0 - Universität Oldenburg

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0 INHALT
1 Einleitung................................................................................................................1
1.1 Aufbau der Examensarbeit....................................................................................2
1.2 Anmerkungen zur Form........................................................................................3
2 Die Entwicklung des Denkens und des Handelns beim Kind....................4
2.1 Der Intelligenzbegriff bei Piaget.............................................................................4
2.2 Die vier Entwicklungsstufen nach Piaget................................................................6
2.2.1 Die sensomotorische Stufe............................................................................6
2.2.2 Das voroperatorische Denken.......................................................................7
2.2.3 Das operatorische Denken............................................................................8
2.2.4 Die formalen Operationen.............................................................................9
2.3 Zusammenfassung..................................................................................................9
3 Wie Kinder lernen...............................................................................................11
3.1 Lernen als individuelle Eigenschaft.......................................................................11
3.2 Wege des Lernens................................................................................................13
3.3 Konsequenzen für Schule und Unterricht..............................................................17
3.4 Zusammenfassung................................................................................................18
4 `Lernbehinderungen` - oder `besondere Bedürfnisse`?............................20
4.1 Der Begriff der Lernbehinderung..........................................................................21
4.2 Merkmale abweichenden Lernverhaltens............................................................. .23
4.3 Hemmende (behindernde) Bedingungen................................................................25
4.4 Konsequenzen für einen fördernden Unterricht.....................................................27
4.5 Zusammenfassung................................................................................................29
5 Grundlegende Annahmen..................................................................................30
5.1 Menschenbild/Entwicklung...................................................................................30
5.2 Lernen und sogenannte Lernbehinderung..............................................................30
5.3 Schule..................................................................................................................31
6 Das Konzept der Regional Ökologischen Sachunterrichtssammlung
(RÖSA)..................................................................................................................33
6.1 Grundgedanken und Realisierung des Konzepts....................................................34
6.2 Die Handlungsmaterialien.....................................................................................35
6.3 Einsatzmöglichkeiten der Themenkisten im Unterricht..........................................38
6.4 Zusammenfassung................................................................................................39
7 Forschungsmethodische Konzeption...............................................................41
7.1 Persönliche Motivation.........................................................................................41
7.2 Handlungsleitende Fragestellung...........................................................................42
7.3 Forschungskonzept...............................................................................................43
7.3.1 Beobachtungsform.......................................................................................43
7.3.2 Beobachtungssituation.................................................................................45
7.4 Beobachtungs- und Erhebungsinstrumente............................................................48
7.5 Erhebungsbedingungen.........................................................................................50
7.5.1 Untersuchte Schülergruppe.........................................................................50
7.5.2 Beobachtungsort.........................................................................................51
7.5.3 Beobachtungszeitraum................................................................................51
8 Auswertung und Interpretation der Ergebnisse..........................................53
8.1 Ergebnisse: Kriterien der Beobachtung..................................................................53
8.2 Interpretation der Ergebnisse und der Protokolle...................................................59
8.3 Zusammenfassung.................................................................................................65
9 Konsequenzen: Ideen zur Weiterentwicklung der RÖSA unter
Berücksichtigung besonderer Lernbedürfnisse..........................................68
9.1 Vorschläge zur Veränderung des Materials...........................................................69
9.2 Vorschlag zur Erweiterung des Konzepts..............................................................71
9.3 Zusammenfassung.................................................................................................75
10 Persönliche Schlußbetrachtung......................................................................76
11 Literatur...............................................................................................................78
Anhang: Materialteil
- Protokolle
- Kriterien der Beobachtung
1 EINLEITUNG
Die Pädagogik hat im Verlauf des letzten Jahrhunderts eine starke Wandlung vollzogen.
Die SchülerIn wird heute im Verständnis eines ganz anderen Menschenbildes gesehen: sie ist
nicht mehr das unmündige, der LehrerIn untergebene Kind, welches durch Strenge und
gezielte Belehrung zu „Gehorsam“ und „Sitte“ erzogen werden muß. Heute stehen
Individualität, subjektive Lebenswelten und Autonomie der Lernenden im Vordergrund
schulischer Erziehung. Dem Menschen an sich gilt jegliche Aufmerksamkeit, und er soll sich
auch in der Schule gemäß seiner natürlichen Entwicklung entfalten können.
Der Inhalt schulischer Erziehung darf nicht mehr das „Pauken“ von Wissensstoff und das
Lernen leerer Inhalte ohne jeglichen Bezug zum Leben der Kinder sein. Die Didaktik im Jahr
2000
fordert
Erfahrung
statt
Belehrung,
Kommunikation
und
Kooperation
statt
Einzelkämpfertum, Lebensweltbezug und zukunftsorientiertes Lernen statt abstrakter Inhalte.
Veraltete Vorstellungen eines lehrerzentrierten Frontalunterrichts als Ideal, bei dem die
SchülerInnen in einer Flut von Arbeitsblättern versinken, sind in den positivsten Fällen dem
Postulat des subjektorientierten, problemorientierten, handelnden und selbstverantwortlichen
Lernen gewichen. Bedauerlicherweise konnten sich diese idealisierten Vorstellungen heutigen
Unterrichts noch nicht völlig durchsetzen.
In der Theorie existieren zahlreiche Darstellungen und Konzeptionen für einen handelnden,
erfahrungsoffenen und subjektorientierten Unterricht. Diese beziehen sich allerdings
hauptsächlich auf den Bereich der Grundschule und schließen die Sonderschule höchst selten
in ihre Überlegungen ein. Dabei zeichnet sich insbesondere die Schülerschaft der
Sonderschule
durch
ihre
Heterogenität
und
das
Bedürfnis
nach
individuellen
Lernmöglichkeiten aus.
Es stellt sich folglich die Frage, wie sich derartige Unterrichtskonzepte für den Unterricht mit
SchülerInnen eignen, die als lernschwach oder lernbehindert bezeichnet werden.
In dieser Examensarbeit wird ein Konzept handelnden Sachunterrichts in der Beobachtung mit
lernschwachen Kindern evaluiert. Es gilt dabei herauszufinden, ob die Kinder dadurch zum
Lernen motiviert werden, inwieweit ihren Lernbedürfnissen entsprochen wird und wo
mögliche Probleme liegen.
1.1 Aufbau der Examensarbeit
Es erscheint wichtig, sich zunächst der natürlichen Entwicklung der Kinder bewußt zu
werden. Das zweite Kapitel gibt daher kurz Aufschluß über die Entwicklungsstadien, die ein
Kind von der Geburt bis zur Adoleszenz durchläuft. Die Darstellung ist ausschließlich an den
Entwicklungsstufen nach PIAGET orientiert.
Im dritten Kapitel werden Überlegungen über das Lernen und über die Lernwege von Kindern
angestellt, um herauszufinden, welche Art der Unterrichtsgestaltung dem am besten
entgegenkommt.
Darauf folgend ergibt sich im vierten Kapitel eine kritische Diskussion über den Begriff und
die Definition von Lernbehinderungen. Es werden mögliche Ursachen dargestellt, und es wird
abgewägt, ob Lernbehinderungen an bestimmten Merkmalen festgemacht werden können. Da
es sich hier wiederum um eine Form des Lernens handelt, werden auch wieder Konsequenzen
für Schule und Unterricht gezogen.
Das fünfte Kapitel soll dazu dienen, die grundlegenden Aussagen aus den Kapiteln Zwei bis
Vier für die Bereiche Menschenbild und Entwicklung, Lernen und Lernbehinderung, sowie
Schule zusammenzufasssen und noch einmal zu verdeutlichen. Die didaktischen
Vorannahmen, die hier diesbezüglich getroffen werden, stellen die wissenschaftliche
Grundlage der weiteren Kapitel dar.
Es folgt dann in Kapitel Sechs eine ausführliche Darstellung des zu evaluierenden Konzepts
der Regional Ökologischen Sachunterrichtssammlung.
Im siebten Kapitel wird detaillierten Aufschluß über die forschungsmethodische Konzeption
gegeben, die der Evaluation zugrunde liegt. Dabei habe ich es zunächst als wichtig erachtet,
meine persönliche Motivation darzustellen. Es folgen die Erklärungen zur Beobachtungsform
und Beobachtungssituation, sowie zu den Beobachtungsinstrumenten und den Bedingungen,
die sich in der Schule ergeben haben. Der LeserIn soll hier ein genauer Einblick in den
theoretischen Hintergrund der Evaluation gegeben werden, um deren wissenschaftlichen Wert
sicherzustellen.
Das achte Kapitel zeigt zunächst in graphischen Darstellungen die Ergebnisse der
Beobachtungskriterien. Daran schließen sich die Interpretationen der Protokolle und der
Graphen an.
Als Konsequenz aus den Interpretationen, werden im neunten Kapitel Ideen zur Veränderung
des RÖSA-Materials und des Konzepts, unter der Berücksichtigung
besonderer
Lernbedürfnisse, entwickelt. Diese Vorschläge entsprechen meiner persönlichen Vorstellung
dessen, wie das (Grundschul-)Konzept RÖSA für den Unterricht mit lernschwachen Kindern,
zur Prävention von Lernbehinderungen, verändert werden muß.
1.2 Anmerkungen zur Form
Als Anhang sind der Examensarbeit sämtliche Protokolle und Kriterienbögen im Materialteil
angefügt. Die Interpretationen aus Kapitel acht sollen somit für die LeserIn nachvollziehbar
und transparent werden.
Um Diskriminierungen zu umgehen, benutze ich die weibliche Personalform. Das große I
verdeutlicht, daß die männliche Form stets eingeschlossen ist.
2 DIE ENTWICKLUNG DES DENKENS UND DES HANDELNS
BEIM KIND
Um Lernwege und Handlungen von Kindern besser verstehen und einschätzen zu können, ist
es sinnvoll, sich zunächst mit der geistigen Entwicklung bei Kindern auseinanderzusetzen. Bei
dieser Darstellung werden ausschließlich die Theorien PIAGETS verwendet, da seine
Alterseinteilungen der verschiedenen Entwicklungsstufen sich gut auf die Altersklassen in den
unterschiedlichen Schulstufen übertragen lassen. Es sollen keine detaillierten Fallbeispiele
dargestellt, sondern ein kurzer Überblick zur Orientierung gegeben werden. Der Fokus wird
auf die dritte Stufe des kognitiven Entwicklungsstandes, den „konkreten Operationen“, gelegt,
die die Lebensjahre sieben bis elf beschreiben und somit den ersten vier Schuljahren eines
Kindes entsprechen. Zuvor ist es aber notwendig, den Intelligenzbegriff
PIAGETS zu
erörtern, da dieser seinen Theorien von Entwicklung zugrunde liegt.
2.1 Der Intelligenzbegriff bei PIAGET
Als PIAGET in den Zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts seine Forschungen begann, war
der Intelligenzbegriff wenig erforscht und kaum definiert. Er war folglich in seiner Auslegung
dessen, was er unter Intelligenz verstand, sehr frei und konnte seine eigene Sichtweise
einbringen, die im wesentlichen biologisch ausgerichtet war. Sein Modell der dynamischen
Äquilibration beschreibt einen Prozeß der Herstellung von Gleichgewichtszuständen. „...
Intelligenz
sei
`die
Gleichgewichtsform,
zu
der
alle
kognitiven
Strukturen
hinstreben`.“(GINSBURG/OPPER 1975, 27). Intelligenz ist für PIAGET die Harmonie
zweier Faktoren, Person und Umwelt. Die Umwelt kann dieses Gleichgewicht zerstören, doch
die Person ist durch Anpassung in der Lage, die Balance wiederherzustellen. Mit
zunehmendem Alter gelingt ihr dies immer besser.
Für die später folgenden Betrachtungen von Lernen und handlungsorientiertem Unterricht
erscheint eine weitere Definition der Intelligenz nach PIAGET besonders wertvoll. Diese
Definition besagt, daß Intelligenz „ein System von lebendigen und aktiven Operationen“ sei.
„PIAGETS Interesse gilt der geistigen Aktivität, dem, was die Person in ihrer Interaktion mit
der Welt tut. PIAGET glaubt, daß Wissen dem passiven Beobachter unzugänglich bleibt.
Kenntnis der Realität muß von der kindlichen Aktivität entdeckt und aufgebaut werden.“
(GINSBURG/OPPER 1975, 28).
Er beschreibt die Intelligenz einer Person folglich durch zwei Faktoren: zum einen mit dem
Einwirken
der
Umwelt
auf
die
Person
und
dem
ständigen
Herstellen
von
Gleichgewichtszuständen zwischen Mensch und Umwelt.
Zum anderen beschreibt er die aktive Seite des Menschen, der sich sein Wissen nur durch
handelndes Auseinandersetzen mit der Welt erschließen kann. GINSBURG/OPPER weisen
darauf hin, daß PIAGET die Rolle der Emotionen und individuelle Intelligenzunterschiede
zwar anerkennt, aber kaum berücksichtigt (vgl. ebd., 29), was sehr zweifelhaft bei der
Beurteilung menschlicher Intelligenz ist. Gerade diese zwei Faktoren spielen in der heutigen
Pädagogik eine entscheidende Rolle, um den Bedürfnissen der SchülerInnen gerecht werden
zu können.
Zu den bekanntesten Bestandteilen der PIAGETschen Theorie gehört die Äquilibration
zwischen Assimilation und Akkomodation, da er hier plausibel beschreibt, wie der intelligente
Mensch mit seiner Umwelt interagiert und sich dabei ständig weiterentwickelt (vgl.
WEMBER 1986, 48). Als Assimilation beschreibt er die Anwendung vorhandener Denk- und
Handlungsstrukturen auf neue oder vertraute Probleme. Akkomodation ist die Veränderung
und Anpassung der alten Strukturen, um neue Probleme zu lösen und unbekannten
Situationen gerecht werden zu können. Die beiden Funktionen sind in jeder Handlung
vorhanden. „Assimilation und Akkomodation sind komplementär .... Man assimiliert einen
äußeren Umstand beispielsweise in eine Struktur und akkomodiert eine andere Struktur den
Erfordernissen der Umwelt. Schließlich strebt der Organismus Gleichgewicht an. Er bemüht
sich um eine Balance zwischen seinen Strukturen und den Erfordernissen der Umwelt.“
(GINSBURG/OPPER 1975, 41).
Der Intelligenzbegriff bei PIAGET beschreibt intelligentes Verhalten folglich als das
Gleichgewicht zwischen Assimilation und Akkomodation. Der Mensch nimmt aktiv
Informationen aus der Umwelt auf, indem er vorhandene Strukturen nutzt und gleichzeitig
Neues in seine eigenen Strukturen zufügt. Er macht seine Erfahrung, „indem er die erlebte
Realität gemäß seinem Kenntnisstand rekonstruiert und interpretiert. Der jeweilige kognitive
Entwicklungsstand eines Menschen begrenzt folglich seine assimilativen Möglichkeiten.“
(WEMBER 1986,49). Der kognitive Entwicklungsstand eines Menschen läßt sich nach
PIAGET in vier unterschiedliche Stufen einteilen, die im Folgenden beschrieben werden.
2.2 Die vier Entwicklungsstufen nach PIAGET
2.2.1 Die sensomotorische Stufe
Die erste Stufe der Entwicklung beschreibt PIAGET als „sensomotorische Stufe“, die die
ersten vierundzwanzig Lebensmonate beinhaltet. In dieser Zeit entwickelt sich das zunächst
nur auf seine angeborenen Reflexe angewiesene Neugeborene zu einem aktiv mit seiner
Umwelt interagierenden Wesen. Besonders hervorzuheben ist hier der Prozeß der
Dezentrierung. Der Säugling beginnt sein Leben in einem Zustand, der ihn nicht zwischen
selbst und Umwelt unterscheiden läßt. Er ist völlig auf sich zentriert. Dieser Zustand geht im
Laufe seiner Entwicklung in ein differenziertes Stadium über, welches ihn zwischen seiner
eigenen Person und der Umwelt unterscheiden läßt. Die Entwicklung des Objektbegriffs ist
hier das entscheidende Merkmal, denn er begreift nun, daß die Dinge selbständig vorhanden
sind. Am Ende der sensomotorischen Stufe kann das Kind Dinge zum Erreichen von Zielen
benutzen.
PIAGET teilt die sensomotorische Stufe in sechs Stadien ein, die jeweils einen
fortgeschritteneren Entwicklungsstand des Kindes beschreiben. Ein Kind muß diese der
Reihenfolge nach durchlaufen. Am Ende, in Stadium Sechs, beginnt das Kind symbolisch zu
denken. Es kann nun Probleme auf der Vorstellungsebene lösen. Das genaue Alter, in dem die
Kinder die Stadien durchlaufen ist individuell verschieden.
PIAGET beschreibt die Entwicklung des Säuglings nicht als reinen organischen
Reifungsprozeß, sondern ist vom Einfluß der Umwelt überzeugt (vgl. GINSBURG/OPPER
1975, 88 ff). Die Intelligenz des Säuglings ist handlungs- und situationsbezogen.
2.2.2 Das voroperatorische Denken
Die zweite Stufe der kognitiven Entwicklung, das „voroperatorische Denken“, bezieht sich
nach PIAGET auf das dritte bis siebte Lebensjahr. Hier ist einer der wichtigsten
Entwicklungsschritte der Erwerb der Symbolfunktion, die die Fähigkeit beinhaltet,
„sensomotorische Handlungen, beobachtete Ereignisse und Objekte zu verinnerlichen und
mental zu repräsentieren.“ (WEMBER 1986, 52). PIAGET verwendet die Begriffe Signifikat
(z.B. ein Objekt) und Signifikant (z.B. ein Wort), welches das Objekt bezeichnet. Er spricht
ab diesem Punkt von Denken, da die Symbolfunktion dem Kind erlaubt, mental mehrere
Handlungen zeitgleich auszuführen, Vergangenheit und Zukunft einzubeziehen.
Ein weiterer Zugewinn ist in dieser Altersstufe die Entwicklung des Identitätsbegriffs oder
qualitative Invarianz. Das Kind kann erkennen, daß die qualitativen Eigenschaften von z.B.
Flüssigkeiten, Knete, etc. erhalten bleiben, auch wenn sie ihre Form ändern. Das Denken ist
insoweit voroperativ, als daß das Kind noch nicht erkennen kann, daß auch die Masse erhalten
bleibt (vgl. WEMBER 1986, 52 f).
Das Kind beginnt in dieser Phase, seine ersten Worte zu sprechen, die zunächst eng an seine
Handlungen gebunden sind. Seine Sprache bleibt bis zum siebten Lebensjahr stark
egozentrisch. Das Kind lebt in seiner eigenen Sprachwelt, die nicht zwingend mit der seiner
Kultur einhergeht. PIAGET betont, daß „... das kindliche Denken weniger auf der kindlichen
Sprache beruht, als umgekehrt die kindliche Sprache auf dem kindlichen Denken.“
(GINSBURG/OPPER 1975, 111).
Bis zu dieser Phase zeigt sich, daß das Kind in einer eigenen Welt denkt und lebt, die stark an
Handlungen und einen begrenzten Erfahrungsraum gebunden sind. Dennoch verfügt es über
ein ausreichend großes Repertoire, um mit anderen Menschen in Beziehung zu treten. Dies
fällt ihm aber mit Erwachsenen leichter, da sie eher die Wünsche des Kindes zu erraten und zu
interpretieren bereit sind, als die Gleichaltrigen. Sobald es in den Kindergarten eintritt, muß es
sich aber mit einem neuen sozialen Beziehungsgefüge auseinandersetzen, welches ihm mit
Eintritt in die Schule eine neue Dimension sozialer Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit
abverlangt. Sein Denken muß sich weiter dezentrieren.
2.2.3 Das operatorische Denken
In dieser Altersstufe beginnt für PIAGET die dritte Entwicklungsstufe, die des
„operatorischen Denkens“. Dieses dritte Stadium bezieht sich auf das siebte bis elfte
Lebensjahr. Es zeichnet sich durch erste Formen logischen Denkens aus, die sich nach
PIAGET am besten durch das Erkennen von Mengeninvarianz begründen lassen. Das Kind
erkennt, daß die Menge einer Flüssigkeit erhalten bleibt, auch wenn sich die Form verändert
und kann dies auch begründen. Es kann den Vorgang, der zur Formveränderung geführt hat
gedanklich zurückverfolgen und diese somit aufheben.
Die präoperatorischen Mängel sind folglich überwunden, und das Denken des Kindes ist
„mobil, dezentriert, reversibel und weniger konkret.“ (WEMBER 1986, 54). PIAGET
beschreibt Operationen als effektive oder interiorisierte Handlungen allgemeinster Art, die auf
beliebige Objekte anwendbar, reversibel und in eine Gesamtstruktur integriert sind (vgl.
PIAGET 1973, 29 f).
Dennoch bleibt das kindliche Denken an konkrete Sachverhalte und sinnlich erfahrbare
Situationen gebunden. PIAGET bezeichnet diesen Entwicklungsschritt der konkreten
Operationen aber als besonders markant, da das Kind in der Lage ist, anschauliche Probleme
durch Handeln logisch zu erklären (vgl. WEMBER 1986, 54 f).
