Simbabwe

Werbung
Simbabwe
1. Übersicht
Facts
Politisches System: Präsidiale Republik, Fläche: 390.759 km 2, Einwohner: ca. 13 Mio. /
99 % Schwarze (Schona 77%, Ndebele 14%, Sonstige 9%) Hauptstadt: Harare,
Lebenserwartung: 40 Jahre, Alphabetisierung: 89%; HDI: 0,551; BIP: $ 1,9 Mrd. (145 $
pro Kopf), Nettoauslandsverschuldung: $ 4,9 Mrd., Inflation (Mitte 2008): 11 Mio. %
Geschichte
Das heutige Simbabwe ist - wie die meisten afrikanischen Staaten - ein koloniales
Produkt. Der Binnenstaat ist das südlichste Land des Kontinents, das sich noch gänzlich
innerhalb der tropischen Zone befindet, es besitzt relativ wenig natürliche Ressourcen.
Seit dem 11. Jahrhundert beherrschte die mächtige Shona-Dynastie diese Region. Das
Shona-Reich stand zwar im 15. Jahrhundert kurzfristig unter portugiesischem Einfluss,
dennoch gelang es den Portugiesen nicht, ihren Herrschaftsanspruch ernsthaft
durchzusetzen. Erst im Jahre 1835 gelang es dem Nguni-Volk der Ndebele (Matabele
bzw. Amandebele) das Land zu erobern und die Shona zu unterwerfen. Das Gebiet des
Ndebele-Reichs war fast deckungsgleich mit der heutigen Republik Simbabwe.
Daraufhin drangen immer mehr britische Händler, Jäger und Missionare in das Land
ein, bis schließlich 1888 der britische Kolonialherr Cecil Rhodes Schürfrechte erwarb
und ein Jahr später eine Lizenz für die British South Africa Company (BSAC) erhielt. Die
Kolonialisierung durch die BSAC ging ihren Weg. Aufstände der Ndebele sowie der
Shona wurden mit Hilfe von Empire-Truppen niedergeschlagen. Im Jahre 1911 wurde
Rhodes’ Territorium in einen Nordteil (heutiges Sambia) und in einen Südteil (als
selbstverwaltete britische Siedlungskolonie „Südrhodesien“) geteilt, allerdings bereits
1953 zu einer Föderation wieder vereinigt. Nach der Auflösung der Föderation 1963
proklamierten die in Südrhodesien ansässigen Weißen die Unabhängigkeit unter
Führung des Premierministers Ian Smith, welcher Initiator der Rhodesian Front war.
Diese einseitige Unabhängigkeitserklärung wurde von keinem Staat außer Südafrika
anerkannt. Die Vereinten Nationen reagierten mit Wirtschaftssanktionen gegen
Südrhodesien. Nach einigen Befreiungskämpfen der so genannten Patriotic Front
unterstützt von der ZANU- und ZAPU-Partei, führte die unterdrückte schwarze
Bevölkerung einen Guerillakrieg gegen die weiße Minderheitsregierung. Der Ausdruck
1
Chimurenga (Wort der Shona für Anstrengung, Kampf) wurde Sinnbild für den Krieg
gegen die weißen Siedler Mitte der 1970er Jahre. Das Smith-Regime nahm daraufhin
Verhandlungen mit der ZANU-Partei unter Führung von Robert Mugabe und mit der
ZAPU-Partei unter Führung von Joshua Nkomo auf. Als die eigenmächtig errichtete
Minderheitsregierung
am
Rande
des
Zusammenbruchs
war,
unterzeichnete
Premierminister Smith 1978 eine Vereinbarung zur Bildung einer Übergangsregierung.
