Reisen und Mobilität in der Antike

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Universität Regensburg
Lehrstuhl für Alte Geschichte
Dr. Babett Edelmann
Wintersemester 2007/08
Do 10-12
Quellentexte zur Übung
Reisen und Mobilität in der Antike
1. Apollonios von Rhodos, Das Argonautenepos
I 233 – I 249
Als nun von den Dienern alles bereitgestellt worden war, womit man Ruderschiffe im Innern
ausrüstet, wenn Männer gezwungen sind, über das Meer zu fahren, da gingen sie durch die
Stadt zum Schiff; die Küste dort wird Magnesisches Pagasai genannt. Um sie herum lief eine
dicht gedrängte Volksmenge zusammen; die Helden aber stachen daraus hervor wie funkelnde
Sterne zwischen den Wolken. Ein jeder, der sie in ihren Waffen dahineilen sah, sprach
folgendermaßen: "Herrscher Zeus, was hat Pelias im Sinn? Wohin schickt er eine so große
Schar von Helden fort aus ganz Achaia? Am selben Tag, an dem sie ankommen, könnten sie
den Palast des Aietes in verzehrendem Feuer verbrennen, wenn er ihnen das Fell nicht
freiwillig aushändigt. Doch die Reise ist gefährlich, eine fast aussichtslose Aufgabe für die,
die die Fahrt unternehmen."
So sprach man hier und da in der Stadt. Die Frauen aber erhoben oftmals ihre Hände zum
Himmel und flehten zu den Unsterblichen, sie möchten ein glückliches Ende der Reise
gewähren. Da sprach die eine weinend und klagend zur anderen: "Arme Alkimede, auch dich
hat das Unglück getroffen, wenn auch sehr spät, und du konntest dein Leben nicht glanzvoll
beenden. Auch Aison hat ein sehr schlimmes Schicksal: Wahrlich, es wäre besser für ihn,
wenn er schon in Leichengewänder gehüllt unter der Erde läge und von diesen schlimmen
Prüfungen nichts mehr wüsste. Wenn doch, als die Jungfrau Helle umkam, eine dunkle Woge
auch den Phrixos samt dem Widder unter sich begraben hätte! Doch das schlimme Untier ließ
sogar eine menschliche Stimme ertönen, um Alkimede noch viel später Leid und unzählige
Schmerzen zu bereiten."
I 304-449
So sprach er und verließ umgehend das Haus, um zur Fahrt aufzubrechen. Wie ApolIon aus
seinem von Düften erfüllten Tempel durch das heilige Delos oder Klaros oder auch durch
Pytho oder das an den Ufern des Xanthos gelegene weite Lykien schreitet: So schritt Jason
durch die Volksmenge, und wie aus einem Mund erscholl ermunternder Zuruf. Da begegnete
ihm die alte Iphias, die Priesterin der städtebeschirmenden Artemis, und küsste ihm die rechte
Hand; doch sie konnte, sosehr sie es wollte, nichts zu ihm sagen, da die Menge vorwärts
strebte; sie, die Alte, wurde dort von den Jüngeren beiseite gedrängt und zurückgelassen.
Jason aber entschwand in weite Ferne.
Nachdem er aber die gut befestigten Straßen der Stadt hinter sich gelassen hatte, kam er zur
Küste von Pagasai, wo ihn die Gefährten empfingen, die gemeinsam bei der Argo warteten.
Er trat auf die Rampe, die anderen versammelten sich gegenüber. Da bemerkten sie Akastos
und Argos, die zusammen aus der Stadt herabkamen, und wunderten sich, als sie sie sahen, da
sie gegen den Willen des Pelias in aller Eile aufgebrochen waren. Der eine, der Arestoride
Argos, hatte ein Stierfell mit dunklen Zotteln, das bis auf die Füße reichte, um die Schultern
gelegt, der andere einen schönen Mantel, den ihm seine Schwester Pelopeia geschenkt hatte.
Dennoch aber hielt Jason sich zurück, die beiden im einzelnen auszufragen, sondern forderte
die Gefährten auf, sich zu gemeinsamer Beratung niederzulassen. Sie setzten sich alle
nebeneinander an Ort und Stelle auf die zusammengerollten Segel und den umgelegten
Mastbaum, und der Sohn des Aison sprach zu ihnen die klugen Worte: "Alles, was zur
Ausrüstung eines Schiffe gehört, liegt ganz vorschriftsmäßig zur Abfahrt bereit; deshalb
sollten wir uns nicht mehr lange Zeit mit dem Auslaufen lassen, sofern nur günstige Winde
wehen. Jetzt, Freunde, da wir später wieder gemeinsam nach Hellas zurückkehren wollen und
nun gemeinsam zum Land des Aietes fahren, wählt ganz unparteiisch den Besten von uns
zum Anführer, der für alles die Verantwortung tragen und insbesondere entscheiden soll, ob
man mit den Fremden Krieg beginnt oder Verträge schließt."
So sprach er. Die jungen Leute blickten fragend auf den kühnen Herakles, der mitten unter
ihnen saß, und alle forderten ihn einstimmig auf, das Kommando zu übernehmen; der aber
blieb auf seinem Platz sitzen, streckte die rechte Hand aus und sagte: "Keiner soll mir dieses
Ehrenamt antragen, denn ich werde es nicht annehmen, wie ich es auch verhindern werde,
dass ein anderer sich zur Wahl stellt: Derselbe, der uns zusammenrief, soll auch unsere Schar
anführen." So also sprach er edelmütig, und sie stimmten der Aufforderung des Herakles zu.
Voller Kampfeseifer sprang Jason selbst freudig auf und sprach folgendes zu den
ungeduldigen Gefährten: "Wenn ihr mir also wirklich dieses Ehrenamt anvertrauen wollt,
dann soll die Fahrt sich - wie auch schon früher gesagt - nicht länger verzögern. Lasst uns
jetzt rasch ein Mahl bereiten und Phoibos mit Opfern gnädig stimmen! Solange die Knechte,
die mir die Ställe beaufsichtigen, unterwegs sind, um Rinder sorgfältig aus der Herde
auszuwählen und hierherzutreiben, wollen wir in der Zwischenzeit das Schiff ins Meer
ziehen; wenn ihr die gesamte Ausrüstung eingeladen habt, könnt ihr die Plätze an den
Ruderbänken verlosen. Danach wiederum wollen wir Apollon als dem Gott der Seefahrt am
Ufer einen Altar errichten, da er mir in einem Orakel versprach, den Weg über das Meer
durch Zeichen zu weisen, falls ich mit Opfern für ihn die Fahrt im Auftrag des Königs
begänne."
So also sprach er und machte sich als erster ans Werk; die anderen folgten seiner
Aufforderung und erhoben sich ebenfalls. Ihre Kleider legten sie ab und stapelten sie auf
einem glatten Felsen, den das Meer nicht mit seinen Wogen erreichte, den aber früher einmal
die winterliche Salzflut abgespült hatte. Zuerst umgürteten sie auf Anweisung des Argos das
Schiff straff mit gut in sich gedrehten Tauen und zurrten sie auf beiden Seiten fest, damit die
Balken sich mit den Bolzen gut ineinanderfügten und der andrängenden Gewalt des Wassers
standhielten. Sie gruben sogleich eine Fahrrinne, so breit wie der Raum, den das Schiff
einnahm, und zwar vom Bug bis zum Meer, so weit, wie das Schiff, von ihren Händen
geschoben, rollen sollte. Ohne Verzug gruben sie dann nach und nach tiefer unter den
Vordersteven und legten in der Rinne geglättete Walzen aus. Sie ließen das Schiff sich nach
vorn auf die vordersten Walzen neigen, damit es sich, auf ihnen herabgleitend, vorwärts
bewege. Die Ruder, die eine Elle weit hervorstanden, drehten sie auf beiden Seiten in die
Höhe und banden sie an den Ruderpflöcken fest. Sie selbst stellten sich in den
Zwischenräumen zu beiden Seiten auf und stemmten sich mit Brust und Händen gegen das
Schiff. Tiphys ging an Bord, um den jungen Männern das Kommando zu geben, wann sie
schieben sollten. Laut rufend gab er das Zeichen, die aber stemmten sich mit ihrer ganzen
Kraft dagegen und stießen das Schiff von unten mit einem einzigen Schwung von seinem
Platz. Sie fühlten neue Kraft in ihren Füßen und trieben es Stück für Stück vorwärts: Da
folgte ihnen die Pelische Argo ganz leicht, während sie auf beiden Seiten jeden Ruck mit
lautem Schreien begleiteten. Die gewaltigen Walzen knirschten unter der Last des Kiels, und
infolge der Reibung stieg ringsum dunkler Qualm empor. So glitt das Schiff ins Meer. Es
schoss nach vorn, die aber hielten es mit Seilen an Ort und Stelle zurück. An den
Ruderpflöcken richteten sie die Ruder ein und brachten den Mastbaum, gut gefertigte Segel
sowie Reiseproviant an Bord. Nachdem sie alles im einzelnen umsichtig besorgt hatten, losten
sie zuerst die Ruderplätze aus, wobei sich jeweils zwei Mann auf einer Bank einrichteten. Die
mittlere behielten sie dem Herakles und - getrennt von den übrigen Helden - dem Ankaios
vor, der die Stadt Tegea bewohnte: Diesen allein überließen sie die mittlere Ruderbank direkt,
ohne Los; die Aufgabe, das Steuerruder des gut laufenden Schiffs zu führen, vertrauten sie
einstimmig dem Tiphys an.
Dann wiederum trugen sie Kieselsteine vom Strand zusammen und errichteten dort am Ufer
einen Altar, Apollon als dem Küstenbeschützer und dem Gott der Seefahrt geweiht. Darauf
schichteten sie rasch Scheite trockenen Ölbaumholzes. Unterdessen hatten die Hirten des
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Aisoniden zwei Rinder von der Herde herbeigeführt; die jüngeren der Gefährten schleppten
sie in die Nähe des Altars, dann brachten sie Weihwasser und Opfergerste. Jason aber rief den
heimischen Apollon an und betete: "Höre mich, Herr, der du Pagasai und die Stadt Aisonis,
die nach meinem Vater benannt ist, bewohnst! Du hast mir ja, als ich dein Orakel in Pytho
befragte, versprochen, zu zeigen, wie ich den Weg vollenden und ans Ziel gelangen kann; du
selbst hast ja das Unternehmen veranlasst. Du selbst nun lenke das Schiff mit den Gefährten
unversehrt dorthin und wieder zurück nach Hellas. Später werden wir dir dann entsprechend
der Zahl der Heimgekehrten prächtige Stieropfer, wiederum auf diesem Altar, darbringen;
andere reichliche Gaben werde ich dir nach Pytho, andere nach Ortygia schicken. Nun aber
komm, Ferntreffer, und nimm dieses Opfer von uns an, das wir dir zuallererst als Fährgeld für
dieses Schiff darbringen. Möge ich, Herr, zu einem günstigen Schicksal die Taue lösen, von
deinem Rat begleitet; ein sanfter Wind möge wehen, mit dem wir bei gutem Wetter über das
Meer segeln können!"
So sprach er, und beim Beten warf er die Opfergerste. Zum Opfer der Rinder gürteten sich
zwei, der starke Ankaios und Herakles. Dieser nun schlug dem Rind mit der Keule mitten
aufs Haupt zwischen die Stirn, es brach auf der Stelle zusammen und fiel schwer zu Boden.
Ankaios aber schlug mit seiner ehernen Axt auf den breiten Nacken des anderen und trennte
die starken Sehnen durch; taumelnd fiel es auf beide Hörner. Eilig nun schlachteten die
Gefährten die Rinder, häuteten sie ab, zerlegten sie mit Hieben und schnitten die geweihten
Schenkelstücke ab; diese alle umwickelten sie dicht mit einer Fettschicht und verbrannten sie
auf den Scheiten; der Aisonide goss ungemischte Trankspenden aus. Idmon aber freute sich,
als er den vom Opfer in alle Richtungen leuchtenden Feuerschein sah und den Rauch, der sich
daraus in rötlichen Windungen schicksalverheißend erhob; sogleich verkündete er
wahrheitsgemäß den Willen des Sohnes der Leto: "Euch haben die Schicksalssprüche der
Götter bestimmt, das Vlies hierherzubringen; in der Zwischenzeit aber warten unendliche
Mühen auf euch, sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt. Mir jedoch ist es durch die
grausame Fügung einer Gottheit bestimmt, irgendwo in der Ferne auf dem kleinasiatischen
Festland zu sterben. Obwohl ich so durch unheilverkündende Vogelzeichen auch schon
vorher um mein Todesschicksal wusste, habe ich meine Heimat verlassen, um das Schiff zu
besteigen und dadurch meiner Familie ein ruhmvolles Andenken zu hinterlassen."