Dieser Entwicklungsstand des Kindes ist für meine Ausführungen außerordentlich interessant
und wichtig:
Hier beweist sich, daß das Kind mit anschaulichen, sinnlich erfahrbaren, konkreten Problemen
und Materialien konfrontiert werden muß, um logische Denk- und Problemlöseprozesse
bewältigen zu können. Jeglicher, auf mentales Denken beschränkter Unterricht, wie z.B.
reiner Frontal- und Arbeitsblattunterricht, überfordert die geistige Leistungsfähigkeit eines
Kindes im Grundschulalter, was im folgenden Kapitel über die Lernwege von Kindern noch
näher zur Sprache kommen wird.
Die Tatsache, daß ein Kind, welches die Grundschule besucht, sich in diesem geistigen
Leistungsvermögen befindet, muß als wichtige Tatsache bei den Ausführungen der folgenden
Kapitel im Hinterkopf bleiben.
2.2.4 Die formalen Operationen
Die letzte Stufe der geistigen Entwicklung im Alter von elf bis fünfzehn Jahren beschreibt
PIAGET als „formale Operationen“. Sie beinhalten Aussagen oder Annahmen, die nicht mehr
an reale Objekte gebunden sind. Das Denken ist abstrakt und kann Relationen zwischen
unterschiedlichen Sachverhalten rein geistig auf ihre Richtigkeit überprüfen, was auch die
Bildung von Hypothesen und das Ziehen von Schlußfolgerungen beinhaltet.
Diese Überlegungen zum formal-operatorischen Denken wurden laut WEMBER (1986,
56 f) viel kritisiert. Auch PIAGET selbst ist zu der Annahme gekommen, daß die meisten
Erwachsenen zu einem hohen Niveau dieses Denkens fähig seien. Dieses Niveau würden sie
aber nur in Bereichen großen Interesses und vielseitiger Erfahrungen aktualisieren (vgl. ebd.
1986, 56 f).
Die Stufen der geistigen Entwicklung, die PIAGET definiert, liefern einen wichtigen
Hintergrund, wenn es darum geht, Kinder in ihrem Lernverhalten zu beobachten und zu
beurteilen. Dabei ist es elementar bedeutsam zu bedenken, daß jedes Kind diese Stufen in
seinem individuellen Tempo durchläuft und LehrerInnen jedes Kind in seiner eigenen
Entwicklung beachten müssen. Es läßt sich kein generelles Urteil über den Entwicklungsstand
und somit das Lernvermögen einer Klasse fällen. Jedes Kind benötigt die Anerkennung seines
momentanen Entwicklungsstandes, was in offenen und handelnden Unterrichtsformen am
besten gewährleistet wird.
Das folgende Kapitel wird sich mit dem Lernverhalten von Kindern beschäftigen.
2.3 Zusammenfassung
Der Intelligenzbegriff nach PIAGET zeichnet sich durch zwei Faktoren aus:
das Einwirken der Umwelt auf den Menschen und das ständige Herstellen von
Gleichgewichtszuständen zwischen Mensch und Umwelt.
Er beschreibt den Menschen als aktives Wesen, daß sich durch Akkomodations- und
Assimilationsvorgänge seine Umwelt zu eigen macht und sich an ihr entwickelt. Intelligentes
Verhalten spiegelt sich im Gleichgewicht zwischen Akkomodation und Assimilation wider.
Darauf folgt eine Darstellung der vier Entwicklungsstufen, die PIAGET in der Entwicklung
des Menschen vom Säugling zum abstrakt denkenden Wesen formuliert.
Sie zeigen, wie sich das menschliche Wesen seine Welt als autonomes Selbst erschließt, ohne
dabei den entscheidenden Faktor Umwelt außer Acht zu lassen. Der Fokus fällt hierbei auf die
Stufe
der
konkreten
Operationen,
da
diese
mit
dem
Entwicklungsstand
eines
Grundschulkindes übereinstimmen. Hier zeigt sich, daß das Denken von Kindern in dieser
Altersstufe von konkreten Materialien und sinnlich erfahrbaren Handlungen abhängig ist.
3 WIE KINDER LERNEN
„Herr Keuner sah die Zeichnung seiner kleinen Nichte an. Sie stellte
ein Huhn dar, das über den Hof flog. „Warum hat dein Huhn eigentlich
drei Beine?“ fragte Herr Keuner. „Hühner können doch nicht fliegen“,
sagte die kleine Künstlerin, „und darum brauchte ich ein drittes Bein
zum Abstoßen.“ „Ich bin froh, daß ich gefragt habe“, sagte Herr Keuner.
(Bertolt Brecht)
Nachdem hier ein Einblick in die Entwicklung des menschlichen Organismus vom
reflexgesteuerten Säugling hin zum logisch denkenden Wesen gegeben wurde, ist es im
Folgenden eine Grundvoraussetzung zum Beurteilen von Unterrichtskonzepten und zum
Initiieren von Lernsituationen im Unterricht, sich der Lernprozesse der Kinder bewußt zu
werden. Wenn Lehrende sich nicht darüber im Klaren sind, wie Kinder sich auf natürliche
Weise die Welt zu eigen machen und wie kindliche Lernprozesse vollzogen werden, sind sie
auch nicht in der Lage, Unterrichtsbedingungen zu schaffen, die den Lernbedürfnissen der
Kinder entsprechen. Dadurch fördern sie Lernprobleme, die zu Schulangst und
Leistungsversagen führen können.
Im folgenden Kapitel werden wichtige Faktoren kindlicher Lernstrukturen dargestellt.
3.1 Lernen als individuelle Eigenschaft
Der Prozeß, wie Menschen sich Wissen aneignen, kann allerdings nicht definitorisch auf eine
allgemeingültige Aussage beschränkt werden. Versuche, Klassifikationen zu finden, in welche
Arten von Lerntypen die Menschen sich einteilen lassen, bleiben wenig aussagekräftig.
„Daraus könnte man nun schließen, daß es vielleicht vier oder fünf große Lerngruppen von
Menschen gibt: den visuellen Sehtyp, den auditiven Hörtyp, den haptischen Fühltyp, vielleicht
noch den verbalen Typ und den Gesprächstyp. Sozusagen die wichtigsten Lerntypen, auf die
ein Lehrer in seiner Klasse grundsätzlich eingehen und seinen Unterricht entsprechend
einrichten sollte.“ (VESTER 1996, 121). Hier zeigt sich, daß
Lernen über viele Sinne geschieht, wobei unterschiedliche Typen unterschiedliche Sinne mehr
oder weniger präferieren. Dies ist eine grobe Richtung, die einen Hinweis auf die
Vielfältigkeit von Aneignungsprozessen gibt. „Eine große Fragebogenaktion bei Studenten
wie auch bei Schülern mit vielen hundert Personen zeigte nun etwas, was wir überhaupt nicht
erwartet hatten. Nämlich, daß es ... in einer Klasse mit dreißig Schülern ... beinahe
ebensoviele Lerntypen gibt.“ (VESTER 1996, 121).
Es fällt schwer, Lernprozesse zu begreifen und verallgemeinernd zu beschreiben, da es keine
Regeln der Wirklichkeitsaneignung oder definierbare Lerntypen gibt, die sich auf eine
beliebige Schülergruppe anwenden ließen. „Kein kognitives System gleicht dem anderen, und
es gibt auch kaum allgemeine Regeln der Wirklichkeitsaneignung .... Jedes Kind organisiert
sein Bewußtseinssystem selbst und repräsentiert intern die Wirklichkeit anders.“
(HEMPEL 1999, 4). Lernen ist demzufolge ein individuell vollzogener Prozeß, der durch die
subjektive Wahrnehmung des Menschen gesteuert wird.
Genau wie sich jeder Mensch individuell entwickelt und eine ganz eigene Persönlichkeit
hervorbringt, bildet er damit einhergehend auch eigene Lern- und Handlungsstrukturen aus.
Kinder lassen sich demnach nicht in homogene Lerngruppen unterteilen, die gleiche
Lerntypen aufweisen. Dazu schreibt BEGEMANN: „Leben und Lernen als unauflösbarer
Zusammenhang erfolgt nicht nur individuell, sondern bewirkt die spezifische Ausprägung der
jeweils gegenwärtigen psychosomatischen Entwicklung, die wiederum Ausgangspunkt für
neue Handlungen ist. Es gilt also nicht eine allgemeine Entwicklung aller Schülerinnen zu
kennen, sondern die spezifische Persogenese einer Schülerin in ihrem Lebensraum.
Denkentwicklung ist damit identisch zu sehen mit der Lernentwicklung, oder man kann auch
sagen, mit der Biographie eines Menschen.“ (BEGEMANN 1996, 266).
BEGEMANN weist darauf hin, daß es die Hauptaufgabe einer LehrerIn zu sein hat, sich die
individuelle Entwicklung und dadurch bestimmte Lernentwicklung jedes Kindes zu
vergegenwärtigen, um daran anknüpfend Lernprozesse initiieren zu können. Die „LernerIn“
gibt es nicht, was zur Folge hat, daß Unterricht so vielseitig wie möglich gestaltet werden
muß, damit sich jedes Kind die Dinge aussuchen kann, die seiner Lernstruktur am besten
entsprechen.
Auch
BUNDSCHUH
bestätigt
diese
These:
„Wissenschaftliche
Erkenntnisse
(Konstruktivismus) und praktische Erfahrungen im Zusammenhang mit Lernvorgängen
zeigen, daß Lernen individuelles Lernen ist, d.h., das Kind als Subjekt mit seinen ihm eigenen
Möglichkeiten in motivationaler, kognitiver, motorischer und sozialer Hinsicht verarbeitet
und lernt ganz individuell.“ (BUNDSCHUH 1998, 177). Und in Bezug auf Schule fügt er
darauf folgend hinzu, daß die Leistung einer SchülerIn davon abhängig ist, wie sie die
Lernangebote in ihr eigenes kognitives System übertragen kann (vgl. ebd., 177). Ein
vielfältiges Lernangebot scheint daher elementar wichtig zu sein, um jedem Kind gerecht
werden zu können.
Dennoch lassen sich Wege beschreiben, wie Kinder sich den Dingen ihrer Umwelt nähern und
sich
selbstgesteuert
Lernprozessen
unterziehen.
„Unter
integrierendem
und
selbstorganisierendem Lernen verstehen wir eine gute und angstfreie Verarbeitung von
Lernangeboten, die als sinnvolles, bedeutsames prozeßhaftes Geschehen zur Erweiterung der
Handlungskompetenz
und
als
Bereicherung
der
Persönlichkeit
erfahren
werden.“
(BUNDSCHUH 1998, 173). „Lernangebote“ muß hier nicht nur auf Schule bezogen werden.
Meiner Einsicht schließt dies die „Lernangebote“ in der natürlichen Umgebung mit ein. Die
Ausprägung dieser Lernwege ist aber wiederum individuell verschieden
3.2 Wege des Lernens
Eine wichtige Voraussetzung für kindliche Lernaktivität ist ihre natürliche Neugier auf alles,
was ihnen fremd und besonders interessant erscheint. Sie wollen Teil haben an der Welt der
Erwachsenen und sind begierig darauf, die Dinge der Erwachsenenwelt zu benutzen und ihr
Verhalten nachzuahmen. HOLT beschreibt in „Wie Kinder lernen“ seine Beobachtungen über
die kleine Lisa, die unbedingt seine Schreibmaschine betätigen will. Dabei schlägt sie aber
stets mehrere Tasten gleichzeitig an, so daß diese sich verhaken. Er selbst muß die Tasten
dann wieder entwirren. Dieses Spiel wiederholt sich mehrfach, bis HOLT die Tasten einmal
verkeilt läßt und Lisa sie plötzlich selbst entwirrt (vgl. HOLT 1971, 12f).
Die wichtigen Merkmale in diesem Lernprozeß sind Lisas Neugier, das Ausprobieren der
Tastatur, das Beobachten des Erwachsenen, wie er das Problem beseitigt und der spielerische
Aspekt, der dem Ganzen zugrunde liegt.
Auch HEMPEL betont, wie wichtig es ist, daß Kinder neugierig sind. „Intrinsisch motivierte
Lernprozesse werden vor allem dann ausgelöst, wenn sich Kinder aus Neugier, aus Interesse auch wegen äußerer Ansprüche - mit den Dingen dieser Welt selbst handelnd
auseinandersetzen.“ (HEMPEL 1999, 3). Damit Kinder die Welt verstehen können, müssen
sie ihre Neugier uneingeschränkt befriedigen können, indem sie Dinge ausprobieren, selbst
Fehler machen und aus diesen lernen, ihr Handeln zu optimieren. Neugier und Interesse sind
der Motor für jeden Lernprozeß. Beides zu wecken ist folglich die Hauptaufgabe jeder
LehrerIn.
HOLT betont immer wieder, wie wichtig das Spielen für den Bildungsprozeß von Kindern ist,
und daß sie aus fast jeder Situation ein Spiel machen können. Sie meistern darin ihre
Beziehungen zu anderen Menschen, insbesondere zu Erwachsenen und lernen den Umgang
mit ihrer Umwelt, indem sie sie zu ihrer eigenen „Spielwelt“ transformieren. „Dies gilt auch
für jenen Prozeß des spielerischen Verstehenlernens der Welt, den wir gewöhnlich den
Bildungsprozeß nennen. Auch in einem engeren Sinn wirken Spiele ... bildend. Sie geben
dem Kind einen Einblick in den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung; es lernt zu
sehen, wie eine Sache zu einer anderen führt. Außerdem tragen sie dazu bei, dem Kind ein
Gefühl des eigenen Daseins zu geben und es fühlen zu lassen, daß es auf seine Umgebung
einwirken und sie verändern kann.“ (HOLT 1971, 18).
Den „Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung“, den HOLT hier erwähnt, beschreibt
DEWEY als das eigentliche Element des Lernprozesses, die Erfahrung. „Durch Erfahrung
lernen heißt das, was wir den Dingen tun, und das, was wir von ihnen erleiden, nach rückwärts
und vorwärts miteinander in Verbindung bringen. Bei dieser Sachlage aber wird das Erfahren
zu einem Versuchen, zu einem Experiment mit der Welt zum Zwecke ihrer Erkennung. Das
sonst passive Erleiden wird zum „Belehrtwerden“, d.h. zur Erkenntnis des Zusammenhangs
der Dinge.“ (DEWEY 1964, 187).
Erfahrung ist das Maß aller Dinge für DEWEY, wenn es darum geht, die Phänomene des
Lebens und der Umwelt lernend zu begreifen. Voraussetzung dafür ist aber die aktiv
handelnde Auseinandersetzung mit den Dingen, hier beschrieben als „Experiment mit der
Welt“. Dieses Ausprobieren, alles Anfassen und Experimentieren, bis der Gegenstand erobert
wurde, beschreibt auch HOLT immer wieder. Es ist die Grundlage des selbstgesteuerten
Lernens bei Kindern.
Auch GIEST bringt diese These auf den Punkt, wenn er behauptet, daß „Aktivität ein
wesentliches Merkmal allen Lebens“ ist. „Alles, was wir über die Welt wissen, unsere
Vorstellungen, Begriffe, die Urteile und Schlüsse, welche wir treffen und ziehen, aber auch
die Art und Weise, in der wir uns gegenüber der uns umgebenden Welt und uns selbst
verhalten, sind Ergebnisse unserer Aktivität, unseres internen Konstruierens und nur zu einem
verschwindend geringen Teil passiv (z.B. durch Reifung) entstanden.“ (GIEST 1999, 28). Er
beschreibt Tätigkeit hierbei als zielgerichtete Aktivität, die sich als „System von Handlungen“
darstellt (vgl. ebd., 28). In seiner Argumentation wird noch einmal deutlich, daß Lernen ein
aktiver, selbstgesteuerter und individueller Prozeß ist.
WÖLL unterscheidet Handeln in instrumentelles und kommunikatives Handeln. Als
instrumentell beschreibt er Handlungen, die auf „der Herstellung eindeutiger Ziel - Mittel Relationen“ (WÖLL 1999, 20) beruhen. Die Handlungen sind dann zielgeleitet und an ihrem
Ende
steht
ein
feststellbares
Ergebnis.
Diese
Handeln
hat
im
wesentlichen
Methodenkompetenz und damit Problemlösefähigkeiten und die Befähigung zu Selbst- und
Mitbestimmung zur Folge.
Kommunikatives Handeln dagegen bezeichnet „über Verständigungsprozesse geleitete
Aktivitäten“ (ebd., 22) deren Ziele nur über Kooperation erreicht werden können. Es hat große
Bedeutung bei der Festlegung von Wert- und Normvorstellungen (vgl. ebd., 19f).
Beide Handlungsarten spielen beim Lernen in den unterschiedlichsten Bereichen eine große
Rolle und sind meiner Meinung nach auch stets parallel vorhanden. Die oben beschriebenen
Versuche der kleinen Lisa, die Schreibmaschine zu bedienen, sind, auf dieses Muster
angewendet, instrumentelle Handlungen; ihr Bezug zu den Personen dabei aber
kommunikativ. Lernen ist also handelnd und kommunizierend, und genau so muß auch
Unterricht sein.
Ein weiters wichtiges Merkmal für das Lernen der Kinder ist ihre Umwelt. Die ersten
Erfahrungen, die Kinder durch tätige Auseinandersetzung mit den Dingen machen, geschehen
in ihrer unmittelbaren Umgebung, die sie sich schrittweise erweitern. Der Lebensraum, den
Kinder sich nach und nach erschließen, formt ihre subjektiven Deutungsmuster der Welt.
Hier liegen ihre persönlichen Erfahrungen, ihre Interessen und Probleme, die sie veranlassen,
sich immer wieder neuen Lernprozessen zu stellen. „Kurzum: die `Umgebung` besteht aus
denjenigen Umständen, die die charakteristischen Tätigkeiten eines Lebewesens fördern oder
hindern, anregen oder unterdrücken.“ (DEWEY 1964, 28).
DEWEY bezieht alle menschlichen Handlungen und folglich auch menschliche Erfahrungen
auf ihre Umgebung. Er sagt, daß in der wirklichen Umgebung eines Menschen, sobald diese
sich ändert, sich auch sein Verhalten ändert (vgl. ebd., 28). Einer Verhaltensänderung liegt
immer ein Lernprozeß zugrunde, was beweist, daß die Umgebung wesentlicher Bestandteil
des Lernens ist. „Darin steckt die eigentliche Chance, ein Profil herauszubilden in der
Auseinandersetzung mit der Umwelt. Aus diesen Erfahrungen gewinnen die Menschen dann
ihre Ich-Stärke und Persönlichkeit“ (zit. nach LENZEN in HEMPEL 1999, 5).
Die Umgebung formt also die Persönlichkeit eines Menschen, regt seine Lerntätigkeit an oder
hindert sie und stellt das Feld menschlicher Erfahrung dar. Für Schule und Unterricht ist es
daher elementar bedeutsam, den lebensweltlichen Erfahrungsraum der Kinder zu
berücksichtigen. Ihre individuelle Lebenswelt ist die Grundlage ihrer Lernstrukturen und birgt
jegliche Vorerfahrungen und Emotionen, die sie mit in die Schule bringen. Schulische
Lernprozesse müssen an diese Vorerfahrungen anknüpfen. „... Selbstaneignung durch das
lernende Subjekt kann erst dann erfolgversprechend realisiert werden, wenn die
lebensweltlichen Erfahrungszusammenhänge in ausreichendem Maße berücksichtigt werden.“
(HEMPEL 1999, 5).
3.3 Konsequenzen für Schule und Unterricht
Als Fazit der obigen Darstellung des Lernens der Kinder läßt sich für Schule und Unterricht
folgendes ableiten:
Unterricht muß die Individualität eines jeden Kindes anerkennen und Möglichkeiten zu einer
individuellen an die eigene Biographie anschließenden Entwicklung geben.
Es müssen Situationen und Handlungszusammenhänge geschaffen werden, die die Neugier
und das Interesse der Kinder wecken und die zur aktiven Auseinandersetzung mit für sie
bedeutsamen Problemen anregen. Das selbstgesteuerte Handeln der Kinder steht hierbei im
Vordergrund. Dabei sollte viel Freiraum für Formen spielerischen, neugierig entdeckendem
forschendem und emotionalen Umgangs mit aktuellen Fragestellungen gegeben werden.
Schule muß an die Vorerfahrungen der Kinder anknüpfen und ihre eigene Lebenswelt
berücksichtigen. Lernen in der Schule kann also als „lebenssituationsbezogenes,
problemzentriertes,
Eigenwelterweiterung
schülerorientiertes,
im
subjektiven
handelndes,
ganzheitliches
Erfahrungsbereichen
Lernen
angedeutet
als
werden.“
(BEGEMANN 1996, 260).
Um aber autonom und selbstgesteuert lernen zu können, muß den Kindern ein vielfältiges
Lernangebot bereitgestellt werden. „Selbststeuerung, Autonomie des Lernens ist notwendig an
eine vielfältige Ausstattung des Lernfeldes gebunden.“ (SEHRBROCK 1997, 55). So hat
jedes Kind die Möglichkeit, sich nach seinen Interessen und Fähigkeiten Wissen anzueignen.