Da sich das Land weiterhin im Bürgerkrieg befand, schaltete sich die britische
Regierung ein. Großbritannien organisierte die Durchführung von Wahlen, entwaffnete
die
revolutionären
Guerilleros
und
entließ
Simbabwe
1980
in
die
offizielle
Unabhängigkeit. Am 15. April 1980 wurde der Staat Simbabwe ausgerufen und Robert
Mugabe (ZANU) zum Ministerpräsidenten ernannt. Die neue Bezeichnung bedeutete
mehr als nur ein Austausch der alten Bezeichnung Rhodesien (bzw. Südrhodesien),
mehr als nur die Abschüttelung der Kolonialherrschaft. Der Namenswechsel verkörperte
auch Hoffnungen und Erwartungen des gesamten Subkontinents und bot eine
Alternative zu dem international als Apartheidstaat geächteten Südafrika. Doch auf die
wirtschaftliche Blütezeit in den 1980er Jahren mit ausreichendem Einkommen und
einem
funktionierenden
Bildungs-
und
Gesundheitssystem
folgte
nach
Strukturanpassungsprogrammen des IWF und der Weltbank eine wirtschaftliche Talfahrt
in den 1990er Jahren: 1993/94 kam es zu heftigen Hungerunruhen, 1997 ordnete die
Regierung die entschädigungslose Enteignung von knapp 1500 Farmen (40 % des
Großfarmsektors) an. Immer wieder kam es zu Aufständen und Plünderungen, die zum
Teil militärisch niedergeschlagen wurden.
Politisches System
Gemäß der mehrfach revidierten Verfassung von 1980 ist Simbabwe eine präsidiale
Republik. Staatsoberhaupt, Regierungschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist
der Präsident, der für jeweils sechs Jahre direkt gewählt wird. Formal hat Simbabwe ein
Mehrparteiensystem.
Das
Parlament
besteht
aus
zwei
Kammern,
dem
Abgeordnetenhaus und dem Senat. Die wichtigsten Parteien sind die Regierungspartei
Zimbabwe African National Union – Patriotic Front (ZANU-PF) und das oppositionelle
Movement for Democratic Change (MDC) unter Führung von Tsvangirai. Simbabwe war
von Gründung an Mitglied der regionalen Entwicklungsgemeinschaft SADC - der
Southern African Development Community. Amtssprache ist Englisch, die am meisten
verbreitete Umgangssprache ist Shona. Simbabwes wichtigster politischer sowie
wirtschaftlicher Partner ist Südafrika.
2
Seit Jahrzehnten dominiert ein einziges Ziel die Politik des Regimes: Dem seit 1980
amtierenden Staatsoberhaupt Robert Mugabe ist jedes Mittel recht, sich mit seiner
Partei an der Macht zu halten. Gegen die konkurierrende ZAPU-Bewegung wurden
1987 so genannte Strafexpeditionen durchgeführt, die zu zahlreichen zivilen
Todesopfern führten. Daraufhin wurden die beiden ehemaligen Befreiungsparteien
ZAPU und ZANU zur ZANU-PF vereinigt. Nach den Wahlen 1990 wurde Simbabwe ein
De-facto-Einparteiensystem
basierend
auf
fünf
stabilisierenden
Säulen:
Institutionalisierung, Repression, Manipulation, Patronage und Kooptation.
Zur
Machtsicherung
diente
beispielsweise
die
Operation
Murambatsvina,
"Müllbeseitigung", mit der über 700.000 Slum- und Vorstadtbewohner aufs Land
vertrieben wurden. Die Medienfreiheit ist vor allem seit Ende der 1990er Jahre mit der
Verschärfung der innenpolitischen Lage drastisch eingeschränkt worden; nicht zuletzt
durch das permanent verschärfte Mediengesetz. Missachtung der Gerichte und
zunehmende Rechtlosigkeit, rechtsfreier Raum für Polizei, Militär und Milizen haben zu
einer zunehmenden Respektlosigkeit gegenüber Recht und Gesetz geführt. Die
Menschenrechtssituation wird von amnesty international als schlecht eingestuft. Die
Menschenrechtskommission der Afrikanischen Union (AU) hat einen kritischen Bericht
vorgelegt, die Regierung weist alle kritischen Berichte als Einmischung in die inneren
Angelegenheiten des Landes zurück.
Um den Widerstand gegen die Alleinherrschaft der ZANU-PF und Mugabes’ Allmacht zu
ersticken, hat der Präsident Anfang 2005 die Wahlkreise zugunsten seiner ZANU-PF
verändern lassen. Die letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen (2008) wurden
von internationalen Experten als unfair und unfrei bezeichnet.