II 537-647
Athene jedoch blieb es nicht verborgen, dass sie ihre Fahrt fortsetzten. Sogleich bestieg sie
eilends mit den Füßen eine leichte Wolke, die sie trotz ihres Gewichts schnell befördern
konnte, und eilte zum Pontos; sie wollte den Ruderern helfen. Wie wenn ein Mann, aus der
Heimat vertrieben, umherirrt - wie ja oft wir leidgeprüften Menschen verschlagen werden,
wobei kein Land zu entfernt ist und alle Wege dem Blick offenstehen - und an sein Haus
denkt, während sich ihm zugleich die Wege über Meer und Land zeigen, und er seinen
scharfen Blick unruhig bald hierhin, bald dorthin schweifen lässt: So schnell also flog die
Tochter des Zeus hinab und setzte ihren Fuß auf das unwirtliche Gestade der Thyner.
Als die Helden nun zu der gewundenen Meerenge kamen, die auf beiden Seiten von schroffen
Felsen begrenzt ist, riss eine wirbelnde Strömung von unten das fahrende Schiff mit sich, und
durch den Wogenschwall kamen sie weit nach vorn. Schon traf das Dröhnen der
zusammenprallenden Felsen unablässig ihre Ohren, und es brüllten die meerumspülten Ufer:
Da nun erhob sich Euphemos, die Taube fest in der Hand haltend, um auf das Vorderdeck zu
steigen, während die Gefährten auf Anordnung des Hagniaden Tiphys sich mit Eifer in die
Riemen legten, um jetzt, im Vertrauen auf ihre Kraft, durch die Felsen zu rudern. Als sie um
die letzte Krümmung bogen, sahen sie plötzlich die sich öffnenden Felsen, und der Mut
verließ sie. Euphemos aber ließ die Taube sich auf ihren Flügeln davonschwingen, jene aber
hoben alle zusammen den Kopf, um ihr nachzublicken; die Taube flog durch die Felsen.
Diese beiden trieben dröhnend wieder gegeneinander; gewaltig erhob sich die kochende
Gischt wie eine Wolke; schrecklich brüllte das Meer, und weithin dröhnte der gewaltige
Äther. Die Hohlräume unter den schroffen Klippen brausten vom einströmenden Wasser, und
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der weiße Schaum der sich brechenden Wogen spritzte bis hoch auf das Ufer. Da erfasste die
Strömung das Schiff von allen Seiten - inzwischen kappten die Felsen die äußersten Enden
der Schwanzfeder der Taube, die selbst unversehrt entkam. Da jauchzten die Ruderer laut auf.
Tiphys aber schrie ihnen zu, sie sollten aus Leibeskräften rudern, denn die Felsen begannen
sich schon wieder zu öffnen. Zitternd vor Furcht ruderten sie weiter, bis derselbe Sog wieder
einsetzte und die Strömung das Schiff zwischen die Felsen hinabzog. Da erfasste alle blankes
Entsetzen, denn über ihrem Haupt schwebte das unentrinnbare Verderben. Schon war hier
und dort der breite Pontos zu sehen, als plötzlich vor ihnen ein gewaltiger Wellenberg
auftauchte, einer steilen Felswand gleichend. Als sie ihn sahen, duckten sie sich mit den
Köpfen zur Seite, denn er drohte herabzustürzen und das ganze Schiff unter sich zu begraben;
Tiphys aber kam ihm zuvor, indem er das unter den Ruderschlägen ächzende Schiff ein Stück
gleiten ließ. Dadurch rollte der größte Teil der Woge unter dem Kiel her. Dann aber hob sie
das Schiff vom Heck her in die Höhe und trug es oben auf ihrem Kamm mit sich von den
Felsen weg. Euphemos aber ging durch sämtliche Reihen der Gefährten und feuerte sie an,
sich mit aller Kraft in die Riemen zu legen; die aber schlugen unter rhythmischem Rufen die
Flut. So weit aber das Schiff den Rudern nachgab, zweimal so weit trieb es wieder zurück; die
Ruder bogen sich unter der gewaltigen Kraft der Helden, so dass sie gekrümmten Bogen
glichen. Da kam erneut eine sich brechende Woge heran, das Schiff aber rollte auf der
riesigen Welle wie auf einer Walze, vornübergeneigt, dem Wellental entgegen. Mitten
zwischen den Symplegaden aber ergriff die wirbelnde Strömung das Schiff, die Felsen
näherten sich dröhnend von beiden Seiten, und das Schiff saß fest. Da drückte Athene mit der
Linken kräftig einen Felsen zurück und stieß mit der Rechten das Schiff, damit es ganz
hindurchfuhr; dies aber schoss wie ein gefiederter Pfeil durch die Luft. Dennoch rissen die
Felsen, die unerbittlich gegeneinanderprallten, das äußerste Ende des Aufbaus am Heck ab.
Athene ihrerseits schwang sich hinauf zum Olymp, als sie unversehrt entronnen waren. Die
Felsen aber blieben nahe beieinander an einem Ort unbeweglich verwurzelt: Das war ja von
den Göttern bestimmt, wenn einer sehenden Auges mit dem Schiff hindurchführe.
Die Helden aber, eben noch von grausiger Angst geschüttelt, atmeten jetzt sicherlich auf und
blickten ringsum in den Himmel und zugleich auf das weithin offen daliegende Meer: Sie
glaubten ja, sie wären dem Hades entronnen. Da begann Tiphys als erster mit folgenden
Worten: "Ich hoffe, dass wir und das Schiff dies nun endgültig überstanden haben! Kein
anderer aber hat so sehr Anteil daran wie Athene, die dem Schiff göttliche Kraft einhauchte,
als Argos es mit Bolzen zusammenzimmerte: Es ist ihm nicht bestimmt, zerstört zu werden.
Sohn des Aison, da ein Gott uns den Felsen entkommen ließ, fürchte dich nicht mehr so sehr
vor diesem Auftrag deines Königs! Der Agenoride Phineus sagte ja, dass hiernach leichtere
Aufgaben zu erfüllen seien. " So sprach er und setzte sogleich das Schiff in Bewegung,
entlang der bithynischen Küste, geradewegs mitten durch das Meer. Jason aber antwortete
ihm mit freundlichen Worten: "Tiphys, warum versuchst du mich zu trösten, der ich darüber
bekümmert bin? Ich habe gefehlt und einen schlimmen, nicht wiedergutzumachenden Frevel
begangen. Denn ich hätte mich sogleich, als Pelias es mir befahl, dieser Fahrt strikt
verweigern müssen, selbst wenn ich, unbarmherzig in Stücke gerissen, hätte sterben müssen.
Jetzt aber habe ich mir übergroße Furcht und unerträgliche Sorgen aufgebürdet: Ich fürchte
mich, die eisigen Pfade des Meeres mit dem Schiff zu durchfahren, ich fürchte mich, wenn
wir an Land gehen, denn überall gibt es feindliche Männer. Jede Nacht durchwache ich
stöhnend bis zum Morgen und bedenke alles im einzelnen, seitdem ihr euch damals
meinetwegen versammelt habt. Du hast leicht reden, da du dir nur um dein eigenes Leben
Sorgen machen musst! Ich dagegen sorge mich um das meine nicht im geringsten, wohl aber
fürchte ich um den einen wie den anderen, um dich und um die anderen Gefährten, ob ich
euch heil nach Hellas zurückbringen kann."
So sprach er, um die Helden auf die Probe zu stellen. Die aber protestierten lauthals mit
mutigen Reden. Da freute sich Jason im Herzen über ihren Zuspruch und ergriff erneut das
Wort, doch diesmal ohne Verstellung: "Ach Freunde, an eurer Stärke wächst mein Mut!
Deshalb wird mich in Zukunft keine Furcht mehr lähmen, selbst wenn ich durch die
Abgründe des Hades führe, sofern ihr nur in schlimmen Gefahren unerschütterlich seid. Doch
nachdem wir den Symplegaden glücklich entronnen sind, wird uns, glaube ich, später kein
weiterer solcher Schrecken mehr bevorstehen, falls wir wirklich auf unserer Fahrt die
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Anweisungen des Phineus befolgen."
III, 6-166
So nun, im dichten Schilf verborgen, verharrten die Helden in ihrem Versteck. Nur Hera und
Athene bemerkten sie; ohne Wissen der anderen unsterblichen Götter und selbst des Zeus
gingen sie in ein Zimmer und berieten. Zunächst wollte Hera Athenes Meinung erfahren:
"Mach du nun als erste, Tochter des Zeus, einen Vorschlag! Was ist zu tun? Willst du
irgendeine List ersinnen, mit der sie vielleicht das Goldene Vlies des Aietes an sich nehmen
und nach Hellas bringen können, oder sollen sie versuchen, ihn mit schmeichelnden Worten
zu überreden? Denn er ist zwar äußerst gewalttätig, doch darf man vor einem Versuch nicht
zurückschrecken." So sprach sie, ihr aber entgegnete sogleich Athene: "Hera, du fragst mich
ohne Umschweife, was ich auch selbst im Geist erwäge! Doch es kommt mir noch keine List
in den Sinn, die den Helden nützen könnte - und dabei habe ich schon viele Pläne erwogen."
So sprach sie, und beide hefteten ihren Blick auf den Boden zu ihren Füßen, voller Zweifel
bei sich hin und her überlegend.
Schließlich kam Hera als erste auf eine Idee und ließ folgenden Vorschlag vernehmen: "Auf,
lass uns zu Kypris gehen! Wir wollen uns beide an sie wenden und sie auffordern, ihrem Sohn
- sofern er folgsam ist - zu sagen, er solle die zauberkundige Tochter des Aietes mit seinen
Geschossen treffen und in Liebe zu Jason entbrennen lassen: Dann wird er, so glaube ich, mit
Hilfe ihrer Ratschläge das Vlies zurück nach Hellas bringen." So also sprach sie. Athene
gefiel der kluge Plan, und sie antwortete ihr gleich darauf mit freundlichen Worten: "Hera,
unkundig der Geschosse des Eros brachte mich mein Vater zur Welt, und irgendein
betörendes Verlangen der Sehnsucht kenne ich nicht. Wenn dir selbst aber der Plan gefällt,
will ich gern folgen; du aber solltest wohl besser das Wort führen bei der Begegnung!"
So sprach sie; da erhoben sie sich rasch und gingen zum Palast der Kypris: Ihr hinkender
Gatte hatte ihn für sie gebaut, gleich nachdem er sie aus dem Haus des Zeus als Gattin
heimgeführt hatte. Sie gingen durch den Hof und traten in den Vorraum des Schlafgemachs,
wo die Göttin das Bett des Hephaistos zurechtzumachen pflegte. Dieser war in der Frühe zu
Schmiede und Amboss gegangen, tief in das Innere der Plankteninsel, wo er allerlei
Kunstvolles in funkensprühendem Feuer schmiedete. Sie aber, allein zu Hause, saß auf einem
gedrechselten Stuhl gegenüber der Tür und war dabei, ihr Haar, das zu beiden Seiten auf ihre
weißen Schultern herabfiel, mit einem goldenen Kamm zu ordnen: Sie wollte sich die langen
Locken flechten. Als sie die beiden im Vorraum sah, hielt sie inne, rief sie hinein und erhob
sich von ihrem Stuhl; sie ließ sie in Sesseln Platz nehmen und setzte sich dann auch selbst,
wobei sie mit ihren Händen die ungekämmten Haare hochband. Lächelnd begrüßte sie sie mit
ironisch-freundlichen Worten: "Ihr Lieben, welche Absicht und welches Verlangen führt euch
hierher nach so langer Zeit? Warum kommt ihr beiden, die ihr mich doch früher nicht gerade
oft besucht habt? Denn ihr seid ja die ersten unter den Göttinnen."
