Diagnosekriterien für das Asthma bronchiale bei Vorschulkindern

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Diagnosekriterien für das Asthma bronchiale bei Vorschulkindern
A. van Egmond-Fröhlich1, R. Szczepanski, D. Stein. 1Kinder-Reha-Klinik Bad Kösen
Einleitung
Heterogenität der bronchialen Obstruktion bei Kindern vor dem Schulalter
Für obstruktive Atemwegserkrankungen, die in den ersten Lebensjahren mit rezidivierenden
obstruktiven Symptomen (Giemen und / oder Kurzatmigkeit) im Rahmen von viralen respiratorischen Infekten manifestieren, werden die unterschiedlichsten Begriffe wie obstruktive Bronchitis, spastische Bronchitis, asthmoide Bronchitis, beginnendes Asthma bronchiale verwendet.
Seit den prospektiven Verlaufsstudien zu obstruktiven Beschwerden bei Kindern bis zu 6 Jahren
von Sporik et al [1] und Martinez et al [2] ist wissenschaftlich erwiesen, dass episodische
Bronchialobstruktionen bei Vorschulkindern auf unterschiedlichen Entitäten, dem persistierenden
Asthma bronchiale und der transienten rezidivierenden obstruktive Bronchitis (TROB) beruhen.
Leider ist kein einzelnes differentialdiagnostisches Kriterium ausreichend sensitiv und spezifisch
um ein Asthma zu diagnostizieren oder auszuschließen.
In den Empfehlungen zur Asthmatherapie der Deutschen Atemwegsliga in der Deutschen
Gesellschaft für Pneumologie wird das differentialdiagnostische Problem zwar anerkannt,
Kriterien außer den Begriffen Atopie und Krankheitsverlauf aber nicht benannt[4]. Auch die
internationalen Guidelines for the Diagnosis and Management of Asthma geben keinen weiteren
Aufschluss.
Die Meinungen, welche Kriterien mit welchem Algorithmus ein Asthma konstatieren, differiert
entsprechend deutlich von Arzt zu Arzt [3].
Bedeutung der Differentialdiagnose:
Therapeutische Konsequenzen der frühzeitigen Asthmadiagnose:
 Maßnahmen zur Allergenkarenz (Hausstaubmilben, Haustiere, Schimmelpilze)
 Inhalative medikamentöse Dauertherapie (ab Schweregrad Stufe 2)
 Frühzeitige Therapie vermeidet Beschwerden, Antibiotikagaben und stationäre Aufenthalte
Da es keine Hinweise dafür gibt, dass diese Maßnahmen für die TROB therapeutisch wirksam
sind, entstünden bei undifferenzierter Anwendung dieser Maßnahmen andererseits sinnlose
Kosten für Familien und Krankenkassen.
Ein einheitlicher Diagnosealgorithmus und Sprachgebrauch verhindert zudem Verunsicherungen
der Eltern durch unterschiedliche Diagnosen und Therapieempfehlungen.
Methoden:
Ergebnisse der (Medline)
Literatursuche
Anteil (Prävalenz/Vorselektion)
Familienanamnese
Eigenanamnese atopisches
Ekzem[5]
frühe Infektexposition
Geschwister / Kinderkrippe [2,
5]
Häufigkeit fieberhafter Infekte
in den ersten 3 LJ. [7]
Tabakrauchexposition in der
Schwangerschaft [5]
Stillen ≥ 6 Mo. [5]
Infektanfälligkeit im HNOBereich im Kleinkindalter
Giemen bei Infekten
bei 1-2 jährigen Kindern
Giemen bei Infekten
bei 3-4 jährigen Kindern
Kurzatmigkeit bei Infekten
bei 0-1 jährigen Kindern
Kurzatmigkeit bei Infekten
bei 2-4 jährigen Kindern
Gesamt-IgE [10]
periphere Eosinophilie [10]
spezifisches IgE gegen
inhalative Allergene (RAST)
Lungenfunktion vor
Erstmanifestation[2]
Reversibilität der obstruktiven
Beschwerden auf ß2-Mimetika
Beschwerden außerhalb von
Infekten bzw. BHR
Asthma bronchiale mit
Manifestation in den ersten
beiden Lebensjahren
≥40%
Eltern mit Asthma oder COPD:
Mutter OR 3,3 vs KG
Vater OR 2,0 vs KG
Mutter OR 1,7 vs TROB
Vater OR 1,2 vs TROB
FA in 2/3 negativ! [5]
OR 5,21 vs KG
OR 3,0 vs TROB
OR 0,83 / 0,72 vs KG
OR 0,82 / 0,56 vs TROB).
transiente rezidivierende
obstruktive Bronchitis bei
anatomisch engen Atemwegen
<60%
Risikofaktor TROB oder
Bronchiolitis in der FA. [6]
nicht korreliert (häufige
Antibiotikatherapie aber
Risikofaktor)
OR 1,81 vs KG
OR 1,24 vs TROB
OR 0,89 vs KG n.s.