Wirtschaft
Das Staatsgebiet ist mit etwa 390.000 qkm so groß wie die Bundesrepublik Deutschland
und die Schweiz zusammen. In Simbabwe leben knapp dreizehn Millionen Menschen.
Die
Basis
des
Wirtschaftssystems
bildet
eine
duale
Landwirtschaft
mit
Großfarmbetrieben und Kleinbauern. Ein entwickelter Industriesektor ist nur geringfügig
vorhanden, es befinden sich kaum natürliche Ressourcen auf dem Staatsgebiet. Bis vor
zehn Jahren noch galt Simbabwe als Modellstaat im subsaharischen Afrika. Als eines
der ersten Länder dieser krisengeschüttelten Region gelang ein eindrucksvoller
Übergang. Der Regierungswechsel führte zunächst nicht zum stets beschworenen
wirtschaftlichen Zusammenbruch und politischem Chaos. In den 1980er Jahren hatte
Simbabwe Fortschritte bei der Verbesserung der sozialen Dienstleistungen, bei
3
Wiederaufbau und Entwicklung der öffentlichen Infrastruktur erzielt. Durch geschicktes
Agieren
im
Ost-West-Konflikt
gelang
es
Robert
Mugabe
die
Handels-
und
Entwicklungspartner auf beiden weltpolitischen Seiten gegeneinander auszuspielen,
indem er einen Weg zwischen sozialistischem Ideal und der kapitalistischen Realität
einschlug. Nach Ende des Kalten Krieges hat sich Simbabwe endgültig der freien
Marktwirtschaft zugewandt.
Allerdings hat die despotische Herrschaft Robert Mugabes das Land in den letzten 20
Jahren in eine schwere Krise geführt. Die zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche
Ordnung ist dadurch völlig zerstört worden. Rechtsstaatlichkeit sucht man vergebens. In
Notfällen ist von den Sicherheitskräften in der Regel keine Hilfe zu erwarten. Das BruttoInlandsprodukt (BIP) hat inzwischen die höchste Schrumpfungsrate der Welt. Simbabwe
wird einerseits erschüttert von einer tiefen politischen und innergesellschaftlichen Krise,
ist andererseits aber weiterhin in der Lage, sein Gewaltmonopol rigoros und
rücksichtslos durchzusetzen. Seit 1997 sind Staatsfinanzen und Volkswirtschaft
Simbabwes in einer schweren Krise. Der Staat ist weitgehend zahlungsunfähig, die
Wirtschaft liegt am Boden, Versorgungslage und soziale Lage sind katastrophal.
Simbabwe verfügt über ein enorm hohes Zahlungsbilanzdefizit und leidet unter einer
anhaltenden Hyperinflation. Der Versuch, durch staatlich verordnete Preiskontrollen
Engpässe bei der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu überwinden, hat das
Gegenteil erreicht: Mehl, Brot, Fleisch, Speiseöl u.a. sind in den Geschäften gar nicht
mehr verfügbar oder nur zu stark überhöhten Preisen auf dem (illegalen) Schwarzmarkt
vorhanden. Preise werden täglich angepasst. Dies gekoppelt mit einer chronischen
Knappheit an Bargeld in lokaler Währung führt zu einem rasanten Anstieg der Preise
auch in ausländischer Währung. Die Versorgungslage mit elektrischem Strom und
Trinkwasser ist nicht mehr gesichert.
Simbabwe dürfte aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Krise sowie der
internationalen Zurückhaltung die UN-Millenniumsziele bis 2015 nicht erreichen.
Simbabwe erscheint in sieben von insgesamt acht Indizes1, die fragile Staatlichkeit in
irgendeiner Form messen.
1
Failed States Index (Foreign Policy); Center for Global Development; Department for International Development
(DFID); Bertelsmann Transformation Index (BTI); HDI (UNDP); LDCs (UN); Governance Indicators (World
Bank); Low Income Economies (World Bank).
