Prof. Dr. Hans-Werner Hahn – SS 2011:
Vorlesung: Geschichte der Weimarer Republik
14. Das Ende der Republik
A. Papens „Neuer Staat“ und sein Scheitern
Literatur:
Wolfram PYTA, Vorbereitungen für den militärischen Ausnahmezustand unter
Papen/Schleicher, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 51 (1992), S. 385-428.
Heinrich August WINKLER (Hg.), Die deutsche Staatskrise 1930-1933. Handlungsspielräume
und Alternativen, München 1992 (mit wichtigen Beiträgen zu Verfassungsumbau, Industrie
und Nationalsozialismus, Einheitsfront und Staatsnotstandsplänen).
I. Papens „Neuer Staat“
Nach der erneuten Reichstagsauflösung am 12. September 1932 war nicht zu erwarten, dass
sich an den Grundkonstellationen vom Sommer 1932 Entscheidendes ändern würde. Völlig
neue Mehrheitsverhältnisse im Reichstag und eine durch Wahlerfolge mögliche
Einflussnahme der demokratischen Parteien auf die Regierungsbildung waren wenig
wahrscheinlich. Innerhalb der Regierung wurde zum einen weiterhin darüber diskutiert,
inwieweit ein erneuter Versuch einer Einbindung der NSDAP erfolgen sollte, um mit einer
Reichstagsmehrheit das Notverordnungssystem zu beenden und eine neue autoritäre Ordnung
zu schaffen. Zum anderen wurde nach wie vor die Möglichkeit geprüft, den Staatsnotstand
auszurufen und den neuen Zustand zum Umbau des Staates zu nutzen. Dieser „Neue Staat“,
dessen Konturen sich jetzt intern sowie in der deutschen Öffentlichkeit klarer abzuzeichnen
begannen, sollte ein autoritärer Präsidialstaat sein. Die Stellung des Reichspräsidenten sollte
weiter gestärkt, die des Reichstages durch die Schaffung eines berufsständisch
zusammengesetzten
Oberhauses
weiter
geschwächt
werden.
Hinzu
kamen
Wahlrechtsänderungen wie Heraufsetzung des Wahlalters und Berücksichtigung von
Familienstand und Kinderzahl bei der Gewichtung der einzelnen Stimme (Pluralwahlrecht).
An die Stelle moderner Massenparteien sollten elitäre Organisationen treten, bei denen das
freie Beitrittsrecht durch Kooptation oder berufsständische Zugehörigkeit geregelt wurde.
Die leitenden Ideen des „Neuen Staates“ kamen aus dem Umkreis der „konservativen
Revolution“. Papen stützte sich hier vor allem auf Konzepte, wie sie Walther Schotte (Der
Neue Staat, 1932) und Edgar Julius Jung vorlegten. Eine machtvolle, überparteiliche
Staatsgewalt und eine neue, christliche Volksgemeinschaft sollten Deutschland zu besseren
Zeiten führen. Besonders konkret waren diese Botschaften, die auch Innenminister Gayl
unters Volk streute, in diesen Wochen aber nicht. Sie dienten ebenso wie neue außen- und
wirtschaftspolitische Aktivitäten wohl eher dazu, nach außen die Handlungs- und
Konzeptionsfähigkeit der Regierung zu dokumentieren. Eine große Wirkung auf die
öffentliche Meinung konnten Papen und seine Ratgeber freilich nicht erzielen.