Ihr antwortete Hera mit folgenden Worten und sagte: "Du spottest! Uns beiden aber nagt
quälende Sorge im Herzen. Denn schon macht der Aisonide im Phasis sein Schiff fest, er und
die anderen, die ihm wegen des Vlieses folgen. Da die Sache jetzt nahe bevorsteht, sind wir
um sie alle in furchtbarer Sorge, um den Aisoniden aber am meisten. Den würde ich, selbst
wenn er zu Schiff in den Hades führe, um dort unten Ixion von seinen ehernen Fesseln zu
lösen, erretten, soviel mir nur Kraft in den Gliedern wäre, damit nur Pelias nicht, dem
schlimmen Unheil entronnen, frohlockte; denn dieser hat mich in seiner Überheblichkeit beim
Opfern nicht mit Ehren bedacht. Im übrigen war Jason mir auch früher schon sehr lieb,
seitdem er mir an der Mündung des stark angeschwollenen Anauros begegnete, als ich den
rechten Sinn der Menschen auf die Probe stellte; er kam gerade von der Jagd zurück. Mit
Schnee waren alle Berge und Höhen weithin bedeckt, von ihnen stürzten reißende Gießbäche
mit Getöse herab. In Gestalt einer Greisin erweckte ich sein Mitleid, und er hob mich hoch
und trug mich auf seinen Schultern ganz durch das reißende Wasser. Daher wird er von mir
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beständig in Ehren gehalten. Außerdem würde Pelias nicht seine Schandtat büßen, wenn du
nicht Jason die Heimkehr ermöglichtest."
So sprach sie, Kypris aber fehlten die Worte. Voller Ehrfurcht sah sie, dass Hera gerade sie
anflehte, und sagte schließlich zu ihr mit freundlichen Worten: "Ehrwürdige Göttin, es soll für
dich nichts Verächtlicheres geben als Kypris, wenn ich jemals dein Verlangen missachte, sei
es in Wort oder Tat, sofern diese schwachen Hände etwas vermögen. Und ich will auch keine
Gegenleistung verlangen." So sprach sie, Hera aber wiederum sagte besänftigend: "Wir
kommen nicht mit dem Verlangen nach Gewalt oder der Kraft von Händen, sondern du sollst
einfach nur deinem Sohn auftragen, die Tochter des Aietes mit Sehnsucht nach dem
Aisoniden zu erfüllen. Denn wenn jene ihm nur wohlwollend rät, wird er das goldene Fell, so
glaube ich, leicht erbeuten und damit nach Jolkos heimkehren, denn sie ist in Listen bewandert." So also sprach sie. Kypris aber gab den beiden zur Antwort: "Hera, Athene, euch dürfte
er wohl weit eher gehorchen als mir. Denn vor euch wird noch ein Funken Scheu in seinem
Blick sein, während er sonst keinerlei Scheu kennt. Denn vor mir hat er keine Achtung,
sondern streitet ständig in geringschätziger Weise. Ich hatte, seiner Bosheit überdrüssig, sogar
gedroht, ihm vor aller Augen seine unheilvollen Pfeile mitsamt dem Bogen wegzunehmen.
Daraufhin drohte er mir zornig folgendes an: Wenn ich nicht meine Hände von ihm fernhielte,
solange er seine Wut noch unterdrücke, würde ich mir damit später selbst schaden." So
sprach sie. Da blickten die Göttinnen einander an und lachten; die aber wiederum sagte
gekränkt zu ihnen: "Anderen gereicht mein Schmerz zum Spott, und ich sollte davon nicht
allen erzählen: Es ist genug, wenn ich es selbst weiß. Da es euch beiden aber nun einmal am
Herzen liegt, will ich den Versuch machen, ihn zu erweichen; dann wird er mir wohl
gehorchen." So sprach sie. Hera aber fasste sie bei ihrer zarten Hand und gab ihr sanft
lächelnd zur Antwort: "Dann, Kythereia, tu schnell deine Pflicht, so wie du gesagt hast! Und
sei nicht böse und streite nicht mehr voll Zorn mit deinem Sohn, er wird später schon damit
aufhören." So sprach sie und erhob sich von ihrem Sitz. Athene folgte ihr, und beide gingen
eilig hinaus.
Sie selbst aber ging zu den Schluchten des Olymp, ob sie ihn anträfe. Sie fand ihn abseits im
blühenden Garten des Zeus, nicht allein, sondern zusammen mit Ganymedes, den Zeus einst,
von seiner Schönheit betört, in den Himmel versetzt hatte, damit er am Herd der
Unsterblichen weile. Die beiden ergötzten sich am Spiel mit goldenen Würfeln, wie es Jungen
gewöhnlich gern tun. Eros hielt seine linke Hand, schon ganz voll von Würfeln, zur Faust
geballt krampfhaft im Gewand versteckt. Aufrecht stand er da, und eine liebliche Röte glühte
ihm auf beiden Wangen. Der andere aber hockte kniend neben ihm, schweigend, mit
niedergeschlagenen Augen. Er hatte nur noch zwei Würfel, da er einen um den anderen schon
vergeblich geworfen hatte, und grollte dem höhnisch lachenden Eros. Und wahrlich, auch die
hatte er bald ebenso wie die vorigen verloren; ratlos ging er mit leeren Händen fort und
bemerkte Kypris nicht, die sich nahte. Diese trat ihrem Sohn gegenüber, kniff ihn in die
Wange und sprach sogleich zu ihm: "Warum lachst du so, du unsäglicher Bösewicht? Du hast
ihn wohl, unerfahren wie er ist, betrogen und falsch gespielt! Nun sei lieb und tu mir den
Gefallen, um den ich dich bitte, dann will ich dir auch das überaus schöne Spielzeug des Zeus
schenken, das ihm Adrasteia, seine Amme, verfertigt hat, als er noch in der Idaiischen Höhle
kindliche Dinge im Sinn hatte: einen gutrollenden Ball. Nicht einmal aus den Händen des
Hephaistos könntest du ein besseres Geschenk als dieses bekommen. Aus Gold sind seine
Ringe gefügt, um einen jeden winden sich zweifache runde Knoten; die Fugen aber sind
verborgen, eine dunkelblaue Spirale läuft über sie alle hinweg. Wenn du ihn aber mit deinen
Händen wirfst, zieht er wie ein Stern leuchtend seine Bahn durch die Luft. Den will ich dir
schenken, du aber schieß deinen Pfeil ab und lass die Tochter des Aietes in Liebe zu Jason
entbrennen. Dass es mir aber keine Verzögerung gibt! Denn dann würde die Belohnung
geringer ausfallen."
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So sprach sie. Dem aber klang ihre Rede verlockend, als er sie hörte. All seine Schätze warf
er weg, fasste mit beiden Händen die Göttin mal hier und mal dort am Gewand und hielt sie
unablässig fest. Er bettelte, ihm den Ball auf der Stelle zu geben. Sie zog ihn zu sich heran,
hielt ihn fest, küsste seine Wangen und entgegnete lächelnd mit freundlichen Worten: "Dafür
nun sei Zeuge dein liebes Haupt und auch mein eigenes: Wahrlich, ich werde dir dein
Geschenk geben und dich nicht betrügen, wenn du dein Geschoss auf die Tochter des Aietes
abgeschossen hast." So sprach sie. Der aber sammelte die Würfel auf, zählte sie alle genau
und ließ sie in das gebauschte, glänzende Gewand seiner Mutter fallen. Sogleich hängte er
sich mit einem goldenen Band den Köcher um, der an einen Baumstumpf gelehnt war, und
ergriff den gekrümmten Bogen; er durchschritt den an Früchten überreichen Garten des
mächtigen Zeus und trat dann aus den himmlischen Toren des Olymp, von wo es einen Weg
vom Himmel hinab zur Erde gibt: Zwei steile Berggipfel, die höchsten der Erde, halten das
Himmelsgewölbe hoch, wo die aufgehende Sonne sich mit den ersten Strahlen rötet. Unten
erschienen ihm bald die nahrungspendende Erde, die Städte der Menschen und die von
Gottheiten bewohnten Flüsse, bald wieder die Berge, ringsum das Meer, als er weit durch die
Lüfte dahinflog.
IV 627-653
Von da aus fuhren sie in den tiefen Strom des Rhodanos ein, der in den Eridanos mündet; wo
sie zusammenströmen, tost das schlammig aufgewühlte Wasser. Der Rhodanos aber
entspringt tief im Innern des Festlands, wo die Tore und Behausungen der Nacht sind; auf der
einen Seite strömt er zur Küste des Okeanos, auf der anderen wiederum ins Ionische Meer,
ein dritter Arm ergießt sein Wasser mit sieben Mündungen in den unendlichen Busen des
Sardonischen Meeres. Von da aus fuhren sie in von Winterstürmen gepeitschte Gewässer, die
sich endlos durch das Land der Kelten erstrecken. So hätte sie beinahe schmachvolles Unheil
getroffen: Denn eine Strömung trug sie zur Bucht des Okeanos, in die sie im Begriff waren,
ahnungslos hinauszufahren; von dort wären sie nicht mehr heil zurückgekehrt. Doch Hera,
vom Himmel herabgeeilt, ließ vom Herkynischen Felsen einen Warnruf ertönen; alle zugleich
erstaunten vor Furcht über den Schrei, denn der weite Äther krachte gewaltig. Dank der
Göttin wandten sie sich wieder rückwärts und erkannten den Weg, auf dem ihnen die
Heimkehr gelingen sollte. Nach langer Fahrt erreichten sie das Gestade des Meeres, nachdem
sie unter Heras Geleit unangefochten unzählige Stämme der Kelten und Ligyer passiert
hatten, denn die Göttin goss die ganze Zeit dichten Nebel auf ihrer Fahrt um sie. Sie lenkten
ihr Schiff durch die mittlere Mündung und landeten auf den Stoichaden, gerettet durch die
Hilfe der Dioskuren. Deshalb sind ihnen dort auch Altäre errichtet, und es werden beständig
Opfer gebracht; sie standen ja nicht allein jener Seefahrt als Schützer bei, Zeus hat ihnen
vielmehr auch die Schiffe späterer Generationen anvertraut.
IV 885-919
Als nun die Morgenröte ihre Lichtstrahlen hoch in den Himmel entsandte, da stiegen sie – es
wehte ein kräftiger Westwind – vom Land aus aufs Schiff und setzten sich an die Ruder.
Freudig zogen sie aus der Tiefe die Ankersteine hoch, das übrige Takelwerk rollten sie
vorschriftsmäßig ein, zogen das Segel in die Höhe und spannten es, indem sie es an den
Lederriemen der Rahe festbanden. Ein günstiger Wind trug das Schiff dahin. Bald schon
erblickten sie die schöne Blumeninsel, wo die helltönenden Sirenen, die Töchter des
Acheloos, mit ihren süßen Zaubergesängen jeden betören und verderben, der dort seine
Haltetaue auswirft. Diese hatte einst, sich bei Acheloos lagernd, die schöne Terpsichore, eine
der Musen, geboren; damals pflegten sie sich um die mächtige Tochter der Deo, als diese
noch Jungfrau war, zu kümmern und unterhielten sie mit Wechselgesängen; jetzt aber glichen
sie in ihrem Aussehen teils Vögeln, teils Mädchen. Stets waren sie auf ihrer Warte sichtbar,
die zum Ankern einlud, und wahrlich schon oft hatten sie vielen die ersehnte Heimkehr
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genommen, indem sie sie der Auszehrung preisgaben. Gefühllos ließen sie auch den Helden
ihre bezaubernde Stimme aus der Kehle erklingen: Da hätten sie beinahe die Haltetaue vom
Schiff ans Ufer geworfen, wenn nicht der Sohn des Oiagros, der Thraker Orpheus, mit seinen
Händen die bistonische Leier gestimmt und die Töne eines fröhlichen Liedes hätte erklingen
lassen, damit, wenn er die Saiten allesamt kräftig anschlüge, ihre Ohren von diesem Klang
dröhnten: So übertönte die Leier den Gesang der Mädchen; zugleich trieben der Westwind
und die brausende Woge das Schiff von hinten an und trugen es davon, der Gesang der
Sirenen aber verlor sich in der Ferne. Voreilig stürzte sich dennoch, als einziger von den
Gefährten, Butes, der edle Sohn des Teleon, direkt von der geglätteten Ruderbank ins Meer,
da sein Gemüt von der schönen Stimme der Sirenen betört war; er schwamm durch die
purpurnen Wogen, um an Land zu gelangen, der Unselige! Wahrlich, da hätten sie ihm auf
der Stelle die Heimkehr genommen, doch Kypris, die waltende Göttin vom Eryx, erbarmte
sich seiner, entraffte ihn noch in den Wogen und rettete ihn so; sie war ihm wohlgesonnen,
weil er sich am Kap von Lilybaion ansiedeln sollte.