4
2. Hintergrund der staatlichen Fragilität
Sicherheit
Indikatoren: Physische Sicherheit, Kontrolle des Staatsgebiets/Außengrenzen,
Kontrolle
der
Konflikte,
Ressourcen,
anhaltende
nichtstaatliche
oder
Gewaltakteure,
wiederkehrende
Zustand
gewalttätige
des
staatlichen
Sicherheitsapparats, Kriminalitätsraten, Bedrohung der Bevölkerung durch
staatliche Organe.
Die physische Sicherheit der Bevölkerung könnte grundsätzlich von der Polizei, der
Armee und dem Zoll aufrechterhalten werden. Allerdings gehört offene Gewalt zur
Tagesordnung in Simbabwe. Beispielsweise wurde 2005 die Operation Murambatsvina
("Müllbeseitigung") auf Befehl der Regierung durchgeführt, dabei wurden die illegalen
Behausungen in den Slums der Großstädte ohne Rücksicht auf die Bewohner zerstört
oder niedergebrannt. Die Regierung setzt immer wieder Polizei, Armee und
Geheindienst sowie Jugendbrigaden für politische „Überzeugungsarbeit“ ein. Die
politische Repression, Ungleichbehandlung und Furcht machen ein friedliches und
demokratisches Zusammenleben der Bevölkerung unmöglich.
Sicherheitskräfte sind weder in der Lage (Gehälter werden oftmals nicht ausgezahlt,
keine Investitionen in Ausrüstung) noch Willens (Befehle der autoritären Führung) die
Bevölkerung zu schützen. Obwohl die Regierung offenbar die Kontrolle über das
Staatsgebiet besitzt, findet über die Außengrenzen hinweg Schmuggel und informeller
Handel statt.
Die Geschichte des Landes ist geprägt von einer Kultur der Gewalt. Die Bürger Leben in
einem
Zustand
der
Furcht,
auf
regierungskritische
Äußerungen
wird
mit
Einschüchterungskampagnen reagiert. „Fünf Jahre Staatsterror, fünf Jahre Mord,
Todschlag, Folter und Vergewaltigungen haben die Menschen so eingeschüchtert, dass
Mugabe heute kaum noch Schlägertrupps losschicken muss, um seinen Willen
durchzusetzen“.2
Die ausgesprochen schwierige politische, wirtschaftliche und soziale Lage hat zu einem
deutlichen Anstieg der Kriminalität geführt. Neuerdings werden kriminelle Taten immer
häufiger in Anwendung von Gewalt und Schusswaffen durchgeführt, ein bisher in
Simbabwe unübliches Phänomen.
Das Gewaltmonopol liegt weniger bei der Regierung als beim Joint Operation
Command, welchem die Polizei und der Geheimdienst untergestellt sind. “The human2
Möllers, Hein (2005): Für die Hölle zu heiß, in: Afrika Süd No. 2 /2005.
5
rights group [Human Rights Watch] and many diplomats name Zimbabwe’s effective
rulers as the Joint Operations Command, a shadowy security politburo made up of
military and police generals, senior intelligence officers, prison service officials and
leaders of the ruling ZANU party”.3 Das Auswärtige Amt rät aufgrund der
beunruhigenden Sicherheitslage von Reisen nach Simbabwe ab (November 2008). Laut
Schätzungen der UNHCR haben über drei Millionen Simbabwer aufgrund der
politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Zuflucht im Ausland – vor allem in
Südafrika - gesucht.
Wohlfahrt
Indikatoren: Steuer- und Zolleinnahmen, Staatsausgaben, Auslandsverschuldung,
Arbeitslosigkeit, HDI-Entwicklung, ökologische Probleme, Kluft zwischen Arm
und
Reich,
staatliche
Dienst-
und
Transferleistungen
wie
z.B.
soziale
Sicherungssysteme, Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitswesen.