II. Herbstwahlkampf 1932
In diesem Wahlkampf, der von weniger Gewalttaten überschattet war als der des Sommers,
setzten NSDAP und KPD die entscheidenden Akzente. Der KPD-Wahlkampf war zum einen
geprägt durch verstärkte Attacken auf das „System von Versailles“ und zum anderen vom
Rückfall in die Sozialfaschismus-Argumentation gegen die Sozialdemokratie, die man im
Sommer 1932 vorübergehend zurückgestellt hatte. Eine Einheitsfront der Arbeiterbewegung
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war aus dieser Sicht nur vorstellbar in Form einer Einheitsfront von unten unter Führung der
Kommunisten. Es ist in der Forschung sehr umstritten, inwieweit die zeitweiligen
Öffnungsversuche der KPD im Sommer 1932 – vor allem im Zusammenhang mit dem
Preußenschlag – möglicherweise neue Perspektiven im Kampf gegen die Nazis eröffnet
hätten. Heinrich August WINKLER, Eberhard KOLB, Klaus SCHÖNHOVEN oder auch Hermann
WEBER, die prominenten Fachleute der Geschichte der Arbeiterbewegung in der alten BRD,
vertreten die Ansicht, dass eine Einheitsfront der Arbeiterbewegung angesichts der
unüberbrückbaren Gegensätze beider Parteien nicht möglich gewesen sei. Mit der KPD habe
man Weimar nicht retten können, weil diese Partei jenen Staat grundsätzlich abgelehnt habe
und für die Zertrümmerung seiner Institutionen eingetreten sei. Diese Grundhaltung stand im
Herbstwahlkampf der KPD wieder klar im Vordergrund. Die Sozialdemokratie wurde als
Partei des Sozialfaschismus bekämpft. Sozialfaschismus, autoritärer Staat à la Papen und
Hitlers Nationalsozialismus wurden im Grunde nur noch als unterschiedliche Spielarten
faschistischer Herrschaft definiert, die nationalsozialistische Gefahr wurde damit verharmlost.
Kurz vor der Reichstagswahl erweiterte die KPD ihre Taktik der revolutionären Einheitsfront
von unten sogar in Richtung der NSDAP. Man wollte nicht mehr nur Anhänger der SPD von
ihrer Führung trennen, sondern auch nationalsozialistisch orientierte Arbeiter für die eigene
Seite gewinnen. Im Berliner Verkehrsarbeiterstreik, der am 3. November 1932 – wenige Tage
vor der Reichstagswahl – begann, kooperierten KPD und NSDAP, während sich die freien
Gewerkschaften und die Sozialdemokraten zurückhielten. Zur Organisation des Streiks wurde
eine zentrale Streikleitung gebildet, in der führende Funktionäre der KPD gemeinsam mit
Vertretern der NS-Organisation und einigen oppositionellen Gewerkschaftern saßen. Der
Arbeitskampf, der mit schweren Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Polizei
verbunden war und bis zur Reichstagswahl anhielt, blieb im Hinblick auf das eigentliche Ziel
relativ erfolglos, hatte aber beträchtliche Auswirkungen auf das Wahlergebnis und die
weiteren politischen Entscheidungen. Die KPD nutzte den Arbeitskampf zur Mobilisierung
ihrer Anhänger. Die NSDAP versuchte ihre Wähler aus den Reihen der Arbeiterschaft zu
halten, ihre Kooperation mit den Kommunisten im Verkehrsarbeiterstreik erschreckte aber die
bürgerlichen Wähler. Zudem litt der Wahlkampf der NSDAP bereits unter einer gewissen
Wahlmüdigkeit der Basis.
III. Ergebnisse der Novemberwahl
Partei
NSDAP
SPD
KPD
Zentrum/BVP
DNVP
DVP
Staatspartei
Wahlbeteiligung
6. November 1932
33,1 %
20,4 %
16,9 %
15,0 %
8,3 %
1,9 %
1,0 %
31. Juli 1932
37,3 %
21,6 %
14,3 %
15,7 %
5,9 %
1,2 %
1,0 %
80,6 %
84,1 %
Die zweite Reichstagswahl des Jahres 1932 brachte für die Nationalsozialisten einen
spektakulären Rückschlag, der mit Enttäuschungen über Hitlers Verhalten vom Sommer
1932, allgemeiner Wahlmüdigkeit und bürgerlicher Kritik an der Kooperation mit der KPD
zusammenhing. Letzteres begünstigte die Parteien, die fest hinter Papen standen (DNVP und
DVP). Diese Parteien sowie die Regierung profitierten von Anzeichen einer wirtschaftlichen
Erholung, vielleicht auch von dem Werben um eine neue autoritäre Staatsordnung und der im
Bürgertum wieder wachsenden Skepsis gegenüber der NSDAP. Der zweite große Gewinner
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war die KPD, die gegenüber der Juliwahl 600 000 Stimmen hinzugewann, während die SPD
weiter absank. Der härtere Kampf, den die KPD gegen Papens Politik führte, schlug sich
folglich in spürbaren Stimmengewinnen nieder. KPD und SPD hatten zwar gemeinsam mehr
Stimmen hinzugewonnen als die NSDAP und gingen beide davon aus, schon damit einen
wichtigen Erfolg errungen zu haben. Im Endeffekt sollte aber Hitler vor allem vom Zuwachs
der KPD-Stimmen profitieren, da hierdurch die Ängste im Bürgertum vor einem weiteren
Anwachsen linker Kräfte weiter verstärkt wurden.
