung graphisch visueller
Repräsentationsformen kann das aber sehr wohl möglich sein
- unregelmäßiger Unterricht führt zu Vergessensprozessen  epochaler
Unterricht führt schon in den Ferien zu Vergessen
- je nach Fach differentielle Entwicklungsverläufe
- fruchtbarste Untersuchung für den Grundschulbereich: SCHOLASTIK (Schneider)
= Schulorganisierte Lernangebote und Sozialisation von Talenten Interessen und
Kompetenzen
- Ergebnisse: Rechtschreibeleistung- keine lineare Steigerung, sondern extremer
Zuwachs von der 2. zur 4.
- BIJU: Kohorten- Längsschnittstudie seit 1991, Ankeritem mit einigen
gemeinsamen Items, vier Messzeitpunkte, Leistungsentwicklung in Englisch und
Mathe steiler als in Physik
- Ergebnisse: Zuwachs in Englisch = 4 SD in Physik nur 1.7 SD durch
Kompartimentalisierung, geringere Lerngelegenheiten = fehlende
Anknüpfbarkeit
- „Matthäus Effekt“ wer hat dem wird gegeben = Effekt der Schulform
=selbstverstärkende Akkumulation von Ansehen  Schere zwischen den
Schulen, v.a. Gymnasium geht auseinander
52
-
-
-
-
-
Entwicklung als Reifeprozess (wie bei Piaget, verschiedene Altersstufen mit
unterschiedlichen Fähigkeitsniveaus)
Lehrpläne definieren, welche fachlichen Kompetenzen wann erreicht werden
sollen; aber auch Variabilitäten
Skalenverankerung: „Item-Response-Modelle“ = probabilistische Testtheorie
hinreichende Sicherheit = Lösungswahrscheinlichkeit von p=.65, welche
kognitiven Operationen sind nötig, um die Items erfolgreich zu lösen
(Beschreibung einer Person mit einem Fähigkeitsparameter von 500)
TIMS Studie: Third International Mathematics and Science
Anwendung der mathematischen Kenntnisse auf alltagsnahe Probleme
1) alltagsnahes Schlussfolgern – 20% der Auszubildenden kommen über dieses
Niveau nicht hinaus-= Grundschule = konzeptueller Unterschied zwischen
Intelligenz und Schulleistungen
2) einfache Anwendung mathematischer Routinen – Sekundarstufe I- 65% der
Auszubildenden kommen über dieses Niveau nicht hinaus
3) mathematisches Modellieren auf einem einfachen Niveau- mathematischer
Ansatz muss erschlossen werden- gelingt 70% der Gymnasiasten
4) mathematisches Argumentieren- nur 3% der Azubis und 29% der
Abiturienten
post hoc Vorgehen, scale anchoring
PISA: programme for international student assesment + Kompetenzstufen für das
Textverständnis
Effekt von Fähigkeitsgruppierung: Ortswechsel bei Übergang von Primar zu
Sekundar
Grundschule= heterogene Lerngruppen, danach aber Leistungsgruppierung
Grad der Differenzierung schwankt in den Ländern
2 Formen der FG: extern (gegliedertes Schulsystem= leistungshomogenisierte
Gruppen) und Binnendifferenzierung (mikroadaptives Vorgehen)
Amerika: academic track, general track, vocational track
Annahme: individuelle Lernerfolge in leistungshomogenen Gruppen besser
Caroll oder Bloom: homogene Gruppen benötigen ähnliche Lernzeiten= höheres
Tempo und kognitives Anspruchsniveau
Vorkenntnisse- positive Effekte auf Klarheit des Unterrichts und Zeitnutzung
(.55)
Marsh: Hongkong- gute immer gut, schlechte schlecht unabhängig von der
Schulebene
Deutschland: Leistungsvorteile für Gymnasiasten mit 4jähriger Grundschulefrühe Differenzierung scheint lesitungsstärkere Schüler zu fördern
Köller und Baumert: individuelle Ausgangsfähigkeit hatte einen positiven Effekt
auf spätere Leistungen, Schulform hatte ebenso einen substantiellen Einfluss;
aber innerhalb der Schulform nur unbedeutende Unterschiede zwischen Starken
und Schwachen; Grund eher die stärkere Instruktionskultur am Gymnasium
leistungsfördernd; weniger als Folge makroadaptiven Verhaltens der Lehrer
sondern deren Ausbildung
= lesitungsstärkere Schüler profitieren von der Differenzierung
psychologische Kosten: Weichen gestellt da Übergang schwer, zu geringe
Durchlässigkeit, frühe Entscheidung über den zukünftigen Berufsweg,
Benachteilungung von Schülern aus schwächeren sozialen Schichten
a) Developmental/ Stage Environment Fit Model (Eccles) : Differenzierung zur
gleichen Zeit wie die Pubertät, Schulleistungen verschlechtern sich bei Übergang,
53
-
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-
gleichzeitiges Absinken der intrinsischen Lernmotivation, Anstieg der
Leistungsangst, erhöhte drop out Raten
Konzeptualisierung der fehlenden Passung zwischen individuellen Bedürfnissen
und schulischen Rahmenbedingungen:
inkompatible Umweltbedingungen haben negative Einflüsse (auch auf die
Motivation)
mit der Pubertät kommt auch das Bedürfnis nach Autonomie und
Identitätsausbildung
häufig gelingt es der Schule nicht, eine Balance herzustellen
kompetitives Klassenklima wirkt gegen den individuellen Wunsch nach
Kompetenzerleben
Folgen: negativer Effekt auf Schulleistungen und intrinsische Lernmotivation
besser nach den Bedürfnissen der Jugendlichen ausgerichtete Lernumwelt
deutlich positiver
Fischteicheffekt (Schwarzer oder Marsh) Fähigkeitsgruppierung hat einen
deutlichen Effekt auf die selbstbezogene Fähigkeitskognition
bei leistungsstarken Schülern (Grundschule) beim Übergang ins Gymnasium
negative Einflüsse, da sie nun nicht mehr zu den Besten gehören; sozialer
Vergleich führt zum Absinken fähigkeitsbezogener Selbstkonzepte und des
Selbstwertgefühls
schwache Schüler fühlen sich beim Eintritt in die Hauptschule hingegen besser
= mittlere Konzepte konvergieren im Laufe der Sek I
„big fish little pond“ Effekt nach Marsh: 2 gleichgute Schüler- der in der
schwächeren Schule hat eine höhere Wahrnehmung seiner Fähigkeiten (negative
Regressionskoeffizienten auf die individuelle Selbstwahrnehmung
Effekt der Leistungsgruppierung (Schulmittelwert in Mathe in Klasse 7 auf
Selbstkonzept in Klasse 10 = -.33) = je leistungsstärker die Klasse, desto
ungünstiger der Entwicklungsverlauf des Selbstkonzepts- gitl auch für schulische
Interessen
= Änderungen in der institutionellen Lernumwelt hat also große Einflüsse
„Coleman- Report“:5% der Leistungsunterschiede waren auf Schuleffekte
zurückzuführen
Jencks: genetische Unterschiede machen 33-50 % aus, außerschulische
Lernumwelt = 25-40%, unterschiedliche soziale Herkunft =6%, Unterschied im
Umfang der Schulbildung 5-15%, Qualität der Grundschule 3%
Eindruck der begrnezten Effizinez der Schule
Lernsituation wirkt kompensatorisch auf die mangelnde Fähigkeit jüngerer,
geeignete Strategien anzuwenden (Schule = executive functionaires), mit
zunehmendem Alter wird das unwichtiger (siehe Universität deutlich
unstrukturierter)
Geary: grundlegende angeborene Fähigkeiten in Mathe (Einschätzung kleiner
Mengen, grundlegendes Verständis von Relationen, präverbales Zählen,
Addieren/Substrahieren = primäre Fähgikeiten
Algebra = sekundär, durch Kultur/ Bildung vermittelt
Variablen, die die Schulleistungsentwicklung beeinflussen: intelligenz,
Fähigkeitsselbstkonzepte, schulische Interessen
psychometrische Intelligenz als einer der zentralen Prädiktoren für die
Schulleistungsentiwkclung in den Kernfächern (r=.50), lernen schneller,
effektivere Problemlösestrategien, größere Verarbeitungskapazität
54
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-
Helmke & Weinert: 1) Einfluss der Intelligenz nimmt ab, Rolle des Vorwissens
nimmt zu 2) Schulleistungen beeinflussen die Intelligenzentwicklung, Intelligenz
bedingung unf Folge schulischen Lernens; günstiges Lernklima führt zur
Ausschöpfung kognitiver Begabungsreserven
Beziehung zwischen Fähigkeit und Selbstkonzept:
a) skill development approach = Fähigkeitsselbstkonzept entwickelt sich in Folge
schulischer Lesitungserfahrung und deren Kausalattribution
b) self enhancement approach =Selbstkonzept, vermittelt über motivationale
Variablen, fördert den Lernprozess- positiver Einfluss auf die Schulleistungen
= parallel verlaufende Prozesse, wechselseitige Beeinflussung: Leistungsmaße
auf Selbstkonzept und umgekehrt, aber: je höher die Leistungen in dem einen
Fach, desto ungünstiger die Entwicklung des Selbstkonzept im anderen
=“internal/ external frame of reference“ Modell- 2 Quellen für die Entwicklung
fachspezifischer Selbstkonzepte
1) interindividueller Vergleich (positiver Pfad)
2) intraindividuell (zwischen den Fächern- negativer Pfad)
Interesse = Form der fachspezifischen intrinsischen Motivation, initiieren
Lernprozesse und erhalten diese aufrecht; wird durch schulisches
Kompetenzerleben beeinflusst
Curriculum eines Landes, 4stufig: intendiert (Lehrplan), potentiell (Bücher),
implementiert (behandelter Stoff), erreicht (Schülerleistungen)
Lernen = relativ dauerhafte Veränderung kognitiver Strukturen
Greeno: Reorganisation von Wissensstrukturen
Kintsch: Umstrukturierung von mentalen Situationsmodellen
Lernen als Prozess: Verstehen, Speichern, Abrufen, Anwenden – nur
Längsschnittstudien sinnvoll = Veränderung des Wissens als Folge von LehrLerngeschehen, gleiche Aufgaben können aber nicht immer verwendet werden,
Lösung = Ankeritem
multiple choice: ökonomisch, Aufdeckung von Misskonzepten
Drei Faktoren Modell: Englischleistungen- elementares Wissen, komplexes
Wissen, Kommunikationsfertigkeiten (hohe Korrelation, also auch g Faktor
möglich)
g Faktor allgemeiner mathematischer Kompetenz in TIMSS
Aufgaben:
Erklären Sie, warum eine gute Deutsch-Schülerin, wenn sie von der Grundschule aufs
Gymnasium kommt in aller Regel Einbußen in ihrem Deutsch-Selbstkonzept hinnehmen
muss.
Erklären Sie einer Person, die "nichts mit Psychologie zu tun hat" (z.B. Ihrer Oma) in
Alltagsworten, jeweils einen Vorteil und einen Nachteil der deutschen dreigliedrigen
Schulsystems.
Angenommen eine Person, die "nichts mit Psychologie zu tun hat", würde behaupten,
dass es bei der Entwicklung der Schulleistung doch in erster Linie darauf ankommt, ob
ein Schüler intelligent ist oder nicht – der Rest sei Nebensache. Was wären zwei wichtige
Gegenargumente?
55
Musterlösung zur Vorlesung 21.01 Schule
Von Petra Buys
Aufgabe 1
„Schuld“ an häufigen Einbußen im fachbezogenen Selbstkonzept leistungsstarker Schüler
beim Übergang aufs Gymnasium ist der sogenannte „Fischteich-Effekt“ (big-fish-littlepond). Die hier beschriebene Schülerin hat sich in der Grundschule als besonders kompetent
im Fach Deutsch erlebt sowie dementsprechende Rückmeldung erhalten. Beim Übertritt ins
Gymnasium wechselt sie in eine Auswahl von Schülern, die in ihren Grundschulen gute
Leistungen gezeigt haben- es verändert sich also ihr externer Referenzrahmen
(Vergleichsgruppe). Sie muss nun feststellen, dass sie es nun mit stärkeren
Vergleichspartnern (Mitschüler) zu tun hat, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit viele
gleich gut oder sogar besser in Deutsch sein werden als sie selbst. Dementsprechend wird sie
– vorangetrieben auch durch nun weniger enthusiastische Rückmeldung von außen (u.U.
auch in Form von schlechteren Noten) - sich selbst als weniger kompetent erleben und ihr
Selbstkonzept zumindest für das Fach Deutsch „nach unten korrigieren“ müssen.
Aufgabe 2
Das deutsche Schulsystem unterscheidet sich von den Systemen der Mehrzahl anderer Länder
vor allem durch die frühe Aufteilung der Schüler auf drei verschiedene, nach Leistung
„sortierte“ Schulformen (Hauptschule, Realschule, Gymnasium nicht nach Leistungsstufen
trennende Gesamtschulen gibt es verhältnismäßig selten). Dieses dreigliedrige Schulsystem
wird, auch ausgelöst durch das nur durchschnittliche Abschneiden der deutschen Schüler im
internationalen Vergleich (PISA-Studie), immer wieder kontrovers diskutiert. Dabei erweist
es sich als äußerst schwierig, zu einer eindeutigen Empfehlung für oder gegen das
dreigliederige System zu gelangen.
Folgende Argument könnten in einer solchen Diskussion angesprochen werden:
Pro dreigliedriges Schulsystem:
 Fischteich-Effekt: Dank der Aufteilung nach Leistung ist das fachbezogene
Selbstkonzept (also die eigene Einschätzung darüber, wie gut man in einem Fach ist)
beim Gymnasiasten und Hauptschülern sehr ähnlich. Vereinfacht ausgedrückt erleben
sich Hauptschüler als ungefähr gleich kompetent wie Gymnasiasten. Das liegt daran,
dass sie sich nicht mehr (wie in der Grundschule) mit der ganzen Bandbreite an
Schülern vergleichen müssen, sondern nur mit Schülern, die ungefähr in ihrem
Fähigkeitsbereich liegen (s. Aufgabe 1). Dieses Kompetenzerleben steigert die
Motivation und kann Schulfrust verhindern - vor allem bei leistungsschwächeren
Schülern.
 Untersuchungen haben gezeigt, dass leistungsstärkere Schüler sehr profitieren, wenn
sie das Gymnasium besuchen: Vergleicht man Schüler mit ungefähr gleichen
Leistungen in der Grundschule, die dann entweder aufs Gymnasium oder auf die
Realschule gehen, stellt sich heraus, dass einige Jahre später diejenigen Schüler, die
nach der Grundschule auf ein Gymnasium gewechselt haben, mehr Leistungszuwachs
erzielt haben - sie haben also von ihrer Schulbildung mehr profitiert als diejenigen
Schüler, die auf eine Realschule gewechselt haben.