Die nationale Wirtschafts- und Finanzkrise betrifft alle Bereiche des öffentlichen und
privaten Lebens. Das stark rückläufige Staatsbudget und niedriges Volkseinkommen
erklären Simbabwes katastrophale wirtschaftliche Situation. Wegen des Mangels an
Währungsreserven
ist
der
Staat
nicht
in
der
Lage
Nahrungsmittelimporte
aufrechtzuerhalten. Der Staat ist insolvent, kämpft mit einem enorm hohen
Zahlungsbilanzdefizit und einer rekordverdächtigen Hyperinflation. Es ist offensichtlich
kein Geld für Wohlfahrtsfunktionen vorhanden. Die humanitäre Versorgung ist nicht
gewährleistet, d.h. Nahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs sind kaum zu
bekommen. Die Versorgungslage mit elektrischem Strom und Trinkwasser ist nicht
mehr gesichert. Grundnahrungsmittel und Energieträger (Benzin, Strom) sind meist nur
auf dem Schwarzmarkt zu überteuerten Preisen erhältlich
Ein Beispiel für Simbabwes destruktive Landpolitik ist die gewaltsam durchgeführte
Landverteilungsreform (Acquisition Act) und ihre Folgen im Jahr 2000: Teils
entschädigungslose Enteignung von Grundbesitz, Rückgang der Produktivität, weniger
landwirtschaftliche
Agrarexporte,
Nahrungsmittelversorgung.
Das
rückläufiger
Land
ist
Währungsimport,
daher
seit
einigen
Einbruch
der
Jahren
auf
Nahrungsmittelimporte angewiesen.
Das Mugabe-Regime kann ohne Geldüberweisungen und Stromlieferungen aus
Südafrika nicht überleben (was zugleich ein enormes Druckmittel gegen die Regierung
darstellt). Neben Südafrika als mit Abstand wichtigstem Handelspartner (Import 46 %,
3
The Times; 09.06.2008.
6
Export 12 %) hält Simbabwe noch nennenswerte Wirtschaftsbeziehungen zu
Großbritannien, Japan, Deutschland und China. Als wichtigstes Exportgut gilt Tabak,
gefolgt von Gold und Eisenlegierungen. Des Weiteren muss man davon ausgehen, dass
der informelle Handel (der in diesen Daten noch nicht enthalten ist) zwischen Südafrika
und Simbabwe seit Beginn der anhaltenden Wirtschaftskrise zu einer Art Lebensader für
die Menschen in Simbabwe geworden ist. Nach Südafrika geflohene Simbabwer
unterhalten mit Geldüberweisungen ihre Familien und tausende Händler versorgen sich
in illegalem Grenzverkehr mit Gütern des täglichen Bedarfs. Südafrikanische Firmen,
welche in der simbabwischen Gold-, Platin- und Bekleidungsindustrie aktiv sind, stellen
einen bedeutenden Teil der simbabwischen Arbeitsplätze. Die
Arbeitslosenquote
erreicht schätzungsweise 80 Prozent.
Der Gini-Koeffizient beträgt 50,1, was einer enorm hohen Kluft zwischen Arm und Reich
entspricht. Simbabwe nimmt im Human Development Index (HDI) Rang 151 (von 177)
ein. Die Lebenserwartung von Frauen liegt inzwischen nur noch bei 36 Jahren (1990
waren es 60 Jahre). Die Inflationsrate erreicht mehrere Millionen Prozent und ist damit
die derzeit höchste Inflationsrate weltweit.
Das Bildungs- und Gesundheitswesen hat sich seit seinem Höchststand Mitte der
1990er Jahre massiv verschlechtert. Die Mehrheit der Bevölkerung genoss tatsächlich
nach
Simbabwes
Unabhängigkeit
ein
ausreichendes
Einkommen
und
ein
funktionierendes Bildungs- und Gesundheitssystem, welches für Afrika beispielgebend
war. Das nationale Gesundheitssystem droht unter dem Gewicht dieser politischen und
wirtschaftlichen Schwierigkeiten zusammenzubrechen.
Herrschaft
Indikatoren: politische Partizipation im Sinne von Input-Legitimität, Umfang
politischer
Freiheiten,
politische
Opposition,
Wahlbetrug,
Stellung
der
Minderheiten, Menschenrechtslage, Akzeptanz des Regimes und der politischen
Ordnung, Unabhängigkeit der Justiz, rechtsstaatliche Verfahren, Selbstjustiz,
öffentliche Verwaltung, Korruption und Klientelismus.