2. Strab.11, 2, 19 (Vom Tanais bis zum Kaukasus)
Zu den in Dioskurias zusammenkommenden Völkern gehören auch die Phtheirophagen, die
ihren Namen von ihrer Unreinlichkeit und ihrem Schmutz bekommen haben. In der Nähe
leben auch die Soanen, die, was den Schmutz angeht, keineswegs besser sind als jene, sie aber
an Macht übertreffen, ja wohl überhaupt am streitbarsten und mächtigsten sind. Jedenfalls
herrschen sie, auf den Spitzen des Kaukasus oberhalb von Dioskurias lebend, über die
Umwohnenden; sie haben einen König und einen Rat von dreihundert Männern, und können,
sagt man, ein Heer von nicht weniger als zweihunderttausend Mann auf die Beine bringen:
die ganze Volksmenge nämlich ist waffenfähig, doch ungeordnet. Bei ihnen sollen die
Gießbäche auch Gold herabführen, und die Barbaren sollen es mit durchbohrten Trögen und
zottigen Fellen auffangen, woraus auch die Fabel vom 'goldenzottigen Vließ' entstanden sei
[…] es sei denn, man .nennt sie ebenso wie die im Westen 'Iberer' wegen der Goldgruben die
sich in beiden Gegenden finden.
3. Homer: Odyssee
Hom. Od. XIII 70-76
Als er so gesprochen hatte, schritt er über die Schwelle, der göttliche Odysseus. Und es
schickte ihm die Gewalt des Alkinoos einen Herold mit, dass er vor ihm hergehe zu dem
schnellen Schiff und dem Ufer des Meeres. Arete aber schickte ihm dienende Frauen mit:
eine, die den gutgewaschenen Mantel und den Leibrock trug, und gab ihm eine zweite mit,
um die feste Truhe hinzuschaffen, eine andere aber trug Speise und roten Wein.
Doch als sie hinab zu dem Schiff und dem Meer gekommen waren, da nahmen die erlauchten
Geleiter alles in Empfang und legten es geschwind in dem gewölbten Schiff nieder, den Trank
und alle Speise. Und breiteten für Odysseus eine Decke und ein Leinen aus auf dem Verdeck
des gewölbten Schiffes, am Heck, damit er ohne zu erwachen schliefe. Und hinauf stieg er
auch selbst und legte sich nieder in Schweigen. Sie aber setzten sich auf die Ruderbänke, ein
jeder nach der Ordnung, und lösten das Haltetau von dem durchbohrten Steine. Dann
schlugen sie, zurückgelehnt, die Salzflut auf mit dem Ruderblatt, und ihm fiel ein tiefer Schlaf
auf die Augenlider, ein unerwecklicher, ganz süßer, dem Tode am nächsten gleichend. Das
Schiff aber – wie im Felde vierspännige männliche Pferde, alle zugleich hinstrebend unter
Peitschenhieben, sich hoch erhebend, schnell den Lauf vollbringen: so hob sein Bug sich
empor; und hinterdrein rollte gewaltig die purpurne Woge des vieltosenden Meeres. Und es
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lief hin ganz ohne Fehl, beständig, und auch der Falke nicht, der Stößer, hätte es eingeholt,
der leichteste unter den Vögeln. So lief es schnell dahin und zerschnitt die Meereswogen, und
trug den Mann, der Gedanken gleich den Göttern hatte: der vorher gar viele Schmerzen
gelitten hatte in seinem Mute, durchmessend die Kriege der Männer und die schmerzlichen
Wogen – da schlief er nun ruhig, vergessend alles, was er gelitten hatte.
Hom. Od. II 414-418
„Herbei! Freunde! Lasst uns den Mundvorrat holen! Denn alles liegt schon gehäuft in der
Halle. Die Mutter hat mir davon nichts erfahren, und auch keine von den anderen Mägden,
nur eine hat das Wort vernommen.“ So sprach er und ging voran, die aber folgten. Und sie
brachten alles und bargen es in dem wohlverdeckten Schiff, wie es des Odysseus eigener
Sohn befohlen hatte. Doch Telemachos stieg auf das Schiff, und voran ging Athene und setzte
sich am Heck in dem Schiffe nieder, und neben sie setzte sich Telemachos. Die aber lösten
die Hecktaue, stiegen auch selbst hinauf und setzten sich auf die Ruderbänke. Und es schickte
ihnen einen günstigen Fahrwind die helläugige Athene, einen frischen West, der rauschte über
das weinfarbene Meer. Und Telemachos trieb die Gefährten an und hieß sie das Gerät
ergreifen. Und sie hörten auf ihn, wie er sie antrieb, und hoben den Mast aus Fichtenholz
empor und stellten ihn in die Höhlung des Mittelbalkens und banden ihn mit den Haltetauen
unten fest, und zogen die weißen Segel auf an gutgedrehten Lederriemen. Und es fiel der
Wind voll mitten in das Segel und die Woge brauste gewaltig, die purpurne, um den Bug des
Schiffes, wie es fuhr. Und es lief über das Gewoge dahin, seinen Pfad durchmessend. Doch
als sie auf dem schnellen schwarzen Schiff nun das Gerät befestigt hatten, stellten sie
Mischkrüge auf, gefüllt mit Wein bis zum Rande, und spendeten den unsterblichen Göttern,
den für immer geborenen, und am meisten von allen der helläugigen Tochter des Zeus. Ja, da
durchmaß die ganze Nacht hindurch und durch das Frühlicht das Schiff seinen Pfad.
Hom. Od. XV 282-286
Da sagte hinwieder zu ihm der gottgleiche Theoklymenos: „So bin auch ich dir hinweg von
meiner Heimat, nachdem ich einen Mann von dem gleichen Geschlechte erschlagen habe.
Viele Brüder aber und Anverwandte sind ihm in dem rossenährenden Argos, und gewaltig
herrschen sie über die Achaier. Um von diesen den Tod und die schwarze Todesgöttin zu
vermeiden, bin ich nun auf der Flucht, da es mir bestimmt ist, unter den Menschen
umherzuirren. Doch gib mir einen Platz auf deinem Schiff, denn als ein Flüchtling gebe ich
mich in deinen Schutz, dass sie mich nicht erschlagen. Denn ich denke, dass sie mich
verfolgen.“ Da entgegnete ihm hinwieder der verständige Telemachos: „Nicht werde ich dich,
da du es willst, von dem ebenmäßigen Schiff hinwegstoßen, sondern komm mit, und es soll
dort dir Liebes geschehen, so wie wir es haben!“ So sprach er und nahm ihm die eherne Lanze
ab und legte sie auf dem Verdeck des beiderseits geschweiften Schiffes nieder. Und stieg
auch selbst auf das meerdurchfahrende Schiff, setzte sich alsdann am Heck nieder und setzte
den Theoklymenos neben sich. Und sie lösten die Hecktaue, und Telemachos trieb die
Gefährten und hieß sie das Gerät ergreifen. Und sie gehorchten eilig und hoben den fichtenen
Mast empor und stellten ihn in die Höhlung des Mittelbalkens und banden ihn mit den
Vordertauen unten fest und zogen die weißen Segel auf an gutgedrehten Lederriemen. Und es
schickte ihnen einen günstigen Fahrwind die helläugige Athene, einen ungestümen, der durch
den Äther daherfuhr, damit das Schiff aufs schnellste in seinem Lauf des Meeres salziges
Wasser durchmessen sollte. Und die Sonne ging unter, und überschattet wurden alle Straßen.
Das Schiff aber hielt auf Pheai zu, dahineilend unter dem Fahrwind des Zeus, und vorbei an
der göttlichen Elis, wo die Epeier herrschen. Von dort aus aber steuerte er hinwieder
geradeaus auf die schnellen Inseln zu, sorgend, ob er dem Tod entrinnen möchte oder ob er
ergriffen werde.
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Hom. Od. III 478 - IV 2
Doch als sie sich das Verlangen nach Trank und Speise vertrieben hatten, da begann unter
ihnen die Reden der Gerenier, der Rosselenker Nestor: „Ihr meine Söhne! Führt die
schönhaarigen Pferde für Telemachos herbei und schirrt sie an den Wagen, dass er seinen
Weg bewerkstellige.“ So sprach er, und sie hörten gut auf ihn und gehorchten, und schirrten
geschwind die schnellen Rosse an den Wagen, und die Frau und Beschließerin tat Brot und
Wein und Zukost hinein, wie die gottgenährten Könige sie essen. Und Telemachos stieg auf
den gar schönen Wagen, und ihm zur Seite bestieg der Sohn des Nestor, Peisistratos, der
Anführer der Männer, den Wagenstuhl und ergriff die Zügel mit den Händen und führte. die
Geißel und trieb, und die beiden Pferde flogen gar willig dahin, ins freie Feld hinein und
ließen zurück die steile Burg von Pylos. Und den ganzen Tag schüttelten sie das Joch, das sie
um ihre Nacken hatten. Und die Sonne ging unter, und überschattet wurden alle Straßen. Da
kamen sie nach Pherai zu dem Hause des Diokles, des Sohnes des Ortilochos, den Alpheios
als Sohn gezeugt hatte. Dort verbrachten sie die Nacht, und er gab ihnen Bewirtungen. Als
aber die frühgeborene erschien, die rosenfingrige Eos, schirrten sie die Pferde an und stiegen
auf den buntverzierten Wagen und fuhren aus dem Torweg und der dröhnenden Halle. Und er
führte die Geißel und trieb, und die beiden Pferde flogen gar willig dahin. Und sie kamen in
das weizentragende flache Land und hatten dort alsbald den Weg vollbracht, denn derart
trugen sie dahin die schnellen Pferde. Und die Sonne ging unter, und überschattet wurden alle
Straßen.
Hom. Od. XV 114-129
„Telemachos! Wahrhaftig, es möge Dir die Heimkehr, so wie du sie wünschst in deinem
Sinne, Zeus vollenden, der starkdröhnende Gemahl der Hera. Unter den Kleinodien aber, so
viele in meinem Hause liegen, will ich Dir das zum Geschenk geben, was das Schönste und
Werteste ist: will dir einen gefertigten Mischkrug geben, von Silber ist er ganz und gar, und es
sind oben die Ränder mit Gold eingelegt. Ein Werk des Hephaistos ist er, und gereicht hat ihn
mir Phaidimos, der Heros, der König der Sidonier, als sein Haus mich aufnahm, als ich dort
auf meiner Heimfahrt hingelangte. Dir aber will ich diesen geben.“ So sprach er und gab ihm
den doppelt gebuchteten Becher in die Hände, der Heros, der Atreus-Sohn. Doch er, der
starke Megapenthes, brachte den schimmernden Mischkrug und setzte ihn vor ihn, den
silbernen. Die schönwangige Helena aber trat zu ihm heran und hielt das Gewand in den
Händen und sagte das Wort und benannte es heraus: „Als Gabe gebe auch ich dir dieses,
liebes Kind! ein Andenken aus den Händen der Helena, für die Zeit der vielersehnten
Vermählung, dass es deine Gattin trage. Bis dahin soll es bei der lieben Mutter in der Halle
liegen. Du aber komme mir frohgemut in das gutgebaute Haus und dein väterliches Land!“
Hom. Od. III 397- 403
Doch als sie den Weihguss getan und getrunken hatten, soviel ihr Herz wollte, gingen sie um
sich niederzulegen, ein jeder in sein Haus. Doch ihn, Telemachos, den lieben Sohn des
göttlichen Odysseus, bettete der Gerenier, der Rosselenker Nestor, in einer gurtdurchzogenen
Bettstatt dort unter der stark dröhnenden Halle, und neben ihn den speertüchtigen Peisistratos,
den Anführer der Männer, der ihm unter den Söhnen in der Halle noch Jüngling war. Doch er
selbst hinwieder schlief in dem Inneren des hohen Hauses, und ihm bestellte die Frau, die
Herrin, Bett und Lager.
Hom. Od. IV 296-305
„Atreus-Sohn, Zeusgenährter, Herr der Völker! Um so schmerzlicher! Denn es hat ihm dieses
gar nichts geholfen gegen das bittere Verderben, und wäre ihm in seinem Innern auch ein
eisernes Herz gewesen. Doch auf! wenden wir uns zur Ruhe, damit wir uns nunmehr
niederlegen und uns mit dem süßen Schlaf erquicken.“ So sprach er. Da befahl die Argeierin
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Helena den Mägden, ein Lager in der Vorhalle aufzustellen, und schöne Tücher, purpurne,
darauf zu werfen und darüber Teppiche zu breiten und wollene Mäntel hineinzulegen, um sie
über sich zu ziehen. Die aber gingen aus der Halle, Fackeln in den Händen haltend, und
breiteten das Lager aus. Und es führte ein Herold die Gäste hinaus, und sie legten sich
daselbst in dem Vorhause des Hauses nieder, der Heros Telemachos und der strahlende Sohn
des Nestor. Der Atreus-Sohn aber schlief im Innern des hohen Hauses, und zu ihm legte sich
Helena, die lang gewandete, die göttliche unter den Frauen.