Um das Lernen der Kinder den heutigen Bedingungen der medialen Informationsüberflutung
anzupassen und zukunftsorientiert zu lehren, ist für Schule und Unterricht die Diskussion des
„Lernens durch Lernen des Lernens“ (KAISER 1999, 59ff) entstanden. „Erziehung und
Unterricht haben in der Gegenwart und Zukunft vor allem die Aufgabe, den Schüler zu
befähigen, sich persönlich in der unendlichen Fülle an Informationen und Möglichkeiten
zurechtzufinden. Lernen in der Gegenwart für die Zukunft bedeutet aus dieser Fülle der
Informationen jeweils das Lebenswichtige herauszufinden und es sich individuell anzueignen.
Lehren ... ist dabei vor allem Einführung, Hinführung und gegebenenfalls Anleitung zum
Lernen.“ (BUNDSCHUH 1998, 179).
Methoden und Strategien zu entwickeln, die zu selbstgesteuertem Lernen befähigen und die
das Lernen damit zukunftsorientiert, dynamisch und effektiver machen, sind heute wichtige
Voraussetzungen für offene und handelnde Lernstrukturen. KAISER führt am Beispiel von
Sachunterricht Merkmale eines das Lernen des Lernens fördernden Unterrichts auf. Der würde
demnach:
- auf Kommunikation und Reflexion ausgerichtet sein
- den Erwerb von Methoden der Umweltaneignung fördern
- eigenaktives Lernen fördern
- Metakognition und Selbstreflexion fördern
- unterstützen im Erwerb verschiedener Arbeitstechniken
- Informationen systematisch zu verarbeiten helfen
- komplexe, kognitive Kompetenzen fördern
- Lernumgebungen schaffen, die Denken und Lernen fördern
- informelles, unvollständig bewußtes nichtsprachliches Lernen und Lernen von Kindern
untereinander integrieren (vgl. KAISER 1999, 72).
Idealformen von Unterricht würden alle diese Forderungen integrieren, die hier
zusammenfassend dargestellt sind, damit das Lernen von Kindern bestmöglich berücksichtigt
und die Fähigkeit immer weiter zu lernen, d.h. zukunftsorientiert zu lernen, gefördert wird.
Das Konzept der Regional Ökologischen Sachunterrichtssammlung, welches in Kapitel 5
vorgestellt wird, scheint diesen Forderungen angemessen entgegenzukommen.
3.4 Zusammenfassung
Es ist nicht möglich, Menschen in homogene Gruppen von Lerntypen einzuteilen. Jeder
Mensch bildet, basierend auf seiner persönlichen Entwicklung, individuelle Lernstrukturen
aus.
Dennoch lassen sich verallgemeinerbare Wege beschreiben, wie Kinder sich Wissen aneignen:
Lernen ist ein selbstgesteuerter, durch Neugier intrinsisch motivierter Prozeß. Das Kind eignet
sich durch aktives Handeln Wissen über seine Umwelt und deren Wirkungszusammenhänge
an. Durch die gemachten Erfahrungen entwickelt es sein Wissen und seine Persönlichkeit.
Lernen ist ein kommunikativer Prozeß, der sich in lebensweltlichen Zusammenhängen
abspielt.
Diese Annahmen von Lernen bringen für Schule und Unterricht weitreichende Konsequenzen
mit. Beides muß sich dahingehend orientieren, den Kindern ihre individuellen Lernwege zu
ermöglichen, Lebensweltbezug herzustellen und Selbstätigkeit durch handelndes Lernen zu
fördern.
Zudem ist es heute außerordentlich wichtig, daß Schule auch das Lernen von Lernen fördert,
um zukunftsorientiert zu denken.
Wenn Lernen ein individueller Prozeß und eine, den Persönlichkeitsstrukturen jedes einzelnen
Menschen innewohnende Eigenschaft ist, warum werden manche Menschen dann als
lernbehindert bezeichnet? Diese Frage um die Aussagekraft und die Legitimation des Begriffs
Lernbehinderung bildet die Grundlage des folgenden Kapitels.
4 `LERNBEHINDERUNGEN`- ODER `BESONDERE BEDÜRFNISSE`?
Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker stellte folgendes fest:
„In Wirklichkeit ist eine Behinderung die Art von Verschiedenheit, die benachteiligt wird.“
Die Gesellschaft nimmt sich das Recht zu beurteilen, was diese Verschiedenheit ausmacht,
indem sie Lebensweisen, Verhaltensweisen und „So-Seins-Weisen“ festlegt, die als „normal“
gelten. Dies ist problematisch, da solche Normierungen interkulturell, und zum Teil auch
innerkulturell sehr verschieden sind. Im Grunde existiert keine feste Definition des
„Normalen“, an der eine Andersartigkeit gemessen werden könnte.
Insbesondere im Bereich der Lern(behinderten)pädagogik ist dies ein breit diskutiertes
Problem. In Kapitel 3 wurde gezeigt, daß die Fähigkeit zu Lernen als individueller Prozeß der
Weltaneignung, der an keinem Maßstab festzumachen ist, verstanden werden muß. Wenn es
in dem Sinne keine „NormallernerIn“ gibt, wieso werden dann mache SchülerInnen als
lernbehindert bezeichnet? Auch im Bereich des Lernens werden gesellschaftliche Maßstäbe
gesetzt, die es LehrerInnen, ProfessorInnen, ÄrztInnen, StudentInnen usw. ermöglichen,
Kinder auszugrenzen, die diesen Normen angeblich nicht entsprechen. Die Kinder werden in
der Folge als lernbehindert eingestuft.
Da der Behinderungsbegriff eine „Rollenzuschreibung auf diejenige Person, an welcher der
Defekt abgelesen (oder vermutet) wird“ (zit. nach KOBI in BUNDSCHUH 1998, 167)
bewirkt, impliziert der Begriff Lernbehinderung, daß es tatsächlich Menschen gibt, die einen
Defekt in ihrem Lernverhalten aufweisen. Dies widerspricht der obigen Feststellung über die
Individualität des Lernens.
In der sonderpädagogischen Literatur wird viel über die Legitimation des Begriffs der
Lernbehinderung gestritten. Diese Diskussion und die Darstellung von Ursachen und
Erscheinungsformen soll in diesem Kapitel aufgegriffen und überdacht werden.
4.1 Der Begriff der Lernbehinderung
Laut derzeitiger Definition „gelten solche Kinder als lernbehindert, die `schwerwiegende,
umfängliche und langandauernde Lern- und Leistungsausfälle aufweisen, sowie einen
zusätzlichen Rückstand in kognitiven Funktionen oder der sprachlichen Entwicklung oder im
Sozialverhalten haben (Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 1995)`
“(LAUTH 2000, 21). Auch nach BACH stützt sich die Charakterisierung Lernbehinderter auf
drei ähnliche zentrale Begriffe: „umfänglich, schwerwiegend und irreversibel“ (zit. nach
BACH in EBERWEIN 1996, 44). Umfänglich meint, daß mehrere Lernbereiche betroffen
sind, schwerwiegend bezeichnet den Grad der Intelligenzbeeinträchtigung und irreversibel soll
meinen, daß die Störung nicht behebbar ist (vgl. EBERWEIN 1996, 44). Eine solche
Definition von Merkmalen erweist sich als problematisch, „denn es existiert weder ein
diagnostisches Instrument, das die genannten Faktoren zuverlässig mißt, noch erleichtern sie
dem überprüfenden Lehrer die Beurteilung eines Schülers“ (ebd., 44). Zudem sind keine
festen Maßstäbe definiert, an denen sie gemessen werden können. Es ist beispielsweise nicht
festgelegt, wieviele Lernbereiche betroffen sein müssen, um von einer umfänglichen
Lernbeeinträchtigung sprechen zu können und auch die Zeitkategorie erweist sich aufgrund
zweifelhafter Meßverfahren und unbekannter Fördermaßnahmen als spekulativ (vgl. ebd. mit
TOPSCH, 44).
In der Literatur wird bezüglich der drei oben genannten Dimensionen die Unterscheidung
zwischen einer Lernbehinderung und einer Lernstörung unternommen. Eine Lernstörung sei
„weniger schwerwiegend“, „partiell“ und „vorübergehend“ (SCHRÖDER nach KANTER
1996, 42). SCHRÖDER betont in seiner Darstellung, daß der Behinderungsbegriff aufgrund
der prozeßhaften Entwicklung von der Lernstörung zur Lernbehinderung weniger statisch und
als Prozeß betrachtet werden kann.
LAUTH bezeichnet die Lernbehinderung als eine besonders schwere Form der Lernstörung,
die den Kindern dann attestiert wird, wenn sie trotz des von den LehrerInnen als ausreichend
erachteten Lernangebots nicht die notwendigen Lernergebnisse erreichen (vgl. LAUTH 2000,
21). Es zeigt sich, daß die unterschiedlichen Begriffe wenig aussagekräftig bleiben, da sie sich
unter Umständen auf subjektive Beurteilungskriterien zurückführen lassen. Auch EBERWEIN
stellt fest, daß diese begrifflichen Unterscheidungen sehr fragwürdig sind, da es keine
diagnostischen Mittel gibt, die „eindeutig und objektiv“ zwischen Behinderung und Störung
unterscheiden können. Zudem ist diese Abgrenzung schulpädagogisch irrelevant, da sie weder
didaktische, noch therapeutische oder organisatorische Handlungsalternativen bieten (vgl.
EBERWEIN 1996, 44). Als Konsequenz daraus, werden in dieser Arbeit unterschiedliche
Begriffe wie Lernbeeinträchtigung, Lernbehinderung und Lernschwäche in synonymer
Bedeutung benutzt.
Es stellt sich folglich die Frage, unter welchen Gesichtspunkten die Personen beschrieben
werden können, die unter dem Begriff Lernbehinderte subsumiert werden. Was genau
kennzeichnet dieses „lernbehindert sein“?
SCHRÖDER weist darauf hin, daß der Begriff „Lernbehinderung“ den SchülerInnen keine
allgemeine Lernfähigkeit absprechen will und definiert: „Vielmehr meint `Lernbehinderung`
einen Rückstand schulischen Lernens in einem Ausmaß, das von der allgemeinen Schule nicht
mehr toleriert und auf einen erträglichen Grad reduziert werden kann.“ (SCHRÖDER 1996,
36). Diese sehr bedenkliche Definition besagt doch aber, daß den SchülerInnen zumindest ihre
individuelle Lernfähigkeit abgesprochen wird, indem von der allgemeinen Schule ein Maßstab
festgelegt wird. Für diese Norm wird die SchülerIn defektös statt individuell gesehen und als
nicht mehr haltbar dargestellt. SCHRÖDER stellt zwar fest, daß man per definitionem nicht
genau festlegen könne, wer lernbehindert sei und wer nicht, erachtet aber eine an der Person
orientierte Zuschreibung dennoch für legitim (vgl. ebd., 45).
BLEIDICK findet in schulorganisatorischer Hinsicht die Beschreibung „lernbehindert ist, wer
eine Schule für Lernhilfe besucht“ (BLEIDICK 1995, 106) als zutreffend. Dies bleibt als
Antwort auf die Frage, was „Lernbehinderung“ ausmacht, wenig aussagekräftig. Allerdings
ließe sich seine Beschreibung als sarkastischen Hinweis darauf deuten, daß erst die Schule für
Lernhilfe Lernbehinderung verursacht.
Es fällt folglich schwer eine explizite Aussage darüber zu finden, wie sich der Begriff
Lernbehinderung inhaltlich charakterisieren läßt. Eine plausible Antwort gibt die
Schlußfolgerung EBERWEINS, daß „Lernbehinderung keine Persönlichkeitseigenschaft ist,
sondern ein relationales Problem, das nur in bezug zu den Anforderungen der Schule, den
Leistungserwartungen und dem Beurteilungsverhalten der Lehrer, ihren Lernarrangements und
Toleranzgrenzen richtig interpretiert werden kann. Allein dieser Sachverhalt verbietet es, von
dem Lernbehinderten zu sprechen.“ (EBERWEIN 1996, 51).
Das Existieren persönlicher Lernwege, Schwierigkeiten im Finden von Lösungswegen und
Probleme im Umfeld von Schule sind nicht zu negieren. Wann sie aber zu einer
Lernbehinderung werden, wird durch die beurteilenden Personen und Institutionen bestimmt.
„So
vermag
z.B.
die
Schule
über
die
äußere
Bewertung
unterschiedlicher
Problemlösestrategien in Verbindung mit der alltäglichen Zuschreibung und Etikettierung so
etwas wie Behinderung zu produzieren.“ (SEHRBROCK 1997, 68). Von daher fällt es
schwer, den Begriff
Lernbehinderung definitorisch einem Personenkreis oder einer
bestimmten Lernfähigkeit zuzuordnen und er wird so zu einem organisatorischen und
„rechtlich-verwaltungsbezogenen“ Begriff (vgl. LAUTH 2000, 21).
Schließlich läßt sich feststellen, daß „es keine Lernbehinderung an sich gibt, sie ist keine
absolute, sondern eine relative, schulorganisatorische, interaktionistische Bestimmungsgröße.“
(EBERWEIN 1996, 36).
Aus Mangel an alternativen Begrifflichkeiten, werde ich die Begriffe Lernbehinderung,
Lernbeeinträchtigung und Lernschwäche zur Kennzeichnung der zu beschreibenden
SchülerInnen in dieser Arbeit weiter benutzen, sie aber durch Anführungszeichen oder den
Zusatz „sogenannte“ einschränken.
4.2 Merkmale „abweichenden Lernverhaltens“
Dem Lernverhalten der als „lernbehindert“ titulierten Kinder werden häufig bestimmte
kennzeichnende Merkmale zugeordnet. Diese Merkmale würden meist gehäuft auftreten, so
daß die sogenannten Lernbehinderungen sich selten nur in einem Lernbereich äußerten.
„Lernbehinderte lernen wesentlich langsamer; sie lernen weniger, haben weniger Kapazität an
Merkfähigkeit und Gedächtnis einzusetzen, d.h. sie vergessen schneller; anschaulich konkrete,
motorische und bedürfnisorientierte Sachverhalte sind eher zugänglich als abstraktes
Begriffslernen; ... der Transfer auf neue und nicht eingefahrene kognitive Inhalte bereitet
Schwierigkeiten.“ (BLEIDICK 1995, 113). Dies seien laut BLEIDICK die „Leitmerkmale“, zu
denen sich weitere „Begleitmerkmale“, wie z.B. „reduzierte Sprachleistungen, weniger
gegliederte Wahrnehmungs- und Vorstellungsfähigkeit, Konzentrationsablenkung, Instabilität
und geringe Differenzierung des Gefühls- und Willenslebens“ (ebd., 113) u.v.m. gesellen
würden.
Auch bei KANTER (1973) und bei SCHRÖDER (1996) finden sich Aufzählungen, die
ähnliche Merkmale des Lernverhaltens „Lernbehinderter“ beschreiben sollen. Diese gleichen
einem Katalog negativer Zuschreibungen, die auf einen im Kind befindlichen Defekt
zurückgeführt werden. Sie sind, so scheint es, bei jedem „lernbehinderten“ Kind in
irgendeiner Form feststellbar. Wenn eine LehrerIn mit diesen vorgefertigten, negativen
Erwartungen der SchülerIn entgegentritt, wird sie entsprechend „negatives“ Lernverhalten
feststellen können.
Da Lernen, wie in Kapitel 3 festgestellt, nicht einer allgemeinen Lernfähigkeit unterliegt, ist es
problematisch Merkmale negativen Lernverhaltens beschreiben zu wollen. BEGEMANN
stellt diesbezüglich fest, daß es „kein spezifisches Lernverhalten `Lernbehinderter`“ gibt
(BEGEMANN 1996, 269). Statt dessen betont er, daß sich jede SchülerIn in einer individuell
unterschiedlichen Lebens- und Lernsituation mit vielfältigen fördernden oder hemmenden
Bedingungen befindet. Aufgrund dessen ergeben sich für jede Situation und für jede Aufgabe
spezifische Vorgehensweisen, Lernwege und auch Schwierigkeiten. „Da sich das Lernen, die
Aktivitäten und Lebensformen, die Auseinandersetzung und die Teilnahme an Umwelt und
Mitwelt in der Persogenese manifestieren, sind die sogenannten Lernbehinderten als
individuell spezifisch `Geprägte` bzw. Lern- und Handlungsfähige zu sehen.“ (ebd., 269). Die
Zuschreibung der obengenannten Merkmale wird demnach hinfällig, was zur Folge hat, daß
„eine präzise und sichere Diagnose und Prognose der Lernbehinderten ... kaum möglich
ist.“ (ebd., 1973, 137).
4.3 Hemmende (behindernde) Bedingungen
Um einer defizitorientierten Zuschreibung am Kind entgegenzuwirken, ist es im folgenden
notwendig, sich der äußeren Lebensbedingungen sogenannter Lernbehinderter bewußt zu
werden. Es liegt nahe zu vermuten, daß diese eher hemmende Wirkung haben.
BUNDSCHUH sieht die Ursachen von „Lernbehinderung“ zum einen im Zusammenhang mit
ungünstigen Milieueinflüssen, „die sich im physisch-gesundheitlichen Bereich wie Ernährung,
mangelnder Vorsorgeuntersuchung, in sozialen Prozessen (Erziehungspraktiken, ungünstige
Vorbilder), beim Spracherwerb und bei der Entwicklung der Wahrnehmung in negativer
Weise auswirken“. (BUNDSCHUH 1998, 166). Er weist darauf hin, daß die Behinderung
nicht im Kind, sondern in beeinträchtigten Erziehungsverhältnissen liegt. Bereits eine
schlechte emotionale Beziehung zwischen Eltern und Kind reicht als Ursache aus. Als
weiteren Faktor, der das Entstehen sogenannter Lernbehinderungen fördert, führt er das
Schulsystem an (vgl. ebd., 168).
BLEIDICK kommt dem nach und unterscheidet fünf Bereiche, die hinsichtlich der (Lern-)
Entwicklung hemmend wirken können:
1. Die primäre soziale Umwelt: sie meint das Elternhaus, wo Fehlerziehung, ob durch
Überbehütung, Vernachlässigung, zu harte oder zu seichte Erziehungspraktiken, fehlendes
Vertrauen usw., schon zu „Lernbeeinträchtigungen“ führen kann.
2. Die soziokulturelle Umwelt: sie beschreibt das „geistige Klima“ des Elternhauses. Das
Lern- und Leistungsverhalten der Kinder ist immer vom intellektuellen Anregungspotential,
der Leistungsmotivation, der Leistungsmotivation durch die Eltern und deren Sprachgebrauch,
Spielangebot usw. abhängig. Er weist darauf hin, daß
es in dieser Hinsicht große
Unterschiede gibt, wobei Kinder der Unterschicht eindeutig benachteiligt werden.
3. Die sozioökonomischen Bedingungen gelten hierfür oft als Voraussetzung. Der größte Teil
der „Lernbehinderten“ SchülerInnen stammt aus Unterschichten, deren Merkmale unter
anderem niedriges Einkommen, niedriger Berufsstatus der Väter, kleine Wohnungen, große
Anzahl von Geschwistern usw. sind. Auch SCHRÖDER (1996) und BEGEMANN (1984), die
in diesem Zusammenhang von sozio-kultureller Benachteiligung sprechen, nennen diese als
ausschlaggebende Faktoren.
BLEIDICK weist aber darauf hin, daß viele Kinder aus unteren Schichten auch in der
Hauptschule verbleiben und es demzufolge zusätzliche Belastungsmomente geben muß, die
hindernde Auswirkung haben.
4. Soziale Zuschreibungsprozesse: dieser Bereich meint Etikettierungen, die durch Attribute
wie dumm faul, unaufmerksam usw. „Lernbehinderungen“ verursachen können. Die
sogenannte Lernbehinderung entsteht, wenn Kindern solche Eigenschaften zugesprochen
werden, da sie der damit verbundenen Erwartungshaltung oft gerecht werden. Am Ende dieses
stigmatisierenden 2 Prozesses steht häufig die Sonderschule.
5.
Gesellschaftliche
Rahmenbedingungen:
Die
Normen
der
Gesundheits-
und
Leistungsgesellschaft sind für Kinder, die als „lernbehindert“ gelten, besonders schwer zu
ertragen. Sie haben ein geringes Sozialprestige und erfahren oft Ablehnung, weil sie allgemein
als wenig leistungsfähig angesehen werden (vgl. BLEIDICK 1995, 108 ff).
Es läßt sich annehmen, daß bei sogenannten lernbehinderten Kindern, mehrere dieser
Faktoren aufeinandertreffen. Als Konsequenz ergibt sich, daß es ihnen aufgrund der
hemmenden äußeren Bedingungen sehr schwer gemacht wird, ein positives Selbstbild zu
entwickeln. Die negative Selbsteinschätzung wiederum kann stark hemmende Wirkung auf
2
„Zuschreibung negativer Eigenschaften aufgrund eines Merkmals“ (THIMM 1994, 58)
das aktive Lernverhalten der Kinder haben. Die Schule muß Mittel und Wege finden, wie sie
die Kinder wieder zu einer positiven Bewußtseinshaltung gegenüber sich selbst motivieren
kann.