OR 6,8 für 3-5 vs 0
OR 24,3 für ≥5 vs 0 fieberhafte
Episoden ≤ 3 Jahre
OR 1,46 vs KG
OR 1,73 vs KG
OR 1,41 / 1,7 vs KG
OR 0,82 vs KG signifikant
Risikofaktor [8]
OR 2,1 [9]
OR 7,2 [9]
Risikofaktor [8]
Risikofaktor [8]
meist erhöht bes. im Infekt[8,
10]
Risikofaktor
Die Prävalenz positiver Tests
steigt linear mit dem Alter. [8].
meist normal
meist positiv
Beschwerdeauslösung bei
Wetterwechsel prädiktiv [8].
meist im Normbereich.
meist im Normbereich Im
viralen Infekt erniedrigt
meist negativ
irreversible intrathorakale
Obstruktion
i.d.R. negativ
nein
Eine Differenzierung ist im Säuglingsalter über die Atemwegssymptomatik nicht möglich.
Isolierter Husten ist als Kriterium umstritten und eher auf Luftverschmutzung hinweisend [14].
Die Berechnungen der OR beruht auf einer retrospektiven Studie. Die TROB ist über das
Sistieren der rezidivierenden obstruktiven Beschwerden vor dem 6. Lebensjahr definiert.
Weitere Vorgehensweise:
 Verwendung von Diagnosekriterien, die dem niedergelassenen Arzt routinemäßig und
kostengünstig verfügbar sind.
 Auswahl der Faktoren und deren Gewichtung auf wissenschaftlicher Grundlage und
bestehenden Empfehlungen
 Zyklische Abstimmung und Optimierung bis zum Expertenkonsensus*
 Darstellung der diagnostischen Sicherheit durch einen Score, um therapeutische
Entscheidungen die eine unterschiedliche diagnostische Sicherheit erfordern, zu unterstützen
 Praktische Erprobung des Diagnosescore als Einschlusskriterium zur Identifizierung von
Vorschulkindern mit Asthma im Rahmen der multizentrischen Studie zur „Evaluation von
Kurz- bzw. Langschulung für Eltern von Vorschulkindern mit Neurodermitis und Asthma“.
*) Als Experten wurden Prof. Dr. Reinhardt LMU München und Prof. Dr. von der Hardt, Med.
Hochschule Hannover von den Autoren einbezogen.
Ergebnisse
Punkte Kriterium
Atopie
0,5
pro FA Asthma bei Verwandten 1. Grades
1
EA Neurodermitis oder Rhinokonjunktivitis allergica
und/oder Prick/RAST positiv auf inhalative Allergene
0,5
Serum-Gesamt-IgE erhöht oder periphere Eosinophilie oder Serum-ECP erhöht
obstruktive Beschwerden
1
Giemen oder Atemnot ohne Anhalt für eine Erkältung (z.B. anstrengungsinduziert)
0,5
Alter < 3 Jahre und ≥ 3 obstruktive Episoden mit Atemnot im Alter bis 2 Jahre
0,5
Alter < 3 Jahre und ≥ 2 Episoden mit Giemen pro Jahr mit einer Dauer ≥ 1 Woche
1
Alter ≥ 3 Jahre und ≥ 3 obstruktive Episoden mit Atemnot nach dem 2. Lebensjahr
1
Alter ≥ 3 Jahre und ≥ 2 Episoden mit Giemen pro Jahr mit einer Dauer ≥ 1 Woche
objektive Befunde einer reversiblen Bronchialobstruktion und/oder bronchiale Hyperreagibilität
1
Reversible Obstruktion (Spirometrie/Auskultation/Oximetrie)
und/oder
obstruktive Befunde nach körperlicher Belastung, Kaltlufthyperventilation,
oder Inhalation von hypotonen- oder hypertonen Lösungen*
und/oder PD20 Histamin/Methacholin unterhalb des altersentsprechenden
Normbereiches*
und/oder durchschnittliche diumale PEF Variabilität > = 15%*
(*letzter Infekt vor > = 4 Wochen)
Ausschlusskriterium: Deutliche Besserungstendenz im letzten Jahr oder Differentialdiagnosen
Bewertung:
Asthma
bronchiale
Punktsumme
nicht
wahrscheinlich
0
0,5
wenig
wahrscheinlich
1
1,5
eher
wahrscheinlich
2
2,5
sehr
wahrscheinlich
3 und mehr
Die Erprobung im Rahmen der klinischen Studie erwies die Praktikabilität des Scores.