Hom. Od. VII 344-47
So sprachen sie, ihm aber schien es willkommen, sich zu ruhen. So schlief er dort, der
vielduldende göttliche Odysseus, im gurtdurchzogenen Bett in der lautdröhnenden Halle.
Alkinoos aber legte sich im Inneren des hohen Hauses nieder, und es bestellte neben ihm die
Frau, die Herrin, Bett und Lager.
Hom. Od. IX 105-129
Von dort fuhren wir weiter, betrübten Herzens, und kamen in das Land der Kyklopen, der
übergewaltigen, gesetzlosen, die, sich auf die Götter verlassend, die unsterblichen, weder
Gewächse pflanzen mit den Händen, noch pflügen, sondern das wächst alles ungesät und
ungepflügt: Weizen und Gerste und Reben, die einen Wein von großen Trauben tragen, und
der Regen des Zeus mehrt es ihnen. Und sie haben weder ratspflegende Versammlungen noch
auch Gesetze, sondern bewohnen die Häupter der hohen Berge in gewölbten Höhlen, und ein
jeder setzt die Satzungen fest für seine Kinder und seine Weiber, und sie kümmern sich nicht
umeinander. Alsdann erstreckt sich da querab vom Hafen eine flache Insel, weder nah am
Land der Kyklopen noch weit ab, eine bewaldete, und darauf leben unendliche wilde Ziegen.
Denn kein Pfad der Menschen vertreibt sie, noch betreten die Insel Jäger, die im Walde
Schmerzen leiden, wenn sie die Häupter der Berge durchstreifen. Weder von Herden ist sie
eingenommen noch von Ackerbau, sondern unbesät und unbepflügt alle Tage ist sie von
Menschen leer und nährt nur meckernde Ziegen. Denn den Kyklopen sind keine Schiffe zu
Gebote mit mennigfarbenen Wangen, und auch keine Zimmermänner von Schiffen sind unter
ihnen, die wohlverdeckte Schiffe bauen könnten, die da jegliches ausrichten, zu den Städten
der Menschen fahrend, wie vielfach die Männer auf Schiffen zueinander das Meer
durchqueren. Diese hätten ihnen wohl auch die Insel zu einer gutbebauten machen können;
denn sie ist gar nicht schlecht, und sie würde alles tragen nach der Jahreszeit. Denn auf ihr
sind Wiesen an den Gestaden der grauen Salzflut, feuchte, weiche: da könnten recht wohl
unvergängliche Reben sein. Und ebenes Ackerland ist darauf: dort könnte man recht wohl
eine tiefe Saat jeweils zu den Zeiten der Ernte schneiden, denn sehr fett ist der Boden
darunter. Und auf ihr ist ein Hafen, gut anzulaufen, wo kein Haltetau nötig ist und auch nicht
nötig, Ankersteine auszuwerfen noch Hecktaue anzubinden, sondern man braucht nur
aufzulaufen und eine Zeit zu warten, bis der Mut der Schiffer sie treibt und die Winde
heranwehen.
4. Iust. 43,3-4 (Gründung Massilias – Marseilles)
Zu den Zeiten des Königs Tarquinius fuhr, aus Asien kommend, Jungmannschaft der Phokäer
in die Tibermündung ein und schloss mit den Römern einen Freundschaftsbund. Von da
fuhren sie mit ihren Schiffen in die tiefste Meeresbucht Galliens hinein, gründeten dort
Massilia zwischen den Ligurern und den noch wilden Stämmen der Gallier, und vollbrachten,
sei es, indem sie sich mit den Waffen gegen die gallische Wildheit schützten oder indem sie
von sich aus diejenigen herausforderten, von denen sie selbst zuvor herausgefordert worden
waren, große Taten. Die Phokäer nämlich hatten sich, durch die Kleinheit und Magerkeit ihres
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Ackerbodens gezwungen, eifriger der See als dem Lande gewidmet: durch Fischfang und
Handel, zumeist auch durch Piraterie, welche zu jenen Zeiten noch für etwas Rühmliches
gehalten wurde, gewannen sie ihren Lebensunterhalt. Deshalb auch wagten sie bis an die
äußerste Küste des Ozeans vorzudringen und gelangten zum gallischen Meerbusen und zur
Rhonemündung; die anmutige Lage dieses Ortes nahm sie gar sehr gefangen, und so
berichteten sie, als sie wieder nach Hause kamen, was sie gesehen hatten, wodurch sie dann
auch andere danach begierig machten. Anführer der Flotte waren Simos und Protis.
Und so wenden sie sich also an den König der Segobrigier, mit Namen Nannus, in dessen
Gebiet sie eine Stadt zu gründen beabsichtigten, und bitten ihn um Freundschaft. Zufällig war
er an diesem Tage gerade damit beschäftigt, die Hochzeit seiner Tochter Gyptis zuzurüsten,
welche er nach der Stammessitte dem beim Mahle auserwählten Schwiegersohn auf der Stelle
zur Frau zu geben vorhatte. Wie nun so alle Freier zur Hochzeit geladen waren, werden auch
die Griechen als Gastfreunde zur Tafel gebeten. Als nun das Mädchen in den Saal geführt und
vom Vater aufgefordert wurde, demjenigen, den sie zum Manne wähle, das Wasser zu
reichen, da hatte sie für alle anderen keinen Blick übrig, sondern wandte sich allein den
Griechen zu und reichte Protis das Wasser, welcher so aus einem fremden Gast gleich zum
Schwiegersohn wurde und den Platz für die zu gründende Stadt von seinem Schwiegervater
bekam. So wurde denn Massilia gegründet, nahe der Rhonemündung in einer tief ins Land
eingeschobenen Bucht, wie in einem Winkel des Meeres. Die Ligurer aber, neidisch auf das
Gedeihen der Stadt, plagten die Griechen durch unablässige Kriege, diese jedoch arbeiteten
sich durch erfolgreiche Abwehr aller Gefährdungen zu solchem Glanze empor, dass sie nach
ihrem Sieg über die Feinde in den dabei eingenommenen Gebieten viele Kolonien anlegten.
Von diesen lernten nun die Gallier, indem sie ihr bisher barbarisches Wesen ablegten und
zivilisierten, ein gesitteteres Leben zu fuhren, Ackerbau zu treiben und Städte mit Mauern zu
umgeben. Damals gewöhnten sie sich auch daran, nach Gesetzen und nicht bloß mit
Waffengewalt zu leben, auch Reben zu beschneiden und Ölbäume anzupflanzen, und bald
war es um Menschen und Dinge so glanzvoll bestellt, dass nicht Griechenland nach Gallien
ausgewandert, sondern Gallien nach Griechenland versetzt zu sein schien.
5. Hdt. IV 150-159 Gründung von Kyrene
Ein Nachkomme jenes Theras, Grinnos, Sohn des Aisanios, König der Insel Thera, kam nach
Delphi, um im Namen seiner Stadt eine Hekatombe zu opfern. Einige Bürger reisten mit ihm,
darunter Battos, der Sohn des Polymnestos, ein Minyer aus dem Geschlecht des Euphemos.
Während nun der König Grinnos von Thera das Orakel befragte, gab die Pythia eine ganz
andere Antwort: er solle eine Stadt in Libyen gründen. Er erwiderte darauf: „Herr! Ich bin zu
alt und müde, mich auf den Weg zu machen. Heiße doch einen der Jüngeren hier die Sache
unternehmen!“ Mit diesen Worten wies er auf Battos. Weiter geschah damals nichts, und als
sie heimgekehrt waren, ließen sie den Orakelspruch auf sich beruhen, denn sie wussten nicht,
wo Libyen liegt, und wagten doch nicht, eine Kolonie ins Ungewisse und Unbekannte
auszusenden. Nun aber blieb sieben Jahre lang der Regen in Thera aus, und während dieser
Jahre verdorrten alle Bäume auf der Insel mit Ausnahme eines einzigen. Die Theraier
befragten das Orakel, und die Pythia erinnerte sie an das Gebot des Gottes, eine Kolonie in
Libyen zu gründen. Da sie sich nicht anders zu helfen wussten, schickten sie Boten nach
Kreta, um nachzuforschen, ob vielleicht ein Kreter oder ein Fremder, der sich in Kreta
aufhielt, einmal nach Libyen gekommen sei.
Die Boten zogen auf der Insel umher und kamen endlich auch in die Stadt Itanos. Dort fanden
sie einen Purpurfischer, namens Korobios, der sagte, er sei einmal von den Stürmen nach
Libyen verschlagen worden und sei zu der Insel Platea an der libyschen Küste gelangt.
Diesem Manne gaben sie Geld und brachten ihn mit nach Thera, und es fuhren nun zuerst
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wenige Männer aus, um das libysche Land auszukundschaften. Korobios führte sie nach jener
Insel Platea, und sie ließen ihn dort zurück, ließen ihm auch Nahrungsmittel für einige
Monate da und segelten eiligst nach Thera zurück, um die Kunde von jener Insel ihren
Landsleuten zu überbringen. Sie blieben aber länger aus, als verabredet war, und Korobios
hatte endlich gar nichts mehr zu leben. Da wurde ein Schiff aus Samos, dessen Schiffsherr
Kolaios hieß, auf der Fahrt nach Ägypten an diese Insel Platea verschlagen. Korobios erzählte
den Samiern den ganzen Hergang, und sie ließen ihm Lebensmittel für ein ganzes Jahr
zurück. Das Schiff fuhr dann wieder ab und richtete seinen Kurs auf Ägypten; aber der
Ostwind trieb es zurück, und weil der Sturm immer fort wehte, führte er es durch die Säulen
des Herakles hindurch, und sie kamen nach Tartessos. So war es der Wille der Götter.
Dieser Handelsplatz Tartessos war zu jener Zeit noch gar nicht bekannt; als daher das Schiff
wieder heim kam nach Samos, brachte es einen so reichen Erlös seiner Waren mit zurück wie
nie ein hellenisches Schiff, von dem wir genaue Kunde haben. Ausgenommen ist allerdings
Sostratos, der Sohn der Laodamas aus Aigina, mit dem kein anderer wetteifern kann. Die
samischen Schiffer weihten den zehnten Teil ihres Gewinnes den Göttern - es waren sechs
Talente - und ließen ein Gefäß aus Erz in der Art eines argolischen Mischkruges machen.
Rings herum läuft ein Kranz von Greifenköpfen. Dies Gefäß stifteten sie in den Heratempel
und als Untersatz dazu drei Kolosse aus Erz, die auf den Knien liegen und sieben Ellen hoch
sind. Diese edle Tat der Samier legte auch den ersten Grund zu der engen Freundschaft der
Kyrenaier und Theraier mit den Samiern.
Als die Theraier, die den Korobios in Platea zurückgelassen hatten, nach Thera heimkamen,
meldeten sie, sie hätten eine Insel an der Küste Libyens für die Ansiedlung besetzt. Die
Theraier beschlossen, dass aus allen sieben Gemeinden der Insel immer je einer von zwei
Brüdern auswandern solle. Führer und König der Auswanderer sollte Battos sein. So gingen
denn zwei Fünfzigruderer nach Platea ab. So war der Hergang nach der Überlieferung der
Theraier, und über das Weitere stimmen mit den Theraiern auch die Kyrenaier überein,
während sie die Geschichte des Battos ganz anders darstellen. Sie erzählen folgendermaßen.
Auf Kreta liegt eine Stadt Oaxos. Deren König war Etearchos, der eine Tochter, namens
Phronime, hatte, und, weil deren Mutter starb, eine andere Frau nahm. Als diese ins Haus
kam, wollte sie der Phronime eine rechte Stiefmutter sein, misshandelte sie, tat ihr alles Böse
an, was sie konnte, und endlich warf sie ihr Unzucht vor und brachte auch ihren Vater dahin,
dass er es glaubte. Von seinem Weibe angestiftet, beging er ein furchtbares Verbrechen an
seiner Tochter. In Oaxos hielt sich nämlich ein Kaufmann aus Thera, namens Themison, auf.
Diesen Themison lud Etearchos als Gastfreund in seinen Palast und hieß ihn schwören, dass
er ihm den Wunsch, den er aussprechen würde, erfüllen wolle. Als der Kaufmann geschworen
hatte, überlieferte ihm der König seine Tochter und befahl ihm, sie bei der Rückfahrt ins Meer
zu werfen. Themison war sehr zornig über die Tücke, mit der ihm jener Schwur abverlangt
worden; er löste die Gastfreundschaft mit dem König und segelte mit der Tochter ab. Als sie
auf hoher See waren, ließ er das Mädchen, weil er doch seinen Schwur halten wollte, an
Stricke gebunden ins Meer hinab, zog sie aber gleich wieder heraus und fuhr mit ihr heim
nach Thera.