Die
Beschneidung
der
politischen
Partizipationsrechte
wird
seit
Jahren
von
internationalen Organisationen bemängelt. Es kommt zu Einschränkungen der Medien-,
Meinungs- und Versammlungsfreiheit durch restriktive Gesetze, wie beispielsweise der
Public Order and Security Act (POSA). Der Access to Information and Protection of
Privacy Act kriminalisiert die freie Meinungsäußerung und erlaubt es der Regierung
7
unabhängigen (ausländischen) Journalisten die Arbeitsgenehmigung zu entziehen bzw.
sie zu verhaften.
Es kommt zu massiver Repression im Vorfeld von Wahlen, bei denen in der Regel keine
internationalen Wahlbeobachter – mit Ausnahme unkritischer Beobachtergremien aus
Südafrika – zugelassen werden. Es gibt bei Wahlen immer wieder Diskrepanzen
zwischen maximal möglich abgegebenen Stimmen und ausgezählten Stimmen eines
Wahlkreises. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen sprechen von offensichtlichem
Wahlbetrug der Regierungspartei ZANU-PF: Manipulation von Stimmenauszählungen,
Benachteiligung der Gegenkandidaten Simba Makoni und Morgan Tsvangirai. Der
legale Weg der Wahlanfechtung über die nationale Gerichtsbarkeit wurde der
oppositionellen MDC entweder verwehrt oder hat sich als wirkungslos erwiesen.
Verhaftungen und Gewalt gegen politisch Oppositionelle und Bürgerrechtsaktivisten
sind an der Tagesordnung. Die Zivilgesellschaft ist eingeschüchtert und wurde 2004
durch
ein
NGO-Gesetz
zusätzlich
in
ihren
Aktivitäten
eingeschränkt.
Den
demokratischen Kräften des Landes fehlt es an Fähigkeiten in den Bereichen
Führungsstärke, Organisation, (internationale) Kooperation und Koordination. Die
Gesellschaft ist täglich damit beschäftigt „Business“ zu betreiben, um am Leben zu
bleiben, die Menschen sind zu beschäftigt sich über politisches Engagement Gedanken
zu machen.
Das strikte Mediengesetz ermöglicht nur unfreie Berichterstattung. Das Verbot jeglicher
journalistischer Tätigkeit von ausländischen Korrespondenten wurde immer wieder
durchgesetzt. Auch dürfen Ausländer ohne staatliche Akkreditierung nicht über die
aktuellen Entwicklungen im Land berichten, die Akkreditierung jederzeit entzogen
werden, wenn gegen einen ausdifferenzierten Verhaltenskodex verstoßen wird.
Simbabwe kann als rechtsfreier Raum für Polizei, Militär und Milizen bezeichnet werden.
Auf andere Weise ist Straflosigkeit für Verbrechen wie Folter und Morde, die im Namen
der
Führungselite
ausgeführt
wurden,
nicht
zu
erklären.
Rechtsstaatlichkeit,
Transparenz des politischen Prozesses und die Unabhängigkeit der Justiz sind
praktisch nicht mehr vorhanden. Dafür ist Amtsmissbrauch und Veruntreuung von
staatlichen
Geldern
und
Ressourcen
nicht
selten.
Die
schlechte
Menschenrechtssituation wird durch politische Gewalt und Terror in Haftanstalten und
auf offener Straße verstärkt.
Dem
autoritären
Friedensverständnis
Regime
um
bescheinigt.
Mugabe
wird
Klientelismus
fehlendes
spielt
Demokratiein
und
Simbabwes
Patronagenetzwerken eine ausschlaggebende Rolle. Die politischen Prozesse laufen
8
sehr intransparent ab. Strittig ist, ob Mugabe über seine Regierungsclique herrscht oder
diese eher über ihn. Zu der korrupten Führungselite gehören Mugabes Zezuru-Clan, der
Gouverneur der Zentralbank, die Chefs von Polizei und Armee, sowie der
Gefängnisdirektor. Die Zentrale Figur in der Gruppe der Joint Operation Command
(JOC) ist der Luftwaffenchef. Alle diese Männer haben Verbrechen gegen die
Menschlichkeit begangen und versuchen an ihrer Macht festzuhalten, da sie weder auf
Bankkonten im Ausland zugreifen noch ins Exil gehen können. Die JOC schreckt nicht
vor Terror gegen jeden zurück, der das Patronagenetzwerk in seiner Macht gefährden
könnte.