IV. Neuerliche Debatten über eine Kanzlerschaft Hitlers
Hitler hielt trotz der Wahlschlappe seinen Anspruch aufrecht, als Führer der stärksten
politischen Kraft Kanzler zu werden. Bestärkt wurde er in seiner Haltung dadurch, dass
einflussreiche Kreise aus Industrie, Landwirtschaft und Banken nach der Novemberwahl
vorschlugen, der Reichspräsident möge Hitler nun doch zum Kanzler ernennen. Am
19. November erreichte Hindenburg ein Schreiben von 20 Persönlichkeiten der deutschen
Wirtschaft, die Hitlers Kanzlerschaft befürworteten. Darin hieß es, dass man dem
gegenwärtigen Kabinett zwar den guten Willen nicht absprechen wolle, die dringend
notwendigen Verfassungsänderungen in Deutschland aber nur erreicht werden könnten, wenn
man die NSDAP als stärkste politische Kraft in diese Überlegungen einbeziehe. Nur wenn die
größtmögliche Volkskraft hinter der Regierung stehe, könne man die Gegensätze in der
Bevölkerung überwinden und einen neuen Aufschwung Deutschlands ermöglichen. Acht
Unterzeichner gehörten dem sog. Keppler-Kreis an, einem Kreis von Industriellen, die mit
dem Nationalsozialismus sympathisierten und sich um den Chemieindustriellen und
Hitlerberater Wilhelm Keppler gruppierten. Zu diesem Kreis zählten der ehemalige
Reichbankpräsident Hjalmar Schacht, der Kölner Bankier Kurt von Schröder und der
Eisenindustrielle Ewald Hecker. Mit Fritz Thyssen engagierte sich zudem ein Vertreter der
Großindustrie für Hitler. Zu den Mitunterzeichnern gehörte ferner ein Vorstandsmitglied des
Reichslandbundes. Obwohl sich in der Industrie, die fest hinter Papen gestanden hatte,
Aufweichungstendenzen bemerkbar machten, kann die Eingabe nicht als Votum der
deutschen Industrie bezeichnet werden. Es war eine Initiative von Einzelnen, die noch
keineswegs im Einklang mit den Hauptströmungen der großen Industrieverbände stand. Auch
bei Hindenburg führte die Eingabe noch nicht zu den von den Initiatoren erhofften
Wirkungen. Der Reichspräsident blieb misstrauisch, machte Hitler dann aber das Angebot,
ihn zum Kanzler zu ernennen, wenn er eine parlamentarische Mehrheit hinter sich brächte.
Präsidiale Vollmachten, wie sie Brüning und Papen erhalten hatten, sollte Hitler aber nicht
bekommen; auch über die Besetzung des Außenministeriums und des Reichswehrministerium
wollte Hindenburg selbst entscheiden. Für Hitler war dieses Angebot unannehmbar. Er
forderte die gleiche Autorität wie seine Vorgänger, auch die Chance einer weiteren
Reichstagsauflösung. Eine Einigung zwischen Hitler und Hindenburg war damit erneut
gescheitert.
