Das Lied der Botschafterin Die zarte, nette Mimi im Film La Boheme hat etwas von einem Tiger wenn es um die Sache der Menschenrechte geht. Barbara Hendricks spricht mit Keith Clarke über ihre Rolle als Sängerin, Mutter und Botschafterin Die Botschafterin verspätete sich durch Luftverkehrs-Kontrolle. Beim hineinstürmen in die Bar sagte sie dem Radio-Interviewer, dass er zu warten habe, erfrischte den durch kalten Wind entzündeten Hals mit einem heissen Zitronensaft und begann, mir über die weltweiten Flüchtlingsprobleme zu erzählen. Wie das bei Interviews mit Sopranistinnen so ist, sollte dies sicherlich kein gewöhnliches Interview werden. Barbara Hendricks mag wie wohl jede andere Sängerin die Publicity. Sie machte jedoch ein unvorhersehbares Beispiel. Es wäre sehr leicht, ein Notizbuch zu füllen über Barbara Hendricks, die Mutter, oder Barbara Hendricks, die Wohltätigkeits-Arbeiterin. Nein, das letzte würde nicht ausreichen. Wohltätigkeits-Arbeiterin ist zu sanft beschrieben für eine Seite ihres Lebens das so wichtig für ihre Personifikation zu sein scheint, wie auf die Bühne zu gehen und zu singen. Freiheitskämpfer trifft es sicher besser. Seit 1987 ist sie als Goodwill Botschafterin für das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge tätig, sie hat für die Befreiung von Flüchtlingen von jeglicher Unterdrückung gekämpft, einschliesslich dem Symptom, das mit dem Wort verbunden ist. Hier wird kein Prominenten-Name auf einen Briefkopf gedruckt, um den Ruhm ein wenig zu steigern. "Ich glaube, dass Leute, die ihren Namen für etwas einsetzen um ihrer selbst willen, mehr Schaden anrichten, als dass sie nutzen,' sagt sie. So ist eben die Hendricks, die sich durch unzählige Termine hindurcharbeitet, zu Flüchtlingscamps hinausfliegt um selbst herauszufinden, welche Probleme dort akut sind, um dann die Botschaft an so viele Menschen als möglich weiterzugeben, die sich niedersetzen und zuhören. Es ist eine Einstellung, die nicht in das typische Bild passt, die man von Musikern hat, die eher so eingeschätzt werden, dass sie nicht mehr ganz auf dieser Erde weilen, dass sie bestenfalls unpolitisch sind, was normalerweise bedeutet, dass sie politisch naiv sind. Für die Hendricks hat das nicht mit links oder rechts sein zu tun. Und sie hat sich dazu entschlossen, weil sie es nicht vor sich verantworten konnte, nichts zu tun. "Ich bin keine Heilige", sagte sie. "Zeichnen Sie mich nicht als eine Heilige, ich bin keine. Ich glaube, der Grund, warum ich so hart an mir selbst arbeite, ist eben, weil ich keine Heilige bin. Ich weiss, zum Teufel, wer ich bin. Ich mache nur was ich glaube, was ich für mich selbst tun muss. Ich plane nicht, bei jeder Gelegenheit ins Büro zu rennen. Ich sehe mich gar nicht so politisch. Aber die Dinge sind politisch. Ich war sogesehen immer aktiv. Ich bemerkte, dass es Wichtigeres gibt als die Rechte für Schwarze oder für Frauen und das sind die Menschenrechte und wir müssen es schaffen, zu dem Punkt zu kommen, durch des einen Recht nicht des anderen auszuschliessen. Ich könnte es nicht gutheissen, für die eine Seite zu kämpfen und die andere auszuschliessen. Es muss eine Grundlinie geben, die jeden einschliesst" "Wir lesen die Tageszeitungen und fragen uns, was wir tun können. Was wir tun können, ist zu versuchen, tätig zu werden, wo wir uns harmonisch fühlen, und das bedeutet nicht, jeden anzulächeln und zu jedem immer nett zu sein. Es bedeutet Meinungsverschiedenheiten zu haben, aber stets sich mit ihnen auseinanderzusetzen in einer Weise, die der anderen Person immer Respekt zollt" Respekt ist sehr wichtig für Barbara Hendricks' Werteskala und sie will, dass er den gedehmütigsten