Wie auf Seite 25 bereits kurz erwähnt, spielt die Schule in der Betrachtung hemmender
Bedingungen
selbst
eine
wesentliche
Rolle.
Das
Schulsystem
setzt
eine
DurchschnittsschülerIn voraus, statt die individuellen Lernvoraussetzungen der Kinder zu
beachten. Somit wird zugleich eine menschliche Normalentwicklung unterstellt (vgl.
BEGEMANN 1973, 138). Für diese DurchschnittsschülerIn wird Frontalunterricht als
passende Unterrichtsmethode praktiziert. „Aber gerade herkömmlicher Unterricht, der noch
immer an vielen Grund- und Hauptschulen in Frontalform praktiziert wird, wirkt sich auf das
Lernen der Kinder behindernd aus.“ (BUNDSCHUH 1998, 172). Viele Kinder werden
permanent überfordert und finden keinen Zugang zu den Unterrichtsinhalten. Infolgedessen
empfinden sie sich selbst als „schlecht“, was Schulangst, Unmotiviertheit und letztendlich das
Scheitern am Schulsystem mit sich bringt. „Lernbehinderung ist gebrochener Stolz.
Lernbehinderung hat mit mangelnder Intelligenz nichts zu tun. Lernbehinderung ist die
Erfahrung von Isolation und Einsamkeit, aus der sich kein Kind selbst befreien kann.“
(MANSKE 1996, 161).
Da sich der Intelligenzquotient als Maßstab und Ursache von „Lernbehinderungen“ laut
BEGEMANN (1973), EBERWEIN (1973), MANSKE (1996) u.a. als hinfällig erwiesen hat,
werde ich nicht weiter auf diesen Aspekt eingehen.
4.4 Konsequenzen für einen fördernden Unterricht
Schule muß es sich zur Aufgabe machen, sogenannten Lernbehinderungen entgegenzuwirken,
bzw. sie erst gar nicht zu produzieren. LehrerInnen stehen in der Pflicht, einen Unterricht zu
gestalten, der ein ausreichend großes und differenziertes Lernangebot bereitstellt, und somit
Lernwege und individuelle Zugangsweisen für alle SchülerInnen eröffnet.
Auf der UNESCO-Weltkonferenz 1994 in Salamanca mit dem Thema „Pädagogik für
besondere Bedürfnisse“ wurde eine Erklärung zur schulischen Integration von Kindern und
Jugendlichen mit Behinderungen verfaßt. Dort heißt es unter anderem:
„Wir glauben und erklären,
 daß jedes Kind einmalige Eigenschaften, Interessen, Fähigkeiten und Lernbedürfnisse hat
 daß jene mit besonderen Bedürfnissen Zugang zu regulären Schulen haben müssen, die sie
mit einer kindzentrierten Pädagogik, die ihren Bedürfnissen gerecht werden kann,
aufnehmen sollen“ (SALAMANCA-Erklärung 1994).
Wenn die Schule ein Ort wird, der diesen Forderungen nachkommt, indem jedem Kind
individuelle Lernwege zugestanden werden und der Mensch im Mittelpunkt jeglicher
Überlegungen steht, muß es nicht mehr zu einer Negativbeurteilung im Sinne einer
„Lernbehinderung“ kommen. „Die Repräsentanten der Lernbehindertenpädagogik sollten
deshalb Kinder, die normierten Lebenserwartungen nicht entsprechen, nicht länger in
unpädagogischer und inhumaner Weise als `Behinderte` etikettieren und diffamieren, sondern
die Zivilcourage und das Verantwortungsbewußtsein zum Umdenken aufbringen und
eingestehen, daß das lernbehindertenpädagogische System vom Ansatz her falsch ist. Es stellt
eine vergangene Epoche wissenschaftlichen Denkens und schulpraktischen Handelns dar.“
(EBERWEIN 1996, 13). Die Anerkennung der besonderen (Lern-)bedürfnisse wird dann
gemäß der SALAMANCA-Erklärung zum zentralen Faktor einer Pädagogik für alle.
Es ist die Aufgabe jeder LehrerIn, sich der Lebensbedingungen, des Entwicklungsstandes und
des Erfahrungsschatzes jeder SchülerIn bewußt zu werden und demzufolge einen Unterricht
zu gestalten, der individuelle Handlungsalternativen bietet. BUNDSCHUH beschreibt sieben
Schwerpunkte, die Lernen auch unter behindernden Bedingungen und unter der
Berücksichtigung von Kindorientierung und Selbstorganisation ermöglichen:
 weitgehend individuelle Gestaltung des Förderangebots dem Entwicklungsstand und dem
Lerntempo einzelner Kinder entsprechend, Über- und Unterforderung vermeiden,
 Fördersituationen suchen, die dem täglichen Leben entspringen,
 Gestaltung von Förderprozessen, die kindlichen Grundbedürfnissen wie Emotionalität,
Beziehung, Bewegung und Wahrnehmung entsprechen,
 Förderangebote, die Neugierde wecken und der Neugierde entsprechen, wobei
erstrebenswerte Handlungsziele und interessante Angebote den Erfolg fördern,
 Spielraum für Eigenaktivität und zur Entfaltung von Kreativität und Phantasie,
 Förder- und Lernangebote in ganzheitliche, spielerische Prozesse integrieren,
 Flexibilität der PädagogIn; die Fähigkeit, momentane Bedürfnisse der Kinder zu erkennen
und in den Förderprozess einzubeziehen (vgl. BUNDSCHUH 1998, 178).
Der Begriff „Fördern“ kann hier auch immer durch „Lernen“ ersetzt werden. Die konsequente
Beachtung dieser Punkte bei der Gestaltung von Unterrichtsprozessen, bedeutet die
Umsetzung der SALAMANCA-Erklärung hin zu einer „Pädagogik für besondere
Bedürfnisse“.
4.5 Zusammenfassung
Der Versuch, den Begriff „Lernbehinderung“ inhaltlich zu bestimmen, erweist sich als
problematisch, da es keine diagnostisch feststellbaren Beschreibungsmerkmale gibt. Diese
Tatsache verbietet es, dem Menschen eine sogenannte Lernbehinderung in Form eines Defekts
zuzuschreiben. Dies hat zur Folge, daß nicht von „der Lernbehinderten“ gesprochen werden
kann. Das, was „Lernbehinderung“ meint, stellt sich als ein relationales Problem dar, welches
nur bezüglich der Anforderungen von Schule, Leistungserwartungen, Lernangeboten und
damit verbundenen Beurteilungen von LehrerInnen usw. interpretiert werden kann. Der
Begriff „Lernbehinderung“ wird zur schulorganisatorischen Größe.
In der Annahme, daß jeder Mensch individuelle Lernstrukturen ausbildet, erweist es sich als
problematisch, den als „lernbehindert“ bezeichneten Menschen Merkmale spezifischen
Lernverhaltens zuordnen zu wollen. Dies würde das Existieren einer „NormalschülerIn“
voraussetzen. Infolgedessen ist es bedeutsam, den Menschen als individuell spezifisch geprägt
in seinem Lern- und Handlungsverhalten zu betrachten. Dabei spielt die Beachtung der
äußeren Bedingungen, denen die SchülerInnen ausgesetzt sind, eine zentrale Rolle. In der
häuslichen Umgebung sowie in Schule lassen sich häufig Probleme ausmachen, die
hemmende Wirkung auf das Lernverhalten der Kinder haben.
Die Schule steht in der Pflicht anzuerkennen, daß die Kinder besondere Bedürfnisse bezüglich
des Lernens und des Unterrichts haben, und diese zu befriedigen. Eine Pädagogik der
besonderen Bedürfnisse wird so zu einer Pädagogik für alle Kinder, ohne die stigmatisierende
Zuschreibung einer „Lernbehinderung“.
Individuell
ausgerichteter,
handlungsorientierter,
lebensnaher,
bedürfnisorientierter Unterricht kann diesen Forderungen nachkommen.
eigenaktiver
und
Im folgenden Kapitel wird die Regional Ökologische Sachunterrichtssammlung als ein
Konzept handlungsorientierten Sachunterrichts vorgestellt.
5 GRUNDLEGENDE ANNAHMEN
Es folgen hier grundlegende Annahmen bezüglich Menschenbild, Entwicklung, Lernen und
sogenannte Lernbehinderung sowie Schule, die sich aus den bisherigen Kapiteln ergeben.
Diese Offenlegung der didaktischen Vorannahmen erscheint notwendig, um auch im
Folgenden wissenschaftlich diskursfähige Aussagen treffen zu können. Der besseren
Übersicht halber werden diese Grundannahmen stichpunktartig aufgeführt:
5.1 Menschenbild/ Entwicklung
 Der Mensch ist ein autonomes Wesen. Seine Entwicklung verläuft selbstgesteuert in der
aktiven Auseinandersetzung mit seiner Umwelt. Dies ist ein wechselseitiger Prozeß.
 Jeder Mensch entwickelt sich individuell und bringt dabei eine individuelle Persönlichkeit
hervor, die es jederzeit zu respektieren gilt (vgl. Artikel 1 GG: „Die Würde des Menschen
ist unantastbar.“).
 Jeder Mensch hat eine subjektive Weltsicht und einen eigenen Erfahrungsschatz.
 Jeder Mensch hat individuelle Bedürfnisse, deren Befriedigung sein Leben für ihn
lebenswert machen. Diese gilt es zu achten und nicht zu unterbinden.
 Ein Kind in der Grundschule befindet sich im Entwicklungsstadium des „operatorischen
Denkens“ (nach PIAGET, vgl. Kapitel 2). Gebunden an konkrete, sinnlich erfahrbare
Sachverhalte, kann es Probleme logisch bedenken und erklären.
5.2 Lernen und sogenannte Lernbehinderung
 Lernen ist ein individueller Prozeß, der durch die subjektive Wahrnehmung der Umgebung
gesteuert wird und für den es keine allgemein gültigen Regeln gibt.
 Da es keinen allgemeinen „Lern-Maßstab“ gibt, ist es problematisch, einen Menschen als
„lernbehindert“ zu bezeichnen.
 Jedes Kind ist ein eigenständiger Lerner und sucht sich die Lerninhalte gemäß seiner
Lernstruktur in Anbindung an seine Vorerfahrungen und seine Bedürfnisse.
 Neugier und Interesse, d.h. intrinsische Motivation, sind Voraussetzungen für jeden
Lernprozeß.
 Lernen geschieht über die handelnde Auseinandersetzung mit Problemen und
Sachverhalten.
 Die Umgebung beeinflußt die Handlungen und somit das Lernen in fördernder oder
hemmender Hinsicht.
 Sogenannte lernbehinderte Kinder sind häufig eher hemmenden Umweltbedingungen
ausgesetzt, die sie im Aufbau von Persönlichkeits- und Lernstrukturen beeinflussen. Diese
lassen sich nicht an äußeren Merkmalen festmachen.
 Lernen ist kommunikativ und geschieht in lebensweltlichen Erfahrungszusammenhängen.
 Lernen ist nicht eindimensional, sondern geschieht über verschiedene Kanäle und
Zugangsweisen, die es im Unterricht zu berücksichtigen gilt.
5.3 Schule
 Die Schule muß die Individualität jedes Kindes anerkennen und das Subjekt in den
Mittelpunkt jeglicher Überlegungen stellen.
 Die Schule verursacht Lernprobleme und hat die Aufgabe, sich so zu verändern, daß sie
jedem Kind mit seinen individuellen Lernbedürfnissen gerecht wird.
 Die Schule hat nicht das Recht zur Selektion, sondern muß mit kindzentrierter Pädagogik
Lernwege für alle eröffnen.
 Die Schule muß ein ausreichend großes Lernangebot bereitstellen, das die Neugier und das
Interesse der Kinder weckt und ihnen eine selbstgesteuerte, handlungsbezogene
Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt ermöglicht. Das Handeln der Kinder und der
damit verbundene Zugewinn an Erfahrung ist elementar.
 Die Schule muß die Lebenswelt der Kinder mit einbeziehen.
 Die Schule muß Methodenkompetenz und selbstreflexive Kompetenzen fördern.
 Die Schule muß kindlichen Grundbedürfnissen nach Emotionalität, Beziehung,
Wahrnehmung und Bewegung entsprechen.
 Die Schule muß genügend Freiraum zur Selbstentfaltung bieten.
 LehrerInnen müssen jedes Kind in seinem derzeitigen Entwicklungsstand, seiner
emotionalen Lage und seiner Lebenswirklichkeit erkennen und berücksichtigen.
Diese Feststellungen und Forderungen erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
Zudem erscheint es sehr schwierig, immer alle genannten Aspekte bei unterrichtsdidaktischen
und methodischen Überlegungen zu beherzigen. Sie stellen eine Zusammenfassung der
bisherigen Ausführungen und die Offenlegung der didaktischen Vorannahmen für die
weiteren
Kapitel
dar.
Dennoch
sollten
sie
verantwortungsbewußter PädagogInnen vorhanden sein.
m.E.
jederzeit
im
Hinterkopf
6 DAS KONZEPT DER REGIONAL ÖKOLOGISCHEN
SACHUNTERRICHTSSAMMLUNG (RÖSA)
„Tell me and I will forget,
show me and maybe I will remember,
involve me - and I will learn.“
(Indianische Weisheit)
Die RÖSA ist ein Konzept für handelnden Sachunterricht. Hier werden die in Kapitel 5
formulierten
Hypothesen
über
Lernen
und
Unterricht
bestmöglich
in
einem
Unterrichtskonzept zu verwirklichen versucht. Die Initiatorin dieses Konzepts zukünftigen
Sachunterrichts, und meines Erachtens auch zukünftigen Unterrichts, Frau Prof. Dr. ASTRID
KAISER, legt folgende Forderungen zugrunde:
„Sachunterricht der Zukunft soll auch durch konkret veränderndes Handeln auf die sich
verändernde Gesellschaft vorbereiten, die Vielfalt der Kinder berücksichtigen und vielfältige,
nicht nur kognitive Handlungszugänge ermöglichen. Er soll aktives, entdeckendes Fragen der
Kinder fördern. Nur in dieser Kombination von konkret sinnlich faßbaren Objekten,
handelndem Umgang und vielfältigen Zugangsweisen ist Sachunterricht gleichzeitig auch
geeignet für den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder.“ (KAISER
1996, 172).
Im Bezug auf Unterricht sind diese Annahmen mit meinen eigenen aus Kapitel 5 vergleichbar.
Zudem verweist KAISER darauf, daß ein Unterricht, der an konkrete Materialien gebunden
ist, handelnden Umgang ermöglicht und durch vielfältige Zugangsweisen den (Lern)Bedürfnissen aller Kinder gerecht werden kann.
Im folgenden werde ich das Konzept der RÖSA darstellen und aufzeigen, wie es solche
Forderungen zu realisieren versucht.
6.1 Grundgedanken und Realisierung des Konzepts
Der Grundgedanke, der dem Konzept RÖSA zugrunde liegt, ist es, eine gegenwarts- und
zukunftsorientierte Didaktik zu schaffen. Anstelle von Schulbüchern und Arbeitsblättern, die
im Idealfall völlig aus dem Klassenzimmer verbannt werden, sollen den Lernmöglichkeiten
der Kinder adäquatere didaktische Anregungen zur Verfügung gestellt werden. Lernen soll
nicht über rein kognitive Zugänge geschehen, sondern, gemäß des Entwicklungsstadiums der
„konkreten Operationen“, durch aktives Handeln und individuelle Erfahrung. Die Kinder
sollen sich als Person angesprochen fühlen und über eigenes Entdecken und Problematisieren
ihren Erfahrungshorizont erweitern. Hierbei soll auch die Kreativität der Kinder durch
ästhetisches und phantasievolles Herangehen an Inhalte und die unmittelbare sinnliche
Erfahrung durch eigenes Erleben berücksichtigt werden (vgl. KAISER 1998, 3).
Um also einen möglichst vielfältigen, handlungsorientierten Sachunterricht gestalten zu
können, bedarf es einer Vielzahl an Materialien und Ideen. Seit 1994 werden in der
Sachunterrichtslernwerkstatt
an
der
Carl
von
Ossietzky-Universität
Oldenburg
Handlungsmaterialien zu vielen verschiedenen Sachunterrichtsthemen von Studierenden
hergestellt, in themenspezifischen Kisten geordnet und für die LehrerInnen, StudentInnen und
LehramtsanwärterInnen der Umgebung zum Ausleihen angeboten.
Neben der Entwicklung, der Herstellung und dem Verleih der Themenkisten, bietet die
Lernwerkstatt auch Fortbildungen und Workshops an.
Die RÖSA intendiert nicht, den LehrerInnen eine Möglichkeit zum Konsumieren von
Unterrichtsmaterial zu bieten, wobei dieser Eindruck schnell entstehen kann. Letztlich liegt es
in der Eigenverantwortung der LehrerIn, die Materialien im Hinblick auf ihre SchülerInnen zu
bewerten und zu selektieren. Die RÖSA gibt keine fertig konzipierte Unterrichtsplanung im
Klassensatzformat
aus,
sondern
Ideen
und
Beispiele,
wie
handlungsorientierte,
selbstgesteuerte Lernprozesse initiiert werden können. Die Kisten mit fertigen Materialien
sollen eine Zeitersparnis für die LehrerInnen bewirken, damit sie eher bereit sind, sich den
Anforderungen eines vielfältigen, handlungsorientierten und offenen Unterrichts zu stellen.
Der Werkstattcharakter des Konzepts zeichnet sich dadurch aus, daß die Themenkisten
niemals fertig sind. Die Themen werden stets durch weitere Handlungsmaterialien, ob von
StudentInnen, LehrerInnen oder SchülerInnen selbst, ergänzt und weiterentwickelt.
Das Wort „Regional“ im Namen des Konzepts bezieht sich auf die Idee, daß die Schulklassen
der Region ihre Ergebnisse untereinander austauschen, durch das Kinder-Fragen-Buch (vgl.
6.2), Klassenkorrespondenz, Fotos und vieles mehr. Stadtkinder kommen bei manchen
Themen, z.B. Frühling oder Schnecken, zu ganz anderen Erkenntnissen als Kinder die in einer
sehr ländlichen Gegend aufgewachsen sind. Auf diesem Weg wird den Kindern das
unterschiedliche Verstehen von Welt, die „Relativität des eigenen Wissens“, die
verschiedenen
Lebensbedingungen
der
anderen
Kinder
und
die
Bedeutung
von
Kommunikation bewußt (vgl. KAISER 1996, 172 f).
6.2 Die Handlungsmaterialien
Wie sich schon herauskristallisiert hat, stellen die Handlungsmaterialien den Mittelpunkt des
RÖSA-Konzepts dar. Sie werden hauptsächlich von Studierenden aus sogenannten „BeinaheMüll-Objekten“, d.h. Gegenständen, die eigentlich weggeworfen werden sollen, hier aber
noch verwendet werden können, hergestellt. Diese stammen häufig aus der Natur, dem
privaten Haushalt oder sind im Handel oder Fabriken als Abfall angefallen, so z.B. Filmdosen,
Spiegelreste, alte Fahrradklingeln, alte Brillen, usw. „Für Kinder wird dabei der schonende
Umgang mit Ressourcen sinnfällig klar. Ökologisches Lernen wird somit generell als
Unterrichtsprinzip gefördert, ohne das Thema des vorsichtigen Umgangs mit Rohstoffen
direkt thematisieren zu müssen.“ (KAISER 1996, 171).
Durch das Material wird versucht, möglichst viele Aspekte eines Themas zu beleuchten, große
Phänomene klein darzustellen und den Kindern durch einen persönlichen Umgang, Zugang
zum jeweiligen Thema zu verschaffen.
Da der Unterricht vieldimensional gestaltet werden soll, um den Bedürfnissen aller Kinder
entgegenzukommen, werden die Materialien unter dem Gesichtspunkt folgender Funktionen
hergestellt:
 spielerisches Üben
 Informationsvermittlung
 Veranschaulichung
 kooperatives Lernen
 selbständiges Lernen
 entdeckendes Lernen
 forschendes Lernen
 subjektive Bedeutung erschließen
 Kreativitätsförderung
 mit allen Sinnen lernen
 Erschließen ästhetischer Bedeutungsdimension
 mehrperspektivisches Lernen
 veränderndes Handeln im Schulleben
 veränderndes Handeln im Schulumfeld
 veränderndes Handeln im Ort/ in der Region
(vgl. KAISER 1999, 2).
Nicht jedes Thema kann alle Funktionen erfüllen, dennoch wird darauf geachtet, die
Themenkisten
mit
Materialien
zu
bestücken,
die
einen
differenzierten
und
mehrperspektivischen Zugang zum Thema ermöglichen.