V. Das Ende der Regierung Papen
Papen hatte zwar am 17. November 1932 die Demission des Kabinetts verkündet und amtierte
nur noch geschäftsführend. Er sollte aber nach dem Willen Hindenburgs mit einem erneuten
Regierungsauftrag versehen werden. Hindenburg war in diesem Zusammenhang bereit, dem
neuen Kabinett auch jene Vollmachten zu geben, mit denen Papen einen Kampfkurs gegen
den Reichstag mit seiner Blockademehrheit hätte führen können. Die erste Voraussetzung für
die Ausrufung des Staatsnotstandes, die Autorität des plebiszitär legitimierten Präsidenten,
war also gegeben. Die zweite Voraussetzung für ein Notstandsregime war die Bereitschaft der
Reichswehr, den Regierungskurs gegen außerparlamentarischen Widerstand zu verteidigen.
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Ende November kam es zu einem Planspiel der Reichswehrführung, in dem der Fall des
Staatsnotstandes und die Abwehr eines Generalstreiks durchgespielt wurden. In diesem
Planspiel Ott kam man zu dem Ergebnis, dass man es möglicherweise mit einer Allianz aus
KPD, SPD und NSDAP zu tun haben werde und durch die innenpolitische Bindung der
Reichswehr zugleich Gefahr für die Ostgrenze drohe. Die subjektive Einschätzung der
Reichswehr entsprach, besonders im Hinblick auf die Kampfkraft der KPD und die von Polen
drohende Gefahr kaum den Realitäten. Man hätte – so die neuere Forschung (Wolfram PYTA)
– die Zustände in Deutschland durchaus in den Griff bekommen können. Dennoch hinterließ
das Planspiel den Eindruck, dass ein von der Regierung Papen ausgerufener Staatsnotstand
nicht beherrschbar sei und in einen Bürgerkrieg mit unkalkulierbaren Folgen führen würde.
Diese Einschätzung machte sich Schleicher zunutze, der die Mehrheit im Kabinett davon
überzeugte, den Weg in den Staatsnotstand zunächst nicht einzuschlagen und noch eine
andere Variante der Krisenlösung zu versuchen. Angesichts dieser Kabinettsentscheidung gab
Hindenburg sein Festhalten an Papen auf und ernannte am 3. Dezember 1932 Kurt von
Schleicher selbst zum neuen Kanzler.
B. Kanzlerschaft Schleichers
Udo KISSENKOETTER, Gregor Strasser und die NSDAP, München 1978.
Reinhard NEEBE, Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933. Paul Silverberg und der
Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik, Göttingen 1981.
Axel SCHILDT, Militärdiktatur auf Massenbasis? Die Querfrontkonzeption der
Reichswehrführung um General von Schleicher am Ende der Weimarer Republik, Frankfurt
a. M.1981.
Henry A. TURNER, Hitlers Weg zur Macht. Der Januar 1933, München 1996.
DERS., Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Berlin 1985.
Heinrich August WINKLER (Hg.), Die deutsche Staatskrise 1930-1933. Handlungsspielräume
und Alternativen, München 1992.
Andreas WIRSCHING, Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? Politischer Extremismus in
Deutschland und Frankreich 1918-1933/39. Berlin und Paris im Vergleich, München 1999.
I. Die Querfront-Konzeption
Franz von Papen hatte sich im November 1932 vor allem deshalb in eine Sackgasse
manövriert, weil seinen Konzepten ein breiterer Rückhalt in der Gesellschaft fehlte. Der am
3. Dezember 1932 zum Kanzler berufene Schleicher ging nun einen neuen Weg. Er vertrat
seit langem die Ansicht, dass sowohl der Umbau des Staates zur Stärkung der Exekutive als
auch eine erfolgreiche Rüstungspolitik nur auf der Grundlage einer möglichst breiten
gesellschaftlichen Akzeptanz erfolgreich zu betreiben waren. Er hatte 1930 mit der SPD
gebrochen, weil sie seinen Zielen im Wege stand, und die Kooperation mit einer gezähmten
NSDAP versucht. Als auch letzteres an Hitlers Politik gescheitert war, versuchte der politisch
durchaus flexible Schleicher einen neuen Kurs. Durch die Bildung einer sog. „Querfront“
wollte er seinem Kurs die als notwendig angesehene Massenbasis verschaffen. Ziel war es,
die Arbeitnehmerflügel von Zentrum und NSDAP, den der DNVP nahestehenden
Deutschnationalen Handlungsgehilfenverein sowie die freien Gewerkschaften (ADGB) für
die Unterstützung der Regierungspolitik zu gewinnen und damit die starren Parteifronten
aufzubrechen. Eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung der Querfront-Politik spielte der sog.