Diskussion
Wir haben eine Möglichkeit zur Vereinheitlichung der Nomenklatur und einen Algorithmus zur
Berechnung und Kategorisierung der Wahrscheinlichkeit eines Asthma bronchiale vorgestellt.
Diese sollte Diagnose, Therapieentscheidungen und Kommunikation erleichtern.
Grenzen des vorliegenden Algorithmus:
 Die Gewichtung der einzelnen Kriterien ist nicht anhand von statistischen Methoden erfolgt
 Die Kriterien werden fälschlich gewertet, als ob sie voneinander unabhängig wären
 Es erfolgt keine negative Bewertung von negativen Kriterien (senken die
Wahrscheinlichkeit)
Grenzen eines jeglichen Algorithmus in praktischer Anwendung:
 Das Gebot der Einfachkeit und Praktikabilität steht im Konflikt zur statistischen Exaktheit
 In epidemiologischen Studien wird die Persistenz der Symptomatik in das Schulalter (6
Jahre) als Goldstandard verwendet. Es stellen sich aber bei dieser Einteilung die Fragen:
Ist eine „persistierende rezidivierende obstruktive Bronchitis“ immer ein Asthma?
Gibt es ein transientes Asthma bronchiale*, für das eine Asthmatherapie sinnvoll wäre?
Gibt es die Kombination von „anatomisch engen Atemwegen“ und Asthma bronchiale?
Wie sollte man das nicht-allergische Asthma bronchiale einordnen?
Dennoch kann der Algorithmus noch stärker auf Evidenz basiert werden.
Der vorgelegte Diagnosescore soll durch Nachbefragung basierend auf der prospektiven
klinischen Studie bzgl. seines prädiktiven Wertes untersucht und optimiert werden.
Welche Diagnosemethoden könnten die Differenzierung zukünftig verbessern?

Lungenfunktionsmessungen sind im Kleinkindalter noch eher experimentell und wenigen
universitären Ambulanzen vorbehalten. Die besonders aussagekräftige Messung vor
Erkrankungsbeginn ist naturgemäß prospektiven Studien vorbehalten.

Pharmakologische Provokationstests lassen bei 3-4 jährigen Kindern mithilfe von
Impulsoszillometrie, transkutaner Sauerstoffpartialdruckmessung und sogar
bodyplethymographischer Resistance überwachen [11]. Diese Tests sind spezialisierten
Kliniken vorbehalten. Auskultation oder Pulsoximetrie zur Überwachung sind nicht
Standard.

Serum ECP Werte sind begrenzt hilfreich und die trennschärfere Sputum ECPKonzentrationen [12] lassen sich in dieser Altersgruppe nichtinvasiv kaum gewinnen.

Der Nachweis von differenzierenden Mediatoren im Atemkondensat ist methodisch unreif.

Genetische Marker werden rege erforscht. Angesichts der polygenen Vererbung und
Umweltfaktoren ist auch hiervon keine durchschlagende Verbesserung der
Differentialdiagnostik zu erwarten[10].
Vergleich mit dem parallel entwickelten Martinez Algorithmus
Martinez hat kürzlich einen Algorithmus zur Differentialdiagnose der rezidivierenden
obstruktiven Bronchitis bei Kleinkindern in den ersten 3 Lebensjahren publiziert [11]:
Hauptkriterien
1. Stationäre Behandlung einer Bronchiolitis
oder schweren obstruktiven Episode
2. Mindestens 3 Infekte der unteren
Atemwege mit Giemen
3. Erstgradiger Verwandter mit Asthma
bronchiale
4. Atopische Dermatitis
Nebenkriterien
1. Rhinorrhoe im erkältungsfreien Intervall
2. Giemen im erkältungsfreien Intervall
3. periphere Eosinophilie (≥5%)
4. männliches Geschlecht
Algorithmus: Hauptkriterium 1 oder 2 und mindestens ein weiteres Hauptkriterium
oder
Hauptkriterium 1 oder 2 und mindestens 2 Nebenkriterien
Asthma bronchiale mit
Manifestation in den ersten
beiden Lebensjahren
Pathophysiologie
Eosinophile bronchiale
Inflammation bei
Prädominanz von THelferzellen und Mediatoren
vom TH2 Typ bedingt
bronchiale Hyperreagibilität.