Den Materialien sind Handlungsanweisungen beigefügt, welche den Kindern das Material
fragend, anregend oder auffordernd nahebringen. Sie enthalten Erklärungen zu den
Versuchen, Spielregeln oder Aufgabenstellungen, damit die Kinder sinnvoll und zielgerichtet
mit den Handlungsmaterialien umgehen können.
Hier ließe sich bemängeln, daß den Kindern auf diese Weise ein Teil ihrer Eigenständigkeit
abgesprochen wird, weil die Materialien zu stark vorbereitet sind und immer genau eine
Handlungsmöglichkeit
eröffnen.
Es
liegt
aber
in
der
Hand
der
LehrerIn,
die
Handlungsanweisungen als Anregung zu verstehen und diese mit den Kindern im Unterricht
kreativ weiterzuentwickeln. Bei vielen Experimenten ist eine genaue Beschreibung auch
häufig notwendig. Zudem ist das Konzept offen gegenüber eigenen Handlungsideen der
Kinder.
Das vielfältige Lernangebot bietet den Kindern genügend Alternativen, um sich die für sie
interessant und sinnvoll erscheinenden Materialien auszusuchen und fördert somit
selbstgesteuerte Lernprozesse.
Die Themenkisten enthalten folgende Teile:
1.) Konkrete Handlungsmaterialien: Dies können biologische oder physikalische Experimente
(forschend/entdeckend; veranschaulichend), Partner- oder Gruppenspiele, Memories oder
Legespiele,
Theater-
und
Rollenspiele
(Kooperation),
Fotos
und
selbstgebaute
Musikinstrumente, Kassetten, Riech-, Hör- und Fühlspiele (ästhetisch; mit allen Sinnen),
Ideen zum Basteln, Bauen, Schreiben, Kneten oder Malen (Kreativ) sein.
2.) Kinderkartei: Diese beinhaltet Geschichten, Lieder, Gedichte, Rezepte, Ideen für weitere
Versuche oder thematische Zusammenhänge, die bei
den konkreten Materialien
möglicherweise nicht berücksichtigt wurden. Die Kinder erhalten hier ein differenziertes
Angebot, selbständig Inhalte zum Thema in handelnde Auseinandersetzungsformen zu
transformieren und sind nicht ausschließlich an die vorgegebenen Materialien gebunden.
3.) Kinder-Fragen-Buch/LehrerInnen-Kommentare-Buch: Hier können die Kinder ihre
eigenen Fragen und Gedanken zum Thema notieren. Die LehrerInnen und Studierenden haben
so die Möglichkeit, die Interessen der Kinder einschätzen und verwirklichen zu können.
Es dient außerdem dazu, die eigenen Ergebnisse und Interessen mit denen anderer Klassen zu
vergleichen. Das Kinder-Fragen-Buch leistet also einen Beitrag zu kommunikativen
Strukturen im Sachunterricht.
Auf der anderen Seite des Buches haben die LehrerInnen die Gelegenheit, das Material und
die Arbeit mit der Kiste zu kommentieren und der RÖSA so weitere Anregungen zukommen
zu lassen.
4.) LehrerInnenkartei: Darin sind Sachinformationen und Hintergrundwissen zum Thema,
Arbeitsanregungen, Ideen für Exkursionen, Hinweise auf Filme usw. und didaktische
Informationen enthalten.
5.) Bücher: Die Kisten enthalten unterschiedliche Kinder- und Sachbücher zu den einzelnen
Themen.
Sie
bieten
weitere
Anregungen,
Möglichkeiten,
sich
zurückzuziehen
Diskussionsanlässe und Antworten auf Fragen und Unklarheiten, z.B. bei den Experimenten.
6.3 Einsatzmöglichkeiten der Themenkisten im Unterricht
Das vielseitige Material in den Themenkisten bietet den LehrerInnen die Möglichkeit,
Freiräume für selbständige und selbsttätige Lernprozesse im Unterricht zu schaffen.
Bevor das Material jedoch zum Einsatz kommt, muß die LehrerIn den Inhalt der Kisten genau
überprüfen und gemäß den Lernbedürfnissen und Fähigkeiten ihrer SchülerInnen selektieren.
Geschieht dies nicht, kann es leicht passieren, daß die SchülerInnen es als sinnloses oder zu
einfaches Spielzeug betrachten, da sie sich unter- oder überfordert fühlen. Die Kisten sind
nicht
für
eine
spezifische
Altersstufe
konzipiert,
sondern
für
den
gesamten
Grundschulbereich. Dies entspricht der Annahme, daß es keine allgemeine Entwicklung und
Lernentwicklung gibt, sondern die Kinder in individueller Geschwindigkeit bestimmte
Lernstadien erreichen.
Wie die Kisten eingesetzt werden, bleibt der LehrerIn überlassen. Sie kann z.B. einzelne Fotos
oder Experimente zum Unterrichtseinstieg als Gesprächsanlaß nutzen, sie zur gezielten
Förderung einzelner einsetzen oder in Unterrichtsprojekte integrieren.
Das Handlungsmaterial kann den Kindern in Form eines „Buffets“ zur freien Wahl angeboten
werden, die diese dann in Einzel-, Gruppen-, oder Partnerarbeit bearbeiten.
Sie haben so die Chance, miteinander, aber auch voneinander, zu lernen, sich gegenseitig zu
unterstützen und zu ergänzen.
Eine andere Einsatzmöglichkeit sind vorbereitete Stationen, die die Kinder in einer Art
„Zirkeltraining“ bearbeiten müssen. Aber, „auch das Werkstattkonzept ist ein Weg
handelnden Sachunterrichts, in dem die Kinder gemeinsam zu einer Fragestellung
Handlungsmaterialien entwickeln, Versuchsmöglichkeiten planen und erproben und
gemeinsam auswerten.“ (KAISER 1998, 4).
Es bieten sich vielfältige Möglichkeiten, auch nur einzelne Materialien als Ergänzung oder zur
Veranschaulichung von Problemen zu nutzen.
Bei alledem ist es aber sehr wichtig, daß die Kinder ihre Ergebnisse in irgendeiner Form
schriftlich, bildlich usw. fixieren und in Kreisgesprächen austauschen und diskutieren. Sonst
bleiben sie als unreflektierte Handlung im leeren Raum stehen. Auch schon während der
Arbeitsphasen müssen Austausch und Gespräche eingeschoben werden, um unbedachtes
„Draufloshandeln“ zu vermeiden. Durch differenzierte Arbeitsphasen und gemeinsames
Gespräch
wird „einerseits den Verschiedenheiten Rechnung“ getragen „und andererseits
Gemeinsamkeit“ geschaffen (vgl. ebd., 4).
Zur
Festigung,
Dokumentation
und
zum
Abschluß
eines
Themas
eignen
sich
selbstgeschriebene Bücher, Ausstellungen, Stellwände, der Verkauf von eigener Produkte,
selbstgedrehte Filme und Fotoreportagen oder eine Darstellung auf der Website der Schule,
um die Ergebnisse nach außen zu tragen und somit der Arbeit der Kinder höhere
Wertschätzung entgegenzubringen.
6.4 Zusammenfassung
Das Konzept der Regional Ökologischen Sachunterrichtssammlung ist ein Konzept
handelnden Unterrichts, welches die SchülerInnen als selbsttätige und handelnde Subjekte in
den Mittelpunkt stellt. Entdecken, Probieren, spielerisches Üben und Erfinden sowie
Kreativität und Subjektivität können über zahlreiche Handlungsmaterialien entfaltet werden.
Diese sind in Themenkisten gesammelt und können von LehrerInnen für den Unterricht
ausgeliehen werden.
Die Materialien sind nach bestimmten Funktionen hergestellt, die den Kindern einen
vieldimensionalen Zugang zum Thema ermöglichen.
Den Kindern wird so die Möglichkeit geboten, sich selbstgesteuerten Lernprozessen zu
unterziehen, indem sie sich nach ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten Einblick in
das jeweilige Thema verschaffen können. Die LehrerIn fungiert dabei als Stütze,
AnsprechpartnerIn, aber auch „MitlernerIn“. Sie ist es auch, die gemeinsam mit den Kindern
deren Ergebnisse in Gesprächsrunden und Diskussionen zusammenträgt und auswertet.
Die Materialien können auf unterschiedliche Weise in den Unterricht integriert werden,
bedürfen aber vorher immer einer genauen Selektion gemäß der Lernvoraussetzungen der
Kinder.
Dieses Konzept bietet auch Kindern mit besonderen Bedürfnissen, die in der Grundschule
schnell als sogenannte Lernbehinderte ausgesondert werden, die Chance, sich nach ihren
Bedürfnissen Materialien auszusuchen, oder an gemeinsamen Gruppenlernprozessen Teil zu
haben.
Die in den folgenden Kapiteln dargestellte Erprobung testet, inwieweit die Materialien den
Bedürfnissen sogenannter lernschwacher oder „lernbehinderter“ Kinder entsprechen.
7 FORSCHUNGSMETHODISCHE KONZEPTION
7.1 Persönliche Motivation
Bevor ich die Bedingungen meiner Beobachtung in diesem Kapitel darstelle, erscheint es mir
angebracht, meine persönlichen Beweggründe für diese Erprobung zu schildern.
Im Rahmen meines Sonderpädagogikstudiums habe ich Sachunterricht als erstes
Unterrichtsfach studiert. So habe ich einerseits viel über Lernen, „Lernbehinderung“ und den
Unterricht mit sogenannten Lernbehinderten, andererseits über Unterrichtsgestaltung im
Rahmen sachunterrichtlicher Themen und Konzeptionen im Bezug zur Grundschule gelernt.
An einer Verbindung beider Bereiche mangelte es leider häufig.
Seit 1998 bin ich als Mitarbeiterin in der RÖSA tätig. Dort habe ich zunächst ein Tutorium für
StudienanfängerInnen geleitet, in dem wir gemeinsam eine Kiste mit Handlungsmaterialien
zum Thema „Anders sein - Behinderung?“ erarbeitet haben. Hier werden die
Lebensbedingungen behinderter Menschen thematisiert. Dabei wird die Kompetenz, mit einer
Behinderung das Leben zu bewältigen, statt des vorherrschenden defizitär orientierten
gesellschaftlichen Bildes in den Vordergrund gestellt. Dies war ein erster Schritt,
sonderpädagogische Inhalte in die RÖSA zu integrieren.
Bei der Erarbeitung weiterer Handlungsmaterialien zu unterschiedlichen Themen, habe ich
mir viele Gedanken über Lernvoraussetzungen von Kindern und die Gestaltung
handlungsorientierten Unterrichts gemacht. Dabei war immer der Gedanke im Hinterkopf, daß
diese Materialien die Bedürfnisse aller Kinder erreichen sollen.
Da das Konzept sich durch Handlungsorientierung und vieldimensionale Zugänge zum
Unterrichtsthema auszeichnet und selbstgesteuerte Lernprozesse intendiert, bin ich schon
lange davon überzeugt, daß es sich sehr gut für einen Unterricht eignet, der auch
„lernschwachen“ Kindern in der Grundschule oder Kindern, die als „lernbehindert“ tituliert
zur Sonderschule überwiesen wurden, gerecht wird.
Es entstand also die Idee, die Materialien daraufhin zu überprüfen, wie sie den Bedürfnissen
„lernschwacher“ und „lernbehinderter“ Kinder entgegenkommen und möglicherweise sogar
sogenannte Lernbehinderung zu vermeiden helfen.
Die Untersuchung ist folglich aus meinem persönlichen Engagement in der RÖSA
enrwachsen. Später entstand die Idee, diese Examensarbeit darüber zu schreiben.
7.2 Handlungsleitende Fragestellung
Der Untersuchung liegt die Annahme zugrunde, daß handelndes Auseinandersetzen mit
konkreten Lernmaterialien lernfördernd sei. Werden in der Schule die Bedingungen für
handlungsorientierten Unterricht mit einem vielfältigen Lernangebot geschaffen, können
„Lernschwächen“ behoben und Schulversagen und sogenannte Lernbehinderung verhindert
werden. (vgl. Kapitel 3 bis 5).
Daraus
ergibt
sich
notwendigerweise
die
Frage,
wie
das
Material
für
einen
handlungsorientierten, fördernden Unterricht im Rahmen des RÖSA-Konzepts, welches auch
den Bedürfnissen „lernschwacher“ Kinder gerecht wird, beschaffen sein muß. Die Frage läßt
sich in vier Aspekte untergliedern:
1. Welche Typen handlungsorientierten Sachunterrichtsmaterials werden von den Kindern
ausgewählt? (Attraktion)
2. Welche Materialien sind motivierend genug, damit sich „lernschwache“ Kinder anhand der
Handlungsanweisung damit auseinandersetzen? (Motivation)
3. Inwieweit entsprechen die Materialien den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder und wo
liegen mögliche Probleme? (Anforderung)
4. Welche
Materialien
sind
geeignet,
daß
die
Kinder
nach
der
handelnden
Auseinandersetzung auch in der Diskussion Lernerfolg dokumentieren können?
(Qualifizierung)
7.3 Forschungskonzept
7.3.1 Beobachtungsform
Zum Zweck von Verhaltensbeschreibungen, insbesondere aber zur Hypothesenprüfung und
-findung dienen nach KÖCK Beobachtungen.
Fremd- oder Verhaltensbeobachtungen sind in Form der mittelbaren (vom Laien
durchgeführten) oder der unmittelbaren (vom Fachmann durchgeführten) Beobachtung
möglich. Sie können als Gelegenheitsbeobachtung oder als systematische Beobachtung in
einer gegebenen alltäglichen Situation oder in einer Testsituation durchgeführt werden. Eine
Möglichkeit hierfür ist die teilnehmende Beobachtung, die sich in aktiver oder in passiver
Form durchführen läßt. Die aktiv teilnehmende BeobachterIn ist auch zugleich Handelnde im
Beobachtungsfeld, wie z.B. eine ErzieherIn oder eine LehrerIn. Die passiv teilnehmende
BeobachterIn dagegen bewegt sich als „ZuschauerIn“ im Beobachtungsfeld (vgl. KÖCK 1993,
46).
Für die Beobachtung in einer schulischen Situation bietet sich die Form der teilnehmenden
Beobachtung folglich an. „Der Hauptvorteil der teilnehmenden Beobachtung ... liegt darin,
daß
der
Erzieher/Lehrer
durch
sein
Mitleben
im
Beobachtungsfeld
Bedingungszusammenhänge, Verhaltensentwicklungen und den zu Beobachtenden in der
Gesamtheit seines Verhaltens eher wahrnehmen und würdigen kann als der auf einen
bestimmten Beobachtungsaspekt innerhalb einer abgesteckten Situation und bei begrenzter
Zeit angesetzte Spezialist.“ (KÖCK 1993, 49).
Im Falle dieser Beobachtung waren Situation und Zeit zwar reglementiert, d.h. systematisiert,
dennoch befand ich mich als Beobachterin unmittelbar im Beobachtungsfeld. Dies hatte zur
Folge, daß ich jegliche Verhaltensänderung, Gefühlsänderung und soziale Interaktion
unmittelbar miterlebt habe und mir Möglichkeiten zum Eingreifen offen geblieben sind.
Dennoch hat es sich um eine passiv teilnehmende Beobachtung gehandelt, da ich nicht als
Handelnde im Beobachtungsfeld tätig war. Diese Rolle fiel der begleitenden Lehrerin Frau
Maria Bollerslev zu. Ich dagegen war nur „Zuschauerin“. Dies hatte den Vorteil, daß ich mich
voll und ganz auf die Beobachtung konzentrieren konnte, wohingegen aktiv teilnehmende
BeobachterInnen häufig durch ihre „vorrangigen unterrichtlichen und erzieherischen
Aufgaben“ (KÖCK 1993, 47) abgelenkt werden.
Doch auch als passiv teilnehmende Beobachterin habe ich eine soziale Rolle in der Situation
eingenommen (vgl. BECK/SCHOLZ 2000, 151). Genau wie ich die Kinder wahrgenommen
habe, haben sie auch mich wahrgenommen. Wir haben uns in der Situation gegenseitig
beeinflußt und miteinander kommuniziert. „Sie ForscherInnen und Menschen können nur
miteinander im gleichen Raum leben, wenn sie sich verbal oder nonverbal über ihre
Definition der Situation verständigen.“ (ebd., 151).
Die Kinder wußten, daß ich als Studentin von der Universität gekommen bin, also keine
Person des alltäglichen Schulbetriebs war. Sie waren sich meiner Anwesenheit bewußt, haben
aber akzeptiert, daß ich nicht in ihre Arbeit eingreife, und sie ließen mich als Außenstehende
an ihren Handlungen Teil haben.
Das Problem, welches sich aus dieser unmittelbaren Nähe zur Beobachtungssituation ergibt,
ist die starke sinnlich Beeinflussung durch zahlreiche Faktoren. Alle sinnlichen
Wahrnehmungen im Zusammenhang mit der Beobachtungssituation färben auf die
Interpretation des Beobachteten ab. „Dies bedeutet für die `Beobachtung` im Kontext
Teilnehmender Beobachtung, daß nicht nur alle Sinne beteiligt sind, sondern auch, daß die
sinnlichen Wahrnehmungen sich nicht von den Vorstellungen trennen lassen, die die
Wahrnehmung gewissermaßen veranlaßt haben. Wahrnehmen ist in dem Sinne Interpretation
als der Wahrnehmung immer schon Vorstellungen des Wahrnehmbaren unterliegen.“ (ebd.,
151).
Die Interpretation des Wahrgenommenen vollzieht sich also nicht nur durch die unmittelbar
beobachteten Handlungen bei den Kindern, sondern auch durch die eigenen Erwartungen, die
die ForscherIn an die Situation gestellt hat. Dieses „Vorurteil“ wird hinterher die Bedingungen
der Interpretation stellen. „Es widerfährt nicht nur jedem Praktiker, sondern auch jedem
Wissenschaftler, daß er sich gelegentlich derartig in eine Vermutung, Idee, Vorstellung
`verrennt`, daß er sich dafür sogar die Wirklichkeit zurechtbiegt.“ (KÖCK 1993, 54).
Um mich meiner Wahrnehmung zu vergewissern, habe ich nach jeder Sitzung kurz
Rücksprache mit Frau Bollerslev gehalten. Wir haben dann die Punkte, die mir aufgefallen
sind kurz überdacht und einen ersten Interpretationsversuch unternommen. In Sitzung 13 und
14 hat mich eine Kommilitonin begleitet, mit der ich das Beobachtete hinterher intensiv
diskutiert habe. Auf diesem Wege habe ich versucht, meine subjektiven Eindrücke zu
relativieren.
Aber trotz alledem: Beobachtungen sind durch die Wahrnehmung der BeobachterIn immer
selektiv und durch Hypothesen, Vorahnungen und Erfahrungen gelenkt (vgl. EBERWEIN
1998, 195). „Eine totale und vom Individuum unabhängige Beobachtung der Wirklichkeit ist
also nicht möglich.“ (ebd., 195).
7.3.2 Beobachtungssituation
Die Beobachtungssituation sollte für die Kinder möglichst angenehm und streßfrei sein, damit
die Kinder sich authentisch verhalten und so Interessen, Motivation und Fähigkeiten gut
erkennbar sind. Gerade deshalb erachte ich die Spielbeobachtung nach HEIMLICH als
besonders passend. Er ist der Meinung, daß pädagogisch tätige Menschen Kinder tagtäglich in
ihrem Spielverhalten beobachten, dies interpretieren und häufig intervenieren, indem sie
beispielsweise speziellere Angebote machen usw. (vgl. HEIMLICH 2000, 172). Natürliches
Verhalten von Kindern ist der spielerische Umgang mit Dingen, Personen oder sich selbst.
Von daher schien eine Spielsituation angebracht.
HEIMLICH weist darauf hin, daß zum Verständnis der SchülerIn nicht nur die äußerlich
sichtbaren Verhaltensweisen ausschlaggebend sind, sondern daß häufig tiefe innere
Bedürfnisse
ablesbar
sind.
Dies
heißt
aber,
daß
„Kenntnisse
über
individuelle
Entwicklungsläufe, biographische Erfahrungen und die gesamte Lebenssituation erforderlich“
sind (ebd., 172). Diese Voraussetzungen waren bei der Erhebung nicht gegeben, da ich die
SchülerInnen vorher nicht kannte und sie mir von den Lehrerinnen zugewiesen wurden. Es
ging mir aber im wesentlichen um eine Überprüfung des Materials, was natürlich nur im
Zusammenhang mit dem Verhalten der Kinder möglich war, nicht aber um die gezielte
Förderung einzelner Personen. Daher schien dieser Einwand nicht hinderlich.
Wenn aber eine Spielsituation Verhaltensweisen gemäß der Lebenssituation der Kinder
herausfordert, schien sie besonders geeignet, um das Material auf die Bedürfnisse der Kinder
hin zu testen. „In modernen Gesellschaften gerät nun das Spiel für Kinder, Jugendliche und
immer mehr Erwachsene zu einem zentralen Moment ihrer Wirklichkeitserfahrung.“ (ebd.,
172). So wird über das Spiel die subjektive Erfahrung in der Welt gemacht. Dies bietet der
BeobachterIn in der Spielsituation Einblick in die Vorerfahrungen und Alltagswirklichkeit der
Kinder. Ob die RÖSA-Materialien an die Vorerfahrungen der Kinder anknüpfen und ob sie
sich in die Struktur ihrer individuellen Welterfahrung integrieren lassen, schien daher in einer
Spielsituation gut überprüfbar zu sein.