„Tat-Kreis“ um den Publizisten Hans Zehrer, eine Gruppe junger bürgerlicher Intellektueller,
die sowohl die Staatsform der Weimarer Republik als auch das kapitalistische
Wirtschaftssystem als überholt ansahen und zunächst vor allem durch eine neue, auf einem
breiten gesellschaftlichen Fundament ruhenden Wirtschaftspolitik die Krisen zu überwinden
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hofften. Als Schleicher am 3. Dezember ins Kanzleramt berufen wurde, war die Querfront
trotz zahlreicher Vorgespräche allerdings nur ein Ziel und noch längst nicht Realität.
II. Krise in der NSDAP und Scheitern Strassers
Wichtigster Mann in den Querfrontüberlegungen war zunächst Gregor Strasser, der als
Reichsorganisationsleiter der NSDAP eine Schlüsselfunktion einnahm, sich im Sommer 1932
besonders auf die Fragen der Arbeitsbeschaffungspolitik konzentrierte und die eigene Partei
verstärkt zu einer „konstruktiven“ Mitarbeit am Staat aufforderte. Strasser stand mit dieser
Ansicht innerhalb der NSDAP keineswegs allein. Die Partei hatte, wie die Stimmeneinbußen
bei den Reichstagswahlen zeigten, offenbar ihren Höhepunkt überschritten. Hitlers Forderung
nach dem Kanzleramt führte offenbar nicht weiter; Verunsicherung über den künftigen Weg,
Geldmangel und innere Machtkämpfe schienen die NSDAP zu lähmen. Hitler blieb zwar bei
seinen Positionen, aber die schwere Wahlschlappe bei den thüringischen Kommunalwahlen
vom 4. Dezember 1932 verschärfte die Krise der Partei weiter. In dieser Situation bot
Schleicher Strasser an, als Vizekanzler in sein Kabinett einzutreten, um so zumindest Teile
der NSDAP für die Regierungspolitik zu gewinnen. Nach heftigen Auseinandersetzungen
innerhalb der NSDAP gab Strasser am 8. Dezember seine Pläne jedoch auf und stellte seine
Parteiämter zur Verfügung. Er kritisierte Hitlers Politik und warf ihm vor, den Zerfall der
Partei zu befördern. Dennoch scheute Strasser vor der „Palastrevolution“ zurück. Sein Schritt
sorgte innerhalb der NSDAP zunächst für weitere Verunsicherung. Hitler fürchtete ein
Auseinanderbrechen der Partei, gewann dann aber sehr schnell die Initiative zurück und
festigte seine Stellung durch organisatorische und personelle Veränderungen.
III. Schleichers Regierungsprogramm
Mit Strassers Resignation fiel ein wichtiger Baustein des Querfront-Konzepts weg, doch
Schleicher gab noch nicht auf. Zum einen hoffte er, Strasser doch noch ins Spiel bringen und
die Krise der NSDAP nutzen zu können. Zum zweiten setzte Schleicher auf Verhandlungen
mit den christlichen und sozialistischen Gewerkschaften. In seiner Regierungserklärung vom
15. Dezember 1932 warb er um eine breite gesellschaftliche Unterstützung seines Kurses. Er
erteilte Plänen einer Militärdiktatur eine Absage, versprach sozialpolitische Verbesserungen
und vor allem konkrete Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung. Die Regierungserklärung war
der Versuch, möglichst allen Seiten etwas anzubieten.