Flüchtlingen erschlossen wird. "Die Art und Weise wie ich nun zu arbeiten versuche, ist, über die Organisation in einer Weise zu sprechen, die das Stigma der Furcht von den weltweiten Flüchtlingen nimmt. Mit dem Begriff "Flüchtling" tendieren die Menschen zu denken "Oh, was wollen die von mir?" Ich will versuchen die positiven Aspekte der Flüchtlinge aufzuzeigen, in welch vielfältiger Weise die Flüchtlinge unsere Leben vergrössert haben. Meine Gesangslehrerin war ein Kriegsflüchtling und ohne sie kann ich mir kaum vorstellen, wo ich heute stände" Wo sie heute steht, strahlt weit über die Schallplattenläden-Fenster und Konzert-Programme in der ganzen Welt hinaus. Ihre Engagement-Liste liest sich wie ein weltweites Glossar, das darauf wartet, dass der Zeigefinger irgendwo draufzeigt. Karrieremässig ist sie vermutlich ein wenig ausserhalb des Normalen was die Sängerkarriere betrifft, deren Liederabend-Arbeit schwerer wiegt als die für die Oper. Oper macht sie von Zeit zu Zeit, hat aber eine "allergische Beziehung zu ihr", wie sie sagt. Sie liebt die Art, aber nicht die Arbeitspraktiken. "Die Einstellung, dass wir uns für zwei oder drei Tage treffen und es wirklich egal ist, ob wir sechs Wochen lang proben oder nicht; ich kann diese Einstellung nicht teilen und ich mag nicht mit Leuten arbeiten, die an diese Arbeit glauben. Es wird immer schwieriger, weil die jungen Leute sehen, wie das System arbeitet, sie wollen sich dem anpassen, es gibt niemanden, der ihnen sagt, dass es eine Alternative gibt. Eine Oper ist sehr, sehr kostspielig und so beschweren sich die Verwalter nicht wirklich, wenn die grossen Sänger sagen, " Nun, o.k., ich komme zur Kostümprobe." Ich finde das unehrlich, nur zur Kostümprobe zu kommen. "Ich habe mich selbst zweimal in einer Produktion befunden, wo man mich bat, in der letzten Minute einzuspringen wegen einer Krankheit und es hat funktioniert. Ich glaube, eine zweite Aufführung wäre wohl für mich ein Disaster geworden, aber die Herausforderung, die Aufgabe, festzustellen, ob ich mit einer oder zwei Proben alles behalten könnte, war aufregend. Aber ich glaube, dass diese Art der Einstellung die Tosca in New York genauso zu machen wie in Covent Garden und in Hamburg, das ist nicht die Art von Arbeit, die ich machen möchte. Unter besseren Arbeitsumständen beneidet sie den Luxus der Theaterleute, die ein Projekt von Grund auf anfangen, und unter denen sie auch mehr Oper machen würde. Rollen wie die Mimi schweben ihr vor, ganz wie sie sie im Film gespielt hat, Melisande (sie war unzufrieden mit ihrer Aufführung in der Pariser Produktion), und die Gräfin im Figaro. Aber der Hauptanteil ihrer musikalischen Entwicklung ist von ihrer Liederabend-Arbeit geprägt. "Es ist wichtig, weil es mir die Chance gibt, mich zu entdecken. Ich kann einen Liederabend zehn oder 15mal geben, es manchmal zur Seite legen und dann Teile davon zu einem anderen Programm hinzufügen. Ich glaube, ein grosser Teil der Interpretationen kommt im Laufe der Zeit in der du mit der Musik lebst. Ich dränge der Musik keine Interpretation auf. Ich glaube, dass der Komponist seine Arbeit gut genug gemacht hat im allgemeinen. Es steckt darin, aber zeigt sich nicht sofort. "Es gibt Zeiten, wo es fast schon frustrierend ist, Dinge zum erstenmal zu machen, weil es so viel zu erleben gibt und du merkst bei diesen ersten Aufführungen, dass es einfach nicht passieren wird. Zeit ist sehr wichtig, die Zeit, die man mit der Musik verbringt und die Zeit, die du mit deinen Kollegen verbringst. Ich bin keine, die zurückschaut in die Vergangenheit mit verträumten Augen, weil ich glaube, dass jeder in seiner eigenen Zeit zu leben