Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? Materialien für Lehrerinnen und Lehrer zur Vorbereitung auf den Wettbewerb März 2004 Inhalt Vorwort ........................................................................................................................................... 3 Einleitung ........................................................................................................................................ 4 Der Widerstand gegen die Diktatur. Hauptgruppen und Grundzüge der Systemopposition ............. 5 Von Peter Steinbach Was heißt Widerstand? ................................................................................................................. 21 Von Ansgar Kemmann Lebensbilder von Widerständlerinnen und Widerständlern mit Hessen-Bezug Ludwig Beck ..................................................................................................................... 26 Alfred Delp ......................................................................................................................... 27 Hermann Kaiser ................................................................................................................. 28 Johanna Kirchner ............................................................................................................... 29 Wilhelm Leuschner ............................................................................................................ 30 Nora Platiel ........................................................................................................................ 31 Cilly Schaefer..................................................................................................................... 32 Rose Schlösinger ............................................................................................................... 33 Elisabeth Schumacher ....................................................................................................... 34 Adam von Trott zu Solz ...................................................................................................... 35 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Günther Arndt ................................................................................................................... 37 Wolfgang Breckheimer....................................................................................................... 38 Karl Brozik ......................................................................................................................... 39 Peter Gingold..................................................................................................................... 40 Eugen Herman-Friede ....................................................................................................... 41 Irmgard Heydorn ................................................................................................................ 42 Anneliese Knoop-Graf ....................................................................................................... 43 Franz Kremer..................................................................................................................... 44 Trude Simonsohn .............................................................................................................. 45 Herbert Westenburger ....................................................................................................... 46 Einladung von Zeitzeugen: Leitfaden für Lehrkräfte....................................................................... 47 Von Andreas Hettiger Kommentierte Literaturhinweise ................................................................................................... 50 Ausgewählte Filme zum Thema .................................................................................................... 68 Weiterführende Internetadressen ................................................................................................. 74 Impressum .................................................................................................................................... 75 Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 2 Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Am 20. Juli 2004 jährt sich zum 60. Mal der Tag des gescheiterten Staatsstreichs gegen Adolf Hitler. Diesen Tag wollen wir zum Anlass nehmen, vor allem jungen Menschen die Frauen und Männer des Widerstands aus Hessen – zum Zeitpunkt ihrer mutigen Haltung oft selbst noch Jugendliche – nahe zu bringen. Wenn es Vorbilder für ein freies, demokratisches Deutschland geben kann, dann sind das auch die Frauen und Männer des Widerstandes. Der von Dolf Sternberger geprägte, von Jürgen Habermas wieder eingeführte Begriff des „Verfassungspatriotismus“ erhält durch das Beispiel dieser Frauen und Männer des Widerstands eine emotional nachvollziehbare Dimension. Insofern ist die genaue Erinnerung an den Widerstand gegen das NS-Regime auch ein konkreter Beitrag zur gegenwärtigen Patriotismus-Debatte. Es gibt zahlreiche herausragende Persönlichkeiten des Widerstands, die von Hessen aus ihren Weg genommen haben. Überlebende des Widerstands haben, obwohl in der auf Wiederaufbau, ökonomische Prosperität und Verdrängen der Schuld orientierten Gesellschaft der fünfziger und frühen sechziger Jahre eher isoliert, die hessische Nachkriegsgeschichte entscheidend mitgeprägt. Die vielfältigen Motive ihres Handelns gegen den Nationalsozialismus reichen von Positionen der Arbeiterbewegung über liberale bis zu konservativen Traditionen, von klarer politischer Ablehnung des Nationalsozialismus über religiöse Beweggründe bis zu mitmenschlicher Hilfe für verfolgte Nachbarn und Freunde und jugendlich-unangepasster „Widerspenstigkeit“, wie bei der „Swing-Jugend“ und den „Edelweißpiraten“. Gemeinsam war vielen von ihnen die Einsicht: Wir sind zu wenige. Wir stehen auf verlorenem Posten. Wir werden wahrscheinlich erfolglos bleiben. Aber wir müssen es dennoch versuchen, die Barbarei zu stoppen. – Gemeinsam war allen der Mut, ihre soziale Existenz, ihr Leben einzusetzen. Mit unserem gemeinsamen Projekt „Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute?“ wollen wir jungen Menschen überall in Hessen die ganze Vielfalt des Widerstands gegen die Nazibarbarei in Lebensbildern von Frauen und Männern des Widerstands deutlich machen. Wir wollen die Auseinandersetzung mit ihren politischen, religiösen und weltanschaulichen Positionen, auch mit Brüchen in ihren Lebenswegen anregen und zugleich die Frage nach der heutigen Aktualität des Widerstands gegen den Nationalsozialismus anstoßen. Wir freuen uns über Ihr Interesse und Ihre Mitwirkung, hoffen, dass Ihnen die anliegenden Handreichungen bei Ihren Unterrichtsvorbereitungen eine Hilfe sein können und wünschen Ihnen einen erkenntnisreichen Unterricht über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Mit freundlichen Grüßen Udo Corts Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst Dr. Roland Kaehlbrandt Geschäftsführer der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 3 Einleitung Zum 60. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 organisiert das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Zusammenarbeit mit der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung für Jugend-debattiert-Schulen in Hessen den Wettbewerb „Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute?“. Mit der Auswahl des vorliegenden Materials für Lehrerinnen und Lehrer versuchen die Veranstalter, die Fokussierung des öffentlichen Gedenkens auf den 20. Juli 1944 und damit ausschließlich auf den militärischen Widerstand gegen Adolf Hitler zu brechen. Vielmehr wollen sie den Blick auch auf andere oppositionelle Gruppierungen, ihre Motivationen, Handlungsspielräume und Schicksale lenken. Dabei spielt auch die Diskussion um die Fragen eine Rolle: Was überhaupt ist Widerstand? Welche Möglichkeiten hatten der oder die Einzelne in einer Diktatur, gegen den Staat zu opponieren? Der Aufsatz des Experten der Widerstandsforschung Peter Steinbach führt auf breiter Grundlage in das Thema ein und präsentiert verschiedene Widerstandsbewegungen (Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaften, Kirchen) und -formen (bürgerlicher, militärischer sowie individueller Widerstand). Mit der allgemein gehaltenen Frage „Was heißt Widerstand?“ reflek-tiert Ansgar Kemmann, Projektleiter Jugend debattiert, Möglichkeiten, Ausformungen und Definitionen von oppositionellem Verhalten innerhalb des totalitären Staates, aber auch innerhalb einer Demokratie. In zehn Kurzporträts werden die persönlichen Schicksale von Widerstandskämpferinnen und -kämpfern mit Hessen-Bezug vorgestellt. Die meisten von ihnen wurden vom Volksgerichtshof abgeurteilt und hingerichtet; nur wenige überlebten und engagierten sich nach der Befreiung politisch für das Bundesland Hessen. Speziell auf die Personen bezogene Literaturhinweise erleichtern die Recherche nach weiteren biografischen Informationen. Es folgen die Lebensgeschichten von zehn Personen, die bereit sind, als Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in den Schulen über die Zeit des Nationalsozialismus, ihren damaligen persönlichen Widerstand, aber auch ihren heutigen Standpunkt zum Thema Zivilcourage beziehungsweise ziviler Ungehorsam in einer Demokratie zu sprechen. Zum Teil handelt es sich um Persönlichkeiten, die sich selbst einer oppositionellen Gruppierung angeschlossen hatten, oder auch um solche, die vom Widerstand naher Angehöriger oder Freunde berichten können. Mögliche Gesprächsthemen, Bedingungen für den Schulbesuch sowie weiterführende Literatur sind jeweils angegeben. Ein Leitfaden für Lehrkräfte, der zur Vorbereitung der Zeitzeugengespräche dient, umfassende kommentierte Literatur- und Filmverzeichnisse sowie eine Aufstellung weiterführender Internetadressen sind nützliche Hilfen, sich fundiert auf das Wettbewerbsthema vorzubereiten. Literatur- und Filmlisten führen neben einschlägigen allgemeinen Darstellungen auch Literatur und Medien zu diversen Widerstandsgruppen oder Einzelpersonen auf. Da – soweit ermittelbar – die Bezugsquellen und Bestellsignaturen bereits angegeben sind, handelt es sich um komfortabel benutzbare Findmittel. Wir wünschen erkenntnisreiche Diskussionen und einen interessanten Wettbewerb! Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 4 Der Widerstand gegen die Diktatur* Hauptgruppen und Grundzüge der Systemopposition1 Von Peter Steinbach Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus zählt heute zu den zeitgeschichtlichen Traditionslinien, die in besonderer Weise mit unserer Gegenwart verbunden sind und in der Regel zur Vorgeschichte der deutschen Nachkriegsdemokratie gerechnet werden.2 Dieses Interesse hat dazu beigetragen, dass die Beschäftigung mit dem Widerstand im Dritten Reich in der politischen Kultur und in der politischen Bildung der Bundesrepublik Deutschland einen festen Platz einnimmt.3 Dies bedeutete allerdings auch, dass vielfach, keineswegs jedoch immer,4 die Würdigung des Widerstands aus einer gegenwartsorientierten Perspektive erfolgte. Derartige Verengungen der Widerstandsgeschichte sind in den vergangenen Jahren weitgehend überwunden worden. Immer stärker rückte nämlich in das Bewusstsein, dass die entscheidenden Kriterien einer angemessenen moralischen Würdigung des Widerstands nicht die Fragen des „Landesverrats“, des „Eidbruchs“ oder einer Verpflichtung zur Abwehr eines Sieges der Roten Armee sein konnten, wie man noch in den fünfziger Jahren betont hatte, sondern eine Handlungsorientierung, die ihre Rechtfertigung aus der „Vollmacht des Gewissens“5 im Kampf gegen die nationalsozialistische Diktatur und aus der Bereitschaft zum persönlichen Risiko zog. Die zunehmend akzeptierte Deutung des NS-Regimes als Unrechtsstaat – mithin als Gegenbild des Rechtsstaates – und als Unrechtsordnung, die die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen zum Ziel hatte und im Zusammenhang mit dem entfesselten Rassen- und Weltanschauungskrieg die „Endlösung“ der „Judenfrage“ anstrebte, rechtfertigte zunehmend den Widerstand, der seit den fünfziger Jahren mit den Attentätern des 20. Juli geehrt wurde. Die nationalsozialistische Diktatur rechtfertigte so bereits durch ihre Existenz, vor allem aber durch die in ihrem Namen begangenen Verbrechen, jeden Versuch, sich diesem Regime zu entziehen oder sich ihm durch aktiven Widerstand entgegenzustellen. Im Widerstand, so lautet * 1 2 3 4 5 Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors aus: Karl Dietrich Bracher/Manfred Eucke/HansAdolf Jacobsen (Hg.), Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bonn 21993, S. 452-473. Die folgenden Überlegungen können nur einen ersten, sehr groben Überblick bieten. Dabei kommt es mir primär nicht auf eine faktologisch umfassende Skizzierung, sondern auf die Akzentuierung einiger grundsätzlicher Probleme der Widerstandsgeschichte an. Ich stütze mich dabei in einigen Passagen auf Überlegungen, die ich zuerst in meinem Beitrag für den von Rudolf Lill und Heinrich Oberreuter herausgegebenen Aufsatzband „20. Juli: Portraits des Widerstands“, Düsseldorf 1984, S. 29-46, niedergeschrieben habe. In Vorbereitung befindet sich ein Sammelband über den Gesamtwiderstand, der einzelne Dimensionen und Probleme des Widerstands ausführlicher behandeln soll, die ich hier nur knapp ansprechen kann und nicht selten ganz aussparen muss. Er wird Ende nächsten Jahres in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung erscheinen. Vgl. das Gutachten zur Planung des Bonner Hauses zur Geschichte, in dem die Geschichte des Widerstands neben der Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen schwerpunktmäßig dargestellt werden soll. Vgl. auch Thorsten-Dietrich Schramm, Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Seine Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland in der Wirkung auf Institutionen und Schulbücher. Berlin 1980. Gedenkstätte. Deutscher Widerstand (Hg.), Der 20. Juli 1944: Reden zu einem Tag der deutschen Geschichte, Bd. l (mit den in Berlin gehaltenen Reden). Berlin 1984; Bd. 2 (mit den in Bonn gehaltenen Reden). Berlin 1986. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die vielfältigen Arbeiten von Karl Dietrich Bracher zu verweisen, der sehr früh in seiner Geschichte des Nationalsozialismus ein Gesamtbild zeichnete, das sich das historische Urteil nicht durch politische Prämissen verstellen ließ. Diese Kategorie wurde erstmals ganz unmissverständlich in zwei biographischen Sammelbänden angesprochen, die Annedore Leber und Karl Dietrich Bracher in der Mitte der fünfziger Jahre herausgegeben haben: „Das Gewissen steht auf“ und „Das Gewissen entscheidet“, jetzt in einem Band neu herausgegeben von Karl Dietrich Bracher, Das Gewissen steht auf. Mainz 1984. In den sechziger Jahren erschien dann Europäische Publikation e.V. (Hg.), Vollmacht des Gewissens, 2 Bde. Berlin 1960 und 1965. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 5 heute das nahezu einhellige Urteil, verkörperte sich eine politische, nicht zuletzt aber auch moralische und ethische Alternative deutscher Politik, die nach der Befreiung vom Nationalsozialismus den Weg Deutschlands in die Nachkriegsordnung erleichterte. Deshalb wurde der Widerstand vielfach als Teil einer universalen Menschenrechtsbewegung gedeutet. Hans Rothfels identifizierte in diesem Sinn am 20. Jahrestag des Anschlags auf Hitler als „Grund des Widerstands“ dessen Bereitschaft und Befähigung, zum „Prinzipiellen“ vorzustoßen, „zu den Kräften moralischer Selbstbehauptung, die über die Erwägung des bloß politisch Notwendigen hinausgehen“.6 In den sechziger und siebziger Jahren führte diese Öffnung des Blicks zur Erschließung bis dahin oftmals vernachlässigter Widerstandsbereiche, etwa von Jugendlichen, religiösen Kleingruppen, Frauen, Juden und Häftlingen.7 Dies hatte eine inhaltliche Differenzierung des Widerstandsbegriffs zur Folge, der nun Elemente des Protestes, des Konfliktes, der Widerstandsfähigkeit im Sinne gruppen- und regionalspezifischer Resistenz, überdies der Dissidenz enthielt.8 Damit rückte auch der alltägliche, das heißt im Alltag bewiesene, Widerstand in den Blick und leitete eine weit über die Erschließung eines neuen Feldes der Geschichte von individueller Selbstbehauptung und Widerstand von 1933 bis 1945 hinausgehende begriffliche Inflationierung ein, die Widerstand zum geschichtspolitisch legitimierten Schlagwort und Kampfbegriff zu machen drohte. Vor dieser Entwicklung haben Historiker wie Karl Dietrich Bracher,9 Theologen wie Eberhard Bethge10 und Juristen wie Arthur Kaufmann11 frühzeitig gewarnt. Widerstandsgeschichtliche Forschungen der sechziger Jahre korrigierten allerdings auch das vor allem in politischen Gedenkreden stark verbreitete Bild von einem freiheitlich-westlichen, verfassungsstaatlich orientierten Ziel, das die Regimegegner gleichsam in die Vorgeschichte des Grundgesetzes zu rücken suchte. Diese Revision führte vielfach zu groben Verzeichnungen, die schließlich die Folgerung zu begründen schienen, daß sich im Widerstand keine entscheidende Alternative zum NS-Staat finden lasse, sondern nur eine Fortsetzung alter antiparteienstaatlicher und obrigkeitsstaatlicher Ressentiments, die für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich gewesen seien. Dagegen machte Andreas Hillgruber darauf aufmerksam, dass der militärische und bürgerliche Widerstand häufig das Ergebnis eines Prozesses war und nicht selten die Überwindung von politischen Positionen voraussetzte, die manche der Regimegegner vor allem aus dem militärischen Widerstand zunächst mit den Nationalsozialisten – zumindest partiell – geteilt hatten.12 Andreas Hillgruber sah deshalb im Widerstand nicht nur den Ausdruck einer graduellen Steigerung prinzipieller Positionen, sondern durchaus eine spezifische Zeitprägung, die im Kampf gegen das NS-Regime sowohl den „Gegensatz“ als auch das „Produkt“ seiner Zeit erblickte. Der totale Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten wurde vielen Zeitgenossen erst allmählich deutlich, so sehr sie auch befürchtet hatten, dass die nationalsozialistische Machtergreifung die „Legalisierung der Rache“13 bedeutete. Im Zuge der Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft richtete sich die nationalsozialistische Politik immer offener gegen angebliche „Feinde“ im Innern, gegen die Anhänger oppositioneller Bestrebungen, die als 6 Hier zitiert nach Hermann Graml (Hg.), Deutsche Opposition gegen Hitler. Frankfurt am Main 1969, erweitert 1977. 7 Vgl. als umfassende Deutung die entsprechenden Abschnitte in Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus. Köln/Berlin 1969 u. ö. 8 Einen Überblick bietet Peter Steinbach, Widerstand als Thema der politischen Zeitgeschichte. Ordnungsversuche vergangener Wirklichkeit und politischer Reflexion, in: Gerhard Besier/Gerhard Ringshausen (Hg.), Bekenntnis. Widerstand, Martyrium. Göttingen 1986, S. 11-75. 9 Karl Dietrich Bracher, Verwirrung um Widerstand, in: Rheinischer Merkur vom 8. Januar 1982. 10 Eberhard Bethge, Widerstand – damals und heute, in: Süddeutsche Zeitung vom 25./ 26. Juli 1981. 11 Arthur Kaufmann, Das Widerstandsrecht der kleinen Münze, in: Süddeutsche Zeitung vom 31. Dezember 1982, Beilage. 12 Andreas Hillgruber, Endlich genug über Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg? Forschungsstand und Literatur. Düsseldorf 1982, S. 47; eine vorzügliche Präsentation und Diskussion des Forschungsstandes findet sich bei Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich. München 31987, S. 209ff., mit einer sehr ausgewogenen Urteilsbildung. 13 Theodor Wolff, Berliner Tageblatt vom 31. Juli 1932. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 6 Ausdruck des verhassten Weimarer Systems diffamiert und nach kurzer Zeit bereits durch neue strafrechtliche Tatbestände und ein rasch wachsendes System von Konzentrationslagern14 bedroht wurden. Innerhalb weniger Monate wurde Verfolgung zum Kollektivschicksal – und zugleich sahen Regimegegner im Widerstand zunehmend eine Aufgabe des einzelnen, der Verbindung zu wenigen seiner Gesinnungsfreunde halten wollte und somit vor allem den Zusammenhalt, weniger aber die Gelegenheit zum Umsturz des Regimes suchen konnte. Ausdruck dieser Gesinnungspflege aus dem Geist der Opposition und der Bemühung um Selbstbehauptung war eine spezifische Gruppenbildung, die Hans Rothfels einmal treffend als „Kreiselei“ oder gar als „Vereinsmeierei“ bezeichnet hat.15 Die Nationalsozialisten verfolgten derartige Bestrebungen als Versuch, den weltanschaulichen Führungsanspruch des Regimes nachdrücklich und unbeirrbar in Frage zu stellen. Dennoch richtete sich der Wille zum Widerstehen niemals allein gegen die Träger der NS-Herrschaft, sondern stets auch gegen diejenigen, die durch ihre Anpassung bessere Voraussetzungen des eigenen Überlebens schaffen wollten. Diese Tendenz wurde erleichtert, weil die Weimarer Republik auch vielfach von jenen Kräften abgelehnt oder zumindest gleichgültig oder ohne ein tieferes republikanisches Engagement betrachtet wurde, die sich gegen den Nationalsozialismus stellten. I. Kommunisten im Widerstand Anhänger der KPD zählten zu der ersten großen Gruppe von Verfolgten und Regimegegnern, die bereits durch die Februarverordnung vom 28. Februar 1933, die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung“, kriminalisiert und zielstrebig aus der Rechtsordnung ausgeschlossen wurden. Ihr Schicksal macht deutlich, dass mit der Zerstörung des Weimarer Rechtsstaates auch das Recht zum politischen Herrschaftsinstrument geworden war und seinen Charakter als „Schutz der Schwachen“ verloren hatte. Für die Nationalsozialisten waren die Grenzen zwischen Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftsmitgliedern fließend: Alle „marxistischen“ Zeitungen wurden verboten, deren Verteilung als „Widerstand“ unter Strafe gestellt. Damit begann die NS-Führung, „Widerstand“ zu definieren und jeden Akt der Opposition oder der geistigen und politischen Eigenständigkeit als Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Verletzung gesetzlicher Bestimmungen zu kriminalisieren. Hingegen benutzten die Regimegegner den Widerstandsbegriff höchst selten. Die Kommunisten erkannten zunächst nicht die Besonderheit des frühen nationalsozialistischen Terrors, der mögliche Gegner ausgrenzen und lahmen, aber auch die Öffentlichkeit durch die Konfrontation mit den Schrecken der Gewaltherrschaft beeindrucken und so wehrlos machen wollte. Sie erblickten vielmehr in der Regel im „Hitlerfaschismus“ nicht wesentlich mehr als eine Fortsetzung des „Papen-“ und „Schleicherfaschismus“. Dadurch hielten sie Hitlers Regierungsübernahme nur für eine Zeiterscheinung und warteten vor allem auf die grundlegende Krise des kapitalistischen Systems, aus der sie gestärkt hervorgehen wollten.16 Erst die Massenverhaftungen nach dem Brandanschlag auf den Reichstag und die unmittelbare Konfrontation mit einem rasch expandierenden und zunehmend wirksameren Unterdrückungsapparat ließen die KPD von der Vorstellung eines massenhaften oder gar „legalen“ Protestes und eines demonstrativen Widerstands Abstand nehmen. Obwohl die kommunistische Parteiführung später immer wieder die angebliche Führungsrolle der KPD im Widerstand herausarbeiten ließ,17 müssen der tatsächliche Erfolg und insbesondere auch der Einfluss von Kommunisten auf den Gesamtwiderstand trotz außerordentlich hoher Verfolgten- und Opferzahlen relativiert werden. Die entscheidenden politischen Frontstellungen der Weimarer KPD waren auch nach 1933 lange Zeit festzustellen. Die Sozialfaschismusthese,18 der zufolge Sozialdemokraten als ebenso 14 15 16 17 18 Vgl. jetzt Johannes Tuchel, Konzentrationslager: Organisationsgeschichte und Funktion der „Inspektion der Konzentrationslager“ 1934-1938. Boppard 1991. Hans Rothfels, Deutsche Opposition gegen Hitler. Eine Würdigung, neue erw. Ausgabe. Hermann Graml (Hg.). Frankfurt am Main 1986, S. 42. Vgl. insgesamt Horst Duhnke, Die KPD von 1933 bis 1945. Köln 1972; ferner Detlev Peukert, Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhein und Ruhr 1933-1945. Wuppertal 1980. Vgl. Klaus Mammach, Widerstand 1933-1939. Köln 1984; ders., Widerstand 1939-1945. Berlin (DDR) 1987. Vgl. Wolfgang Wippermann, Zur Analyse des Faschismus: Die sozialistischen und kommunistischen Faschismustheorien 1921-1945. Frankfurt am Main 1981. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 7 gefährlich, wenn nicht sogar als gefährlicher denn die Nationalsozialisten galten, wurde erst 1935 korrigiert, ohne die politischen Wunden heilen zu können, die die nun als „Bruderkampf“ gedeutete Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern auf der einen, Kommunisten auf der anderen Seite geschlagen hatte. Der KPD-Führung, die mit wenigen entscheidenden Ausnahmen inhaftiert oder emigriert war, kam es zunächst vor allem darauf an, den nationalsozialistischen Herrschaftsanspruch und vor allem auch die nationalsozialistische Gemeinschaftsideologie demonstrativ unglaubwürdig zu machen. Deshalb war ihr die öffentliche Demonstration von Protest und Verweigerung so wichtig – mit dem Ergebnis, dass die Gestapo rasch zugreifen und die kommunistischen Widerstandsgruppen bis 1935/36 weitgehend zerschlagen konnte. Deshalb blutete das kommunistische Widerstandspotential weitgehend aus und musste immer wieder in zunehmend konspirativer agierenden Gruppen, die sich auch relativ unabhängig von den kommunistischen Auslandsleitungen machen konnten, neu organisiert werden. Die Unflexibilität der illegalen und emigrierten KPD-Führung, die unter dem Einfluss des Stalin besonders ergebenen Walter Ulbricht stand und beweglichere Kommunisten wie Willi Münzenberg auszuschalten wusste, verhinderte letztlich jedoch eine selbstkritische Beurteilung der „sozialfaschistischen Generallinie“ und rechtfertigte so jene Kritiker in sozialistischen Kleingruppen und in der SPD, die Demokratie und Sozialismus als Ausdruck eines westlich orientierten Freiheitswillens verbinden wollten und deshalb in Stalin niemals einen politischen Rückhalt suchten, sondern sich in Prag, später in Paris, Stockholm, London oder den USA auf Seiten der westlichen Demokratie am Kampf gegen den Nationalsozialismus beteiligten. II. Sozialdemokraten im Widerstand Auch der sozialdemokratische Widerstand war von Anbeginn ohne Macht, denn seit Reichskanzler Franz von Papens „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932, der verfassungswidrigen Beseitigung der sozialdemokratisch geführten Minderheitsregierung, hatte die sozialdemokratische Bereitschaft, die Republik gegen einen Staatsstreich zu verteidigen, den entscheidenden Todesstoß erhalten.19 Hinzu kam, dass die Gewerkschaften einen Ausgleich mit den faktischen Inhabern der Macht anstrebten und sich deshalb für politisch neutral erklärten. Sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Massenwiderstand hätte deshalb nach dem 30. Januar 1933 kaum eine Chance gehabt und möglicherweise dasselbe Schicksal erlitten wie ein gutes Jahr später die österreichischen Sozialisten, die gegen das autoritäre Regime von Engelbert Dollfuß, das sie als „Austrofaschismus“ bezeichneten, einen Aufstand riskierten und in blutigem Kampf unterlagen.20 Lähmend wirkte sich auch die Orientierung vieler Sozialdemokraten an einer Legalitätsstrategie aus, die der Verteidigung der Republik dienen sollte. Sie bekannten sich zum Prinzip des Rechtsstaats und des Parlamentarismus, wie die mutige Rede des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Otto Wels im Reichstag bei der Ablehnung des „Ermächtigungsgesetzes“ belegen sollte, hatten aber kaum die „Phantasie“, sich die Folgen der nationalsozialistischen Gewaltpolitik konkret vorzustellen, wie im Rückblick Wilhelm Hoegner, seinerzeit junger Reichstagsabgeordneter, selbstkritisch beklagte.21 Die Sozialdemokratie war zudem im Frühjahr 1933 einer schweren Zerreißprobe ausgesetzt. Einige führende Funktionäre suchten nach außenpolitischen Gemeinsamkeiten mit dem neuen Regime, um so weitere Verfolgungen abzuwehren. Andere, unter ihnen auch der bereits seit Ende Januar 1933 inhaftierte und erst infolge einer Massendemonstration wieder aus der Haft entlassene junge Reichstagsabgeordnete Julius Leber, kritisierten die Parteiführung und bereiteten sich auf die Illegalität vor. Andere, wie die Reichstagsabgeordnete Toni Pfülf, resignierten angesichts der Haltung der Parteiführung und begingen Selbstmord. Leber, der später mit Freunden wie Carlo Mierendorff und Theodor Haubach zum Kreisauer Kreis stieß, kritisierte an der Weimarer Sozialdemokratie, dass neben politischem Realismus und 19 Erich Matthias, Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, in: Erich Matthias/Rudolf Morsey (Hg.), Das Ende der Parteien 1933. Darstellungen und Dokumente. Düsseldorf 1960, S. 101 ff. 20 Vgl. Helene Maimann/Siegfried Mattl (Hg.), Die Kälte des Februar. Österreich 1933-1938. Wien 1984. 21 Wilhelm Hoegner, Flucht vor Hitler. Erinnerungen an die Kapitulation der ersten deutschen Republik 1933. Frankfurt am Main 1979, S. 85. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 8 Rationalität keine Zukunftsvisionen entwickelt worden seien. Er wurde lange Jahre gefangen gehalten und gefoltert, ohne dass die Nationalsozialisten seinen Widerstandswillen brechen konnten (kurz vor Kriegsende wurde er hingerichtet). Der sozialdemokratische Widerstand war im Unterschied zum eher nach außen gerichteten kommunistischen Widerstand vor allem durch den Versuch der Gesinnungspflege und Gesinnungsbildung geprägt. Sozialdemokraten fanden sich in Diskussionskreisen zusammen und versuchten zunächst, vor allem die Frage nach den Gründen für das Scheitern der Republik von Weimar zu beantworten, danach aber auch, die Entwicklungslinien einer neuen politischen Kooperation sozialdemokratischer und sozialistischer Gruppen zu erörtern, Elemente sozialdemokratischer Programmatik zu prüfen und die Konturen einer Neuordnung abzustecken. Exemplarisch werden diese Ziele und Verhaltensweisen in Widerstandsgruppen wie „Neu Beginnen“, „Roter Stoßtrupp“ und „Sozialistische Aktion“ deutlich. Daneben ging es auch um die Schaffung einer neuen, von den Nationalsozialisten nicht kontrollierten Kommunikationsstruktur und um die Vorbereitung des Kampfes gegen das Regime aus der Illegalität. Besonders wichtig für die weitere Entwicklung wurden Zirkel, die vielfach von Mitgliedern kleiner sozialistischer „Brückenparteien“ wie der „Sozialistischen Arbeiterpartei“ (SAP), dem „Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK)“ oder der „KPD (Opposition)“ gebildet wurden. Die Wirkung dieser Gruppen lag in der gelungenen Beeinflussung der emigrierten SPD-Führung unter Erich Ollenhauer, in ihrem Einfluss, den sie auf alliierte Nachkriegsplanungen nehmen konnten, nicht zuletzt aber auch in der wirksamen Prägung der weiteren sozialdemokratischen Programmdiskussionen, die nach dem Krieg den politischen Entwicklungsweg der SPD begleiteten. Im sozialdemokratischen Widerstand hatte sich die Möglichkeit eines antitotalitären Widerstands von links abgezeichnet: Das bedeutete die Alternative zum antidemokratischen Widerstand der Kommunisten und die Relativierung des Anspruchs aller „Antifaschisten“, die sich dem westlich-liberalen Demokratiegebot verweigerten und sich auch im Widerstand und vor allem im Exil weiterhin an den Interessen und Positionen der Sowjetunion orientierten und so die in Frankreich und im Spanischen Bürgerkrieg proklamierte „Volksfront“ aller Gegner des Faschismus und Nationalsozialismus scheitern ließen. Weil sich sozialdemokratische Regimegegner auf engere Freundeskreise konzentrierten und somit auch zurückhaltender agierten, gelang es den nationalsozialistischen Verfolgern im Vergleich zum kommunistischen Widerstand nicht, allzu tief in dieses Beziehungsgeflecht einzudringen. Deshalb war die Zahl inhaftierter Sozialdemokraten wesentlich geringer als die der verhafteten Kommunisten. In die sich später herausbildenden Kreise der Regimegegner um Carl Friedrich Goerdeler und Ludwig Beck konnten sich Sozialdemokraten vergleichsweise problemlos einbinden, weil sie von den Mitgliedern der militärischen Opposition, die zum nationalkonservativ gesonnenen Widerstand enge Verbindungen hatten, als wichtige Verbindung zur Arbeiterschaft angesehen wurden, die einen möglichen Umsturzversuch wegen des ihren Wortführern unterstellten Zugangs zur breiteren Bevölkerung auch zum Erfolg machen sollte. III. Widerstand aus der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) Nur selten finden sich in Gesamtdarstellungen des Widerstands aus der Arbeiterbewegung Hinweise auf Mitglieder katholischer Gesellen- und Arbeitervereine, die sich bereits im 19. Jahrhundert zusammengefunden hatten und eine überkonfessionelle Interessenvertretung der Arbeiter auf christlicher Grundlage anstrebten.22 Bereits Ende der zwanziger Jahre ließen Verbandszeitschriften der Katholischen Arbeiterbewegung keinen Zweifel an ihrer Ablehnung des „Faszismus“, den sie als „widergöttlich, widersinnig und unorganisch“ bezeichneten. Nach den großen nationalsozialistischen Wahlerfolgen von 1930 und 1932 bereitete die KAB-Führung ihre Mitglieder auf die Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten vor und erklärte nach Hitlers „Machtergreifung“, die Ausschaltung des Reichstags bedeute „zugleich die Ausschaltung der sozialen Ideen“ und das „Geschwätz vom Staatsnotstand“ sei „nichts anderes als die Aufforderung zu Hochverrat und Revolution“. Wortführer der Opposition der KAB wurden die 22 Vgl. Jürgen Aretz, Katholische Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus. Mainz 1978; Heinz-Albert Raem, Katholischer Gesellenverein und Deutsche Kolpingfamilie in der Ära des Nationalsozialismus. Mainz 1982. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 9 Kölner Bernhard Letterhaus, Nikolaus Groß, Joseph Joos und Otto Müller. Für sie war die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime aber nicht nur Ausdruck einer eigenständigen Vertretung von Arbeiterinteressen, sondern zugleich Ausdruck eines Kampfes für den Glauben und die „Treue zur Kirche“. So wurden sie Teil einer kirchlichen Oppositionsströmung katholischer Gläubiger. Politische Gegensätze zum Regime entstanden aus dem Wunsch, die KAB nicht in die „Deutsche Arbeitsfront“ einzugliedern. Immer mehr rückte Letterhaus in die Rolle eines Wortführers dieser Opposition und hatte bald Kontakt zu anderen katholischen Regimegegnern wie Josef Wirmer, zu Vertretern des Gedankens einer eigenständigen Einheitsgewerkschaft wie Jakob Kaiser, Adam Stegerwald und Ernst Hadermann, vor allem auch zu Wilhelm Leuschner. Letterhaus gehörte mit zu den schärfsten Kritikern der Bischöfe, die dem Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 zugestimmt hatten. Dabei berief er sich sogar auf den Papst, der sich bereits Mitte Oktober 1933 protestierend gegen die „mit allen Mitteln betriebene Niederhaltung und Erdrückung katholischer Vereine und Organisationen“ gewandt hatte. Politisches Zentrum des KAB-Widerstands war das Kölner Ketteier-Haus.23 Einige Mitglieder dieses Kreises hatten bald sehr enge Beziehungen zu den Berliner Widerstandsgruppen, aber auch zu dem Münchener Jesuitenpater Alfred Delp, der zum Kreisauer Freundeskreis um die Grafen Helmuth James von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg gehörte. Im Mittelpunkt vieler Gespräche stand die Frage nach einer Einheitsgewerkschaft. Bald führte der Weg aber einige Mitglieder in die aktive Unterstützung von Umsturzbestrebungen, die schließlich im 20. Juli 1944 kulminierten. Die Manifestationen des Protestes aus der KAB lassen sich in ihrer Form, die vielfach auch an den offenen Protest gläubiger Katholiken wie etwa die „Glaubensfahrten“ anknüpfte, nicht mit den offenen Demonstrationen des kommunistischen Widerstandswillens oder den Versuchen der Gesinnungspflege in sozialdemokratischen Zirkeln vergleichen. Denn der Widerstand von Anhängern christlicher Gewerkschaften, katholischer Gesellenvereine, der KAB und katholischer Jugendbünde verschmolz vielfach mit dem Willen katholischer Christen, gegenüber dem NS-Regime durch eine offene Glaubensbekundung zu widerstehen. So verbanden sich hier Motivationen und Ziele, und gerade dieses erleichterte die Kontakte mit Regimegegnern, die sich auf die christliche Substanz ihres Widerstands besinnen konnten. IV. Gewerkschaftsmitglieder im Widerstand Neben den Kommunisten und Sozialdemokraten waren auch einige Führer und Mitglieder der Gewerkschaften in besonderer Weise bedroht,24 denn auch sie galten den Nationalsozialisten als Marxisten. Allerdings war in der Gewerkschaftsbewegung stets das Bewusstsein vorhanden, auch unter sich wandelnden politischen Bedingungen Kompromisse mit den Tarifpartnern zu suchen und sich nicht prinzipiell gegen staatliche Institutionen zu stellen, die als Garanten der Tariffreiheit und Sozialstaatlichkeit galten. Es war das besondere Verhängnis mancher Gewerkschaftsführer, diesen für den sozialen Pluralismus unverzichtbaren Kompromiss- und Kooperationswillen auch gegenüber der Regierung Hitlers beweisen zu wollen. Gerade die Gewerkschaftsführung hat schwer unter dieser verhängnisvollen Fehleinschätzung gelitten – in den Lagern und Gefängnissen der Nationalsozialisten, aber auch durch das Gefühl der politischen Ohnmacht und den gravierenden Zeitverlust in den gewerkschaftlichen Neuordnungsdiskussionen. Dennoch gab es in manchen Betrieben trotz einer sich dem Nationalsozialismus doch überraschend gefügig erweisenden Arbeiterschaft eine gewerkschaftlich geprägte innerbetriebliche Opposition, die durchaus auf einzelne Betriebsangehörige und Funktionäre zurückgreifen konnte, ohne ihnen ein geistiges Dach zu bieten. Deshalb sind die Grenzen des gewerkschaftlichen Widerstands zum politischen Widerstand aus den politischen Arbeiterbewegungen stets fließend gewesen. Lediglich der Wille einiger führender Gewerkschafter, in der Opposition zum Regime und in der Auseinandersetzung mit dem Zusammenschluss der meisten Arbeiter in der „Deutschen Arbeitsfront“ die Konturen einer neuen Einheitsgewerkschaft zu entwickeln und damit einen 23 24 Vgl. Günter Buchstab u.a., Verfolgung und Widerstand 1933-1945: Christliche Demokraten gegen Hitler. Düsseldorf 1986, S. 218ff. Vgl. Michael Schneider, Kleine Geschichten der Gewerkschaften. Ihre Entwicklung in Deutschland von den Anfängen bis heute. Bonn 1989, S. 228ff. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 10 Beitrag zur Überwindung politischer Differenzen zwischen den ehemaligen Richtungsgewerkschaften zu leisten, mündete dann in die politische Zusammenarbeit mit anderen Gruppen. Aus diesen Diskussionen gingen neue Kontakte zwischen führenden Gewerkschaftern hervor, die verschiedene Kreise zusammenführten und insbesondere Wilhelm Leuschner zur führenden Persönlichkeit der Gewerkschaftsbewegung im Untergrund werden ließen. Er hatte bald enge Verbindung zu den Berliner Widerstandskreisen um Goerdeler, Beck und später auch Stauffenberg und sollte im Falle eines gelungenen Umsturzes wenn nicht die Aufgaben eines Reichskanzlers, so doch die eines Vizekanzlers wahrnehmen. Leuschner bildete so eine wichtige Verbindung des militärischen Widerstands in Berlin zu den Personen und Gruppen, die als Vertreter der Arbeiterbewegungen empfunden wurden. Zu ihnen gehörten neben Leber, Haubach, Mierendorff und Reichwein als Vertretern der Sozialdemokratie auch Jakob Kaiser, Ernst Hadermann und Bernhard Letterhaus, um nur einige zu erwähnen. Sie hatten, wie Leber, sogar Kontakt zum kommunistischen Widerstand gesucht und auf diese Weise die „Massenbasis“ des Widerstands erweitern wollen, der sich als Bestrebung ohne ausreichenden Rückhalt in der Bevölkerung – als „Widerstandsbewegung ohne Volk“ – verstand. V. Widerstand trotz partieller Übereinstimmung Die besondere Tragik und Schwierigkeit des Widerstands, der in den Traditionen des bürgerlichen Denkens und des christlichen Glaubens stand, lag darin, dass seine Anhänger vielfach aus einer Position teilweiser Übereinstimmung mit den Zielen nationalsozialistischer Außenpolitik heraus handeln mussten. Eine ihrer wichtigsten und folgenschwersten Forderungen, die im Bereich der Innen-, Wirtschafts-, Kultur- und Sozialplitik viele Unterschiede und Gegensätze überwinden half, konzentrierte sich auf die Revision der Versailler Friedensordnung. Die Feststellung einer partiellen Übereinstimmung zwischen NS-Regime und Teilen des Widerstands bedeutet aber nicht, dass er zweitrangig gewesen wäre, sondern dass sein Kennzeichen die Überwindung von Verhaltensweisen und Überzeugungen war, die nicht allein aus Angst und Passivität, Anpassung und Bequemlichkeit oder dem Willen zu Verfolgung und Terror erklärt werden können. In diesem Sinne charakterisierte Rüdiger von Voss den Widerstand von Offizieren und Angehörigen des Bürgertums durch die „Überwindung“ von Positionen, die ursprünglich sogar mit den Nationalsozialisten geteilt wurden.25 Antrieb dieser Gegnerschaft waren häufig die moralische Empörung über nationalsozialistische Verfolgungsund Entrechtungsmaßnahmen, die Kritik an der Vorbereitung des Krieges durch Rüstung, riskante außenpolitische Entscheidungen, eine verantwortungslose Wirtschaftspolitik oder die Berufung auf Wertvorstellungen, die im Gegensatz zur nationalsozialistischen Ideologie standen und deshalb den weltanschaulichen Führungsanspruch der Nationalsozialisten bestritten. Diese einen Widerstand in vielen Schattierungen ermöglichenden Werte und Traditionen begründeten eine Distanz gegenüber Zeiterscheinungen, erleichterten Resistenz und Dissidenz und konnten sich zum risikobereiten Handeln als Konsequenz aktiver Konspiration steigern. Deshalb liegt die wesentliche Bedeutung des Widerstands im Umfeld des 20. Juli 1944 darin, „daß eine Führungselite die Ordnung, die sie miterdacht, mitermöglicht und mitverwirklicht hatte“,26 im Bewusstsein der Lebensgefahr überwand, die mit der Wendung gegen die NS-Führung verbunden war. Viele dieser Widerstandsgruppen, die ständig wegen ihrer engen Einbindung in staatliche Funktionen ein Maß zwischen Kooperation und Konfrontation finden mussten, bewegten sich auf dem schmalen Grat zwischen Anpassung und Widerstand, zwischen Unterliegen und Selbstbehauptung. Kaum ein Regimegegner blieb in dieser Verstrickung ohne jenen Schatten, den das Erliegen gegenüber Zumutungen des Regimes aus gleichgültigem Schweigen oder Schwäche, aus Vorsicht oder Kalkül bedeutete. Kaum jemand fand zu den Prinzipien, die 25 Rüdiger von Voss, Vorwort, in: Ernst-Otto Schüddekopf, Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Frankfurt am Main u.a. 1977, S.XII: „Eine wesentliche Bedeutung des 20. Juli 1944 liegt darin, daß eine Führungselite die Ordnung, die sie miterdacht, mitermöglicht und mitverwirklicht hatte, in sich selbst überwunden und selbst den Versuch unternommen hat, dieses System zu beseitigen.“ 26 Ebd. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 11 Widerstehen rechtfertigten und so Widerstand ermöglichten, ohne innere Auseinandersetzungen und Zerreißproben, ohne das Gefühl, Freunde und Familienangehörige zu gefährden, und ohne die Vereinsamung der „Gerechten“, die Zeugnisse ihres Glaubens, ihrer Überzeugungen und ihres Wollens ablegten. VI. Christen im Widerstand Weil die NS-Führung ihre Herrschaft bis auf die Weltanschauung des Einzelnen und damit auf sein Verständnis von sich und seinen Mitmenschen, ja von Gott, auszudehnen versuchte, forderte sie den Widerstand vieler Gläubiger und ihrer Kirchen heraus. Sie wollten um ihres Glaubens willen widerstehen und mussten dabei nicht nur Konflikte zwischen Gemeinde und Partei, Staat und Kirche sowie Christen und Nationalsozialisten aushalten, sondern auch innerhalb ihrer Kirchen Auseinandersetzungen überstehen.27 Die Kirche stand mit den Worten Eberhard Bethges vielfach im Kampf zwischen Gemeindemitgliedern, die dem Nationalsozialismus relativ positiv gegenüberstanden, und jenen, die die Autonomie ihres allein durch die Heilige Schrift autorisierten Glaubens gegen Ansprüche des Staates und „Deutscher Christen“ verteidigten. Bethge hat fünf Stufen des aus der Unbedingtheit des Glaubens folgenden Widerstands definiert: Dem „einfachen passiven Widerstand“ folgte der „offene ideologische Gegensatz, bei dem die Kirchen bzw. Männer wie Graf Galen, Niemöller und Wurm ihre Aufgabe erfüllten“. Die „Mitwisserschaft“ an Umsturzvorbereitungen stellte eine weitere, die dritte Stufe dar. Gesteigert wurde diese durch „aktive Vorbereitungen für das Danach“, wie sie etwa das Denken und Handeln der Mitglieder des Kreisauer Kreises prägten. Die fünfte Stufe des Widerstandes war die „aktive Konspiration“ – ohne Deckung durch Institutionen war der Einzelne in Einsamkeit auf sich gestellt, um das zu tun, „was sich jedem Regelfall entzog“.28 Die Ausgangslage des kirchlichen und christlich motivierten Widerstands wurde durch die Traditionen des Obrigkeitsstaates, durch den Wunsch zur Verteidigung und Sicherung der Institution Kirche und die aus der Weimarer Republik stammenden Konfliktlinien bestimmt. Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche hatten nur schwer und keineswegs ein entschieden positives Verhältnis zur Weimarer Republik gefunden. Politisch konservativ, in außenpolitischer Hinsicht entschiedene Gegner des Versailler Vertrags, erlagen vor allem Protestanten zunächst der Faszination außenpolitischer Erfolge Hitlers. Kirche und Republik, Glauben und Demokratie bildeten so lange keine feste Verbindung, wie Toleranz und Pluralismus als Voraussetzungen und Substrate der Nächstenliebe nicht akzeptiert waren. Gerade innerhalb der evangelischen Kirche spannte deshalb ein vielfältig gebrochener Richtungsstreit viele Kräfte an – bereits während der Weimarer Republik wurden so jene Fronten sichtbar, die nach 1933 den Konflikt zwischen „Deutschen Christen“ und „Bekennender Kirche“ bestimmten.29 Die „Deutschen Christen“ wollten Evangelium und nationalsozialistische Ideologie miteinander verbinden und so die Kirche im Sinne der NS-Führung gleichschalten. Diesen Bestrebungen widersetzten sich Geistliche und Gemeindemitglieder, die sich zur alleinigen Autorität der Bibel – und zwar des Alten wie des Neuen Testaments – bekannten und zugleich die Verfolgung von Juden aufgrund eines kirchlichen „Arierparagraphen“ ablehnten. Sie schlössen sich zum „Pfarrernotbund“ und zur „Bekennenden Kirche“ zusammen. So begann bereits im Mai der Kirchenkampf30 zwischen „Deutschen“ und „Bekennenden Christen“. Im Zentrum stand dabei die Auseinandersetzung um das Gebot des Glaubens an Christus ohne jeglichen politisch motivierten Abstrich oder in einem völkisch verfälschten Sinn. Heute ist bekannt, wie schwierig der Kampf der Vertreter eines kompromisslosen Bekenntnisses und wie 27 28 29 30 Von grundsätzlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang Heinz Hurten, Verfolgung, Widerstand und Zeugnis. Kirche im Nationalsozialismus – Fragen eines Historikers. Mainz 1987. Eberhard Bethge, Adam von Trott und der deutsche Widerstand, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 11 (1963), S. 221 f. Vgl. Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 19181934. Frankfurt am Main u.a. 1977; ders., Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 2: Das Jahr der Ernüchterung 1934. Barmen und Rom, Berlin 1985. Umfassend dazu das dreibändige Werk von Kurt Meier, Der evangelische Kirchenkampf. Gesamtdarstellung in drei Bänden. Göttingen 1976 bis 1984. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 12 wirksam der Einfluss autoritärer Politikvorstellungen blieben. Vor allem die Gruppierung um Dietrich Bonhoeffer,31 der nach Kriegsbeginn in der Abwehr Dienst tat und so bis zu seiner Verhaftung im Kreis der Verschwörer um Hans Oster und des 20. Juli 1944 arbeitete, blieb kompromisslos, während viele Mitglieder der „Bekennenden Kirche“ im Laufe der Jahre doch den vermittelnden Positionen einer „Bekenntnisgemeinschaft“ erlagen. Kompromittierend und in jedem Fall entscheidend war die Diskussion der „Judenfrage“: Für die einen stellte sie die wesentliche Herausforderung dar, sich vor die „Judenchristen“ zu stellen, für andere wurde die „Judenfrage“ vor allem als eine Frage der Juden an die Christen gedeutet, ob der gemeinsame Gott von Christen und Juden nicht als ein entscheidender Hinweis auf die gemeinsame Heilsgeschichte und die enge Verbindung zwischen Juden und Christen gedeutet werden müsse. Die „Judenfrage“ wurde so zum zentralen Prüfstein der evangelischen Opposition – wer sich in der Konsolidierungsphase des NS-Regimes für die Juden entschied, musste bis zum Ende der NS-Herrschaft kompromisslos oppositionell bleiben. Dabei wurde das Barmer Bekenntnis aus dem Jahre 1934 zur wichtigen Rechtfertigung christlicher Selbstbehauptung im „totalen Staat“. Sehr früh stellte sich deshalb in den Gesprächskreisen oppositioneller Christen die Frage, ob Kirche nicht mehr als die Verteidigung des Evangeliums bewirken müsse. So bereitete sich kirchlicher Widerstand als Bemühung um die Verteidigung von Recht und Menschlichkeit vor. Aus diesen Ansätzen entwickelte sich eine praktische Hilfe, die stellvertretendes Handeln für Verfolgte und Unterdrückte sein wollte und sich nicht nur um Glaubensfragen, sondern auch um praktische Nächstenliebe und mithin um jene bemühte, die „unter die Räder des Staates“ geraten waren und die durch den Griff „in die Speichen“ (Bonhoeffer) verteidigt werden sollten. In dieser Hinsicht trafen sich Protestanten und Katholiken, unter denen sich auch viele entschiedene Gegner des NS-Regimes finden ließen. Denn nicht nur die Besinnung evangelischer Christen auf die Heilige Schrift, sondern auch die Festigkeit des katholischen Bekenntnisses forderte die NS-Führung heraus.32 Sie hatten sich bereits vor 1933 vielfach in der Auseinandersetzung mit der rassistischen und völkischen Weltanschauung der NSDAP bewährt. Erleichtert wurde eine grundlegende Opposition durch die katholische Naturrechtsvorstellung. Während sich Protestanten noch bemühten, die beiden Reiche zu scheiden, verfügten die Katholiken bereits über Kriterien für die Bestimmung von Zielen und Grenzen des Staates. Allerdings gab es im politischen Katholizismus auch Strömungen, die keineswegs entschieden republikanisch oder demokratisch waren. Sie unterstützten die Bemühungen hoher geistlicher Würdenträger, kirchliche Institutionen durch ein Konkordat zwischen dem Vatikan und dem Reich zu festigen. Hitler nutzte diesen Wunsch der Amtskirche, die Glaubensfreiheit und die Freiheit der religiösen Erziehung durch ein Konkordat zu sichern. Durch das Reichskonkordat konnte er zunächst weite Teile des Katholizismus lahmen und die Selbstauflösung des Zentrums und damit auch die Entmachtung des politischen Katholizismus, nicht zuletzt jedoch die Lähmung des katholischen Verbandslebens vorbereiten. Die kirchlichen Würdenträger hatten sich damit, wie sie später erkannten und zuweilen auch zugaben, einer groben Täuschung hingegeben. Ein Hauptproblem des frühen Widerstands von Katholiken wurde es deshalb, einerseits die Kirche gegen Bedrohung ihrer Autonomie als Institution zu sichern und so den Gläubigen einen festen Halt zu geben, andererseits aber mit ganz unterschiedlichen Mitteln gegen die aggressiv antikirchliche Weltanschauung der NS-Führung, nicht zuletzt auch gegen die seit 1935 zunehmenden Priesterverfolgungen und gegen die Bedrohung des Gemeindelebens einzuschreiten. Viele Geistliche setzten sich entschieden für die Ziele des Katholizismus und Christentums ein, haderten mit einigen Bischöfen, denen sie ihr Entgegenkommen gegenüber der NS-Führung vorwarfen, lehnten innerlich das Konkordat ab und versuchten, den organisatorischen Zusammenhalt des katholischen Vereins- und Verbandslebens zu sichern. Zunehmend schienen die Grenzen zwischen den Konfessionen unschärfer zu werden, vor allem in der Jugendarbeit. Die Zahl der deutschen katholischen Priester, die oftmals unmittelbar mit dem NS-Regime konfrontiert wurden, betrug mehr als 10.000, mehrere Hundert wurden inhaftiert, etwa 100 31 32 Vgl. Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie. München 1978 u.ö. Vgl. Geschichtsverein der Diozöse Rottenburg – Stuttgart (Hg.), Kirche im Nationalsozialismus. Sigmaringen 1984. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 13 ermordet.33 Wie in der evangelischen Kirche, so ist auch im katholischen Lager Widerstand nur als breites Verhaltensspektrum denkbar. Konrad Repgen hat die Bandbreite dieses Spektrums als Steigerung von der Nonkonformität über den Protest – etwa in der Auseinandersetzung nach der Beseitigung der Kruzifixe aus Schulen und Kindergärten – bis zur Beteiligung am Umsturz beschrieben. Der „Loyalitätsentzug“, den Katholiken gegen das NS-Regime als Drohung und Waffe gebrauchten und der von einer punktuellen über eine partielle bis zu einer generellen Dimension gesteigert werden konnte, wird so als politische Konsequenz eines glaubensbedingten Widerstands sichtbar.34 Zum Widerstand musste der Loyalitätsentzug vor allem durch den Anspruch des „totalen Staates“ werden, alle Lebensbereiche zu politisieren und den vor- oder unpolitischen Lebensraum in den umfassenden nationalsozialistischen Gestaltungsanspruch einzubeziehen. Seit 1935 verstärkte die NS-Führung den Kirchenkampf gegen den Katholizismus. Viele Priester wurden nun wegen angeblicher Devisenvergehen oder „sittlicher Verfehlungen“ vor Gericht gestellt.35 Dabei nutzte das Regime einen weitverbreiteten Antiklerikalismus aus, der in Deutschland eine lange Tradition hatte. Als die NS-Führung immer unerbittlicher ihre rassenpolitischen Vorstellungen verfolgte und schließlich sogar die Ermordung Geisteskranker anordnete, fühlten sich hohe kirchliche Würdenträger, an ihrer Spitze der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, herausgefordert. Sie griffen in Gottesdiensten, aber auch durch Hirtenbriefe die Regierung Hitlers an und konnten sich dabei auf die päpstliche Enzyklika „Mit brennender Sorge“ (1937), die von den Bischöfen Michael von Faulhaber (München) und Konrad Graf von Preysing (Berlin) beeinflusst war, stützen. Ihr Protest wurde auch von evangelischen Geistlichen wie dem Freiburger Bischof Theophil Wurm unterstützt, der sich in einem offenen Brief gegen die Vernichtung des „menschlichen Lebens“ wandte. Durch ihren entschlossenen Widerstand verstärkte sich die Unruhe in der Bevölkerung und veranlasste Hitler, den Abbruch dieser Mordaktion anzuordnen. Sie wurde allerdings insgeheim, wenngleich mit anderen Mitteln, fortgesetzt. Hohe geistliche Würdenträger beteiligten sich zwar nicht an den Diskussionen über einen Umsturz, hatten aber doch zuweilen Verbindungen zu den militärischen und zivilen Widerstandsgruppen um Goerdeler und Beck. Vor allem der Kreisauer Kreis konnte mit dem Jesuitenpater Alfred Delp eine wichtige Verbindung zum Katholizismus herstellen.36 Er arbeitete mit den Jesuitenpatres Augustin Rösch und Lothar König im Ordensausschuss zusammen, der sich gegen die Entrechtung und Enteignung von Ordensbesitz wandte und entscheidend die Beratung oppositioneller Hirtenbriefe, vor allem zur Verteidigung der Menschenrechte, beeinflussen konnte. Delp schließlich konnte die sozialpolitischen Vorstellungen des Widerstands beeinflussen und zur Annäherung der Sozialdemokraten und Katholiken im Kreisauer Kreis entscheidend beitragen. VII. Widerstand von Einzelnen Der christlich oder auch humanitär orientierte Widerstand wurde nicht nur von Institutionen oder Kreisen, sondern immer wieder auch von Einzelnen getragen. Die Verletzung der Menschenwürde und die Verfolgung des Andersdenkenden, vor allem aber auch die Bedrohung des Mitmenschen aus rassischen Gründen aktivierten vielfach solidarisches Verhalten und christliche Nächstenliebe. Immer wieder fanden sich Menschen, die bedrohten Juden beistanden, Verfolgten Unterschlupf gewährten oder ihnen bei der Flucht halfen. Manche dieser Helfer waren in Gruppen eingebunden, andere halfen als Einzelgänger. Sie gehören bis heute zu den bekanntesten Regimegegnern, so der Berliner Domprobst Bernhard Lichtenberg, der bereits in der Mitte der dreißiger Jahre gegen die Ermordung von KZ-Häftlingen protestiert und seit dem 33 34 35 36 Vgl. Ulrich von Hehl, Priester unter Hitlers Terror. Eine biographische und statistische Erhebung. Mainz 1984, Einleitung. Vgl. Konrad Repgen, Katholizismus und Nationalsozialismus: Zeitgeschichtliche Interpretationen und Probleme. Köln 1983, S. 10f. Vgl. Hans Günther Hockerts, Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936/37. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf. Mainz 1971. Vgl. Roman Bleistein (Hg.), Dossier: Kreisauer Kreis. Dokumente aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1987. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 14 antisemitischen November-Pogrom wiederholt für das Leben von Juden gebetet hatte. Er wurde aufgrund einer Denunziation verhaftet, starb auf dem Weg in das Konzentrationslager Dachau, gab so ein besonders beeindruckendes Beispiel individueller Verweigerung und zeigte die Grenzen der ideologischen Gleichschaltung auf. In München gelang dem Einzelgänger Georg Elser, einem Schreiner, am 9. November 1939 fast ein Bombenanschlag auf Hitler. Hier wurden die Grundlinien einer „Volksopposition“ sichtbar, die sich bis zur Fluchthilfe, Gefangenenfürsorge und die Betreuung von Angehörigen oder Hinterbliebenen der Regimegegner steigern konnte. Im Urteil vieler Regimegegner, die wegen ihrer herrschaftsfernen Positionen niemals unmittelbar einen Umsturzversuch hätten unterstützen können, verkörperte das NS-Regime die Herrschaft des Bösen, des „Antichristen“ – eine derartige Vorstellung bedurfte aber des Glaubens an Gott und Christus und führte zu einer christlichen Fundierung des Widerstandswillens.37 So erwuchs aus dem Gefühl der Verfolgung und Bedrohung die Kraft, aber auch der Wille zum Martyrium. Es kam nicht mehr allein auf die Wirksamkeit des Widerstandes an, sondern auf seine symbolische Dimension. In diesem Sinne konnte der Widerstandskämpfer Henning von Tresckow schließlich die auflehnende Tat um ihrer selbst willen fordern. Martyrium bedeutete aber nicht nur die Kraft zum Ablegen eines Zeugnisses, sondern auch zum Leben in Vereinzelung und Einsamkeit, wie sie uns aus den Moabiter Sonetten von Albrecht Haushofer, dem Tagebuch von Jochen Klepper, den Gefängnisschriften von Bonhoeffer und Delp oder den letzten Briefen der zum Tode verurteilten Regimegegner entgegentritt. VIII. Widerstand aus der Tradition des Bürgertums Gemeinhin wird auch der sogenannte „bürgerliche Widerstand“ als soziologisch abgrenzbarer Bereich des Gesamtwiderstands begriffen.38 Dies ist problematisch, weil es sich beim „bürgerlichen Widerstand“ niemals allein um die Manifestation der Widerständigkeit einer scharf abgrenzbaren sozialen Gruppe gehandelt hat, sondern um die Demonstration eines Prinzips, welches aus der Tradition eines politisch-bürgerlichen Denkens resultierte. Dieser Widerstand zeigte sich äußerlich in den neu auflebenden Organisationsformen des bürgerlichen Zeitalters: in Vereinen, Zirkeln und Kreisen, gruppendynamisch im Versuch, durch Diskussionen Klarheit zu schaffen, inhaltlich dann in einer Radikalität des Denkens, das Kritiker des angeblich „bürgerlichen Widerstands“ bis heute vielfach nicht akzeptieren können und wollen. Dolf Sternberger hat früh betont, dass der Begriff „bürgerlich“ auch eine philosophische Dimension hat, welche die Freiheit der Erkenntnis in „Unbestechlichkeit“ voraussetzt. Einige „bürgerliche“ Kritiker des Regimes verharrten in der Distanz einer „inneren Emigration“, andere festigten die Voraussetzungen ihrer Nonkonformität, indem sie sich um die Begründung autonomer Maßstäbe und antinationalsozialistischer Gegenentwürfe bemühten. Ein kleiner Kreis von Regimegegnern ließ es auch damit nicht genug sein, sondern berief sich auf „Pflicht“ und „Gesetz“ als verpflichtende Normen, die – in den Worten Sternbergers – einen „Eifer“ für das „höhere Ganze“ begründeten. So konnte ein derartiges „bürgerliches Denken“ sich prinzipiell zuspitzen und schließlich sogar rücksichtslos gegen sich selbst, ja gegen die eigenen Angehörigen werden. Um seinen Grundsätzen treu zu bleiben, verbündete sich dieses Denken und Handeln „mit der Idee des Ganzen, mit der Idee des Staates, um gegen die Mächtigen und Glänzenden, gegen die Autoritäten eine stärkere Stellung zu haben“.39 Dieser Rigorismus drückte sich in Zirkeln und Kreisen aus, die sich im Hause der Solfs, in der Mittwochsgesellschaft, in Freiburg um Adolf Lampe und Gerhard Ritter, in Restsprengeln bündischer Jugendlicher, in München um Sperr, in vielen Städten, aber auch im Zirkel um Arvid Harnack und schließlich in wohl idealtypischer Weise im Freundeskreis um die Grafen Moltke und Yorck von Wartenburg, dem Kreisauer Kreis, trafen. Hier wurde politischer Rigorismus ebenso deutlich wie das Bewusstsein einer Funktionselite hoher Beamter, Hochschullehrer, auch Militärs – darunter viele „Ziviloffiziere“ –, in ihren Tätigkeitsbereichen eine höhere 37 Vgl. Gotthard Fuchs (Hg.), Glaube als Widerstandskraft. Frankfurt am Main 1986. Dagegen wandte sich schon sehr früh Hans Rothfels, Die deutsche Opposition gegen Hitler (1948), deutlich etwa in der ersten Neuausgabe seiner Studie. Frankfurt am Main 1969. 