IV. Situation am Ende des Jahres 1932
Kurt von Schleicher hatte zwar die ersten Wochen seiner Kanzlerschaft ohne große Krise und
ohne Misstrauensvotum des Reichstages überstanden, von einer gefestigten Position konnte
Ende Dezember aber keine Rede sein. Von der angestrebten Querfront als fester Grundlage
einer Politik, die die Neuordnung des Staates mit Reichstagsmehrheiten und ohne Ausrufung
des Staatsnotstandes betrieb, war er weit entfernt. Nach dem Ausfall Strassers führte
Schleicher Verhandlungen mit den Führern des ADGB, die sich seit Sommer 1932 aus der
engen Verklammerung mit der Sozialdemokratie gelöst hatten, aber auch hier blieb ein
Durchbruch aus. Der Hauptgrund lag darin, dass die Sozialdemokratie – von Ausnahmen wie
Otto Braun abgesehen – aufgrund der bisherigen Erfahrungen Schleichers Angeboten
misstraute. Hinzu kam die Furcht, dass eine Kooperation mit der Regierung zu einer weiteren
Stärkung der KPD führen würde. Auch aus anderen Gründen ist die These wenig
überzeugend, dass eine Kooperation zwischen Schleicher und den Sozialdemokraten/ADGB
die Grundlage eines erfolgreichen Abwehrkampfes gegen die Nazis hätte werden können (so
Hagen SCHULZE). Schon die vorsichtige Hinwendung zu den freien Gewerkschaften führte im
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Umkreis von Hindenburg, Teilen der Reichswehr, bei Großagrariern sowie Teilen der
Industrie zu heftiger Kritik an Schleicher. Der Sozialdemokratie sollte keine Rückkehr auf die
Ebene politischer Entscheidungen möglich gemacht werden. An der Jahreswende 1932/33
war eine Situation entstanden, die Karl Dietrich BRACHER als Machtvakuum bezeichnet: Der
Reichstag war angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der daraus resultierenden
Selbstlähmung kein Faktor mehr. Auch die Regierung kam angesichts erstarrter politischer
Fronten und innerer Gegensätze (Schleicher/Hindenburg-Umfeld) nicht weiter. Und auch die
Parteien und außerparlamentarischen Kräfte traten auf der Stelle. Die Dynamik der NSDAP
schien gebrochen. Die KPD war zwar im Aufwind, jedoch kräftemäßig weit davon entfernt,
im Kampf um die Macht eine Rolle spielen zu können. In diesem insgesamt stagnierenden
Kräftefeld konnte die NSDAP daraufhin nach Überwindung ihrer inneren Krise seit Anfang
Januar 1933 wieder zu einem entscheidenden Faktor aufsteigen.
V. Deutsche Eliten und Machtergreifung
Über die Rolle der Eliten in Industrie, Großlandwirtschaft, Beamtenschaft und Reichswehr im
Prozeß der Machtergreifung wurde in den letzten drei Jahrzehnten innerhalb der Forschung
intensiv gestritten. Im Mittelpunkt stand zunächst die Rolle der Industrie. Die ältere DDRForschung übernahm weitgehend die schon in den dreißiger Jahren von der Komintern
vertretene Ansicht, dass das Monopolkapital Hitler über seine finanzielle Kraft an die Macht
gebracht habe. Demgegenüber bemühte sich der amerikanische Historiker Henry A. TURNER
um den Nachweis, dass die Gelder der Industrie für Hitlers Aufstieg zumindest bis zur
Eroberung der Macht keine ausschlaggebende Rolle gespielt haben, zumal die Finanzierung
der NSDAP vor allem über andere Quellen erfolgte. Ungeachtet dieser „Entlastung“ der
Großindustrie ist innerhalb der Forschung später auch im Westen verstärkt über die Mitschuld
der Industrie am Zerfall der Weimarer Republik diskutiert worden. Die Industrie hat durch die
Aufkündigung des sozialpolitischen Konsenses und durch ihre politischen Zielsetzungen zum
Scheitern des Systems beigetragen. Sie hat aber nicht die unmittelbaren Weichen in Richtung
Kanzlerschaft Hitlers gestellt. Es gab Großindustrielle wie Thyssen, die früh mit der NSDAP
sympathisierten und sie unterstützten, ferner gab es eine beträchtliche Unterstützung der
NSDAP aus den Reihen klein- und mittelständischer Unternehmer. Zudem nahmen viele
Industrielle gerade Schleichers sozialpolitische Botschaften sehr skeptisch auf. Dennoch
erfreute sich Schleicher, wie Reinhard NEEBES Arbeit zeigt, noch im Januar 1933 der
Unterstützung wichtiger Industriekreise. Die deutsche Industrie war aufgrund vielfältiger
innerer Interessenunterschiede gar nicht in der Lage, Hitler durch zielgerichtetes Handeln an
die Macht zu bringen. Sie sah aber auch keine Gründe, dies zu verhindern.
