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Nr. 72. Sitten, Mittwoch den 7. September, 1910
Walliser Bote
Flugwoche in Brig.
Von 18.-24. September 1910 mit Traversierung der Alpen.
Die Mythologie der alten Griechen erzählt uns von Dädalus, dem grossen Bildhauer, dass er nach dem
Labyrinth von Kreta verbannt wurde, weil er seinen Schüler Talos aus Neid über dessen Geschicklichkeit
von der Akropolis herabstürzte. In diesem Labyrinth schuf er mit seinem Sohne Ikaros herrliche Bauten und
Kunstwerke. Aber die Gefangenschaft wurde beiden unerträglich und sie beschlossen zu fliehen. Zu
diesem Zwecke verfertigten sie, da auf dem Land und Seeweg die Flucht unmöglich war, künstliche mit
Wachs zusammengefügte Flügel und eines schönen Morgens flogen beide weg. Der Flug gelang
vollständig, aber Ikarus flog, trotz Warnung des Vaters, zu hoch, kam der Sonne zu nahe, die Wachsflügel
schmolzen in der Sonnenwärme und er stürzte ins Meer. Das war der erste Höhenflug und der seither nie
mehr erreichte Höhenrekord. Generationen auf Generationen, Völker auf Völker haben von da an versucht
dem Vogel gleich in den Lüften umherzusegeln, doch was allen versagt war, das wurde in unserm
Jahrhundert zur Tatsache: die Bezwingung der Lüfte durch das lenkbare Luftschiff und die Flugmaschine.
Wohl lange schon hat man von grossen Ballonfahrten gelesen, aber alle diese Luftballons,
Mongolfières, Charlieren und wie sie alle heissen, waren ein Spielzeug der verschiedenen Winde und nie
war es möglich ein vorher bestimmtes Ziel zu erreichen. Seitdem aber Zeppelin mit seinem lenkbaren
Luftschiff die berühmte Schweizerreise ausführte und Blériot auf seiner Flugmaschine den Kanal überflog,
seitdem stehen wir an der Schwelle einer neuen Zeitepoche.
Als beim letzten Gordon-Benettwettflug alle diese Luftballone aufstiegen, von den Lüften willenlos
nach Nordost getrieben wurden, während das lenkbare Luftschiff Parseval majestätisch und ruhig seine
Kreise zog, da konnte man mit Recht den ersteren den Ruf in den Mund legen „morituri te salutant Caesar“.
Jawohl, die Zeit der Luftballone ist vorüber, an ihre Stelle tritt das lenkbare Luftschiff, die lenkbare
Flugmaschine.
In den Tagen vom 18.-24. September. Dieses Monats wird sich nun am Fusse des Simplons ein
grossartiges Ereignis abspielen, ein Ereignis unerhört in seiner Kühnheit und Grösse, ein Rekordflug auf
dem Gebiete der Luftschifffahrt. Man will mit der Flugmaschine von Brig über den Simplon nach dem
sonnigen Italien fliegen.
Berühmte Luftschiffer haben sich gemeldet und in kühnen Fluge werden sie sich vom Startplatz
längs der Saltinaschlucht zu des Simplons Höhen, wo bis jetzt nur der Adler seine Kreise zog,
emporschwingen, in der Nähe ewigen Schnees vorbeifliegen, um über die grausige Gondoschlucht hinweg
nach Mailand der grossen oberitalienischen Zentrale zu gelangen.
Ein tausendstimmiges „Er lebe hoch“ wird den kühnen Luftschiffer über die Berge begleiten und
ein jubelndes Evviva aus der lombardischen Ebene ihm entgegenschallen.
Für die ganze Schweiz ist dies ein wichtiges Ereignis und niemand versäume an diesen Tagen
nach Brig zu gehen, um selber Zeuge dessen zu sein, wovon noch Generationen nach uns begeistert
sprechen werden.
Auf zur Flugwoche in Brig!
F.M.
Nr. 73. Sitten, Samstag den 10. September, 1910
Walliser Bote
Luftschifffahrt: Aus Brig wird gemeldet: Der Startplatz für den Aeroplanflug Brig-Mailand ist bereits fertig
erstellt, ebenso sind der Zuschauerraum, die Schuppen für die Aeroplane und die Kantine komfortabel
eingerichtet. Das Quartierkomitee verfügt über genügende Unterkunftsräume. Mehrere berühmte Flieger
sind für die Zeit vom 18.-24 September fix engagiert. Das Wetter ist momentan sehr schön.
Nr. 74. Sitten, Mittwoch den 14. September, 1910
Walliser Bote
Flugwoche in Brig mit Alpenüberflug Brig-Mailand.
Vom 18. Bis 24. September 1910.
Nur wenige Tage trennen uns mehr von dem grossartigen Ereignis des ersten Alpenüberfluges
Brig-Mailand. Bereits sind die Flugmaschinen auf der Reise und beim Lesen dieser Zeilen werden schon
einige hier angelangt sein. Es sind 10 Flieger angemeldet, von denen auf jeden Fall 9 nach Brig kommen
werden. Alle Systeme, seien es Ein- oder Zweidecker, werden vertreten sein, so Apparate: Blériot,
Antoinette, Farman, Dufaux.
Angemeldet sind: Chavez, Lathan, Aubrun, Wieneziers, Barisot, Leganeux, de Lessepps, Dufaux,
Amerigo, Cattaneo.
Dufaux ist ein Schweizer aus Genf und jedermann hat wahrscheinlich von seinem grossartigen,
prächtigen Flug über den Genfersee gehört. Dieser Flieger wird mit seiner eigens konstruierten Maschine –
alle Teile wurden in der Schweiz hergestellt – am eigentlichen Alpenflug nicht teilnehmen, hingegen
während jedem Tag der Flugwoche nach einem hiezu ausgearbeiteten Programm Höhen- und Distanzflüge
ausführen. Allen wird somit Gelegenheit geboten werden, an welchem Tage der Flugwoche es immer sei,
das grossartige Schauspiel des Aufsteigens und des Landens zu bewundern. Dem Publikum wird gegen
eine kleine Eintrittsgebühr gestatten sein, diese eigenartige Flugmaschine in allen Teilen näher zu
besichtigen.
Am 18. September werden die erstgenannten Flieger ihre Probeflüge machen, um nachzusehen,
ob der Apparat richtig funktioniert. Man glaube nicht, dass alle Flieger am gleichen oder ersten Tage
aufsteigen werden, nein, denn fürs erste sind auf dem Startplatz nur 5 Schuppen zum Unterbringen von 7
Flugmaschinen errichtet. De Lesseps wird seinen Apparat in Brig montieren und erst nach dem Startplatz
gehen, wenn dort einer weggeflogen ist. Sodann lasse man nicht ausser acht, dass alle Teile des
Apparates genau nachgesehen werden müssen, es muss der Motor eine ganz berechnete Tourenzahl in
der Minute machen, der Zufluss von Oel und Benzin gehörig reguliert werden und dann kommt es noch auf
das Wetter und die Windgeschwindigkeit an. Erst dann, wenn die Maschine jedem Druck des Lenkers willig
gehorcht, wie nach verschiedenen Probeflügen, wird der kühne Flieger es wagen, in das bis jetzt
unbezwingbare Reich der Lüfte emporzusteigen.
Möge dann der Alte vom Berge all die bösen Geister in das Berges-Innere bannen, damit den
wagenmutigen Männern kein Hindernis in den Weg gelegt werde.
Also Walliservolk, steige herab von den Bergen, verlasse für einige Stunden deine am
Gletscherrand erbaute Hütte, ströme heraus aus den Tälern, um vom 18. – 24. September in Brig Zeuge
eines grossen geschichtlichen Ereignisses zu sein. Du wirst etwas Neues erleben, etwas lernen, aus dem
Erlebten werden dir neue Gedanken, neue Ideen entstehen und jedermann wird so ein Pionier der
künftigen grossen Kulturepoche unseres gelieben Vaterlandes werden, jener gesegneten Scholle, wo des
Nordens eisgegürtete Gestalten den sonnigen Töchtern des Südens die Freundeshand reichen. F.M.
Flugwoche Brig
18. – 24. September 1910
Traversierung der Alpen
Preis: 100,000 Fr.
Teilnehemer: Chavez, Latham, Aubrun, Wieneziers, Barisot, Legagneux, de Lesseps, Dufaux, Amerigo,
Cattaneo.
Eintritt Sitzplätze Fr. 2. – Stehplätze 1.-
Walliser Bote
Nr. 75. Sitten, Samstag den 17. September, 1910
Programm der Flugwoche in Brig mit Alpenüberflug Brig-Mailand, 18. – 24. September 1910.
Beginn dieses sportlichen Ereignisses am 18. September, mittags 12 Uhr.
Derjenige Aviatiker wird Sieger, der innert 24 Stunden zuerst in Mailand eintrifft. Jeder Aviatiker
muss sich sechs Stunden vor Aufstieg beim Sportskommissär anmelden.