Nationales Umfeld
Die machtpolitischen Strukturen konzentrierten sich früher auf ein Einparteiensystem.
Inzwischen hat sich mit der MDC eine gespaltene Oppositionspartei etabliert. Immerhin
kann man von einem „Wahlsieg“ der Opposition im Sommer 2008 sprechen, auch wenn
Wahlmanipulation Mugabe offiziell in seinem Amt bestätigt hat. Der Erfolg der
politischen Opposition lässt sich auf vier Faktoren zurückführen, die allesamt in den
Kategorien Sicherheit, Wohlfahrt und Herrschaft erfasst wurden: Der wirtschaftliche
Niedergang des Landes, die geringfügigen demokratischen Verbesserung nach dem
Abkommen zwischen Opposition und Regierung im Herbst 2007, die zunehmende
Spaltung des Regimes und die Realitätsferne der Führungselite um Mugabe.
Die machtpolitische Stellung des Mugabe-Regimes gilt als strukturelle Ursache für die
fragile Staatlichkeit in Simbabwe. Die Dynamik des Machtteilungsabkommens zwischen
Mugabe und Tsvangirai (September 2008) bleibt abzuwarten, eventuell stellt sich ein
politischer und wirtschaftlicher Wandel ein.
Den moderaten Mugabe-Anhängern ist durchaus bewusst, dass irgendwann politische
Reformen nötig sind, um die wirtschaftliche Lage des Landes zu verbessern. Im
internationalen Dialog könnte den künftigen Führungseliten eine Politik der kleinen
Schritte angeboten werden. Die Spaltungstendenzen innerhalb der Regierungspartei
bestärkten die Bevölkerung in der Hoffnung auf einen realisierbaren Machtwechsel im
Jahr 2008, zudem scheint Mugabe davon überzeugt gewesen zu sein, dass angesichts
der Zersplitterung der Opposition keine Gefahr von Tsvangirai ausgehen werde.
9
Internationales Umfeld
Über drei Millionen Simbabwer leben im Ausland. Die immer weiter ansteigende Zahl
der Flüchtlinge und Migranten in die Anrainerstaaten erhöht den Druck auf deren
Regierungen, insbesondere Südafrika hat im Hinblick auf die Fußball-WM 2010
Interesse an einer Stabilisierung des Nachbarlandes Simbabwe.
Es gibt zwei externe Spieler, die durch Kooperation Veränderungen in Simbabwe
erreichen könnten: Der United Kingdom könnte als internationaler Akteur aufgrund der
kolonialen Vergangenheit interessant sein, sowie Südafrika als Regionalmacht und
Simbabwe am Leben haltender Nachbarstaat eine Rolle spielen. Vermittlungsversuche
der Southern African Development Community (SADC) im innerpolitischen Konflikt
erscheinen im Rückblick eher wenig erfolgreich. Präsident Mbeki vermittelte 2007 als
Sonderbeauftragter der SADC ein Abkommen (die 18. Verfassungsnovelle) zwischen
Regierung (ZANU-PF) und Opposition (MDC), welches demokratischere Bedingungen
im Wahlkampf garantieren sollte.
Südafrika gilt als unangefochtene regionale Vormacht, daher ist die südafrikanische
Unterstützung für Simbabwe so bedeutsam. Der südafrikanische Präsident gilt als
Schlüsselfigur, wenn es um Ansatzpunkte für den Umgang mit Simbabwe und dessen
politische und wirtschaftliche Entwicklung geht. Mbekis Politik der „stillen Diplomatie“,
die Kritik an Mugabe grundsätzlich ausgeschlossen hat, wurde in der SADC und selbst
innerhalb der südafrikanischen Regierungspartei ANC ungern gesehen. Mbeki
unterstützte
Mugabe,
da
aus
Sicht
der
beiden
ehemaligen
nationalen
Befreiungskämpfer die Gefahr des Imperialismus und Kolonialismus in ihren Staaten
weiterhin bestehe. Diese paranoide Vorstellung einte die beiden Regierungschefs. Die
Haltung Südafrikas dürfte mit dem Ende von Mbekis Präsidentschaft unter dem
derzeitigen Präsident Motlanthe und ab 2009 vermutlich unter Präsident Zuma
wesentlich Mugabekritischer werden.