Größeren Einfluss auf die politischen Entscheidungen vom Januar 1933 dürften die
ostelbischen Junker gehabt haben, wenngleich man offenbar auch hier von einheitlichen
Konzepten und geschlossenen Handeln ebenso weit entfernt war wie in der Beamtenschaft
oder der Reichswehr. Nicht Geschlossenheit und Stärke kennzeichnete die Stellung der alten
Eliten, sondern eher Fragmentierung und Schwäche. Anders als die Eliten Großbritanniens
waren die traditionellen Eliten Deutschlands zwischen 1930 und 1933 nicht mehr in der Lage,
eine eigene, lebensfähige, den neuen Strukturen angepasste Antwort auf die vielfältigen
Krisen zu formulieren. Man hatte maßgeblich zum Ruin des 1919 geschaffenen politischen
Systems beigetragen, war aber nicht in der Lage, eine eigene durchsetzbare Alternative zu
präsentieren. In dieser Situation kam Hitler als Führer einer starken Massenbewegung ins
Spiel. Eine Kombination aus realer Machtschwäche und weiterexistierendem Machtwillen
führte Teile der alten Eliten zur Kooperation mit der NSDAP, die zunächst noch
„beherrschbar“ schien.
Vgl. hierzu die ausführlichen Debatten bei WINKLER (Hg.), Staatskrise.
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VI. Der Weg zur Kanzlerschaft Hitlers
Die vorbereitenden Gespräche, die Hitler den Weg ins Kanzleramt ebneten, liefen innerhalb
eines relativ kleinen Personenkreises ab. Im Mittelpunkt stand Franz von Papen, der auch
persönliche Rachegelüste gegen Schleicher hegte, und am 4. Januar 1933 erstmals wieder mit
Hitler im Hause des Kölner Bankiers Schröder zusammentraf. Hier schlug Papen ein
Duumvirat vor, auf das Hitler aus taktischen Gründen zunächst einging. Schleicher erfuhr
zwar vom Treffen, wurde aber über den eigentlichen Zweck im Unklaren gelassen.
Hindenburg war seit dem 9. Januar über die eigentlichen Absichten Papens informiert,
verlangte aber zunächst noch, dass Papen in einem neuen Kabinett die Fäden in der Hand
halten müsse. Ein zweites Gespräch zwischen Hitler und Papen fand am 11./12. Januar statt,
führte jedoch zu keinem Ergebnis. Hitler wollte die Landtagswahl in Lippe-Detmold
abwarten, wo die NSDAP mit großem Propagandaaufwand die letzten Schlappen
wettzumachen suchte. Obwohl die Wahl in dem 170 000 Einwohner zählenden Kleinstaat
wenig aussagekräftig sein konnte, wirkte der von der NSDAP erreichte Stimmenzuwachs als
wichtiges Signal. Hitler fühlte sich beim erneuten Treffen mit Papen am 18. Januar in seiner
Forderung nach dem Kanzleramt bestätigt und setzte Papen wie Hindenburg in den folgenden
Tagen noch stärker unter Druck.
Reichskanzler von Schleicher dagegen geriet nun in immer größere Schwierigkeiten.
Hindenburg verweigerte ihm umfassende Vollmachten für einen Kurs des Staatsnotstandes.
Schleicher wollte nach dem Scheitern der Querfront den Reichstag auflösen, vorerst keine
Wahlen abhalten und die innere Ordnung durch massives Eingreifen der Reichswehr sichern.