Vom 19. September an kann jeder Flieger von 6 Uhr morgens an aufsteigen. Nach 6 Uhr abends
ist dies nicht mehr gestattet.
Die Abfahrtzeit bestimmen die Konkurrenten Flieger selbst, das Komitee kann daher für den
Beginn dieser Flüge keine Garantie übernehmen; immerhin werden die Flieger voraussichtlich jeweilen am
Morgen den Startplatz verlassen.
Eine Stunde vor Abfahrt eines Fliegers wird jeweilen ein Kanonenschuss abgefeuert, um die
Bevölkerung davon in Kenntnis zu setzen.
Die Zuschauer sind gebeten, während den Proben und Aufstiegen sich möglich ruhig zu verhalten.
Während der Veranstaltung wird der Flugapparat Dufaux auf dem Startplatz dem Publikum gegen eine
Eintrittsgebühr von 50 Ct. vorgezeigt, Dufaux wird ebenfalls täglich vor- und nachmittags Höhen- und
Distanzflüge ausführen, vorausgesetzt, dass die Aufstiege der Konkurrenz-Flieger nicht gehindert werden.
Die Simplonstrasse ist während der Flugwoche dem Verkehr Tag und Nacht offen; die hohe
Regierung wird über die Verkehrsordnung auf dieser Strasse jedoch ein eigenes Reglement
veröffentlichen. Fussgänger zwischen Brig und dem Startplatz sind gebeten, die Bachstrasse zu benutzen,
um die Simplonstrasse dem Wagen- und Automobilverkehr zu überlassen.
Der Polizeidienst wir von der kantonalen Landjägerei versehen. (Kommando Herr Major v. Preux)
Anmeldungen für Unterkunft sowie Wagen nach dem Startplatz sind zu richten an das
Quartierkomitee in Brig. Eintrittspreise zum Startplatz: Automobile Fr.10, mehr Fr. 2 für jede Person;
Sitzplätze Fr. 2: Stehplätze Fr. 1.
Die Billets berechtigen nur zu einem einmaligen Betreten des Startplatzes, beim Verlassen
desselben verlieren dieselben ihre Gültigkeit. Billete sind erhältlich: a) auf dem Startplatz, b) im
Quartierbureau auf dem Sebastiansplatz in Brig.
Komitee – Abzeichen: Eherenpräsident: rotweisses Armband; Organisationskomitee: rotweisse
Rosette mit Schleife; Sanität: blaue Rosette: Quartierkomitee: grüne Rosette; Presse: orange Rosette;
Finanzkomitee: weisse Rosette; Polizei: rote Rosette; Baukomitee: schwarzgelbe Rosette.
Prof. Dr. Maurer zum Simplonflug. Der Direktor der eidgenössischen meteorologischen
Zentralstation, Dr. Maurer, übermittelt dem Flugkomitee für die Überfliegung des Simplon einen kurzen
Bericht über die Traversierung des Simplonpasses vom meteorologischen Standpunkt aus, dem folgende
Punkte entnehmen:
Das Wettfliegen, d. h. die Überquerung des Simplon mit Flugmaschinen kann keine besonderen
lokalen Gefahren vom meteorologischen Gesichtspunkte aus bieten, Speziell wegen Depressionen oder
barometrischen Zyklonen, denn das Wallis ist ein vollständig geschlossenes Hochtal, das auf beiden Seiten
durch hohe Gebirgsketten geschützt ist. Winde von grosser Stärke, wie wir sie gewöhnlich am Nordfusse
der Alpen finden, kommen dort nicht vor. Eben so durchführbar wie der Aufstieg auf der Briger Seite dürfte
sich der Abstieg gestalten, besonders über der Schlucht von Gondo. In einer Höhe von 800 bis 1000
Metern über dieser Schlucht gibt es keine besonders heftigen Winde. Sie erreichen eine Geschwindigkeit
von 3 bis 4 Meter in der Sekunde, vorausgesetzt immerhin, dass die allgemeine Wetterlage die
Ueberfliegung des Simplon gestatte.
In jeder Beziehung wird den Aviatikern zu empfehlen sein, sich möglichst an den Strassenzug zu
halten, d. h. den Pass in einer Höhe von 200 bis 300 Metern über den Boden zu überfliegen.
Lange Erfahrungen über die Luftströmungen auf dem Gebirge braucht es hier nicht, denn sowohl
Aufstieg als Abstieg werden nur ausgeführt werden können bei durchaus klarem und ruhigem Wetter, einer
Wetterlage, die wir täglich zur Verfügung haben durch die telegraphischen Berichte der hauptsächlichsten
meteorologischen Stationen des internationalen Netzes. Bei meinem Aufenthalte auf dem Simplon gab es
nur zwei Tage, wo nach der Wetterkarte die Traversierung des Passes ganz ohne Gefahr möglich gewesen
wäre: Auf Simplonkulm braucht man nur einen meteorologischen Beobachtungsposten aufzustellen; so
lange seine Angaben über die Windstarke 4 bis 5 Metern per Sekunde nicht überschreiten, sind die
atmosphärischen Bedingungen über den Talern des Simplon nach meinen Beobachtungen über die
Windstärke einer Überquerung jedenfalls nicht ungünstig.
Wir machten auch Ausflüge in die verschiedenen Seitentäler, die an der Simplonroute ausmünden,
wobei wir mit anemometrischen Präzisionsinstrumenten und mit Hilfe eines Fesselballons feststellten, dass
in den Tälern von Ganter, Laquim und Zwischbergen keine bemerkenswerten Strömungen existierten, die
die Traversierung ungünstig beeinflussen könnten, d. h. Lutftströmungen, die in den höheren Lagen eine
grössere Geschwindigkeit als vier Meter per Sekunde erreichen. Man wir immerhin in der Gegend
zwischen Iselle und Domodossola und auch weiter in der Gegend von Mailand, welche Gegend nicht mehr
im Schutze der Walliser Hochalpen stehen, Beobachtungen über die Luftströmungen in verschiedenen
Höhen über dem Erdboden machen müssen, indem man Versuchsballons dort aufsteigen lässt.
Alpenüberflug Brig-Mailand 18. – 24, Septemb. Am 18. September mittags 12 Uhr wird der grosse
Wettflug Brig-Mailand seinen Anfang nehmen. Jener, der zuerst in Mailand anlangt, wird Sieger sein und
den Preis von Fr. 70,000 in Empfang nehmen, der zweite Preis ist 20 und der dritte 10,000 Fr.
Die ganze Veranstaltung braucht einen ziemlich komplizierten Apparat. Auf dem Startplatz, auf
Simplon-Kulm und in Simplon-Dorf befinden sich Aerzte-Posten um bei allen Eventualitäten sofort Hilfe
bringen zu können. Ebenso sind Signalposten mit Krankenwärter vorgesehen auf der Hefti, Bärenkumme,
Bugliaga, Fehrberg und Monscerapass, wo 10 Meter lange weisse Tücher gespannt und neben welcher
Feuer unterhalten werden, die viel Rauch entwickeln, damit die Flieger die Richtung leichter finden.
Für den Sanitätsdienst stehen 3 Automobile zur Verfügung. Steigt ein Flieger auf, so werden die
Sportskommissare und ein Sanitätsautomobil sofort aufbrechen zur Kontrolle und eventuellen
Hülfeleistung.
Jeder Flieger muss 6 Stunden vor der Abfahrt sich beim Sportskommissar melden und eine Stunde
vor dem Flug wird die Simplonstrasse in Brig und Gondo für den Verkehr gesperrt werden, damit die
Strasse zur einzigen Verfügung der Kommissare und Ambulanzen steht.
Die hohe Regierung hat in Anbetracht des eidgenössischen Bettages die Eröffnung auf 12 Uhr
angesetzt, damit die Festgottesdienste am Morgen nicht gestört werden. Dies Vorgehen unserer Obrigkeit
ist allseitig zu begrüssen und jedermann wird es verstehen, dass an einem solchen Tage, wo ein ganzes
Volk den Tribut des Dankes dem Allerhöchsten darbringt und um neue Gnaden bittet, wenigstens des
Vormittag dem religiösen Leben reserviert bleibe.
Am Nachmittag werden dann voraussichtlich die Probeflüge stattfinden und eventuell wird der eine
oder der andere den Flug wagen. Wahrscheinlich jedoch werden bei schönem Wetter erst Montag Morgens
einige den Flug unternehmen. Werden sie hinübergelangen? In Anbetracht der Fliegerelite die sich da
versammelt, ist dies anzunehmen. Schwierigkeiten sind mehrere, so die Kälte in jenen Höhen und dann
muss der Aeroplan nach Aussage der Aviatiker in Zickzack oder spiralförmigen Windungen sich sofort auf
die Höhe von 2000 Meter erheben, um dann bei Simplon-Kulm 2100 Meter zu erreichen.