Es erscheint notwendig zu bedenken, daß eine Spielbeobachtung eher im Bereich des
Kindergartens angebracht wäre. Nach HEIMLICH habe sie dort auch ihren Schwerpunkt (vgl.
ebd. 2000, 176). HEIMLICH betont aber, daß Unterricht sich in den letzten Jahren in die
Richtung spielerischen Lernens gewandelt habe. „Im Zuge einer reformpädagogischen
Neuorientierung besonders im Primarbereich, die mit der Einführung Freier Arbeit,
Wochenplänen und Projektunterricht das selbstorganisierte Lernen stärker betont, erleben
auch Spielmöglichkeiten in der Schule eine Renaissance.“ (ebd., 176). Eine Spielsituation für
die Beobachtung zu schaffen, schien demzufolge im Rahmen handlungsorientierten
Unterrichts und freier Arbeit durchaus legitim.
Die Beobachtungssituation sollte in Anlehnung an HEIMLICH spielerisch gestaltet werden.
Dennoch ließ sich nicht vermeiden, daß die Situation den Charakter von Unterricht hatte. Dies
war allein durch den Beobachtungsort (das Klassenzimmer) und die Anwesenheit der Lehrerin
(Maria Bollerslev) gegeben. Den Kindern gegenüber wurde außerdem stets betont, daß das
Thema aus dem Bereich Sachunterricht stamme. Durch die kleine Gruppe und die besonderen
Materialien wurde es aber zu einer künstlichen Situation, die sich für die Kinder eher als Spiel
darstellte.
Die Situation war ein „Experiment“: eine Mischung aus Spiel im Unterricht und Unterricht im
Spiel. Wenn HEIMLICH sagt, „Wissenschaftliche Spielbeobachtung beinhaltet im
Unterschied zu alltäglicher Spielbeobachtung das Bemühen, die Wirklichkeit des Spiels
möglichst systematisch zu rekonstruieren.“ (HEIMLICH 2000,174), handelt es sich hier eher
um eine „Unterrichtsspielbeobachtung“.
Die drei Testkinder kamen jeweils nach ihrem eigentlichen Unterricht zu einer Zusatzstunde
in die Klasse von Frau Bollerslev. Sie klärte die Kindern nicht darüber auf, daß es sich um
eine Beobachtungssituation handle. Sie erklärte ihnen immer nur, daß sie Materialien für eine
Sachunterrichtsstunde zum jeweiligen Thema mitgebracht habe.
Die Kinder sollten sich dann von den als „Buffet“ aufgebauten Materialien etwas aussuchen
und sich allein oder in Partnerarbeit damit beschäftigen. Frau Bollerslev war jederzeit als
Ansprechpartnerin zugegen.
Der spielerische Aspekt bestand darin, daß die Kinder die Materialien frei wählen und sich
frei damit im Klassenraum oder auf dem Schulgelände beschäftigen konnten. Sie konnten das
Material wechseln, wann und sooft sie wollten. Die Situation war folglich völlig zwanglos.
Die Kinder waren keinerlei Leistungsdruck oder „Lernzwang“ ausgesetzt. Sie konnten sich
auf spielerische Art und Weise mit den Materialien auseinandersetzen.
Ich saß als passive Beobachterin entweder an einem abseits stehenden Tisch oder direkt mit an
den Arbeitstischen der Kinder. Manchmal habe ich meine Position während der Stunde
verlassen und bin den Kindern in einer Art „Wanderbewegung“ durch den Raum oder auf den
Hof gefolgt. Die Kinder beachteten mich kaum, denn sie waren stark auf Frau Bollerslev
fixiert. In fünfzehn Beobachtungsstunden hat mich kein Kind nach dem Grund meiner
Anwesenheit gefragt, was ich schreibe und warum ich einen Wecker mitgebracht habe.
Das Kind, welches ich jeweils beobachten wollte, suchte ich mir schon vor der Stunde aus. Ich
habe meine Konzentration dann ganz auf dieses Kind gerichtet. Es ließ sich aber nicht
vermeiden, auch die anderen Kinder mit einzubeziehen, da sie fast ausschließlich in Partneroder Gruppenarbeit zusammenarbeiteten.
Ich versuchte, mich aus dem Arbeitsgeschehen völlig herauszuhalten. Dennoch haben die
Kinder mich ab und zu um Hilfe gebeten oder mir Fragen gestellt. Ich habe sie dann entweder
kurz beantwortet, kleine Tips gegeben oder auf Frau Bollerslev als Ansprechpartnerin
verwiesen.
Nach den Stunden versuchte ich durch kleine persönliche Gespräche, ein wenig Kontakt zu
den Kindern aufzunehmen. Die Reaktionen waren individuell verschieden, aber nicht
grundsätzlich positiv oder negativ.
7.4 Erhebungs- und Beobachtungsinstrumente
Für die Gestaltung der Feldnotizen wurde der Ansatz von KÖCK übernommen. KÖCK ist der
Meinung, daß die Güte einer systematischen Beobachtung durch das „gelungene Ausmaß an
Operationalisierung“ bestimmt werden kann. Operationalisierung bedeute hier, „die
Aufzeichnung von Beobachtungen in Form nachvollziehbarer und das heißt auch
überprüfbarer Handlungen des zu Beobachtenden“ (KÖCK 1993, 52).
Für das Protokoll bedeutet dies, daß es genaue Angaben über das Beobachtungsfeld beinhalten
soll und das Verhalten in Form konkreter Handlungen beschrieben werden muß. Wichtig ist
hierbei, daß die Beschreibung der Handlungen keinerlei Wertungen oder Interpretationen
beinhalten, sondern eine nachvollziehbare, für die LeserIn rekonstruierbare Situation darstellt.
Vergleichbar mit den Protokollen bei KÖCK (ebd., 54ff) und bei BECK/SCHOLZ sollten die
Protokolltexte eine möglichst „dichte“, genaue Beschreibung der Szene wiedergeben. „Dabei
geht es darum, nicht nur die äußeren Beobachtungen (nimmt einen Bleistift, steht auf und geht
zu...) festzuhalten, sondern die Situation so zu beschreiben, daß ihr Sinn entschlüsselt werden
kann.“ (BECK/SCHOLZ 2000, 164).
Folglich habe ich versucht, möglichst alle Details zu erfassen und situationsgetreu zu notieren.
In der Situation habe ich mich, wie bei HEIMLICH (2000, 178) gefordert, keiner
Beobachtungskriterien unterworfen, sondern offen jedes Verhalten registriert. Wichtig war
hier nur der Fokus auf die Handlungsmaterialien.
Da es mir an technischen Hilfsmitteln, wie z.B. Videokamera oder Tonbandgerät mangelt,
habe ich mich für eine schriftliche Protokollführung entschieden. Um ökonomisch arbeiten zu
können und den Anforderungen einer detaillierten Beschreibung nachkommen zu können, bin
ich dem Vorschlag KÖCKS gefolgt und habe Formblätter entworfen und vervielfältigt (vgl.
KÖCK 1993, 68). „Das Formblatt nennt die Verfahrensregeln ausdrücklich und setzt damit
den Leser in die Lage, das beschriebene Geschehen nachvollziehen zu können.“ (ebd., 69).
Beispiel des Beobachtungsblattes:
Protokollnr.:
Datum:
Name der/des Beobachteten:
Ort der Beobachtung:
Thema:
Handlungsmaterial:
Zeit
Verhaltensweisen, Tätigkeiten, Ereignisse - Beschreibung des Verlaufs
Als Zeitmeßinstrument habe ich einen einfachen Funkwecker benutzt. Dieser erschien mir
verläßlich und die digitale Zeitanzeige erleichtert ein schnelles Ablesen der Uhrzeit.
Die Feldnotizen, die ich stichwortartig im Formblatt eingetragen hatte, habe ich wenn möglich
sofort im Anschluß an die Beobachtung als Protokoll ausgearbeitet. So hatte ich die Situation
noch gut vor Augen und konnte die Stichpunkte zu einer sinnvollen Beschreibung
zusammenstellen.
Zusätzlich zu den Protokollen habe ich mir Beobachtungskriterien überlegt, die die
beobachteten Verhaltensweisen der Kinder noch stärker systematisieren sollen. Dabei handelt
es sich schon um Interpretationen im Bezug auf Motivation, Fähigkeiten im Lesen,
Selbsttätigkeit, Zusammenarbeit, usw. (eine genaue Auflistung vgl. Materialteil im Anhang).
Auch hier habe ich mir vorher Formblätter entworfen, die ich im Anschluß an die
Protokollführung nur noch ausfüllen mußte. Für die LeserIn bieten sie die Möglichkeit, im
Anschluß an das Lesen der Protokolle, ihre Interpretationen der Situation mit meinen
subjektiven Interpretationen zu vergleichen.
Letztlich sollen diese „Kriterien der Beobachtung“ aber dazu dienen, einen quantitativen
Vergleich ziehen zu können. „Beobachtungsprotokolle und -ergebnisse im Bereich der
pädagogischen Praxis sind Basismaterial, das für den Nachvollzug von Verhaltensabläufen
und Verhaltensentwicklungen und für pädagogische Entscheidungen jederzeit übersichtlich
geordnet zur Verfügung stehen soll.“ (KÖCK 1993, 72). Im Anhang befindet sich daher ein
Materialteil, der eine vollständige Sammlung der Protokolle und der „Kriterien der
Beobachtung“ beinhaltet.
7.5 Erhebungsbedingungen
7.5.1 Untersuchte Schülergruppe
Es waren insgesamt dreizehn SchülerInnen zu den Untersuchungsstunden anwesend, davon
waren sieben weiblich und sechs männlich. Die Kinder waren in drei Dreiergruppen und eine
Vierergruppe eingeteilt:
1. Gruppe: Manuel, Maria, Jaqueline (Thema: Ich und die anderen)
2. Gruppe: Larissa, Fin, Dustin (Thema: Wasser)
3. Gruppe: Kim, Lea, Timo (Thema: Wärme)
4.Gruppe: Alexander, Timo, Jennifer, Janine (Thema: Familie)
Die neun Kinder der Gruppen 1-3 besuchten zum Zeitpunkt der Untersuchung die
3. Klasse. Die Kinder aus Gruppe 4 besuchten die 4. Klasse. Sie sind alle zwischen zehn und
zwölf Jahre alt.
Die Kinder wurden von ihren jeweiligen Klasssenlehrerinnen ausgesucht, weil sie im
Vergleich mit den anderen Kindern in der Klasse auffällige Lernprobleme aufweisen.
Diese werden wie folgt beschrieben:
 Wiederholen einer Klasse
 schlechte Konzetrationsfähigkeit, Unruhe
 mangelndes Lesevermögen im Bezug auf Erlesen der Wörter und sinngemäßer Inhaltsentnahme, Nicht-Erreichen des Lese- und Schreiblehrgangs
 oberflächliches Arbeiten, langsames Arbeiten
 Probleme bei der Umsetzung von Aufgabenstellungen und Handlungsanweisungen
 feinmotorische Schwierigkeiten
 geringe Beteiligung an Unterrichtsgesprächen
 Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen und Hilfen
 Schulangst.
Dies ist eine Zusammenfassung der genannten Auffälligkeiten, die nicht alle bei jedem Kind
auftreten. Ich habe die Beschreibungen der Lehrerinnen unkommentiert übernommen. Da ich
die Kinder kaum kenne, fühle ich mich nicht in der Lage, ein eigenes Urteil zu fällen.
Grundsätzlich mißfallen mir diese Negativzuschreibungen, die den Kindern hier zukommen,
sehr. Ich übernehme sie an dieser Stelle aber, um die Begründung der Lehrerinnen für ihre
Wahl wiederzugeben.
7.5.2 Beobachtungsort
Beobachtungsort war die Grundschule Krusenbusch
Dießelweg 25
26135 Oldenburg.
Der Klassenraum war nicht festgelegt.
7.5.3 Beobachtungszeitraum
Die Vorbereitungen für die Beobachtung haben im September 1999 begonnen. Bei einigen
Treffen mit Frau Bollerslev in der RÖSA, haben wir gemeinsam die Bedingungen für die
Beobachtung abgesteckt. Wir haben besprochen, wann, wo und mit welcher Anzahl an
Kindern die Beobachtung stattfinden sollte. Wir haben uns darauf geeinigt, daß die Kinder für
4 Sitzungen anwesend sein sollen. Jede Gruppe bekommt jeweils ein Thema gestellt
(siehe unter 7.5.1). Frau Bollerslev hat die schulorganisatorischen Absprachen mit den
Kindern und den Eltern übernommen.
Der erste Beobachtungszeitraum erstreckte sich vom 24.11.1999 bis zum 15.03.2000.
Die Beobachtungsstunden fanden einmal pro Woche, mittwochs in der 6. Schulstunde (12.35
Uhr - 13.20 Uhr) statt.
Der zweite Beobachtungszeitraum begann am 21.09.2000 und endete nach drei Sitzungen am
28.08.2000. Die Sitzungen fanden in unregelmäßigen Abständen, einmal in der 6. Stunde und
zweimal in der ersten Schulstunde (7.50 Uhr - 8.35 Uhr) statt.
8 AUSWERTUNG UND INTERPRETATION DER ERGEBNISSE
Die folgenden Interpretationen der Beobachtungsprotokolle entspringen meiner persönlichen
Sichtweise auf die Situation. Andere Möglichkeiten sind bei einer Teilnehmenden
Beobachtung nicht gegeben. „Im Gegensatz zu anderen Forschungsansätzen gibt es bei einer
Teilnehmenden Beobachtung ... keine Hypothesen, die die Auswertung der zuvor erstellten
Dokumente steuern.” (BECK/SCHOLZ 2000, 167). Die Möglichkeit, sich bei der
Interpretation auf vorher explizit formulierte Hypothesen in Bezug auf Verhalten oder
Materialbeschaffenheit zu beziehen, entfallen folglich. ”Vielmehr liegt nach Abschluß der
Beobachtung ein Dokumentpaket vor, das sich in unterschiedliche Fragerichtung
interpretieren läßt.” (ebd., 176).
Die mir vorliegende Sammlung an Daten und Fakten wird an den Bedürfnissen der Kinder
gemessen. Die Fragerichtungen (Attraktion, Motivation, Anforderung und Qualifizierung)
sind unter Punkt 7.2 genauer beschrieben. Dennoch ist die Interpretation durch meine eigene
Wahrnehmung gefärbt. „Immer steht im Mittelpunkt, daß das Dokument, bzw. die
unterschiedlichen Dokumente die geronnene Wahrnehmung des Forschers darstellt und damit
zugleich deren Interpretation in der Situation spiegelt und eine Ko-Konstruktion beinhaltet.”
(ebd., 167).
Um der LeserIn einen Einblick in die Grundlage meiner Interpretation zu geben und diese
nachvollziehbar zu machen, sind sämtliche Protokolle und Kriterienbögen im Materialteil
(s. Anhang) gesammelt. Zusätzlich werde ich mich bei der Darstellung der Ergebnisse auf
einzelne Protokolle beziehen.
8.1 Ergebnisse: Kriterien der Beobachtung
Ich habe die Beobachtungskriterien in spezifische Kategorien unterteilt. Die Bewertungen aus
allen 15 Sitzungen (d.h. der Gesamtwert ist immer =15), die ich in die Werte gar nicht, etwas
und stark vorgenommen habe, sind hier zusammengefaßt und in Form von Säulendiagrammen
graphisch dargestellt. Der Gesamtwert ändert sich nur bei einer Aufsplittung nach
naturwissenschaftlichen Themen (= 8) und sozialwissenschaftlichen Themen (= 7).
1.1 Aufforderungscharakter der Materialien:
Aufforderungscharakter
15
10
gar nicht
etwas
stark
5
0
1
2
3
1 = ist motiviert
2 = läßt sich begeistern
3 = zeigt Interesse
Dieser Graph zeigt, in welchem Maße die Materialien ansprechend auf die Kinder wirken.
Den Bereich Aufforderungscharakter habe ich noch einmal unterteilt, um herauszufinden, ob
es Unterschiede zwischen sozialwissenschaftlichen Themen und naturwissenschaftlichen
Themen gibt (s. Seite 55).
1.2 Aufforderungscharakter der sozialwissenschaftlichen Themen (Ich und die anderen;
Familie = Graphen 1 - 3) und der naturwissenschaftlichen Themen (Wasser; Wärme =
Graphen 5 - 7):
soz.- wiss - nat.-wiss.
6
5
4
3
2
1
0
gar nicht
etwas
stark
1
2
3
4
5
6
7
1 und 5 = ist motiviert
2 und 6 = läßt sich begeistern
3 und 7 = zeigt Interesse
Diese Darstellung zeigt den unterschiedlichen Aufforderungscharakter szialwissenschaftlicher
und naturwissenschaftlicher Handlungsmaterialien.
In diesem Bereich stellt sich die Frage, ob das Material anregend genug ist, damit die Kinder
sich ausdauernd damit beschäftigen.
1.3 Ausdauer bei der Bearbeitung:
Ausdauer bei der Bearbeitung
10
8
gar nicht
etwas
stark
6
4
2
0
1
2
3
1 = wechselt schnell das Handlungsmaterial
2 = bezogen auf: naturwissenschaftliche Themen
3 = bezogen auf: sozialwissenschaftliche Themen
Dieser Graph zeigt zunächst, wie schnell die Kinder das Handlungsmaterial wechseln, wobei
dann noch einmal zwischen naturwissenschaftlichen Themen und sozialwissenschaftlichen
Themen unterschieden wird.
Im Folgenden ist es interessant, auf welche Typen von Handlungsmaterial sich der
Aufforderungscharakter im Wesentlichen bezieht:
2. Typen von Handlungsmaterial:
Typen von Handlungsmaterial
15
10
gar nicht
etwas
stark
5
0
1
2
1 = konkrete Handlungsmaterialien
2 = Bücher
Eine weitere Kategorie, in die ich die Kriterien der Beobachtung eingeteilt habe, bezieht sich
auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder, mit den Materialien umzugehen.
3. Anforderung an die Kinder:
Anforderung an die Kinder
10
8
gar nicht
etwas
stark
6
4
2
0
1
2
3
4
5
6
1 = kann Handlungsanweisung lesen
2 = kann Handlungsanweisung verstehen
3 = kann Handlungsanweisung in Handlung umsetzen
4 = plant die Handlung
5 = entwickelt eigene Ideen
6 = stellt Hypothesen auf
Diese Tabelle stellt dar, wie die Kinder den Anforderungen des Materials nachkommen
können.
Daraus ergibt sich notwendigerweise die Frage, inwieweit die Kinder selbsttätig mit den
Materialien umgehen konnten.
4.1 Selbsttätigkeit:
Selbsttätigkeit
10
8
gar nicht
etwas
stark
6
4
2
0
1
2
3
4
1 = vertieftes Arbeiten
2 = verlangt schnell nach Hilfe
3 = versucht eigene Lösungswege zu finden
4 = begleitet Handlung sprachlich
Dieser Graph zeigt auf, inwieweit die Kinder selbständig mit den Materialien arbeiten können.
Selbsttätigkeit heißt nicht zwingend, daß allein gearbeitet wird. Inwieweit die Kinder einer
AnsprechpartnerIn bedurften und wen sie gewählt haben war ebenfalls Bestandteil der
Beobachtungskriterien. Zudem war die von den Kindern gewählte Sozialform für mich ein
relevantes Beobachtungsmerkmal.
4.2 AnsprechpartnerIn/ Sozialform:
Ansprechpartner/ Sozialform
10
8
6
4
2
gar nicht
etwas
stark
1 = fragt LehrerIn
2 = fragt MitschülerIn
3 = arbeiten zusammen
Hier wird gezeigt, wie stark der Bezug der Kinder zu anderen Personen während des
Arbeitens ist.
Zur Überprüfung des Handlungsmaterials gehört auch eine Kategorie, die das Maß an
Qualifizierung bewertet, das die Kinder während und nach der Auseinandersetzung mit den
Materialien aufgewiesen haben.
5. Qualifizierung/ Lernerfolg:
Qualifizierung/ Lernerfolg
8
6
gar nicht
etwas
stark
4
2
0
1
2
3
1 = bewertet eigene Handlungsschritte;
2 = staunt über das Ergebnis;
3 = bewertet das Ergebnis
Dieser Graph gibt Aufschluß über das Maß der Qualifizierung, das während des Arbeitens
erworben wurde.
Auf eine Darstellung der Ergebnisse der restlichen Kriterien wird hier verzichtet, da die
wichtigsten Punkte bereits erfaßt worden sind.