39 Dolf Sternberger, Aspekte des bürgerlichen Charakters, in: ders., „Ich wünschte, ein Bürger zu sein“: Neun Versuche über den Staat. Frankfurt am Main 1967, S. 24f. 38 Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 15 Verantwortung als nur den sklavischen Gehorsam gegenüber dem Regime übernehmen zu müssen. Mochten zunächst nur Unbehagen und Unzufriedenheit über die Politik des NSStaates oder das Verhalten seiner Repräsentanten empfunden worden sein, so forderte bald manche die Einsicht in den verbrecherischen Charakter der NS-Politik und des Krieges heraus. Kritische Distanz steigerte sich so zum Wunsch, die politische Entwicklung zu beeinflussen und so die Realitäten zu verändern. Nicht alle Gruppen und Zirkel des Widerstands strebten dabei den gewaltsamen Umsturz an. Am Beginn ihrer Bemühungen stand oftmals die Absicht, den Charakter des Regimes durch eine Beeinflussung der Willensbildung und gesamtstaatlichen Zielbestimmung zu verändern.40 Dies erklärt die Vielzahl von Eingaben und Denkschriften, den ausgedehnten Briefwechsel und die kaum überschaubaren Reiseaktivitäten und Kontakte der Regimegegner. Viele Verbindungen waren das Ergebnis von beruflichen, kameradschaftlichen, persönlichen und nicht zuletzt von verwandtschaftlichen Beziehungen. Dies unterschied den Kern der „bürgerlichen“ Opposition von den Widerstands- und Selbstbehauptungsanstrengungen der politischen und kirchlichen Gegner der Nationalsozialisten und weckte später, nicht zuletzt auch unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Deutung des Widerstands im Umkreis des 20. Juli 1944, den Eindruck, eine „kleine Clique“ ehrgeiziger Adeliger und zum Putsch entschlossener Offiziere habe sich, gleichsam in letzter Stunde unmittelbar vor dem Ende des Krieges, zum Komplott zusammen gefunden. Diese Deutung war falsch, denn die ersten Attentats- und Umsturzpläne wurden bereits vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs entwickelt und zeugen so von prinzipieller, nicht aber bloß situativer Gegnerschaft. Gerade unter den Lebensverhältnissen des „totalen Staates“ kamen zwischenmenschlichem Vertrauen, Kameradschaft und Freundschaft eine große Bedeutung zu, denn sie waren die Voraussetzung jener Zuverlässigkeit, ohne die Widerstand nicht möglich war. So entsteht zuweilen sogar der Eindruck, dass freundschaftliche Verbindungen durch neu geknüpfte oder auf andere Weise zusätzlich intensivierte verwandtschaftliche Beziehungen noch enger werden sollten. Gerade diese Verbindungen, die auf vielfältige Weise gefestigt worden waren und sich bewährten, hielten vielfach auch nach dem 20. Juli 1944. Ohne sie war Widerstand kaum vorstellbar. Um so tragischer war für viele Widerstandskämpfer die Verfolgung und Entrechtung ihrer Angehörigen, selbst von kleinen Kindern, aufgrund der willkürlichen „Sippenhaftung“. Die Ehefrauen der meisten Attentäter wurden nach dem 20. Juli 1944 inhaftiert oder in ein Konzentrationslager eingewiesen. Die jüngeren Kinder kamen in der Regel in ein Kinderheim, das die SS kontrollierte. Offensichtlich sollten alle Familienbindungen zerstört und den Kindern eine neue Identität aufgezwungen werden.41 IX. Widerstand im Krieg Der Beginn des Zweiten Weltkriegs schuf neue Rahmenbedingungen für den Widerstand gegen Hitler. Die NS-Herrschaft wurde während des Krieges immer drückender, und als sich der Terror an der „Heimatfront“ seit 1942/43 nach den militärischen Niederlagen bei Stalingrad und in Nordafrika zunehmend verschärfte, verschlechterte sich gleichzeitig die Aussicht auf einen erfolgreichen Umsturz. Die Motivationen und Praktiken des Widerstands wurden noch einmal vielfältiger: Während der eine oder andere im Alltag versuchte, politisch und rassisch Verfolgten zu helfen, verstärkten einzelne Offiziere und „Zivilisten“ ihre verzweifelten und lebensgefährlichen Anstrengungen, die Herrschaft der Nationalsozialisten gewaltsam zu beseitigen.42 Auch der Widerstand aus der Arbeiterbewegung lebte nach Kriegsbeginn und besonders nach dem Angriff auf die Sowjetunion neu auf. Vor allem der Abschluss des HitlerStalin-Paktes im August 1939 hatte die Kommunisten gelähmt, aber auch ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion gestärkt. Da sie nun nicht mehr von außen gesteuert wurden, entwickelten sie jetzt vielfach erste Ansätze eines eigenständigen „nationalen Kommunismus“. Die radikale Ablehnung des NS-Regimes und die spürbare Distanz gegenüber Stalin führten 1944 schließlich 40 Vgl. dazu Klaus-Jürgen Müller, Die national-konservative Opposition vor dem Zweiten Weltkrieg: Zum Problem ihrer begrifflichen Erfassung, in: Manfred Messerschmidt u.a. (Hg.), Militärgeschichte. Probleme – Thesen – Wege. Stuttgart 1982, S. 215ff. 41 Vgl. jetzt Dorothee von Meding, Mit dem Mut des Herzens. Die Frauen des 20. Juli. Berlin 1991. 42 Vgl. Peter Hoffmann, Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler. München 1969 u.ö. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 16 sogar zu Kontakten zwischen Kommunisten und den Gruppen um Leber und Stauffenberg. Besonders erfolgreich war die in Berlin wirkende Widerstandsgruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen, die „Rote Kapelle“.43 Sie bestand aus weit über 100 Mitgliedern, die Flugblätter vervielfältigten und verteilten, Verfolgten halfen, aber auch für die Sowjetunion spionierten. Es lag deshalb in den fünfziger Jahren nahe, die Mitglieder dieser Gruppe als „Landesverräter“ zu bezeichnen und ihren Widerstand aus „moralischen Gründen“ herabzusetzen, weil sie angeblich nur eine Diktatur durch eine andere hatten ersetzen wollen. Dagegen wandte sich schon früh Hans Rothfels, als er zu bedenken gab: „Mochten ihre Ziele und Mittel von denen der übrigen Gruppen abweichen, Gesinnung und Haltung taten es nicht.“44 Während des Krieges verstärkte sich auch der Widerstand von Jugendlichen und Studenten, wenngleich unbestreitbar ist, dass sich nur wenige der Jüngeren entschieden dem Zwang und der Gleichschaltung widersetzten, indem sie sich der Staatsjugendbewegung der Hitler-Jugend entzogen. In manchen Orten bildeten sich Jugendgruppen, die sich als „Banden“, „Horden“ oder „Blasen“ bezeichneten und an Abzeichen oder Kleidungsmerkmalen erkennbar waren. Sie suchten, wie Gruppen von „Edelweißpiraten“, bewußt die Auseinandersetzung mit der HitlerJugend, begingen aber auch Eigentumsdelikte oder verübten sogar Überfälle auf Parteimitglieder und Polizisten, die bis heute umstritten sind.45 Eine zunächst unpolitische Freude an Jazzmusik verband die Mitglieder der Swing-Jugend, die wegen ihrer angeblichen Vorliebe für „Negermusik“ von Himmler der Verfolgung und Straferziehung preisgegeben wurden. Diese Beispiele zeigen, dass Widerstehen im Alltag nicht notwendigerweise aus einer prinzipiellen Ablehnung des gesamten NS-Systems resultieren musste, sondern sich auch als Reaktion auf Einschränkungen persönlicher Freiheit entwickeln konnte. Demgegenüber leistete eine Gruppe junger Münchener Studenten seit 1941 einen vor allem ethisch-moralisch motivierten Widerstand. Mitglieder der „Weißen Rose“, die zum Freundeskreis der Geschwister Sophie und Hans Scholl gehörten, riefen nicht zuletzt unter dem Eindruck von Massenerschießungen, von denen sie als Angehörige von Studentenkompanien erfahren hatten, zum Widerstand auf. Sie hatten Kontakt zu südwestdeutschen und Hamburger Studenten- und Schülergruppen und verbreiteten so ihre Flugblätter. Nach der Niederlage der deutschen Wehrmacht bei Stalingrad erwarteten sie offensichtlich einen Stimmungsumschwung in der deutschen Bevölkerung und verteilten vielleicht deshalb ihr letztes Flugblatt nahezu ohne jegliche Vorsicht im Lichthof der Münchener Universität. Vier Tage nach ihrer Verhaftung wurden die Geschwister Scholl zum Tode verurteilt und hingerichtet; viele Freunde, unter ihnen Professor Kurt Huber, folgten ihnen nach.46 Die Nachricht von ihrem Tun erregte auch im Ausland rasch Aufsehen. Nun wurde zunehmend anerkannt, dass sich im Inneren Deutschlands eine Opposition gebildet hatte, die das „andere Deutschland“ (Ulrich von Hassell) verkörperte. Allerdings wollten die Alliierten nicht mit dem Widerstand zusammenarbeiten, sondern forderten die bedingungslose Kapitulation. Immer wieder versuchten die Berliner Widerstandsgruppen um Goerdeler, Moltke und Beck, Verbindung zu den westalliierten Regierungen zu bekommen. Dabei konnten sie sich auf Gesinnungsfreunde in der Abwehr, aber auch im Auswärtigen Amt – Adam von Trott zu Solz und Hans-Bernd von Haeften – stützen. Die unterschiedlichen Traditionen und Ziele dieser Gruppen wurden im Gedanken des Rechtsstaates und in dem Gefühl gebündelt, den Bestand des durch den Krieg gefährdeten Nationalstaates zu sichern.47 43 Vgl. Peter Steinbach, Die Widerstandsorganisation Harnack/Schulze-Boysen, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 42 (1991), S. 133ff. 44 Vgl. Hans Rothfels (Anm. 38), S. 23. 45 Vgl. Bernd A. Rusinek, Gesellschaft in der Katastrophe. Terror, Illegalität, Widerstand. Köln 1944/45. Essen 1989. 46 Vgl. Franz Josef Müller u.a., Die Weiße Rose. Der Widerstand von Studenten gegen Hitler. München 1942/43, München 1991. 47 Vgl. Jürgen Schmädeke/Peter Steinbach (Hg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler. München 1986. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 17 X. Militärischer Widerstand Nach der Ausschaltung der SA und der Vereidigung der Soldaten auf die Person Hitlers war die Reichswehr seit 1934 weitgehend zum loyalen Partner der NS-Führung geworden. Die erfolgreiche Revision des Versailler Vertrages, die Aufrüstung und auch die öffentliche Aufwertung alles Militärischen machten hohe Offiziere vielfach zu Anhängern Hitlers. Nicht alle ließen sich jedoch beeindrucken, sondern erkannten seit 1937 mit wachsender Besorgnis, dass die deutsche Regierung zielstrebig einen neuen Krieg vorbereitete. 1938 löste Hitler ihm gegenüber zurückhaltende und unbequeme hohe Militärs ab und ersetzte sie durch ihm ergebene oder korrumpierbare Offiziere. Dennoch konnte er nicht alle warnenden Stimmen innerhalb des Offizierskorps zum Schweigen bringen. So weigerte sich der Chef des Generalstabs Ludwig Beck, den Einfall deutscher Truppen in die Tschechoslowakei vorzubereiten. Am 16. Juli 1938 schrieb er, damit stünden „letzte Entscheidungen über den Bestand der Nation auf dem Spiel“, die die Verantwortlichen „mit einer Blutschuld belasten“ müssten, „wenn sie nicht nach ihrem staatspolitischen Wissen und Gewissen handeln“. Beck schloss seinen Appell mit den Worten, ihr „soldatischer Gehorsam (habe) dort eine Grenze, wo ihr Gewissen und ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbieten“. Durch einen geschlossenen Rücktritt der Wehrmachtsführung sollte der Krieg und so die nationale Katastrophe verhindert werden. Beck fühlte sich nicht mehr an seinen Eid gebunden, sondern bekannte sich zu einer „höchsten Verantwortung“, die weit über den „begrenzten Rahmen“ seiner „militärischen Aufträge“ hinausging – zu seiner „Verantwortung vor dem gesamten Volk“.48 Nach seiner Demission, die Beck jedoch nicht als öffentlichen Protest gestaltete, wurde er bald zum Mittelpunkt einer Widerstandsgruppe von Offizieren, die engen Kontakt zu zivilen Widerstandskreisen hielten und durch ihre Bestrebungen keine Militärregierung, sondern eine neue zivile Regierung etablieren wollten.49 Viele der Sympathisanten, die in ihren Umkreis gelangten, reagierten ablehnend auf die Kriegspläne oder, nach 1939, auf die Prinzipien deutscher Besatzungsherrschaft. Die Zusammensetzung der Militäropposition schwankte – manche wurden versetzt, resignierten, ließen sich korrumpieren oder gaben vor, sich durch Eid und Befehlsgehorsam gebunden oder gelähmt zu fühlen. So blieb letztlich nur ein sehr kleiner Kreis zusammen, der die tiefe Unzufriedenheit mit der nationalsozialistischen Politik und soldatische Kritik mit der Verantwortung des militärischen Führers für den Bestand der Nation bündelte und den prinzipiell motivierten Anschlag auf die verbrecherische Führung befürwortete. Ein besonderer Glücksfall war, dass entschiedene Regimegegner wichtige Schaltstellen in der Abwehr oder im Ersatzheer erlangen konnten. Sie hatten einen realistischen Einblick in die Kriegslage und kamen aufgrund einer schonungslosen Analyse zu dem Entschluss, Hitler ermorden zu müssen, um die Truppe „eidfrei“ zu machen. Die Handlungsmöglichkeiten der Militäropposition waren ebenso vielfältig wie diejenigen der anderen zivilen Widerstandsgruppen, die den Kirchen nahe standen oder sich auf die Prinzipien des „bürgerlichen Denkens“ bezogen. Unterscheidbar sind Versuche, staatliche Zielvorstellungen zu beeinflussen oder Wege zur Realisierung der Politik zu korrigieren, ferner Bestrebungen, innerhalb der konservativer gesonnenen Eliten, die dem Regime gegenüber kritische Distanz bewahrten, Unterstützung zu finden, auch die Regierungen anderer Mächte vor deutschen Plänen zu warnen und so politische Gegenreaktionen zu bewirken, die der deutschen Seite das volle Kriegsrisiko bewusst machen sollten. Deshalb finden wir neben der „Denkschriftenopposition“ von Beck die „Reiseopposition“ von Goerdeler,50 die „Besprechungsopposition“ von Eugen Gerstenmaier und die „Informationsopposition“ des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt Ernst von Weizsäcker. Allmählich reifte aber innerhalb von 48 49 50 Vgl. Klaus-Jürgen Müller, General Ludwig Beck. Studien und Dokumente zur politischmilitärischen Vorstellungswelt und Tätigkeit des Generalstabschefs des deutschen Heeres 1933-1938. Boppard 1980, vor allem S. 537ff. Vgl. Peter Steinbach, Der militärische Widerstand und seine Beziehungen zu den zivilen Gruppierungen des Widerstandes, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945. Bonn-Herford 1987, S. 219ff. Über ihn immer noch grundlegend Gerhard Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Stuttgart 1954. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 18 Gruppen jüngerer Offiziere51 der Entschluss, Hitler zu verhaften oder – und sei es „wie einen tollen Hund“ – zu töten. Erste Versuche dieser Art lassen sich bereits im Jahr vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges feststellen. Nach Kriegsbeginn und vollends seit dem Überfall auf die Sowjetunion planten die Verschwörer immer wieder Anschläge, doch verhinderten die Unentschiedenheit mancher der Beteiligten, überraschende Versetzungen oder die Ungunst der Stunde bis zum Sommer 1944 die Verwirklichung dieser Pläne. Goerdeler war oftmals verzweifelt: „Der eine will handeln, wenn er Befehl erhält, der andere befehlen, wenn gehandelt wird.“ Seit 1941/42 erhielten die Verschwörer mit Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg nicht nur entscheidenden Zuwachs, sondern auch Offiziere, die Zugang zur nächsten Umgebung Hitlers hatten. Henning von Tresckow hatte nationalsozialistische Zielvorstellungen zunächst unterstützt, weil er die „Zerstörung aller Klassenschranken“ und den Aufbau einer neuen „Volksgemeinschaft“ erwartete.52 Die Verfolgung Andersdenkender, der Kirchenkampf und vor allem die Judenverfolgung öffneten ihm jedoch rasch die Augen, so dass er feststellte, „Recht und Unrecht haben die Plätze gewechselt“. Seit 1938 trat er wie Beck gegen die nationalsozialistische „Wildwestpolitik“ ein und ließ sich auch durch Hitlers politische und militärische Erfolge nicht mehr beirren. Sein Ziel, den „Tyrannen“ Hitler auszuschalten, verlor er auch als Stabschef der in der Sowjetunion kämpfenden „Armeegruppe Mitte“ niemals aus den Augen. Nachdem Tresckow 1943 von Berlin aus an die deutsche Ostfront versetzt worden war, übernahm der sechs Jahre jüngere und durch schwere Kriegsverletzungen behinderte Stauffenberg53 die Führung des militärischen Widerstands. Der 1907 in Schwaben Geborene entstammte einer katholischen Adelsfamilie und zeichnete sich schon früh durch ein vor allem sozialethisch begründetes Verantwortungsbewusstsein aus. Der Weimarer Republik stand er zwar nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, konnte ihr aber auch keine entscheidenden positiven Seiten abgewinnen. Hitlers Machtergreifung hatte er zunächst wie andere seiner Kameraden begrüßt. Erst im Verlauf des Krieges wurde ihm vollends der verbrecherische Charakter nationalsozialistischer Politik bewusst. Nur allmählich und langsamer als viele seiner späteren Mitverschwörer konnte er sich von den faszinierenden Wirkungen nationalsozialistischer Erfolge befreien. Stauffenberg zählte zu den begabtesten deutschen Offizieren und galt bei einigen Vorgesetzten als der „einzig geniale“ Generalstabsoffizier, den seine Kameraden sogar als den „neuen Schlieffen“ bezeichneten. Bis 1943 nahm Stauffenberg an vielen militärischen Operationen der deutschen Wehrmacht teil, wurde 1943 schwerverwundet aus Nordafrika ausgeflogen und im Oktober 1943 als Stabschef in das Allgemeine Heeresamt versetzt, wo er zunächst unter General Friedrich Olbricht arbeitete. Olbricht war seit 1938 eine treibende Kraft der militärischen Opposition und hatte enge Verbindungen zu anderen oppositionellen Militärs in Berlin. Auf ihn gingen die Pläne zur Widerstandsoperation „Walküre“ zur Übernahme und ersten Sicherung der Regierungsgewalt durch die „Militäropposition“ zurück, die nach dem Anschlag auf Hitler realisiert werden sollten und in die Stauffenberg bald eingeweiht wurde. Schon nach kurzer Zeit akzeptierte Olbricht seinen jüngeren Untergebenen als führenden Kopf und neue treibende Kraft der auch angesichts der mit Sicherheit erwarteten militärischen Niederlage auf die Tat drängenden Militäropposition. Anfang Juli 1944 wurde Stauffenberg zum Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres General Friedrich Fromm ernannt. Durch diese Funktion erlangte er unmittelbaren Zugang zu Hitler, ohne dadurch – wie Tresckow – den unmittelbaren Kontakt zu seinen Mitverschwörern im Allgemeinen Heeresamt zu verlieren, das sich auf einer Etage mit den Räumen des Befehlshabers des Ersatzheeres in der Berliner Bendlerstraße befand. Als sich wiederholt Attentatspläne zerschlugen und die Gestapo enge Vertrauensleute der Militäropposition wie Julius Leber verhaftete, entschloss sich Stauffenberg, so rasch wie möglich zu handeln. Am 20. Juli 1944 gelang es ihm, während einer Besprechung Hitlers im ostpreußischen Vgl. Detlef Graf von Schwerin, Die Jungen des 20. Juli 1944. Berlin 1991; ders., „Dann sind's die besten Köpfe, die man henkt“. Die junge Generation im deutschen Widerstand. München 1991. 52 Vgl. Bodo Scheurig, Henning von Tresckow. Eine Biographie. Frankfurt am Main u.a. 1980. 53 Vgl. Christian Müller, Oberst i.G. Stauffenberg. Eine Biographie. Düsseldorf 1971. 51 Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 19 „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ bei Rastenburg eine Bombe zu zünden. Da Stauffenberg in Berlin dringend benötigt wurde, um die Operation „Walküre“ zu unterstützen, musste er Wolfsschanze eigentlich noch vor der Explosion verlassen. Dies bedeutete ein hohes persönliches Risiko, aber auch eine Belastung des Umsturzplans. Später konnte man immer wieder hören, der Anschlag sei diletantisch ausgeführt worden. Dieses Urteil ist unzutreffend. Nicht persönliches Versagen, sondern eine Verkettung von Zufällen, die Hitler als Vorsehung deutete, verhinderte den Erfolg. Stauffenberg konnte den hochgradig gesicherten Sperrbezirk unmittelbar nach der Explosion überwinden und so nach Berlin entkommen, wo er den Nachrichten vom Überleben Hitlers zunächst keinen Glauben schenkte. Daher versuchte er weiterhin geradezu verzweifelt, hohe Offiziere in den Wehrkreiskommandos auf die Seite der Attentäter zu ziehen. In Berlin gelang es überdies auch nicht, die wichtigen Ziele der Operation „Walküre“ zu erreichen. Bald war der Bendlerblock von SS-Einheiten umstellt. Als Hitler schließlich am Abend im Rundfunk sprach und damit zweifelsfrei feststand, dass er den Anschlag überlebt hatte, brach der Umsturzversuch in sich zusammen. Noch in der Nacht wurde Stauffenberg auf Befehl von Fromm mit seinen unmittelbaren Mitverschwörern Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften ermordet; Beck, der zum Selbstmord gezwungen worden war, erhielt, nachdem der Suizidversuch gescheitert war, von einem Feldwebel den Todesschuss. Unmittelbar nach dem Anschlag setzte eine breite Verfolgung der Verschwörer durch Sicherheitsdienst und Gestapo ein,54 die sich schließlich mit der „Aktion Gewitter“ zu einer offenbar längst vorbereiteten Aktion ausweitete, durch die die Nationalsozialisten ihre gesamte potentielle Gegenelite ausschalten wollten. Mehrere tausend Personen wurden in den folgenden Wochen verhaftet. Die Attentäter und ihr engerer Kreis von Helfern wurden bis auf ganz wenige Ausnahmen vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode verurteilt und – teilweise bis in die letzten Kriegswochen hinein – ermordet. Die konspirierenden Offiziere hatten sich stets bewusst als „Schwert des Widerstandes“ begriffen, das heißt sie wollten vor allem dem Gesamtwiderstand neue Spielräume und damit politische Handlungsmöglichkeiten schaffen. Dies fiel ihnen um so leichter, als sie viele weltanschauliche, politische und religiöse Gemeinsamkeiten mit den „bürgerlichen“ Widerstandskreisen hatten. Unterschieden sie sich auch in Einzelfragen einer politischen Neuordnung, der außenpolitischen Prioritäten und der Übergangslösung, so überwog doch der gemeinsame Wunsch, die NS-Herrschaft zu beenden. Die drohende militärische Niederlage, die politische Isolation des Deutschen Reiches, der Wunsch, den deutschen Nationalstaat zu retten, nicht zuletzt aber auch der Wille, die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen zu beenden, waren für viele Widerstandskämpfer ein wichtiger Anstoß für ihre Haltung. Im NS-Regime erblickten sie den Ausdruck einer Unrechtsherrschaft, die Prinzipien des Christentums ebenso wie jene des Humanismus, der Solidarität und der Aufklärung verraten hatte. Dieser gemeinsame Bezugspunkt ihrer Kritik und Auflehnung einte sie, mochten sie auch weiterhin ihr Verhalten aus ganz unterschiedlichen Denkvoraussetzungen motivieren und in ihren zeit- und gruppenspezifischen Vorstellungen befangen sein. In der Gemeinsamkeit gab es so immer eine Vielfalt, die sich nicht homogenisieren oder synchronisieren ließ. Diese Vielfalt war Ausdruck eines politischen Selbstverständnisses, das nicht auf eine Einebnung des Pluralismus innerhalb des Widerstands abzielte, sondern die Vielfältigkeit von Motivationen und Absichten in einen neuen Konsens bündeln zu können glaubte. In diesem Anspruch verkörperte sich ein grundlegender Neuansatz politischen Denkens und konkreter Zukunftsgestaltung, der in den zehn Jahren nach dem Ende des NS-Regimes die Konflikte der Weimarer Zeit endgültig überwand und einen neuen Weg politischer Kooperation aus dem Geist eines Kompromisses suchte, der die Grundentscheidungen über die Gestaltung politischer Ordnung nicht einer beliebigen Mehrheit auslieferte, sondern unaufhebbaren Verfassungsprinzipien unterstellte. 54 Vgl. Hans-Adolf Jacobsen (Hg.), „Spiegelbild einer Verschwörung“. Die Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der SD-Berichterstattung, 2 Bde. Stuttgart 1984. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 20 Was heißt Widerstand? Von Ansgar Kemmann, Projektleiter Bundeswettbewerb Jugend debattiert „Widerstand“ ist ein Wort mit vielen Bedeutungen. Nicht alle davon sind politisch relevant. Aber selbst auf diesem Gebiet, und speziell im Hinblick auf den Nationalsozialismus bleibt der Ausdruck schillernd. Um so wichtiger ist hier, genau zu klären, wovon man spricht. Die folgenden Überlegungen sollen Sie und Ihre Schüler darin unterstützen. 1. Widerstand gegen den Nationalsozialismus ... ... ist im weitesten Sinne jede Form von Opposition gegenüber dem Nationalsozialismus. Eine so allgemeine Bestimmung ist immer wieder anzutreffen, wenn es darum geht, eine breite politische Identifikationsbasis zu schaffen, etwa im Sinne einer Übereinstimmung aller billig und gerecht Denkenden. Sie bleibt aber zu vage, wenn man verstehen will, in welcher Weise sich dieser Widerstand vollzog und welche erheblichen Unterschiede es dabei gegeben hat. ... ist im engsten Sinne Entschlossenheit zum „Tyrannenmord“. Eine derart zugespitzte Auffassung ist geeignet, diejenige Opposition herauszuheben, die zum Äußersten entschlossen war, unter Einsatz von Leib und Leben. Sie verleitet aber zur Überhöhung und verhindert damit ebenfalls ein tieferes Verständnis. Beide Deutungen führen leicht in einen abstrakten Moralismus, der von den konkreten Umständen politischen Handelns völlig absieht und sich in wohlfeilem Appell oder extremer Forderung erschöpft. Beides bleibt letztlich unverbindlich. Sinnvoller erscheint deshalb, die reale Situation zum Ausgangspunkt zu nehmen, aus der heraus die Opposition gegen den Nationalsozialismus entstand, und zu bedenken, welcher Handlungsspielraum dem Einzelnen tatsächlich zur Verfügung stand. 2. Resistenz Soll politisch und historisch vor allem zählen, was in solchem Spielraum „getan und bewirkt, und weniger das, was nur gewollt oder beabsichtigt war“,1 bietet es sich an, den Begriff des Widerstands durch den Begriff der Resistenz zu ergänzen. Nach der Definition des Historikers Martin Broszat ist Resistenz die „wirksame Abwehr, Begrenzung, Eindämmung der NSHerrschaft oder ihres Anspruches, gleichgültig von welchen Motiven, Kräften und Interessen und Kräften dies bedingt war.“2 1 Martin Broszat/Elke Fröhlich, Alltag und Widerstand. Bayern im Nationalsozialismus. München 1987, S. 50. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 21 Der Akzent dieser Begriffsbildung liegt auf dem Merkmal „wirksam“, verstanden als tatsächlich wirksam. Resistenz meint „in Handlungen oder kommunikative Wirkungen umgesetzte gegnerische Einstellung“, im Unterschied zu bloßer Gesinnung.3 Vom individuellen Bewusstsein des Handelnden wird geradezu abgesehen („gleichgültig von ...“). Damit ist es möglich, ungeachtet der Erfolglosigkeit des Widerstands im Großen, den Widerstand im Kleinen zu würdigen, die effektive Machtbegrenzung des Nationalsozialismus durch wie immer geartetes abweichendes Verhalten einzelner Bürger. 3. Abweichendes Verhalten (Devianz) Der soziologische Begriff des abweichenden Verhaltens bezeichnet jedes beobachtbare Verhalten eines Individuums, das messbar von den sozialen Erwartungen und Regeln abweicht, die in einer Gesellschaft gelten. Die Abweichung verletzt soziale Normen und wird als solche von der Gesellschaft negativ sanktioniert. Abweichendes Verhalten lässt sich nicht durch Merkmale, die ihm innewohnen, definieren, sondern nur im Hinblick auf die soziale Reaktion, die auf die Abweichung erfolgt. Alles Handeln, durch das sich ein totalitärer Staat gefährdet sieht, trägt den Charakter von Resistenz und Devianz. Aus Sicht des Regimes kann dazu schon genügen, die falsche Musik im Radio zu hören – unabhängig vom subjektiven Empfinden des „Täters“. Zu „Widerstand“ wird, was die Staatsmacht willkürlich als Abweichung erklärt. Der Begriff des Widerstandes verwischt sich dadurch leicht bis zur Beliebigkeit. Ein gehaltvoller, auch normativ verpflichtender Begriff von Widerstand lässt sich erst gewinnen, wenn man fragt, wodurch sich die Akteure des Widerstands selbst verpflichtet sahen. 4. Legalität und Legitimität Widerstand setzt geistig Resistenz voraus und zeigt sich sozial als abweichendes Verhalten. Aber nicht das Faktum der Abweichung macht Widerstand zum Widerstand, sondern seine Bindung an politische Gerechtigkeit. Handeln kann auf zweierlei Weise an Recht gebunden sein: nach Legalität (Gesetzmäßigkeit) und Legitimität (Rechtmäßigkeit). Widerstand ist als Normverletzung illegal, aber nicht illegitim, denn Widerstandshandeln ist darauf gerichtet, Recht und Gesetz wieder in Einklang zu bringen. Kurz: Widerstand ist gesetzwidriges Handeln zur Wiederherstellung des Rechts (im Sinne gerechter Ordnung). Widerstand gründet in der Erfahrung, dass Recht zu Unrecht werden kann. Dies ist der Fall, wenn Gesetze erlassen werden, die eine offensichtlich ungerechte Regelung zum Inhalt haben, wie zum Beispiel die nationalsozialistischen Rassegesetze. Verbietet der Gesetzgeber jede Art von Opposition, heißt das aber nicht, dass nunmehr alle Formen von Opposition gegen diesen Gesetzgeber Widerstand sind (siehe oben, Ziff. 1). Widerstand leisten nur diejenigen, deren Handeln unmittelbar auf die Wiederherstellung einer legitimen Ordnung gerichtet ist. Dies kann, muss aber nicht die Tötung des Gewaltherrschers („Tyrannenmord“) einschließen. Würde etwa 2 3 Ebd., S. 49. Ebd., S. 50. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 22 die Planung eines Attentats nur dazu dienen, selbst an diktatorische Macht zu gelangen, wäre dies kein Widerstand, sondern schlicht ein Putschversuch. Dieser Begriff von Widerstand ist trennscharf, solange man sich über die Kriterien legitimer Ordnung einig ist. Davon kann jedoch im Hinblick auf die Akteure des Widerstands gegen den Nationalsozialismus nicht ohne weiteres gesprochen werden. Denn: Wie ist das Handeln derer zu beurteilen, die sich nur in Teilopposition befanden? Wie das Handeln derer, die einen gerechteren Staat, aber keineswegs einen Rechtsstaat errichten wollten? Oder einen Rechtsstaat, aber keinen demokratischen wie die heutige Bundesrepublik Deutschland? Und: Wer bestimmt letztlich, was Recht und was Gerechtigkeit ist? Einfache Antworten gibt es hier nicht. Was zeigt, wie sehr der Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht nur Respekt, sondern auch intensives Nachdenken verlangt. 5. Widerstand im demokratischen Rechtsstaat Auch im demokratischen Rechtsstaat kann es vorkommen, dass staatliches Handeln Bürgerund Menschenrechte verletzt. Doch befindet sich der Einzelne hier in einer völlig anderen, nämlich rechtlich geschützten Position, aus der heraus er gegen staatliches Unrecht vorgehen kann, darf und soll. Die Hessische Verfassung vom 1. Dezember 1946 formuliert es in ihrem Artikel 147 wie folgt: „Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht. Wer von einem Verfassungsbruch oder einem auf Verfassungsbruch gerichteten Unternehmen Kenntnis erhält, hat die Pflicht, die Strafverfolgung des Schuldigen durch Anrufung des Staatsgerichtshofs zu erzwingen. Näheres bestimmt das Gesetz.“ Widerstand ist hier von vornherein legitimiert und legalisiert, er stellt insofern kein „abweichendes“ Verhalten dar, sondern wendet sich gegen Abweichung, die von Seiten der Staates selbst kommen könnte. Zudem ist der Rechtsweg zu beschreiten. Das Recht zum Widerstand ist kein Freibrief zur Selbstjustiz, sondern ein Aufruf zur Zivilcourage. Auch das Grundgesetz normiert (seit 1968) ein Recht zum Widerstand. In Artikel 20 Absatz 4 heißt es: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen [d. h. die Verfassung des demokratischen und sozialen Bundesstaates], haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Das Widerstandsrecht ist hier enger ausgelegt als in der Hessischen Verfassung: Es enthält keine Pflicht und gilt nur für Deutsche. Widerstand ist hier als letztes Mittel im politischen Kampf gedacht, der auch Waffengebrauch einschließen kann. Das Recht zum Widerstand ist vorsorglicher Rechtfertigungsgrund für eventuell erforderliche Gesetzesübertretungen. Seinem Selbstverständnis nach ist der demokratische Rechtsstaat legitime Ordnung. Eventuell auftretende Legitimitätsdefizite sind auf den Wegen auszugleichen, die dafür vorgesehen sind: öffentliche Debatten, parlamentarische Gesetzgebung und Verfassungsgerichtsbarkeit (Normenkontrolle, Verfassungsbeschwerde). Für die Bekämpfung von Verfassungsfeinden gibt es zudem polizeiliche Mittel Erst wenn diese Institutionen sämtlich versagen, und die Ordnung als Ganze bedroht sein sollte, denkt das Grundgesetz an Widerstand. Gleichwohl ist vorstellbar, dass Grundrechtsverletzungen drohen, ohne dass amtliche Abhilfe abgewartet werden kann. Hier bleiben die Bürgerinnen und Bürger gefordert. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 23 6. Gesetzesgehorsam und Zivilcourage Man hat die Tugend des Bürgers mit der Tugend des Soldaten verglichen: 4 Wie zu einem guten Soldaten Befehlsgehorsam und die Tapferkeit im Gefecht gehören, so gehören zum aufrechten Bürger Gesetzesgehorsam und Zivilcourage. Kern des Gesetzesgehorsams im Rechtsstaat ist die Treue zur Verfassung, als der Legitimitätsgrundlage aller Gesetze. Kern der Zivilcourage ist der Mut zur Meinungsäußerung, gegenüber Mitbürgern wie gegenüber Trägern staatlicher Gewalt, vor allem dort, wo Unrecht droht. An die Stelle der Waffe des Soldaten tritt das freie Wort. Zivilcourage ist jedoch nicht auf das Wort beschränkt: Auch der Mut zur gewaltfreien Aktion, zur beherzten Tat gehört zu dieser Haltung. Gewaltsamkeit aber bleibt Monopol des Staates. Dies gilt auch dann, wenn ausnahmsweise an die Stelle der Befolgung der Gesetze der bürgerliche oder zivile Ungehorsam tritt. Dabei handelt es sich um eine öffentlich sichtbare, kalkulierte Gesetzesverletzung mit Appellcharakter (zum Beispiel Steuerboykott, Platzbesetzung und ähnliches) Wie Widerstand zielt ziviler Ungehorsam auf Wiederherstellung der Legitimität staatlichen Handelns. Im Unterschied zum Widerstandsrecht (im Sinne des Grundgesetzes) ist ziviler Ungehorsam jedoch kein Rechtfertigungsgrund für Normverletzungen, weshalb die zugehörige Sanktion (zum Beispiel Bußgeld, evtl. Strafe) in Kauf genommen wird. Zudem ist nicht erforderlich, dass die Ordnung als Ganze bedroht ist; es genügt die Gefährdung elementarer Grundrechte. 7. Debatte als Ort demokratischer Kritik Wer für Rechtsstaat und Demokratie eintreten will, sollte damit allerdings nicht warten, bis ihm nur noch der zivile Ungehorsam bleibt. Besser ist, zu verhindern, dass es überhaupt dahin kommt. Weil Macht missbraucht werden kann und Menschen irren, bedarf es politisch beständiger Aufmerksamkeit und frühzeitiger Interventionen. Zu den Mindestbedingungen einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört deshalb das „Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“.5 Ihr Ort und Medium ist die Debatte. Als Gesprächsform gründet die Debatte im Modus der Entscheidungsfrage, auf die man bekanntlich nur mit Ja oder Nein antworten kann. Wer debattiert, muss Stellung nehmen, und wer Debatten zulässt, zeigt damit an, dass man durchaus verschiedener Meinung sein kann. Das führt zu Streit, der oft nicht einfach beizulegen ist. So viel es dann auch bedeutet, durch Argumente zum Konsens zu kommen – die Würde der Debatte liegt darin, dass sie uns stets gestattet, auch Nein sagen und im Nein bleiben zu dürfen. 4 Wolfram Wette (Hg.), Einleitung: Zivilcourage, in: ders., Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS. Frankfurt a. M. 2004, S. 15-32, 19. 5 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Urteil vom 23. Oktober 1952. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 24 Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? Lebensbilder von Widerständlerinnen und Widerständlern mit Hessen-Bezug „Schämt Euch unserer nicht! Ihr wißt, daß wir keine Untermenschen sind, daß wir ... unserer besten Überzeugung folgten unter Hintansetzung von Sicherheit, Ruhe und Bequemlichkeit.“ (Elisabeth Schumacher) Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 25 Ludwig Beck (29. Juni 1880 – 20. Juli 1944) Lebensgeschichte Ludwig Beck entstammte einer protestantischen Offiziersfamilie und wurde in Biebrich (heute Stadtteil von Wiesbaden) als Sohn des Eisenhüttendirektors Ludwig Beck geboren. Nach dem Abitur an einem humanistischen Gymnasium 1898 trat er in die preußische Armee ein und absolvierte von 1908 bis 1911 die Kriegsakademie in Berlin. Seit 1911/12 dem Großen Generalstab angehörend, fungierte er im Ersten Weltkrieg in verschiedenen Stellungen im Generalstab an der Westfront. Ab 1916/17 war er in der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz eingesetzt. Nach dem Krieg Übernahme in die Reichswehr und rasche Karriere bis zum Generalleutnant (1932). Beck begrüßte die „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten als „verheißungsvolle Voraussetzung für die Wiederherstellung der militärischen Gleichberechtigung Deutschlands“. Als Chef des Truppenamtes (seit 1. Juni 1935 umbenannt in Chef des Generalstabes im Oberkommando des Heeres) stand Beck seit 1. Oktober 1933 an der Spitze der operativen Heeresplanung. 1935 Beförderung zum General der Artillerie. Trotz anfänglicher Sympathien für die Nationalsozialisten distanzierte sich Beck nach der Fritsch-Krise (1938), fortschreitender Beschneidung der Eigenständigkeit der Wehrmacht zugunsten von NS-Einflüssen sowie angesichts Hitlers riskanter Expansionspolitik zunehmend von der politischen Führung. Seine Bemühungen um eine Kurskorrektur zur Vermeidung eines europäischen Krieges, für den er Deutschland nicht gerüstet sah, scheiterten, obwohl er sich mit Denkschriften an Hitler selbst sowie an Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch wandte. Letzterer verhinderte auch den von Beck geforderten geschlossenen Rücktritt der Generalität, mit dem er eine politische Kehrtwende zu erzwingen hoffte. So reichte Beck konsequenterweise am 18. August 1939 sein Rücktrittsgesuch ein. Im Gefolge dieser Entscheidung avancierte Beck zum Zentrum einer oppositionellen Bewegung, die über Papst Pius XII. Großbritannien zu Friedensverhandlungen bewegen wollte. Er gilt als Mittler zwischen nationalkonservativen, militärischen und zivilen Positionen im Widerstand. Obgleich er zunächst ein Attentat auf Hitler ablehnte, änderte er unter dem Eindruck der unmenschlichen NS-Politik seine Meinung. Zuletzt glaubte er, nur ein „Tyrannenmord“ könne den im „Namen des Volkes geübten Verbrechen“ Einhalt gebieten und den Weg für einen politischen Neubeginn frei machen. Deshalb beteiligte sich Beck an den Planungen des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944. Er war von den Widerständlern als neues Staatsoberhaupt vorgesehen. Nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler wurde Beck in Berlin durch General Friedrich Fromm zur Selbsttötung gezwungen. Nach zwei misslungenen Suizidversuchen ermordete ein Feldwebel den Schwerverletzten. Literatur Peter Kaupp, Hermann Kaiser (1885-1945) und Ludwig Beck (1880-1944) im Widerstand gegenüber dem Nationalsozialismus, in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.), Republik, Diktatur und Wiederaufbau. Hessische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Wiesbaden o. J. [1994], S. 45-54. Helmut Krausnick, Ludwig Beck, in: Hermann Graml (Hg.), Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereignisse, Gestalten. Frankfurt am Main 21994, S. 204-211. Helmut Krausnick, Ludwig Beck, in: Rudolf Lill/Heinrich Oberreuter, 20. Juli – Porträts des Widerstands. München 1989, S. 73-86. Klaus Jürgen Müller, Generaloberst Ludwig Beck – Zentralfigur des nationalkonservativen Widerstandes, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 538-547. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 26 Alfed Delp (15. September 1907 – 2. Februar 1945) „Wer nicht den Mut hat, Geschichte zu machen, wird ihr armes Objekt.“ Lebensgeschichte Aus einer interkonfessionellen Kaufmannsfamilie stammend, wurde Delp als Sohn eines Angestellten in Mannheim geboren und zusammen mit fünf Geschwistern zuletzt katholisch erzogen. Während der Schulzeit schloss er sich dem 1919 gegründeten katholischen Jugendbund „Neudeutschland“ an, in dem er sich als Gruppenführer engagierte. Er trat nach dem Abitur an einem Dieburger Gymnasium 1926 in den Jesuitenorden ein und erhielt 1937 die Weihe zum Priester. Sein Wunsch, 1939 ein Studium in München aufzunehmen, wurde ihm als Jesuiten verweigert. Von 1937 bis 1941 arbeitete er als Redakteur der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ in München, die ihr Erscheinen wegen angeblicher Papierknappheit einstellen musste. Nach dem NS-Klostersturm 1941 musste er in Bogenhausen leben. Delp sorgte für vertrauliche Diskussionsforen unter Gleichgesinnten, organisierte Jugendgruppen und half verfolgten Juden. Inspiriert von Heideggers Existenzialphilosophie, entwickelte er den Theonomischen Humanismus, der auf eine christlich geprägte und sozialen Grundsätzen verpflichtete Gesellschaftsordnung hinzielte. 1935 veröffentlichte er sein Werk „Tragische Existenz“, 1943 „Der Mensch und die Geschichte“ sowie – erst 1955 erschienen – „Der Mensch vor sich selbst“. Eine zentrale Frage dabei war, ob der Mensch Gestalter oder Sklave der Geschichte sei. Delp pflegte zunächst auf Initiative Helmuth James Graf von Moltkes Kontakt zum Kreisauer Kreis, der ihn als katholischen Soziologen und Experten für die „Wiederverchristlichung der Arbeiterschaft“ einlud. Dort referierte er über die Soziallehre der katholischen Kirche. Dabei vertrat er die revolutionäre Idee, dass eine „dauerhafte Eigentumsbildung für alle Schichten der Bevölkerung ermöglicht werden“ müsse und der Staat nicht „als wirtschaftende Instanz auftreten“ solle. Ein Manuskript zum von ihm entwickelten „Personalen Sozialismus“ vernichteten seine Mitbrüder vermutlich nach Delps Verhaftung. Delp wurde nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 am 28. Juli in Bogenhausen verhaftet, denn er hatte den Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Juni 1944 besucht. Fest in seinem Glauben wurzelnd, gab er trotz Folter die Namen der Mitglieder des Kreisauer Kreises nicht preis. Seit September war er gemeinsam mit den Verschwörern des 20. Juli in Berlin-Tegel unter verschärften Bedingungen inhaftiert, obwohl ihm eine Mittäterschaft im Umfeld von Stauffenberg nicht nachgewiesen werden konnte. In der Gefangenschaft legte er am 8. Dezember 1944 sein Professgelübde ab und schrieb den eindringlichen Text „Im Angesicht des Todes“ (veröffentlicht 1947). Delp wurde vom Volksgerichtshof unter Vorsitz Roland Freislers, der ihn im Prozess immer wieder niederschrie, am 11. Januar 1945 als „einer der aktivsten Verratsgehilfen Helmuth Graf von Molktes“ und Verfechter der „Iustitia socialis“ zum Tode verurteilt und am 2. Februar 1945 in Plötzensee hingerichtet. Seine sterblichen Überreste wurden verbrannt und laut „FührerBefehl“ auf den Rieselfeldern Berlins verstreut. Die Mutter erhielt eine Todesnachricht und die Mitteilung, dass die Veröffentlichung einer Todesanzeige unzulässig sei. Literatur Roman Bleistein, Alfred Delp, in: Rudolf Lill/Heinrich Oberreuter, 20. Juli – Porträts des Widerstands. München 1989, S. 99-109. Walter Dirks, Alfred Delp, in: Hermann Graml (Hg.), Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereignisse, Gestalten. Frankfurt am Main 21994, S. 200-203. Michael Pope, Alfed Delp S. J. im Kreisauer Kreis. Die rechts- und sozial-philosophischen Grundlagen in seinen Konzeptionen für eine Neuordnung Deutschlands. 240 S., Mainz 1994. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 27 Hermann Kaiser (31. Mai 1885 – 23. Januar 1945) Lebensgeschichte Hermann Kaiser wurde in Remscheid als Sohn eines Oberlehrers geboren. Die Mutter kam aus einer Remscheider Fabrikantenfamilie. Der Vater war seit 1886 Direktor an der Oranienschule in Wiesbaden. Die neunköpfige Familie lebte in Wiesbaden und Kassel, wohin der Vater 1901 als Provinzialschulrat befördert worden war. Das Elternhaus pflegte eine nationalliberale, Bismarck-orientierte Haltung. Kaiser studierte in Halle und Göttingen Mathematik, Physik, Geschichte und Kunstgeschichte und trat entsprechend der Familientradition der Burschenschaft der Pflüger bei. Wie sein Vater ergriff auch Kaiser den Beruf des Lehrers und unterrichtete ab 1912 an der Wiesbadener Oranienschule. Im Ersten Weltkrieg diente er als Soldat und erhielt verschiedene Auszeichnungen; zuletzt war er als Soldatenrat gewählt worden. Der Weimarer Republik stand der National-Konservative zunächst negativ, später skeptisch gegenüber. 1933 trat er der NSDAP bei. Trotzdem entwickelte er sich nach der Ermordung des SA-Führers Ernst Röhm 1934 und weiterer, den Nationalsozialisten missliebiger Personen zum Gegner des Nationalsozialismus. Dem Lehrer missfiel auch, dass „propagandistisch aufgetriebene, unverdaute Halbwahrheiten als Weltanschauung dem Volke einzutrichtern“ seien, wie er 1939 schrieb. Als überzeugter evangelischer Christ gelangte er zu der Ansicht, dass sich das deutsche Volk quasi selbstreinigend von Hitler und dem verbrecherischen Regime befreien müsse. Nicht zuletzt verabscheute er die Deportationen der Juden, wie seinen Tagebuchnotizen vom Oktober 1941 zu entnehmen ist. Als Reserveoffizier wurde Kaiser bei Kriegsbeginn eingezogen und 1940 beim Oberkommando des Heeres mit der Führung des Kriegstagebuches beim Stab des Befehlshabers des Ersatzheeres General Friedrich Fromm berufen. In dieser Position gelang es ihm, die Verbindungen zwischen zivilem und militärischem Widerstand herzustellen. Dabei stand er in engem Kontakt zu den Widerständlern des Attentats vom 20. Juli 1944 Ludwig Beck, Carl Friedrich Goerdeler und Claus Schenk Graf von Stauffenberg sowie zu Friedrich Olbricht oder Henning von Tresckow, die sich in seinen Diensträumen trafen. Kaiser sollte nach dem gelungenen Umsturz als Staatssekretär im Kultusministerium sowie als Verbindungsoffizier im Wehrkreis XII (Wiesbaden) fungieren; das ihm von Goerdeler angetragene Kultusministerium hatte er abgelehnt. Den Text für einen Aufruf an die Wehrmacht, der bei Gelingen des Attentats veröffentlicht werden sollte, hatte Kaiser verfasst. Er war ebenso in die unmittelbaren Vorbereitungen des Staatsstreichs einbezogen und handelte als Vertrauensmann Goerdelers in Berlin. Nach dem Anschlag vom 20. Juli 1944 nahm die Geheime Staatspolizei Hermann Kaiser und seine beiden Brüder Heinrich und Ludwig am 21. Juli 1944 in Kassel fest. Hermann Kaiser wurde später im Reichssicherheitshauptamt in Berlin inhaftiert. In seinen Unterlagen wurde neben der programmatischen Denkschrift Goerdelers „Das Ziel“ auch ein Tagebuch gefunden, in dem unter Decknamen alle nach dem Staatsstreich auszuschaltenden Personen aufgeführt waren. Den Nationalsozialisten galt er damit als einer der geistigen Drahtzieher des Attentats. Der Volksgerichtshof unter Vorsitz von Roland Freisler verurteilte ihn am 17. Januar 1945 zum Tode. Er wurde am 23. Januar 1945 in Plötzensee gemeinsam mit neun weiteren Widerständlern hingerichtet. Die beiden Brüder überlebten Haft und Folter. Literatur Peter M. Kaiser, Die Verbindungen der Verschwörer des „20. Juli 1944“ nach Hessen am Beispiel der Brüder Kaiser, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 548-564. Peter M. Kaiser, Anmerkungen zu Hermann Kaiser, in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.), Republik, Diktatur und Wiederaufbau. Hessische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Wiesbaden o. J. [1994], S. 55-60. Peter Kaupp, Hermann Kaiser (1885-1945) und Ludwig Beck (1880-1944) im Widerstand gegenüber dem Nationalsozialismus, in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 28 (Hg.), Republik, Diktatur und Wiederaufbau. Hessische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Wiesbaden o. J. [1994], S. 45-54. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 29 Johanna Kirchner (24. April 1889 – 9. Juni 1944) Lebensgeschichte Johanna Stunz, auch Hanna genannt, wurde in Frankfurt am Main geboren und entstammte einer sozialdemokratischen Familie. Ihre Schwester Betty heiratete den als Sozialdemokraten verfolgten Konrad Arndt; beider Sohn Rudi Arndt war nach dem Zweiten Weltkrieg Hessischer Minister und Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt. Nach dem Besuch der Uhlandschule und einer Handelsschule arbeitete Kirchner als Sekretärin. Mit 14 Jahren trat sie der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) und vier Jahre später der SPD bei. Von Partei- und Gewerkschaftskongressen berichtete sie in Zeitungsartikeln und war später Mitarbeiterin der SPD-Zeitung „Volksstimme“. Schon seit 1919 gehörte die junge Frau dem Vorstand der Frankfurter SPD an. 1913 hatte die Sozialdemokratin den Gewerkschafter und SPDJournalisten Karl Kirchner geheiratet, dem sie in der Kriegsfürsorge während des Ersten Weltkriegs zuarbeitete. Der Ehemann war 1918 Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates und später SPD-Stadtverordneter und Fraktionsvorsitzender. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor. Kirchner zählte zu den Gründerinnen der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt (AWO), die sie wesentlich prägte. Die von ihr gesetzten Akzente in der AWO lagen bei der Sozialfürsorge und der Jugendgerichtshilfe. Kirchner war in der Geschäftsstelle tätig und vertrat die AWO auf Veranstaltungen. Während der Inflationszeit 1923/24 organisierte sie unter dem Motto „Helft Rhein und Ruhr“ Erholungsfahrten für Kinder aus dem besetzten Ruhrgebiet in die Schweiz. Auch bei der Gründung der „Kinderfreunde“, die für die Koedukation und eine Schulreform eintraten, beteiligte sie sich 1925. Seit 1926 fungierte sie als hauptamtliche Parteisekretärin der Frankfurter SPD und war Mitarbeiterin von Konrad Broßwitz und Carlo Mierendorff. Bereits damals exponierte sich Kirchner in Reden als Frauenrechtlerin und Gegnerin des Nationalsozialismus. Johanna Kirchner – 1926 geschieden, wobei die Töchter beim Vater blieben – ging nach dem Regierungsantritt Hitlers 1933 in das dem Völkerbund unterstellte Saarland, weil sie wegen Hilfe für einen Verfolgten von Repressalien bedroht war, und emigrierte nach der Saarabstimmung 1935 zunächst in das französische Forbach, dann nach Paris. Bei der „Saarländischen Emigrantenfürsorge“ und später in Forbach bei der „Betreuungsstelle für Saarflüchtlinge“ setzte sie sich für die Belange der aus Deutschland vertriebenen Exilanten ein. Außerdem war sie politisch gegen das NS-Regime tätig, produzierte und verbreitete Flugblätter und arbeitete dem Exilvorstand der SPD zu. Als „Reichsfeindin“ bürgerte sie das Reich 1937 aus. Kirchner wurde 1940 in Paris verhaftet und im Mai 1940 in das Internierungslager Gurs verschleppt. Dort entließ sie der ihr persönlich bekannte Lagerkommandant, obwohl sie auf den deutschen Fahndungslisten stand. Anschließend flüchtete sie in das von Deutschen unbesetzte Südfrankreich, unter anderen nach Avignon, zuletzt nach Aix-les-Bains. Die Konfessionslose fand zeitweise Aufnahme in einem Kloster. Die französische Geheimpolizei verhaftete Johanna Kirchner am 9. Juni 1942 und das mit Deutschland kollaborierende Vichy-Regime lieferte die Sozialdemokratin nach Deutschland aus. Sie wurde in Moabit und im Frauenstrafgefängnis Barnimstraße in Berlin sowie in Cottbus gefangen gehalten. Der Volksgerichtshof verurteilte Kirchner im Mai 1943 zu zehn Jahren Zuchthaus. Der Präsident des Volksgerichthofes Roland Freisler initiierte jedoch eine Neuverhandlung vor dem von ihm geführten „Besonderen Senat“, wo sie wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat in einer wenige Minuten dauernden Verhandlung am 21. April 1944 zum Tode verurteilt wurde. Ihr Hoffen auf einen Gnadenerweis blieb unerfüllt. Das Urteil wurde am 9. Juni 1944 in Plötzensee vollstreckt. Literatur Antje Dertinger/Jan von Trott, „... und lebe immer in Eurer Erinnerung“. Johanna Kirchner – Eine Frau im Widerstand. 212 S., Bonn 1985. Johanna Kirchner, in: Wolfgang Klötzer (Hg.), Frankfurter Biographie. Bd. 1. Frankfurt am Main 1994, S. 394f. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 30 Renate Knigge-Tesche, Zwei Frauen aus der Arbeiterwohlfahrt im Widerstand: Lotte Lemke und Johanna Kirchner, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 346-357. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 31 Wilhelm Leuschner (15. Juni 1890 – 29. September 1944) Lebensgeschichte Als Sohn eines Ofensetzers in Bayreuth geboren, wuchs Leuschner in ärmlichen Verhältnissen auf. Er ließ sich als Holzbildhauer ausbilden und übernahm 1909 in Darmstadt die Funktion eines ehrenamtlichen Bezirksleiters im Zentralverein der deutschen Holzbildhauer. Im Wintersemester 1909/1910 belegte der junge Handwerker einen Grundkurs in Gestaltungslehre an der Königlichen Kunstgewerbeschule in Nürnberg; zeitlebens interessierte er sich für Kunst. Ab 1910 arbeitete er in der Darmstädter Möbelfabrik Glückert. Kurz darauf trat er der SPD bei, seitdem war er politisch und gewerkschaftlich aktiv und gehörte dabei stets zu den Jüngsten. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er zwei Jahre an der Ostfront. Ab 1919 fungierte Leuschner als hauptamtlicher Vorsitzender der zusammengeschlossenen Darmstädter Gewerkschaften und von 1926 bis 1928 als Bezirkssekretär des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Hessen und Hessen-Nassau. Ab 1924 saß er für die SPD im hessischen Landtag und bekleidete ab 1928 das Amt des Hessischen Innenministers. Der ADGB entsandte ihn 1932 in den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes (IAA). Außerdem avancierte Leuschner im Januar 1933 zum stellvertretenden Vorsitzenden des ADGB. Nach heftigen Angriffen der Nationalsozialisten trat er im April 1933 als Innenminister zurück. Im Zusammenhang mit der Zerschlagung und „Gleichschaltung“ der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten Anfang 1933 wurde Leuschner von der SA verhaftet und misshandelt. Unter Zwang begleitete Leuschner den Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF) zur Konferenz des IAA in Genf (Schweiz), wo er als renommierter Vertreter der Freien Gewerkschaften der NSOrganisation DAF die Anerkennung sichern sollte. Mutig berichtete er jedoch von der Unterdrückung der Arbeiterbewegung, schwieg aber in den Plenarsitzungen und vereitelte damit seine Instrumentalisierung zur Legitimierung der DAF. Trotz Warnungen nach Deutschland zurückgekehrt, wurde Leuschner bis Juni 1934 ein Jahr im Zuchthaus Rockenberg sowie in den Konzentrationslagern Börgermoor und Lichtenburg inhaftiert. Dort wurde er erneut misshandelt. Auf freien Fuß gesetzt, übernahm der Sozialdemokrat ein Unternehmen für Bierflaschenverschlüsse und Zapfhähne in Berlin, das zur Schaltzentrale der „illegalen Reichsleitung der deutschen Gewerkschaften“ wurde. Denn die Geschäftstätigkeiten erlaubten ihm die Tarnung seiner Kontaktaufnahme mit sozialdemokratischen, kommunistischen und christlichen Gewerkschaftern, um den gemeinsamen Widerstand zu organisieren. Jakob Kaiser von den christlichen Gewerkschaften wurde zu einem wichtigen Partner. Gemeinsam entwickelten sie die Idee der Einheitsgewerkschaft weiter. Weil seine Firma kriegswichtige Patente für die Aluminiumverarbeitung besaß, kam er ab 1939 mit Vertretern des militärischen Wiederstandes um Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler in Kontakt und nahm an Zusammenkünften des Kreisauer Kreises teil. Goerdeler plante Leuschner als Repräsentanten der Sozialdemokratie für eine Übergangsregierung nach dem Umsturz als Vizekanzler ein. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 gelang es Leuschner zunächst, der Festnahme zu entgehen. Die Umstände seiner Verhaftung sind unklar. Manche sprechen davon, dass er sich nach der Verhaftung seiner Frau stellte und am 16. August inhaftiert wurde. Andere gehen von Verrat aus. Die Verhöre fanden unter Folter statt. Der Volksgerichtshof verurteilte ihn am 8. September 1944 zum Tode. Das Urteil wurde am 29. September 1944 in Plötzensee durch Erhängen vollstreckt. Literatur Gerhard Beier, Sozialstaat als realutopische Perspektive im Kampf gegen den Hitlerismus und für eine soziale Demokratie. Vergleichende Lebensbeschreibung von Willi Richter (18941972) und Wilhelm Leuschner (1890-1944) mit besonderer Berücksichtigung ihrer Vorstellung von Staat und Gesellschaft, in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.), Republik, Diktatur und Wiederaufbau. Hessische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Wiesbaden o. J. [1994], S. 61-65. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 32 Gerhard Beier, Wilhelm Leuschner und das Verbindungsnetz sozialistischer Vertrauensleute in Hessen, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 565-592. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 33 Nora Platiel (14. Januar 1896 – 6. September 1979) Lebensgeschichte Nora Block kam in Bochum als achtes von zehn Kindern in einer liberalen jüdischen Kaufmannsfamilie zur Welt. Schon früh sah sie sich mit Antisemitismus konfrontiert. Nachdem der Vater 1912 starb, musste Nora mit 16 Jahren das Lyzeum verlassen. Das Abitur erwarb sie auf dem Zweiten Bildungsweg. Später begann sie, in Frankfurt Nationalökonomie und Sozialwissenschaften zu studieren. Aber der Wunsch, sich „für die Durchsetzung des Rechts in der Gesellschaft einzusetzen“, hatte den Wechsel zu den Fächern Jura und Rechtsphilosophie zur Folge. Das Studium nahm sie in Göttingen auf; Abschluss in Celle 1927. Ihre Begeisterung entzündete sich an den Ideen des in Göttingen lehrenden Philosophen Leonhard Nelson, der die „Befähigung des Menschen zur ethischen Selbstbestimmung aus der Vernunft“ und einen ethischen Sozialismus propagierte. Seine Theorien beeinflussten Platiels intellektuelle Entwicklung nachhaltig. 1922 trat die Studentin der SPD bei. Sie gehörte auch dem von Nelson gegründeten Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) an, dessen Bochumer Ortsgruppe sie leitete. Für das ISK-Organ „Funken“ schrieb sie immer wieder Artikel. Beim ISK-Mitglied und Sozialisten Erich Lewinski konnte die junge Juristin in Kassel ihr rechtsanwaltliches Referendariat absolvieren. Als Rechtsanwältin arbeitete die Sozialdemokratin in ihrer Heimatstadt und verteidigte bis 1933 in politischen Prozessen Kommunisten und Sozialdemokraten. Ihre anwaltliche Tätigkeit verstand sie als Teil des politischen Kampfes gegen den Nationalsozialismus. Der spätere Vorsitzende des berüchtigten Volksgerichtshofes und NSDAP-„Pg“ Roland Freisler, dem sie in Kassel beruflich begegnen musste, forderte sie auf, aus der Anwaltschaft auszutreten oder dem Regime gegenüber loyal zu sein. Nach der Berufung Hitlers zum Reichskanzler sah sich Platiel als Jüdin, Sozialdemokratin und ISK-Anwältin zur Emigration gezwungen und flüchtete 1933 in das französische Exil. In Paris arbeitete sie in der ISK-Gruppe. Sie lebte gemeinsam mit dem ISK-Genossen Georg Kumleben, der auch Vater ihres 1934 geborenen Sohnes war. Das Paar trennte sich jedoch bald. Seit September 1933 konnte sie als Redaktionssekretärin der Exilzeitschrift „Das Neue Tagebuch“ etwas Geld verdienen. Die Juristin wurde 1940 im Lager Gurs interniert. Nachdem ihr die Flucht gelungen war, versuchte sie anderen Emigranten zu helfen. 1940 lernte sie den Deutschen Hermann Platiel kennen, den sie 1943 in Montauban heiratete. Der Ehemann wurde noch im selben Jahr verhaftet; ihm gelang es, zu fliehen und sich bis Kriegsende bei Bauern zu verstecken. Nora Platiel, die als Jüdin von Deportation bedroht war, konnte 1943 ohne Mann und Sohn in die Schweiz entkommen, wo sie seit 1946 die Abteilung Nachkriegshilfe beim Schweizerischen Arbeiterhilfswerk leitete. Nora Platiel und ihr Ehemann kehrten 1949 nach Deutschland zurück, wo sie zunächst dank ihrer alten Kontakte zu Lewinski als Landgerichtsrätin in Kassel und vor allem in der „Wiedergutmachungskammer“ tätig war. Seit 1951 übernahm sie die Funktion einer Landgerichtsdirektorin am Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Außerdem schloss sie sich erneut der SPD an. Den Hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn (SPD) kannte sie bereits seit ihrem Referendariat in Kassel und war ihm freundschaftlich verbunden. Für die Sozialdemokraten saß Platiel von 1954 bis 1966 im Hessischen Landtag, wo sie 1959 als erste Frau zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde. Ihre Bewerbung um das Amt der Landtagspräsidentin scheiterte 1962 jedoch knapp mit einer Stimme Vorsprung für Franz Fuchs. Im Rechtsausschuss übernahm sie 1956 den Vorsitz von der Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin Elisabeth Selbert. Als nichtrichterliches Mitglied gehörte sie außerdem dem Hessischen Staatsgerichtshof an. Auch nach dem Rückzug aus der aktiven Politik nahmen die Eheleute am Geschehen regen Anteil und luden Studenten, Jusos und Junggewerkschafter zur Diskussion in ihre Wohnung. Im Alter von 70 Jahren zeichnete das Land Hessen Nora Platiel mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille aus. Sie starb in Kassel. Literatur Helga Haas-Rietschel/Sabine Hering, Nora Platiel. Sozialistin – Emigrantin – Politikerin. Eine Biographie. 212 S. Köln 1990. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 34 Cilly Schaefer (25. Januar 1898 – 18. Januar 1981) Lebensgeschichte Cilly Schaefer kam als Cäcilie Tannenberg in Friedberg zur Welt und wuchs in ärmlichen Verhältnissen mit vier Geschwistern auf. Der Vater starb 1908 bei einem Arbeitsunfall. Die Mutter, die eine Wäscherei betrieb, ermöglichte den Kindern trotz Armut eine Ausbildung. Diese mussten jedoch zum Lebensunterhalt beisteuern; die zehnjährige Cilly trug vor der Schule Zeitungen aus. Anstelle der ursprünglich eingeplanten höheren Schule konnte sie aber nur die Volksschule besuchen. Sie lernte Schneiderin und bestand bereits mit 21 Jahren die Meisterprüfung. Nebenbei bildete sich die wissbegierige junge Frau an der Volkshochschule weiter. Nach dem Ersten Weltkrieg trat sie der Freien Sozialistischen Jugend (FSJ) bei. Gemeinsam mit den Genossen traf sie sich täglich, um Texte von Karl Marx und Friedrich Engels zu lesen und zu diskutieren. Seit 1920 gehörte sie auch zu den Naturfreunden, über die Schaefer zur USPD stieß, die sich bald mit der KPD vereinigte. Ein Jahr später trat sie aus der Kirche aus und schloss sich dem während der NS-Zeit verbotenen Freidenkerbund an. Im Juni 1921 heiratete sie den Schneidermeister und Bad Nauheimer KPD-Stadtrat Jakob Schaefer. Die Eheleute blieben kinderlos; es ist überliefert, dass sie dem „Dritten Reich“ keine Kinder schenken wollten. Während der Ehemann von 1927 bis 1931 für die KPD im Hessischen Landtag saß, engagierte sich Cilly Schaefer in der Bad Nauheimer KPD-Ortsgruppe und avancierte zur Frauenleiterin im Bezirk Hessen-Frankfurt. Die Ortsgruppen der KPD und der NSDAP in Friedberg/Bad Nauheim bekämpften sich erbittert. Bei der Landtagswahl im Juni 1932 gelang Cilly Schaefer der Einzug ins Parlament. Als einzige Frau gehörte sie der KPDFraktion an. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler konnten die KPD- und SPDAbgeordneten an der letzten Sitzung des demokratisch gewählten Landtages am 13. März 1933 nicht mehr teilnehmen. Kommunisten und Sozialdemokraten wurden inzwischen offen verfolgt und unter anderen auch die KPD verboten. Bei einem konspirativen Treffen wurde Schaefer am 11. März 1933 verhaftet und vom Sondergericht am 5. April 1933 zur Höchststrafe, einem Jahr Gefängnis ohne Anrechnung der Untersuchungshaft, verurteilt. Sie musste die Strafe im Frauengefängnis in Mainz vollständig absitzen. Ihr Mann kam im Juni 1933 in das Konzentrationslager Osthofen. Als Kommunisten verloren die Schaefers ihre Wohnung. Nach der Haftentlassung fanden sie bei Verwandten Unterschlupf in Marburg. Schaefer arbeitete als Hausschneiderin, um im direkten Kundenkontakt gegen die Nationalsozialisten und für die KPD zu agitieren. Sie blieb unentdeckt. Als nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 ehemalige Funktionäre von KPD und SPD sowie der Gewerkschaften inhaftiert wurden, kam auch das Ehepaar Schaefer in Konzentrationslager, der Mann nach Sachsenhausen und sie nach Ravensbrück, später nach Oranienburg. Dort musste sie Zwangsarbeit leisten. Nach Bombenangriffen auf das Lager wurden die Frauen in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Mit Hilfe anderer Häftlinge konnte Schaefer ihren Mann täglich sehen und überstand eine Typhuserkrankung. Vor der heranrückenden Front wurden die Häftlinge – Männer und Frauen getrennt – auf „Todesmärsche“ gezwungen; beide Eheleute überlebten. Cilly Schaefer stieg nach dem Krieg wieder in die Politik ein und gehörte zu den Gründerinnen des überparteilichen Frauenausschusses in Marburg. Dort war sie die einzige Kommunistin und sollte deshalb 1950 vor dem Hintergrund des Kalten Krieges ausgeschlossen werden. Sie baute die Ortsgruppe der KPD mit auf und arbeitete 25 Jahre im Vorstand in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in Marburg. Ab 1951 vertraten beide Eheleute die KPD in der Marburger Stadtverordnetenversammlung. Nach dem Verbot der KPD 1956 engagierten sie sich in der Deutschen Friedensunion (DFU) und der Ostermarschbewegung. 