Bei Gaby können zwei Wege gewählt werden, entweder den der Gondoschlucht über
Bärenkumme, Bugliaga, Trasquera oder den über Fehrberg und Monscerapass. Der erste Weg wird
wahrscheinlich von den Zweideckern gewählt, die sich nicht allzulange auf der Höhe von 2100 Meter halten
können, wahrend die Eindecker dies leicht tun und somit die zweite Richtung einhalten werden.
Den Mutigen ein Glückauf!
F.M.
Kantone.
Genf. (Korresp.) Mit der Luftschiffahrt soll es hier ernst werden. Dieser Sport ist nun einmal in der
Mode und beginnt einen jeden mehr oder weniger zu interessieren. Hiezu hat die gelungene Flugwoche
von Brig nicht wenig beigetragen; es wird sogar bedauert, dass man sich um dieses Erstlingswerk nicht
mehr bemüht habe. Wie ich schon früher mitgeteilt, musste die erste Genferflugwoche nach Brig verlegt
werden, weil auf Genfergebiet das hiezu nötige Gelände nicht zu haben war. Auch lag gegen das
Unternehmen ein gewisses Misstrauen vor; man zweifelte an seinem Gelingen. Wider alles Erwarten ist
aber alles gut gelungen; die Einnahmen haben die Ausgaben um Bedeutendes überstiegen. Ueberdies
haben auch die Bewohner von Brig, die über Nacht Wirtsleute geworden sind, aus dem grossen
Volksandrage ihren Nutzen gezogen. Dies trug dazu bei, dass von verschiedenen Seiten verlangt wurde, in
Zukunft solche Manifestationen auf Genfergebiet zu veranstalten. Hiezu wird es auch kommen, besonders
da nun das letzte Hindernis, die Bodenfrage, aus dem Wege gehoben ist. Herr Marechal, Maire von Colley,
hat die Liegenschaften, benannt die alte Batie und die Rofieres ob Berfoir, mit einem Flächeninhalt von 166
Hektaren, um den Preis von Fr. 100,000 käuflich erworben. Auf den kommenden Winter soll dieses
Gelände entsprechend eingerichtet und dann als Platz dienen, auf dem sich die Flugkünstler nach Willkür
tummeln und ihre technischen Erfindungen erproben können. Der zukünftige Startplatz befindet sich auf
Genfergebiet und nur wenige Kilometer von der Stadt entfernt, von wo aus er leicht und ohne Unkosten zu
erreichen ist. Seine Zukunft ist somit gesichert.
Nr. 76. Sitten, Mittwoch den 21. September, 1910
Walliser Bote
Die Flugwoche in Brig.
Wir Walliser machen sonst wenig von uns reden in der grossen, weiten Welt und unser Land spielt
keine Rolle im Konzerte der Staaten Europas. Dennoch ist Wallis in der ganzen Welt bekannt, weil es so
viel Grossartiges und Merkwürdiges in sich birgt. Wir haben den Simplontunnel – den grössten Tunnel der
Welt.
Wir haben die grossartigsten Gebirge und Berggipfel, die wichtigsten Alpenstrassen und Pässe.
Was aber unser Land ganz besonders in der ganzen Welt bekannt macht, das ist die grossartige
Flugwoche in Brig.
Was man noch nicht in den letzten Jahrzehnten kaum geahnt hatte, das ist zur Wirklichkeit
geworden; Der menschlicht Geist hat eine Erfindung gemacht, die es ihm ermöglicht, sich hoch in die Lüfte
zu erheben und schneller und grossartiger als der Adler dahinzufliegen.
Davon kann sich diese Tage in Ried-Brig jedermann selbst überzeugen. Am 18. begann also die
denkwürdige Flugwoche. Eine unglaubliche Menschenmenge strömte nach Brig. All die grossen
Eisenbahnzüge waren an diesem Tage gesteckt voll. Gänge, Stiegen, Furgon und selbst die Güter- und
Viehwagen besetzt. Warme Sonne, wie man sie sonst nur im Sommer zu fühlen bekommt, erfreute und
belebte alles. Ein tiefblauer, wolkenloser Himmel überspannte das ganze Tal. Automobile, Kutschen und
Velos fuhren in unzählbarer Menge nach dem Startplatz. Mann hoffte, der eine oder der andere kühne
Luftsegler würde ganz sicher aufsteigen. Im schlimmsten Falle vertröstete man sich auf Dufaux, der eigens
daher kommen sollte, um jeden Tag Aufflüge zu unternehmen. Doch mit der „Lüfte“ Mächte ist, wie es
scheint, auch mitunter kein Bund zu flechten. Es wurden an diesem Tage keine Flüge ausgeführt. Doch die
Flugmaschinen sind da und warten in ihrem grossen Zelten ungeduldig auf den Aufstieg. Die gute
Witterung scheint andauern zu wollen, die Flieger sind auch da und fliegen sie nicht heute, werden sie
doch ganz sicher morgen fliegen.
Und wirklich, am Montag morgen gegen sechs Uhr erdröhnte der langersehnte Kanonenschuss.
Die Flugmaschine des kühnen Fliegers Chavez kam heraus, wurde auf dem Starplatz aufgestellt und der
Motor fängt an, gewaltig zu arbeiten. Endlich rollt die Maschine auf ihren Rädern über die Wiese hinüber
und an einer kleinen Erderhöhung hebt sie sich mit unglaublicher Leichtigkeit und Schnelligkeit in die Lüfte.
Lautlos schaut die ganze Menschenmenge dem wunderbaren Schauspiele zu, das sich ihrem Auge zum
erstenmal darbietet. Kaum hatte der Flieger sich vom Erdboden, der sonst die Menschen mit Gewalt an
sich fesselte, erhoben, schwebte er schon hoch in den Lüften über dem stolzen Städtchen Brig. Leicht und
elegant zieht er in spiralförmiger Windung dem Ratiserberg zu und von da über den Brigerberg gegen das
Glishorn. Hier stieg er mit grösster Schnelligkeit gerade empor, so dass er nur mehr die blaue Luft zum
Hintergrund hatte. Von hieraus, glaubte man nun, werde er den verwegenen Flug über den Simplon
wagen. Er schien aber die nötige Höhe noch nicht erreicht zu haben und kehrte nochmals gegen Belalp
zurück. Einige Zeit schien er da ohne schnelle Bewegungen zu Schweben und die Richtung auszuspähen,
in der er über den Simplon ziehen konnte. Plotzlich flog er mit unbeschreiblicher Schelligkeit in ganz
gerader Richtung über Brigerberg und Rosswald dem Simplon zu. Vom Staldenhorn her sah man weisse
Wolkenstreifen mit Schnelligkeit daherjagen. In diese Luftströmung muss er – es mochte etwa über dem
Roten Wald sein – hineingekommen sein. Diese und die eisige Kälte in einer solchen Höhe - sein Apparat
zeigte 2300 Meter über Meer – zwangen ihn zur Rückher. Im Nu kam er durch das Saltinental heraus und
landete etwas oberhalb des Startplatzes auf einer Wiese. Das Publikum, welches Sitzplätze genommen
hatte, riss die Schranken – eine Hohe Bretterwand – ein, um Schneller zur Stelle zu kommen, wo Chavez
gelandet hatte. Er war fast starr vor Kälte und es brauchte einige Zeit, bis er sich wieder erholt hatte.
Inzwischen hatte auch Wegmann den Aufstieg gewagt. Sein Apparat ist bedeutend grösser, ein
Zweidecker. Es war wunderschön, ihn aufsteigen und über Brig schweben zu sehen. Er erhob sich aber
nur etwa 500 Meter empor und kehrte ganz richtig auf den Startplatz zurück.
Ein gewaltiger Eindruck bemächtigte sich der Zuschauer. Es ist in der Tat etwas Wunderbares und
ergreifendes, Menschen zum erstenmal mit dieser Leichtigkeit und Schnelligkeit die Luft durchsegeln zu
sehen.
Während des Tages wurde die Luftströmung stärker und ungünstiger, so dass gar keine Aufstiege
stattfinden konnten, was für die vielen Zuschauer, die am Vormittag noch hinaufkamen nach Ried-Brig,
sehr bedauerlich war.
Am Dienstag verhinderte das Regenwetter den Aufstieg.
Eidg. Bettag und Flugwoche in Brig. (Korr.)
Es wird in Nr. 75 des „W.B.“ unserer Regierung hoch angerechnet, dass sie die Bestimmung
getroffen, dass am Eidg. Bettage erst um 12 Uhr der Startplatz geöffnet und die Flugversuche begonnen
werden dürfen.
Aus dieser Bestimmung merkt man aber nicht heraus, dass wir uns in einem katholischen Kanton
befinden und eine katholische Regierung an der Spitze haben; zu einer solchen Bestimmung für den Eid.
Bettag hatte es wahrscheinlich eine protestantische Regierung auch gebracht.