Contra dreigliedriges Schulsystem:
 Die Differenzierung findet in Deutschland in den meisten Bundesländern sehr früh
(nach der 4. Klasse statt). Danach erweist es sich als sehr schwierig, zwischen den
Schulformen zu wechseln (vor allem ein Wechsel „nach oben“, also auf eine höhere
56
Schulform, ist an sehr hohe Bedingungen geknüpft). Das Schulsystem ist also wenig
durchlässig. Bedenkt man das Alter, in dem die Differenzierung stattfindet (10-12
Jahre), ergeben sich verschiedene Schwierigkeiten: In der Pubertät finden zahlreiche
Umstellungen und Entwicklungen statt, die großen Einfluss z.B. auf das
Arbeitsverhalten, die kognitive Entfaltung und die Motivation haben können. Eine
Anpassung daran durch den Besuch einer nun besser zum individuellen Schüler
passenden Schulform ist aber aus oben beschriebenen Gründen kaum mehr - bzw. nur
noch in Richtung „niedrigere Schulform“ - möglich. Das Gleiche gilt für Migranten,
die aufgrund von Sprachschwierigkeiten bis zum Zeitpunkt der Differenzierung ihre
Leistungsfähigkeit noch nicht voll entfalten konnten- und später kaum mehr
Gelegenheit dazu haben.
 Der oben beschriebene Vorteil für leistungsstärkere Schüler lässt sich umgekehrt als
Nachteil für Leistungsschwächere interpretieren. In den Jahren nach der
Differenzierung gehen die Leistungen von Hauptschülern und Gymnasiasten mehr und
mehr auseinander („die Leistungsschere öffnet sich“) - dies könnte man sich als Grund
für die großen Leistungsdifferenzen deutscher Schüler und die hohe Anzahl schlechter
Schüler (s. PISA 2003) vorstellen.
Aufgabe 3
1. Die Rolle, die Intelligenz für die Schulleistung spielt, ist von Beginn an nicht so groß,
wie man vielleicht denken könnte. Daneben spielen Faktoren wie außerschulische
Aktivitäten, Erziehung, Lern- und Arbeitshaltung, Motivation usw. eine große Rolle.
Sicher kann man argumentieren, dass die meisten dieser Faktoren auch durch
Intelligenz bestimmt werden- das stimmt zum Teil. Andererseits ist Intelligenz aber
kein Garant dafür, dass Kinder motiviert sind, eine gute Arbeitshaltung haben oder
von den Eltern gefördert werden- und somit auch keine Garantie für gute
Schulleistungen. Andersherum können weniger intelligente Kinder mit einer guten
Arbeitshaltung, hohem Interesse und viel Unterstützung von außen (z.B. durch Eltern)
viel „ausgleichen“ und intelligentere Kinder so in vielen Fällen „überrunden“. So zeigt
sich auch in verschiedenen Studien, dass Intelligenz im Laufe der Schuljahre eine
immer kleinere Rolle bei der Schulleistung spielt, während die Bedeutung von
Vorwissen wächst. Viele Mängel an Intelligenz können durch fundiertes Wissen
ausgeglichen werden, während Intelligenz alleine dieses Wissen nie ersetzen kann
(wenn intelligentere Kinder auch mehr Chancen haben, „verpasstes“ Wissen
aufzuholen).
2. Es zeigt sich, dass unabhängig von der „angeborenen“ Intelligenz und von der
ursprünglichen Leistung eines Kindes verschiedene Faktoren großen Einfluss auf die
Schulleistung nehmen: So spielt es offenbar eine große Rolle, in welchem
Bildungssystem und in welcher speziellen Klasse ein Kind „landet“ – bei welchem
Lehrer, auf welcher Schule, in welchem Land, in welchem Klassenklima es also lernt.
Allein die Faktoren des Bildungssystems und der Schulklasse scheinen großen
Einfluss auf die Leistung von Schülern zu nehmen. Ähnlich sieht es in Bezug auf
Schulformen aus: Die Leistung von Schülern steigt in sehr unterschiedlichem Ausmaß
an, je nachdem, ob sie eine Haupt- oder Realschule oder ein Gymnasium besuchenauch wenn man von dem Faktor „Intelligenz“ absieht! Außerdem konnte in diesem
Zusammenhang gezeigt werden, dass nicht nur die Intelligenz einen – natürlich an
sich unbestreitbaren – Einfluss auf die Schulleistung hat, sondern umgekehrt auch die
Schulleistung ihrerseits die Intelligenz beeinflusst, es sich also vielmehr um eine
Wechselwirkung handelt.
57
Anlage-Umwelt: Asendorpf:
Interaktion und Kovariation von Genom und Umwelt
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Genom im Laufe des Lebens, bis auf wenige Mutationen, fast konstant
genetische Aktivität und Umweltwirkungen stehen in ständiger Wechselwirkung
= Transaktion (Wechselwirkung über die Zeit)
Trennung schwierig, deshalb: welchen Einfluss haben genetische und
Umweltunterschiede auf Persönlichkeitsunterschiede
statistische Genom- Umwelt- Interaktion: beide beeinflussen sich
Kovariation: Korrelationen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und
Umweltbedingungen können genetisch bedingt sein
Wirkung von Genom und Umwelt auf die Entwicklung:
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gesamte genetische Information = Genom, bestehend aus Genen, welche in
verschiedenen Variante = Allelen auftreten können
große Unterschiede in der individuellen Ausgestaltung (Übereinstimmung der
Genome von Menschen und Affen aber 98%)
Genaktivität variiert ständig (an- und abschalten: Chorea Huntington, Allel auf
dem 4. Chromosom)
Gentaktivität beeinflusst über biochemische Prozesse Entwicklung und
Verhalten, kann Einfluss auf die Umwelt (Auswahl, Herstellen) nehmen- und
umgekehrt
wegen der Transaktion kann die Umwelt eines Menschen teilweise genetisch
bedingt sein (Prädisposition, bestimmte Umwelten aufzusuchen) und die
Genaktivität wird durch Umwelt und Verhalten beeinflusst (Phenylketonurie)
Populationsgenetik: inwieweit stehen genetische und Umweltunterschiede in
einer Population in Wechselwirkung mit Persönlichkeitsunterschieden
Genom- Umwelt- Interaktion:
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statistische Genom- Umwelt- Interaktion = Unterschiede im Genom wirken in
Abhängigkeit von Unterschieden in der Umwelt auf Persönlichkeitsunterschiede
(vice versa)- meist indirekte Schätzung in Adoptionsstudien
Studie: 367 adoptierte Jugendliche, antisoziales Verhalten in Beziehung zum
antisozialen Verhalten der Mutter und Problemen in der Adoptivfamilie
Ergebnis: nur eine Kombination beider Faktoren sagt antisoziales Verhalten der
Jugendlichen vorher
Folgerung: genetische Risiken wirken sich nicht direkt aus, sondern erhöhen die
Vulnerabilität durch belastende Umweltbedingungen
neuere Forschung: spezifische Gene stehen mit spezifischen Umweltbedingungen
in Wechselwirkung
= neuseeländische Längsschnittstudie (500 Männer, 26 Jahre, Zusammenhang
zwischen erfahrener Kindesmisshandlung – 3 bis 11 – und dem MAOA Gen auf
dem x Chromosom und 4 Indikatoren für antisoziales Verhalten)
Ergebnisse: Kindesmisshandlung erhöht das Risiko und zwar besonders bei einer
niedrigen MAOA Konzentration (genetisch bedingt)- normales Allel schützt
anscheinend vor langfristigen negativen Konsequenzen
58
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MAOA produziert das Enzym Monoaminoxidase A (reduziert eine exzessive
Produktion von Dopamin, Noradrenalin, Serotonin unter starker Belastung)
Tiermodell mit knock- out Mäusen – erhöhte Aggressivität
auch bei depressiven Tendenzen (Allel des 5-HTT Gens für den
Serotoninstoffwechsel) Caspi et al.
Probleme bei der Replikation: polygenetische Determination, Wirkung der Gene
hängt von den Umweltbedingungen ab
Genom- Umwelt- Kovarianz:
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= bestimmte Genome finden sich gehäuft in bestimmten Umwelten (Intelligenz,
Förderung durch die Eltern; Musikalität
1) passive GUK: nimmt mit zunehmendem ab (Trennung von der Familie) bedingt durch genetischen Einfluss- eher Geschwister, die auch musikalisch sind,
führt zu musikalischer familiärer Umwelt
2) reaktive GUK: altersunabhängig- Reaktion der Umwelt auf die genetisch
mitbedingten Persönlichkeitsanteile (Eltern kaufen Klavier)
3) aktive GUK: nimmt mit Alter zu, Einfluss von Genom auf die Umwelt, da die
Träger die passende Umwelt auswählen oder gestalten
achtung: keine Mechanismen zur Persönlichkeits- Umwelt- Kovarianz
Forschung wirft aber neues Licht auf diese Frage: Sozialisationsforschung
(Erziehungsstil der Mutter, Persönlichkeit des Kindes; interindividuelle
Unterschiede (retrospektiv) konnten häufig durch genetische Unterschiede
erklärt werden
auch biografische Ereignisse können genetisch mitbedingt sein: durch
vermittelnde Persönlichkeitsmerkmale (z.B. bei Autounfällen)
Erklärung interindividueller Unterschiede zwischen Familienformen auch zu
80% genetisch bedingt + z.B. Bevorzugung der leiblichen Kinder
Cleveland: genetische Selbstselektion in Familientypen (Halbgeschwister
entstehen eher durch Scheidung als durch Tod und diese ist genetisch
mitbestimmt- Neurotizismus
man sollte aber immer nur von korrelativen und nicht von einseitigen kausalen
Zusammenhängen ausgehen
Zusammenfassung Geary
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Shepard: individuelle kognitive Fähigkeiten formen die Ausbreitung der Gene wie
auch die Gene das Individuum formen
und kulturelle Faktoren beeinflussen die Wahrnehmung (Farbkonstanz
verschwindet unter dem Einfluss von Straßenlampen) unabhängig vom
evolutionären Selektionsdruck
biologische und kulturelle Einflüsse auf die Kognition von Kindern sollten
betrachtet werden
evolutionsbasiertes Modell:
Mechanismen der biologisch basierten und kulturell vermittelten Fähigkeiten
müssen identifiziert werden, um die genaue Wirkung zu verstehen
biologisch primäre und sekundäre Fähigkeiten:
primär = durch natürliche oder sexuelle Selektion
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sekundär = Hinzuwahl von primären Fähigkeiten für andere als evolutionär
basierte Funktionen- Entwicklung nur im kulturellen Kontext
Unterscheidung zu Tieren: Hinzunahme verschiedener pA für Aufgaben
unabhängig von den ursprünglichen evolutionsbasierten Funktionen
beim Menschen verbinden sich Biologie und Kultur- durch Kultur können dem
Kind also kognitive Fähigkeiten anerzogen werden, die nichts mit
Evolutionsdruck zutun haben (durch das hochspezialisierte neurokognitive
System
primäre Fähigkeitn sollten über alle Kulturen hinweg entdeckt werden,
sekundäre nur kulturspezifisch (sie sollten in direktem Zusammenhang mit dem
Ausmaß formaler Instruktion stehen, Schule)
am Beispiel der Sprache: überall, Lesen aber nicht = sekundär- beinhaltet auch
primäre Fähigkeiten, wie Sprache
Voraussage der Leichtigkeit des Lesenlernens durch die Genauigkeit des
phonologischen Systems im Kindergarten
Mathematik: kartenähnliche Repräsentationen bei tieren zur Orientierung- die
zugrunde liegenden kognitiven Systeme sind sehr sensibel für die Merkmale der
Euklidschen Vorstellung eines 3dimensionalesn physikalischen Universums
(Ratten, Bienen, Kind mit angeborener Blindheit war auch in der Lage, solche
Repräsentationen aufzubauen = implizites Verständnis der Geometrie- reflektiert
die Evolution des Wahrnehmunssystems, explizites Wissen ist Formalisierung
dieses Wissens)
implizit überall vorhanden, explizit aber nur durch formale Anleitung (Schule)
Unterschiede in der Mathefähigkeiten können also auf ein unterschiedliches
Lehrangebot zurückzuführen sein = viele kognitive Fähigkeiten sind universell,
andere entstehen nur in spezifischen kulturellen Kontexten
Entwicklungskontexte und Mechanismen:
primär und sekundär bedürfen beide einem gewissen Maß an Erfahrung
der Erwerb biologischer pkF: wahrscheinlich, dass viele pkF von einem
domänspezifischen kognitiven System unterstützt werden, die damit
verbundenen Informationsverarbeitungsprozesse beinhalten implizites Wissen
über die Domäne
eine begrenzte Menge von Infos wird vom Wahrnehmungssystem automatisch
aus der Umwelt extrahiert
skelettartige Prinzipien= Eigenschaften des kognitiven System als Basis des
Erwerbs bpkF + Motivation (enthält affektive Komponente), um an Aktivitäten
teilzunehmen, die diese Prinzipien herausarbeiten
eine wichtige Aktivität ist das Spiel- die Funktion scheint der Erwerb
erwachsenengleicher Fähigkeiten zu sein („selbstaktivierte Übung“- Übung von
sozialen Rollen- manche Arten universell, andere kulturspezifisch)
scheint auch mit Mathematikfähigkeiten in Zusammenhang zu stehen (Kinder
spielen numerische Spiele- skelettartike Prinzipien (assoziiert mit bpkF) werden
konkretisiert
es gibt aber auch sekundäre Fähigkeiten, die nicht in allen Kulturen erlernt
werden
der Erwerb biologischer skF: scheint keine biologischen Vorteile beim Erwerb zu
haben, darum ist die Aneignung generell langsam und aufwändig und findet nur
unter formaler Anleitung statt (Expertiseerwerb durch anhaltende Übung) Lesen,
Schreiben und Arithmetik durch die Schule (je komplexer ein System, desto mehr
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Ausbildung ist notwendig) die bskF treten also nur in hochentwickelten,
tenchnologisierten Kulturen auf
Schlussfolgerung: kulturelle Unterschiede in diesen Fähigkeiten beruhen also
eher nicht auf unterschiedlicher Intelligenz sondern auf unterschiedlichen
Schwerpunkten in der Schule + der Erwerb sollte unabhängig vom Erwerb der
primären Fähigkeiten sein (keine Unterschiede Asien- Europa in primären
Mathefähigkeiten aber große Differenzen im Bezug auf sekundäre, Asien im
Vorteil) + Motivation ist begründet durch die Ansprüche der Gesellschaft und
nicht durch angeborene Interessen (Unterschied zwischen primär und sekundär)
aber: der Inhalt der sekundären Aktivitäten (Lesen, Videospiele) könnte
evolutionär relevante Themen reflektieren, die eine Teilnahme motivieren
intellektuelle Neugierde ist eine Basisdimension der menschlichen Persönlichkeit
generelle Einflüsse auf die kognitive Entwicklung:
es gibt kognitive Faktore, die den Erwerb von sowohl primären als auch
sekundären Fähigkeiten beeinflussen: zB die Zielstruktur einer Aktivität- je mehr
Wissen über das Zeil, desto eher werden erwachsenenähnliche
Problemlösestrategien angewandt
Evolution und Mathematik:
biologische primäre mathematische Fähigkeiten: Anzahl weniger Items ohne
Zählen erkennen, Verständnis einer Rangordnung, präverbales Zählen- in
verschiedenen Kulturen und in nichtmenschlichen Primaten
numerosity: neuronales Korrelat im parietal- okzipitalen Kortex
einfache arithmetische Fähigkeiten scheinen qualitativ ähnlich zwischen
Säuglingen und Schimpanse zu sein
numerische und arithmetische Fähigkeiten sind primär und häufen sich an
(Gedächtnis für Zahlen, Kenntnnis von Zahlen etc. zusammen = numerischer
Fertigkeitsfaktor)
dieser Faktor wurde immer wieder identifiziert (Thurstone, Spearman)
biologisch sekundäre mathematische Fähigkeiten: Zählen und Nummern,
Arithmetik- von Eltern angeleitet, oder durch Schule
mathematisches Problemlösen / mathematisches Denken: wichtig, da nach
Möglichkeiten zur Verbesserung gesucht wird
mathematisches denken wurde aber nur in Gruppen gefunden, die schon viele
Mathestunden hinter sich hatten; wird nur zusammen mit langanhaltender
Instruktion erworben; es fällt vielen schwer
Frühreife in Mathe ging mit außerordentlichen primären Fähigkeiten einher
(Gedächtnis, räumliche) die dann zur Hilfe genommen werden können, um