1968 traten beide der DKP bei. Seit 1971 verwitwet, zog Schaefer sich aus der aktiven Politik zurück. Literatur Ingrid Langer, Cäcilie (Cilly) Schaefer, KPD, in: Ingrid Langer, Zwölf vergessene Frauen. Die weiblichen Abgeordneten im Parlament des Volksstaates Hessen. Ihre politische Arbeit – ihr Alltag – ihr Leben. Frankfurt am Main1989, S. 524-565. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 35 Schäfer, Cäcilie (Cilly), geb. Tannenberg, in: Elke Schüller, „Neue, andere Menschen, andere Frauen“?. Kommunalpolitikerinnen in Hessen 1945-1956. Ein biografisches Handbuch. Bd. 1: Kreisfreie Städte. Frankfurt am Main, S. 238-240. Rose Schlösinger (5. Oktober 1907 – 5. August 1943) Lebensgeschichte Als Tochter des Werkzeugmachers Peter Ennenbach und der Fabrikarbeiterin Sophie Ennenbach, geb. Schlösinger, in Frankfurt am Main zur Welt gekommen. Nach der Scheidung der Eltern 1914 lebte Rose mit ihrer Schwester bei der Mutter. Diese setzte sich als linke Sozialdemokratin und SPD-Stadtverordnete für die Interessen der Frauen ein, organisierte 1911 den Ersten Internationalen Frauentag in Frankfurt und baute die Abteilung für weibliche Erwerbstätige beim Arbeitsamt auf. Die Töchter gingen in die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ); Rose gehörte auch der Gewerkschaft und vermutlich der SPD an. Sie verließ die Schule mit der Mittleren Reife. Nach einer hauswirtschaftlichen Ausbildung absolvierte sie von 1924 bis 1926 ein Kindergärtnerinnen-Seminar. Anschließend war sie drei Jahre in ihrem Beruf tätig. 1929 gehörte sie zu den ersten Studentinnen der Frankfurter Wohlfahrtsschule und legte 1931 das Examen in Berufsberatung und Jugendpflege mit Auszeichnung ab. Ihr Praktikum nahm sie in der Sozialstation Nordend auf. Nach einer kurzen, 1932 geschiedenen Ehe mit dem Handelslehrer Friedrich Heinemann, aus der im selben Jahr die Tochter Marianne hervorging, lebte sie wieder bei der Mutter. Kurz nach dem Regierungsantritt Hitlers wurde Schlösinger als Tochter einer „politisch Unzuverlässigen“ aus dem Praktikum entlassen; auch die Mutter erhielt Berufsverbot. Die Familie musste zeitweise von Wohlfahrtsunterstützung leben. In Erwerbslosenkursen wurde die Sozialarbeiterin zur Sekretärin umgeschult. Die beiden Frauen zogen 1934 nach Chemnitz um, wo Schlösinger eine Stelle bei den Wanderer-Schreibmaschinenwerken fand und die Familie allein ernährte. Ihr Kind lebte zumeist bei der verheirateten Schwester. Nach der Heirat 1939 mit ihrem Vetter Bodo Schlösinger zog sie mit Mutter und Tochter nach Berlin um, wo sie als Chefsekretärin in der Zentrale der Fabrik tätig war. Der Ehemann, Übersetzer für Englisch und Russisch, arbeitete im Auswärtigen Amt in der Austauschstelle mit der Sowjetunion. Das Ehepaar schloss sich etwa 1940 dem Widerstandskreis um Mildred und Arvid Harnack sowie Libertas und Harro Schulze-Boysen an, der später von der Gestapo Rote Kapelle genannt wurde. Auch die Mutter nahm anfangs an den Treffen teil. Dieser Kreis traf sich unter anderem zu Schulungen, die den Beteiligten eigenständiges Denken und Urteilen in wirtschaftlichen und politischen Fragen ermöglichen sollten, um sich auf das Leben nach dem NS-Regime vorzubereiten. Er organisierte aber auch Flugblattaktionen und dokumentierte NSVerbrechen. Die Widerständler wollten ferner die Möglichkeiten für Friedensverhandlungen mit der Sowjetunion schaffen. Erst Anfang der 40er Jahre bildeten sich festere Organisationsformen in dieser Sammlungsbewegung heraus. Vermutlich gaben die Berichte des seit 1941 an der Ostfront eingesetzten Ehemannes, der wohl von grauenvollen deutschen Übergriffen auf die dortige Zivilbevölkerung wusste, den Ausschlag für Schlösinger, sich trotz der Gefahren aktiv gegen das NS-Regime zu engagieren. Die Gruppe um Harnack und Schulze-Boysen weihte sie daraufhin ein in ihre Flugblattaktionen sowie die Versuche des Kommunisten Hans Coppi, der Sowjetunion per Funk militärische Informationen zukommen zu lassen. Sie diente mehrfach als Kurierin zwischen Coppi und Harnack. Nachdem im August 1943 einer der Funksprüche entschlüsselt worden war, wurden 126 Mitglieder der Roten Kapelle verhaftet und 62 von ihnen hingerichtet. Auch Rose Schlösinger wurde am 18. September 1942 in ihrer Wohnung festgenommen und zunächst im Polizeipräsidium am Alexanderplatz, dann im Gerichtsgefängnis Charlottenburg und im Frauenstrafgefängnis Barnimstraße inhaftiert. Der 2. Senat des Reichskriegsgerichts verurteilte sie wegen angeblicher Spionage am 20. Januar 1943 zum Tode. Das Gnadengesuch lehnte Hitler am 21. Juli 1943 ab. Sie starb in Berlin-Plötzensee am 5. August 1943 unter dem Fallbeil. Mit ihr wurden 13 andere Widerständlerinnen und zwei Widerständler der Roten Kapelle im Dreiminutentakt ermordet. Rose Schlösinger kam als achte an die Reihe. Der Ehemann nahm sich, nachdem er vom Urteil erfahren hatte, am 22. Februar 1943 an der Front das Leben. Das Sorgerecht für das Kind erhielt der Vater, der es zu Verwandten gab. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 36 Literatur Regina Griebel/Marlies Coburger/Heinrich Scheel, Erfasst? Das Gestapo-Album zur Roten Kapelle. Eine Foto-Dokumentation. Halle 1992, S. 136-137. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 37 Elisabeth Schumacher (28. April 1904 – 22. Dezember 1942) Lebensgeschichte Als zweites von fünf Kindern des Ingenieurs Fritz Hohenemser und seiner Ehefrau Annerose wurde Elisabeth Schumacher in Darmstadt geboren. Nach späterer, diskriminierender Definition der Nationalsozialisten galt sie als „Halbjüdin“, denn der Vater entstammte einer jüdischen Bankiersfamilie aus Frankfurt am Main. Bis 1914 lebte die Familie in Straßburg (Elsass), dann in Frankfurt. Kurz nach dem Umzug kam der Vater als Soldat im Ersten Weltkrieg ums Leben. Mit Mutter und Geschwistern siedelte sie zur mütterlichen Familie nach Meiningen über, wo Elisabeth bis 1920 das Lyzeum besuchte. Dort schloss sie sich dem Jugendbund an. Seit 1921 lebte sie als Haustochter bei Verwandten in Frankfurt und studierte mit Unterbrechung bis 1925 an der Kunstgewerbeschule in Offenbach. Anschließend arbeitete sie bis 1928 in einem Kunstgewerbeatelier, um dann bis 1933 bei Professor Ernst Böhm in Berlin Kunst zu studieren. Schumacher arbeitete als Gebrauchsgrafikerin für das Deutsche Arbeitsschutzmuseum in Berlin; zuletzt als „Halbjüdin“ nur noch freiberuflich. 1934 heiratete sie den Bildhauer Kurt Schuhmacher, der aus einer proletarischen KPD-Familie kam und überzeugter Kommunist war. Beide glänzten als Mittelpunkt eines Bohèmezirkels. Durch den Ehemann kam Schuhmacher in engeren Kontakt mit dem Freundeskreis um Harro Schulze-Boysen, der später von der Geheimen Staatspolizei Rote Kapelle genannt wurde. Dieser Kreis traf sich zum kulturellen Austausch, aber auch zu Schulungen, die den Beteiligten eigenständiges Denken und Urteilen in wirtschaftlichen und politischen Fragen ermöglichen sollten, um sich auf das Leben nach dem NS-Regime vorzubereiten. Er organisierte später auch Flugblattaktionen und dokumentierte NS-Verbrechen. Die Widerständler wollten ferner die Möglichkeiten für Friedensverhandlungen mit der Sowjetunion schaffen. Erst Anfang der 40er Jahre bildeten sich festere Organisationsformen heraus. Elisabeth Schumacher beteiligte sich ebenso wie ihr Ehemann an der Herstellung und Verteilung der Flugblätter, da sie als Kunstfotografin über Spezialkenntnisse verfügte. Außerdem war sie Anfang 1941 wohl in die Übermittlung der Nachrichten von Schulze-Boysen über deutsche Kriegsvorbereitungen an einen sowjetischen Botschaftsangehörigen involviert, der die Sowjetunion vor dem deutschen Überfall warnen wollte. Der Ehemann half einem aus dem Konzentrationslager geflohenen Kommunisten über die Grenze in die Schweiz. Nachdem der Mann 1941 zum Kriegsdienst einberufen worden war, übernahm Schumacher weitere Aufgaben im Widerstand. Der Ehemann kam im Juli 1942 nach Berlin zurück. Vergeblich bemühte sich Schumacher, ihre jüdischen Angehörigen vor der drohenden Deportation zu retten. Das Ehepaar nahm im August 1942 den Kommunisten Albert Hößler auf, der seit den 30er Jahren in der Sowjetunion lebte und mit dem Fallschirm über Deutschland abgesprungen war, um der Widerstandsgruppe beim Funken von Informationen nach Moskau zu helfen. Die Schumachers stellten für ihn den Kontakt zu Schulze-Boysen her. Nach der Entschlüsselung eines Funkspruchs 1942 wurden 126 Mitglieder der Roten Kapelle verhaftet und 62 von ihnen hingerichtet. Auch Elisabeth Schumacher wurde am 12. September 1942 in ihrer Wohnung festgenommen, die ebenso wie das Archiv des Ehepaares von der Geheimen Staatspolizei verwüstet wurde. Während Elisabeth Schumacher im Polizeipräsidium am Alexanderplatz in Haft kam, wurde der Ehemann am selben Tag in die Gestapo-Zentrale, Prinz-Albrecht-Straße, verschleppt und später im Strafgefängnis Spandau festgehalten. Beide Eheleute verurteilte der 2. Senat des Reichskriegsgerichtes am 19. Dezember 1942 wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat, Spionage und weiterer Vergehen zum Tode. Zugleich erhielten auch Harro und Libertas Schulze-Boysen, die Harnacks und andere Mitstreiter das Todesurteil. Elisabeth Schumacher wurde drei Tage später durch das Fallbeil in Plötzensee hingerichtet. Auch ihr Ehemann war eine Dreiviertelstunde vorher dort gehängt worden. Literatur Regina Griebel/Marlies Coburger/Heinrich Scheel, Erfasst? Das Gestapo-Album zur Roten Kapelle. Eine Foto-Dokumentation. Halle 1992, S. 102-103. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 38 Heinrich Scheel, Elisabeth und Kurt Schumacher, in: Hans Coppi/Jürgen Danyel/Johannes Tuchel (Hg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Berlin 1994, S. 254-261. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 39 Adam von Trott zu Solz (9. August 1909 – 26. August 1944) Lebensgeschichte Adam von Trott zu Solz kam in Potsdam als fünftes von acht Kindern des hessischen Diplomaten August von Trott zur Solz zu Welt, der bis 1917 Preußischer Kultusminister und zuletzt Vertreter von Hessen-Nassau in Berlin gewesen war. Von Trott studierte in Göttingen, München und Berlin Jura und promovierte 1931 über „Hegels Staatsphilosophie und das internationale Recht“. Anschließend erhielt er ein Rhodes-Stipendium für Oxford, wo er Philosophie, Politik und Ökonomie studierte. Trotz seiner Ablehnung der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten kehrte der Adelige 1933 nach Deutschland zurück und absolvierte bis 1936 das Referendariat in Rotenburg/Fulda, Hanau, Kassel, Berlin, Hamburg und Jüterbog. Dem Druck, Mitglied einer NS-Organisation oder der NSDAP zu werden, vermochte er zu widerstehen. Vielmehr stellte er Kontakte zu sozialistischen Widerstandsgruppen und anderen NS-Gegnern her. 1935 veröffentlichte er Texte Heinrich von Kleists und verlangte in der Einleitung den Kampf gegen Unfreiheit und Tyrannei. In weiteren Schriften verurteilte er den zunehmenden Antisemitismus. Als Rhodes-Stipendiat konnte er die Jahre 1937/38 in den USA und China verbringen. In Großbritannien lernte er die späteren Widerständler Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf York von Wartenberg kennen – beide Protagonisten des Kreisauer Kreises. Nach der Rückkehr aus dem Ausland versuchte der Adelige vergeblich, eine verantwortliche Stellung ohne den Preis der NSDAP-Mitgliedschaft zu bekommen. Vor Kriegsbeginn engagierte sich von Trott in Großbritannien gegen eine militärische Eskalation und setzte seine Bemühungen später in den USA fort, wo er das Bestehen einer deutschen Opposition hervorhob. Trotzdem trat der 1940 gerade verheiratete Jurist der NSDAP bei, um quasi „getarnt“ in der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes zu arbeiten, wo er zuletzt ab November 1943 als Legationsrat tätig war. Zunehmend rückte von Trott seit 1941 in das Zentrum des Kreisauer Kreises, dem er als außenpolitischer Sprecher diente. Seine Kontakte zu Claus Graf Schenk von Stauffenberg und dem Sozialdemokraten Julius Leber wurden immer enger. Zu seinen Zielen gehörte eine europäische Föderation. Bei den Alliierten warb er für den deutschen Widerstand und darum, aus einem Staatsstreich keinen militärischen Nutzen zu ziehen. Diese Mission scheiterte nicht nur an der alliierten Forderung einer bedingungslosen Kapitulation, sondern auch an der Einbeziehung der Sowjetunion in die Verhandlungen sowie unannehmbaren Gebietsforderungen der Deutschen. Als nicht unwesentlich erwies sich dabei das Misstrauen gegenüber einem Diplomaten des „Dritten Reiches“. Von Trott stand im Umfeld des Umsturzversuches des 20. Juli 1944 und war als Vermittler zu den Westalliierten eingeplant. Er informierte Amerikaner und Briten indirekt über vom geplanten Staatsstreich. Seine Versuche, die Sowjetunion zu kontaktieren, schlugen jedoch fehl. Kurz nach dem erfolglosen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Adam von Trott zu Solz verhaftet, nachdem seine Verbindung zu von Stauffenberg bekannt wurde. Am 15. August 1944 verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tode. Das Urteil wurde am 26. August 1944 in Berlin Plötzensee durch Erhängen vollstreckt. Literatur Rainer A. Blasius, Adam von Trott zu Solz, in: Rudolf Lill/Heinrich Oberreuter, 20. Juli – Porträts des Widerstands. München 1989, S. 321-334. Joachim Fest, Spiel mit hohem Einsatz. Über Adam von Trott, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 46. Jg., Heft 1 (1998), S. 1-18. Hans Kühner-Wolfskehl, Adam von Trott zu Solz, in: Hermann Graml (Hg.), Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereignisse, Gestalten. Frankfurt am Main 21994, S. 194-199. Andreas Schott, Adam von Trott zu Solz: Jurist im Widerstand. Verfassungsrechtliche und staatspolitische Auffassungen im Kreisauer Kreis. Paderborn/München/Wien/Zürich 2001. Clarita von Trott zu Solz, Adam von Trott zu Solz. Eine Lebensbeschreibung. Mit einer Einführung von Peter Steinbach. 238 S., Berlin 1994. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 40 Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? Zeitzeuginnen und Zeitzeugen „Das Unverständnis Menschen gegenüber, die sich lieber gegen das eigene Land stellten statt einer verbrecherischen Regierung zu dienen, ist immer noch ungeheuer stark.“ (Irmgard Heydorn, Januar 1995) Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 41 Günther Arndt Lebensgeschichte Günther Arndt, ein Neffe der 1944 als Sozialdemokratin hingerichteten Johanna Kirchner, wurde 1924 in Bautzen als Sohn von Betty und Konrad Arndt geboren. Der Vater war engagierter Gewerkschafter und Sozialdemokrat, gleichzeitig Führer der Eisernen Front und des Reichsbanners Schwarz Rot Gold in Wiesbaden. Der junge Günther Arndt besuchte Volksschulen in Wiesbaden und Frankfurt am Main, anschließend die Lehrerbildungsanstalt in Idstein. Der Vater verunglückte am 13. November 1940 tödlich mit dem Auto. Angeblich starb er an den Folgen eines Schädelbruchs. Widerstandskreise hingegen schlossen nicht aus, dass Konrad Arndt von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Dem Unfall waren ab 1935 längere Haftzeiten in den Konzentrationslagern Esterwegen (der „Hölle im Moor“) und Sachsenhausen vorausgegangen. Im Jahre 1942 wurde Günther Arndt wegen „antifaschistischen Redens und Verhaltens“ von der Schule verwiesen. Er war zuletzt Soldat und bis 1946 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat er in die Kommunistische Partei Deutschlands ein. Er arbeitet als Jugendsekretär für die Gewerkschaft, als Versicherungsvertreter und Buchhalter. Schließlich übernahm er die Leitung eines Reisebüros in Frankfurt. Wie der Vater setzte sich auch Günther Arndt stets für die Arbeiterbewegung ein. So war er zeitweise Vorsitzender der Holzarbeiter-Gewerkschaft für Frankfurt und Wiesbaden sowie Mitglied im Hauptvorstand der Gewerkschaft Holz und Kunststoff. Ehrensenator der Arbeiterwohlfahrt und Mitglied des Stiftungsrates der Johanna-Kirchner-Stiftung. Sein Bruder Rudi Arndt war von 1972 bis 1977 Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main. Mögliche Gesprächsthemen gewerkschaftlicher/sozialdemokratischer Widerstand des Vaters Konrad Arndt in Wiesbaden persönliche Verfolgung wegen antifaschistischer und antimilitaristischer Haltung Bedingungen Gespräche nur in Frankfurter und Offenbacher Schulen. Literatur Lothar Bembenek/Axel Ulrich, Widerstand und Verfolgung in Wiesbaden 1933-1945. Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden – Stadtarchiv (Hg.). Gießen 1990. Axel Ulrich, Konrad Arndt. Ein Wiesbadener Gewerkschafter und Sozialdemokrat im Kampf gegen den Faschismus. Wiesbaden 2001. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 42 Wolfgang Breckheimer Lebensgeschichte Wolfgang Breckheimer kam 1926 in Frankfurt am Main zur Welt. Er wuchs in dem Arbeiterstadtteil Riederwald in einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus auf. Die Mutter Cäcilie Breckheimer war jüdischer Herkunft. Sie wurde im Februar 1943 verhaftet und in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz verschleppt, wo sie im Juli 1943 angeblich an „Körperschwäche“ starb. Wolfgang Breckheimer absolvierte eine Ausbildung als Buchdrucker. In dieser Zeit bekam er Kontakt zu den „Edelweiß-Piraten“, einer Gruppe von Jugendlichen, die Zwang und Drill, wie er in der uniformierten Hitler-Jugend (HJ) praktiziert wurde, kategorisch ablehnten. Sie trugen gerne bunte Schals und lange Haare, trafen sich in ihrer Freizeit zum Wandern, Diskutieren, Musizieren, kurz: Sie lebten „ihr romantisches Jugendleben“. Im Januar 1945 wurde Wolfgang Breckheimer als nach den Nürnberger Gesetzen definierter „jüdischer Mischling ersten Grades“ zur „Organisation Todt“ einberufen und später zur Zwangsarbeit nach Osterode im Harz verschleppt. Dort erlebte er die Befreiung durch amerikanische Truppen. Wolfgang Breckheimer schreibt über seine Zeit als „Edelweiß-Pirat“: „Hier verlor ich das sonst vorherrschende Ohnmachtsgefühl. In der Gemeinschaft der Gruppe strömte mir Kraft und Hoffnung auf eine Zeit ohne Konzentrationslager und für persönliches Glück zu.“ Mögliche Gesprächsthemen Jugendopposition bei den „Edelweiß-Piraten“ Verfolgung als „Mischling“ Bedingungen Gespräche nur in Frankfurter und Offenbacher Schulen. Literatur Wolfgang Breckheimer, Von den Nazis verfolgt. Offenbach 2004 (zu beziehen über den Autor). Die Edelweißpiraten. Protestbewegung jugendlicher Arbeiter im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main 1980. Jean Jülich, Kohldampf, Knast un Kamelle. Ein Edelweißpirat erzählt sein Leben. Köln 2003. Detlev J. K. Peukert, Die Edelweiß-Piraten. Protestbewegungen jugendlicher Arbeiter im "Dritten Reich". 3., erweiterte Auflage. Köln 1988. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 43 Dr. Karl Brozik Lebensgeschichte Karl Brozik wurde 1926 im böhmischen Teplitz-Schönau (heute: Teplice/Tschechische Republik) als Sohn deutsch-jüdischer Eltern geboren; ein Bruder. Sein Nachname lautete ursprünglich Abeles. Im Jahre 1938 nach der Okkupation des Sudetenlandes durch die deutsche Wehrmacht floh die Familie nach Prag. Ab 1939 war Karl Brozik Mitglied in einer zionistischen Jugendgruppe. Im Oktober 1941 wurde der damals 15-Jährige mit seinen Angehörigen in das Ghetto Lodz verschleppt. Innerhalb von sechs Monaten verlor er Eltern und Bruder, die an Unterernährung und Erschöpfung starben. Im Ghetto knüpfte Brozik Kontakte zum kommunistischen Widerstand. Im Sommer 1944 Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Auch dort schloss er sich dem Widerstand an. Karl Brozik wurde im Januar 1945 auf einen „Todesmarsch“ in das Konzentrationslager Mauthausen gezwungen und musste Zwangsarbeit in einem Stollen des Lagers Gusen II leisten. Im Mai 1945 wurde er von den Amerikanern befreit und kehrte nach Teplice zurück. Ab 1945 holte Karl Brozik das Abitur nach, schloss neben täglicher Fabrikarbeit ein Jurastudium in Prag ab, wirkte als Jurist und Ökonom in der staatlichen Außenhandelsgesellschaft. Im Jahre 1950 Heirat mit einer jüdischen Überlebenden des Holocaust. Zwischen 1959 und 1968 leitete Brozik eine Produktionsgenossenschaft für Kunsthandwerk. Nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im Mai 1968 Flucht mit Ehefrau und Kindern in die Bundesrepublik Deutschland nach Frankfurt am Main. Von 1972 bis 1987 Tätigkeit als Jurist bei der United Restitution Organization (URO). Seit 1987 Repräsentant der Conference on Jewish Claims against Germany (kurz: Claims Conference) und seit 1991 Direktor der Claims Conference Nachfolgeorganisation. Großes Engagement bei den Verhandlungen über die Entschädigungsansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter in der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. 1997 Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen. 1999 wurde Brozik in Prag mit der Medaille für Widerstand gegen den Faschismus ausgezeichnet. 2002 Verleihung der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt am Main. Karl Brozik ist Sprecher im Rat der Überlebenden des Fritz Bauer Instituts, Mitglied im Beirat des Hessischen Härtefonds und des Vorstands der Theresienstädter Initiative. Mögliche Gesprächsthemen Widerstand in Konzentrationslagern Zwangsarbeit von Kindern und Jugendlichen in Lagern Bedingungen Gespräche in Frankfurter Schulen; wahrscheinlich ist nur ein Termin möglich. Literatur Stephan J. Kramer, Ein Kapitel deutscher Geschichte geschrieben. Karl Brozik leitet seit 1987 die Geschicke der Claims Conference in Deutschland, in: Aufbau – deutschjüdische Zeitung, Nr. 7, 29. März 2001. Hans Riebsamen, Karl Brozik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 176, 1. August 1998. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 44 Peter Gingold Lebensgeschichte Peter Gingold, geboren 1916 in Aschaffenburg, stammt aus einer jüdischen Familie. Er hatte sieben Geschwister. Sein Vater arbeitete als Schneidermeister. Im Jahre 1930 zog Familie Gingold nach Frankfurt am Main, genauer in das Ostend. Peter Gingold begann mit 14 Jahren eine kaufmännische Ausbildung, wurde Mitglied der Gewerkschaftsjugend, später im Kommunistischen Jugendverband, und engagierte sich frühzeitig im Kampf gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Nach 1933 nahm er an illegalen Aktivitäten teil, wurde verhaftet und als polnischer Staatsbürger des Landes verwiesen. Im selben Jahr Flucht nach Paris (Frankreich), wo inzwischen auch seine Eltern lebten. Dort schloss sich Peter Gingold der Jugendgruppe deutscher emigrierter Antifaschisten an, schrieb Texte für einen antifaschistischen Propagandasender und eine deutschsprachige Exilzeitung. 1936 lernte er seine spätere Ehefrau Ettie Stein Haller kennen. Zeitweise war er in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung, aktiv. Im Jahre 1943 wurde Peter Gingold von der Geheimen Staatspolizei verhaftet und gefoltert. Es gelang ihm, zu fliehen und anschließend für die Bewegung „Freies Deutschland“ zu arbeiten, eine von der Sowjetunion initiierte Sammlungsbewegung kommunistischer deutscher Emigranten. Peter Gingold erlebte das Kriegsende bei italienischen Partisanen. Über Berlin kehrte er nach Frankfurt zurück und war dort bei der Neuorganisation der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) beteiligt. Bis 1956 galt er als „staatenlos“. Die Einbürgerungsanträge für sich und die Familie wurden mit der Begründung abgelehnt, „... sein Verhalten (sei) in der Vergangenheit und Gegenwart gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet“. Noch heute ist Peter Gingold politisch aktiv gegen Faschismus und Krieg, zum Beispiel als Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA). Mögliche Gesprächsthemen Formen heutigen Widerstands gegen Rassismus und Diskriminierung Engagement in der Résistance Überlebender des Holocaust Bedingungen Bitte rechtzeitige Kontaktaufnahme. Schulbesuche in ganz Hessen. Literatur Brigitte Biehl, „Bei Unrecht den Mund öffnen.“ Konrad Haenisch-Schule: NS-Überlebender Peter Gingold berichtet über sein Leben und mahnt vor Rassismus, in: Frankfurter Rundschau, 19. März 2004. Karl Heinz Jahnke, „Sie haben nie aufgegeben“ – Ettie und Peter Gingold. Widerstand in Frankreich und Deutschland. Köln 2002. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 45 Eugen Herman-Friede Lebensgeschichte Eugen Herman-Friede, 1926 geboren und in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen, besuchte zuletzt zwangsweise die jüdische Mittelschule bis zu deren Schließung 1942. Im Januar 1943 tauchte er unter, um seiner Deportation zu entgehen. Entfernte Bekannte und hilfsbereite Fremde stellten Verstecke zur Verfügung, in denen er zunächst bleiben konnte. Im Sommer 1943 wurde er nach Luckenwalde vermittelt, wo er ab Herbst 1943 die Gründung der Widerstandsgruppe „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“ erlebte und in ihr mitwirkte. Ziel dieser von der Herkunft ihrer Mitglieder recht heterogen zusammengesetzten Bewegung war es, Bevölkerung und Soldaten gegen eine Fortführung des Krieges zu mobilisieren. Zu der Gruppe gehörten auch untergetauchte Juden, für die nichtjüdische Mitglieder Quartiere, Lebensmittel oder auch falsche Papiere besorgten. Im Dezember 1944 verhaftet, überstand Eugen Herman-Friede das Ende der nationalsozialistischen Diktatur in verschiedenen Gefängnissen bis zu seiner Befreiung im April 1945. Es begann ein neues Leben in der sowjetischen Besatzungszone: Eintritt in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), Ausbildung an verschiedenen Partei- und Hochschulen, Journalist bei der „Märkischen Volksstimme“ in Potsdam. Im September 1948 wurde er im Zusammenhang mit angeblichen „Wirtschaftsverbrechen“ erneut verhaftet. Anfang 1949 freigelassen, ging Eugen Herman-Friede zunächst nach West-Berlin, hielt sich später mehrere Jahre in Kanada sowie Italien auf und kehrte schließlich in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Er lebt heute im Rhein-Main-Gebiet. Mögliche Gesprächsthemen rassistisch motivierte Verfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus Widerstand in der gemeinsam von Juden und Nichtjuden getragenen, heute weitgehend unbekannten Gruppe „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“ Bedingungen ab 10. Klasse, maximal 40 Schülerinnen und Schüler, zwei bis drei Schulstunden Zeitkontingent. Möglichst baldige Terminabsprache. Literatur „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“, in: Wolfgang Benz/Walther H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstands. Frankfurt am Main 2001, S. 213-215. Eugen Herman-Friede, Für Freudensprünge keine Zeit. Erinnerungen an Illegalität und Aufbegehren 1942-1948 mit einem Nachwort von Barbara Schieb-Samizadeh. 5. Auflage. Berlin 2002. Barbara Schieb-Samizadeh, Die „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“. Eine wenig bekannte Widerstandsgruppe, in: Dachauer Hefte 7 (1991). Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 46 Irmgard Heydorn Lebensgeschichte Irmgard Heydorn, geb. Hose, wurde 1916 in Hamburg geboren. Sie stammt aus einem liberal sozialistischen Elternhaus. Besuch einer reformpädagogischen Schule, 1936 Abitur. Die Eltern waren Gegner des Nationalsozialismus. Dieser Haltung sah sich auch die Tochter verpflichtet. Weil die Eltern mit jüdischen Familien Freundschaft pflegten, lernte Irmgard Heydorn schon früh deren Schicksal und Leiden unter der Verfolgung kennen. Sie kam in Kontakt mit oppositionellen Jugendlichen und schloss sich im Jahre 1936 dem „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“ (ISK) an. Die Gruppe besaß Informationen über das nationalsozialistische Lagersystem und betrieb unter anderem durch Verteilen von Flugblättern oder antinazistischen Aufklebern Aufklärungsarbeit. Außerdem warnte sie vor Spitzeln und versteckte politisch Verfolgte. Heute sagt Irmgard Heydorn: „Widerstand zu leisten ist nicht einfach, wenn die Mehrzahl der Bevölkerung begeistert Hitler nachläuft. Wir hatten immer Angst.“ Sie selbst hatte das Glück, während der NS-Zeit nie als Widerständlerin entdeckt zu werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Irmgard Heydorn politisch aktiv. Sie nahm 1946 ein Studium auf und war Gründungsmitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Irmgard Heydorn lebt seit 1962 in Frankfurt am Main. Schon lange engagiert sie sich in Diskussionen mit Jugendlichen, denen sie die Zeit zwischen 1933 und 1945 nahe zu bringen versucht. Dabei merkt sie häufig, wie schwierig es ist, bei den Zuhörern Verständnis für Menschen zu erzeugen, „die sich lieber gegen das eigene Land stellten als einer verbrecherischen Regierung zu dienen“. Mögliche Gesprächsthemen Opposition im „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“ (ISK), Hamburg Widerstand heute (Anliegen, Menschen dazu zu bewegen, auch heute einmal „Nein“ zu sagen) Bedingungen Gespräche nur gemeinsam mit Trude Simonsohn. Wenn diese in Schulen außerhalb Frankfurts stattfinden, muss für die beiden Damen ein Fahrdienst eingerichtet werden. Bitte keine auf das Thema nicht vorbereiteten Klassen. Telefonisches Vorgespräch mit den die Veranstaltung begleitenden Lehrern. Literatur Irmgard Heydorn, „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ (Januar 1995), in: Sabine LemkeMüller (Hg.), Ethik des Widerstands. Der Kampf des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) gegen den Nationalsozialismus. Bonn 1996, S. 278-284. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 47 Anneliese Knoop-Graf Lebensgeschichte Anneliese Knoop-Graf wurde am 30. Januar 1921 in Kuchenheim (Kreis Euskirchen) geboren. Von 1931 bis 1939 besuchte sie die Ursulinen-Schule in Saarbrücken; Abitur. Studium der Philologie (Deutsch, Französisch, Englisch) in Heidelberg, München, Freiburg. Seit 1946 ist sie mit Dr. Bernhard Knoop verheiratet, mit dem sie gemeinsam bis 1969 das Landeserziehungsheim „Schule Marienau e. V.“ (Kreis Lüneburg) leitete. Anneliese KnoopGraf lebt seit 1969 in Bühl (Baden). Ab 1978 leitete sie das Institut für Internatsbetreuung in Bühl, und seit 1987 ist sie zweite Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung e. V. in München. Anneliese Knoop-Graf ist noch heute publizistisch tätig, vor allem zu den Themen Internatserziehung, Sexualpädagogik und Jugendwiderstand gegen den Nationalsozialismus. 