Unsere hohe Regierung wird wohl wissen, dass die schweizerischen Bischöfe seit Jahren auf den
Eid. Bettag eine zehnstündige Anbetung vor dem Allenheiligen angeordnet haben und dass am 22. ds. das
Fest der ersten Patrone unseres Landes gefeiert wird. Man hatte daher von unserer Regierung, an deren
katholischen Besinnung wir nicht zweifeln dürfen, erwarten können, dass sie für den Eid. Bettag die
„Fliegereien“ ganz und für das Fest hl. Mauritius bis Mittag einstellen lassen würde.
Wenn man die Strafgerichte Gottes von unserem Lande fernhalten und den Segen des
Allmächtigen herabflehen will, so sorge man vorab für die Heilighaltung der Sonn- und Feiertage und halte
alles fern, was dieser Heilighaltung im Wege ist.
Vom Flug über dem Simplon berichtet die Depeschenagentur folgendes:
Brig, 19. Sept. Chavez liess, von den Zuschauern mit Zurufen begrüsst, um 6.16.10 morgens zum
Aufstieg an. Er erhob sich nach einem Anlauf von 60-80 Metern, stieg höher und höher, erreichte; über Brig
und dem Rhonetal grosse Kreise beschreibend, eine Hohe von 2300 Metern und nahm alsdann die
Richtung direkt gegen den Simplon. Um 6.30 flog sein Eindecker, in der gewaltigen Höhe einem riesigen
Vogel gleichend, über Rosswald und verschwand dann unter fortgesetzten Rufen der Zuschauer in
südlicher Richtung hinter dem Wald. Um 6.35 kommt Chavez wieder in Sicht; er fliegt auf Brig zu, steigt mit
rapider Geschwindigkeit und in einem grossen Kreis fliegt nieder und landet sanft auf der Wiese ob dem
Flugfeld. Das Publikum stürzt sich ihm entgegen, wird aber von der Gendarmerie zurückgehalten.
Inzwischen hatte Weymann mit seinem Zweidecker sich flugbereit gemacht. Henri Farman
überwachte und dirigierte selber die Vorbereitung zur Abfahrt. Um 6.37 läuft Weymann an, steigt schon auf,
beschreibt ebenfalls mehrere Kreise, erreicht eine Höhe von etwa 500 Met. über den Brigerberg, kehrt
zurück und landet um 6.45 nach acht Minuten Flugdauer wieder auf dem Flugfeld. Bei der Landung erleidet
sein Zweidecker eine unbedeutende Habarie. Auch Weymann wird lebhaft begrüsst.
Auf Befragen erklärt Chavez, er sei in der Höhe auf sehr heftigen Wind gestossen, und habe über
dem Simplonpass dichtes Gewölk bemerkt. Da er eine Landung im Wald oder in den Felsen nicht riskieren
wollte, habe er sich entschlossen, nach dem Brigerberg zurückzukehren und einen günstigern Moment
abzuwarten. Weymann erklärt ebenfalls, auf heftigen Wind gestossen zu sein.
Die beiden Apparate wurden in die Hangars gebracht. Man weiss noch nicht, ob heute weitere
Versuche unternommen werden oder nicht.
Brig, 19. Sept. Nach den meteorologischen Mitteilungen war um 7 Uhr morgens das Tal de Tuce
vollständig in Nebel gehüllt, ebenso der Monscero-Pass; heliographische Signale sind infolgedessen
unmöglich. In der Niederung herrscht fast Windstille, bei 1000 Meter ist die Windstärke 1 Meter. Der
Horizont deckt sich langsam ab.
Flugwoche in Brig. Das Komitee telegraphiert uns: Bei einigermassen gutem Wetter wird Dufaux
morgen Mittwoch und Donnerstag nach Ankunft der Züge einige Fluge ausfuhren.
Nr. 78. Sitten, Mittwoch den 28. September, 1910
Walliser Bote
Ein grosses Ereignis.
Die Flugmaschine hat die Alpen überwunden. Das ist ein Ereignis, von dessen Bedeutung man
sich kaum einen Begriff machen kann. Die ganze zivilisierte Welt war letzte Woche in Spannung, ob wohl
der Flug über den Simplon gelingen werde. Und wirklich, am Freitagnachmittag ist er, wie wir bereits
gemeldet, gelungen. Der Mensch soll nach Gottes Unordnung die Erde beherrschen und nun hat er in
Erfüllung dieser Aufgabe einen riesigen Schritt weiter gemacht. Es ist ergreifend, wenn man bedenkt, dass
ein Mensch in 40 Minuten von Brig aus über Schluchten, Täler, Gebirge, Gletscher, himmelhohe Berge,
durch Wolken und heftige Luftströmungen nach Domodossola fliegt. Ein Herr von Sitten sagte uns letzthin,
er sei 1841 von Domodossola nach Sitten gereist. Damals habe er zwei Tage dazu gebraucht. Während
der Flugwoche in Brig habe er die gleiche Reise mit der Bahn in zwei Stunden gemacht. Wenn der gleiche
Herr die Vervollkommnung der Flugmaschine noch erlebt, so würde er vielleicht die gleiche Strecke in 20
Minuten zurücklegen können. Der Simplon scheint eine wichtige Bestimmung zu haben. Ueber ihn sind
wahrscheinlich die ersten römischen Legionen ins Wallis gezogen, über ihn führte die erste Alpenstrasse,
über ihn sausten die ersten Automobile dahin, durch ihn der erste Tunnel zwischen Wallis und Italien und
ist über ihn der erste grossartige Alpenflug ausgeführt worden.
Ueber den kühnen Flug Chavez gehen folgende Meldungen ein.
Brig, 23. Sept. Um 1 Uhr 29 Minuten, mittags, unternimmt Chavez den Aufstieg. Wieder gewinnt er
in mächtigen Kreisen eine grosse Höhe. Wieder ist es dasselbe unvergleichliche Schauspiel. Ein Adlerflug
über den Bergen. Bald verschwindet er hinter den Höhen des Rosswald. Schweizerische und italienische
Automobile sausen dem Meisterflieger auf der Simplonstrasse nach. Hiesige Spotter bezweifeln, ob
Chavez den Ueberflug ausfuhren kann, und zwar wegen der Temperaturverhältnisse. Sie fürchten, er
müsse auf der Höhe von über 2500 Meter erstarren. Chavez schien aber beim Starten seiner Sache
absolut sicher zu sein.
Simplon-Kulm, 23. Sept. Der Flug Chavez über Simplon-Kulm hinweg hat bei allen Zuschauern
tiefen Eindruck gemacht. Nachdem telephonisch berichtet worden war, dass Chavez sich zur Abfahrt bereit
hatte, begaben sich die im Hotel Kulm befindlichen Personen auf die Terrasse, von der man einen weiten
Ausblick über das Tal gegen Brig zu hat. Die Sportskommissäre und Journalisten spähten fieberhaft nach
dem Horizont. Auf einmal wird gerufen: „Da ist er“ Links vom Hotel aus wird der Flieger sichtbar, wie er
dem Berg entlang wie ein gigantischer Vogel über die Schluchten der Saltina hinwegfliegt. Er nähert sich
rasch, sich immer am Berghang haltend und zieht rechts vom Kulm-Hotel in einer Höhe von 150 bis 200
Meter (2200 M.) vorbei. Im Augenblick, da der Monoplan abbiegt, unterscheidet man deutlich die
Einzelheiten des Baues. Die Stabilität ist vollkommen. Das anwesende Publikum ruft laut Beifall, während
Chavez seinen Flug in der Richtung des Simplon-Hospiz fortsetzt, dieses links lassend. Im Moment, da er
sich dem Hospiz nähert, senkt sich der Apparat, steigt aber bald wieder in die Höhe. Die AugustinerMönche des Hospiz und die dort befindlichen Reisenden begeben sich alle auf die Strasse, um das seltene
Schauspiel zu sehen. Der Prior erzählt, er habe, als er das Geräusch eines Motors hörte, an das Ruhen
eines Automobils gedacht und nach einem solchen ausgeschaut. Als er dann den Kopf hob und zum
erstenmal in seinem Leben einen Aeroplan daherfliegen sah, war er tief ergriffen, gleich wie übrigens alle
andern Anwesenden. Auf Simplon-Kulm waren die meteorologischen Verhältnisse asugezeichnet,
Nordwind von 3 bis 4 Meter per Sekunde, Temperatur 6 Grad im Schatten, Himmel hell und warmer
Sonnenschein. Im Simplon waren sämtliche Bewohner auf der Strasse, um den Aeroplan vorbeifliegen zu
sehen. Etwa um 2 Uhr überflog dieser 200 Meter über der Erde den Montscerapass, der ungefähr 2500
Meter hoch ist, und nahm von da an die Richtung nach links gegen Domodossola. Das historische Ereignis
des erstmaliges Fluges über die Alpen und die wilden Schluchten und Gletscher des Simplonmassivs hat
bei allen Anwesenden einen tiefen, unvergesslichen Endruck hinterlassen.