sekundäre Fähigkeiten zu entwickeln
für die meisten muss aber auch das unterrichtet werden, weil kein
offensichtlicher Zusammenhang zu Textaufgaben besteht
mathematische Instruktion:
schlecht ausgebildete amreikanische Kinder; ihr quantitatives Wissen bestimmt
aber ihr späteres Einkommen
die akademischen Fähigkeiten einer Arbeitskraft beeinflussen nicht nur das
Wohlergehen des Einzelnen sondern haben breitere soziale Auswirkungen
Kosten für die Wirtschaft
wichtig, diese Fähigkeiten zu verbessern
evolutionäre Philosophie und Konstruktivismus
deren Argumentation: 2 Hernagehensweisen zur Erforschung der Bildung:
mechanistisch und organismisch
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mechanistisch: traditionelle Lerntheorie, Informationsverarbeitungsansatz- der
Lernende empfängt passiv Infos, führt zu relfexartigen Veränderungen im
geizeigten Verhalten des Kindes (richtig gelöste Aufgaben)- Veränderungen zB
auch in der mentalen Repräsentation treten aber ohne das konzeptuelle
Verständnis des Materials auf- aber negativ gesehen: Automatisierung,
Auswendiglernen etc
organismisch: wird vor allem an der Weltanschauung von Piaget und Vygotsky
veranschaulicht = Kinder sind aktive Lerner und müssen ihr mathematisches
Wissen selbst konstruieren
mathematisches Lernen ist also ein soziales Unternehmen (Zone einer
potentiellen Konstruktion eines spetifischen mathematischen Konzepts)
Uneinigkeit liefert den Anschub zur Veränderung oder Akkomodation der
eigenen Konzepte, das Kind nähert sich dem Wissen der Gemeinschaft an
Problem: der konstruktivistische Ansatz unterscheidet nicht zwischen primär
und sekundär- behandelt alle Mathematik als eine biologisch primäre Domäne =
bei angemessenem sozialen Umfeld können Kinder Wissen in jedem Bereich der
Mathematik selbst konstruieren (eher theoretisch als empirisch)
Problem: in Amerika große Freiheit, angenehmen Tätigkeiten nachzugehen,
Mathe aber nicht von Natur aus interessant
der Erwerb und Erhalt von sekundären Fähigkeiten benötigt aber auf jeden Fall
langandauernde Übung- die Kulturellen Werte, die Schüler dabei unterstützen,
sind sehr wichtig (da eben nicht von Natur aus angenehm)
erzieherische Implikationen:
prozedurale und konzeptuelle Fähigkeiten notwendig
konzeptuelles Wissen: grundlegendes Verständnis, was überhaupt erreicht
werden kann (skelettartige Prinzipien) = ein Item kann nur einmal gezählt
werden
prozedurale Fähigkeit: auf jedes Objekt zeigen
bei primär sind die konzeptuellen Fähigkeiten eher implizit, bei sekundär schon
zugänglicher (zb in Tests)
häufig wird aber nur konzeptuelles Wissen gelehrt; prozedurale Fähigkeiten
benötigen Übung über eine Breite von Aufgaben, bei denen eine bestimmte
Prozedur angewendet werden könnte, es muss automatisiert werden um den
Aufwand zu minimieren
konzeptuelles Wissen ermöglicht es dem Kind, Ähnlichkeiten zwischen Aufgaben
zu erkennen und die Grundprinzipien zu verstehen
Möglichkeite: Schüler nach so vielen Problemlösewegen zu fragen, wie möglich;
oder Aufgaben im bekannten Kontext zu präsentieren
Zusammenfassung:
die Prinzipien der evolutionären Selektion kann einen theoretischen Rahmen für
Modelle der menschlichen Kognition und Entwicklung bieten
deutlichere Unterscheidung zwischen biologischen und kulturellen Einflüssen
Wichtigkeit der Schule, Motivation muss von der Gesellschaft kommen
Zusammenfassung Anlage- Umwelt O+M
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kontroverse Frage, ob den Erbanlagen oder den individuell erlebten
Umwelteinflüssen bei der Entwicklung des Erscheinungsbildes mehr Gewicht
zugemessen werden sollte
nur Genom: eugenische Maßnahmen
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nur Umwelt: Bildungsmaßnahmen etc.
heute eher die Frage, welche interindivuduellen Unterschiede in beidem zur
Herausprägung phänotypischer Unterschiede führen- dies ist nur spezifisch für
einzelne Merkmale zu beantworten
es ist eine Interaktion zwischen Individuen und ihrer Umwelt anzunehmen
(unterschiedlicher Einfluss der Umwelt je nach Genom oder bereits
entwickeltem Phänotyp, U. wird unterschiedlich bewertet und
wahrgenommen: Technikmuseum)
Konzept der spezies- normalen Umwelt:
dass Kultur gelernt werden kann, hat sich als Fähigkeit in der Evolution
herausgebildet
Verhaltensgenetik unterschiedet Entwicklungsereignisse, die normal sind für die
Spezies und die normal sind für eine Kultur
das was gelernt ist, ist phänotypisch unterschiedlich, aber im jeweiligen Kontext
äquivalent
Kernsatz der Verhaltensgenetik: alle normalen Kinder erwerben das für die
jeweilige Kultur normale Repertoire
spezies- normal umfasst also einen breiten Bereich
die unterschiedlichen Ausprägungen des Phänotyps unterscheiden zwischen
Erfolg und Misserfolg in einer Kultur
Nachweis der Bedeutung von Erbanlagen:
Allele sind in 23 Chromosomenpaaren aufgereit, Orte= Gene
chromosomale Besonderheiten:
a) unproblematischer Nachweis der Vererbung wenn ein enger Zusammenhang
zwischen phänotypischem Merkmal und chromosomaler Auffälligkeit gegeben ist
(XY,XX, Trisomie 21)
b) oder wenn ein Mermal oder eine Krankheit in aufeinanderfolgenden
Generationen einem Erbgangsmodell entspricht (leicht bei diskreten Merkmalen.
PKU = Eiweißstoffwechselstörung; sonst aber eher polygenetische Vererbung =
Intelligenz, Aggressivität oder Modifikation durch den Einfluss anderer Gene –
dann kann der Anlageeinfluss nicht klar nachgewiesen werden, in diesem Fall... )
1) Reinzüchtung und Wahl ähnlicher Partner
wenn Individuen mit extremen Ausprägungen jeweils ähnliche Partner
wählenphänotypische Varianz wird geringer: Erbeinfluss nachgewiesen
(Wahl nach Intelligenz- extreme Ausprägungen werden häufiger)
2) populationsgenetische Analysen
es wird versucht, in der Population gegebene phänotypische Unterschiede
auf
Anlage- oder Umweltunterschiede zurückzuführen, Einzelfall kann keine
Aufklärung leisten, in der Population gibt es Unterschiede im Phänotyp,
unterschiedliche Anlageähnlichkeit und unterschiedliche
Umweltähnlichkeit die Auflösung der Konfundierung zwischen den
Ähnlichkeiten ist das
methodische Problem der Populationsgenetik
Untersuchungen in biologischen Familien nicht aussagekräftig- darum
Adoptions- und Zwillingsstudien
Zwillingsuntersuchungen:
EZ sind anlagemäßig identisch, phänotypische Unterschiede müssen auf
Umweltfaktoren zurückgeführt werden
bei allen anderen Verwandtschaftsgraden ist beides möglich
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ZZ sind sich genetisch genauso ähnlich wie Geschwister teilen aber auf Grund des
gleichen Alters mehr an Kontext, Ähnlichkeitsdifferenzen zwischen ZZ und BG
sind also auf größere Umweltdifferenzen bei den BG zurückzuführen (aber:
geringere Ä. bei ZZ, auf Grund größerem Bedürfnis nach Individualität)
bei gleichem Verwandtschaftsgrad: je ähnlicher, desto länger sie
zusammengelebt haben
aber: Leben in der gleichen Familie bedeuten nicht den identischen Kontext
EZ ähnlicher als ZZ, aber auch Umwelt ähnlicher
getrennt aufwachsende Zwillinge:
aussagekräftiger, Trennung der EZ und ZZ in der frühen Kindheit;; Problem:
korrelierte Umwelten durch selektive Platzierung
Forschungsbeispiel der Populationsgenetik: Intelligenz
größere Anlageähnlichkeit geht mit höherer IQ Ähnlichkeit einher, auch bei
Aufwachsen in verschiedenen Umwelten (Indizien dafür, dass ein großer Teil der
Varianz durch Unterschiede im Erbgut erklärt werden kann.
EZ: a) gemeinsam: .86 b) getrennt: .75
ZZ: a) gemeinsam: .39 b) getrennt: .35
BG: a) gemeinsam: .54 b) getrennt: .47
Kinder: nicht verwandt: -.02
Maß für die Erblichkeit:
E2 ist der Anteil der Gesamtvarianz eines phänotypischen Merkmals, der
auf Anlageunterschiede zurückzuführen ist (vor allem Korrelation zwischen
EZ und ZZ in derselben Umwelt: E2 = (rEZ-rZZ):(1-rZZ)- bei Intelligenz = .77)
Untersuchungen in Adoptivfamilien:
Überzufällige Ähnlichkeiten zwischen AE und AK durch 2 Quellen:
1) selektive Platzierung
2) Sozialisation
Überzufällige Ähnlichkeit zwischen BE und den frühzeitig adoptierten BK kann
nur (bei Ausschluss selektiver Platzierung) durch Anlageähnlichkeiten kommen
Veränderung des Erblichkeitskoeffizienten mit dem Lebensalter:
nicht invariant, sondern nehmen mit dem Alter zu: genetische Unterschiede und
Ähnlichkeiten manifestieren sich nach der Vorschulperiode immer deutlicherUmwelteinflüsse haben in den ersten Lebensjahren zwar Effekte, aber meist
keine überdauernden
Plomin & Thopmson: Erblichkeitskoeffizient steigt von 20% in der frühen
Kindheit auf bis zu 60% in der Adoleszenz
3 Arten der Passung zwischen Anlage und Umwelt:
Plomins Typologie der Anlage- Umwelt- Korrelation = passiv, evokativ (reaktiv)
und akktiv
1) passive Genom- Umwelt- Passung = Eltern und Kinder teilen einen Teil ihres
Genoms, der führt zu einer bestimmten Gestaltung des Lebens durch die Eltern
(Kultur, Musik, Lesen, beruflicher Status), das macht einen Teil der
Lebensumwelt der Kinder aus- entspricht dieses Angebot dem Genom des Kindes
liegt eine passive Passung vor (keine Entzugsmöglichkeiten)
2) evokative / reaktive Passung = das Kind erhält Angebote und Anforderungen,
ausgelöst durch sein eigenes Genom (Lernangebote, Sport, Zuwendung)
3) aktive Passung = Kind wählt, passend zu seinem Genom, selbst
Umweltangebote aus, beeinflusst seine Umwelt und gestaltet diese aktiv mit
(soziale Kontakte, Beruf)
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pädagogische Förderung: im günstigsten Fall entsprechen sich Genom und
Umweltangebot (alle drei Typen fallen dann zusammen); Problem bei
deprivierendem familiärem Umfeld
der vorherrschende Passungstyp ändert sich mit dem Lebensalter:
passiv nimmt ab, aktiv nimmt zu, evokativ bleibt gleich = Grund für die
Veränderung des Erblichkeitskoeffizienten
passive Kovariation ist in biologischen Familien wahrscheinlicher
je bedeutender evokativ und aktiv werden, desto mehr setzt sich die
Anlageähnlichkeit durch
aktive Passung erfordert Wahlmöglichkeiten:
auch getrennt aufgewachsene EZ werden einander sehr ähnlich, weil aus einem
breiten Angebot das genomtypische Ausgewählt wird
Interpretation populationsgenetischer Analysen:
GEDANKENEXPERIMENT = für alle sei die ideale Umwelt realisiertIntelligenzunterschiede können nicht mehr auf Umweltunterschiede
zurückgeführt werden- bedeutet aber nicht, dass Umwelt unwichtig ist, nur wenn
sehr viel Umweltvarianz besteht, aber keine Korrelation mit phänotypischer
Intelligenz besteht kann die Umwelt ohne Bedeutung sein; umgekehrt:
Reinzüchtung, Unterschiede basieren auf Umwelt, Gene aber nicht überflüssig
= Begrenzung der Generalisierbarkeit- es wird nur das Verhältnis in einer
Population beschrieben in der nur bestimmte Anlage- und Umweltunterschiede
realisiert sind
es zeigt sich aber, dass ein größerer Teil interinidivueller phän. Unterschiede auf
genetische Unterschiede zurückzuführen ist (Erblichkeit der Intelligenz bei
mindestens .50)
Varianzanteile sind keine Merkmalsanteile:
kein Rückschluss auf Anteile der Erbeinflüsse bei einzelnen PersonenErblichkeit beschreibt nur den relativen Einfluss der Anlagen (eine einzelne
Messung hat keine Varianz)
Ein hoher Erblichkeitskoeffizient bedeutet nicht Determination durch Anlagen:
sagt über die Möglichkeiten der Umweltwirkung erstmal nichts aus, erst wenn
trotz großer Umweltveränderungen der Erblichkeitsk. gleich bleibt, kann man
sagen, dass sich ein Merkmal relativ unabhängig von der realisierten Umwelt
entwickelt
Förderung: kurzfristig- Erfolge nicht dauerhaft; langfristig = Adoption von
Kindern aus sozial schwachen Familien in Mittelschichtsfamilien (unkritischer
Milieuoptimismus- nur Umwelt = Watson)
Die richtigen Fragen stellen:
Anne Anastasi: es gibt viele Wege des zusammenwirkens, es ist sinnvoller, nach
diesen zu Fragen als nach Einflussanteilen (Umwelt fördernd, behindernd,
kompensierend auf genotypische Potentiale)
einige Auswirkungen von Anlagen werden erst durch die Bewertung der Umwelt
produziert (Schönheit, Selbstwert)
Weitere Modellvorstellungen für die Erklärung von Entwicklung:
- interne oder externe Bedingungen- additiv oder interaktiv
- Reifung:
- gengesteuerte Entfaltung biologischer Strukturen und Funktionen, setzt innere
und äußere Entwicklungskontexte voraus
- auf R. zurückzuführen, wenn universell und ohne Lernen
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in der EP eher negativ- daher Methoden des Nachweises durch Ausschaltung
oder Fehlschlagen von Lernmöglichkeiten (der Rest ist dann Reifung)
fehlende Erfahrungsmöglichkeiten: tierversuch, Fälle extremer Deprivation oder
Isolation (Wolfskinder, das Mädchen Genie war 13 Jahre isoliert)
speifische Erdahrungsdeprivationen häufig (Blindheit)
Reifestand:
ein bestimmter Entwicklungsstand muss gegeben sein, damit Erfahrung auf
fruchtbaren Boden fallen kann (Kinder können aber häufig schon viel früher
Lesen lernen, 3-4jährige)
sensible Perioden:
Konzept aus der Embryologie, Entwicklungsabschnitte, in denen bestimmte
Organe und Funktionen ausgebildet werden (pathogene Einflüsse haben so die
maximal schlechte Auswirkung)
Konrad Lorenz: Prägung = verhaltensmäßiges Analogon
Entwicklungsabschnitte, in denen spezifische Erfahrungen maximale positive
oder negative Wirkung haben) = Perioden erhöhter Plastizität unter dem Einfluss
von Bedingungen
Voraussetzungen für empirischen Beweis der Existenz: Messbarkeit der
Einflussfaktoren, vergleichbare Untersuchungsgruppen, objektive Erfassung der
Wirkung, langfristige Beobachtung der Wirkung, Schwierigkeit der Änderung
entstandener Dispositionen
Beginn und Ende: definiert durch den Erwerb von Erfahrungsvoraussetzungen,
Kindheit als besonders sensible Periode (fehlende Unterscheidung von realität
und Irrealem)
Stabilität von Ängsten durch Motivation durch Vermeidung =
selbststabilisierende Funktion (Vertrauen und Misstrauen in der frühen
Kindheit)
sensible Periode der Intelligenzentwicklung: Bewegung der kompensatorischen
Vorschulerziehung, Ausgleich anregungsschwacher EntwicklungsumweltenSesamstraße
Stabilisation der Intelligenzunterschiede in der Vorschulperiode
aber: Kinder aus höheren Schichten haben generelle eine Aufwärtstendenz
(Zweifel an der Unveränderlichkeit des IQs nach Blooms These)
Kompensatorische Vorschulprogramme nur kurzfristig erfolgreich,
Leistungsgewinne nicht stabil
Suche nach Äquivalente zum Genom = personale Entwicklungsbedingungen, die
das eigenständige Lernen fördern
trotzdem: nicht nach hinten verschieben- kumulative Defizite, Chancengleichheit
wahren
Aufgaben:
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Verwandtschaftsgrad
Gemeinsam
aufgewachsen
Getrennt
aufgewachsen
Eineiige Zwillinge
.86
(190)
.75
(158)
Zweieiige Zwillinge
.39
(178)
.35
(112)
Geschwister
.54
(271)
.47
(28)
Nicht verwandt
-.02
(108)
---
Welche Korrelationsunterschiede weisen im Sinne der Populationsgenetik auf Anlageeinfluss
und welche auf Umwelteinfluss hin?