hat, aber wenn du darüber nachdenkst von New York nach London zu reisen, einst fünf Tage dauerte und heute nicht mal dreieinhalb Stunden; ich wählte nicht die fünf Tage sondern die dreieinhalb Stunden wenn ich kann, aber das bedeutete immer noch, dass in einem Boot etwas passieren konnte, was in einer Concorde einfach nicht passieren kann" Ob sie zu ihrem Publikum mit dem Zug, dem Schiff oder dem Flugzeug kommt, Barbara Hendricks kann sehr sicher sein, ihr Publikum zu erreichen, wenn sie ankommt; ein Kommuikationstalent, das in Studentenjahren unter weniger als idealen Konzert-Umständen geschmiedet wurde. "Ich kam aus sehr bescheidenen, armen Verhältnissen im Süden und ich ging in die Ghettos in New York City, um Konzerte in Schulen zu geben und es war eine ganz schön rauhe Nachbarschaft. Ich sagte zu ihnen, "wenn ich jemals im Lincoln Center oder in der Carnegie Hall singen sollte, dann wird dies ein Beispiel sein, über das ich singen will" Ich erklärte es ihnen und sprach mit ihnen und hatte einen sehr grossen Erfolg. Was ich als erstes lernte, war, mein Publikum einfach auf einem anderen Level anzusprechen als auf dem ihre Bildung, ihre Erfahrung beruhte. Aber ich lernte auch, dass eine gewisse Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit in meiner Präsentation nötig war, um eine Gruppe Kinder zu erreichen, die nicht dort sein wollten und dachten, ich sei eine Exzentrikerin, weil ich diese seltsame Musik sang. Ich habe mir dieselbe Einstellung stets beibehalten, das zu singen, was ich liebe, so aufrichtig wie ich kann." Eine Aufnahme von Hendricks konnte man jüngst auf Haitinks Rosenkavalier für EMI hören. Nächsten Monat kommen bei der Plattenfirma drei weitere Neuerscheinungen heraus, die zu Hendricks' Discographie hinzuaddiert werden können das Bach Magnificat und Vivaldis Gloria; Charpentiers Te Deum und das Magnificat und ein neuer Faust mit Michel Plasson und dem Toulouse Capitole Orchestra. Im Dezember gibt es eine 3-CDCollection von Mozart und einigen StraussLiedern. Diesen Monat, am 24. Oktober, steckt Barbara Hendricks ihre Farben erneut an die Masten der UN mit einem Konzert im Barbican mit einer Gedächtnisfeier zum 40. Jahrestag des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. Sie singt Berlioz' Le nuits d'ete mit dem London Symphony Orchestra dirigiert von Sir Colin Davis, bevor sie mit einer ausgedehnten Europatournee fortfährt. Die Konzerte unterbrechen erst kurz vor Weihnachten, weil sie ihrem Eheman (der auch ihr Agent ist) und ihren Kindern untersagt hat, den Weihnachtsbaum zu dekorieren, bevor sie zu Hause ist. So viel von den Kindern getrennt zu sein ist eine unumgängliche, empfindliche Sache, aber die Hendricks hat eine pragmatische Einstellung. "Ich glaube nicht an Bedauern, aber ein schmerzlicher Punkt ist, dass ich von den Kindern getrennt sein muss, weil sie wirklich grossartig sind und wirklich rundum fröhlich. Ich weiss, dass ich einige wundervolle Dinge verpasse, aber ich habe meine Wahl getroffen. Ich glaube, es geht ihnen sehr gut und sie sind sehr nette Kinder. Ich konzentriere mich wirklich auf den Kontakt den wir haben, der sehr stark und sehr reell ist. Wenn ich mit anderen Müttern spreche, dann denke ich, dass wir alle die gleichen Ängste und Sorgen teilen. Du kannst zu Hause bleiben und genauso viele Probleme und Ängste haben wie arbeitende Mütter sie haben." Und was denken die Kinder über die Rolle ihrer Mutter als Star auf der Bühne und Fernsehen? "Ich glaube, sie sind ziemlich stolz auf mich" sagt Barbara Hendricks. "Aber sie machen keine grosse Sache daraus. Sie hätten es lieber, wenn ich zu Hause bliebe und Pizza machen würde, wissen Sie."