Domodossola, 23. Sept. 2 Uhr 50. Gegen 2 Uhr wurde Chavez hier gesichtet. Bald sah man, dass
er hier landen werde. In einem grossartigen Abfluge näherte er sich dem Boden. Schon hielt man eine
glatte Landung für absolut sicher und begrüsste den kühnen Sieger mit nicht endenwollendem Jubel. Da
überschlug sich der Apparat. Er überstürtzte und Chavez mit ihm. Schreckensschrei entrang sich allen
Lippen. Anwesende Ärzte nahmen sich sofort des Verunglückten an, der bewusstlos dalag, aber dennoch
Lebenszeichen von sich gab. Chavez wurde sofort ins städtische Spital befördert.
Brig, 23. Sept. Ueber den Unfall, der Chavez bei der Ankunft in Domodossola getroffen hat, wird
hierher berichtet, sein Apparat sei 5 Meter über Erdboden von einem Windstoss zum Kippen gebracht
worden, worauf er herabstürtzte. Der Apparat ging in Trümmer und Chavez wurde schwer verletzt
aufgehoben. Im Spital, wohin der Verunglückte gebracht worden war, konstatierten die Aerzte eine Fraktur
des linken Oberschenkels und sonstige Knochenbrüche an beiden Beinen. Das Allgemeinbefinden Chavez‘
ist weniger ernst als zuerst angenommen wurde.
Domodossola, 23. Sept. Das befinden des verunglückten Aviatikers Chavez ist relativ befriedigend.
Für sein Leben besteht keine Gefahr. Die Heilung wird etwa 2 Monate erfordern. Das Volk strömt in
Mengen nach der Unglücksstätte und vor das Hospital. Der berühmte englische Flieger Baulhan ist zum
Besuche von Chavez eingetroffen. Es ist bereits geplant, hier an der Landungsstelle einen Denkstein zur
Erinnerung an die erste Ueberfliegung der Alpen zu errichten.
Domodossola, 23. Sept. Chavez hat das Bewusstsein wieder erlangt und konnte einige Worte
sprechen. Er klagt über grosse Schmerzen.
Domodossola, 23. Sept. Chavez hat ausser den Beinbrüchen noch eine, glücklicherweise nicht
gefährliche Kopfwunde. Sein Herz funktioniert normal.
Domodossola, 24. Sept, vormittags. Das Befinden von Chavez bessert sich. Man glaubt, dass der
Flieger in etwa vierzig Tagen wieder geheilt sein wird. Der verunglückte Flieger erinnert sich nicht an die
Ursache seines Sturzes. Das Gesundheitsbulletin von 9.30 abends bestätigt, dass das Allgemeinbefinden
gut ist; Temperatur 37 Grad. – Chavez wurde auf seinem Flug nach Domodossola überall begeistert
begrüsst. Viele Personen weinten vor Bewegung. Chavez hat viele Glückwunschtelegramme aus allen
Ländern und aus höchsten Kreisen erhalten.
Domodossola, 24. Sept. In Sportkreisen hält man dafür, dass Chavez den ausgesetzten Preis von
70,000 Fr. Ausbezahlt erhält, trotzdem er Mailand nicht erreichte. Die Hauptbedingung, der überaus
schwierige Alpenüberflug, hat er glänzend gelöst. Es ist dies das grösste Ereignis, das die Aviatik zu
verzeichnen hat.
Ankunft Chavez in Domodossola.
(Von unserem Spezialkorrespondenten)
Seit Eröffnung des Simplontunnels hat nichts mehr die hiesige Bevölkerung in solche Aufregung
versetzt, als der nun erfolgte Alpenüberflug. Schon eine ganze Woche vorher arbeiteten Genietruppen am
Estellen von Telephonlinien. An mehreren Orten, wie auf dem Calvari und dem Montscerapass, sollten
Militärposten optische Signale geben. Selbst der Glockenturm der Pfarrkirche wurde in den Dienst der
Luftschiffahrt gestellt. Es befand sich darin ein mit dem Telephon versehener Beobachtungsposten,
welcher das Aufstiegen in Brig mit 5 Schlägen, das Ueberfliegen des Simplons mit 10 Schlägen der
grossen Glocke dem Volke mitteilen sollte. Die grosse Glocke wurde geläutet, sobald das Luftschiff vom
Turme aus gesehen wurde. Vor dem Hotel Terminus befanden sich zwei Wandtafeln, um die einlaufenden
Telegramme bekannt zu geben.
Allgemein erwartete man die ersten Flieger auf den Sonntag vormittag. Als aber bekannt wurde,
dass man wegen dem eidgenössischen Bettage nicht abfliegen konnte, brach ein wüstes Schimpfen über
Schweizer- und Walliser-Regierung und von vielen auch über die Geistlichkeit los. Die widersprechendsten
und lächerlichsten Gerüchte wurden verbreitet, so auch, dass der Papst schriftlich das Abfliegen verboten
haben.
Am Montag, um 6 ½ Uhr morgens, verkündeten fünf Glockenschlage, dass ein Flieger von Brig
abgeflogen sei. Alles stürzte an die Fenster oder auf die Strasse und blickte erwartungsvoll bald nach
Bognanco, bald nach Crevola. Doch die weitern 10 Schläge erfolgten nicht und so wusste man, dass alles
Warten umsonst sei. An den 3 folgenden Tagen konnte wegen dem ungünstigen Wetter kein Flieger
erwartet werden.
Am Freitag um 1 ¾ Uhr nachmittags ertönten wieder die 5 Schläge, denen bald 10 andere folgten.
Auf der Wandtafel stand, dass Chavez abgeflogen sei. In grosser Aufregung erwartete man auf den
kühnen Flieger. Da bemerkten die ersten das Luftschiff wie einen weissen Fetzen oberhalb Crevola, um
sich bald nachher wie ein grosser gelber Volgel am Horizont abzuzeichnen.
In einem eleganten Bogen lenkte er Domodossola zu, um einer Höhe von 500 Meter majestätisch
den Bahnhof zu überfliegen. Die grosse Glocke läutete zum Grusse und die Eviva- und Bravorufe der
begeisterten Menge überhallten bei weitem das Surren des Luftschiffes. Nicht weit unterhalb Domodossola
senkte sich das Luftschiff mit unheimlicher Schnelligkeit. Doch man wusste, dass er seinen Behälter mit
Benzin nachfüllen sollte und niemand dachte, dass dem Bezwinger der Alpen auf der Ebene zwischen
Domodossola und Billa etwas Unvorgesehenes widerfahren könnte. Und doch geschah leider das
Schreckliche. In der Höhe von 20 Meter ob der bezeichneten Landungsstelle fielen plötzlich die Flügel und
schlugen unter dem Luftschiff zusammen. Sogleich stiessen sie auf den Boden und überschlugen das
Luftschiff. Der kühne Chavez lag unter den Trümmern. Besinnungslos wurde er hervorgezogen und die
bald nachher ankommenden Aerzte fanden, dass er beide Beine, das linke sogar doppelt gebrochen habe.
Die Oberlippe war zerschnitten, auch hatte er noch einige kleine Verletzungen. In einem Automobil wurde
der Bedauernswerte in den hiesigen Spital geführt. Seine ersten Worte waren: „Es ist schrecklich“. Sein
Allgemeinbefinden hat sich schon bedeutend gebessert und er konnte die Einzelheiten seiner kühnen Fahrt
erzählen. Das Unglück beim Landen weiss er sich nicht zu erklären; er meint, der starke Wind konnte die
Tragenden Drahte der Flügel zerrissen haben.
Der 23jährige Chavez wurde in Paris geboren. Seine Eltern waren Amerikaner (Peru). Für seinen
Flug über die Alpen erhält er 50,000 Fr. An der Unglücksstätte wird ein Denkmal aus Simplon-Granit
errichtet. Alles wünscht dem kühnen jungen Manne recht baldige und vollständige Besserung.
Das Richtige über den Flug Chavez.
Die Zeitungen haben über den Weg, den Chavez bei seinem kühnen Fluge genommen viel
Widersprechendes und ganz Unrichtiges berichtet. Wir haben letzte Tage die Gegend – unsere Heimat –
bereist und uns von Augenzeugen ganz sicheren Aufchluss geben lassen.