Erklären Sie den Unterschied zwischen Kovariation und Wechselwirkung zwischen Anlage
und Umwelt.
Angenommen eine Bekannte, die nicht Psychologie studiert (hat), stellt Ihnen die Frage, ob
man in der Psychologie weiß, zu welchem Anteil Homosexualität angeboren ist und zu
welchen Anteil die Erziehung bzw. andere Umweltfaktoren dafür verantwortlich sind. Was
würden sie antworten?
Musterlösung zur Vorlesung Anlage-Umwelt
Von Petra Buys
Aufgabe 1
Nach den Annahmen der Populationsgenetik gibt es einige wesentliche Faktoren, die auf
Anlage- bzw. Umwelteinflüsse hinweisen:
1. Verwandtheitsgrade stellen Abstufungen der genetischen Gemeinsamkeiten von
Personen dar. Ähnlichkeiten in Merkmalsausprägungen sollten bei größerer
genetischer Übereinstimmung bedeutender sein. An diesen unterschiedlichen
Ähnlichkeiten lässt sich der Einfluss der Anlage abschätzen.
 In der dargestellten Tabelle betrifft dies insbesondere die Unterschiede in
Korrelationen zwischen zusammen aufgewachsenen EZ und ZZ: Da die
Zwillingspaare jeweils gleichaltrig sind, wird von einem hohen geteilten
Umwelteinfluss ausgegangen- Korrelationsunterschiede (r=.86 vs. r=.39)
wären danach allein auf unterschiedliche genetische Gemeinsamkeiten
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(100% vs. 50%) zurückzuführen. Ferner ist von Interesse, dass die
Merkmalsausprägungen von Geschwistern höher korrelieren (.54) als die von
nicht verwandten Kindern (-.02); auch dies weist auf einen genetischen
Einfluss hin (geteilte Umwelten haben alle Paare, geteilte Gene nur
Geschwister).
2. Bei gleicher Ausprägung genetischer Ähnlichkeiten sollten bei
Merkmalsausprägungen umso mehr übereinstimmen, je länger die betreffenden
Personen zusammen gelebt haben; je größer also das Ausmaß der geteilten Umgebung
ist. Aus solchen Korrelationen lässt sich der Umwelteinfluss ersehen.
 Hier sind vor allem die unterschiedlichen Korrelationen zwischen
gemeinsam und getrennt aufgewachsenen Paaren von Bedeutung: Die
durchweg höheren Korrelationen zwischen Geschwistern mit geteilter
Umwelt weisen auf Umwelteinflüsse auf den IQ hin.
Aufgabe 2
Kovarianz beschreibt statistisch gesehen einen linearen Zusammenhang zwischen zwei
Variablen (hohe Y-Werte gehen mit hohen X-Werten einher). In der Anlage-UmweltForschung beschreibt Kovarianz ebendieses: Bedingt durch verschiedene Faktoren treten
bestimmte Gene gehäuft in bestimmten Umwelten auf; d.h. genetische Veranlagung und
umweltbedingte Förderung oder Unterdrückung von Merkmalsausprägungen hängen weit
überzufällig zusammen. Dies wird bedingt durch die aktive Selektion von Umwelten, die zur
Anlage passen (aktive Kovariation), Reaktionen der Umwelt auf die Begabungen eines
Menschen (reaktive Kovariation) sowie die besonders bei Kindern auftretende passive
Kovariantion, die durch die genetischen Überschneidungen innerhalb von Familien zustande
kommen (Umwelt der Eltern fördert wahrscheinlich Begabungen des Kindes, da dessen
Talente denen der Eltern ähneln).
Interaktion bezieht sich auf eine Wechselwirkung zwischen zwei (oder mehr) Faktoren, deren
Einfluss nur dann zum Tragen kommt, wenn z.B. beide Faktoren gleichzeitig auftreten. Auf
die anstehende Frage bezogen bedeutet dies, dass genetische Faktoren beispielsweise die
Vulnerabilität bzw. die Ansprechbarkeit für bestimmte Umweltfaktoren erhöhen oder senken
können; es reichen jedoch weder nur die Anlage noch nur die Situation aus, um eine
Merkmalsausprägung herbeizuführen- dies geschieht durch die Interaktion von beiden.
Sowohl Kovarianz als auch Interaktion von Anlage- und Umweltfaktoren tragen dazu bei,
dass die genaue Stärke des Einflusses beider Elemente nur sehr schwer trennbar ist.
Aufgabe 3
Anlage und Umwelt beeinflussen sich in hohem Maße gegenseitig. So ist es wahrscheinlich,
dass sich eine Person Umweltgegebenheiten sucht, die seinen Anlagen entsprechen und diese
fördern, ebenso wie seine soziale Umwelt auf wahrgenommene Fähigkeiten reagieren und
diese somit ebenfalls unterstützen (oder natürlich auch bremsen) kann (s. Aufgabe 2). So
kommt es zustande, dass bestimmte Anlagen besonders häufig in bestimmten Umwelten
auftreten. Man sieht also schnell, dass es unmöglich ist, aus einem Merkmal wie
Homosexualität die Anteile von Anlage und Erziehung „herauszusortieren“. Stellte man zum
Beispiel (hypothetisch!) fest, dass Homosexuelle sich meistens besonders stark mit dem
andersgeschlechtlichen Elternteil identifizieren, lässt sich daraus nicht ableiten, ob dies ein
Umweltfaktor ist, der zur Entwicklung der Homosexualität beiträgt, oder aber eine frühe
Auswirkung einer angeborenen (Neigung zur) Homosexualität.
Hinzu kommt der Faktor der Interaktion: Häufig treten auch genetisch angelegte Merkmale
nur dann auf, wenn sie mit entsprechenden Umweltfaktoren zusammenfallen. Selbst wenn
eine Neigung zur Homosexualität angeboren wäre ist es also möglich, dass diese nur bei ganz
68
bestimmten Umwelteinflüssen zum Vorschein kommen würde. Auch deshalb können Anlageund Umwelteinflüsse hier kaum getrennt werden – auch bei Nicht-homosexuellen Personen
könnten dann die genetischen oder erzieherischen Voraussetzungen für Homosexualität
gegeben sein- nur eben nicht beide.
Es zeigt sich also, dass nicht geklärt werden kann, zu wie viel Prozent Vererbung und
Erziehung für Homosexualität verantwortlich sind. Gemessen werden kann höchstens,
welchen Einfluss verschiedene genetische Ausstattungen und Umwelten auf die Unterschiede
zwischen verschiedenen Menschen in einem Merkmal haben. Dies ist zum Beispiel bei dem
Merkmal „Intelligenz“ vielfach untersucht worden. Bei der Frage nach Homosexualität
erweist sich das allerdings immer noch als sehr schwierig, da es sich dabei um kein
Kontinuum handelt (nominalskaliert!). Wenn nur zwei mögliche Merkmalsausprägungen
(ja/nein) vorhanden sind, sind Zusammenhänge zu Variablen wie Anlage und Umwelt kaum
festzustellen.
Identität, Miller: Erikson
69
Zusammenfassung Miller: Erikson und Freud- IDENTITÄT UND SELBSTKONZEPT
-
-
Neo- Freudianer: Hartmann- er betonte konfliktfreie Ich Funktionen, wie
Wahrnehmung, Gedächtnis und logisches Denken (das Ich integriert und organisiert
hier die Persönlichkeit- bei Freud eher Verteidigung und Hemmung)
Hartmann: Ich ist teilweise vom Es und dessen Trieben unabhängig
White: Ich- Befriedigung durch Exploration und Kompetenzen bei der
Aufgabenbewältigung
Psychoanalyse kann also den Normalbereich sowie den der Pathologien angehen
viele Neo- Freudianer wichen auch von Freuds biologischem Ansatz ab und bezogen
auch den Einfluss von Gesellschaft und Kultur mit ein – vor allem durch Erik Erikson
Biografie:
- 1902 in Deutschland: sollte Kinder von Amerikanern unterrichten, die sich in Wien
mit Freuds Ansatz beschäftigten, führte zum Eintritt in das Wiener Institut für
Psychoanalyse
- unterrichtet von Anna Freud (lernte auch von Sigmund Freud, Hartmann etc.)