Dort in Thera nahm ein vornehmer Bürger, Polymnestos, die Phronime als Kebsweib in sein
Haus. Als einige Zeit vergangen war, gebar sie ihm einen Sohn, der stotterte und eine schwere
Zunge hatte. Er bekam den Namen Battos, wie wenigstens die Theraier und Kyrenaier
erzählen; ich glaube, er hatte einen anderen und wurde erst später Battos genannt, als er nach
Libyen kam, also um jenes Orakelspruches in Delphi und seiner Berufung zum König willen.
In libyscher Sprache nämlich heißt König 'Battos', und ich glaube, die Pythia hat ihn, weil sie
wusste, er würde König in Libyen werden, mit dem libyschen Königsnamen angeredet. Als er
herangewachsen war und nach Delphi ging, um sich wegen des Stotterns weissagen zu lassen,
erteilte ihm die Pythia folgenden Orakelspruch: Battos, du kamst ob der Stimme; doch
Phoibos Apollon, der Herrscher, sendet als Siedler dich in das herdenreiche Libyen. In
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hellenischer Sprache würde der Anfang des Spruches lauten: „König, du kamst ob der
Stimme.“ Er gab zur Antwort: „O Herr! Ich kam, um dich wegen meiner Stimme um Rat zu
fragen, und du gibst mir einen Auftrag, den ich nicht ausführen kann. Ich soll nach Libyen
auswandern. Wer wird mitziehen? Wo sind Mannschaften?“ Aber durch diese Antwort
erreichte er keinen anderen Spruch. Die Pythia wiederholte dieselbe Weissagung, und Battos
ging, während sie noch sprach, unmutig heim nach Thera.
Aber von der Zeit ab traf ihn und die übrigen Theraier allerhand Unglück. Da sie die Ursache
nicht errieten, schickten sie nach Delphi und befragten das Orakel, warum es ihnen so
schlecht erginge. Die Pythia gab zur Antwort, es würde ihnen besser ergehen, wenn sie mit
Battos die Kolonie Kyrene in Libyen gründeten. Darauf sandten sie denn Battos mit zwei
Fünfzigruderern ab. Sie fuhren davon in der Richtung auf Libyen, aber da sie nicht anders
konnten, kehrten sie wieder zurück nach Thera. Die Theraier aber schossen auf sie und ließen
sie nicht landen. Sie müssten zurückfahren! Notgedrungen fuhren sie nun wieder zurück und
besiedelten jene Insel an der libyschen Küste, die, wie oben erwähnt, Platea hieß. Diese Insel
soll ebenso groß sein wie die heutige Stadt Kyrene. Hier wohnten sie zwei Jahre, aber es ging
ihnen auch hier schlecht, und sie fuhren, unter Zurücklassung eines einzigen Mannes,
sämtlich davon nach Delphi.
Dort fragten sie das Orakel und sagten, sie hätten sich in Libyen angesiedelt, aber es erginge
ihnen darum noch um kein Haar besser. Darauf erteilte ihnen die Pythia folgenden
Orakelspruch: Wenn du das herdengesegnete Libyen besser als ich kennst, Ohne gesehen es
zu haben, muss ich deine Weisheit bewundern. Als das Battos und seine Schar hörten, fuhren
sie wieder zurück; denn der Gott bestand so lange auf der Auswanderung, bis sie nach Libyen
selber gingen. Sie segelten nach der Insel, nahmen den Zurückgebliebenen an Bord und
siedelten sich in Libyen selber an, gegenüber jener Insel. Die Landschaft hieß Aziris. Zu
beiden Seiten des Höhenzuges ist ein herrliches Tal; und an einer Seite fließt ein Fluss
entlang. An dieser Stelle wohnten sie sechs Jahre. Im siebenten Jahre erboten sich die Libyer,
sie an einen noch schöneren Ort zu führen, und bewogen sie zum Abzug. Nun führten die
Libyer sie nach Westen und richteten es so ein, dass sie bei Nacht durch die schönste Gegend
zogen, damit die Hellenen sie nicht sehen sollten. Diese schönste Gegend heißt Irasa. Sie
führten sie dann an eine Quelle, die dem Apollon heilig sein soll, und sagten: „Hellenen! Hier
ist die rechte Stelle für die Gründung eurer Stadt. Hier kommt der Segen des Himmels über
euch.“ Solange der Führer der Kolonie, Battos, lebte, der vierzig Jahre König von Kyrene
war, und auch noch zu Zeiten seines Sohnes Arkesilaos, der sechzehn Jahre regierte, bildeten
diese Kolonisten von Kyrene die einzige Ansiedlung in Libyen. Aber zur Zeit des dritten
Königs, genannt Battos, der Glückliche, trieb die Pythia durch einen Orakelspruch alle
hellenischen Städte an, ebenfalls Kolonisten nach Libyen auszusenden. Die Kyrenaier hatten
nämlich zur Aufteilung des libyschen Landes aufgerufen. Der Orakelspruch lautete: Wer nach
Libyen einst, dem vielgeliebten, zu spät kommt, Wenn das Land schon verteilt ist, der wird es
bitter bereuen!
So kam eine große Menge Volks in Kyrene zusammen, und man nahm den benachbarten
libyschen Stämmen und ihrem König namens Adikran einen großen Teil ihres Landes weg.
Die beraubten und vergewaltigten Libyer schickten nach Ägypten und stellten sich unter den
Schutz des Königs von Ägypten Apries. Apries sammelte ein großes ägyptisches Heer und
schickte es gegen Kyrene. Die Kyrenaier zogen aus nach der Landschaft Isara und der Quelle
Theste, wo es zum Kampf mit den Ägyptern kam. Die Kyrenaier blieben Sieger. Die Ägypter
hatten sich nämlich nie vorher mit den Hellenen gemessen und verachteten sie. Darum wurde
ihr Heer jetzt so völlig geschlagen, dass nur wenige Leute nach Ägypten zurückkamen. Das
war der Grund, weshalb die Ägypter damals über Apries ergrimmten und sich gegen ihn
empörten.
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Bitte in Kopie aus dem Semesterordner einfügen: Herodots Bericht über
die Skythen (Hdt. IV 1-142)
6. Xenophon: Anabasis
Xen.Anabasis 3, 1, 1-25
(Wie es den Griechen auf dem Marsch des Kyros ins Landinnere bis zur Schlacht erging und
was nach dem Tod des Kyros während des Vertrages geschah, als die Griechen mit
Tissaphernes abzogen, ist in dem vorangegangenen Bericht dargestellt worden.)
Als die Strategen gefangengenommen waren, und alle Lochagen und Soldaten ihres Gefolges
den Tod gefunden hatten, waren die Griechen in großer Bedrängnis. Sie erkannten nämlich,
dass sie in der Nähe des königlichen Palastes waren, dass rings um sie überall viele feindliche
Städte und Stämme waren, dass niemand ihnen eine Kaufgelegenheit bieten werde, dass sie
von Griechenland nicht weniger als zehntausend Stadien entfernt waren; auch hatten sie
keinen Führer für den Weg, undurchschreitbare Flüsse umschlossen sie mitten auf dem
Heimweg; dazu hatten die Barbaren, die mit Kyros den Marsch ins Landinnere angetreten
hatten, sie verraten, allein waren sie zurückgeblieben, ohne auch nur einen Reiter als
Bundesgenossen zu haben. Daher war es ganz klar, dass sie im Falle eines Sieges niemanden
töten könnten, im Falle einer Niederlage aber keiner von ihnen am Leben bleiben würde. Bei
solchen Überlegungen und solcher Mutlosigkeit nahmen nur wenige von ihnen am Abend
Speise zu sich, nur wenige zündeten Feuer an, auf den Waffenplatz kamen viele in dieser
Nacht nicht, sondern ruhten dort, wo es sich eben ergab, ohne aber Schlaf finden zu können
vor Sorge und Verlangen nach dem Vaterland, den Eltern, Frauen und Kindern, die sie nie
mehr zu sehen glaubten. In solcher Stimmung suchten sie alle Ruhe zu finden.
Es befand sich im Heer ein gewisser Xenophon aus Athen, der weder als Stratege noch als
Lochage, noch als Soldat den Feldzug mitgemacht hatte; sondern Proxenos hatte ihn von zu
Hause zu sich geladen, da er von altersher sein Gastfreund war. Er hatte ihm versprochen,
falls er komme, ihn zum Freund des Kyros zu machen, den er selbst für seine Person, wie er
sagte, für wichtiger erachte als das Vaterland. Als Xenophon den Brief gelesen hatte, beriet er
sich mit dem Athener Sokrates über die Reise. Sokrates befürchtete, es könne von der Stadt
als Schuld angerechnet werden, mit Kyros Freundschaft zu schließen, da dieser, wie man
vermutete, bereitwillig den Lakedaimoniern im Krieg gegen Athen geholfen habe. Daher riet
ihm Sokrates, nach Delphi zu gehen und den Gott wegen der Reise zu befragen. Dort befragte
also Xenophon Apollon, welchem Gott er opfern, zu welchem Gott er beten müsse, um die
beabsichtigte Reise ehrenvoll und glücklich zu vollenden und nach erfolgreichem Gelingen
heil zurückzukehren. Apollon verkündete ihm die Götter, denen er opfern müsste. Als er
zurückgekehrt war, erzählte er dem Sokrates von dem Orakelspruch. Der tadelte ihn darauf,
weil er nicht danach zuerst gefragt hatte, ob es für ihn besser sei zu reisen oder zu bleiben,
sondern aus eigenem sich für die Reise entschieden und dann nur gefragt habe, wie er am
vorteilhaftesten die Reise beginnen solle. "Da du aber so gefragt hast", erklärte er, "musst du
alles, was der Gott befohlen hat, tun."
Also opferte Xenophon denen, die ihm der Gott aufgetragen hatte, und segelte ab. Er traf in
Sardes mit Proxenos und Kyros zusammen, die eben im Begriff standen, den Marsch ins
Landinnere anzutreten, und wurde dem Kyros vorgestellt. Da es Proxenos wünschte, schloss
sich auch Kyros seinem Begehren an, er solle bleiben; er versicherte ihm aber, nach
Beendigung des Feldzuges ihn sofort zu entlassen. Es hieß, der Feldzug sei gegen die Pisider
gerichtet. So zog er in den Krieg, getäuscht, aber nicht von Proxenos; denn es wusste von dem
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Angriff gegen den Großkönig auch kein anderer Grieche außer Klearchos. Als sie aber nach
Kilikien gekommen waren, da schien es allen bereits klar zu sein, dass der Zug gegen den
Großkönig gerichtet sei. Trotz ihrer Furcht vor dem Marsch und ihrem Unwillen folgten
dennoch die meisten aus Scham voreinander und vor Kyros. Einer von ihnen war auch
Xenophon.
In dieser Bedrängnis war er mit den andern bekümmert und konnte nicht schlafen. Als er aber
ein wenig Schlaf fand, hatte er einen Traum. Es schien ihm, als treffe unter Donnerschlag ein
Blitz das Vaterhaus und es stehe darauf völlig in Flammen. Heftig erschrocken wachte er
sogleich auf; den Traum hielt er einerseits für günstig, weil er in Not und Gefahren ein
gewaltiges Licht von Zeus gesehen zu haben glaubte; andererseits fürchtete er aber, weil der
Traum von Zeus, dem König, zu kommen und das Feuer rings im Kreise zu lodern schien, er
könne nicht aus dem Land des Großkönigs entkommen, sondern werde überall von
mancherlei Schwierigkeiten zurückgehalten. Was es aber bedeutet, einen derartigen Traum zu
haben, kann man aus den Ereignissen nach dem Traum erkennen; denn es geschah folgendes.
Sofort nach dem Erwachen kam ihm der Gedanke: warum liege im hier? Die Nacht rückt vor;
sogleich mit Tagesbeginn werden sicherlich die Feinde anrücken. Wenn wir in die Gewalt des
Großkönigs geraten, was hindert, dass wir, die wir das Furchtbarste mit angesehen, alles
Schreckliche erduldet haben, verhöhnt sterben müssen? Für unsere Verteidigung rüstet sich
und sorgt niemand, sondern wir liegen hier, als könnten wir der Ruhe pflegen. Aus welcher
Stadt erwarte ich den Strategen, damit er das durchführe? Welches Alter erwarte im für mich?