Vorab ist Chavez nicht über den Kaltwassergletscher, zwischen dem Hübschhorn und Breithorn
und am Glatthorn (nicht Gatenhorn), wie italienische Zeitungen berichteten, vorbeigeflogen, sondern ganz
richtig über Simplon-Kulm. Im Dorfe Simplon kam es etwas rechts über dem Engiloch (Zufluchtshaus Nr. 7)
zum Vorschein. Fast alle sahen ihn und wurden heftig ergriffen. Schnell war er aber über das Dorf und die
Gegend vorbeigeschossen, um dann über den Feerberg und Furggen zu verschwinden. Chavez flog nun
nicht über die Monscera und auch nicht durch die Gondoschlucht, wie irrtümlich berichtet wird, sondern bog
ganz gegen Osten und kam durch das Zwischenbergental über Gondo und Trasquera nach der Ebene von
Domodossola. In Zwischenbergen sah man ihn an zwei Orten. In Gondo will ihn niemand gesehen haben,
wohl aber in Trasquera, einem italienischen Bergdorfe, wo er nicht weit über dem Dorfe dahinflog.
Eidgenössischer Bettag und der Flug über den Simplon. Fremde Blätter fahren über unsere
Regierung her wegen des Flugverbotes am Vormittag des edgen. Bettages. Die Schweizerblätter nehmen
die Regierung von Wallis in Schutz. Nur zwei machen, so weit wir wissen, eine Ausnahme.
Die „Zürcher Post“ meint, der eidgenössische Bettag sei „der eigentliche Tag der Ausflügler und
der Extrazüge“. Ein schöner Bettag wohl! Das Luftfliegen sollte „grad so erlaubt sein, wie das Automobilund Eisenbahnfahren“. Das ist sophistische Spiegelfechterei! Wenn zehntausende einem Automobilfahrer
nachlaufen würden, könnte der Vergleich eventuell gelten. So aber ist er nur auf die ganz Dummen
berechnet.
Der „Grütlianer“ geht noch weiter – und, einfältig, wie die Schweizer nun einmal sind, besonders
wenn es mit den Interessen der Fremdenindustrie harmoniert – vor aller Welt gründlich blamiert. Ueber
dem Wallis wölbte sich ein so klarblauer windstiller Himmel, wie den ganzen Sommer noch nicht.
Wahrscheinlich hatte es der liebe Herrgott gerade deshalb so eingerichtet, um den Finsterlingen zu zeigen,
wie wohlgefällig ihm gerade an seinem eidgenóssischen Ehrentag der Menschen unentwegtes Streben sei.
Allein die gute Walliser Regierung hat den lieben Herrgott eben nicht verstanden....
Alle Hochachtung vor der Walliser Regierung, so schreibt die „Schaffhauser Ztg.“, welche die
Sonntagsruhe schützt. Respekt auch vor den Brigern, welche so mannhaft für die Ehre des
eidgenössischen Bettages eingestanden sind. „Frumb und einfältig, wie die Schweizer nun einmal sind“,
haben die Walliser Charakterfestigkeit bewiesen. Ein Gesetz gilt für alle gleich. Das ist eben noch „Frumbe“
Walliserart, wenn sie dem sozialistischen „Grütlianer“ auch als einfältig erscheint. So weit verstehen die
Walliser den lieben Herrgott schon, dass sie durch die Heiligung des Tages des Herrn ihn als Höchsten im
Lande anerkennen u. ihm huldigen. Vermutlich sind sie dazu besser befähigt als der „Grütlianer“, welcher
zwischen der „Religionen als Privatsache“ und dem Atheismus hin- und herpendelt wie ein Kuhschwanz.
Wenn das Fliegen zur Kultur gehört, so gehört eben die Sonntagsruhe auch dazu und zwar in viel
höherem Masse. In der neuern Zeit scheint man dies vergessen zu wollen.
Verschiedenes.
500 Flieger. Die so ereignisreiche Flugsaison 1910 naht sich jetzt ihrem Ende; sie hat einen
Aufschwung in der Kunst des Fliegens gebracht, an dessen Möglichkeit noch vor wenigen Jahren niemand
geglaubt hätte. Aber nicht nur die Einzelleistungen im Dauer-, Schnell- und Höhenflug waren so
imponierend, auch die Zahl der Flieger ist ausserordentlich gewachsen. Ende 1907 waren es ganze vier
Mann – die beiden Brúder Wright, Santos Dumont und Henri Farman – die die Bewunderung der Welt
durch die ersten Flüge erregt hatten. Ende März 1910 war die Zahl der Leute, die fliegen konnten, bereits
auf 200 gewachsen, und heute zahlt man nicht weniger als 500 Flieger. Es gibt dabei mehr als 30
bekannte verschiedene Typen von Flugmaschinen, unter denen die Eindecker und die Zweidecker
einander fast die Wagschale halten. Von 30 Fliegern ist bekannt, dass sie mit der Ausarbeitung der
Einzelheiten an neuen Originalmodellen beschäftigt sind. Besondere Erwartungen setzt man auf Paulhan,
der in kurzem die erste Versuche mit einem neuen Aeroplan anstellen will, dessen Tragflächen während
des Fluges zur Einzielung einer grösseren Geschwindigkeit verkleinert weden können.
Walliser Bote
Nr. 79. Sitten, Samstag 1. October, 1910
Ein grosser Toter.
(Korr. aus Domodossola)
Obgleich Millionen den kühnen Bezwinger der Alpen eine baldige Besserung wünschten, hat es
Gott der Allmächtige doch anders gefügt. Am Dienstag nachmittag um 3 Uhr gab er seine Seele in die
Hände des Schöpfers zurück.
Während man noch am Sonntag die beste Hoffnung hatte, verschlimmerte sich am Montag
plötzlich sein Zustand. 4 Aerzte umstanden sorgenerfüllt das Krankenlager und wussten nicht, woher die
Krisis kam. Die Beinbrüche waren auf dem Wege der Besserung, aber der Verunglückte hatte bis 140
Herzschläge und 60 Atemzüge in der Minute. Nach einer schlimmen Nacht musste leider der Spitalarzt
bekennen, dass der Kranke den Dienstag nicht überleben werde. Auch Professor Bozzona aus Turin
konnte nicht anders, als den hoffnungslosen Zustand Chavez‘ bestätigen. Immerhin hatte man noch
Hoffnung, seine kräftige Natur werde diesen schweren Rückfall glücklich überstehen.
Am Vormittag bei einem Besuche des Spitalgeistlichen, sagte ihm dieser, dass er seiner bei der hl.
Messe gedacht habe. Der Kranke reichte ihm trotz seiner grossen Schwäche die Hand und sagte ihm tief
gerührt: „Ich danke Ihnen. Werde ich nicht sterben? Ich bin Katholik.“
Um halb 1 Uhr kam sein Bruder aus Paris. Rührend war ihr Widersehen. Sein Zustand wurde
immer schlimmer und man gab ihm die letzte Oelung. Bald darauf verlor er zeitweise die Besinnung und
seine Phantasie irrte zu seinem Todesflug über die Alpen zurück. Bald sprach er von riesigen Bergen, von
der Monscera, vom Motor und vom Landen. Nun begann der lange schmerzhafte Todeskampf. Es schien,
als ob der Tod diesen gewaltigen Geist, diesen eisernen Willen nicht bezwingen konnte. Der Spitalarzt rief
schluchzend aus: „Ein anderer Mensch wäre in diesem Zustande schon vor zwei Stunden gestorben.“
Seine letzten Worte waren: „Nein, ich werde nicht sterben, nein !“ Bald darauf hauchte er seine Seele aus.
Ein Arzt hoffte mit einem elektrischen Apparate sein Leben um einige Minuten zu verlängern, aber es war
vergebens. Bei seinem Hinscheide waren 2 Priester, 2 Spitalschwester, sein Bruder, seine Braut, der
Präsident von Domodossola und zwei Aerzte zugegen.
Als Todesursache wurde bekannt gegeben: Lähmung der Nerven. Mit der grössten Bestürzung
nahm das vor dem Spital wartende Volk die Todesnachricht entgegen, und wie ein Lauffeuer verbreitete sie
sich augenblicklich durch die ganze Stadt. Denn tatsächlich hat der unglückliche Chavez die Herzen der
Menge im Fluge erobert. Von dem Tage an, als er wie ein König der Lüfte vor ihren Augen vorbeiflog, war
er sein Liebling. Jedes Kind nannte seinen Namen. Das Volk fühlte nur zu gut, dass ein Bahnbrecher das
Zeitliche verlassen hatte. Alle Berufsklassen zogen an seiner aufgebahrten Leiche vorbei. Die zarten
weissen Hände, welche mit solcher Meisterschaft das erste Luftschiff über die Alpen lenkte, waren von
einem Rosenkranz umschlungen und umfassten ein kleines Kreuz. Die Wunde der Oberlippe war kaum
sichtbar.
Der Gemeinderat erbot sich, die Leiche auf Kosten der Gemeinde zu besorgen. Und tatsächlich
hat am Donnerstag die Bevölkerung von Domodossola ihren Liebling mit einem Aufwand zum Bahnhof
begleitet, wie er grossartiger für seine Verhältnisse nichts möglich war.