- 1933 in die USA ausgewandert
- Harvard Medical School, Kinderanalytiker
- gestorben 1994, 91 Jahre, Veröffentlichungen: Child and Society, Identity: Youth and
Crisis
- seine Interessen: Soldaten des 2. WK, Spiel bei normalen und „gestörten“ Kindern,
Konversation bei Erwachsenen in Identitätskrisen, Rassenkonflikte,
Generationenlücke, Jugendkriminalität, sich verändernde sexuelle Rollen
generelle Orientierung der Theorie:
-
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-
-
akzeptierte die generellen Begriffe Freuds: psychologische Strukturen, das
Bewusste/ das Unbewusste, Triebe, psychosexuelle Stufen, Kontinuum zwischen
normal und krank
Erweiterung: 8 psychosoziale Stufen über die Lebensspanne, Studium der
Entwicklung der Identität, Entwicklung neuer Methoden
psychosoziale Stufen:
körperliche Reifung hat persönliche und soziale Auswirkungen- es entwickeln sich
neue Fähigkeiten, die dem Kind neue Möglichkeiten eröffnen, aber gleichzeitig
wachsen auch die Anforderungen der Gesellschaft
es gibt eine Passung zwischen dem Kind und seiner Kultur: Begegnung mit den
neuen Bedürfnissen des Kindes durch Schule, soziale Organisationen, ein Set von
Werten
„Zahnrad“: Kind braucht Betreuung, Eltern wollen betreuen
die Kultur hat sich über viele Generationen an das Kind angepasst und nun passt sich
das Kind an die Kultur an
kulturelle Relativität der psychosozialen Entwicklung:
1) alle Kinder durchlaufen zwar die gleiche Sequenz, aber jede Kultur hat ihren
idiosynkratischen Weg, das Verhalten des Kindes in jeder Stufe zu
dirigieren und zu
verstärken (Sioux: Mädchen scheu, Jungen Jäger)
2) innerhalb der Kultur im Laufe ihrer Veränderung (Industrialisierung,
Depression,
Immigration)
70
psychosoziale Entwicklung findet im Sinne der epigenetischen Prinzipen statt: alles
was sich entwickelt, hat einen Grundriss, aus dem dann einzelne Teile erwachsenen,
jeder zu seiner Zeit (Fötus- Metapher = die Persönlichkeit wird immer
differenzierter und hierarchisch organisiert und von einer spezifischen Umwelt
geformt
- das Kind besitzt angeborene Gesetze zur Entwicklung- Reifung und die Erwartungen
der Gesellschaft kreieren 8 Krisen (jede ist am deutlichsten in einer Stufe, verteilt
sich aber im Großen und Ganzen über den gesamten Verlauf der Entwicklung
- jede Krise wird durch mögliche positive und negative Ergebnisse beschrieben
(Autonomie vs. Scham und Zweifel)- idealer Weise sollten die positiven Aspekte
dominieren
- wenn sie nicht überwunden werden, kämpft die Person die frühen Kämpfe im
weiteren Verlauf des Lebens (Identitätskrise auch noch im Erwachsenenalter,
Erikson: es ist aber nie zu spät)
- Eriksons Theorie liegt zwischen der von Piaget (sukzessive Stufen) und Freud
(lockere Integration)- jede Stufe baut auf der vorausgegangenen auf und beeinflusst
die Form der folgenden
- Erikson/ Freud:
- 1) Vertrauen vs. Misstrauen / orale Phase
- 2) Autonomie vs. Scham und Zweifel / anale Phase
- 3) Initiative vs. Schuld / infantil genital (ödipale Phase)
- 4) Werksinn vs. Minderwertigkeit / Latenzphase
- 5) Identität vs. Identitätsdiffusion / Pubertät
- 6) Intimität vs. Isolation / genitale Phase
- 7) Generativität vs. Selbstabsorption
- 8) Integrität vs. Verzweiflung
- Betonung auf Identität:
- positiverer Ansatz als der von Freud
- das Hauptthema des Lebens ist die Suche nach Identität- eine Aufrechterhaltung
eines inneren Zusammenhanges mit den Idealen und der Identität einer Gruppe =
Akzeptanz und Verständnis des Selbst und der eigenen Gesellschaft (Erikson selbst
Immigrant, Probleme von Minderheiten bei der Formung einer Identität)
- die Wahrnehmung der Identität sollte auf jeder Stufe erneut bestätigt werden
(ähnlich der Veränderungen von Konzepten bei Piaget)
- Verlust der Identität, beobachtet im 2. WK = Identitätskrise (taucht in jedem Leben
auf)
- Erweiterung der Psychoanalytischen Methodik:
- Beitrag zu 3 Methoden. 1) direkte Beobachtung von Kindern 2) Cross- kulturelle
Vergleiche 3) Psychobiografie = Analyse der psychosozialen Entwicklung berühmter
Persönlichkeiten (Ghandi, Hitler, Maxim Gorki) (one must study man in action)
- Erikson fasziniert davon, wie die Lösungen der universellen Stufen von Kultur zu
Kultur variieren
Beschreibung der Stufen:
- lebenslange Belange des Ichs erreichen in der jeweiligen Stufe ihren Höhepunkt
- 1) Geburt bis 1: Vertrauen vs. Misstrauen
Zusammenhangen zwischen den eigenen Ansprüchen und denen der Welt
Vertrauen, dass die Mutter zurückkommen wird, Gefühl der Akzeptiertheit
geben und nehmen (orale Erfahrungen)
Fehlschlagen: Frustration, Rückzug, Mangel an Selbstvertrauen
- 2) 2- 3: Autonomie vs. Scham und Zweifel
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mehr Kontrolle, Unabhängigkeit, aber auch neue Ängste
ideal: Aufbau von Selbstkontrolle ohne den Verlust des Selbstwertes
die Kultur, ausgedrückt durch die Eltern, formt die neuen Kompetenzen, das Kind
lernt Regeln
festhalten und loslassen
Fehlschlagen: anale Persönlichkeit = überkontrolliert, rigide
3) 4- 5: Initiative vs. Schuld
Identifikation mit den Eltern (mehr Fokus auf soziale Seite des Ödipuskonflikts)
4) 6- Pubertät: Werksinn vs. Minderwertigkeit
Kompetenz
ruhigere Periode = Latenz
5) Adoleszenz: Identität vs. Identitätsdiffusion
Identität = Ich Synthese und Resynthese im Laufe der Kindheit; Integration von
konstitutionellen Gegebenheiten, idiosynkratischen triebhaften Bedürfnissen,
Kapazitäten, Identifikationen, effektiver Abwehr, erfolgreicher Sublimierung und
beständigen Rollen
verschiedene Rollen, sozialer Druck
das Ganze (die Identität) ist mehr als die Summe seiner Teile (vorangegangene
Identifikationen)
Fehlschlagen: Persönlichkeit bleibt bruchstückhaft
Ideologie der Gesellschaft definiert, welche Rollen wünschenswert sind
6) junges Erwachsenenalter: Intimität vs. Solidarität
geht nur bei einer integrierten Identität von Stufe 5
Fehlschlagen: Rückzug in Isolation (stereotype, kalte soziale Beziehungen)
7) mittleres Erwachsenenalter: Generativität vs. Selbstabsorption
sich um die nächste Generation kümmern, Glaube an die eigenen Fähigkeiten
Fehlschlagen: Stagnation, Langeweile
8) spätes Erwachsenenalter: Integrität vs. Verzweiflung
Akzeptanz der Endlichkeit des Lebens
Fehlschlagen: Bedauern, Angst vor dem Tod
gegenwärtige Forschung auf der Basis von Erikson:
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im Gegensatz zu Freud und Piaget: Entwicklung über die komplette Lebensspanne
Marcia: Anwesenheit/ Abwesenheit von Krisen und Verpflichtung führen zu 4
Identitätsstatus = Diffuse Identität, Übernommene Identität, Moratorium, erarbeitete
Identität (Exploration und Verpflichtung)
Krise = Auswählen zwischen möglichen Alternativen
Verpflichtung = Ausmaß der persönlichen Investition in die eigenen Überzeugungen
Kritik von Gilligan: nicht universell gültig zwischen Kulturen und für Männer und
Frauen
Mechanismen der Entwicklung:
- epigenetische Prinzipien, körperliche Reifung- innerhalb dieser Grenzen sorgt die
Kultur für Variation
- viel mit Freud vereinbar: Triebe, Frustration, Bindung und Identifikation
- lehnt aber Freuds Äquilibrium der Spannungsreduktion ab
- Erikson: Entwicklung = Lösung von Konflikten zwischen entgegengesetzten Kräften
- spezifischer Mechanismus der Entwicklung: Spiel – Gebrauch der Vorstellungskraft
zur Bewältigung der Welt und zur Anpassung an sie, Emotionen auszudrücken,
72
-
vergangene oder zukünftige Ereignisse herzustellen- so können in der Realität nicht
zu bewältigende Probleme gelöst werde (Bsp.: Visualisierung, Fantasieren,
Rehearsal)
Spiel ist häufig ritualisiert, formal und als Common Ground in der Kultur anerkannt
Rituale = Mechanismen der Entwicklung, da sie einen in den Mainstream der Kultur
bringen und vorgefertigte Lösungen bereitstellen
Positionen zu Entwicklungsthemen:
- optimistischer im Bezug auf die Natur des Menschen- Menschen wollen nicht nur
Schmerz vermeiden, sondern sind auf der Suche nach einer positiven Bedeutung der
Identität
- Entwicklung vor allem qualitativ, aber auch quantitativ, da die Identität stärker wird
- ein sich veränderndes Kind in einer sich verändernden Umwelt und ein System von
kulturell konstruierten Kontexten zur Sozialisierung des Kindes
- Natur determiniert die Sequenz der Stufen und setzt Grenzen, Erikson legte aber,
mehr als Freud, Wert auf die Rolle der Kultur als Einfluss auf die Entwicklung (auch
die Vergangenheit und Gegenwart der Gesellschaft spielen eine Rolle
- im Gegensatz zu Freud war Entwicklung für Erikson lebenslang
- die Identitätsbildung ist der Kern der Entwicklung
Anwendung: heute vor allem zum Counselling (Entscheidungsbildung)
Bewertung der Theorie:
- Erweiterung des psychoanalytischen Ansatzes
- Stärken:
Erweiterung der psychoanalytischen Theorie (psychosozial hinzugefügt, Kultur,
Ich
Identität, Normalität, Interkulturelles, Entwicklung im Erwachsenenalter)
breite Perspektive (Einfluss auf das Kind durch Kultur, Geschichte)
- Schwächen:
Fehlende Systematik (schwer zu testen, sehr interpretativ)
Mangel spezifischer Entwicklungsmechanismen (wie werden Krisen bewältigt etc
Zusammenfassung:
- Grundlage sind 2 von Freuds Ideen: die ersten Jahre sind am bedeutendsten, da dort
die Persönlichkeit geformt wird; sie entsteht durch die Bewältigung einer
invarianten Sequenz von Konflikten
- jeder Konflikt betrifft eine bestimmte Domäne (oral, anal)
- 2 grundlegende Modifikationen durch Erikson: 1) wichtige soziale Faktoren 2) das
Leben als Suche nach Identität (Fokus auf den Fortschritt des Ich)
Zusammenfassung Identität: das zentrale Thema des Jugendalters
-
-
Zum Begriff der Identität:
einzigartige Kombination von persönlichen, unverwechselbaren Daten des
Individuums (Name, Alter, Geschlecht, Beruf)- kennzeichnend, unterscheidend
im engeren psychologischen Sinn = einzigartige Persönlichkeitsstruktur,
verbunden mit dem Bild, das andere von dieser haben + im Jugendalter: eigenes
Verständnis für die Identität
Abgrenzung zu Selbst (nach James): Selbst bezieht sich im ontologischen Sinne auf
den Kern des Persönlichkeitssystems; der träger von Handlungen, der Akteur;
Selbstwahrnehmung, Selbsterkenntnis (phänomenologisch) = Selbstkonzept
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Selbstkonzept: affektive Komponente (Selbstwertgefühl- Fähigkeitskonzept- +
Selbstvertrauen), kognitive Komponente (Wissen über sich selbst,
Selbstwahrnehmung)
Selbstschema und Selbsttheorie (Erklärung über eigene Entwicklung, Stellung in
der Welt) als tiefergreifende Selbstbeschreibungen
James: Selbst = I (ich) und Me (mich) = Erkennender und Erkannter, das Ich will
ein klares Bild vom Gegenstand seiner Erkennens, dem mich, gewinnen
Mead: me = individuelle Spiegelung des gesellschaftlichen Gruppenverhaltens;
Übernahme der Haltung durch das Me = Identität, derer er sich bewusst ist; es
steht für eine bestimmte Organisation in der Gemeinschaft, verlangt nach einer
Reaktion; Reaktion des Subjekts auf gesellschaftliche Inhalte = I (reagiert auf die
Identität)
beim I wird die Freiheit und Unvorhersagbarkeit des Handelns angesiedelt =
Offenheit von Entwicklung
andere Unterscheidungen: persönliches/ privates (persönliche Identität,
lebensgeschichtlicher Zusammenhang zwischen den Erfahrungen, die ein Mensch
gemacht hat) und öffentliches/ soziales Selbst (soziale Identität, entsteht aus
dem Bild, das andere sich von einem machen)
„looking- glass- self“: wie sich das Individuum durch die Brille der anderen sieht
(welche Bilder werden vom Ind. erfasst)
Burns: Selbst wie ich bin, Selbst wie ich sein möchte, Selbst wie andere mich
sehen; gegenwärtige Sicht = reales Selbst, zukünftige Sicht = ideales Selbst
wahres Selbst und das Selbst als Vakuum; wahres Selbst gilt es zu entdecken
(humanistischer Ansatz), Vakuummodell: anfängliche Leere der Individuumsdadurch werden bestehende Konventionen übernommen
(Existentialphilosophie, Heidegger), Wahl von Identitäten zur Maskierung dieses
Vakuums (Sartre)
Ausgangspunkt hier ist der Begriff der Identität von Erikson:
1) Identität als Antwort auf die Frage- wer bin ich?
2) Herausbildung einer neuen Ganzheit- Integration der Elemente des
alten und
den Erwartungen der Zukunft
3) Integration führt zur Erfahrung von Kontinuität und Selbstsein
Antwort der Identitätsfrage durch realistische Einschätzung der eigenen
Person, der Vergangenheit, der Kultur (Ideologien, Erwartungen)
4) kulturelle Erwartungen werden hinterfragt (kristallisiert sich um
fundamentale Probleme)
5) führt zu persönlichen Verpflichtungen
6) ermöglicht eine produktive Integration in die Gesellschaft
7) subjektives Gefühl von Loyalität und Treue, Selbstachtung,
Verwurzelung
die sensible Phase für die Entwicklung der Identität ist die Adoleszenz
Modell der Identität nach Bosma: Inhalt der Verpflichtung, Stärke der
Verpflichtung, Umfang der Exploration, um der Verpflichtung gerecht zu werden
Fazit: Grundbemühungen des Individuums bei der Identitätsbeschreibung = sich
selbst erkennen + das Bestreben, sich selbst zu gestalten = Selbsterkenntnis und
Selbstgestaltung als die 2 Prozesse, die die Identitätsentwicklung vorantreiben
Identitätsentwicklung: voller Tumulte oder ruhiges kontinuierliches Wachstum?:
Jugend nicht mehr als Sturm und Drang
Offer et al.: Befragung von jugendlichen- keine gravierenden Probleme, aber
Geschlechtsunterschiede
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Mullis et al.: Cooper- Smith- Inventar- Quer und Längsschnittstudie an 270
Jugendlichen; Selbsteinschätzung veränderte sich nicht (im Querschnitt, Schüler
zum gleichen Zeitpunkt) aber im Längsschnitt: signifikanter Anstieg
Konstanzer Untersuchung „Entwicklung im Jugendalter“ 2000 Schülerzunehmende Stabilitätswerte; stabil bleiben allgemeine Zufriedenheit,
Emotionskontrolle Selbstakzeptanz
Stabilität des Selbstkonzepts: relativ hohe Korrelationen zwischen den einzelnen
Messungen (kognitive Komponente) aber auch die affektive Komponente schein
relativ stabil zu sein (Selbstwert)- aber auch Abnahmen, vor allem bei Mädchen
Fazit: Slebstkonzept, gemessen über Selbsteinschätzung verändert sich zu
keinem Zeitpunkt dramatisch, Anstieg im Längsschnitt, im Querschnitt nur
geringe Unterschiede zwischen den Altersgruppen
Struktur der Identität und ihre Veränderung im Jugendalter:
wachsende Komplexität der Identität: achtung- es wird durch die
Selbstkonzeptmaße nicht die Identität als Struktur erfasst
über die Zeit werden die Selbstbeschreibungen immer differenzierter und
organisierter
Pinquart und Silbereisen: Konstruktion kontextspezifischer Selbst, Realbild und
Idealbild werden mit zunehmendem Alter deutlich getrennt, Trennung von
authentischem und unauthentischem Selbst, man lernt, sich aus der Sicht anderer
zu sehen, Einbeziehung der Zeitdimension (Vergangenheit und Zukunft)
Methode der Selbstbeschreibung: im ausführlichen Interview- Identität komplex,
aks Konstruktion der eigenen Identität, die sich nach der jeweiligen
Bedürfnislage richtet, rückt kritische Lebensereignisse in den VordergrundSelbstbeschreibung kann sich nach einem Jahr drastisch ändern (inhaltliche
Darstellung und Strategien der Darstellung)
Identität kann nicht wie die Selbstkonzeptmessung mit Hilfe stabiler Merkmale
beschrieben werden – eher umfassende Konstruktion des Selbst in seiner
jeweiligen Erfahrungswelt
die 4 Formen des Identitätsstatus nach Marcia (1966):
Anliegen, allgemeine Gesetzlichkeiten für Jugendliche zu finden, ohne die
Komplexität aufzugeben- im Anschluss an Eriksons Identitätskonzeption
Verfahren zur Erfassung des aktuellen Identitässtatus
Probanden werden Fragen gestellt zur Erfassung des Ausmaßes der
Verpflichtung (commitment) in verschiedenen Bereichen (Beruf, Religion,
Politik) zu erfassen
BEISPIEL: wie bereit bist du, seinen jetzigen Beruf aufzugeben, wenn sich etwas
besseres ergibt?/ Zweifel bezüglich der religiösen Überzeugung?