1992 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse und der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg. 2002 erhielt sie den Saarländischen Verdienstorden und den Adenauer-de-Gaulle-Preis. Mögliche Gesprächsthemen als Schwester Willi Grafs, der 1943 als Mitstreiter der Weißen Rose hingerichtet wurde, schildert Anneliese Knoop-Graf am Beispiel ihres Bruders die Hintergründe, Motive und das Schicksal dieser Widerstandsgruppe. Welche Aktualität besitzt die Weiße Rose heute, wenn man sich dem Erbe dieser Widerstandsgruppe verpflichtet fühlt? Bedingungen Besuch nur in Schulen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen sind. Bitte vorab telefonischer Kontakt mit den die Veranstaltung begleitenden Lehrern. Möglichst baldige Terminabsprache. Literatur Willi Graf, Briefe und Aufzeichnungen. Mit einer Einleitung von Walter Jens. Hg. von Anneliese Knoop-Graf und Inge Jens. Frankfurt am Main 1994. Hans Scholl und Sophie Scholl, Briefe und Aufzeichnungen. Hg. von Inge Jens. Frankfurt am Main 1984. Inge Scholl, Die Weiße Rose. Erweiterte Neuauflage. Frankfurt am Main 1982. Die Weiße Rose. Der Widerstand von Studenten gegen Hitler. München 1942/43. Zusammengestellt von der Weiße-Rose-Stiftung e. V. München (Selbstverlag) 1991. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 48 Franz Kremer Lebensgeschichte Franz Kremer kam 1925 in Frankfurt am Main zur Welt, wo er auch aufwuchs. Auf Wunsch seiner Familie absolvierte er eine Ausbildung zum Metzger. Durch seinen älteren Bruder bekam er Kontakt zum „Harlem-Club“, einer Swing-Gruppe; seitdem ist er von der Musik begeistert. Wer nach 1933 jedoch als „Niggermusik“ diffamierten Jazz hörte oder spielte, galt den Nationalsozialisten als „undeutsch“ und gefährlich. Franz Kremer, außerdem Mitglied der sozialistischen Jugendbewegung, wurde 1941 im Alter von 16 Jahren verhaftet, in der Frankfurter Zentrale der Geheimen Staatspolizei, Lindenstraße 27, verhört und misshandelt. Viele seiner Freunde wurden in Konzentrations- und Arbeitslager verschleppt oder zum Militär geschickt. Im Januar 1943 wurde auch Franz Kremer noch als Soldat eingezogen. Schwer verwundet „auf der Bahre“ kam er nach Frankfurt zurück. Nach Kriegsende machte Franz Kremer eine Gesangsausbildung und erhielt bis Ende 1969 regelmäßig Engagements an der Frankfurter Oper. Er lebt heute als Rentner in seiner Heimatstadt Frankfurt. Mögliche Gesprächsthemen Sympathisant der „Swing-Jugend“ und Mitglied in der sozialistischen Jugendbewegung Haft in der Frankfurter Zentrale der Geheimen Staatspolizei, Lindenstraße 27 Bedingungen Gespräche nur in Schulen Frankfurts und der nächsten Umgebung. Literatur Wilfried Breyvogel, Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. Bonn 1991. Franz Kremer im Gespräch mit Dieter Schiefelbein, in: Lutz Becht (Bearb.), Frankfurt am Main, Lindenstraße. Gestapozentrale und Widerstand. Institut für Stadtgeschichte (Hg.). Frankfurt am Main/New York 1996, S. 198-250. Dieter Schiefelbein, „Wir wollten nur unsere Musik hören“. Als Swing-Jugendlicher in Frankfurt am Main, in: Lutz Becht (Bearb.), Frankfurt am Main, Lindenstraße. Gestapozentrale und Widerstand. Institut für Stadtgeschichte (Hg.). Frankfurt am Main/New York 1996, S. 101-141. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 49 Trude Simonsohn Lebensgeschichte Trude Simonsohn, geb. Gutmann, kam 1921 in Olmütz (Tschechoslowakei) zur Welt. Sie wuchs zweisprachig in einem liberalen, zionistisch orientierten Elternhaus auf. Nach eigenen Worten verlebte sie eine „gute, glückliche“ Kindheit. Von den Eltern wurde sie zur Selbstständigkeit erzogen, betrieb leidenschaftlich Sport und engagierte sich in einer zionistischen Jugendgruppe mit dem Ziel, später in Palästina in einem Kibbutz zu arbeiten. Am 15. März 1939 marschierte die Wehrmacht in Prag ein. Böhmen und Mähren wurden zu einem Protektorat zusammengeschlossen, das fortan zum Deutschen Reich gehörte. Auf Wunsch ihres Vaters verließ Trude Simonsohn sofort das deutsche Realgymnasium in Olmütz und arbeitete künftig in der Landwirtschaft. Im Juni 1942 wurde sie verhaftet, im November desselben Jahres in das Durchgangs- und Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Berthold Simonsohn kennen. In Theresienstadt sorgte Trude Simonsohn als Betreuerin für eine Mädchengruppe. Im Jahre 1944 wurde sie in das Lager Auschwitz deportiert. Trude Simonsohn überlebte den Holocaust und wurde im März 1945 im Konzentrationslager Mendorf (Schlesien) befreit. Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges arbeitete Trude Simonsohn im Prager Sozialministerium, 1946 reiste sie in die Schweiz aus. Ab 1950 lebte sie in der Bundesrepublik Deutschland, zunächst in Hamburg, seit 1955 in Frankfurt am Main. In Frankfurt engagierte sie sich sehr intensiv in der Jüdischen Gemeinde, von 1989 bis 1992 in der Funktion als Gemeinderatsvorsitzende. Trude Simonsohn ist heute in vielen Einrichtungen aktiv, die der Verständigung dienen und an der Geschichte interessiert sind. Inhabern der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt am Main, des Ehrensiegels der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main in Silber sowie der Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen. Mögliche Gesprächsthemen Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Tschechoslowakei Angehörige der zionistischen Jugend in der Tschechoslowakei Überlebende des Holocaust Kultur und Form des „geistigen Widerstands“ Bedingungen Gespräche nur gemeinsam mit Irmgard Heydorn. Wenn diese in Schulen außerhalb Frankfurts stattfinden, muss für die beiden Damen ein Fahrdienst eingerichtet werden. Bitte keine auf das Thema nicht vorbereiteten Klassen. Telefonisches Vorgespräch mit den die Veranstaltung begleitenden Lehrern. Literatur Ingrid Wiltmann (Hg), Jüdisches Leben in Deutschland. Frankfurt am Main 1999 (Gespräch mit Trude Simonsohn), S. 100-118. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 50 Herbert Westenburger Lebensgeschichte Herbert (Berry) Westenburger kam 1920 in Frankfurt am Main zur Welt und wuchs im Holzhausenviertel auf. Der Vater arbeitete als Architekt. Die Mutter war gebürtige Amerikanerin. Die Großeltern mütterlicherseits lebten nach späterer nationalsozialistischer Definition in „Mischehe“, die Großmutter war Jüdin. Im Jahre 1924 ließen sich die Eltern scheiden. Herbert Westenburger lebte fortan bei seiner Mutter, die sich 1929 mit einem Juristen erneut verheiratete. Im Frühjahr 1932 trat er dem Bund „Nerother Wandervogel“ bei. Diese Gruppe organisierte Fernreisen, veranstaltete Film- und Liederabende. Nach dem Verbot im Jahre 1934 waren nur noch geheime Treffen möglich. Weiterhin war Herbert Westenburger ab 1936 Mitglied in der ebenfalls schon bald verbotenen „Deutschen autonomen Jungenschaft“. Die Gründer und Anführer beider Gruppierungen wurden erbarmungslos von den Nationalsozialisten verfolgt, viele auch ermordet. Häufig gab es Schlägerein mit dem Streifendienst der Hitler-Jugend (HJ), einer Art NS-Jugendpolizei. Herbert Westenburger musste das Lessing-Gymnasium verfolgungsbedingt verlassen und eine Lehre als Konditor beginnen, später besuchte er eine Hotelfachschule. Im Jahre 1938 wurde er für einige Wochen im Untersuchungsgefängnis Hammelsgasse inhaftiert. Es folgte die Anklage vor dem Sondergericht Berlin. Herbert Westenburger wurde amnestiert und kam anschließend sofort als Soldat an den Westwall, 1942/43 in das Afrika-Korps. Westenburger geriet in britische Kriegsgefangenschaft, wurde kurz darauf den Amerikanern übergeben, die ihn in die USA verschifften. Dort erfuhr er vom Tod seiner Mutter, die als „Halbjüdin“ 1943 aus Frankfurt in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert worden war. Angeblich kam sie dort wegen einer Herzmuskelschwäche zu Tode. Seit 1946 lebt Herbert Westenburger wieder in Frankfurt. Mögliche Gesprächsthemen Opposition im „Nerother Wandervogel“ und in der „Deutschen autonomen Jungenschaft“ (mit vielen Frankfurt-Bezügen) Bedingungen Gespräche nur in Frankfurter Schulen, wenn möglich Oberstufen-Klassen. Interessenten bietet Herbert Westenburger Einsicht in sein Privatarchiv. Literatur Herbert Westenburger – Freundschaft, nicht Kadavergehorsam, in: Matthias G. von Hellfeld (Hg.), Davongekommen. Erwachsenwerden im Holocaust. Frankfurt am Main 1990, S. 19-35. Herbert Westenburger, Platoff preisen wir den Helden, in: Matthias G. von Hellfeld (Hg.), Davongekommen. Erwachsenwerden im Holocaust. Frankfurt am Main 1990, S. 3670. „Verlaßt die Tempel fremder Götter ...“ – Interview mit Herbert Westenburger, in: Studienkreis zur Erforschung und Vermittlung der Geschichte des Deutschen Widerstandes 1933-1945 (Hg.), „Wir hatten andere Träume“. Kinder und Jugendliche unter der NS-Diktatur. Frankfurt am Main 1995, S. 137-139. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 51 Einladung von Zeitzeugen: Leitfaden für Lehrkräfte Von Andreas Hettiger Was kann eine Begegnung mit Zeitzeugen leisten, was nicht? Bei einem Wettbewerb zum Thema „Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute?“ treffen sich Schüler, Lehrer und Zeitzeuge in einer historischen Übergangssituation: Der eingeladene Gast ist Zeuge einer hochbetagten Generation, die in wenigen Jahren ihre Erfahrungen mit Nationalsozialismus und Widerstand, Resistenz und abweichendem Verhalten nicht mehr zur Sprache bringen kann. Unaufhaltsam werden die erzählten Geschichten „Geschichte“. An dieser historischen Schnittstelle bietet sich heute noch einmal die Gelegenheit zur Vergegenwärtigung des Vergangenen: nicht als trockenes Schulbuchwissen, sondern in lebendiger Erzählung, durch Nachfragen und im wechselseitigen Gespräch. Dass die erzählten Geschichten auch Teil der eigenen nationalen Geschichte der Schüler sind, wird im Gespräch, das den Erzählungen des Gastes folgen kann, vermittel- und erlebbar. Die Begegnung ersetzt nicht das gründliche Studium der historischen Situation und des Phänomens Widerstand. Im Gegenteil: Erst eine vertiefte Kenntnis des Themenfeldes Widerstand und abweichendes Verhalten im „Dritten Reich“ ermöglicht echtes Verstehen, erst so wird die Begegnung für alle ein Gewinn. Die Veranstaltung vermittelt nicht in erster Linie objektive Kenntnis von Geschichte – dafür gibt es Lehrbücher und Abhandlungen. Diese bilden allerdings den Verständnishorizont für das Zusammentreffen mit dem Zeitzeugen, bei dem vor allem auf die persönliche Aneignung von Geschichte und deren rhetorischen Ausdruck fokussiert wird. Die Chance des schulischen Zeitzeugenprojekts liegt darin, dass Geschichte im Brennglas eines persönlichen Schicksals erlebbar und im direkten Kontakt mit dem Zeitzeugen auch als eigene Geschichte erfahrbar wird. In den Erzählungen des Zeitzeugen wird deutlich, auf welche Weise ein Mensch fähig ist, mit Schlüsselerlebnissen seiner Biografie umzugehen und sie in eine als sinnhaft konstruierte Lebensgeschichte zu integrieren. Damit bietet er auch eine Projektionsfläche für biografische Schlüsselerlebnisse der Schüler. Zudem ist die Zeitzeugenveranstaltung ein wichtiger Kontrapunkt zu jenen offiziellen Gedenkmodi, in denen Erinnerung zu versteinern beginnt, etwa in groß angelegten Denkmalprojekten. Die persönliche Erzählung und das anschließende Gespräch bieten die Chance einer lebendigen und personenbezogenen Auseinandersetzung mit Vergangenheit, die sich an konkreter Erinnerung entzündet. Geschichte wird in diesem Projekt verflüssigt in Formen rhetorischer und kommunikativer Aktion. Was ist bei der Einladung eines Zeitzeugen zu beachten? Generell ist bei der Einladung eines Zeitzeugen davon auszugehen, dass die Anfrage in ausgesprochener Gesprächsbereitschaft beantwortet werden wird (eine allgemeine Tendenz, die seit Ende der 80er Jahre zu beobachten ist). Dies hat verschiedene Gründe: Durch die Anfrage der Schule wird die Biografie des Angefragten retrospektiv aufgewertet und als wertvoll anerkannt. Das Schulprojekt würdigt Leben und Verhalten des Zeitzeugen und schenkt ihm Beachtung. Natürlich können gesundheitliche Gründe oder andere private Hindernisse dennoch das Zustandekommen einer Begegnung in der Schule verhindern. Ein telefonisches Vorgespräch zwischen Lehrkraft und Zeitzeuge stiftet den ersten persönlichen Kontakt. Hier werden ganz praktische Fragen geklärt, zum Beispiel genaue Terminabsprachen und ein Abholservice, ohne den manchen bereits gebrechlichen Gästen ein Kommen nicht möglich wäre. Außerdem informiert der Projektlehrer über Art und Profil der Schule und die Anzahl der zuhörenden Schüler. Der Gast wird gefragt, welches Vorwissen sich die Schüler aus seiner Sicht aneignen sollten, um die Begegnung gelingen zu lassen. Wie sieht die Vorbereitung aus? Bereits im Vorfeld der Veranstaltung werden die Schüler im Unterricht sowohl für die geschichtliche Problematik des Themas als auch für die Besonderheiten von Zeitzeugenschaft sensibilisiert. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 52 1) Der Einstieg ins Thema des Wettbewerbs lässt sich wahrscheinlich am einfachsten über „jugendliches nichtkonformes Verhalten“ und insbesondere über jenes Thema herstellen, das Jugendliche neben wenigen anderen am meisten bewegt: Musik. Wer einen Song von Duke Ellington gehört hat und anschließend erfährt, dass 16-Jährige diese Vorliebe mit mehrjährigen KZ-Strafen zu büßen hatten, wird sich dem Thema nicht verschließen. Dass Radio hören ein Verbrechen sein konnte, ist für heutige Jugendliche unfassbar. Da Musik schon immer jenes Medium war, mit dem sich junge Menschen verordneten Verhaltensidealen widersetzten, knüpft ein solcher Einstieg unmittelbar an den Erfahrungshorizont der Schüler an. Ist das Interesse am Thema erst einmal geweckt, gilt es, sich historisches Wissen anzueignen. Dieses Wissen kann exemplarisch erarbeitet werden, etwa an der Biografie jenes Zeitzeugen, der Gast der Schule sein wird. Es ist hilfreich, diese Vorstudien nach Leitfragen zu gliedern: Wie gestaltete sich das verordnete Verhaltensideal für Jugendliche in Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel? Wie sah nichtkonformes Verhalten aus? Welche Konsequenzen hatten die als widerspenstig geltenden Jugendlichen zu befürchten? Wie viele Jugendliche wurden für abweichendes Verhalten bestraft? Was passierte in den Jugend-KZs, welche Rolle spielten dabei deutsche Industriekonzerne? Wie gingen in der Nachkriegszeit jene Gemeinden mit ihrem problematischen Erbe um, in denen sogenannte “Jugendschutzlager für Schwererziehbare“ errichtet worden waren? Wie haben solche Erlebnisse die weitere Biografien der jugendlichen Abweichler beeinflusst? Ausgehend von diesem jugendspezifischen Kontext kann dann auf den umfassenden Komplex Widerstand gegen den Nationalsozialismus übergeleitet werden: Was weiß ich selber schon über Widerstand gegen den Nationalsozialismus? Was möchte ich darüber hinaus noch wissen? Erst wenn diese Fragen gestellt und zumindest in Teilen zu beantworten versucht wurde, ist es sinnvoll, sich auch auf die konkrete Situation der Begegnung mit dem Zeitzeugen vorzubereiten. Denn erst jetzt sind die Schüler in der Lage, sich angemessene Fragen zu überlegen, die sie dem Gast im Anschluss an seine Erzählungen stellen könnten. Auch der Transfer auf die Reflexion der eigenen Situation als Jugendlicher kann durch entsprechende Leitfragen angeregt werden: Wann und wo habe ich bereits Widerstand gegen ein eingefordertes Verhalten geleistet? Worin unterschied sich dieser Widerstand vom Widerstand des Zeitzeugen? Was kann ich nachvollziehen, welches Erleben ist mir fremd? Eine gute Vorbereitung durch geeignete Leitfragen darf aber nicht zu einem starren Frageverhalten während der Veranstaltung führen. Gut vorbereitete Schüler werden sich trotz ihrer vorangehender Studien die Offenheit für die Begegnung erhalten. 2) Für das grundlegende Verständnis von Zeitzeugenschaft eignet sich auch der Blick auf etablierte Zeitzeugenprojekte wie die Shoa Foundation von Steven Spielberg 1 oder das “Echolot“-Projekt von Walter Kempowski.2 Noch näher am Thema ist das SWR-Feature über den Swing-Gitarristen Coco Schumann von J.M. Walther (2003)3 oder die einschlägige Autobiografie.4 Welches Exempel eine Lehrerkraft vorzieht, entscheidet sich letztlich auch an der lokalen Verfügbarkeit der entsprechenden Medien. Der Erfolg der Veranstaltung hängt nicht nur vom Zeitzeugen, sondern im gleichen Maß auch vom Zuhör- und Frageverhalten der Schüler und Lehrer ab. Daher gilt es, im Vorfeld dafür ein Bewusstsein zu schaffen und eine entsprechende empathische Haltung zu schulen, die zu Einfühlung und nachvollziehendem Verstehen befähigt – eine Haltung, die den Zeitzeugen in seinem Verhalten vorerst nicht bewertet, sondern in seinem So-Sein akzeptiert, auch wenn es fremd erscheint. 1 Vgl. www.vhf.org. Walter Kempowski, Das Echolot. Ein kollektives Tagebuch. Januar und Februar 1943. 4 Bände. München 1993ff. 3 „Die Musik hat uns das Leben gerettet – die Jazz-Legende Coco Schumann“. 4 Coco Schumann, Der Ghetto-Swinger. Eine Jazzlegende erzählt. Aufgezeichnet von M. Chr. Graeff u. M. Haas. München 1997. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 53 2 Was ist während der Veranstaltung zu beachten? Die Veranstaltung beginnt mit einer Begrüßung des Gastes, der zuvor bereits in einem persönlichen Aufwärmgespräch durch den federführenden Projektlehrer auf die Situation vor Ort vorbereitet wurde. Außerdem stellen sich die beteiligten Lehrer und Klassen (exemplarisch durch einen Sprecher) kurz vor. Dann beginnt der Zeitzeuge mit seiner Erzählung. Im Anschluss dürfen Schüler und Lehrer Fragen stellen. Die Fragen sind entweder konkrete Nachfragen zum eben Gehörten oder offene Fragen, die dem Gast Raum zur Entfaltung seiner Erinnerungen geben. Biografische Nachfragen und Gespräche sind in aller Regel als offene und narrative angelegt, nicht aber als dialektische, oder gar als systematische Abfrage im Charakter eines Verhörs. Häufig werden Nachfragen von Zeitzeugen in einer ganz eigenen Art beantwortet, die nicht unbedingt dem entspricht, was sonst im Unterricht geübt wird (zum Punkt kommen, direkte Antworten). Manche Zeitzeugen mögen ihre Ausführungen in Anekdoten oder Abschweifungen kleiden oder die Frage nach der eigenen Person in Erzählungen über andere Personen beantworten. Auch diese rhetorischen Formen sind als Antworten auf die gestellten Fragen zu verstehen – Biografie wird gerne in Geschichten erinnert und nicht immer in korrekter Antwort in Manier eines Fragebogens. Es ist hilfreich, die Schüler schon während der Veranstaltung zu einem „Erzähl- und Gesprächsprotokoll“ zu animieren, in dem sie alles notieren, was ihnen auffällt und besonders bemerkenswert erscheint. Diese Aufzeichnungen werden dann in die nächste, nachbereitende Unterrichtsstunde mitgebracht. Wie sieht die Nachbereitung aus? Es ist wichtig, die Begegnung nicht unbearbeitet enden zu lassen. Wenn der Zeitzeuge vorher sein Einverständnis erklärt hat, kann es hilfreich sein, die Begegnung auf einer Video- oder Audiokassette aufzuzeichnen. Ausgewählte Partien dieser Aufzeichnung können dann noch einmal angeschaut werden. Gerade die Asymmetrien des Erzählens und des Gesprächs – also eventuelle Verstimmungen, Missverständnisse, Unklarheiten, signifikantes Verschweigen oder der Unwille, etwas Bestimmtes zu erzählen – können zu einem wichtigen Teil des Lernprozesses werden. Handelt es sich dabei doch nicht etwa um „Fehlleistungen“ des Zeitzeugen, sondern zumeist um typische Prozesse im durchaus nicht einfachen Feld der Verständigung zwischen den Generationen. Sollte es also zu Missverständnissen, emotionalen Ausbrüchen, ratlosem Schweigen oder anderen Auffälligkeiten gekommen sein, können gerade sie erkenntnisleitend zum Thema einer Nachbereitung gemacht werden: Wo kam es zu Widersprüchen im Erzählfluss? Wo haben wir den Zeitzeugen nicht verstanden? An welchen Stellen wurde die Veranstaltung besonders emotional? Bei welchen Passagen hat der Gast besonders lebendig geschildert, wann war seine Erzählung eher nüchtern, was könnten die Gründe sein? Welche Schlüsselwörter sind gefallen? Wurden Gegen-Biografien zu der eigenen genannt? Zu welchen Punkten gab es die meisten Nachfragen? Außerdem wird inhaltlich resümierend gefragt: Wie hat der Widerstand im „Dritten Reich“ die weitere Biografie des Zeitzeugen beeinflusst? Bei der Klärung solcher Fragen erleben sich die Schüler als Teil eines geschichtlichen Kontinuums, das nicht ausschließlich aus unumstößlichem positiven Wissen besteht, sondern sich erst im Erzählen und gemeinsam im Zuhören, Nachfragen und im Gespräch angeeignet werden muss. Dass diese hermeneutische Anstrengung eigenes Interesse, eigenes Vorwissen, eigene Studien und eigene Vorurteile mit einschließt, wird in dieser Nachbereitung rückblickend exemplarisch deutlich. Zudem werden es die Projektlehrer nicht versäumen, auch dem Gast eine nachträgliche Rückmeldung über den Erfolg der Veranstaltung sowie Motivation und Interesse der Schüler zukommen zu lassen. Gehören die Schüler beispielsweise zu den Preisträgern des Wettbewerbs, sollte dies dem Zeitzeugen unbedingt mitgeteilt werden. Für das Gelingen des Projekts gilt es nicht nur, Kontakt herzustellen und zu gestalten, sondern ihn auch bewusst wieder zu lösen. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 54 Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? Kommentierte Literaturhinweise Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 55 Sie finden in der Liste, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, überwiegend neuere und neueste Literatur, die möglichst eng umgrenzten Unterthemen zugeordnet wurde, um den Zugang zu speziellen Fragen zu erleichtern. Besonders wurden Arbeiten mit Hessen-Bezug berücksichtigt. Ein weiteres Auswahlkriterium war die leichte oder sogar kostenlose Zugänglichkeit. So wurden speziell Publikationen aufgenommen, die bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (HLZ) oder im Internet verfügbar sind. Die Kommentare beziehen sich überwiegend auf umfangreichere Veröffentlichungen, um eine Vorstellung von den dort bearbeiteten Themen zu geben. Die mit „*“ gekennzeichneten Titel sind in der Bibliothek der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung vorhanden und dort auch per Post für vier Wochen ausleihbar; Anfrage per Brief, Fax oder Mail. Die Adresse lautet: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, PF 32 20, 65022 Wiesbaden, Fax: 0611-99197-44, E-Mail: [email protected] und im Internet: www.hlz.hessen.de. Auch die persönliche Abholung in der Rheinbahnstraße 2 in Wiesbaden ist möglich. Allerdings wird die HLZ im Frühjahr/Sommer 2004 umziehen, sodass eine Voranfrage sinnvoll ist. Die mit „#“ gekennzeichneten Titel sind als pdf-Datei von der Homepage der Gedenkstätte Deutscher Widerstand (http://www.gdw-berlin.de/lit/publ/pu-ueb-d.htm) kostenlos herunter zu laden. Sie eignen sich wegen der knappen Darstellung auf dem neuesten Forschungsstand durchweg gut zur Einführung in die jeweiligen Spezialthemen. 1. Bibliografien Michael Ruck, Bibliographie zum Nationalsozialismus. 2 Bde. Darmstadt 2000. Band 1 führt auf den Seiten 584-662 die neueste Literatur zum Thema Widerstand im Nationalsozialismus auf. 2. Allgemeine Darstellungen Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. 432 S., aktualisierte Ausgabe, Frankfurt am Main 2001. Nachschlagewerk auf dem neuesten Forschungsstand mit zehn Überblickskapiteln, 65 alphabetisch geordneten Sachartikeln zu einzelnen Widerstandsgruppen jeweils mit Literaturangaben und rund 650 Kurzbiografien. #Andreas Biss, List als Mittel des Widerstandes. 24 S., Berlin 61987. Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Deutscher Widerstand 1933-1945. Informationen zur politischen Bildung. 50 S., Heft 243. Neudruck Mai 1994. Die kostenlos bei der Bundeszentrale erhältliche, bebilderte Broschüre enthält gut lesbare kurze Artikel zu den Themen Kampf gegen den Nationalsozialismus vor 1933, zum Widerstand der Arbeiterbewegung, der Kirchen, traditioneller Eliten, des Militärs, der Verfolgten, der Jugend sowie im Alltag. Als Autor für den Großteil der Texte zeichnet der Experte Wolfgang Benz verantwortlich. Das Heft eignet sich wegen der kompakten Darstellung und der kostengünstigen Verfügbarkeit gut für den Unterricht. #Fritz Eberhard, Arbeit gegen das Dritte Reich. 64 S., Berlin 31981. Christine Fischer-Defoy, Arbeiterwiderstand in der Provinz. Arbeiterbewegung und Faschismus in Kassel und Nordhessen 1933-45. Eine Fallstudie. 280 S., Berlin 1982. Geschichte lernen. Widerstand im Nationalsozialismus. 69 S., 7. Jg, Heft Nr. 40 (1994) Das Heft befasst sich mit den Themen Weiße Rose, Attentat und Umsturzversuch gegen Hitler, Nationalkomitee Neues Deutschland sowie der Bekennenden Kirche. *Hermann Graml (Hg.), Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereignisse, Gestalten. 272 S., Frankfurt am Main 21994. Der für einen breiten Leserkreis konzipierte Sammelband führt mit fünf Beiträgen zu Gesellschaftsbild und Verfassungsplänen des Widerstandes, seinen außenpolitischen Vorstellungen, seinem Verhältnis zu Glauben und Kirche, zur KPD in der Illegalität und Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 56 zum konservativen Widerstand in das Thema ein. Es folgen biografische Skizzen zu Georg Elser, Carl Goerdeler, Adam von Trott zu Solz, Alfed Delp, Ludwig Beck, FritzDietlof Graf von Schulenburg, Hans Oster, Henning von Tresckow und Julius Leber. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3496/95) *Peter Hoffmann, Widerstand – Staatsstreich – Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler. 1004 S., 4., neu überarbeitete und ergänzte Ausgabe, München 1985. Hoffmann führt sämtliche „ernstzunehmenden Versuche, Hitler zu stürzen oder zu ermorden“ auf. Er untersucht den Ablauf der Staatsstreich- und Attentatsversuche in allen Einzelheiten und auf Grundlage umfassender Recherchen. Das Standardwerk bietet laut Eigenwerbung die Berücksichtigung aller einschlägigen Literatur. Nur für diejenigen geeignet, die es ganz genau wissen möchten. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3315/94) Ekkehard Klausa, Zu wenig und zu spät? Der Kampf des anderen Deutschland, in: Bernd Sösemann (Hg.), Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft. Einführung und Überblick, S. 258-281. Klausa stellt zunächst die Frage nach der Definition von Widerstand und führt anschließend in die wichtigsten Apekte des deutschen Widerstands ein. Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. 640 S., Frankfurt am Main 1996. Das materialreiche und bebilderte Sammelwerk verdeutlicht die Bandbreite des Widerstands in Hessen. Ausdrücklich wollen die Herausgeber den Blick nicht nur auf die Widerständler des 20. Juli 1944, sondern auf die vielen Mutigen richten, die bereits zuvor als Regimegegner ihr Leben oder ihre Freiheit verloren hatten. Das Buch versteht sich als Bestandsaufnahme der regionalhistorischen Forschung. *Richard Löwenthal/Patrik von zur Mühlen (Hg.), Widerstand und Verweigerung in Deutschland. 320 S., Neuausgabe Bonn 1997. Das Besondere dieses Bandes besteht darin, dass sich in neun Kapiteln jeweils ein wissenschaftlicher Artikel auf dem gegenwärtigen Forschungsstand und der Erlebnisbericht eines noch lebenden Widerstandskämpfers zum selben Thema gegenüberstehen. Dabei wird zuweilen auch das Auseinanderklaffen persönlicher Erinnerung und wissenschaftlicher Analyse deutlich. Die Themen umfassen die gesamte Palette des Widerstands: von den Gewerkschaften bis zur inneren Emigration. Der Einführungsbeitrag von Richard Löwenthal reflektiert den Widerstandsbegriff. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3937/9) #Detlev Peukert, Der deutsche Arbeiterwiderstand gegen das Dritte Reich. 68 S., Berlin 51990. *Hans Mommsen, Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstandes. 424 S., München 2000. Das mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat versehene Werk des Zeithistorikers Mommsen versucht die Vielfalt der politischen Ziele der Widerständler zu ergründen. Er führt in die Ideenwelt der Attentäter des 20. Juli, des Kreisauer Kreises, der konservativen, sozialistischen, kirchlichen und militärischen Opposition ein. Dabei unterschlägt er die teilweise unter den NS-Gegnern verbreitete Ablehnung der Demokratie und ihre vielfach unentschiedene Haltung zur Verfolgung der Juden nicht. Widerständler mit Hessen-Bezug beispielsweise Wilhelm Leuschner und Adolf Reichwein sind kurz gewürdigt. Die Studie fasst den aktuellen Forschungsstand zusammen und ist mit den in sich abgeschlossenen Kapiteln zu Einzelthemen für die Oberstufe geeignet. (Signatur der HLZ: NS-Wi 4594/00) *Gerhard Ringshausen (Hg.), Perspektiven des Widerstands. Der Widerstand im Dritten Reich und seine didaktische Erschließung. 226 S., Pfaffenweiler 1994. Der anlässlich des 50. Jahrestages des 20. Juli 1944 erschienene Tagungsband führt zunächst in fünf Beiträgen in die historischen Dimensionen des Widerstands und seiner Rezeptionsgeschichte ein. Die Autoren entwickeln außerdem didaktische Perspektiven zur Vermittlung im Unterricht. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3427/94) Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 57 *Ger van Roon, Widerstand im Dritten Reich. Ein Überblick. 256 S., 5., durchgesehene Auflage, München 1990. Der niederländische Historiker gibt auf neuerer Forschungsbasis einen knappen, aber differenzierten Überblick eines Großteils des Widerstandsspektrums. Die unkomplizierte Sprache macht es für den Unterricht geeignet. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3096/93) *Hans-Jochen Markmann, Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus 19331945. Modelle für den Unterricht. Medien – Materialien – Dokumente. 292 S., Mainz 1984. Markmann führt zunächst in einzelnen Kapiteln mit detaillierten Literaturhinweisen in die Thematik ein. Besonderes Augenmerk richtet er auf den Widerstand von Jugendlichen. Es folgt eine ausführliche Einführung in die fachdidaktische Problematik mit Unterrichtsvorschlägen und Materialien. Auch wenn das Werk inzwischen zwanzig Jahre alt ist, bietet es doch gute Anregungen für den Unterricht. (Signatur der HLZ: NS-Wi 1367/84) Detlef Schmiechen-Ackermann (Hg.), Anpassung – Verweigerung – Widerstand. Soziale Milieus, politische Kultur und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland im regionalen Vergleich. 307 S., Berlin 1997. Peter Steinbach/Johannes Tuchel, Lexikon des Widerstandes. 251 S., 2., erweiterte und überarbeitete Auflage, München 1998. Nachschlagewerk mit Schwerpunkt auf den Protagonisten des Widerstands. *Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hg.), Widerstand in Deutschland. Ein historisches Lesebuch. 375 S., 3., durchgesehene Auflage, München 2000. Das bebilderte Lesebuch stellt bekannte und bislang unveröffentlichte Texte, Reden sowie Selbstzeugnisse von Widerständlern vor. Der jeweilige Urheber und der Kontext werden kurz genannt. Es gliedert sich in acht Kapitel: Warnende Stimmen, Widerstand der Arbeiterbewegung, von Christen, im Krieg, Kreisauer Kreis, Weiße Rose, Rote Kapelle und 20. Juli 1944. Es entsteht ein authentisches Bild der Menschen, die aus unterschiedlichsten Motiven gegen den Nationalsozialismus kämpften. Da die Texte häufig recht kurz sind, eignen sie sich nach entsprechender Auswahl gut für den Unterricht. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3495/95) Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 323. 672 S., Bonn 1994. Hier sind Ergebnisse der Forschungsstelle Widerstandsgeschichte an der FU Berlin und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand versammelt. In Einzelaufsätzen werden unterschiedliche Facetten von Widerstand und Umsturzversuchen erhellt. Den Abschluss bildet ein Kapitel zur Auseinandersetzung mit dem Widerstand in beiden deutschen Staaten nach 1945. Peter Steinbach, Widerstand im Widerstreit. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerung der Deutschen. 