Die machtpolitische und ökonomische Rolle der internationalen Gemeinschaft im
Allgemeinen sowie der Afrikanischen Union (AU) im Speziellen ist für Simbabwes
Fragilität kaum von Bedeutung. Abgesehen von politischem Druck und vereinzelten
Sanktionen intervenieren multilaterale Organisationen nicht in Simbabwe.
Einschätzung / Typologisierung
(nach dem Konzept von Ulrich Schneckener)
Gescheiterter Staat
Sicherheit
-
Wohlfahrt
10
Herrschaft
-/+
Zitate
“Zimbabwe is an example of a once unquestionably strong African state that has fallen
rapidly through weakness to the very edge of the abyss of failure. All Zimbabwe lacks in
order to join the ranks of failed states is a widespread internal insurgent movement
directed at the government. All of the misery, and the tendency to fail, resulted from the
ruthless designs and vengeance of an omnipotent leader.”
(Rotberg, Robert (2007): The Failure and Collapse of Nation-States: Breakdown,
Prevention, and Repair, in: Beisheim, Marianne; Schuppert, Gunnar Folke (Hrsg.):
Staatszerfall und Governance. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, S. 73)
Seit Mitte der 1990er Jahre „befindet sich Simbabwe wirtschaftlich und politisch im
freien Fall“.
(Petretto, Kerstin (2007): Fallstricke und Chancen in Simbabwe, in: SWP-Aktuell No. 52
(Oktober 2007), S. 1.)
„Nur der Terror von Polizei und Militär – und die „Solidarität“ von Thabo Mbeki – halten
ihn [Robert Mugabe] noch an der Macht. Den Ruin Simbabwes kann derzeit niemand
aufhalten.“
(Johnson, R. W.: Mugabe Wahnsinn mit Mbekis Methode, in: Le Monde diplomatique,
08.08.2008)
„Sozialer und wirtschaftlicher Ruin: die Kosten der Diktatur“
(Delventhal, Johannes (2005): Mugabe und kein Ende, in: Afrika Süd No. 2 / 2005.)
„Durch eine Kombination aus Handel und Kredit blutet Simbabwe buchstäblich aus.
Geld fließt nach Südafrika ab für Importe wie Benzin, Strom und Mais. Um das Geld
aufzubringen, werden bei südafrikanischen Banken Kredite aufgenommen. Die müssen
zu hohen Zinssätzen zurückgezahlt werden, sehr profitabel für die Banken.“
(Wirtschaftswissenschaftler Shawn Hattingh vom Centre for Civil Society an der
Universität von KwaZulu-Natal / Südafrika.)
Simbabwes ehemaliger (Rücktritt im September 2007) Erzbischof Ncube über Robert
Mugabe: „Wenn der Mann nicht selbst abtreten will, werden viele darum beten, dass
Gott ihn zu sich nimmt.“
11
3. Fragile Staatlichkeit als globales (besser: regionales und
internationales) Problem

Dreieck regionaler Instabilität (zusammen mit DR Kongo und Kenia): Drei
Staaten, welche die politische Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung des
südlichen Kontinents gefährden.

Der Freibrief Mugabes autoritärer Herrschaft wirkt über die Grenzen Simbabwes
hinaus. Die die unkritischen Reaktionen der Nachbarregierungen zeigen, wie
wenig ernst es den Machthabern der Region mit dem Übergang zur mündigen
Demokratie ist.

Migration und Flüchtlingsströme in die Nachbarstaaten Simbabwes

Eventuell Waffenhandel (?)

Geopolitische Aspekte (?)

…
12
Herunterladen