erarbeitete Identität = vielleicht, aber ich bezweifle es, was würde dieses etwas
Besseres für mich sein? / ja, gibt es Gott, aber ich habe das Problem für mich
gelöst
Moratorium = wenn ich’s genau wüsste, könnte ich besser antworten, etwas, das
in Beziehung zu meiner Berufstätigkeit steht / ja. damit beschäftige ich mich
gerade, ich kann nicht verstehen, dass es Gott und so viel Böses gibt
übernommene Identität: eigentlich nicht, die Leute sind zufrieden damit und ich
auch / nein, in meiner Familie bestand darüber Klarheit
diffuse Identität: aber sicher, wenn sich etwas Besseres gibt, warum nicht? / ich
weiss nicht, so was macht wohl jeder durch, das muss jeder selbst entscheiden,
kümmert mich nicht sehr
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Marcia fand 4 Formen der Identität (siehe oben) als jeweiligen Identitässtatus,
kennzeichnen einzelne Bereiche hinsichtlich 3er Dimensionen:
1) Krise = Ausmaß an Unsicherheit, Beunruhigung
2) Verpflichtung = Umfang des Engagements, Bindung
3) Exploration = Ausmaß der Erkundung mit dem Ziel einer besseren
Orientierung und Entscheidungsfindung = entscheidende Strategie der
Bewältigung von Identitätsproblemen
Merkmale (siehe Renkl)
treten erst in der späten Adoleszenz (progressive- über das Moratorium zur
erarbeitenden Identität, regressive- enden bei diffuser und stagnierende
Verläufe- bei übernommen oder diffus)
Untersuchungsbeispiel zur Identität als Struktur:
Meilman nach Marcias Interviewes (12-24): am Anfang eher diffus, prozentualer
Anstieg der erarbeiteten Id. (aber auch in der 12 Klasse nur 19% Moratorium
oder erarbeitete)
Identitätsformung und Bewältigungskonzepte:
Neuenschwander: integrierte Id. als letzte Phase (fremdbestimmt, diffus, suchend
und integriert) , Identitätsformung durch kritische Lebensereignisse, nächster
Schritt durch Anstieg des Selbstwerts, neue Werte motivieren, wachsende
Kontrollüberzeugung zur integrierten Id. da Jugend. nun überzeugt sind, ihre
Ziele auch verwirklichen zu können
keine allgemeingültige Abfolge nachgewiesen, häufig stabiler Typ, es müsste aber
eine Entwicklungsskala geben (keine Ausprägung, nur Auspr. in
Lebensereignissen, in LE und Selbstwert, LE- SW und Kontrollüberzeugung)
Ergebnisse: zu Beginn des Identitätsformungsprozess stehen herausragende
Lebensereignisse, Steigerung des Selbstwerts liegt vor der Festigung der
Kontrollüberzeugung
Erweiterung des Identitätsspektrums:
vier Formen diffuser Identität: Marcia, 1989, Zuwachs auf 40% unter Jugendlichen
(ohne feste Werteorientierung)
1) Entwicklungsdiffusion
2) sorgenfreie Diffusion (unauffällig, nur oberflächliche Kontakte)
3) Störungsdiffusion (als Folge eines Traumas, Isolation)
4) kulturell adaptive Diffusion (in Zukunft reguläre Form durch multikulti, durch
Unverbindlichkeit, Offenheit und Flexibilität)
traditionaler Typ: (Kraus und Straus) west/ost Deutschland- weniger
Komplexität, Übernahme der elterlichen Muster, keine tiefe Verpflichtung
(=Unterschied zu übernommener)
Surfer: ständige Positionskorrektur, keine feste Verpflichtung, Exploration nicht
zur Elaborierung
Isolierte: Normalität schwer erreichbar, durch Konflikthaftigkeit der Familie,
diskontinuierlicher Beruf
Patchworkidentität: Endergebnis des Wachstums durch Substitution, funktional,
aber sich widersprechend
Identität zwischen Widerspruch und Stimmigkeit:
Zentrum der Identitätsbildung = bewusste argumentative und nach relevanter
Info suchende Persönlichkeit
in Gang gesetzt durch die Fähigkeit zur Selbstreflexion- Erkenntnis von
Widersprüchen, Hauptdiskrepanz: Real- Ideal- Diskrepanz
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-
-
Selbstdiskrepanz- Theorie (Higgins) in Verbindung zu Rogers: geht mit
unangenehmen Emotionen einher (actual, ideal- zukunft, ought- Verpflichtung;
Selbst und andere als Einflussquellen
aktual Selbst vs Ideal- Selbst: Enttäuschung, Unzufriedenheit
Aufgaben:
Mögliche Frage an Probanden: "Welchen Beruf wirst du mal ergreifen"
Bitte jeweils (Ausschnitt aus einer) Antwort für jede der vier Identitätsstatusse
formulieren.
Ein Selbstkonzept, das eine leichte Selbst-Überschätzung beinhaltet, scheint optimal zu
sein. Wie könnte man das erklären?
Betrachten Sie die von Pinquart und Silbereisen (2000) beschriebene
Entwicklungslinien und entwerfen Sie zwei fiktive (Ausschnitte aus)
Selbstbeschreibungen, die sich "im Entwicklungsstand" unterscheiden (für ein Modell
einer Selbstbeschreibungen siehe erste Folie der Vorlesung).
Musterlösung – Identität
Von Petra Buys
Aufgabe 1
Übernommene Identität:
„Ich werde studieren, wie meine älteren Geschwister. Wahrscheinlich Medizin, um die Praxis
meiner Mutter zu übernehmen. Ja, Medizin liegt mir in den Genen.“
Erarbeitete Identität:
„Da habe ich mir auch schon viele Gedanken darüber gemacht, ich bin auch bei der
Berufsberatung gewesen. Mit Abitur beginnt man ja meistens ein Studium, aber ich habe mir
überlegt, ob eine Ausbildung nicht besser zu mir passen würde, nämlich als...“
Moratorium:
„Darüber denke ich im Moment viel nach. Ich habe mir auch schon viel durchgelesen und
mache im Moment ein Praktikum in einem Bereich, der mich vielleicht interessiert. Ich
möchte mich aber noch nicht festlegen, es gibt viel, was ich spannend finde.“
Diffuse Identität:
„Ja, damit beschäftigen sich jetzt alle. Aber ich weiß nicht, was ich machen möchte, und ich
habe auch keine Lust, mich ständig damit zu beschäftigen. Ich lasse es auf mich zukommen,
es wird sich schon was ergeben.“
Aufgabe 2
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Die Ursache dafür, dass eine leichte Selbstüberschätzung zu den besten Leistungen führt,
kann in unterschiedlichen Faktoren vermutet werden:
-
Positive Selbstbeurteilung führt auch dazu, dass das eigene Tun als positiv bewertet
wird. Dieses Vertrauen kann dazu führen, dass schwierige Aufgaben schneller und
ausdauernder in Angriff genommen werden und man sich weniger leicht entmutigen
lässt, wenn Schwierigkeiten auftauchen. Durch den Glauben an die Möglichkeit des
Erfolgs steigt die Motivation.
-
Negative Erwartungen und eine Selbstunterschätzung können zu hoher
Versagensangst und einer vermehrten Beschäftigung mit dem, was man nicht kann,
führen. Die Gefahr für einen Misserfolg steigt, und zudem wird ein Misserfolg
negativer bewertet („Ich habe ja gewusst, dass ich es nicht kann“).
-
Eine starke Selbstüberschätzung kann z.B. zu mangelnder Prüfungsvorbereitung sowie
zu dem allgemeinen Gefühl, sich nicht anstrengen zu müssen, führen.
 Leichte Selbstüberschätzung führt zu erhöhter Motivation sowie zu dem Glauben, eine
Aufgabe bewältigen zu können. Dabei traut man sich an schwierigere Aufgaben heran, als
es bei einer komplett realistischen Selbsteinschätzung der Fall ist. Durch diese ständige
Herausforderung ist die Möglichkeit zur Weiterentwicklung und zum Ausschöpfen
vorhandener Potenziale optimal gegeben. Dennoch ist das Selbstvertrauen nicht maßlos,
so dass die Notwendigkeit zur Arbeit an sich selbst akzeptiert und befolgt wird.
Aufgabe 3
Selbstbeschreibung 1: „Ich heiße A. und bin 10 Jahre alt. Ich gehe in die 5. Klasse, ich spiele
gerne Basketball, und ich habe einen Bruder (Beschränkung auf die Gegenwart). Ich bin ein
selbstbewusstes Mädchen (Keine Kontextspezifität). Ich bin freundlich und lustig und
Mädchen und Jungen mögen mich. In der Schule bin ich nicht so gut (keine explizite
Trennung von Ideal- und Realbild). Ich bin immer gut gelaunt und eigentlich zu allen
Menschen nett (authentisches Selbst?!). Ich weiß nicht, wie die Lehrer mich finden, aber sie
geben mir nicht so gute Noten (schwierig, sich aus der Sicht Anderer zu sehen).“
Selbstbeschreibung 2: „Ich heiße B. und bin 15 Jahre alt. Ich gehe in die 10. Klasse. Ich habe
zwei Schwestern, die jünger sind als ich. Ich mache gerne Sport, früher habe ich Volleyball
gespielt, bis ich gemerkt habe, dass ich nicht so gut werden kann, wie ich gerne möchte
(Differenzierung Real- und Idealbild). Jetzt tanze ich, ich glaube, dass ich darin gut werden
kann, wenn ich mich anstrenge (Einbezug von Vergangenheit und Zukunft). Ich bin eigentlich
recht selbstsicher, aber wenn ich mit Lehrern oder manchen anderen Autoritätspersonen
spreche, bin ich manchmal eingeschüchtert, dann erkenne ich mich kaum wieder
(Berücksichtigung der Kontextspezifität). Ich bin eigentlich zu allen Menschen nett, auch
wenn ich sie nicht mag. Dann versuche ich, mir das nicht so anmerken zu lassen, ich tue nett,
obwohl ich vielleicht sauer bin oder genervt (Berücksichtigung des unauthentischen Selbsts).
Ich glaube, dass die meisten Menschen mich mögen, aber manchmal gehe ich ihnen, glaube
ich, auf die Nerven, weil ich zu viel rede und manchmal albern bin (Kann sich aus Sicht
Anderer sehen).“ (Insgesamt deutlich komplexer)
78
Moral, O+M:
1. Moralphilosophische Konzepte
Normen
Existieren in jeder Gemeinschaft als Verbote, Pflichten, Verantwortlichkeiten, Rechte,
usw.
 Sind verschiedenartig: existieren als Traditionen, staatliche Gesetze, aber auch
andere Regeln, z.B. Moden.
 Über die Legitimität spezifischer Normen divergieren die Überzeugungen, daraus
können Konflikte entstehen -> ergibt sich aus ihrer ethischen Begründung oder aus
der Legitimation des Normstifters (z.B. Religionsgründer).
Diesbezüglich gibt es verschiedene wichtige Kriterien:
Universalisierbarkeit
Anerkanntestes Kriterium der philosophischen Ethik, z.B. formuliert in Kants kategorischem Imperativ: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit
zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“
Utilitarismus (J. Bentham, J.S. Mill, 19. Jhdt.)
Maximierung des Gemeinwohls als Kriterium. Weiterentwicklungen achten
darauf, dass dies nicht auf Kosten von Minderheiten geschieht.
Diskurstheorien (z.B. Habermas, 1983)
Keine inhaltlichen Kriterien für Normen, sondern Kriterien für die Verfahrensweise
bei ihrer Findung. Ziel => idealer Diskurs => findet die richtige Lösung! (z.B. Verständigungsbereitschaft, Informiertheit, Verzicht auf Herrschaftsansprüche aller Teilnehmer).
Kulturunterschiede
Es sind nicht nur universalisierbare/ universelle Normen vorhanden. So unterscheiden
sich z.B. individualistische und kollektivistische Gesellschaften in dem Maß an Freiheit,
dass sie ihren Bürgern gewähren, bzw. im Maß an Normiertheit.
Auch fordern neue Probleme in modernen Gesellschaften ständig neue Lösungen. In demokratischen Staaten sind deshalb die moralphilosophischen Kenntnisse und
Überzeugungen von großer Bedeutung.
2. Psychologische Moralforschung
Abgrenzung moralisches Handeln/ prosoziales Handeln aus Sympathie: letzteres ist
nicht moralisch motiviert!
Indikatoren von Moral: Moralische Normen regeln Handeln
Bewertungsmaßstäbe; Wie erreichen Normen diese Funktion?
Nötige Abfolge für Handlungsregulation durch Normen:
und
liefern
79
-
Wissen über Normen erwerben
Geltungsanspruch anerkennen
Normen befolgen
(Erfassbare) persönliche Indikatoren von Moral:
1.) Wissen über Normen,
2.) Moralische Urteile
3.) Moralisches Verhalten und
4.) Moralbezogene Gefühle (z.B. Scham, Schuld, Stolz).
Kein einzelner Indikator liefert jedoch ausreichende Ergebnisse -> trotzdem
irrtumsanfällig! (Z.B. garantiert Wissen über Normen nicht deren Anerkennung ->
Delinquente!)
 immer mehrere verschiedene erfassen!
Unterschiedliche Entwicklungs– und Sozialisationsziele
Verschiedene Einflussnahmen abgeleitet.
Veränderungen sind erkennbar bei:
 moralischen Urteilen (was ist gut/ böse, gerecht/ ungerecht)
 ihrer Begründung
 der Unterscheidung zwischen konventionellen (z.B. Mode) und moralischen
Normen
und
in
der
Herausbildung
eines
persönlichen
Entscheidungsfreiraumes
 der moralischen Motivation
 der Differenziertheit der Urteile
 der Konsistenz von Urteil und Verhalten
3. Die Internalisierung moralischer Normen
Internalisierung
Vorgegebene Normen werden als die eigenen akzeptiert. Die Vermittlung der Normen:
kann argumentativ, durch positive/ negative Beispiele (Beobachtung) oder durch
Belohnung/ Bestrafung (operantes Konditionieren) erfolgen.