8.2 Interpretation der Ergebnisse und der Protokolle
Im Bereich Motivation/Aufforderungscharakter lassen sich die Ergebnisse der Beobachtung
dahingehend interpretieren, daß die Kinder die Handlungsmaterialien mit großer Motivation
und starkem Interesse annehmen (vgl. G.* 1.1). Nur ein Kind hat die Arbeit mit den
Materialien ganz abgelehnt. Meistens sind sie begeistert auf die ausgebreiteten Materialien
„zugestürzt“.
Das deutliche Interesse und die hohe Motivation, die von dem Angebot der Materialien
ausgeht, könnten folgendermaßen gedeutet werden:
Die Kartons sind von außen häufig sehr bunt und ansprechend gestaltet. Zudem tragen die
einzelnen
Materialien
meistens
interessante
Namen,
z.B.
„Explodierendes
Rot”,
„Gläserpiano” oder „Bin ich ein Thermometer”. Diese beiden Faktoren wecken die Neugier
auf den Inhalt des Kartons und lassen Freiraum für erste Assoziationen und Phantasien.
Die Zusammenstellung des Inhalts ruft oft erst einmal Stutzen und Verblüffen hervor, welches
sich aber dann zu der Herausforderung, sich des Materials anzunehmen, entwickelt. Die
Kinder stellen sich dieser Herausforderung dann, indem sie entweder gemäß der
Handlungsanweisung oder auf eigenen kreativen Wegen den Inhalt bearbeiten (vgl. Protokoll
3 und 10).
Es hat sich allerdings gezeigt, daß die Motivation der Kinder bei naturwissenschaftlichen
Themen deutlich höher ist, als bei sozialwissenschaftlichen Themen (vgl. G.*1.2). Aus den
Protokollen läßt sich deuten, daß die Kinder bei den Themen Wasser und Wärme von Beginn
an mehr Vorwissen eingebracht haben und aktiver in ihrem Arbeitsverhalten waren.
Insbesondere
die
naturwissenschaftlichen
Experimente
scheinen
einen
hohen
Attraktionscharakter für die Kinder zu haben (vgl. Protokolle 4 bis 11). Diese Faszination,
ausgehend von den Experimenten könnte dahingehend interpretiert werden, daß die Kinder
durch ihr eigenes Handeln etwas verändern können. Sie selbst schaffen Bedingungen, in
denen sie durch Versuche Veränderungen bewirken und beobachten können (z.B.
Kreidewasser filtern/Protokoll 6). Oftmals gelingt ihnen bei den Experimenten eine
Erweiterung des Versuchs mit Bedingungen aus ihrer eigenen Umwelt. Wie z.B. im Protokoll
6, wo die Kinder auf die Idee kommen, daß sie auch das Schmutzwasser aus dem Schulteich
filtern können, statt Leitungswasser mit Kreide einzufärben. Die Erklärung dessen, was
beobachtet wurde bedurfte viel Unterstützung durch die Lehrerin (vgl. S.63).
*
*
: G. = Graph (in Form des Säulendiagramms) aus 8.1
G. = Graph (in Form des Säulendiagramms) aus 8.1
Ein erfolgreich durchgeführtes Experiment, an dessen Ende womöglich ein faszinierendes
Ergebnis ablesbar ist, vermittelt den Kindern, daß sie stolz auf sich und ihre Arbeit sein
können. Solche Erfolgsmomente steigern die Motivation und die Lust am Lernen.
Insbesondere bei „lernschwachen“ Kindern, die schon häufig Mißerfolgserlebnisse in der
Schule erfahren mußten, weil ihren Bedürfnissen nicht entsprochen wurde, sind solche
Erfolgserlebnisse sehr wichtig.
Die Kinder waren bei der Bearbeitung aller Materialien sehr ausdauernd (vgl. G.*1.3). Es ließ
sich aber beobachten, daß sie an den Materialien der sozialwissenschaftlichen Themen
schneller das Interesse verloren und diese öfter gewechselt haben. Das ist daraus ersichtlich,
da sie mehr Handlungsmaterialien in einer Sitzung bearbeitet haben, als bei den
Experimenten. Die Gesprächsverläufe, die hauptsächlich von der Lehrerin initiiert wurden,
lassen sich als schleppend beschreiben.
Dies ließe sich einerseits so interpretieren, daß die Themen möglicherweise zu abstrakt sind
und die Kinder nicht so schnell Bezugspunkte finden. Andererseits könnte hieraus die
Hypothese entwickelt werden, daß den Kindern zu viel Selbstreflexion und Nähe zur eigenen
Person abgefordert wird. Sie bringen sich scheinbar eher über Experimente ein, die viel
Distanz zur eigenen Persönlichkeit lassen, als über ganz persönliche Themen, die ihr tiefstes
emotionales Empfinden betreffen.
Die Frage nach den Typen von Handlungsmaterialien, die von den Kindern bevorzugt werden,
läßt sich eindeutig beantworten: in 12 von 15 Sitzungen haben die Kinder sich für konkrete
Materialien entschieden (vgl. G.*2). Nur in wenigen Fällen wurden Bücher und Karteien
durchgeblättert oder gelesen. Der Inhalt der Kartons schien ihre Neugier geweckt und zur
Beschäftigung damit herausgefordert zu haben. Es ließe sich folglich die Annahme bestätigen,
daß „lernschwache“ Kinder sich selbst eher auf der handelnden Ebene Zugang zu
Unterrichtsinhalten suchen als auf der kognitiven Ebene.
Unter anderem haben anscheinend solche Materialien, die einen kreativen Auftrag beinhalten,
den Kindern viel Freude gemacht und sie zu ausdauerndem und aktivem Handeln verleitet.
Als Beispiele lassen sich das Herstellen eines Freundschaftsbandes (Protokoll 3 und 4), das
Basteln der Seerose für ein Experiment (Protokoll 4) und das Erfinden einer eigenen
Geschichte über Drachentränen (Protokoll 8) anführen. Aber auch Spiele, die Elemente aus
dem Leben der Kinder integrieren (z.B. Fernsehfamilien/Protokoll 14), oder die einen
Wettkampfcharakter haben (z.B. Steine mit Wasser bespritzen/Protokoll 5; Memory/Protokoll
14) scheinen anregenden Charakters zu sein.
Dennoch haben die Kinder sich hauptsächlich für experimentelle Handlungsmaterialien
entschieden.
Sehr
bemerkenswert
war,
mit
wieviel
Vorsicht
und
Sorgfalt
die
Kinder
die
Handlungsmaterialien behandelt haben. Sie haben den Materialien große Wertschätzung
entgegengebracht, was sich m.E. auf deren ästhetische und aufwendige Gestaltung
zurückführen läßt. Gerade im Umgang mit „lernschwachen“ Kindern ist es sehr wichtig, ihnen
zu zeigen, daß man sich als LehrerIn Mühe für sie gemacht hat. Damit wird wiederum den
Kindern Wertschätzung und Respekt entgegengebracht, und sie können sich angenommen und
sicher fühlen.
Im Bereich Anforderungscharakter der Materialien läßt sich ein eindeutiges Problem
ausmachen: die Handlungsanweisungen. Wie in G.*3 ersichtlich, erweist es sich als schwierig
für die Kinder, die Handlungsanweisungen zu erlesen, zu verstehen und in Handlung
umzusetzen. Die Probleme beim Erlesen lassen sich dahingehend interpretieren, daß die Texte
zu anspruchsvoll sind (vgl. Protokoll 2,3,9,10,12) und zu schwierige Wörter (z.B. Piano,
Platzregen, Stammbaum usw.) enthalten.
Häufig sind die Texte sehr lang, mit vielen sehr expliziten und komplizierten Erklärungen,
was die Kinder zu oberflächlichem Überlesen des Textes veranlaßt. Dies führt dazu, daß
Handlungsaufträge nur teilweise verstanden werden. Die Kinder können zwar meistens mit
der Arbeit beginnen, wissen aber an einem bestimmten Punkt einfach nicht mehr weiter (vgl.
Protokoll 6,8,12,15). Hier mußte dann stets die Lehrerin eingreifen und zu einem erneuten
Lesen der Handlungsanweisung und zum Überdenken der einzelnen Handlungsschritte
auffordern.
Wenn Texte zu lang gehalten sind, kann es von vornherein zu einer Entmutigung
„leseschwacher“ Kinder führen, überhaupt erst mit dem Lesen zu beginnen.
Die
zum
Teil
sehr
unübersichtliche
Gestaltung
(zu
wenig
Gliederung)
der
Handlungsanweisungen läßt die einzelnen Handlungsschritte für die Kinder nicht deutlich
ersichtlich werden. Die Handlungsanweisungen beim Thema Wärme sind zudem wenig
kontrastreich (schwarze Schrift auf dunkelrotem Untergrund), was das Lesen zusätzlich
*
G. = Graph (in Form des Säulendiagramms) aus 8.1
erschwert. Als Folge dessen hat sich ergeben, daß die Lehrerin den Kindern die
Handlungsanweisungen oft erklären, einzelne Handlungsschritte deutlich machen oder
Impulse zum Weiterarbeiten geben mußte. Die eigentliche Bewältigung der Aufgabe war dann
meistens weniger problematisch.
Zudem scheint es, als bedürfen die Kinder einer gewissen Gewöhnung an die
Handlungsanweisungen. Zuerst waren diese neu und ungewohnt, aber im Verlauf der Arbeit
scheinen die Kinder ihre Bedeutung schätzen gelernt zu haben (vgl. Protokoll 6).
Allerdings ließ sich bei den Kindern eher die Tendenz zum „Draufloshandeln” als zum
geplanten Vorgehen erkennen (vgl. G.*3). Die Materialien fordern den Kindern hohe
Kompetenz in Bezug auf Planung, reflexives, schrittweises Vorgehen und vorausschauendes
Arbeiten ab. Das Problem liegt meiner Meinung nach darin, daß diese Kompetenzen, die in
den Bereich des Lernen lernens fallen, scheinbar bisher wenig geübt worden sind. Sie bilden
aber eine wichtige Voraussetzung für handlungsorientiertes Arbeiten.
Bei den Problemen mit den Handlungsanweisungen hat sich gezeigt, daß das Material große
Flexibilität aufweist. Die Kinder haben die Materialien zum Teil ihren eigenen Ideen
angepaßt, wenn sie die Handlungsanweisung nicht lesen konnten oder wollten (vgl.
Armbänder/Protokoll 3; Wärme-Experiment/Protokoll 10). Die Kinder sind auch dann zu
bemerkenswerten Ergebnissen gelangt. Dies zeigt, daß die Arbeit mit den Materialien
manchmal durch die sehr speziellen Handlungsanweisungen eingeschränkt wird. Es bedarf
nicht bei allen Handlungsmaterialien so expliziter Ausführungen, die die einzelnen
Handlungsschritte bis ins kleinste Detail erklären (vgl. z.B. Wärme). Die Kinder sind häufig
auch in der Lage, mit weniger vorbereiteten und erklärten Materialien eigene Versuche und
Aufgaben durchzuführen.
.
Dies zeigt, daß die Kinder durchaus bemüht waren, selbständig Lösungswege zu finden. Wie
auch in G.*4.1 dargestellt, ist das Bemühen um selbständiges Arbeiten durchaus erkennbar,
wenn auch noch nicht sehr stark ausgeprägt Es läßt sich annehmen, daß die Kinder bisher
wahrscheinlich noch nicht sehr häufig selbständig lernen mußten, so daß sie wenig Erfahrung
mit Problemlösestrategien haben. Zudem wurde ihre Selbständigkeit durch die Probleme mit
den Handlungsanweisungen eingeschränkt.
*
G. = Graph aus 8.1
Dennoch waren die Kinder sehr in ihre Aufgaben vertieft und zeigten stets das Bemühen, sie
zu Ende zu führen.
Die Kinder haben sich während des Arbeitens häufig mit Fragen an die Lehrerin gewandt, was
sich so interpretieren ließe, daß sie sehr stark einer Bezugsperson bedürfen, die ihnen
Sicherheit und Bestätigung gibt. Es läßt sich vermuten, daß sie aufgrund dessen auch eher die
erwachsene Person als die anderen MitschülerInnen angesprochen haben (vgl. G* 4.1).
Andererseits könnte es aber auch als Gewohnheit gedeutet werden, da die LehrerIn im
herkömmlichen Unterrichtsgeschehen oft als einzige AnsprechpartnerIn gilt.
Es hat sich gezeigt, daß die Kinder von sich aus überwiegend in Gruppen zusammenarbeiten.
Nur in wenigen Fällen wurde in Einzelarbeit gearbeitet, sonst haben meist Partner
zusammengefunden, die sich gemeinsam einem Material gewidmet haben (vgl. G.*4.1). Auch
hier scheint es, daß die Kinder eine Bezugsperson suchen. Gerade für „lernschwache“ Kinder
werden so Möglichkeiten eröffnet, sich in das Handlungsgeschehen zu integrieren. Die Kinder
können sich gegenseitig ergänzen und jeder kann seine speziellen Fähigkeiten und sein
Wissen einbringen. Diese gemeinsamen Lernprozesse fördern die Kommunikation der Kinder
untereinander und das soziale Miteinander.
Durch Aufgabenteilung wie z.B. in Protokoll 6 (einer liest die Handlungsanweisung vor, der
andere baut den Versuch auf) wird das Arbeiten ökonomischer und planvoller, und die
Anforderungen an den Einzelnen verringern sich.
Auch wenn ein Kind sich nicht für ein Material entscheiden kann oder will, kann es trotzdem
durch „Hilfsarbeiten” (z.B. Wasser holen, Zeitungen auslegen/vgl. Protokoll 1)
in die sozialen Prozesse eingebunden werden. So wird kein Lernen erzwungen und dennoch
nimmt die SchülerIn durch Beobachten und Helfen indirekt an den Lernprozessen der anderen
Kinder teil. Für Kinder, die sich aufgrund momentaner psychischer Probleme, z.B. Kummer
oder häuslichen Krisen, nicht gut auf den Unterricht konzentrieren können, entsteht so die
Möglichkeit sich zurückzuziehen, ohne sofort als „Lernverweigerer” abgestempelt zu werden.
Im Bereich Ergebnissicherung/Qualifikation zeigt sich, daß das gemeinsame Gespräch zur
Auswertung der Ergebnisse elementar wichtig ist. Die Kinder bewerten ihre Ergebnisse zwar
und sind auch häufig zufrieden und stolz (vgl. G.*5), was sich insbesondere bei den
Experimenten beobachten ließ. Dennoch bedurfte es immer wieder Nachfragen der Lehrerin,
damit die Kinder auch einzelne Handlungsschritte erklären und bewerten. Durch die Fragen
*
G. = Graph aus 8.1
der Lehrerin und kleine Denkanstöße konnten die Kinder das Beobachtete beschreiben und
zum größten Teil auch erklären. Dennoch scheint es, als wären viele interessante Ergebnisse
ohne eine Gesprächsrunde unter Anleitung der Lehrerin verpufft. Ich würde dies aber auch
wieder auf die gering ausgebildete Kompetenz der Kinder, selbständig zu arbeiten,
zurückführen. Wenn sie des öfteren handlungsorientiert arbeiten würden, würden sie lernen,
ihre eigenen Handlungen zu reflektieren, zu bewerten und die Ergebnisse zu interpretieren.
8.3 Zusammenfassung
Die
Beobachtung
„lernschwacher“
Kinder
in
Auseinandersetzung
mit
den
Handlungsmaterialien der RÖSA kommt zu folgenden Ergebnissen:
Die Materialien haben einen hohen Motivations- und Aufforderungscharakter für die Kinder.
Die Protokolle und die Beobachtungskriterien lassen sich dahingehend interpretieren, daß die
Materialien geeignet sind, die Neugier der Kinder und die Lust zur handelnden
Auseinandersetzung zu wecken. Dies sind elementar wichtige Lernvoraussetzungen,
insbesondere bei „lernschwachen“ oder sogenannten lernbehinderten Kindern, da sie oft
aufgrund von Mißerfolgserlebnissen die Lust an Schule und Unterricht verloren haben.
Als besonders attraktiv und anregend haben sich die Experimente der naturwissenschaftlichen
Themen erwiesen. Die Kinder haben hier deutlich ausdauernder und intensiver gearbeitet als
mit den Handlungsmaterialien der sozialwissenschaftlichen Themen. Es ließe sich demzufolge
annehmen, daß das verändernde Handeln mit beobachtbaren Ergebnissen bei den
Experimenten den Bedürfnissen der „lernschwachen“ Kindern eher entgegenkommt als die
doch mehr kognitiven Zugänge der sozialwissenschaftlichen Materialien. In dem
Zusammenhang spricht auch das Ergebnis im Bezug auf die Typen von Handlungsmaterialien,
die die Kinder gewählt haben, für sich: in 86% (12 von 15) der Fälle entschieden sie sich für
konkrete Handlungsmaterialien. Bücher oder Karteien wurden höchst selten zur Hand
genommen.
Als
Problem
haben
sich
in
der
Erprobung mit
„lernschwachen“ Kindern die
Handlungsanweisungen herausgestellt. Die Anforderungen der Texte an die Lesefähigkeiten
im sinnentnehmenden Lesen und das Umsetzen in Handlung sind eindeutig zu hoch.
Viele Texte der Handlungsanweisungen sind zu lang, enthalten sehr komplizierte Wörter und
Erklärungen und machen die einzelnen Handlungsschritte nicht eindeutig sichtbar.
Das Eingreifen der Lehrerin war häufig unerläßlich. Folglich hatten die Probleme mit den
Handlungsanweisungen Auswirkungen auf die Eigenständigkeit der Kinder. Sie haben
versucht, selbst Lösungswege zu finden, benötigten aber des öfteren Tips und Denkanstöße
durch die Lehrerin.
Die Kinder haben fast immer in Gruppen- oder Partnerarbeit zusammengearbeitet, was ich
dahingehend deute, daß sie stets einer Bezugsperson bedürfen. Diese Bezugsperson kann eine
LehrerIn, aber auch andere MitschülerInnen sein. Es scheint, als suchten sie damit Sicherheit
und Unterstützung für ihre Aufgaben.
Das gemeinsame Arbeiten fördert zudem Kommunikationsprozesse und das soziale
Miteinander in der Gruppe.
Des weiteren hat sich herausgestellt, daß die Ergebnissicherung in Form von Gesprächsrunden
extrem wichtig ist. Die Kinder müssen durch Fragen und Denkanstöße der LehrerIn, ihre
Handlungen reflektieren und die Ergebnisse interpretieren, damit diese nicht untergehen.
Es läßt sich folglich feststellen, daß die Handlungsmaterialien der RÖSA den Bedürfnissen
„lernschwacher“ Kinder sehr entgegenkommen. Dennoch bedarf es einiger Veränderungen,
damit selbständiges Arbeiten besser gewährleistet werden kann und den besonderen
Bedürfnissen noch stärker Rechnung getragen wird.
Die Konsequenzen, die ich aus den Ergebnissen und der Interpretation für eine Verbesserung
gemäß der besonderen Bedürfnislage ziehe, werden in Kapitel 9 dargestellt.
9 KONSEQUENZEN:
IDEEN ZUR WEITERENTWICKLUNG DER RÖSA UNTER
BERÜCKSICHTIGUNG BESONDERER LERNBEDÜRFNISSE
Die Erprobung des RÖSA-Materials mit „lernschwachen“ Kindern hat gezeigt, daß es ihren
(Lern-)Bedürfnissen grundsätzlich sehr entgegenkommt. Aufgrund folgender Eigenschaften
scheint das Material für den gemeinsamen Unterricht aller Kinder (auch für die besonderen
Bedürfnisse einiger) besonders gut geeignet zu sein:
 es ermöglicht individuelle Lernwege durch vieldimensionale Zugangsweisen zum Thema
 es hat einen hohen Motivations- und Attraktionscharakter, fördert also intrinsisch
motivierte Lernprozesse
 es ermöglicht den Kindern eine handelnde Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen,
wie es der Entwicklungsstufe der Kinder gemäß PIAGET entspricht,
 es fördert soziale und kommunikative Prozesse
 die Kinder können durch Ausprobieren, Entdecken und Beobachten Phänomene erklären
und verstehen
 es ist offen für die Ideen der Kinder und läßt Freiraum für Kreativität
 die Kinder können sich entsprechend ihrer momentanen emotionalen Lage, ihrer
Fähigkeiten und ihrem Interesse mehr oder weniger einbringen, ohne zum Außenseiter zu
werden.
Dennoch gibt es Aspekte, die zu optimieren sind, damit das selbständige Lernen der Kinder
besser gewährleistet werden kann. Die Ideen, die ich diesbezüglich entwickelt habe, beziehen
sich zum einen direkt auf die Materialien, zum anderen stellen sie eine Erweiterung des
methodischen Konzepts dar. Sie sollen als Anregungen und Vorschläge für das RÖSA-Team
und die LehrerInnen, die die Kisten im Unterricht einsetzen, verstanden werden.
9.1 Vorschläge zur Änderung des Materials
Der erste Vorschlag zur Änderung des Materials bezieht sich auf die Handlungsanweisungen,
weil diese sich während der Erprobung als problematisch erwiesen haben. Da die Kinder
durch die Texte oft überfordert waren, bedarf es hier einer Änderung, die stärker auf die
individuellen Lese- und Verstehensfähigkeiten der Kinder Rücksicht nimmt.