Im werde doch nicht älter werden, wenn ich mich heute den Feinden ergebe. Darauf erhob er
sich und berief zunächst die Lochagen des Proxenos zusammen. Als sie zusammengekommen
waren, sprach er: "Ich, Lochagen, kann nicht schlafen, wie ich das auch von euch glaube,
noch kann ich mehr liegen bleiben, da ich sehe, in welcher Bedrängnis wir sind. Es ist klar,
die Feinde haben nicht eher gegen uns den Krieg offen begonnen, bis sie alle Vorkehrungen
umsichtig getroffen zu haben glaubten; von uns sorgt aber niemand auch nur im geringsten
dafür, wie wir am erfolgreichsten kämpfen können. Denn wahrlich, wenn wir uns aufgeben
und in die Gewalt des Großkönigs geraten, was werden wir dort wohl erdulden? Er, der
seinem eigenen Bruder, als er schon tot war, Kopf und Hand abhauen und auf die Pfähle
stecken ließ! Uns aber, denen kein Fürsprecher zur Seite steht, die wir gegen ihn in den Krieg
gezogen sind, um ihn aus einem König zu einem Sklaven zu machen und, wenn möglich, zu
töten, wie wird es wohl uns ergehen? Wird er nicht alles daransetzen, um durch unsere
härteste Bestrafung allen Menschen Furcht vor einem Kriegszug gegen ihn einzujagen? Dass
wir auf keinen Fall in seine Gewalt geraten, dafür muss nun alles unternommen werden. Ich
habe, solange der Vertrag galt, niemals aufgehört, uns zu bedauern, den Großkönig und seine
Leute glücklich zu preisen, wenn ich die Größe und Beschaffenheit ihres Landes betrachtete,
den Überfluss an Lebensmitteln, die Zahl der Diener, den Reichtum an Tieren, Gold und
Kleidung. Betrachtete ich aber die Lage der Soldaten, dass wir an allen diesen Schätzen
keinen Anteil hatten, außer wir kauften etwas, dass aber nur wenige, wie ich wusste, Mittel
zum Kaufen hatten, dass uns daran, die Lebensmittel auf andere Art als durch Kauf zu
beschaffen, der Vertrag, wie ich wusste, hinderte – betrachtete ich also diese Lage; dann
fürchtete ich manchmal den Vertrag mehr als jetzt den Kampf. Da aber jene den Vertrag
gebrochen haben, scheinen mir auch ihr Übermut und unsere Befürchtungen ein Ende zu
haben. Denn vor aller Augen liegen diese Güter als Kampfpreise für diejenigen unter uns, die
tapferer sind, Schiedsrichter aber sind die Götter, die auf unserer Seite, wie es recht und billig
ist, stehen werden. Denn diese haben bei ihnen einen Meineid geschworen; wir aber, obwohl
wir viele Güter sahen, haben uns ihrer standhaft enthalten wegen der heiligen Eide vor den
Göttern. Daher können wir, glaube ich, in den Kampf ziehen mit viel größerem Vertrauen als
diese. Außerdem haben wir Körper, die fähiger sind als die ihren, Kälte, Hitze und Mühen zu
ertragen; auch haben wir mit der Hilfe der Götter überlegeneren Mut. Jene Männer sind
leichter zu verwunden und zu töten als wir, wenn die Götter wie früher uns Sieg verleihen.
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Aber da vielleicht auch andere an dasselbe denken, wollen wir, bei den Göttern, nicht warten,
dass andere zu uns kommen, um uns zu den herrlichsten Taten aufzumuntern, vielmehr
wollen wir damit beginnen, auch die anderen zur Tapferkeit zu entflammen. Zeigt euch als die
vortrefflichsten der Lochagen und würdiger des Oberbefehls als die Strategen. Auch ich will
euch folgen, wenn ihr euch dazu entschließen wollt, wenn ihr mich aber zum Führer wählt,
werde ich mein Alter nicht als Vorwand benützen, sondern glaube, schon alt genug zu sein,
um Gefahren von mir abzuwehren." So sprach er, die Führer forderten ihn danach alle auf, die
Leitung zu übernehmen […].
Xen. Anabasis 4, 5, 9-26
Auf dem Marsche kam Cheirisophos bei Einbruch der Dämmerung zu einem Dorfe und stieß
vor der Festungsanlage bei der Quelle auf Frauen und Mädchen aus dem Dorfe, die gerade
Wasser holten. Diese fragten die Griechen, wer sie seien. Der Dolmetsch antwortete ihnen in
persischer Sprache, sie kämen vom Großkönig und wollten zum Satrapen. Sie antworteten, er
sei nicht hier, sondern ungefähr einen Parasangen weiter weg. Da es schon spät war, gingen
sie mit den Wasserträgerinnen gemeinsam zum Dorfvorsteher in die Befestigungsanlage
hinein. Cheirisophos und alle anderen aus dem Heere, die dazu imstande waren, bezogen dort
Quartier, die übrigen Soldaten aber, die den Marsch nicht mehr beenden konnten,
übernachteten im Freien, ohne Essen und ohne Feuer. Auch hier fanden einige Soldaten den
Tod. […]
Unterdessen schickte Cheirisophos aus dem Dorfe Leute ab, die nachsehen sollten, wie es der
Nachhut gehe. Diese [Xenophon und seine Leute] sahen sie mit Freuden und übergaben ihnen
die Kranken, um sie ins Lager zu bringen; sie selbst marschierten weiter, und ehe sie zwanzig
Stadien zurückgelegt hatten, waren sie vor dem Dorfe, in dem Cheirisophos sich einquartiert
hatte. Als sie sich versammelt hatten, schien es ihnen sicher genug zu sein, die Abteilungen
getrennt in den einzelnen Dörfern einzuquartieren. Cheirisophos blieb an Ort und Stelle, die
anderen verteilten durch das Los die Dörfer, die sie sahen, und zogen mit ihren Leuten
dorthin.
Da bat Polykrates, ein athenischer Lochage, ihn abziehen zu lassen. Mit flinken Männern lief
er zu dem Dorf, das Xenophon erlost hatte, und traf alle Dorfbewohner drinnen an und auch
den Dorfvorsteher, außerdem siebzehn Fohlen, die als Tribut für den Großkönig aufgezogen
worden waren, ferner die Tochter. des Dorfvorstehers, die seit acht Tagen verheiratet war; ihr
Mann war auf die Hasenjagd gegangen und wurde nicht im Dorfe gefangengenommen. Die
Wohnungen waren unterirdisch, der Eingang glich einem Brunnenschacht, unten waren sie
aber geräumig. Die Eingänge für die Zugtiere waren abgegraben, die Menschen aber stiegen
auf Leitern hinunter. In diesen Häusern fanden sich Ziegen, Schafe, Rinder, Geflügel und ihre
Jungen. Alle Tiere wurden drinnen mit Grünfutter gefüttert. Es gab auch Weizen, Gerste,
Hülsenfrüchte und Gerstenwein in Mischkrügen. Obenauf schwammen noch die
Gerstenkörner, auch Halme lagen darinnen, größere und kleinere, also ohne Knoten.
Xen. Anabasis 4, 7, 15-27
Von dort zogen sie durch das Land der Chalyber, in sieben Tagesmärschen fünfzig
Parasangen. Diese waren die kriegerischsten von allen Stämmen, durch deren Gebiet sie
gezogen waren, und lieferten ihnen oft Gefechte. Sie trugen Leinenkoller, die bis an den
Unterleib reichten, an Stelle der Panzerflügel hatten sie fest zusammengedrehte Filzstreifen.
Sie trugen auch Beinschienen, Helme und am Gürtel ein kurzes Schwert, so groß wie das
spartanische Krummschwert, mit dem sie niedermetzelten, was sie überwältigen konnten. Sie
hieben ihren Feinden auch die Köpfe ab und trugen sie dann beim Marsche mit sich; und sie
sangen und tanzten, wenn anzunehmen war, dass die Feinde sie sehen würden. Außerdem
hatten sie eine ungefähr fünfzehn Ellen lange Lanze mit nur einer Spitze. Diese Leute hielten
sich in ihren Städten verschanzt. Wenn die Griechen aber vorbeigezogen waren, folgten sie
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ihnen nach und bedrängten sie dauernd. Sie wohnten in diesen befestigten Plätzen, in die sie
auch die Lebensmittel gebracht hatten. Daher konnten die Griechen von dort nichts erhalten,
sondern brachten sich mit dem Vieh durch, das sie aus dem Lande der Taocher mitgenommen
hatten. Von dort kamen sie zum Harpasos, einem vier Plethren breiten Fluss. Von da zogen
sie durch das Land der Skythenen in vier Tagesmärschen zwanzig Parasangen über ebenes
Land bis zu Dörfern, in denen sie drei Tage blieben und sich mit Lebensmitteln versorgten.
Von dort zogen sie in vier Tagesmärschen zwanzig Parasangen zu einer großen, reichen und
dicht bevölkerten Stadt, die Gymnias genannt wurde. Aus dieser Siedlung schickte der
Herrscher den Griechen einen Führer, damit er sie durch das ihnen feindliche Gebiet führe.
Dieser kam zu ihnen und versprach, er werde sie in fünf Tagen zu einer Stelle führen, von wo
sie das Meer erblicken würden, andernfalls erklärte er sich bereit zu sterben. Als er sie in das
feindliche Land geführt hatte, forderte er sie auf, zu sengen und zu brennen; dadurch wurde
aber auch klar, dass er deswegen mitgekommen war und nicht aus Wohlwollen den Griechen
gegenüber. Wirklich kamen sie am fünften Tag auf den Berg, der Theches hieß. Als die ersten
auf der Bergspitze angekommen waren und das Meer erblickten, erhob sich ein lautes
Geschrei. Als das Xenophon und die Nachhut vernahmen, glaubten sie, dass von vorne
weitere Feinde angriffen; denn von hinten folgten ihnen Leute aus dem brennenden Lande.
Von diesen hatten die Soldaten der Nachhut in einem Hinterhalt einige getötet und einige
gefangengenommen und ungefähr zwanzig Schilde aus ungegerbtem, dichtbehaartem
Rindsfell erbeutet. Als das Geschrei aber immer lauter wurde und näher rückte und die
jeweils Nachrückenden eilig auf die fortwährend Schreienden zuliefen und dann der Lärm
noch viel lauter wurde, vermutete Xenophon, es sei doch etwas Bedeutendes vorgefallen. Er
schwang sich aufs Pferd, nahm Lykios und die Reiter mit sich, und wollte nach vorne zu Hilfe
eilen. Aber bald schon hörten sie die Soldaten rufen: "Das Meer, das Meer", und der Ruf ging
durch die Reihen. Da liefen nun alle heran, auch die Nachhut, Zugtiere und Pferde wurden
herangetrieben. Als alle auf die Berghöhe gekommen waren, da umarmten sie einander unter
Tränen, sogar Strategen und Lochagen. Plötzlich trugen die Soldaten Steine herbei – irgend
jemand hatte es wohl angeordnet – und errichteten einen großen Hüge1. Darauf legten sie eine
Menge ungegerbter Häute, Stöcke und die erbeuteten Schilde. Ihr Führer zerschnitt mit
eigener Hand die Schilde und forderte auch die anderen dazu auf. Hierauf entließen die
Griechen den Führer; als Geschenke gaben sie ihm aus dem Gemeinbesitz ein Pferd, eine
Silberschale, ein persisches Gewand und zehn Dareiken. Er bat aber besonders um ihre
Fingerringe und erhielt auch viele von den Soldaten. Er zeigte ihnen noch ein Dorf, wo sie
lagern könnten, und den Weg, den sie in das Gebiet der Makronen nehmen sollten. Gegen
Abend entfernte er sich, um in der Nacht nach Hause zurückzukehren.
7. Arrian, Der Alexanderzug
Buch 1, Vorwort des Autors
Ptolemaios, der Sohn des Lago, und Aristobulos, der Sohn des Aristobulos, haben die
Geschichte Alexanders des Großen geschrieben, Das, was sie beide übereinstimmend
aufgezeichnet haben, gebe ich in meiner Darstellung als vollkommen wahrheitsgetreu wieder,
wo sie sich jedoch unterscheiden, habe ich jeweils das ausgesucht, was mir als glaubwürdiger
erschien und zugleich auch in höherem Maße der Überlieferung wert.