3.1. Normvermittlung und Konditionierung
Internalisierung
wird
operationalisiert
als
Tun
oder
Lassen
ohne
Bestrafung/Verstärkung ( Extinktionsresistenz):
 Intrinsische Belohnung: extinktionsresistentes Verhalten wird durch Aufbau einer
positiven inneren Wertigkeit erzeugt, z.B. durch klassisches Konditionieren von
Emotionen möglich (Koppelung Verhalten – Freude).
 Entzug von intrinsischer Belohnung bei normabweichendem Verhalten nie möglich
(alle Tätigkeiten, die als lustvoll erlebt werden), von extrinsischer Belohnung oft
auch schwierig (z.B. Aufmerksamkeit).
80


Bestrafung soll als Ausgleich zu ex – und intrinsischer Belohnung fungieren, quasi
eine negative Bilanz der Verhaltensfolgen herstellen.
Probleme von Strafen:
 Bei seltener Bestrafung: unverhältnismäßige Höhe der Strafe nötig, um Bilanz
aus-zugleichen
 Strafe schafft keine Verhaltensalternativen
 Strafen garantieren keine Einsicht
 Strafen belasten das Verhältnis von Bestraftem und Strafendem
3.2. Normvermittlung durch Identifikation und Beobachtung
Wahl von Vorbildern:
 „Identifikation mit dem Aggressor“ (Freud): Übernahme von Forderungen
einer bedrohlichen Autorität (um Bestrafung zu entgehen)
 „Identifikation nach Trennung“ (Freud): um eine abwesende Person präsent
zu
halten, werden Merkmale von ihr übernommen
 Identifikation mit einer mächtigen Person (Macht durch Status, Beliebtheit,
Sanktionsgewalt, sachliche Kompetenz, Gewährung von Sicherheit oder Liebe
...)
 Zugehörigkeit zu einer Gruppe motiviert Wahl von Vorbildern aus dieser
Gruppe!
Grundsätzlich kann alle die Moral betreffende Information aus Beobachtung gelernt
werden.
3.3. Normvermittlung durch familiäre Sozialisation
Die Familie ist die erste Instanz moralischer Sozialisation.
Typologie von Erziehungsstilen (Hoffmann und Saltzstein 1967) und Folgen für die Internalisierung:
 Macht ausübender Stil:
Verhindert Internalisierung eher, fördert nur äußere Anpassung. Verhindert Identifikation
durch ein Fehlen von Liebe und Wärme. Durch externe Attribution normkonformen Verhaltens wird dieses nicht zu einem Teil des Selbstbildes.
 Induktiver Stil:
Normen werden argumentativ erläutert, Konflikte angesprochen, der Sinn von Normen
erklärt. Raum für eigene Entscheidungen ist vorhanden; diese werden kommentiert (und
als Werk der Jugendlichen gelobt) und somit zu einem Teil seiner Identität. Führt zu eine
„humanistisch flexiblen Moral“ (es darf nachgedacht werden). Persönliche Verantwortung wird gefördert (nur Handlungen mit Wahlfreiheit können moralisch/unmoralisch
sein).
 Liebesentzug als Sanktion:
Wirksamkeit nicht eindeutig ermittelt, hängt vom Bedürfnis der Kinder nach liebevoller
Zuwendung ab. Nicht unproblematisch: führt eher zu einer ängstlich-rigiden Moral
(Klammern an den Wortlaut von Regeln).
81
3.4. Normvermittlung durch Peergruppen
Wichtiger Einflussfaktor für die Moral, der mit dem Verhältnis zu den Eltern variiert.
Großer Einfluss nachgewiesen für Sexualnormen, Alkohol und Drogen, Delinquenz.
Wie entsteht das moralische Selbst?
Ziel der Moralerziehung = Einsicht, das Gebote und Verbote richtig sind, nicht nur ihre
Ausführung. Förderung „freiwilligen“ moralischen Verhaltens, dezente Anregung,
Würdigung als selbst gewählt:
 Zurückführen auf eigene Überzeugungen
 Bem: Selbstwahrnehmungstheorie (Person schließt von ihrem Verhalten auf
Wertüberzeugnen -> auch positive Eigenschaftszuschreibungen tragen zum
Aufbau eines entsprechenden Selbstbildes bei!)
Internalisierung oder Selbstkonstruktion von Normen
Es gibt zwei Fälle von Normabweichungen:
 Nicht geteilte Norm – fehlgeschlagene Sozialisation
 In Frage gestellte Norm – in pluralistischen Gesellschaften ist die Reflexion
über die Geltung von Geboten und Verboten unvermeidbar. Eigene
Überzeugungen müssen durch die Auseinandersetzung mit (konfligierenden)
Normen aufgebaut werden.
4. Entwicklung des Denkens über Moral
4.1. Piagets Theorie: von der Heteronomie zur Autonomie
Bis 4 Jahre: kein Normverständnis.
2 Stadien
Heteronomie: Beginn des Stadiums mit 4-5 Jahren. Regeln/Normen beziehen ihre
Gültigkeit von den Autoritäten, die sie vorgeben; sie werden nicht in Frage gestellt,
sind unantastbar.
Konflikt = Einhaltung – Nichteinhaltung.
Verfehlung = Verletzung von Geboten/Verboten.
Autonomie: Maßstäbe der Gerechtigkeit. Regeln als Übereinkunft.
Konflikt = Sinn und Begründung.
Verfehlung = Verletzung der Vertrauens.
Erforscht anhand von Spielregeln (Murmelspiel)- Piaget:
Gleiche Muster auch bei Urteilen über gerechte Pflichtenverteilung: wenn die Mutter die
Arbeit im Haushalt verteilt, wird sie von fast allen sechsjährigen auch bei sehr ungleicher
Verteilung auf die Kinder als gerecht beurteilt, von zwölfjährigen nicht.
Wenn jedoch Kinder die Pflichten verteilen (z.B. Ballholen beim Fußballspielen) fordern
auch sechsjährige Gleichberechtigung ( keine Autoritäten).
Was ist eine gerechte Strafe?
82
 Heteronomie: Sühnestrafen, oft drakonisch ohne Gespür für
Verhältnismäßigkeit;
 Autonomie: Strafen, die Wiedergutmachung oder natürliche Konsequenzen
der Verfehlung beinhalten;
 Altersangaben mit Vorsicht aufzufassen.
4.2. Neuere Forschung zu Piagets Themen
Denken über Recht und Gesetze
 11-13j. definieren Gesetze durch spezifische Beispiele; ihre Funktion ist es,
Untaten einzelner zu verhindern.
 15-18j. definieren Gesetze über abstrakte Funktionen wie Freiheit und
Sicherheit, betonen die hilfreichen Funktionen von Gesetzen. Nur 1/3 sieht
sie als modifizierbar an.
 Altersverschiebung im Vergleich zu Piagets Ergebnissen.
Moralische und konventionelle Normen
Kinder differenzieren schon früh (4-5j.) zwischen unmoralischem Verhalten (z.B. andere
schlagen, immer schlecht) und Verstößen gegen Konventionen (nur schlecht wegen den
Konventionen, z.B. Verstöße gegen Tischmanieren).
Unterschiedliche Rechtfertigung
Eltern betonen bei moralischen Normen mehr den Schaden, der entstehen kann, und bei
konventionellen Normen mehr ihre Bedeutung für die soziale Organisation, so dass dieser Unterschied übernommen sein kann.
Normativ regulierte vs. persönliche Bereiche
4-5j. unterscheiden klar zwischen öffentlicher Sphäre und Privatsphäre (in der die Eltern auch mehr Freiheiten geben).
Konflikte zwischen Jugendlichen und Eltern ergeben sich vor allem in Bereichen, die die
Jugendlichen als ihre Privatsphäre, die Eltern eher als konventionsreguliert ansehen.
Privatsphäre und die Entwicklung von Rechten und Freiheiten
Zusammenhang v.a. in westlichen Kulturen gezeigt. Freiheit wird schon früh als moralisch fundiertes Recht erkannt, Einschränkungen werden ebenfalls gefordert, wenn Konflikte mit anderen moralischen Prinzipien bestehen.
Verantwortlichkeit und Schuld
Wichtigstes Kriterium für mögliche Verantwortlichkeit ist Handlungsfreiheit (siehe
Strafrecht) -> „anders handeln können“.
Ausreden aus der Verantwortlichkeit (absteigende Reihenfolge):
 Freiheit bestreiten
 Vorhersehbarkeit der Folgen bestreiten
 Absicht bestreiten
 Auf Verantwortung anderer hinweisen
83
Unterscheidung zwischen Verantwortung und moralischer Schuld vor allem aufgrund
der Rechtfertigung, z.B.:
 Verweis auf Verantwortlichkeit Dritter
 Auf die Priorität übergeordneter Ziele
 Verweis auf berechtigte, eigene Interessen (z.B. eigene Sicherheit)
 Hinweis auf den Vergeltungscharakter der Tat
Person, die sich für eine Handlung verantwortlich fühlt, ist besonders hilfsbereit!
Auch Personen, die selbstverschuldet ins Unglück gestürzt sind, können mit weniger
Hilfsbereitschaft rechnen als Personen, die nicht selbstverschuldet hilfsbedürftig sind.
Handlungsausgang und Absicht
(Beispiel/ Piaget: kleine Kinder finden es verwerflicher, wenn ein Kind unabsichtlich
mehrere Teller zerschlägt, als wenn es einen aus Wut zerstört)
Bei Urteilen: Verschiebung der Gewichtung mit zunehmendem Alter weg von Handlungsausgang hin zur größeren Beachtung der Absicht  aber auch viele
Vorschulkinder berücksichtigen bereits beide Informationen!
Verschiebung durch Sozialisation
Es spricht vieles dafür, dass es sich um die Folge verbreiteter Sozialisationserfahrungen
handelt, und nicht um eine notwendige Abfolge -> man kann auch schon im
Vorschulalter eine stärkere Gewichtung der Intention erreichen (durch wenige
Beobachtungen von Modellen!).
Schon Kindergartenkinder urteilen aufgrund der Intention, wenn kein Ausgang berichtet
wird -> wenn beides im Urteil enthalten, wird allerdings Ausgang schwerer gewichtet!
Verteilungsgerechtigkeit und Fairness:
Entwicklungssequenz zwischen 4. und 11. Lebensjahr bei der Vorstellung von gerechter
Verteilung (Damon, 1980 und 1988):
1. Egozentrische Verteilung -> Verteilungskonzeptionen an eigenen Wünschen
orientiert;
2. Gleichbehandlung -> wird präferiert, unabhängig von Leistung oder
Bedürfnis;
3. Aufteilung nach Leistung & Beachtung von Reziprozität;
4. Konflikte zwischen Aufteilungsmöglichkeiten werden bewusst, Kompromisse
werden eingegangen.
 Steigende Anforderungen an die Kognition, da immer mehr Aspekte beachtet
werden.
 Abhängigkeit vom Arrangement: Schon im Vorschulalter integrieren Kinder 2
dargebotene (!) Alternativen.
4.3. Von der egozentrischen zur universalistischen Begründung
normativer Urteile (Lawrence Kohlberg)
Studium der Begründungen normativer Urteile anhand moralischer Dilemmata studiert
(Konflikte zwischen Normen, nicht zwischen Konflikt und Neigung -> z.B. Kriegsdienstverwiegerung, Gebot „Du sollst nicht töten“ und Gesetz!).
84
Verwendete u.a. das sog. Heinz- Dilemma:
Heinz hat eine krebskranke Frau -> braucht teures Medikament, hat das Geld nicht, bricht
deshalb in eine Apotheke ein -> was ist schlimmer – Einbruch, oder Frau sterben lassen?
Sollte man ihn verurteilen?...
Kohlberg interessierte sich weniger für die getroffene Entscheidung, als für die
Prinzipien, die diesen Entscheidungen zugrunde gelegt werden.
Untersuchung der Prinzipien, die Entscheidungen zugrunde gelegt werden: 3 Niveaus
mit jeweils 2 Stufen von qualitativen Unterschieden;
I.
II.
III.
Vormoralisches Niveau
1.
Begründung durch drohende Strafen bzw. Autoritäten - 10J
2.
Begründung mit eigenem Interesse (z.B. man möchte seine Frau
behalten) - 13J
Niveau der konventionellen Moral
Begründung mit dem Erhalt wichtiger Sozialbeziehungen
3.
Nur innerhalb der Familie und anderer Primärgruppen (gelingt es
nicht, alle Interessen der wichtigen Bezugsgruppen zu wahren, ist
eine Lösung prinzipiell nicht möglich;) – 16J
4.
Ausdehnung auf übergreifende Systeme wie Staat oder Religionsgemeinschaft – 21J
Niveau der postkonventionellen Moral
Erkenntnis, dass das System nicht unwandelbar ist. Bemühen, Prinzipien und
Werte unabhängig von Autoritäten und der Identifikation mit Gruppen zu finden.
5.
System als Gesellschaftsvertrag. Utilitaristische Überlegungen
häufig. Neue Dimension von Gerechtigkeit: Gerechtigkeit des
Verfahrens zur Entscheidungsfindung. Menschenrechte aber
unveräußerlich.
6.
Suche nach allgemeingültigen ethischen Prinzipien und
allgemeinen Verfahren zur Prüfung normativer Entscheidungen
(vgl. Diskursethik).
Weitere Entwicklung im Erwachsenenalter: häufiger Relativierung auf Kontexte und
spezifische Situationen.
Entwicklungsförderung des moralischen Denkens
Am besten durch ein Angebot von Problemen und unterschiedlichen Meinungen. Ziel ist
der Aufbau von Kompetenzen zur Lösung moralischer Probleme, nicht die Anpassung an
bestehende Normen.
Optimale Entwicklungsvoraussetzungen
- Mehrwöchiges Training, viele verschiedene Problembearbeitungen,
- Aktive Beteiligung der Schüler
- Meinungsstreit
- Nachholeffekte beobachtbar -> Erfolge bei Erwachsenen und älteren Heranwachsenden größer als bei Kindern!
85
Ethik- bzw. Sozialkundeunterricht: kein Effekt.
Stufen der moralischen Argumentation und moralisches Verhalten
Kohlbergs Stufenmodell ist nicht als Skala im psychometrischen Sinn gedacht! Ziel war
eher Aufweis qualitativer Unterschiede zwischen den Stufen;
 Auf Niveau III. werden eher Ungerechtigkeiten in der Gesellschaftsordnung
entdeckt, da alle Beteiligten berücksichtigt werden. Stufe III. ist empirisch in
politisch aktiven, kritischen Gruppen überrepräsentiert.
 In radikalen politischen Gruppen findet man jedoch vermehrt Stufe I. (z.B.
werden Opfer von Anschlägen gar nicht beachtet).
 Gesellschaftskritiker sind auf Stufe 4. Unterrepräsentiert.
 Personen auf Stufe III. sind bei Gruppendruck vermehrt nonkonform und lehnen
moralisch verwerfliche Forderungen einer Autorität eher ab (Milgram 1974!).