Er hoffte auf einen weiteren Niedergang der NSDAP und die sich schon abzeichnende
wirtschaftliche Erholung. Die Weimarer Republik wäre mit diesem Kurs nicht mehr zu retten
gewesen, man hätte jedoch durchaus die Kanzlerschaft Hitlers abwenden können. Hindenburg
lehnte Schleichers Pläne ab, weil er die verfassungspolitische Wende nach rechts ohne
Verfassungsbruch und Bürgerkrieg abschließen wollte, endgültig vom unpopulär gewordenen
Notverordnungs-System abgehen wollte und Papen eine entsprechende Lösung (Koalition
zwischen NSDAP, DNVP und eventuell weiteren Parteien) anzubieten schien. Hinzu kamen
Eingaben von Großagrariern und Teilen der Industrie. Eine wichtige Rolle spielte schließlich
vor allem die innerhalb der Reichswehr aufkommende Opposition gegen Schleichers Politik.
Generalleutnant von Blomberg, später Hitlers erster Reichswehrminister, wollte die
Reichswehr aus den innenpolitischen Auseinandersetzungen heraushalten. Andere wie sein
Stabschef von Reichenau sympathisierten schon seit längerem mit der NSDAP. Gerüchte über
Schleichers Putschpläne verstärkten die Opposition führender Militärs.
In dieser Situation kam dann das Konzept der konservativen Einrahmung eines Kabinetts
Hitler zustande. Am 30. Januar wurde Hitler zum Kanzler einer Regierung ernannt, der neben
ihm nur zwei Nationalsozialisten angehörten und die von den konservativen Partnern
(Vizekanzler Papen, Hugenberg, Seldte, Krosigk, Neurath u. a.) kontrolliert werden sollte.
Hitler wurde als Kanzler mit allen Vollmachten versehen, die seine Vorgänger seit 1930 auch
gehabt hatten. Er führte ein Präsidialkabinett mit dem Recht zur Auflösung und Neuwahl des
Reichstages. Die Ernennung Hitlers war trotz der großen Wahlerfolge der NSDAP also
keineswegs zwangsläufig. Der Durchbruch zur Macht wurde Hitler erst möglich, als sich die
politischen Entscheidungsträger mit ihrem 1930 begonnenen Kurs endgültig in eine
Sackgasse manövriert hatten. Er erfolgte zu einem Zeitpunkt, als die Wirtschaftskrise
abzuflauen begann und die NSDAP auch den Höhepunkt ihrer Wahlerfolge überschritten
hatte.
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VII. Debatte über die Ursachen des Scheiterns von Weimar
Die neuere Forschung tendiert dazu, sich von monokausalen Erklärungen zu lösen wie
„Selbstpreisgabe einer Demokratie“, fehlerhafter Verfassung oder Versailler Vertrag. Auch
das Erklärungsmuster des „deutschen Sonderwegs“, also die Kontinuität obrigkeitsstaatlicher
Traditionen und der Macht traditionaler Eliten, hat durch neuere Forschungen an
Aussagekraft eingebüßt, wenngleich die Beharrungskraft vordemokratischer Denkmuster
(Staat über den Parteien) und die Kontinuität etwa im völkisch-antisemitischen Denken nicht
zu übersehen sind. Auf der anderen Seite konnten solche Altlasten ihre Wirkung aber erst
durch die ungelösten neuen Herausforderungen seit 1918 entfalten. In letzter Zeit sind gerade
die Modernität der Weimarer Republik und die aus den sich beschleunigenden
Modernisierungsprozessen resultierenden Konflikte verstärkt als Erklärungsfaktor für das
Scheitern der Republik herangezogen worden (z. B. Problemfeld Jugend). Der Vergleich
zwischen deutscher Krisenbewältigung und derjenigen in Großbritannien oder Frankreich
bestärkt zudem die Annahme, dass sich in Deutschland die Krisenzeit der „Klassischen
Moderne“, die alle europäischen Gesellschaften zwischen 1918 und 1933 betraf, mit den
Folgen der Kriegsniederlage, dem Revolutionstrauma 1918/19 (radikale Infragestellung der
bürgerlichen Welt durch die extreme Linke) und den skizzierten Elementen eines spezifisch
deutschen „Sonderweges“ mischte und der Untergang der Weimarer Republik erst vor diesem
doppelten Hintergrund besser erklärt werden kann. Ungeachtet solcher Erklärungsansätze
bleibt aber auch der Aspekt der „Torheit der Regierenden“ zu beachten, die die Reichweite
ihrer seit 1930 vorgenommenen Weichenstellungen völlig falsch einschätzten.
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