485 S., Paderborn 2001. Nach umfangreicher Reflexion über den Widerstandsbegriff fragt Steinbach nach den Möglichkeiten des Widerstands im Exil und von Juden. Er stellt Einzelkämpfer aber auch umstrittene Widerständler wie die Rote Kapelle und das Nationalkomitee Neues Deutschland vor. Militärischer Widerstand und Zivilcourage werden ebenfalls thematisiert. Zum Schluss sondiert er, ob der Widerstand einen Bezugspunkt für unsere heutige Kultur darstellen kann. Die jeweils in sich abgeschlossenen, etwa 25-seitigen Kapitel informieren auf dem neuesten Forschungsstand. Gerhard Teuscher, Widerstand im Nationalsozialismus. Konzeption und Evaluation einer Unterrichtseinheit für das Lernen an Stationen. 95 S., Stuttgart 2003. Hans-Ulrich Thamer, Gruppen und Formen des Widerstandes. Widerstand als Lernprozeß, in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.), Republik, Diktatur und Wiederaufbau. Hessische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Wiesbaden o. J. [1994], S. 35-44. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 58 Wolfgang Wippermann, Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit. Bd. 4: Der Widerstand. Darstellung, Dokumente und didaktische Hinweise. 168 S., Frankfurt am Main 1986. Nach einer theoretischen Einführung zum Widerstandsbegriff und seinen Dimensionen legt Wippermann seine Schwerpunkte auf die Arbeiterbewegung und den Frankfurter Kirchenkampf, wobei er SPD und KPD gleichermaßen berücksichtigt. Ein umfangreicher Dokumententeil sowie didaktische Hinweise erleichtern Pädagogen die Arbeit im Unterricht. Fazit: Noch immer eine wichtige regionalhistorische Studie! 3. 3.1 Widerstandsgruppen Sozialisten Gerhard Beier, Wilhelm Leuschner und das Verbindungsnetz sozialistischer Vertrauensleute in Hessen, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 565-592. Barbara Bromberger, Widerstand linkssozialistischer Kleinorganisationen, in: Renate KniggeTesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 179-179. Christopher Kopper, Zum Widerstand des Reichsbanners Schwarz Rot Gold im Rhein-MainGebiet, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 166-178. *Sabine Lemke-Müller, Ethik des Widerstands. Der Kampf des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) gegen den Nationalsozialismus. Quellen und Texte zum Widerstand aus der Arbeiterbewegung 1933-1945. 368 S., Bonn 1996. Neben einigen Zeitdokumenten aus der Arbeit des ISK berichten ehemalige Mitglieder der Widerstandsgruppe, darunter Ludwig Gehm („Wir wollten zeigen: Es gibt noch andere.“) und Irmgard Heydorn über ihre unbeirrte Arbeit gegen den NS-Staat. Dabei wird ihre ethische und philosophische Orientierung beleuchtet. Wegen der sehr persönlichen, mit Alltagserfahrungen gespickten Zeugnisse, ist die Lektüre für die Herausarbeitung individueller Motivation für die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus gut geeignet. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3910/9) Hertmut Mehringer, Sozialistischer Widerstand, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt am Main 2001, S. 42-54. Marianne Peter, Widerstand und Verfolgung der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 19331945. Frankfurt am Main 1996, S. 152-165. 3.2 Kommunisten Rolf Engelke/Wolfgang Form, Kommunistischer Widerstand und NS-Verfolgungspraxis in Hessen, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 213-235. #Beatrix Herlemann, Der deutsche kommunistische Widerstand während des Krieges. 32 S., Berlin 1989. Beatrix Herlemann, Kommunistischer Widerstand, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt am Main 2001, S. 28-41. #Hermann Weber, Kommunistischer Widerstand gegen die Hitler-Diktatur 1933-1939. 24 S., Berlin 1988. Heinrich Scheel, Der Gelehrte Werner Krauss und sein Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 498-507. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 59 3.3 Anarchisten Andreas G. Graf (Hg.), Anarchisten gegen Hitler. Anarchisten, Anarcho-Syndikalisten, Rätekommunisten im Widerstand und im Exil. 320 S., Berlin 2001. Sammelband zu einem bislang wenig erforschten Gebiet. Axel Ulrich, Syndikalistischer Widerstand in Hessen und im Raum Mannheim-Ludwigshafen, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 19331945. Frankfurt am Main 1996, S. 198-212. 3.4 Bürgerliche Hedwig Brüchert-Schunk, Beispiele bürgerlichen Widerstandes in Hessen: Der Freundeskreis Heinrich Roos in Wiesbaden und der Kaufmann-Will-Kreis in Gießen, in: Renate KniggeTesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 508-524. *Winfried Meyer, Unternehmen Sieben. Eine Rettungsaktion für vom Holocaust Bedrohte aus dem Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando Wehrmacht. 626 S., Frankfurt am Main 1993. Die zunächst als Dissertation angenommene bebilderte Arbeit schildert detailliert und auf reicher Materialbasis (150 Seiten Anmerkungen!) das Zusammenwirken Hans von Dohnanyis und Hans Osters bei ihren Versuchen, einzelne von Deportation oder Verfolgung bedrohte Menschen zu retten. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3147/94) Hans Mommsen, Bürgerlicher (nationalkonservativer) Widerstand, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt am Main 2001, S. 55-67. #Ger van Roon, Der Kreisauer Kreis zwischen Widerstand und Umbruch. 24 S., Berlin 21988. 3.5 Nationalsozialisten Susanne Meinl, Nationalsozialisten gegen Hitler. Die nationalrevolutionäre Opposition um Friedrich Wilhelm Heinz. 448 S., Berlin 2000. Die Dissertation beschäftigt sich mit dem bislang wenig beachteten Thema der NSOpposition gegen Hitler. Sie porträtiert den in der Organisation Consul aktiven Heinz, der später an der Formierung der Militäropposition im Amt Ausland/Abwehr teil hatte. 3.6 Militär/SS/Polizeiapparat/Desertion #Philipp Freiherr von Boeselager, Der Widerstand in der Heeresgruppe Mitte. 24 S., Berlin 1990. #Heinrich Bücheler, Generaloberst Erich Hoepner und die Militäropposition gegen Hitler. 24 S., Berlin 31985. Hermann Graml, Militärischer Widerstand, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt am Main 2001, S. 83-97. Norbert Haase, Deutsche Deserteure. 124 S., Berlin 1987. Jörg Kammler, Ich habe die Metzelei satt und laufe über. Kasseler Soldaten zwischen Verweiterung und Widerstand (1939-1945). Eine Dokumentation. 278 S., 3., erweiterte Auflage, Fuldabrück 1997. #Klaus-Jürgen Müller, Witzleben – Stülpnagel – Speidel. Offiziere im Widerstand. 36 S., Berlin 1988. Gerd R. Ueberschär (Hg.), NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler. 214 S., Darmstadt 2000. Der Sammelband beschäftigt sich in drei Abschnitten mit den Dimensionen des militärischen Widerstands. Dabei geht es um antisemitische Einstellungen bei den Widerständlern, um deren Konfrontation mit den NS-Verbrechen im Vernichtungskrieg an der Ostfront und um die Motivation des Umsturzversuchs am 20. Juli 1944. Unterschiedliche Autoren beleuchten jeweils andere Facetten der drei Themen. Im Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 60 Anhang finden sich ausgewählte Dokumente, die als Material im Unterricht einsetzbar sind. Wolfram Wette, Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht. 247 S., Frankfurt am Main 2002. Wolfram Wette (Hg.), Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS. 368 S., Frankfurt am Main 2004. Der gerade veröffentlichte Sammelband stellt als Fortsetzung der Veröffentlichung „Retter in Uniform“ nach einer Einleitung zu Empörten, Helfern und Rettern in den bewaffneten Formationen des NS-Staates Personen vor, die sich aus diesen Gruppen heraus zum Widerstand entschlossen. Der letzte Teil ist Perspektiven gewidmet – unter anderem Betrachtungen zum Retterwesen. Die Texte eröffnen sicherlich einen ganz neuen Blickwinkel auf die Zeit des Nationalsozialismus. 3.7 Juden Hans Erler (Hg.), Gegen alle Vergeblichkeit. Jüdischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 455 S., Frankfurt am Main 2003. *Chaika Grossmann, Die Untergrundarmee. Der jüdische Widerstand in Bialystok. Ein autobiographischer Bericht. 560 S., Frankfurt am Main 1993. Die Überlebende des Ghettos von Bialystok Chaika Grossmann erzählt ihre und die Geschichte von fünf weiteren Frauen, die nach der Liquidation des Ghettos zurückblieben und sich den Partisanen in den Wäldern anschlossen. Gemeinsam kämpften sie gegen die deutschen Besatzer. Grossmann hatte schon zuvor an der Errichtung einer jüdischen Untergrundorganisation mitgearbeitet. Sie ging 1948 nach Israel und war zuletzt Alterspräsidentin der Knesset. Als umfangreiches, aber spannendes Selbstzeugnis ist das Buch nur als Hintergrundinformation zum jüdischen Widerstand in Polen geeignet. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3059/93) *Susanna Keval, Die schwierige Erinnerung. Deutsche Widerstandskämpfer über die Verfolgung und Vernichtung der Juden. 294 S., Frankfurt am Main 1998. Im Zentrum der Publikation steht die Frage nach dem Verhalten deutscher Widerstandskämpfer gegenüber der Verfolgung und Ermordung der Juden. Ausgehend von einer Studie über den Widerstand in Frankfurt am Main führte Keval Gruppengespräche mit ehemaligen Widerstandskämpfern unterschiedlicher politischer und religiöser Herkunft, die von Keval kommentiert und gedeutet werden. Obwohl die Interviews einen sehr persönlichen und anschaulichen Einblick in den Umgang mit der Fragestellung geben, ist das Buch eher für eine sehr intensive Beschäftigung mit diesem Spezialthema geeignet, da ein schneller Zugriff auf Informationen nicht möglich ist. (Signatur der HLZ: NS-Wi 4950/0) *Konrad Kwiet/Helmut Eschwege, Selbstbehauptung und Widerstand. Deutsche Juden im Kampf um Existenz und Menschenwürde 1933-1945. 384 S., Hamburg 1984. Nach der Darstellung der Rahmenbedingungen jüdischen Lebens und der Verfolgung von Juden untersuchen die Autoren die Beteiligung von Juden im organisierten Widerstand u.a. bei SPD, SAP, KPD, ISK und im spanischen Bürgerkrieg. Es folgen Kapitel zum nonkonformen Verhalten: insbesondere Herstellung und Vertrieb illegaler Schriften, Beteiligung an Attentaten, Sabotage und Spionage, Widerstand in Lagern und Ghettos sowie als Kämpfer bei Partisanengruppen. Das materialreiche Buch eignet sich wegen der abgeschlossenen, mit Beispielen angereicherten Kapitel gut als Einführung in das Thema, auch wenn es inzwischen nicht mehr ganz dem aktuellen Forschungsstand entspricht. (Signatur der HLZ: NS-Wi 331/85) Arno Lustiger, „Wir werden nicht untergehen“. Zur jüdischen Geschichte. Aufsatzsammlung. 270 S., München 2002. Arno Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod! Das Buch vom Widerstand der Juden 19331945. 628 S., München 1997. #Arnold Paucker, Deutsche Juden im Widerstand 1933-1945. Tatsachen und Probleme. 47 S., Berlin 1999. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 61 #Arnold Paucker, Jüdischer Widerstand in Deutschland. 24 S., Berlin 1989. *Shmuel Ron, Die Erinnerungen haben mich nie losgelassen. Vom jüdischen Widerstand im besetzten Polen. 168 S., Frankfurt am Main 1998. Shmuel Ron war aktiv am jüdischen Widerstand in Polen beteiligt. Er schildert den Alltag der Konspiration im Gebiet um Kattowice und das Netz der dortigen jüdischen Widerstandsgruppen. Dabei setzt er sich auch mit der Politik der Judenräte auseinander. Ron wurde im März 1944 verhaftet und überlebte die Konzentrationslager Auschwitz und Mauthausen. Nach zweijährigem verfolgungsbedingtem Krankenhausaufenthalt ging er 1948 nach Israel. Das persönliche Zeugnis ist für die intensive Beschäftigung mit jüdischem Widerstand im besetzten Polen geeignet. (Signatur der HLZ: NS-Wi 4690/0) Mark Roseman, In einem unbewachten Augenblick. Eine Frau überlebt im Untergrund. 583 S., Berlin 2002. #Wolfgang Wippermann, Die Berliner Gruppe Baum und der jüdische Widerstand. 31 S., Berlin 1 1981. 3.8 Kirchen, Glaubensgemeinschaften und religiös motivierter Widerstand #Maria Theodora Freifrau von dem Bottlenberg-Landsberg, Die "Weißen Blätter" des KarlLudwig Freiherrn von und zu Guttenberg. Zur Geschichte einer Zeitschrift monarchistisch-religiöser Opposition gegen den Nationalsozialismus 1934-1943. 32 S., Berlin 1990. Hermann-Josef Braun, Widerstand aus den Reihen der katholischen Kirche, in: Renate KniggeTesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 269-289. *Günter Buchstab/Brigitte Kaff/Hans-Otto Kleinmann, Verfolgung und Widerstand 1933-1945. Christliche Demokraten gegen Hitler. 288 S. ,Düsseldorf 1986. Die bebilderte Quellensammlung ist in sechs Abschnitte gegliedert: Als Staatsfeinde verfolgt, Exil, Widerstand im Alltag, Widerstandskreise, die „Aktion Gewitter“ und christliche Demokratie im Neubeginn. Ein umfangreiches Personenregister sowie ein Verzeichnis der Dokumente ergänzen den Band, der trotz seines Alters eine Menge Material für den Unterricht bietet und auf jeden Fall zum Thema Christen und Widerstand hilfreich ist. (Signatur der HLZ: NS-Wi 366/86) *Otto Diehn, Der Kirchenkampf. Evangelische Kirche und Nationalsozialismus. Quellen und Anregungen für den Unterricht. 144 S., Hamburg, 2., erweiterte Auflage 1970. Etwas angestaubte, jedoch sehr systematisch aufgebaute Unterrichtshilfe u.a. zu den Themen „Arierparagraf“, Euthanasie, totaler Staat versus Anspruch Gottes, Kreisauer Kreis und Dietrich Bonhoeffer jeweils mit Quellen und Erläuterungen zu deren Verständnis sowie Anregungen für den Unterricht. (Signatur der HLZ: NS-Wi 143/70) Detlef Garbe, Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im „Dritten Reich“. 605 S., 3., überarbeitete und um ein Nachwort ergänzte Auflage, München 1997. Die Zeugen Jehovas entwickelten aus der Verteidigung ihres Glaubens eine konsequente und verlustreiche Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, die weithin lange unbeachtet blieb. Als einzige Glaubensgemeinschaft widersetzten sie sich geschlossen dem Kriegsdienst. Hans Hesse (Hg.), „Am mutigsten waren immer die Zeugen Jehovas“. Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. 448 S., Bremen 1998. Der Sammelband enthält Beiträge zum Widerstand der Zeugen Jehovas in verschiedenen Konzentrationslagern und von Zeuginnen Jehovas. Viele Texte beschäftigen sich mit der Nachkriegsgeschichte der Glaubensgemeinschaft. #Heinz Hürten, Die katholische Kirche zwischen Nationalsozialismus und Widerstand. 32 S., Berlin 1989. #Erich Klausener, Zum Widerstand der Katholiken im Dritten Reich. 24 S., Berlin 21985. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 62 Renate Knigge-Tesche, NS-Gegner im politisch-kirchlichen Zwischensektor: die religiösen Sozialisten, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 307-323. #Werner Koch, Der Kampf der Bekennenden Kirche im Dritten Reich. 24 S., Berlin 51988. Günther van Norden, Widersetzlichkeit von Kirchen und Christen, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt am Main 2001, S. 68-82. Karl-Heinz Rueß/Marcus Zecha (Hg.), Mutige Christen im NS-Staat. 48 S., Göppingen 2002. Die bebilderte Broschüre enthält die Biografien ganz unterschiedlicher Menschen, die aus verschiedenen Motiven, aber verankert im Glauben Widerstand leisteten. Klaus Martin Sauer, Widerstand in der Bekennenden Kirche, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 290-306. 3.9 Frauen Gernot Jochheim, Frauenprotest in der Rosenstraße Berlin 1943. Berichte, Dokumente, Hintergründe. 223 S., Berlin 2002. Ingrid Langer, Hessische Parlamentarierinnen im Widerstand, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 324-334. Gerda Szepansky (Bearb.), Frauen leisten Widerstand: 1933-1945. Lebensgeschichten nach Interviews und Dokumenten. 291 S., Frankfurt am Main 1994. In 15 Lebensbildern wird der Widerstand von Frauen vorgestellt. Christl Wickert, Frauen gegen die Diktatur – Widerstand und Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland 1933-1945. 189 S., Berlin 1995. Christl Wickert, Frauen zwischen Dissens und Widerstand, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt am Main 2001, S.140-155. 3.10 Jugendliche Wilfried Breyvogel (Hg.), Piraten, Swing und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. 352 S., Bonn 1991. In dem Sammelband, der aus einer Konferenz im Jahre 1990 erwuchs, finden sich Forschungsergebnisse zum Jugendwiderstand und seiner Wirkungsgeschichte. #Anna Sabine Halle, „Die Gedanken sind frei ....“ Eine Jugendgruppe der Berliner Quäker 19351941. 32 S., Berlin 41995. Arno Klönne, Jugend gegen den NS-Staat – Nonkonformität, Opposition und Widerstand hessischer Jugendgruppen, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 374-391. *Detlev J. K. Peukert, Die Edelweiß-Piraten. Protestbewegungen jugendlicher Arbeiter im „Dritten Reich“. 248 S., 3., erweiterte Auflage, Köln 1988. Die Dokumentation, die zahlreiche Texte – darunter auch zeitgenössische Überwachungsprotokolle, aber auch Alltagsberichte – zugänglich macht, bietet eine gute Einführung in die „vergessene Protestbewegung“ der Edelweiß-Piraten. Besonders die Kapitel Subkultur und Protestverhalten sowie Konflikte mit der HJ können sicherlich in Ansätzen mit Erfahrungen heutiger Jugendlicher korrespondieren. Didaktische Überlegungen am Ende des Bandes helfen beim Einsatz im Unterricht. (Signatur der HLZ: NS-Wi 948/88) Marianne Peter, Widerstand und Verfolgung der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 19331945. Frankfurt am Main 1996, S. 152-165. Dieter Schiefelbein, Zur Verfolgung der Swing-Jugend in Frankfurt am Main, in: Renate KniggeTesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 392-403. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 63 Bruno Schmitt, Der Widerstand Jugendlicher im Nationalsozialismus. 258 S., Hamburg o. J. Der Autor begibt sich auf Grundlage von Täterakten auf die Suche nach den Wurzeln der Jugend-Opposition gegen Hitler. Er sucht nach ihrer Verortung in sozialen Schichten, in Konfessionen oder politischen Traditionen. Am Schluss der systematischen Untersuchungen kommen Zeitzeugen zu Wort. Jürgen Zarusky, Jugendopposition, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt am Main 2001, S. 98-111. 3.11 Homosexuelle Manfred Herzer, Schwule Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Neue Studien zu Wolfgang Cordan, Wilfried Israel, Theodor Haubach und Otto John, in: Burkhard Jellonnek/Rüdiger Lautmann (Hg.), Nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle. Verdrängt und ungesühnt. Paderborn/München/Wien/Zürich 2002, S. 127-146. Herzer betrachtet hier das Thema Homosexualität und Nationalsozialismus aus einem bislang praktisch nicht systematisch erforschten und sehr speziellen Blickwinkel: Homosexualität und Widerstand. Der Leser wird mit einem Zwischenstand der Forschung konfrontiert. Anhand von vier Lebensläufen, darunter auch des lebenslangen Freundes von Carlo Mierendorff und Frankfurters Theodor Haubach (1896-1945), versucht der Autor, die Wurzeln der Gegnerschaft zum Nationalsozialismus vor dem Hintergrund des Schwulseins näher zu beleuchten. Der mit vielen Vermutungen gespickte Text ist wegen seiner komplexen Darstellungsweise nur für die Oberstufe geeignet. Dieter Schiefelbein, Zur Verfolgung der Homosexuellen in Frankfurt am Main, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 404-414. 3.12 20. Juli 1944 Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder. (Erscheint Juni 2004) Der Autor konnte verschollen geglaubte Briefe und Dokumente auswerten und zeichnet ein Porträt Stauffenbergs. #Georg Holmsten, 20. Juli 1944 – Personen und Aktionen. 24 S., Berlin 61990. Peter M. Kaiser, die Verbindungen der Verschwörer des „20. Juli 1944“ nach Hessen am Beispiel der Brüder Kaiser, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 548-564. *Rudolf Lill/Heinrich Oberreuter, 20. Juli – Porträts des Widerstands. 432 S., München 1989. Der Sammelband stellt zunächst den Weg zum Attentat, Gruppen, Zentren und Ziele des deutschen Widerstands und das Attentat in Bezug auf das Ausland vor. Es folgt ein Beitrag zum Recht auf Widerstand. Im Mittelpunkt stehen jedoch die Attentäter und Beteiligten selbst, denen jeweils etwa 20-seitige Porträts gewidmet sind. Eine Zeittafel und ein Überblick der Widerstandsforschung runden die Publikation ab. *Detlef Graf von Schwerin, „Dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt“. Die junge Generation im deutschen Widerstand. 576 S., München 1991. Der 1944 geborene Sohn des Attentäters Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin, der am 8. September 1944 hingerichtet wurde, erarbeitete eine bebilderte Gruppenbiografie der mit seinem Vater befreundeten Widerständler Albrecht von Kessel, Eduard Brücklmeier, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, Peter Graf York von Wartenburg und Botho von Wussows. Er zeichnet die vielfältigen Verbindungen und persönlichen Freundschaften, die das gemeinsame Handeln erst ermöglichten, detailliert nach und gibt ein präzises Bild des bürgerlichen Widerstands. Wegen des Umfangs und begrenzten Themas nur für einen sehr intensiven Einstieg geeignet. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3244/94) #Hans Mommsen, Der 20. Juli und die deutsche Arbeiterbewegung. 30 S., Berlin 21989. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 64 *Gerd R. Ueberschär (Hg.), Der 20. Juli 1944. Bewertung und Rezeption des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime. 348 S., Köln 1994. Der Sammelband reflektiert die Rezeptionsgeschichte des deutschen Widerstands ausgehend vom Attentat am 20. Juli 1944. Dabei geht es um die Haltung der Siegermächte, der Geschichtsschreibung in BRD und DDR – insbesondere in den Schulbüchern und Medien – sowie den Umgang mit überlebenden Widerständlern. Analysiert wird auch die Rezeption des 20. Juli 1944 in der Bundeswehr. Außerdem bewertet der Band den Widerstand in Grenzbereichen wie „Edelweiß-Piraten“, Desertion, die Rote Kapelle oder das Nationalkomitee „Freies Deutschland“. Gerade weil die Beiträge Linien bis in die Gegenwart ziehen, stellt der mit umfangreichen Anmerkungen versehene Band Nähe zum heutigen politischen Leben her. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3685/96) Gerd R. Ueberschär, Stauffenberg. Der 20. Juli 1944. 272 S., Frankfurt am Main 2004. Das Buch zum gleichnamigen Fernsehfilm beleuchtet das Attentat auf Hitler aus unterschiedlichen Perspektiven, stellt die Beteiligten und ihre Frauen kurz vor, ordnet den 20. Juli in den Kontext des deutschen Widerstands ein, beschreibt die Folgen und die Rezeption. 3.13 Rote Kapelle Hans Coppi/Jürgen Danyel/Johannes Tuchel (Hg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 308 S., Berlin 1994. Der bebilderte Sammelband enthält Beiträge zur Verortung und Rezeption der Roten Kapelle und ihrer Mitglieder sowie zahlreiche Porträts wichtiger Protagonisten der Widerstandsgruppe. Regina Griebel/Marlies Coburger/Heinrich Scheel, Erfasst? Das Gestapo-Album zur Roten Kapelle. Eine Foto-Dokumentation. 372 S., Halle 1992. Sehr eindrückliche Zusammenstellung der Gestapo-Fotos von Protagonisten der Roten Kapelle, die in Bildbiografien auch in privaten Aufnahmen sowie Texten vorgestellt werden. Sowohl die Verhaftungen als auch die Prozesse sind ausführlich dokumentiert. Das Buch ist wegen der Materialvielfalt sehr gut für eine persönlich berührende Beschäftigung mit Einzelschicksalen geeignet. 3.14 Weiße Rose Detlef Bald, Die Weiße Rose. Von der Front in den Widerstand. 203 S., Berlin 22003. *Beck-Verlag München (Hg.), Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchner Gedächtnisvorlesungen. 216 S., München 1993. Seit 1983 werden an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität alljährlich Vorlesungen zum Gedächtnis an die Widerstandsgruppe Weiße Rose gehalten, die hier dokumentiert wurden. Sie beschäftigen sich damit, welche Lehren sich aus dem Widerstand gegen das Unrechtsregime ziehen lassen. So geht Manès Sperber der Frage nach der Dialektik von Anpassung und Widerstand von Individuum und Gemeinschaft nach. Hans Mommsen sucht nach den Verbindungen zwischen dem Widerstand und der Wiederherstellung der Grundlagen für die Politik. Ein politisches Buch, das in elf Beiträgen direkt in die Gegenwart führt. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3095/93) *Annette E. Dumbach/Jud Newborn, Die Geschichte der Weißen Rose. 266 S., Freiburg im Breisgau 1994. Die amerikanischen Autoren haben nach umfangreichen Recherchen ein spannendes Buch über die Mitglieder der Weißen Rose und ihre Lebensumstände vorgelegt. Stellenweise werden Passagen aus Flugblättern, Briefen oder Tagebüchern zitiert. Als gut lesbare Hintergrundinformation zur Weißen Rose und zum studentischen Widerstand geeignet. Joachim Fest, Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. 415 S., Berlin 52004. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 65 Fest bietet neben der Reflektion über den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 im Anhang Kurzbiografien der Widerständler und eine Zeittafel. *Willi Graf, Briefe und Aufzeichnungen. Mit einer Einleitung von Walter Jens. 350 S., überarbeitete Neuausgabe Frankfurt am Main 1994. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3365/94) Die bebilderte Dokumentation gibt einen intensiven Einblick in die Gedanken des Gefährten von Hans und Sophie Scholl Willi Graf. Neben seinem von der Gestapo unentdeckten Tagebuch mit Eintragungen von Juni 1942 bis kurz vor der Verhaftung am 18. Februar 1943 enthält sie Briefe aus den Jahren 1940 bis 1943, ferner die Anklageschrift und einen Kurzlebenslauf. Wer intensiv in die Geschichte der Weißen Rose einsteigen möchte, findet hier einen authentischen und sehr spannenden Zugang. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3348/94) Michael Kißener/Bernhard Schäfers (Hg.), „Weitertragen“. Studien zur Weißen Rose.172 S., Konstanz 2001. Die Festschrift zum 80. Geburtstag von Anneliese Knoop-Graf bietet einen Abschnitt zu Willi Graf, je einen weiteren zur Geschichte der Weißen Rose sowie zu ihrer Rezeptionsgeschichte. #Anneliese Knoop-Graf, „Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung“ – Willi Graf und die Weiße Rose. 20 S., Berlin 1991. Christian Petry, Studenten aufs Schafott. Die weiße Rose und ihr Scheitern. 258 S., München 1968. Ein Standardwerk zur Widerstandsgruppe der Weißen Rose und trotz des Alters eine kritische Beschäftigung mit dem studentischen Widerstand. *Inge Scholl, Die Weiße Rose. 208 S., Erweiterte Neuausgabe Frankfurt am Main 1993. Die Schwester von Sophie und Hans Scholl, Inge Scholl, erzählt anhand geretteter Dokumente die Vorgeschichte und den Verlauf der Weißen Rose. Im Folgenden werden ihre Flugblätter dokumentiert. Der dritte Abschnitt enthält die Urteile gegen die Geschwister Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell, Kurt Huber und Wilhelm Graf. In Augenzeugenberichten kommen Menschen aus dem Umfeld zu Wort. Zeitgenössische Reaktionen aus dem In- und Ausland schließen den Band ab, der als gute Basis für die intensive Beschäftigung mit der Weißen Rose dienen kann. (Signatur der HLZ: NS-Wi 2928/93) 3.15 Nationalkomitee Freies Deutschland *Gerd R. Ueberschär (Hg.), Das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und der Bund Deutscher Offiziere. 304 S., Frankfurt am Main 1995. Der Sammelband vereinigt neueste Forschung von deutschen und russischen Wissenschaftlern, die den Widerstand deutscher Kriegsgefangener in der UdSSR neu bewerten. Besonderes Augenmerk gilt dem Handlungsspielraum des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ (NKFD) und des Bundes Deutscher Offiziere (BDO), die lange fälschlich nur als „Handlanger Moskaus“ gesehen wurden. Ferner beschäftigen sich die Autoren mit der Bewertung von NKFD und BDO nach 1945. Am Schluss dokumentiert der Band Quellen und Zeugenaussagen. (Signatur der HLZ: NS-Wi 4138/98) 3.16 In Konzentrationslagern Barbara Distel, Widerstand der Verfolgten, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt am Main 2001, S. 112-126. Solidarität und Widerstand. Dachauer Hefte 7. 241 S., München 1995. Hier werden Berichte aus Konzentrationslagern präsentiert. Verschiedene Artikel zu den Personen sowie Formen des Widerstands unter Haftbedingungen. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 66 3.17 Im Exil #Wolfgang Benz, Widerstand im Exil – Exil als Widerstand. 16 S., Berlin 1991. *Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Widerstand und Exil 1933-1945. 302 S., Bonn 3 1989. Der Sammelband ist in vier Themenfelder gegliedert. Zunächst erläutern zwei Einführungsbeiträge den Problemhorizont. Im zweiten Teil geht es in zehn Artikeln um verschiedene Widerstandsbewegungen, wobei besonders auf die Auseinandersetzung mit künstlerischem Widerstand in Konzentrationslagern und Ghettos hingewiesen sei. Der dritte Abschnitt widmet sich mit fünf Texten dem Exil von Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern. Im letzten Kapitel setzen sich unter anderen Willy Brandt und Ralph Giordano mit dem Widerstand und seinen Widersachern sowie dem Umgang mit Widerstandskämpfern und Emigranten nach dem Krieg auseinander. (Signatur der HLZ: NS-Wi 4010/97) #Susanne Miller, Sozialistischer Widerstand im Exil: Prag – Paris – London. 32 S., Berlin 1984. Patrik von zur Mühlen, Exil und Widerstand, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt am Main 2001, S. 127-139. Gerhard Ringshausen/Rüdinger Voss (Hg.), Die Ordnung des Staates und die Freiheit des Menschen. Deutschlandpläne im Widerstand und im Exil. 374 S., Bonn 2000. Die Publikation versammelt Denkschriften und Ideen zur Neuordnung Deutschlands für die Zeit nach dem „Dritten Reich“, die von Personen aus unterschiedlichsten Kontexten stammen. Die Überlegungen führen direkt in die Nachkriegszeit und die Diskussion über die Grundlagen unserer Demokratie. #Ludwig Rosenberg, Widerstand aus der Sicht der Emigration. 16 S., Berlin 41987. 3.18 Im Ausland *Callum MacDonald, Heydrich – Anatomie eines Attentats. 288 S., München 1990. Das spannend geschriebene und bebilderte Buch bietet eine genaue Erforschung der Umstände des Attentats auf den berüchtigten Reichsprotektor von Böhmen und Mähren Reinhard Heydrich durch tschechische Widerstandskämpfer. Die Nationalsozialisten rächten sich für den Tod Heydrichs mit der Zerstörung der Orte Lidice und Lezaky sowie grausamen Repressalien gegen Juden und Tschechen. MacDonald benutzte bis dahin unausgewertete Dokumente und führte Interviews mit überlebenden Beteiligten. Als Hintergrundinformation für das Agieren der tschechischen Exilregierung geeignet. (Signatur der HLZ: NS-Wi 3408/94) 4. 4.1 Biografien Biografien von Widerstandskämpfern allgemein *Eugen Herman-Friede, Für Freudensprünge keine Zeit. Erinnerungen an Illegalität und Aufbegehren 1942-1948. Mit einem Nachwort von Barbara Schieb-Samizadeh. 224 S., Berlin 41991. Der 1926 geborene und in Berlin aufgewachsene Eugen Herman-Friede wurde als Jude verfolgt, während seine Mutter, die in zweiter Ehe mit einem „Arier“ verheiratet war, den Gelben Stern nicht tragen musste. Friede schildert ausgehend von seinen Alltagserfahrungen lebendig und anschaulich die Zwangsarbeit als 16-Jähriger auf dem Jüdischen Friedhof und andere Erlebnisse. Im Januar 1943 musste er wegen der drohenden Deportation untertauchen. Bei seinen Helfern im Versteck erlebte er die Gründung der kaum bekannten Widerstandsgruppe „Gemeinschaft für den Frieden“, der sich der Jugendliche anschloss. Herman-Friede wurde im Dezember 1944 gemeinsam mit seinen Eltern verhaftet. Während sein Stiefvater vermutlich ermordet wurde, überlebte der Junge die Haft in verschiedenen Gefängnissen. An seinem 19. Geburtstag, dem 23. April 1945, wurde er freigelassen. Die Mutter kehrte im Sommer 1945 aus dem Konzentrationslager Theresienstadt zurück. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 67 Lothar Gruchmann, Autobiographie eines Attentäters. Johann Georg Elser. Der Anschlag auf Hitler im Bürgerbräu 1939. 166 S., Stuttgart 21982. Lothar Gruchmann stellt hier die Protokolle der brutalen Vernehmungen des erfolglosen Attentäters Johann Georg Elser vor, die im Anschluss an seinen Essay abgedruckt werden. Der Schreiner aus Württemberg versuchte am 8. November 1939 völlig auf sich allein gestellt und nach systematischen Vorbereitungen, Adolf Hitler zu beseitigen. Er wurde am 9. April 1945 im Konzentrationslager Dachau ermordet. *Hellmut G. Haasis, „Den Hitler jag' ich in die Luft“. Der Attentäter Georg Elser. Eine Biographie. 272 S., Berlin 1999. Die auf breiter Quellenbasis und den Vernehmungsprotokollen Elsers erarbeitete Biografie sucht nach den Motiven des allein handelnden Handwerkers, der früh erkannte, dass Hitler und mit ihm der auf Krieg zusteuernde Nationalsozialismus nur mit Gewalt gestoppt werden könne. Das Lebensbild ist besonders interessant, weil sich Elser in keine ideologische Schublade einordnen lässt. (Signatur der HLZ: NS-Wi 5063/0) *Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen (Hg.), Die Hassell-Tagebücher 1938-1944. Ulrich von Hassell. Aufzeichnungen vom Andern Deutschland. 692 S., 2., durchgesehene Auflage, Berlin 1989. Die wissenschaftlich kommentierte bebilderte Tagebuchedition ermöglicht einen unmittelbaren Einblick in die Wahrnehmung eines konservativen Diplomaten, der zunehmend Distanz zum NS-Regime entwickelt und sich schließlich den Attentätern des 20. Juli 1944 anschließt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Zeitzeugenberichten beschäftigt sich von Hassell mit einer Vielzahl aktueller politischer Ereignisse, die er bewertet, darunter auch die Massenmorde an Juden in Russland durch Deutsche. Nur für sehr interessierte Oberstufenschüler mit großer Leselust geeignet. (Signatur der HLZ: NS-Wi 1394/89) #Anneliese Knoop-Graf, „Das wird Wellen schlagen“ – Erinnerungen an Sophie Scholl. 23 S., Berlin 2002. *Beate Ruhm von Oppen (Hg.), Helmuth James von Moltke. Briefe an Freya 1939-1945. 632 S., München 1988. Helmuth James von Moltke, Mittelpunkt des Kreisauer Kreises, schrieb seiner Ehefrau Freya seit 1939 von Berlin täglich nach Hause. Die Briefe verdeutlichen sein Ringen, in Christentum und Philosophie Fundamente für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu gewinnen. Sie unterrichten uns auch von seinen Versuchen, rechtswidrige und unmenschliche Maßnahmen gegen Kriegsgefangene und die Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu unterbinden. Die sorgfältige, bebilderte Edition eignet sich nur als intensive Hintergrundlektüre. (Signatur HLZ: NS-Wi 1137/8) *Ulrich Sahm, Rudolf von Scheliha 1897-1942. Ein deutsche Diplomat gegen Hitler. 400 S., München 1990. Der bis zum Kriegsbeginn in Polen eingesetzte und seitdem im Auswärtigen Amt tätige Diplomat entwickelte sich während der NS-Zeit vom pflichterfüllenden Staatsdiener zum Oppositionellen. Aus seiner Position versuchte von Scheliha, NS-Verbrechen zu verhindern und das Ausland über das wahre Geschehen in Deutschland und Polen zu informieren. Auf Betreiben der Geheimen Staatspolizei wurde er 1942 wegen angeblichen Landesverrats aus niederen Motiven zum Tode verurteilt und gehenkt. Sahm entwirft auf Grundlage umfangreicher Recherchen das Bild eines Menschen, der im totalitären Staat beispielhafte Zivilcourarge bewies. Nur für die intensive Beschäftigung mit einem Einzelschicksal geeignet; allerdings sind die Texte durchaus schwierig zu lesen. (Signatur der HLZ: NS-Wi 1846/90) *Gregor Schöllgen, Ulrich von Hassell 1881-1944. Ein Konservativer in der Opposition. 280 S., München 1990. Die erste Biografie des Diplomanten, der als Botschafter in Rom anfangs die Politik Hitlers an exponierter Stelle mittrug, zeichnet die Lebens- und Gedankenwelt des Konservativen nach. Auf umfangreichen Archivrecherchen basierend bietet das Buch die spannende Rekonstruktion der Ideen von Hassells, der unter anderem Hitlers Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 68 Kriegsplänen die Vision eines politisch geeinten Europas unter Führung eines starken Deutschlands entgegensetzte und tiefe Scham über „die Lösung der Judenfrage“ empfand, wie NS-Ankläger Roland Freisler ihm vorhielt. Als Beteiligter im Umfeld des Attentats vom 20. Juli 1944 wurde er hingerichtet. (Signatur der HLZ: NS-Wi 1650/90) 4.2 Biografien von Widerstandskämpfern mit Hessen-Bezug Gerhard Beier, Sozialstaat als realutopische Perspektive im Kampf gegen den Hitlerismus und für eine soziale Demokratie. Vergleichende Lebensbeschreibung von Willi Richter (18941972) und Wilhelm Leuschner (1890-1944) mit besonderer Berücksichtigung ihrer Vorstellung von Staat und Gesellschaft, in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.), Republik, Diktatur und Wiederaufbau. Hessische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Wiesbaden o. J. [1994], S. 61-65. Antje Dertinger, Der treue Partisan. Ein deutscher Lebenslauf: Ludwig Gehm. 192 S., Bonn 1989. Dertinger berichtet spannend vom Widerstand des jungen, 1905 in Frankfurt geborenen Sozialisten Ludwig Gehm, der sein geradliniges Engagement mit KZ-Haft büßen musste. Ihm gelang die Flucht aus dem berüchtigten Strafbataillon 999, die von den Nationalsozialisten als Desertion verfolgt wurde. Schließlich kämpfte er an der Seite griechischer Partisanen gegen den Nationalsozialismus. Nach der Befreiung wurde er als britischer Kriegsgefangener nach Ägypten gebracht und konnte erst 1947 nach Frankfurt zurückkehren. *Antje Dertinger/Jan von Trott, „... und lebe immer in Eurer Erinnerung“. Johanna Kirchner – Eine Frau im Widerstand. 212 S., Bonn 1985. Die Autoren stellen die 1899 geborene Sozialdemokratin vor, die zu den Gründerinnen der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt gehörte. Sie musste 1933 in das vom Völkerbund verwaltete Saargebiet und 1935 in das französische Exil flüchten, wo sie für den sozialdemokratischen Exilvorstand und in der Emigrantenhilfe arbeitete. Kirchner wurde 1942 von Vichy-Frankreich an Deutschland ausgeliefert und 1944 in Berlin hingerichtet. Joachim Fest, Spiel mit hohem Einsatz. Über Adam von Trott, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 46. Jg., Heft 1 (1998), S. 1-18. Der aus einem Vortrag in Oxford anlässlich der Benennung dortiger Studienräume nach von Trott hervorgegangene Aufsatz beleuchtet die christliche Motivation zur Gegnerschaft zum Nationalsozialismus des 1909 geborenen Diplomaten aus einer traditionsreichen hessischen Familie. Der dem Kreisauer Kreis angehörende von Trott bemühte sich um die Anerkennung des deutschen Widerstands im Ausland. Er wurde vom Volksgerichtshof 1944 wegen seiner Beteiligung am Umsturzversuch vom 20. Juli zum Tode verurteilt. Lina Haag, Eine Handvoll Staub. 167 S., Neuausgabe Frankfurt am Main 1995 Die Aufzeichnungen von Lina Haag über die Zeit der Haft im Gefängnis und dem Konzentrationslager werden hier als Brief an ihren Ehemann präsentiert. Sie wurden noch 1944 in der Illegalität verfasst. Der KPD-Abgeordnete war bereits 1933 verhaftet worden. Der Bericht überzeugt durch die eindrucksvolle und gleichzeitig unprätentiöse Darstellung. Neben Kogons SS-Staat war das Manuskript eine der ersten Veröffentlichungen zum Widerstand nach dem Krieg. Anette Hild-Berg, Toni Sender – eine hessische Sozialistin kämpft für die Freiheit, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 335-345. Peter M. Kaiser, Anmerkungen zu Hermann Kaiser, in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.), Republik, Diktatur und Wiederaufbau. Hessische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Wiesbaden o. J. [1994], S. 55-60. Peter Kaupp, Hermann Kaiser (1885-1945) und Ludwig Beck (1880-1944) im Widerstand gegenüber dem Nationalsozialismus, in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.), Republik, Diktatur und Wiederaufbau. Hessische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Wiesbaden o. J. [1994], S. 45-54. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 69 Monica Kingreen, Siegfried Höxter – ein kämpferischer Sozialdemokrat, in: Renate KniggeTesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 138-151. Renate Knigge-Tesche, Zwei Frauen aus der Arbeiterwohlfahrt im Widerstand: Lotte Lemke und Johanna Kirchner, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 346-357. Clarita von Trott zu Solz, Adam von Trott zu Solz. Eine Lebensbeschreibung. Mit einer Einführung von Peter Steinbach. 238 S., Berlin 1994. Ursula Lücking (Hg.), Anna Beyer. Politik ist mein Leben. 292 S., Frankfurt am Main 1991. Die Frankfurter Sozialdemokratin schildert in ihren bebilderten Memoiren die politische Prägung ihres Lebensweges. Breiten Raum nehmen dabei ihre Erfahrung als Widerständlerin in Frankfurt sowie im französischen Exil ein. Die aus einer SPDorientierten Arbeiterfamilie stammende Beyer gehörte dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) an und lebte zeitweise in einer WG. Sehr anschaulich beschreibt sie ihre lebensgefährliche illegale Arbeit bei der sie u.a. mit einem präparierten Koffer den Schriftzug „Nieder mit Hitler!“ auf das Pflaster druckte. Klaus Jürgen Müller, Generaloberst Ludwig Beck – Zentralfigur des nationalkonservativen Widerstandes, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 538-547. Michael Pope, Alfed Delp S. J. im Kreisauer Kreis. Die rechts- und sozial-philosophischen Grundlagen in seinen Konzeptionen für eine Neuordnung Deutschlands. 240 S., Mainz 1994. Heinrich Scheel, Der Gelehrte Werner Krauss und sein Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 498-507. Andreas Schott, Adam von Trott zu Solz: Jurist im Widerstand. Verfassungsrechtliche und staatspolitische Auffassungen im Kreisauer Kreis. 230 S., Paderborn/München/ Wien/Zürich 2001. Axel Ulrich, Konrad Arndt. Ein Wiesbadener Gewerkschafter und Sozialdemokrat im Kampf gegen den Faschismus. 87 S., Wiesbaden 2001. Konrad Arndt, vor 1933 Sekretär beim Wiesbadener Ortsausschuss des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, Führers der Eisernen Front und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Wiesbaden, versuchte noch Anfang 1933 die Kommunisten für den gemeinsamen Kampf mit den Sozialdemokraten gegen die Nationalsozialisten zu gewinnen. Arndt wurde mehrfach von Nazihorden schwer misshandelt und dabei mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. Er verlor sein Stadtverordnetenmandat und nach der Ablehnung der Kooperation mit der DAF auch seine Arbeit. Ulrich bettet die – oft entrüstete – Schilderung von Arndts Verfolgung sowie seines Engagements in die Geschichte der (Wiesbadener) Gewerkschaften und Sozialdemokraten ein. Die Konflikte zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten werden ausführlich vorgestellt. Deutlich werden auch die engen persönlichen Verflechtungen mit anderen Widerstandskämpfern, beispielsweise der Schwägerin Johanna Kirchner. Arndt wurde 1935 wegen angeblicher „fortgesetzter staatsfeindlicher Betätigung“ in die Konzentrationslager Esterwegen, später nach Sachsenhausen verschleppt. Knapp zwei Jahre nach seiner Haftentlassung kam er 1940 unter ungeklärten Umständen bei einem Unfall zu Tode. Sein Sohn Rudi Arndt wurde nach dem Krieg als Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt und Hessischer Minister bekannt. Axel Ulrich, Georg Buch (1903-1995) – ein streitbarer Sozialdemokrat zwischen Widerstand und Wiederaufbau, in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.), Republik, Diktatur und Wiederaufbau. Hessische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Wiesbaden o. J. [1994], S. 116-125. Axel Ulrich, Heinrich Georg Ritzel. Vom antifaschistischen Abwehrkampf im Volksstaat Hessen zu den demokratischen Neuordnungsdiskussionen im Schweizer Exil, in: Renate Knigge-Tesche/Axel Ulrich (Hg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945. Frankfurt am Main 1996, S. 358-373. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 70 5. Rezeptionsgeschichte #Kurt Finker, Der 20. Juli 1944 und die DDR-Geschichtswissenschaft. 20 S., Berlin 1990. Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. 254 S., München 2001. In Kapitel V „Der Remer-Prozess und die Rehabilitierung des 20. Juli“ (S. 97-106) zeichnet der Autor die Geschichte des Prozesses gegen den ehemaligen Wehrmachtsoffizier Otto Ernst Remer nach, der die Widerständler in Wahlveranstaltungen öffentlich als „Verräter“ diffamierte und deren Familienangehörige bedrohte. Er war als Kommandeur des Wachbataillons „Großdeutschland“ 1944 an der Niederschlagung des Umsturzversuchs in Berlin beteiligt gewesen und gehörte nach dem Krieg der neonazistischen Sozialistischen Reichspartei an. Als Generalstaatsanwalt fungierte damals übrigens Fritz Bauer, der wesentlich am Zustandekommen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses ab 1963 beteiligt war. Das Buch ist in Lizenzausgabe aus dem Jahre 2003 gegen geringe Gebühr bei der Bundeszentrale für politische Bildung erhältlich! Jürgen Schmädeke/Peter Steinbach (Hg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler. 1185 S., München/Zürich 3 1994. Der aus einer Konferenz hervorgegangene Sammelband bietet einen Überblick zur westdeutschen und internationalen Widerstandsforschung bis Mitte der 1980er Jahre. Ein zentrales Thema ist, inwieweit die deutsche Gesellschaft zum Widerstand in der Lage war. #Peter Steinbach, Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der zeitgeschichtlichen Auseinandersetzung. 70 S., Berlin 1995. 6. Jugendbücher Lutz van Dick, Der Partisan. 188 S., München 2003. Der Autor schildert den Widerstand in den Ghettos Warschau und Wilna. Theo Engelen, Schatten aus der Vergangenheit. 141 S., München 2001. Es geht um eine Vater-Sohn-Geschichte in den Niederlanden und um Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Willi Fährmann, Unter der Asche die Glut. 563 S., Würzburg 2003. Die Handlung ist im Arbeitermilieu des Ruhrgebiets angesiedelt. Barbara Gehrts, Nie wieder ein Wort davon? 157 S., München 1993. Gehrts erzählt das Geschehen von Widerstand und Verfolgung im Berlin der Jahre 1939-1945. Jean-Pierre Kerloc’h, Die Freunde der Finsternis. 140 S., Weinheim 1995. Eine Résistance-Geschichte, die 1942 in den Katakomben von Paris spielt. Eva-Maria Kohl, Der Koffer mit dem doppelten Boden. 207 S., München 1995. Das Geschehen dreht sich um eine Emigrantenfamilie, die in Frankreich Zuflucht findet. Klaus Kordon, Der erste Frühling. 510 S., Weinheim 1999. Protagonist ist eine Arbeiterfamilie in Berlin während der NS-Zeit. Mark O’Sullivan, Engel ohne Flügel. 175 S., Stuttgart 2001. Im Berlin der Kriegsjahre sieht sich eine „Jugendbande“ politischer Verfolgung ausgesetzt. Bjarne Reuter, Freiheit ist einen Kampf wert. 207 S., Hamburg 2002. Handelt von der Besatzungszeit Dänemarks und dem Widerstand. Harald Roth (Hg.), Widerstand. 255 S., Ravensburg 21994. Ein Jugendsachbuch zum Thema Widerstand. Dieter Schenk, Wie ich Hitler Beine machte. 285 S., München 2003. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 71 Laut Verlag geeignet für Schüler ab der 9. Klasse. Die Handlung ist in Danzig und Warschau um eine weibliche Heldin und ihren patriotischen Vater angesiedelt. Martin Selber, Geheimkurier A. 93 S., Reinbek 2000. Es geht um einen politischen Gefangenen 1939. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 72 Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? Ausgewählte Filme zum Thema Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 73 Die aufgeführten Dokumentar- und Spielfilme sind überwiegend beim Landesfilmdienst Hessen (Frankfurt am Main), bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (Wiesbaden), beim Deutschen Filmzentrum (Bonn) sowie bei Kreis- und Stadtbildstellen leihweise für den nichtgewerblichen Einsatz erhältlich. Für einige Medien sind Bezugsquellen und Bestellnummern bereits angegeben. 1. Allgemeine Darstellungen Sie wollten Hitler töten. Vierteilige ZDF-Dokumentation, jeweils 45 Minuten, Farbe, D, 2004, Regie: Guido Knopp. Teil 1: Der einsame Held (Georg Elser), Teil 2: Verpasste Chancen (Militärischer und ziviler Widerstand), Teil 3: Der Attentäter (Claus Schenk Graf von Stauffenberg), Teil 4: Die letzte Chance (Der Staatsstreich missglückt). Die neue ZDF-Dokumentation berichtet über die vergeblichen Versuche, Adolf Hitler zu töten. Dabei konzentriert sie sich im wesentlichen auf Einzelpersonen, die ihrem eigenen Gewissen folgten. Das gleichnamige Begleitbuch von Guido Knopp erschien im Februar 2004 im Verlag C. Bertelsmann. Il canto sospeso. Chorwerk von Luigi Nono. DVD, etwa 50 Minuten, Farbe, D, 2002, Komposition: Luigi Nono, Interpretation: Berliner Philharmonisches Orchester und Leitung von Claudio Abbado und Rundfunkchor Berlin unter Leitung von Dietrich Knothe, Vorwort: Umberto Eco, Quelle: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Bestellnr.: DVD Video 1. Die Komposition basiert auf Abschiedsbriefen von Anton Popov (Bulgarien), Andreas Likourinos, Elefthèrios Kiossès, Konstantinos Sirbas (Griechenland), Ljubka Schwetzowa, Irina Malozon (Russland), Chaim, Esther Srul (Polen), Eusebio Glambone (Italien) und Elli Voigt (Deutschland). Sie alle waren Widerstandskämpfer oder Verfolgte des NS-Regimes. In der deutschen Fassung werden die Briefe von Susanne Lothar und Bruno Ganz vorgetragen. Fotografien, Zeichnungen und Filmsequenzen vor allem über den Holocaust bilden den Hintergrund zu Texten und Musik. Luigi Nono begriff sein eindrückliches Werk als „Credo für ein Leben in Frieden, Freiheit und Menschlichkeit“. Letzte Briefe. Video, Dokumentarfilm, 7 Minuten, Farbe, D, 1999, Buch und Regie: Hans Sparschuh, Quelle: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Bestellnr.: AV-208. Im Zentrum der Dokumentation stehen die schriftlichen Vermächtnisse von zum Tode Verurteilten Mitgliedern des Widerstands, die in den Zuchthäusern Brandenburg-Görden und Plötzensee inhaftiert waren. Diese werden kontrastiert mit Aufnahmen und Kommentaren aus dem 1942 produzierten Propagandafilm „Arbeit und Strafvollzug im Zuchthaus Brandenburg-Görden“. Zeugnis über die wahren Zustände in dieser Anstalt und die Verzweiflung der Todgeweihten legen Briefe des Gefängnispfarrers Harald Poelchau ab, aus denen zitiert wird. Dem Film liegt ein Materialienheft bei, das Hinweise zu Inhalt, Lernzielen, Didaktik und Hintergrundinformationen, zwei Arbeitsblätter mit Auszügen eines Briefes von Helmut James Graf von Moltke und Namen von zum Tode verurteilten Frauen und Männern sowie Literaturhinweise enthält. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 74 Das unruhige Gewissen. Video, 95 Minuten, Farbe, USA, 1991, Regie: Hava Kohav Beller, FSK ab 0, Quelle: Landesfilmdienst Hessen, Bestellnr.: 99484. Dokumentation über Geisteshaltung, Motivation und Handlungen verschiedener Widerstandsgruppen in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer wird auf Konflikte gelenkt, die aus dem Anspruch persönlicher Verantwortung innerhalb eines totalitären Regimes resultieren. Die Mitläufer. Spielfilm, 95 Minuten, D, 1984, Regie: Eberhard Itzenblitz, FSK ab 12, Prädikat: wertvoll, Produktion: E.M.L. Film- und Fernsehproduktion. In zehn Spielhandlungen werden Alltagssituationen während der NS-Zeit dokumentiert. Im Widerstreit zwischen Zivilcourage einerseits und angepasstem Verhalten, Opportunismus und Gehorsam andererseits geben die verschiedenen Protagonisten den Zuschauern die Möglichkeit, eigene Verhaltensweisen zu hinterfragen. Widerstand in Deutschland. Dokumentation, 81 Minuten, GB/D, 1968, Regie: Lawrence Gordon-Clark, FSK ab 12, Produktion: BBC. Interviews mit Männern und Frauen des deutschen Widerstands. Der Film spürt der Frage nach, warum die demokratischen Kräfte in Deutschland Hitler nicht verhindert haben. 2. Individueller Widerstand Zivilcourage. Video, Dokumentarfilm, Farbe, 7 Minuten, D, 1998, Buch und Regie: Jürgen Weber, Quelle: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Bestellnr.: AV-169 Die Dokumentation stellt Bürger der Stadt Konstanz vor, die während der Zeit des Nationalsozialismus individuell Widerstand leisteten und Juden zur Flucht über die Schweizer Grenze verhalfen. Dabei gingen sie ein hohes persönliches Risiko ein und gefährdeten zum Teil sogar ihr Leben. Dem Film liegt ein Materialienheft bei, das Hinweise zu Inhalt, Lernzielen, Didaktik sowie Hintergrundinformationen, zwei Arbeitsblätter mit Fragestellungen zum Thema Zivilcourage und Literaturhinweise enthält. Schindlers Liste. Video, Spielfilm, 185 Minuten, Farbe, USA, 1993, Regie: Steven Spielberg, FSK ab 12, Prädikat: besonders wertvoll, Quelle: Landesfilmdienst Hessen, Bestellnr.: 99514. Der Fabrikant Oskar Schindler wusste seine guten Beziehungen zu höchsten Funktionären der NSDAP für lukrative Aufträge und seine wirtschaftlichen Interessen zu nutzen. Nachdem er Zeuge einer brutalen Säuberungswelle im Krakauer Ghetto wurde, änderte er seine Haltung: In der Folgezeit wurde die Emailfabrik Schindlers Zufluchtstort für mehr als 1.000 jüdische Arbeiterinnen und Arbeiter, die er dort vor der Willkür des sadistischen KZ-Kommandanten Göth und vor der Deportation schützte. Der Film gibt Anregungen, über die Chancen von Zivilcourage und den Erfolg individuellen Widerstands zu reflektieren. Schlaf der Gerechten. 16 mm, Spielfilm, 111 Minuten, sw, D, 1962, FSK ab 12, R: Rolf Hädrich, Quelle: Landesfilmdienst Hessen, Bestellnr.: 99190. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 75 Eine Geschäftsfrau versucht, jüdische Bürger vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu schützen. Nach der Erzählung „Das Brandopfer“ von Albrecht Goes. 3. 20. Juli 1944 Stauffenberg. Spielfilm, 90 Minuten, Farbe, D, Erstausstrahlung in der ARD am 25. Februar 2004, Regie: Jo Baier, FSK ab 12. Regisseur Jo Baier über den historischen Stoff: „Mich interessiert das Attentat, weil es dabei um Zivilcourage geht, weil es um Menschen geht, die für ihre Überzeugung ihr Leben hingegeben haben.“ (tv Hören und Sehen, Nr. 8, 21.-27. Februar 2004, S. 70). Claus Graf von Stauffenberg. Das Vermächtnis des Attentats. 16 mm, 24 Minuten, Farbe, D, 1990, FSK ab 0, Quelle: Landesfilmdienst Hessen, Bestellnr.: 1685. Das Porträt wurde zum 80. Geburtstag von Stauffenbergs erarbeitet, beschreibt Leben wie Handlungsmotivation des Widerstandskämpfers und enthält Originalaufnahmen der Gerichtsverhandlung über andere Attentäter des „20. Juli“. Mit einer Laudatio von Helmut Kohl. Der 20. Juli vor dem Volksgerichtshof. Video, 37 Minuten, Farbe, D, 1955, FSK ab 0, Quelle: Landesfilmdienst Hessen, Bestellnr.: 99494. Szenen aus dem auf Befehl Hitlers hergestellten Film über die Prozesse gegen die Attentäter vom 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof unter der Präsidentschaft Roland Freislers. Der 20. Juli. 35 mm, Spielfilm, 97 Minuten, sw, D, 1955, Regie: Falk Harnack, FSK keine Angabe, Quelle: CCC-Filmkunst GmbH, Berlin. Der Film beginnt im Jahr 1955 am Gedenkstein im Hof des ehemaligen Gebäudes des Oberkommandos der Wehrmacht in der Bendlerstraße, wo ein elf Jahre zuvor am Widerstand beteiligtes Paar der Toten gedenkt und sich an die Ereignisse rund um den 20. Juli 1944 erinnert. 4. Kirchlicher Widerstand Assisi Untergrund. Spielfilm, 109 Minuten, Farbe, USA, 1984, Regie: Alexander Ramati, FSK ab 12, Prädikat: wertvoll, Produktion: Golan Global Production. Schauplatz der Handlung ist die italienische Stadt Assisi am 10. September 1943. Franziskanerpater Rufino erhält den lebensgefährlichen Auftrag, jüdische Flüchtlinge in von Alliierten besetztes Gebiet zu bringen, um sie vor dem mörderischen Zugriff der SS zu retten. Zwei Tage von vielen. 16 mm, Spielfilm, 69 Minuten, sw, D, 1964, Regie: Ralph Lothar, FSK ab 0, Quelle: Landesfilmdienst Hessen, Bestellnr.: 1379. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 76 Berlin 1941: Die Verhaftungen und Deportationen von Juden beginnen. Der Leiterin des bischöflichen Diözesanhilfswerkes Dr. Landmann geling es, viele der Verfolgten zu retten. 5. Weiße Rose Weiße Rose. Video, Dokumentarfilm, Farbe, 7 Minuten, D, 1999, Buch und Regie: Katrin Kramer/Heinz Richter, Quelle: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Bestellnr.: AV-205. Die Dokumentation beginnt mit einer Beschreibung der Verhaftung und Verurteilung von Mitgliedern der Weißen Rose. Im Rückblick werden die Vorgeschichte der Widerstandsgruppe erzählt und die Biografien ihrer Protagonisten vorgestellt. Der Zeitzeuge Franz Müller berichtet über Ideale und Überzeugungen von Jugendlichen, die gegen Hitler opponierten. Eine seiner zentralen Fragen lautet: „Wie gewinnt man in einer Diktatur die Gleichgültigen und Ängstlichen, sich am Widerstand zu beteiligen?“ Die Aufnahmen entstanden im Gedenkmuseum Weiße Rose in der Münchener Universität. Dem Film liegt ein Materialienheft bei, das Hinweise zu Inhalt, Lernzielen, Didaktik sowie Hintergrundinformationen, Texte von Flugblättern der Weißen Rose und Literaturhinweise enthält. Die weiße Rose. Video, Spielfilm, 123 Minuten, Farbe, D, 1982, Regie: Michael Verhoeven, FSK ab 12, Quelle: Landesfilmdienst Hessen, Bestellnr.: 500333. Die Geschwister Hans und Sophie Scholl studieren an der Universität München. Sie begründen die Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“. Nach der Niederlage von Stalingrad im Januar 1943 verteilen sie in den Hörsälen ein Flugblatt, das sie auch in den Lichthof der Universität warfen. Darin rufen die Unterzeichner zum Sturz Hitlers auf. Aufgrund einer Denunziation durch den Hausmeister werden die Geschwister von der Geheimen Staatspolizei verhaftet und durch den berüchtigten Präsidenten des Volksgerichthofes Roland Freisler zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung wird am 22. Februar 1943 vollstreckt. 6. Politischer Widerstand Carlo Mierendorff. Video, Dokumentarfilm, Farbe, 8 Minuten, D, 1999, Buch und Regie: Alfred Viktor Jungraithmayr, Quelle: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Bestellnr.: AV-228. Die Dokumentation zeigt Stationen aus dem politischen Leben Carlo Mierendorffs, eine der führenden Persönlichkeiten des sozialdemokratischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus sowie im Kreisauer Kreis, ergänzt um Erinnerungen der Witwe Adolf Reichweins, ebenfalls Mitglied des Kreisauer Kreises und 1944 in Plötzensee hingerichtet. Der Regisseur thematisiert auch die wichtigsten Anliegen des Kreises, nämlich den Widerstand zu organisieren und zu vernetzen sowie ihren Beitrag für ein demokratisches Deutschland nach Hitler zu leisten. Dem Film liegt ein Materialienheft bei, das Hinweise zu Inhalt, Lernzielen, Didaktik sowie Hintergrundinformationen, den Aufruf Mierendorffs „Sozialistische Aktion“ vom 14. Juni 1943, ein Arbeitsblatt mit Fragestellungen zum Thema Widerstand und Literaturhinweise enthält. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (5): 1933-1949. Video, Dokumentation, 15 Minuten, Farbe, D, 1988, FSK ab 0, Quelle: Landesfilmdienst Hessen, Bestellnr.: 99562. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 77 Dokumentation über Rolle, Verfolgung und Widerstand Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften ab 1933. von Mitgliedern Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? der 78 6. Widerstand in Konzentrationslagern Requiem für 500.000. 16 mm, Dokumentation, 29 Minuten, sw, Pl, 1963, Regie: Jerzy Bossak, FSK ab 0, Quelle: Landesfilmdienst Hessen, Bestellnr.: 99026. Dokumentation zum 20. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto 1943. Dort wurden etwa 500.000 Menschen auf engstem Raum zusammen gedrängt, und die meisten von ihnen aus dem Ghetto direkt in die Vernichtungslager verschleppt. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 79 Weiterführende Internetadressen www.hlz.de Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Wiesbaden. Kostenloser Verleih von Büchern und Medien sowie Versand von Publikationen gegen geringe Kostenbeteiligung. www.gdw-berlin.de Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand bietet im Netz neben Einblicken in ihre Ausstellungen unter anderem Recherchemöglichkeiten in der Bibliothek, downloads von Literatur zum Widerstand und Kurzbiografien von Widerstandskämpfern. www.gedenkstaette-ploetzensee.de Das Internetportal der Gedenkstätte beinhaltet die zwölf Tafeln der Dauerausstellung, darunter auch Informationen zu den in Plötzensee ermordeten Widerstandskämpfern der Roten Kapelle sowie des 20. Juli 1944. Außerdem werden eine Literaturliste und der Katalog als pdf-Datei zum download angeboten. www.frankfurt1933-1945.de Hinter dem Punkt „Beiträge“ verbirgt sich auch die Unterkategorie „Widerstand“, in der wiederum zahlreiche Texte zum Widerstand in Frankfurt, seinen Treffpunkten und Protagonisten zu finden sind. Außerdem gibt die Seite Hinweise auf Zeitzeugeninterviews auf Video oder Film sowie die verwahrende Institution. Gut für die eigenständige regionalhistorische Annäherung an das Thema geeignet. www.cine-holocaust.de Projekt Datenbank Cinematographie des Holocaust im Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main. Kein Verleih, dafür ausführlichste Angaben zu Credits, Inhalt, Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von Spiel- und Dokumentarfilmen, die das Thema Holocaust berühren. www.jugendnetz-ffm.de/muk Landesfilmdienst Hessen, Frankfurt am Main. Meist kostenloser Film- und Vorführgeräteverleih bei Präsentationen zu nichtgewerblichen Zwecken. Recherchemöglichkeit nach Schlagworten. Bestellungen sind telefonisch, per Fax oder Internet möglich. www.murnau-stiftung.de Filmarchiv der Friedrich Wilhelm Murnau-Stiftung, Wiesbaden. Kein Verleih, aber Möglichkeit der Filmsichtung vor Ort als Kino- oder Videovorführung. www.shoah.de Deutschsprachiges Internetportal zum Thema Shoah und Holocaust, initiiert von dem Förderverein Aktion Kinder des Holocaust. www.nonoprojekte.de Informationen über das Chorwerk Luigi Nonmos „Il canto sospeso“ und anderes. www.nationalsozialismus.de Die Seite bietet beim Unterpunkt „Widerstand“ 33 Links, die teilweise auf empfehlenswerte Seiten führen. Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 80 Impressum Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? Materialien für Lehrerinnen und Lehrer zur Vorbereitung auf den Wettbewerb Herausgeber: Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Wiesbaden) und Gemeinnützige Hertie-Stiftung (Frankfurt am Main) Konzept: Elisabeth Abendroth (Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst) Ansgar Kemmann (Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Frankfurt am Main) Heike Drummer und Jutta Zwilling (beide zeitsprung. Kontor für Geschichte, Frankfurt am Main) Redaktion: Elisabeth Abendroth, Ansgar Kemmann, Heike Drummer und Jutta Zwilling Einleitung, Kurzbiografien, Literatur- und Filmauswahl, Internetadressen: Heike Drummer und Jutta Zwilling Alle Rechte vorbehalten. Die Rechte für die Texte liegen bei den Autorinnen und Autoren. Wiesbaden, März 2004 Jugend debattiert: Was bedeutet uns der Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute? 81