Der gewaltige bei tausend Personen zählende Leichenzug wurde von einer Abteilung Feuerwehr
eröffnet. Ihnen folgte die Stadtmusik, dann 14 von Hand getragenen Kränze, von denen einer über 3 Meter
gross war. Nun kamen die Frauen und Klosterfrauen. 40 Priester im Chorhemde schritten vor dem von vier
prächtigen Pferden gezogenen Leichenwagen her. Diesem folgte der Bruder des Verstorbenen, eine Tante,
sein Freund Lehrer in der Luftschiffahrt, Duran. Dann die Luftschiffer, unter denen man einige der besten
Flieger der Welt erkannte. Diesen hochtrabenden Männern folgte der Gemeinderat, das LufschiffahrtKomitee von Mailand, die Gerichtsbehörden, die Vorsteher der verschiedenen italienischen und
schweizerischen Staatsverwaltungen, wie Post, Telegraph und Zollamt. Wieder eine Abteilung Feuerwehr,
dann noch drei Wagen prächtiger Kranze. Eine zweite Musik, der 20 Fahnen und die Mehrzahl der hiesigen
verschiedenen Vereine folgte. Dann erst kam die gewaltige Kolonne der Männer von Domodossola und
Umgegend u. zum Schlusse wieder eine Abteilung Feuerwehr. Auf der Strasse vom Spital zur Kirche und
zum Bahnhofe bildete eine nach Tausenden zählenden Volksmenge Spalier. Alle Geschäfte und
Wirtschaften der Stadt waren geschlossen und an den Pfosten stand der hier übliche Trauerpapierstreif mit
den Worten: „Trauer dem Helden“ Auf dem Bahnhofe riefen noch 5 Redner, darunter. Stadtpräsident
Samonini, Dr. Radiolo, der Konsul von Peru, dem toten Luftschiffer einen letzten Gruss zu. Der práchtige
Sarg wurde mit all den Kränzen und Blumen in einen Schweizer-Gepäckwagen verladen und fuhr mit dem
Schnellzuge 6 Uhr 22 durch den Simplon nach Paris.
Der tief Betrauerte möge nun im Frieden ruhen.
Ueber seine letzten Stunden und seinen Tod teilt die Depeschenagentur folgendes mit.
Domodossola, 27. Sept. Chavez ist heute Nachmittag 3 Uhr im Spital von Domodossola gestorben.
Die Nachricht vom Tode rief in Domodossola ungeheure Bestürzung hervor.
Domodossola, 27. Sept. Der Zustand Chavez‘ verschlimmert sich seit vormittags zusehends, und
es zeigte sich beim Kranken eine allgemeine Depression. Die Herztätigkeit beunruhigte die anwesenden
Ärzte sehr. Der am Montag von Turin eingetroffene Professor Bozzona hegte keine Hoffnung mehr. Die
letzte Nacht war ebenfalls sehr schlecht. Von 9 Uhr morgens ab wurde dem Kranken Sauerstoff zugeführt.
Man setzte alles daran, Chavez wenigstens bis zur Ankunft des Mittagszuges, mit welchem sein Bruder
aus Paris eintraf, am Leben zu erhalten.
Mailand, 27. Sept. Chavez‘ Bruder John, Bankier in Paris, traf in Domodossola um 12 Uhr 40 mit
vierzig Minuten Verspätung ein, zeitig genug, um den Bruder noch bei Besinnung anzutreffen. Das
Wiedersehen war äusserst schmerzlich, so sehr sich der Bruder auch bemuhte, stark zu sein.
Chavez lächelte und sagte mühsam: „Bist du gekommen? Hast du meine Depesche erhalten?“
Dann fiel er in Ohnmacht und Delirium, wobei er fortwährend Gebirge vor sich sah und deren Höhe wissen
wollte. Mitunter glaubte er zu fliegen und rief: „Welch ein Wind.“ Chavez starb, nachdem er die h. l.
Sterbsakramente erhalten. Die Bestürzung über seinen Tod ist auch in Mailand gross und allgemein.
Rom, 27. Sept. Aus Domodossola wird gemeldet, dass Chavez erst nach schwerem Todeskampfe
starb. Er war umgeben von seinen Freunden und seinem Bruder.
Domodossola, 27. Sept. Die Gemeindebehörde und die Gemeinden haben wegen des Todes von
Chavez die Fahnen auf ihren Gebäuden auf Halbmast gehisst. Die Fabriken stellten zum Zeichen der
Trauer die Arbeit ein. Eine ungeheure Menschenmenge begab sich zum Spital. Um 4 Uhr nachmittags
wurde das Publikum zur Besichtigung der Leiche zugelassen. Eine starke Bewegung bemächtigte sich der
Anwesenden, die in Tränen ausbrachen. Feuerwehrleute und Gendarmen in grosser Uniform halten die
Totenwache. Der Bürgermeister gab der Bevölkerung durch ein Manifest Kenntnis von dem Hinschied
Chavez‘. Morgen wird der Gemeinderat zusammentreten, um über die Leichenfeierlichkeiten, die am
Donnerstag stattfinden, Beschluss zu fallen. Die sterblichen Reste des Aviatikers werden sodann nach
Paris überführt.
Mailand, 27. Sept. Auf die Meldung vom Tode des Aviatikers Chavez wurden die Flüge
verschoben.
Genf, 27. Sept. Die in Genf erscheinende illustrierte Zeitung „ABC“ eröffnet soeben eine Kollekte
zur Errichtung eines Denkmals für Chavez in Brig. Ein Automobil der Zeitung fährt in den Strassen herum,
um Gaben einzusammeln. Keiner, der nicht ein Scherflein gäbe. Hier sind alle über den Tod bestürzt.
Brig, 27. Sept. Die Nachricht vom Tode Chavez‘ ruft hier allgemeine Teilnahme hervor. Es wird
angeregt, für den Verstorbenen ein feierliches Requiem in der hiesigen Kollegiumskirche abzuhalten, ferner
auf dem Startplatz ob Brig, wo der berühmte Ausflug am 23. September begann, einen Denkstein zur
Erinnerung an den unglücklichen ersten Ueberflieger der Alpen zu errichten.
Domodossola, 28. Sept. Eine Schwester bewacht die Leiche Chavez‘. Die Leichenfeier findet
Donnerstag Nachmittag statt. Das Komitee für den Flug Brig-Mailand hat der Familie Chavez Fr. 50,000 als
Preis für die Alpenüberfliegung überreicht. Zahlreiche Telegramme und viele Kränze treffen aus
verschiedenen Richtungen ein.
Domodossola, den 28. Sept. Die Maske von Chavez wird mit den Resten des zerstörten
Flugapparates im hiesigen Museum aufbewahrt werden. Der peruanische Konsul Maillard ist zur
Bestattung von Chavez eingetroffen. Die Leichenfeier findet morgen um 2 Uhr nachmittags statt.
Domodossola, 28. Sept. Mittwoch früh begann schon zeitig das Defilieren der Menge von der
Leiche Chavez‘. Alle, auch die aus entlegenen Teilen des Tales herbeigeströmten Landleute gaben
Zeichen leibhafter Bewegung. Sie schrieben sich in die am Eingang des Spitals aufgelegte Liste ein.
Besonders tief bewegt zeigten sich die Geschwister des Verstorbenen, welche die Leiche unter Tränen
küssten und riefen: „Armer Georg !“ Man spricht von der Benennung eines öffentlichen Platzes in der Stadt
nach dem Namen Chavez. Der italienische Kriegsminister sandte der Familie des Fliegers eine
Beileidsdepesche. Der Bildhauer Lusardi wird vom Gesicht des Toten einen Gipsabguss machen.
Bern, 28. Sept. Der Vorstand des Schweizer. Aeroklub hat den Bruder Chavez in Domodossola ein
Beileidstelegramm gerichtet, worin gesagt wird, dass das Andenken Georg Chavez in der Schweiz immer
lebendig bleiben werde, von wo er aufgeflogen ist, um seine heroische Ueberfliegung der Alpen
auszuführen.
Domodossola, 29. Sept. Die Stadbehörde von Domodossola hat beschlossen, dass die
Leichenfeier Chavez auf Gemeindekosten durchgeführt werde. Es sind Beleidstelegramme aus allen
Erdteilen von höchststehenden Persönlichkeiten eingetroffen. Die Leiche Chavez wird Donnerstagabends 6
Uhr 20 über Lausanne nach Paris verbracht werden. Ueber die letzten Stunden des sterbenden Chavez
erfahrt man noch folgende Einzelheiten: In den ersten Morgenstunden trat Verschlimmerung des
Zustandes ein, die Todesgefahr rückte nahe. Die Lähmung des gesamten Nervensystems griff immer
weiter um sich, Einatmungen von Sauerstoff und Einspritzungen von Kampfer und anderen belebenden
Mitteln waren imstande, die Lebensflamme noch eine Zeitlang zu nähern. Der Priester des Hospitals
sprach Chavez Trost zu, und dieser dankte ihm herzlich, indem er betonte, dass er ein guter Katholik sei.