Auslösung durch virale
Atemwegsinfekte. Die Rolle
von Allergenen wächst mit
dem Alter.
Prognose
i.d.R. lebenslang. Häufig
Besserung im Rahmen der
Pubertät, nicht selten
klinische Rekurrenz im
Erwachsenenalter.
Allergenkarenzmaßnahmen
Schutz vor
Tabakrauchexposition
Konsum von Frischobst
(Vitamin C?) [13]
Akuttherapie mit inhalativen
ß2-Mimetika und evtl.
Corticoiden
ab Schweregrad Stufe 2
antientzündliche
Dauertherapie
Sekundärprophylaxe
Therapie
transiente rezidivierende
obstruktive Bronchitis bei
anatomisch engen
Atemwegen
Vermutlich verzögertes
Wachstum der Bronchien auf
genetischer Grundlage,
pränataler Schädigung (z.B.
Rauchen oder intrauteriner
Wachstumsverzögerung) oder
postnataler Schädigung
(BPD). Auslösung der
Symptomatik durch
entzündliche
Schleimhautschwellung und
Hypersekretion im Rahmen
von viralen Bronchitiden
Definitionsgemäß graduelles
Sistieren der Beschwerden bis
zur Einschulung[2]
Schutz vor
Tabakrauchexposition
evtl. Therapieversuch akut mit
ß2-Sympathomimetika. Effekt
von inhalativen Corticoiden
während Infekten nicht belegt.
Roborierende Maßnahmen
und evtl. Salinelösung zur
Dauertherapie in der
Infektsaison.
Literatur
1.
Sporik, R., S.T. Holgate, and J.J. Cogswell, Natural history of asthma in childhood--a birth
cohort study. Arch Dis Child, 1991. 66(9): p. 1050-3.
2.
Martinez, F.D., et al., Asthma and wheezing in the first six years of life. The Group Health
Medical Associates [see comments]. New England Journal of Medicine, 1995. 332(3): p.
133-8.
3.
Werk, L.N., et al., Beliefs about diagnosing asthma in young children. Pediatrics, 2000 Mar.
105(3 Pt 1): p. 585-90.
4.
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German Respiratory League of the German Society of Pneumology (see comments)]. Med
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5.
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children. SIDRIA Collaborative Group. Am J Respir Crit Care Med, 1999. 160(5 Pt 1): p.
1617-22.
6.
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infants. Group Health Medical Associates. Pediatr Pulmonol, 1993. 16(5): p. 275-80.
7.
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8.
Wever-Hess, J., et al., Prognostic characteristics of asthma diagnosis in early childhood in
clinical practice. Acta Paediatr, 1999. 88(8): p. 827-34.
9.
Dodge, R., et al., Early childhood respiratory symptoms and the subsequent diagnosis of
asthma. J Allergy Clin Immunol, 1996. 98(1): p. 48-54.
10. Martinez, F.D., Recognizing early asthma. Allergy, 1999. 54 Suppl 49: p. 24-8.
11. Klug, B. and H. Bisgaard, Repeatability of methacholine challenges in 2- to 4-year-old
children with asthma, using a new technique for quantitative delivery of aerosol. Pediatr
Pulmonol, 1997. 23(4): p. 278-86.
12. Yazicioglu, M., et al., The significance of sputum ECP levels in differential diagnosis of
asthma in children. J Asthma, 1999. 36(6): p. 493-502.
13. Forastiere, F., et al., Consumption of fresh fruit rich in vitamin C and wheezing symptoms in
children. SIDRIA Collaborative Group, Italy (Italian Studies on Respiratory Disorders in
Children and the Environment). Thorax, 2000 Apr. 55(4): p. 283-8.
14. Kelly J.Y., et al., Clinical significance of cough and wheeze in the diagnosis of asthma. Arch
Dis Child, 1996. 75: p. 489-493.
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