Da es beinahe unmöglich ist, mit nur einer Handlungsanweisung den Bedürfnissen aller
Kinder aus vier Altersjahrgängen gerecht zu werden, schlage ich vor, den Materialien nicht,
wie bisher üblich, von vornherein eine spezifische Handlungsanweisung zuzufügen.
Ich finde es statt dessen sinnvoller, für jedes Thema eine „Material-Kartei“ anzufertigen.
Diese soll
allein
für die LehrerIn gedacht sein und eine Beschreibung aller
Handlungsmaterialien der jeweiligen Themenkiste enthalten.
Hier findet die LehrerIn eine Erklärung zum Sinn, Ablauf und Ziel der einzelnen Materialien,
aber z.B. auch Zeichnungen zum Versuchsaufbau einzelner Experimente usw. Des weiteren
wird eine Handlungsanweisung als Beispiel gegeben, die Gestaltungsmöglichkeiten zum
Verdeutlichen
einzelner
Handlungsschritte,
Piktogramme,
farbige
Hervorhebungen,
Schriftgrößen u.v.m. aufzeigt .
Die LehrerInnen müssen die Handlungsanweisungen selbst formulieren und können sie
folglich genau auf die besonderen Bedürfnisse ihrer SchülerInnen abstimmen. Für stark
heterogene Lerngruppen ergibt sich so die Möglichkeit, daß jedes Kind eine eigene, seinen
Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechende Handlungsanweisung bekommt.
Die LehrerInnen sollten jedoch darauf achten, daß die Handlungsanweisungen den Kindern
zunächst „einen Überblick über die Ziele der Handlung, die Handlungsbedingungen, die
Struktur des Lernobjekts und die möglichen Verfahren zur Analyse und Aneignung geben.
Gerade für leistungsschwache Schüler/innen ist die Wichtigkeit dieser Orientierungsgrundlage
nachgewiesen. Sie ist Voraussetzung dafür, daß Lernende sich den Lerngegenstand möglichst
selbständig und umfassend aneignen können, und ist gleichsam ein Modell der Handlung.“
(GUDJONS 1994, 40). Ich stelle mir diesen Überblick nicht als lange Erklärung vor. Er soll
lediglich einen Satz z.B. über das Ziel des Experiments und die dazu benötigten Hilfsmittel
enthalten. So können die Kinder besser zielgerichtet handeln und beobachten.
Jede LehrerIn wird dazu aufgefordert, die von ihr entworfenen Handlungsanweisungen der
„Material-Kartei“ hinzuzufügen, so daß sich eine breitgefächerte Sammlung ergibt.
Die gesammelten Handlungsanweisungen können auf der RÖSA-Website in der virtuellen
Sachunterrichtslernwerkstatt unter www.roesa.de veröffentlicht und ständig erneuert werden,
damit die LehrerInnen zusätzliche Anregungen und Ideen für die Gestaltung ihrer
Handlungsanleitungen erhalten.
Zusätzlich könnte der „Material-Kartei“ auch eine Materialliste (vgl. Praxisbücher I-III)
hinzugefügt werden. Dann können die LehrerInnen die Materialien selbst nachbauen und diese
somit besser den motorischen und visuellen Bedürfnissen der Kinder anpassen.
Die Idee der „Material-Kartei“ hilft m.E., Über- und Unterforderung zu vermeiden und fördert
damit das selbständige Lernen der Kinder.
Zudem bewirkt sie, daß die LehrerInnen sich sehr intensiv über die Bedürfnisse der einzelnen
Kinder Gedanken machen müssen und das Individuum noch stärker in den Mittelpunkt
gerückt wird.
Ein zweiter Vorschlag bezüglich des Materials geschieht in Anlehnung an die Forderung
DEWEYS, daß „die erste Berührung ... mit jeder Art von neuem Stoff ... bei jedem
menschlichen Reifegrad immer und unvermeidlich ein blindes Herumprobieren, ein
`Versuchen auf gut Glück` sein muß. Ein Individuum muß - spielend oder arbeitend tatsächlich versuchen, seinen eigenen Betätigungstrieben folgend mit einem gegebenen Stoff
etwas zu tun, und muß dabei die Wechselwirkung zwischen seinen Kräften und dem Stoffe
beobachten.“ (DEWEY 1964, 205).
Meine Idee diesbezüglich bezieht sich auf die Beobachtung, daß die Materialien oft sehr
spezielle Handlungsweisen fordern und durch die Handlungsanweisung eingeschränkt benutzt
werden.
Es
könnten
als
Konsequenz
dessen,
einige
weniger
vorbereitete
Handlungsmaterialien, ohne Handlungsanweisungen, die die Phantasie der Kinder anregen
und sie zu eigenem Probieren und Experimentieren herausfordern, in die Kisten integriert
werden. Den Inhalt dieser Materialien stelle ich mir als „Bausteine“ vor, die sich in
irgendeiner Form sinnvoll, z.B. zu einem Experiment, einer kreativen Arbeit oder einem Spiel
verbinden lassen. Das „Wie“ bleibt dabei ganz den Kindern überlassen. Die Kinder können
sich so erst einmal ganz persönlich Zugang zum Thema suchen und vielleicht Fragen und
Ideen entwickeln, denen sie im weiteren Unterrichtsverlauf gern nachgehen möchten.
9.2 Vorschlag zur Erweiterung des Konzepts
In der Untersuchung hat sich gezeigt, daß die Kinder sehr selten allein gearbeitet haben,
sondern meist die Zusammenarbeit mit einer PartnerIn oder in einer Gruppe gesucht haben.
Dies ließ sich dahingehend interpretieren, daß bei ihnen stark das Bedürfnis nach
Beziehungen zu anderen Personen vorhanden ist. Bei GUDJONS findet sich diese Annahme
bestätigt:
„Schüler/innen versuchen darum heute weniger in der Aneignung von Kompetenzen
(`Lernen`) als vielmehr über die Beziehungsebene ihre `Bedeutung` zu finden. In der Schule
werden befriedigende Beziehungen gleichsam als Schutzmantel um Arbeits- und Lernprozesse
gelegt. Oft wird Arbeitsfähigkeit gekoppelt daran, daß sich die Schüler/innen in ihrem
Beziehungsgefüge
zufrieden
fühlen
können.
Nähe
und
Betroffenheit
werden
zu
Voraussetzungen für jede echte Anstrengung in der Schule.“ (GUDJONS 1994, 20).
Als Konsequenz daraus schlage ich vor, daß als Voraussetzung für den handlungsorientierten
Sachunterricht mit RÖSA-Materialien feststehende Lernpartnerschaften gebildet werden.
Die Paare sollen sich nicht beliebig zusammenfinden, sondern es wird die Aufgabe der
LehrerIn sein, die Paarbildung vorzunehmen. Dies erfordert sehr viel Einfühlungsvermögen
und genaue Kenntnis der einzelnen Kinder, ihrer Fähigkeiten, ihrer individuellen Bedürfnisse
und ihrer Vorlieben und Abneigungen gegenüber den MitschülerInnen.
Dabei wird es sehr wichtig zu bedenken sein, daß die Kompetenzen der Kinder, die ein Paar
bilden, nicht völlig unterschiedlich sein sollten, aber auch nicht zu ähnlich in den gleichen
Bereichen.
Sinn und Zweck der Lernpartnerschaften soll es sein, daß die Kinder sich gegenseitig
unterstützen, ergänzen und bereichern. Dazu muß jedes Kind die Möglichkeit haben, seine
individuellen Fähigkeiten einzubringen, damit sie voneinander lernen können.
Die Lernpartnerschaften bedeuten Sicherheit und Nähe für die Kinder. „Lernschwache“
Kinder erhalten in dieser Weise Unterstützung und Anregungen, ohne daß sie es als besondere
Fördermaßnahme auffassen müssen, was ihrem Selbstbewußtsein zugute kommt. Außerdem
fördern die Lernpartnerschaften kommunikative und soziale Prozesse in der Klasse.
Der Vorschlag zur Bildung von Lernpartnerschaften (evaluation) ist in Anlehnung an
BECK/GULDIMANN/ZUTAVERN entstanden, die die Lernpartnerschaften als ein
Instrument zur Förderung metakognitiver Kompetenzen erprobt haben (vgl. ebd., 31).
In der Evaluation hat sich gezeigt, daß die Kinder ihre eigenen Lernwege selten reflektieren
und sich derer nicht bewußt sind. Die „metakognitive Kompetenz“, die sich dadurch
auszeichnet, daß „die Aufmerksamkeit des Lernenden ... nicht nur auf das Was, also auf die
zu lösende Aufgabe, ausgerichtet ist, sondern immer auch auf das Wie, also auf die
Strategien des Lernens und sich selbst“ (ebd., 18), ist eine wichtige Voraussetzung für
eigenständiges Lernen.
Ich schlage als Konsequenz daraus vor, auch die anderen, „die Metakognition anregenden
Instrumente“, die BECK/GULDIMANN/ZUTAVERN entwickelt haben, in die Arbeit mit
dem RÖSA-Konzept zu integrieren (vgl. ebd., 18).
Exkurs: Metakognition
„Metakognition hat - vorsichtig formuliert - mit dem Wissen und der Kontrolle über das eigene
kognitive System zu tun.“ (BECK/GULDIMAN/ZUTAVERN 1995, 16 zit. nach BROWN).
Metakognition beschäftigt sich auf besondere Art und Weise mit dem „Repertoire“ lernender, d.h.
kognitiv tätiger, Individuen:
 Unter dem personalen Aspekt (knowledge and control of self) beschreibt die Metakognition das
Wissen und die Kontrolle des Lernenden über sich selbst. Dieser Aspekt bezieht sich hauptsächlich
auf die Lernbereitschaft, die Intensität des Arbeitens sowie den Willen und die Einstellung gegenüber
Lernen. Es geht hier folglich um die kognitive, emotionale und motivationale Verfassung der Person.
 Die Metakognition beschreibt unter dem Aspekt der Lernprozesse (knowledge and control of
process) das Wissen und die Kontrolle über spezifisches „Sach- und Faktenwissen“, über
Vorgehensweisen in Situationen, die kognitive Anforderungen stellen (Prozeßwissen) und über die
Anwendungsbedingungen solcher Vorgehensweisen (Bedingungswissen, Strategiewissen).
Die Metakognition dient folglich der Förderung individueller Lernprozesse, indem sie die
Lernprozesse und Vorgehensweisen überwacht, stützt und steuert (vgl. BECK/GULDIMAN/
ZUTAVERN 1995, 17 f).
Die Autoren intendieren, durch Einführen der folgenden Instrumente in das normale
Unterrichtsgeschehen, daß die Kinder Arbeits- und Lernstrategien entwickeln und sich ihrer
eigenen Lernprozesse bewußt werden (vgl. ebd., 28).
 Ausführungsmodell (modeling): die LehrerIn oder eine SchülerIn demonstriert laut
denkend, wie sie eine kognitive Aufgabe löst. Die anderen SchülerInnen beobachten dies
Ausführungsmodell und versuchen die angewandten Strategien auf ihr eigenes Lernen zu
übertragen. Dabei geht es nicht um Imitieren einer Vorgehensweise, sondern um „selektive
Erweiterung oder Differenzierung des eigenen Strategierepertoires“ (vgl. ebd., 28).
Diese Art der Vorführung, kann während des Unterrichtsgeschehens immer wieder
eingeschoben werden. Kinder, die ein Experiment durchgeführt oder eine Strategie für ein
Spiel entwickelt haben, können diese den MitschülerInnen vorführen. So werden Wege zur
Handlungsplanung und Durchführung gezeigt, die die Kinder auf die Bearbeitung anderer
Handlungsmaterialien übertragen können.
 Arbeitsheft (monitoring): Jedes Kind besitzt ein Arbeitsheft, in dem es Erfahrungen,
Probleme und Fragen, die es bei seinem eigenen Handeln beobachtet, notiert. So entsteht
eine fortlaufende Dokumentation seiner Lernerfahrungen (vgl. ebd., 29).
Auf diese Weise ergibt sich für die Kinder die Möglichkeit zu sehen, ob ihnen eine bestimmte
Art von Handlungsmaterial besonders gut liegt und über welche Arbeitsweise sie Zugang zum
Thema bekommen. Außerdem können sie so selbst feststellen, wo ihre Probleme beim Lernen
liegen.
 Arbeitsrückschau in Lernheften (reflection): Nach längeren Arbeitsphasen oder nach
Abschluß eines Kistenthemas werden die Kinder dazu animiert, Arbeitsrückschau zu
halten. In der Reflexion sollen sie feststellen, was sie gelernt haben und dies im Lernheft
dokumentieren (vgl. ebd., 30).
Diese Rückschau dient zum einen dazu, daß die Kinder eigene Lernstrategien entdecken. Zum
anderen sind die Lernhefte ein wichtiger Beitrag zu selbständigen Ergebnissicherung durch
die Kinder. In meiner Erprobung hatte sich die Ergebnissicherung häufig auf Fragen der
Lehrerin in einer kleinen Gesprächsrunde konzentriert. So aber leisten die Kinder schon eine
wichtige Vorarbeit für anschließende Diskussionsrunden.
 Klassenkonferenz (conferencing): Arbeits- und Lernerfahrungen werden in einer
Klassenkonferenz ausgetauscht, wo auch Ergebnisse der Arbeits- und Lernhefte diskutiert
werden (vgl. ebd., 33).
Diese Form der Ergebnissicherung ist bereits ein wichtiger Bestandteil des RÖSA-Konzepts
(vgl. Kapitel 6). Ich halte es aber für wichtig, die elementare Bedeutsamkeit der gemeinsamen
Diskussion und Darstellung der Ergebnisse im Anschluß an eine Schulstunde oder zum
Abschluß eines Kistenthemas noch einmal zu betonen.
Diese fünf Instrumente lassen sich m.E. gut in die Arbeit mit den RÖSA-Materialien im
handlungsorientierten Unterricht integrieren. Sie leisten einen großen Beitrag zur Entwicklung
metakognitiver Kompetenz und zum Lernen des Lernens, das für das selbständige Arbeiten
der Kinder sehr wichtig ist. Zudem helfen sie bei der Sicherung von Ergebnissen.
9.3 Zusammenfassung
Das RÖSA-Konzept hat sich in der Erprobung für den Unterricht mit „lernschwachen“
Kindern als sehr gut geeignet erwiesen. Dennoch ergeben sich Problembereiche, die durch
folgende Vorschläge verbessert werden können:
Den Materialien werden keine Handlungsanweisungen mehr zugefügt. Statt dessen wird eine
„Material-Kartei“ entwickelt, die den LehrerInnen Erklärungen über die Handlungsmaterialien
liefert,
woraufhin
sie
selber,
gemäß
den
Bedürfnissen
ihrer
SchülerInnen,
Handlungsanweisungen formulieren. So werden Über- und Unterforderung vermieden und
selbständiges Arbeiten gefördert.
Des weiteren werden einige Materialien sehr wenig vorbereitet sein und es werden keine
Handlungsanweisungen beigefügt. Die Kinder sollen so zu eigenem, phantasievollen Handeln
herausgefordert werden.
Um den Bedürfnissen der Kinder nach Nähe und Beziehung gerecht zu werden, lernen sie in
festen Lernpartnerschaften. Sie können sich so gegenseitig ergänzen und helfen, außerdem
werden soziale und kommunikative Prozesse gefördert.
Zur Entwicklung metakognitiver Kompetenz, könnten auch die anderen, bei BECK/
GULDIMANN/ZUTAVERN vorgeschlagenen Instrumente (Ausführungsmodell, Arbeitsheft,
Arbeitsrückschau im Lernheft, Klassenkonferenz) in den Unterricht mit dem RÖSA-Konzept
integriert werden. Das Wissen über die eigenen Lernwege stellt eine wichtige Voraussetzung
für eigenständiges Lernen gemäß dem RÖSA-Konzept dar.
Diese Mittel würden zusätzlich einen wichtigen Beitrag zur Ergebnissicherung leisten.
10 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Das Konzept der Regional Ökologischen Sachunterrichtssammlung ermöglicht den
SchülerInnen „intelligentes Verhalten“ gemäß der Definition von PIAGET, wie in Kapitel 2
dargestellt. Akkomodation und Assimilation, Begriffe, die PIAGET in diesem Zusammenhang
geprägt hat, können durch Lebensweltbezug, sinnlich erfahrbare und vieldimensionale
Herangehensweise an Unterrichtsinhalte in ein Gleichgewicht gebracht werden.
PIAGETS Untersuchung und Einteilung der Entwicklungsstufen des Lernens zeigte, daß der
Phase des operatorischen Denkens bezüglich der Themenstellung dieser Arbeit besondere
Bedeutung zukam.
Im daran anschließenden Kapitel wurde die Individualität des Lernens betont: Lernen wurde
als individuelle Eigenschaft dargestellt. Es zeigte sich, daß keine „Lerntypen“ definiert
werden können, da Menschen in ihrem Lernverhalten heterogen sind.
Trotz der Verschiedenheit, sind allgemein gültige Tendenzen zu erkennen: Lernen ist immer
selbstgesteuert und intrinsisch motiviert. Erst durch Eigenaktivität eignet sich das Kind
Wissen über die Wirkungszusammenhänge seiner Umwelt an. Dabei formt sich seine
Persönlichkeit und seine individuelle Sicht der Dinge wird geprägt. Diesen Erkenntnissen
können sich auch Schule und Unterricht nicht verschließen.
Wenn aber das Lernen grundsätzlich ein individueller Prozeß ist, warum werden dann manche
Menschen als „lernbehindert“ bezeichnet? Diese Frage lag dem 4. Kapitel zugrunde.
Sie führte zu einer Erörterung darüber, ob tatsächlich von „Lernbehinderungen“ der Kinder
gesprochen werden kann oder ob diese Kinder lediglich besondere Bedürfnisse haben, die von
ihrer Umwelt nicht beachtet und sie dadurch am Lernen gehindert werden. Es stellte sich
heraus, daß der Begriff „Lernbehinderung“ lediglich eine schulorganisatorische Größe ist,
aber kein Ausdruck, der angemessen die Probleme der Kinder erfaßt. Der Begriff
„Lernbehinderung“ suggeriert, daß das Problem als Defizit im Kind selbst ausgemacht werden
kann. Er beachtet nicht, daß häufig die Umwelt die Kinder am Lernen hindert, was die
Betonung ihrer besonderen (Lern-)Bedürfnisse erforderlich macht.
Da auch die Schule in der Umwelt des Kindes häufig einen behindernden Faktor darstellt,
wurde das Konzept der Regional Ökologischen Sachunterrichtssammlung als alternatives
Unterrichtskonzept vorgestellt.
Es wurde im folgenden untersucht, ob und inwieweit die RÖSA den besonderen Bedürfnissen
der als „lernschwach“ bezeichneten Kinder Rechnung trägt.
Bei der Evaluation des Konzepts, die unter der in Kapitel 7 detailliert dargestellten
forschungsmethodischen Konzeption durchgeführt wurde, stellte sich folgendes heraus:
Der hohe Aufforderungscharakter der Materialien führt zu einer intrinsisch motivierten,
handelnden Auseinandersetzung der Kinder mit dem Lerngegenstand. Es wurden überwiegend
konkrete Handlungsmaterialien gewählt, statt eine kognitiven Zugang zum Thema zu suchen.
Es zeigte sich, daß insbesondere die Experimente das Interesse der Kinder auf sich ziehen und
über längere Zeit aufrecht erhalten.
Die Handlungsanweisungen erwiesen sich in diesem Zusammenhang als problematisch. Um
sie den besonderen Bedürfnissen der Kinder anzupassen, wurde im 9. Kapitel als Konsequenz
der Vorschlag zum Erstellen einer „Material-Kartei“ entwickelt.
Des weiteren wurde angeregt, daß den Kindern durch das Hinzufügen einiger weniger
vorbereitete Materialien ein erster individueller Zugang zum Thema ermöglicht werden
könnte.
Zudem stellte sich heraus, daß die Kinder beim Arbeiten die Beziehung zu einem Partner
suchten. Es wurde folglich für sinnvoll erachtet, grundsätzlich Lernpartnerschaften in
Anlehnung an BECK/GULDIMANN/ZUTAVERN in den Unterricht gemäß des Konzepts der
RÖSA einzuführen. Als Möglichkeit zur Unterstützung selbständigen und reflektierten
Arbeitens, wurden auch die weiteren Instrumente zur Förderung metakognitiver Bewußtheit,
die die Autoren beschreiben, dargestellt.
Als Konsequenz aus dieser Arbeit ergibt sich, daß die RÖSA sich als Konzept für die
Bedürfnisse aller Kinder eignet. Sie ist nicht ein Konzept der Grundschule oder der
Sonderschule, sonder ein Konzept der Schule allgemein.
Sie ist in der Lage, Problemen, die sich im Unterricht der Grundschule üblicherweise ergeben,
entgegenzuwirken und so, den stigmatisierenden Prozeß der Überweisung zur Schule für
Lernhilfe zu verhindern.
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