Ein Freund munterte ihn mit den Worten auf „Vous etes un brave, tout le monde pense a vous“, worauf
Chavez erwiderte: „ca va bien, mais je meurs“. Um 11 ½ Uhr begann er zu phantasieren, indem er
fortwährend von Bergen, Gletschern, Passübergangen und Stumwinden sprach. Um 12 Uhr 40 Min. kam
sein Bruder Jean an, den eine Depesche aus Paris berufen hatte. Der Sterbende erkannte ihn sofort und
begrüsste ihn mit liebevollen Worten, um aber bald wieder ins Delirium zu fallen. Immer wieder rief er aus:
Quel vent, quel vent! Und dann fragte er nach der Stunde auf äusserte traurig, dass die Zeit so langsam
vergehe. Um 3 Uhr besiegte der Tod den kühnen Mann.
Edgenössicher Bettag und die Regierung von Wallis. (Korr.)
Anlässlich der Brieger Flugwoche haben die Schweizer Blätter aller Richtungen, zweier
ausgenommen, unser Regierung zu ihrer entschiedenen Haltung beir Beobachtung des eidgenössischen
Bettages rückhaltsloses Lob gezollt. Mann konnte wirklich kaum ein anderes Verhalten wünschen.
Um so befremdender musste eine Stimme erscheinen, - er war nur eine einzige – die mitten in den
Anfeindungen, welche unsere Regierung seitens fremdländischer Blätter bis zum Uebermass ertragen
musste, die Forderung stellte, es hatte das Fliegen für den ganzen eidgenossischen Bettag verboten
werden sollen !
Es soll hier nicht untersucht werden, ob ein derartiges Verbot unter den obwaltenden Umständen
und bei den bereits getroffenen Vorbereitungen überhaupt klug und angezeigt gewesen wäre. Aber es
nimmt Wunder, warum unser eifrige Zionswächter nicht eine ähnliche Forderung laut werden liess, als noch
in den letzten Jahren bei der Erstellung der Elektrizitätswerke von Chippis eine auffallende, unser Volk
schwer ärgernde Sonntagsentheilung sich breit machte. Die Sache gab damals in Walliser Blättern und
sonst noch viel reden. Man sagt, die Unternehmung hätte damals leicht ziemlich weitgehende Erlaubnisse
seitens der höhern zuständigen Behörde erlangt.
Da wäre ein etwas strafferes Anziehen des Zügel mehr als wünschenswert gewesen!
Die allgemeine Meinung, die hier durch die gesamte katholische Schweizerpresse repräsentiert
wird, hat unserer Regierung zu ihrem strammen Festhalten an dem Grundsatze, dass der ganze Vormittag,
die Zeit des pflichtgemässen Gottesdienstes, nicht unter den Veranstaltungen der Flugwoche leiden dürfe,
rückhaltslos beigepflichtet.
Wir schliessen uns dieser allgemeinen Meinung an und bedauern, dass in unserem heikeln Falle
der betr. Korrespondent sich in seinem Sinne vernehmen lies.
Gegen Hetze und Hetzer.
Die ausländischen Sportjournalisten, die zur Fliegerwoche in Brig erschienen waren, machen ihre
dortigen Drohungen zur Wahrheit, in der internationalen Presse, soweit sie ihnen zugänglich ist, einen
Hassfeldzug gegen unser Land, sowie ganz besonders gegen die Briger-Spissen und Herrn Direktor
Maurer als diesseitigen Meteorologen der Veranstaltung zu eröffnen. Besonders in der italienischen Presse
von Mailand weg bis nach Florenz, Rom und Neapel wird dermalen Grosses in der Anschwärzung
schweizerischer Ruckständigkeit geleistet. Wir müssen nun freilich zugeben, dass wir keine so berühmte
Staatsmänner haben wie Exzellenz Unterrichtsminister a. D. Rafi, keine so berühmte Oberbürgermeister
wie Nathan „der Unweise“, keine Herren wie die Luccheni und Brezci, keine derart pikantetn
Sensationsprozesse wie jenen der Grasin Buonmartini. Auch können unsere Städte nicht gleiche
malerische Quartiere aufweisen, wie Rom, Neapel und Palermo, deren Romantik noch viel von ihrer
Unsauberkeit und Seuchengefährlichkeit übertroffen wird, und es besteht z. B. auch unsere Beamtenwelt
aus reinen Waisenknaben im Vergleich mit der italienischen, sobald das Kapitel Korruption angeschnitten
wird. Ein ganzes wildes Land sind im Vergleich zu Italien darum dennoch nicht, und sofern die italienische
Presse dies auf einmal nicht mehr glauben will, soll sie ihren König fragen, und ihren Ministerpräsidenten
Luzatti. Was aber die Angriffe auf Herrn Direktor Maurer betrifft, so sind dieselben von einer unglaublichen
Frechheit. Der Zufall wollte es, dass Herr Direktor Maurer und Schreiber dies in Brig Zimmernachbaren
waren. Der letzte hatte Gelegenheit, zu beobachten, mit welcher Unermüdlichkeit und Gewissenhaftigkeit
Hr. Mauer seinem Dienste oblag, wie er jeweilen schon ca. 5 ½ Uhr früh zum Startplatze begab, ständig
auf Beobachtung war, umfassende meteorologische Drahtberichte von allen Seiten sich nach Brig kommen
liess, ein modernstes Instrumentarium zu Nutzen zog, kurz in geradezu mustergültiger Weise seines Amtes
waltete. Wenn man Hrn. Direktor Maurer sodann den Haupthetzer, des famosen Signor Mercanti,
gegenüberstellt, fällt der Vergleich in allen Teilen zugunsten des Herrn Direktor Maurer aus, obwohl wir
gerne zugeben, dass seine beruflichen Stellungen als früherer Chauffeur und jetziger Automobilhändler
Herrn Mercanti ganz besonders zu einer wissenschaftlichen Autorität auf dem Gebiete der modernen
Meteorologie qualifizieren, wie denn auch die zurzeit in Berlin tagende internationale meteorologische
Kommission beabsichtigen, soll Signor Mercanti zum aktiven Mitglieder als Papierkorbleerer zu erheben.
Wenn wir boshaft sein wollten, könnten wir auch die wissenschaftliche Qualifikation des italienischen
Meteorologen mit jener des Herrn Direktor Maurer in Vergleich ziehen. Wir verzichten aber darauf, sowie
auch darauf, einen Ausdruck zu reproduzieren, den der Präsident des Mailänder Komitees, Graf Gormani,
über Hrn. Mercanti und sein journalistisches Gefolge brauchte. Es war kein Cosename, obwohl auch er mit
C begann!
„N.Z. Nachr.“
Nr. 80. Sitten, Mittwoch den 5. Oktober, 1910
Walliser Bote
Gondo. (Korr.) Wie in Simplon-Dorf, so erweckte Chavez durch sein Erscheinen mit dem Monoplan
auch bei den Bewohnern in Zwischenbergen Bewunderung und grosse Freude. Man bemerkte ihn schon
auf dem Furggenpass, des zwischen den Seehorn und der Balmhornkette liegt, in einer Wolke schwebend.
Ein Augenzuge berichtet übereinstimmend mit andern:
„Ich hörte ein Geräusch, gleich dem des Motors eines Fahrrades, sah auf und erkannte den
Monoplan deutlich in seiner ganzen Form in einer trüben Wolke fast stille, bald nach rechts, bald nach links
schwenkend. Es muss dort Wind gewesen sein. Auf einmal machte er sich, wie ein Lämmergeier in
unglaublich raschem Fluge aus dieser Lage, lenkte links dem Abhange des Seehorn zu und überflog in
grausiger Höhe der Länge entlang das Zwischenbergental, die Arbeiterhütten der Goldminen von Gondo
rechts zurücklassend. Dann kreuzte er die Simplonstrasse ziemlich genau an der Schweizergrenze,
überflog Trasquera, bis zum „Livital“ oberhalb Barzo, wo er unsern Augen wie ein Vögelein entschwand.
Einigen kam es vor, als wäre der Vogel nach Binn geflogen.“
Dieser Augenzeuge bemerkte am Ende seiner Erzählung mit freudig erregter Stimme, die
Erscheinung habe ihm mehr Vergnügen gemacht, als wenn er bei seiner Arbeit 10 Fr. gefunden hätte. Man
hat hier für Herrn Chavez eine so hohe Verehrung, dass sogar alte Weiber sein Bildnis mit Hochschätzung
betrachten und es in ihren Büchern aufbewahren.
Italien.
- In Mailand stiessen die Aviatiker Dikson und Thomas bei ihren Ausflügen zusammen. Beide
sind ernstlich verletzt.
Deutschland. Der Aviatiker Haas, der am 2. Dies um 4 Uhr von Trier nach Metz ausflog, ist
gestürzt. Haas ist Tot. Der Apparat zertrümmert.
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