Männliche und weibliche Moral?
Carol Gilligan 1984: nahm an, dass männliche Moral an Gerechtigkeit, weibliche an
Fürsorge orientiert sei -> Frauen würden auf Kohlbergs Skala schlechter abschneiden,
da sie männliche Gerechtigkeitsmoral erfasse!
(Nicht Verteilung nach dem Bedürftigkeitsprinzip gemeint, sondern moralische vs. Altruistische Motivation, also Verantwortlichkeit vs. Mitleid/Liebe/Sensibilität für Not der
Betroffenen).
Allerdings: Keine empirische Bestätigung von Geschlechtsunterschieden, Frauen
schneiden auf Kohlbergs Skala nicht schlechter ab als Männer;
5. Moralisches Denken und moralisches Handeln
Das Urteilsniveau bei der Lösung moralischer Dilemmata determiniert noch nicht
moralisches Handeln!
 Durch das Argumentationsniveau ist die inhaltliche Zielsetzung nicht
festgelegt
 In den vorgelegten hypothetischen Konflikten gab es keine persönliche Betroffenheit
5.1. Moralisches Wissen vs. moralische Motivation
Etwas für richtig zu halten, bedeutet nicht, sich aktiv dafür zu engagieren! Kohlberg
nahm am Anfang eine Einheit zwischen moralischem Denken/ Motivation/ Handeln an,
erkannte aber bald die Notwendigkeit der Trennung zwischen moralischer Norm und
der persönlichen Verantwortung, sie einzuhalten.
5.2. Performanzfaktoren und moralisches Handeln

Moralisches Handeln ist durch die Akzeptanz von Normen nicht gesichert. Es muss
sich gegen andere Bedürfnisse, Affekte, Vorurteile, soziale Nötigungen, Angst usw.
durchsetzen.
86



Performanzfaktoren sind Selbstsicherheit, Handlungskompetenz (bei sachlichen Problemen), Wissen um Möglichkeiten und Kompetenzen zur Selbststeuerung.
Diese werden von Kohlberg unter dem Begriff Ich-Stärke zusammengefasst. Sie
enthält Fähigkeiten zu: Aufschub von Bedürfnisbefriedigung, Antizipation
längerfristiger Konsequenzen, Durchhaltevermögen bei langwierigen Aufgaben usw.
Möglichkeiten zum Aufbau von Selbstkontrolle liegen zum Beispiel
 In der Verhaltensmodifikation (Mischel), z.B. sprachliche Wiederholung der zu
erfüllenden Regel.
 In der objektiven Selbstaufmerksamkeit (Wicklund), die zur Aktualisierung relevanter Selbstkonzeptkomponenten führt.
5.3. Konsistenz als Indikator für die integrierende Funktion des Selbst
Keller und Edelstein hinterfragten Einheit von moralischem Urteil, moralischer
Motivation und moralischem Handeln.
o Moralische Motivation: wahrgenommene Verantwortlichkeit -> setzt Konzept
des Selbst voraus! Konstitutiv für das Selbst: Konsistenz in Selbstwahrnehmung
und wahrgenommener Fremdwahrnehmung.
o Indikatoren für wahrgenommene Inkonsistenz: Scham, Schuldgefühle, Rechtfertigungen, Entschuldigungen, Wiedergutmachungen.
o Konsistenzherstellung: durch Erklärung, Rechtfertigung, Kompensationen ->
dient wiederum der positiven Wahrnehmung durch andere und sich selbst.
o Aufbau des moralischen Selbst:
 Bewusst werden, dass das eigene Handeln Auswirkungen auf andere hat
 Perspektivenübernahme und Empathie führen zum Nachfühlen dieser Folgen
und damit zur ersten intrinsisch motivierten Normeinhaltung.
 Bewusst werden von Bewertungen anderer, die Implikationen für die Selbstbewertung haben.
Das Versprechen
Beispieldilemma (Keller & Edelstein 1993) für 7, 9, 12 und 15j.
Kürzlich zugezogenes Mädchen lädt die Vp ins Popkonzert/Kino ein, die gleichzeitig versprochen hat, sich mit einer Freundin zu treffen, die persönliche Probleme mit ihr
besprechen will.
Ergebnis: Entwicklungssequenzen mit je 4 Stufen:
Versprechenskonzept – genannte Gründe für die Einhaltung:
0. Keine.
1. Die Regel selbst oder die Legitimierung durch eine Autorität.
2. Persönliche Verbindlichkeiten und Folgen für den Interaktionspartner.
3. Generalisierte Norm der Gegenseitigkeit, Notwendigkeit von Verlässlichkeit.
Freundschaftskonzept:
0. Wird nicht verstanden
87
1. Kontakthäufigkeit als Kriterium
2. Kriterien sind wechselseitige Nähe und Vertrauen
3. Gegenseitige Vertrautheit und Verlässlichkeit, teilen von Erfahrungen und Gefühlen, gegenseitiges Verständnis
Konfliktverständnis:
0. Wird nicht konzeptualisiert. Kein Verständnis.
1. Versprechen wird nicht spontan aufgegriffen, Wünsche aller Betroffenen aber erkannt.
2. Die Norm des Versprechens rückt in den Mittelpunkt. Wer das
Versprechen bricht, fühlt sich schlecht, muss sich gegenüber der
Freundin rechtfertigen.
3. Die Norm des Versprechens wird verpflichtend im Sinne einer
generalisierten Reziprozitätsnorm, die Freundschaftsbeziehung
ebenfalls -> Probleme der Freundin erhalten moralische
Relevanz;
Dabei gilt als Kriterium jeweils die tatsächliche Handlungsentscheidung (Versprechen
gehalten/gebrochen). Die Stufen des Versprechens-, Freundschaftskonzepts erlauben
eine bessere Vorhersage der Entscheidung als das Alter!
Außerdem wurden fünf Typen des moralischen Urteil gebildet:
1. Urteil basiert auf Eigeninteresse.
2. Wegen der Freundschaft und dem Versprechen wird dessen
Einhaltung als richtig angesehen.
3. Betonung der Ambivalenz zwischen Freundschaft und
Eigeninteresse. Keine Eindeutige Entscheidung.
4. Freundschaft vs. Altruismus: Man will auf der einen Seite das gegebene Versprechen halten, auf der anderen Seite dem Kind,
das hier noch keine Freunde hat, eine Freude machen.
5. Altruismus: Man will dem neu zugezogenen Kind eine Freude
machen.
Zentrales Ergebnis ist die mit zunehmendem Alter immer größere Übereinstimmung
von moralischem Urteil und Handlungsentscheidung. Bei den Jüngeren urteilt die
Mehrheit inkonsistent, indem sie zwar angibt, dass das Versprechen zu halten auf jeden
Fall richtig sei, es aber trotzdem nicht tun würde.
Entwicklung der moralischen Motivation (Nunner-Winkler 1993)
Grundlegende moralische Regeln ab dem 4./5. Lebensjahr fast allen bekannt -> was sich
wieterentwickelt ist moralische Motivation!
Keine moralischen Dilemmata, sondern Vorlage von Konflikten zwischen Normen und
persönlichen Bedürfnissen. Überprüfung von Normkenntnis, Normverständnis und
Begründung. Ermittlung der Motivation anhand der Zuschreibung von „moralischen“
Gefühlen (Stolz, Schuldgefühle).
Längsschnittstudie an etwa 200 Kindern:
88
60% der 4-5j. und 50% der 6-7j. erwarten, dass sich jeweils das egoistisch handelnde
Kind gut fühlt, weil es seine hedonistischen Bedürfnisse befriedigen kann.
Bei 8-9j. sind das nur noch weniger als 30%.
-> Wenn diese Emotionen als Indikator für moralische Motivation gelten, ist der
Nachweis er-bracht, dass die moralische Motivation mit dem Alter ansteigt!
Zuschreibung von Schuldgefühlen spiegelbildlich.
Zuschreibung von Schuldgefühlen guter Indikator für moralische Motivation?
5.4. Die Funktion des moralischen Selbst
Ist es, wertorientiertes Handeln auch bei Schwierigkeiten aufrechtzuerhalten. Lydon
und Zana haben die Bedeutung des moralischer Aspekte des Selbstkonzepts für
längerfristige prosoziale Engagements nachgewiesen. Unmoralisches Handeln wird
selbstbildgefährdend.
Fazit:
Moralisches Engagement ist dann verlässlich, wenn es der persönlichen Identität
entspricht.
Aufgaben:
Aufgabe 1:
Antworten nach der Kohlberg-Theorie einordnen
Die folgenden Antworten beziehen sich auf das Heinz-Dilemma
(siehe erste Folie der Vorlesung)
Nein, es ist nicht recht zu stehlen, aber es könnte nicht falsch sein, wenn er seine
Ehefrau rettet; das Leben einer Person ist wichtig für ein Land. Sie könnte auch eine so
wichtige Frau sein wie Betsy Ross (=berühmte Amerikanerin).
Ja, er sollte stehlen, wenn er fühlt, dass das Leben seiner Ehefrau so viel wert ist, wie die
Möglichkeit, für den Diebstahl ins Gefängnis zu gehen
Ja. Er rettet immerhin das Leben einer Person, sie ist ein Mensch, ob er sie liebt oder
nicht. Die Menschen sollten das Beste tun, um das Leben der anderen Menschen zu
erhalten.
Nein. Ich denke, er sollte nicht stehlen, was immer auch. Er könnte ins Gefängnis
kommen, wenn er erwischt würde. Er sollte wirklich nicht stehlen.
Er sollte stehlen. Weil, wenn jemand weiß, dass er sie hat sterben lassen, würde er ein
schuldiges Gewissen haben. Selbst wenn er diese Person nicht genau kennen würde. Er
würde es immer mit sich herumtragen, dass er das Leben dieser Person hätte retten
können.
89
I.Vorkonventionelles Niveau
1. Orientierung an Strafe / Egozentrismus
2. Eigene Interessen bzw. instrumenteller Austausch / konkreter Anderer
II.
Konventionelles Niveau
3. Interpersonelle Anerkennung und Harmonie / Familie und primäre
Bezugsgruppen
4. Soziale Anerkennung und Systemerhaltung / System wie Staat oder
Religionsgemeinschaften
III.
Postkonventionelles Niveau
5. Sozialverträge, Nützlichkeit, individuelle Rechte / rationales Subjekt
6. Allgemeine ethische Prinzipien und Gerechtigkeit / rationales und
perspektiveübernehmendes Subjekt
Aufgabe 2:
Bitte Volksweisheit, Zitat, Losung oder Ähnliches in dritter Spalte ergänzen
Bindung:
Eine Trennung der Eltern erhöht das Risiko eines Wechsels von einer sicheren in eine
unsichere Bindung (siehe Zimmermann-Text). Wie könnte man dies erklären?
Antworten:
Nein, es ist nicht recht, zu stehlen, aber es könnte nicht falsch sein, wenn er seine
Ehefrau rettet; das Leben einer Person ist wichtig für ein Land. Sie könnte auch eine so
wichtige Frau sein wie Betsy Ross (=berühmte Amerikanerin).
4
Ja, er sollte stehlen, wenn er fühlt, dass das Leben seiner Ehefrau so viel wert ist, wie
die Möglichkeit, für den Diebstahl ins Gefängnis zu gehen.
2
90
Ja. Er rettet immerhin das Leben einer Person, sie ist ein Mensch, ob er sie liebt oder
nicht. Die Menschen sollten das Beste tun, um das Leben der anderen Menschen zu
erhalten.
5
Nein. Ich denke, er sollte nicht stehlen, was immer auch. Er könnte ins Gefängnis
kommen, wenn er erwischt würde. Er sollte wirklich nicht stehlen.
1
Er sollte stehlen. Weil, wenn jemand weiß, dass er sie hat sterben lassen, würde er ein
schuldiges Gewissen haben. Selbst wenn er diese Person nicht genau kennen würde. Er
würde es immer mit sich herumtragen, dass er das Leben dieser Person hätte retten
können.
3
(Kommentar AR: Wird üblicherweise so eingeordnet, ich finde persönlich die
Zuordnung nicht eindeutig)
Nach Peter Zimmermann gibt es verschiedene Faktoren, die einen Einfluss auf die
Kontinuität der Eltern-Kind-Bindung haben können. In diesem Zusammenhang
bezeichnet er eine Trennung der Eltern als Risikofaktor für einen Übergang von einer
sicheren zu einer unsicheren Bindung des Kindes.
Für diese Annahme lassen sich verschiedene Gründe aufführen:
Eine Trennung der Eltern beeinträchtigt die emotionale Verfügbarkeit beider Elternteile
bei gleichzeitig erhöhtem Bindungsbedürfnis des Kindes. In einer emotional belastenden
Situation, die das Kind nicht alleine meistern kann, wird es sich an seine primären
Bindungspartner – also in aller Regel die Eltern – wenden, um Unterstützung zu suchen.
Im Falle einer Trennung kann es hierbei auf Schwierigkeiten stoßen: Während ein
Elternteil gar nicht mehr unmittelbar verfügbar ist (räumliche Trennung) ist es
wahrscheinlich, dass auch der „gebliebene“ Elternteil durch die eigene Betroffenheit und
Belastung weniger „emotionale Kapazität“ für das Kind zur Verfügung hat.
Eine wichtige Voraussetzung für eine sichere Bindung sind die Feinfühligkeit und
Aufmerksamkeit des Erwachsenen in Bezug auf das Kind sowie eine erlebte Konstanz
der Interaktion zwischen Eltern und Kind. Feinfühligkeit und Aufmerksamkeit können
durch die auch für den Erwachsenen belastende Situation (s.o.) eingeschränkt sein,
91
ebenso kann der Umgang beider Elternteile mit dem Kind längerfristig verändert sein
(durch die neue Situation, Belastung, Angst, etwas falsch zu machen, „neues Leben“ der
Partner etc).
In einer Trennungssituation mag das Kind die Unsicherheit und (in diesem Fall)
Vergänglichkeit von Bindungen wahrnehmen (wenn auch wohl nur ältere Kinder das
bewusst aufnehmen können); zudem werden besonders auch jüngere Kinder
Schwierigkeiten haben, die Trennung nicht auf sich zu beziehen- schließlich verlässt ein
Elternteil die Familie und damit auch sie selbst. Dieses verlassen werden kann u.U. als
Bindungsabbruch empfunden werden.
Durch diese Faktoren kann im ungünstigsten Fall (natürlich nicht zwangsläufig!) ein
Kreislauf in Gang gesetzt werden (Kind sucht vermehrt nach Unterstützung welche
Eltern momentan weniger geben können  Kind ist verunsichert  zieht sich u.U.
zurück oder wird auffällig, würde eigentlich noch mehr Hilfe und Aufmerksamkeit
benötigen  was Eltern noch mehr überfordert usw.), der eine sichere in eine unsichere
Bindung verwandelt.
92
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