Tatsächlich hat eine Menge Leute über Alexander Widersprüchliches aufgezeichnet, ja es gibt
keine Persönlichkeit, in bezug auf die jemals mehr oder einander widersprechendere Autoren
geschrieben haben. Indes scheinen mir Ptolemaios und Aristobulos in ihren Darstellungen
glaubwürdiger als die anderen, der eine, Aristobulos, weil er an der Seite seines Königs
Alexandor den ganzen Feldzug mitmachte, der andere, Ptolemaios, weil es zusätzlich dazu,
dass er Teilnehmer des Zuges war, für ihn als König größere Schande als für jeden anderen
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bedeuten musste, zu lügen. Überdies schreiben ja beide erst in der Zeit nach Alexanders Tod.
So fielen für sie Zwang oder Vorteile fort, die sich daraus ergaben, die Dinge anders
darzustellen, als sie sich wirklich zugetragen hatten.
Einiges gibt es auch in anderen Quellen, das mir ebenfalls der Erwähnung wert und
keineswegs als ganz unglaubwürdig erschien. Dies jedoch habe ich lediglich als Berichte über
Alexander mit aufgenommen. Sollte indes sich jemand wundern und fragen, was ich mir
dabei versprochen haben könnte, wenn angesichts einer derart großen Zahl bereits
vorhandener Autoren auch mir in den Sinn kam, folgende Darstellung zu verfassen, so möge
er seine Verwunderung aufheben, bis er nach Durcharbeitung von all deren Werken zu
meinen Ausführungen gelangt ist.
3, 28-29 (Der Winterfeldzug im Hindukusch (330-329))
Nach diesen Regelungen zog er in Richtung Baktra gegen Bessos weiter, wobei er unterwegs
die Drangiana und Gedrosien unterwarf. Auf seine Seite brachte er auch die Arachoten und
setzte über sie Menon als Satrapen. Er kam sogar bis zu den den Arachoten benachbarten
Indern, doch war der Marsch zu diesen Völkern wegen des dichten Schneefalls nur unter
größten Strapazen für die Soldaten und Mangel an Verpflegung durchführbar. Auf
Nachrichten von erneutem Abfall in der Areia hin – Satibarzanes sei mit 2000 Reitern, die
ihm Bessos gegeben hatte, wieder in das Land eingefallen – schickte er gegen die
Aufständischen den Perser Artabazos zusammen mit Erigyios und Karanos, zwei Hetairen;
mit ihnen sollte auch Phrataphernes, Satrup von Parthien, in die Areia einmarschieren. Es kam
dabei zu einem harten Kampf zwischen Erigyios sowie Karanos mit ihren Leuten und
Satibarzanes, und nicht eher gaben die Barbaren nach, bis Satibarzanes im Zweikampf mit
Erigyios zusammengeriet und von Erigyios durch einen Speerstoß ins Gesicht getötet wurde.
Jetzt erst wichen die Feinde und stoben in wilder Flucht davon.
Inzwischen rückte Alexander gegen das Kaukasusgebirge vor, wo er eine Stadt gründete und
ihr den Namen Alexandreia gab. Darauf opferte er den Göttern, welchen der Brauch zu opfern
gebot, und überstieg dann das Gebirge. Zum Satrapen des Landes hatte er zuvor Proexes,
einen Perser ernannt, während als militärischer Kommandant Neiloxenes, ein Hetaire, mit,
einer Abteilung zurückgelassen worden war.
Das Kaukasusgebirge ist, wie Aristobulos angibt, ebenso hoch wie irgendein Gebirge Asiens
und großenteils an dieser Stelle unbewaldet. Der Kaukasus selbst bildet einen langen
Gebirgszug; und so wird auch behauptet, der Taurus, der Kilikien von Pamphylien scheidet,
hänge mit diesem Kaukasus zusammen, ähnlich wie eine Reihe anderer hoher Gebirge, die,
von diesem Kaukasus getrennt, nach der Gewohnheit der Völker verschieden benannt werden,
die sie bewohnen. In dem genannten Kaukasus nun wächst, wie Aristobulos berichtet, nichts
als Silphion und Tereminthen, aber dennoch war er reich bevölkert, und auf ihm weideten
Schafe wie Rinder in großer Zahl; Schafe nämlich haben eine Vorliebe für Silphion, und
wenn sie die Pflanze schon von weitem wittern, laufen sie darauf zu und fressen die Blüten
ab, ja sie scharren selbst die Wurzeln aus dem Boden und verzehren auch die. Daher führt
man in Kyrene die Schafherden möglichst weit weg von Plätzen, an denen man Silphion
anbaut, ja man umzäunt die Plantagen, um zu verhindern, dass die Schafe in die Nähe
gelangen und in die Pflanzungen einbrechen, denn für die Kyrenaier ist Silphion besonders
wertvoll.
Bessos, der bei sich noch die an der Verhaftung des Dareios mitschuldigen Perser hatte, dazu
an 7000 Baktrer und daische Hilfstruppen aus der Gegend jenseits des Tanais, suchte das
Gebiet im Vorland des Kaukasus zu verwüsten, um durch eine tote Zone zwischen sich und
Alexander und dazu durch Mangel und Not diesen an weiterem Vorrücken zu hindern. Dieser
jedoch ließ sich dadurch nicht beeindrucken und marschierte trotzdem, obgleich dies wegen
der Schneemassen und des Mangels an Nötigstem nur unter größten Schwierigkeiten möglich
war. Auf die Meldung nun, Alexander sei bereits in nächster Nähe, überschritt Bessos den
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Oxus, verbrannte darauf die Fährschiffe und suchte sich nach Nautaka in der Sogdiana
zurückzuziehen. Ihm folgten Spitamenes und Oxyartes mit ihren Leuten, Reitern aus der
Sogdiana, dazu Daer von jenseits des Tanais. Die baktrischen Reiter hatten sich, sobald sie
von den Fluchtabsichten des Bessos hörten, jeder für sich nach Hause begeben.
Nach Drapsaka gelangt, ließ Alexander sein Heer rasten und rückte dann nach Aornos und
Baktra vor, den größten Plätzen im baktrischen Gebiet. Er nahm beide im ersten Anlauf und
ließ eine Besatzung auf dem Burgberg von Aornos zurück, zu deren Kommandant er
Archelaos, Sohn des Androkles, einen Hetairen, ernannte. Zum Satrapen über die anderen
Baktrer, die sich ihm anstandslos unterwarfen, machte er den Perser Artabazos.
Er selbst zog zum Fluss Oxus. Dieser entspringt im Kaukasus und ist in Asien der größte
Strom von denjenigen, an die Alexander oder seine Leute je kamen, außer den indischen
Flüssen: Diese sind ja bekanntlich die größten überhaupt. Der Oxus mündet in das Meer bei
Hyrkanien. Als man ihn überqueren wollte, erschien dies als völlig unmöglich, denn seine
Breite beträgt bis zu sechs Stadien; seine Tiefe entspricht dieser Breite keineswegs, er ist im
Verhältnis dazu viel tiefer, zugleich sandig und seine Strömung stark, so dass
Brückenfundamente, im Sande kaum fest zu verankern, durch die Strömung leicht aus dem
Boden herausgespült wurden. Erschwerend machte sich auch der Mangel an Baumaterial
bemerkbar; es bedeutete ziemliche Verzögerung, wollte man erst aus weiter Entfernung alles
zum Brückenbau Erforderliche heranschaffen. So ließ Alexander die Lederhäute sammeln, die
die Soldaten zum Zelten benutzten, sie mit möglichst trockenem Stroh füllen, dann sorgfältig
zusammenschnüren und vernähen, um ein Eindringen des Wassers zu verhindern. Gefüllt und
vernäht, ermöglichten sie tatsächlich das Übersetzen der ganzen Armee innerhalb von fünf
Tagen.
Vor dem Überschreiten aber hatte Alexander die ältesten, nicht mehr einsatzfähigen seiner
Makedonen ausgesondert und sie sowie die freiwillig bei ihm gebliebenen Thessaler nach
Hause entlassen. Auch sandte er Stasanor, einen der Hetairen, in die Areia, um Arsakes, den
Satrapen, festzunehmen; denn, wie es schien, trieb dieser Sabotage. Stasanor sollte selbst die
Satrapie übernehmen.
4, 22-27 (Aufbruch nach Indien und der schwere Weg nach Indien (327-326))
Nach Beendigung dieses Unternehmens zog Alexander persönlich nach Baktra, während er
Krateros mit 600 Mann Hetairenkavallerie, dessen eigener Infanterieabteilung sowie denen
von Polyperchon, Attalos und Alketas gegen Katanes und Austanes entsandte, die im Gebiet
der Paraitakene als einzige Aufständische noch übrig waren. Nach schwerem Kampf gegen
sie siegte Krateros, wobei Katanes an Ort und Stelle in der Schlacht fiel, Austanes hingegen
gefangengenommen und Alexander in Ketten vorgeführt wurde. Von ihren Barbaren starben
120 Reiter und etwa 1500 Mann Fußvolk. Nach diesen Erfolgen zog auch Krateros nach
Baktra; in Baktra trug sich um diese Zeit die traurige Sache mit Kallisthenes und den
königlichen Pagen zu.
Von Baktra aus brach Alexander dann gegen Ende des Frühjahrs mit der Armee in Richtung
Indien auf, nachdem er im Gebiete von Baktrien Amyntas mit 3500 Reitern und 10000 Mann
Infanterie zurückgelassen hatte. Er überschritt in zehn Tagen den Kaukasus und kam zu der
bereits bei seinem ersten Marsch auf Baktra gegründeten Stadt Alexandreia im Gebiet der
Paropamisaden. Dort setzte er den Statthalter ab, der seinerzeit mit der Leitung der Stadt
beaufftragt worden war, weil er sein Amt nicht so ausübte, wie er dies von ihm erwartet hatte,
und siedelte nochmals eine weitere Anzahl Einheimischer aus dem Umland sowie
kampfunfähige Makedonen in ihr an. Mit dem weiteren Ausbau der Stadt beauftragte er
Nikanor, einen seiner Hetairen, während er zum Satrapen des Paropamisadengebietes und des
ganzen übrigen Landes bis zum Kophen Tyriespis ernannte.
Nachdem er bei seiner Ankunft in der Stadt Nikaia der Athene geopfert hatte, zog er weiter
bis zum Kophen und schickte zu Taxilas und den anderen diesseits des Indus Herolde mit der
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Aufforderung voraus, ihm entgegenzukommen, sobald er sich jeweils ihrem Gebiete nähere.
So erschienen denn Taxilas wie auch diese anderen Fürsten und brachten mit, was bei den
Indern als wertvollstes an Geschenken gilt. Auch versprachen sie ihm, die in ihrem Besitz
befindlichen Elefanten auszuliefern, insgesamt 25 an der Zahl.
Darauf teilte er die Armee und ließ Hephaistion zusammen mit Perdikkas in die Peukelaotis
und in Richtung des Indus vorrücken, dazu die Abteilungen von Gorgias, Kleitos und
Meleagros, die Hälfte der Hetairenreiterei und sämtliche berittenen Söldner. Ihr Befehl
lautete, unterwegs die Gebiete entweder mit Gewalt zu nehmen oder durch Übergabe unter
seine Oberherrschaft zu bringen. Dann, wenn sie am Indus angekommen seien, sollten sie
alles zum Überschreiten des Flusses vorbereiten. Mit ihnen sollten Taxilas und die anderen
der Landesherren ziehen. Sie führten nach ihrer Ankunft am Indus Alexanders Befehle auch
aus, wobei Astis, Landesherr der Peukelaotis, bei einem Abfallversuch zugrunde ging und
zugleich so den Untergang der Stadt verursachte, in die er sich geflüchtet hatte. Nach einer
Belagerung von 30 Tagen nämlich wurde sie von Hephaistion erstürmt, wobei Astis umkam.
Die Verwaltung der Stadt wurde Sangaios übertragen, der schon vorher vor Astis geflohen
und zu Taxilas übergelaufen war, was ihn Alexander vertrauenswürdig machte.
Alexander selbst rückte in die Gebiete der Aspasier, Guraier und Assakener vor. Bei sich
hatte er die Hypaspisten, die Hetairenkavallerie, soweit diese nicht Hephaistion unterstellt
worden war, die Einheiten der sogenannten Hetairen zu Fuß, die Bogenschützen, Agrianen
und berittenen Speerschützen. Er zog den Fluss Choes hinauf auf einer rauhen, gebirgigen
Straße und durchschritt schließlich diesen unter Schwierigkeiten. Dann eilte er mit der
gesamten Reiterei sowie 800 Soldaten, die er darüber hinaus aufs Pferd gesetzt hatte, wobei
sie aber ihre Infanterieschilde hatten mitnehmen müssen, voraus, weil ihm gemeldet worden
war, die Barbaren dieser Gegend hätten sich allesamt in die Berge und die zur Verteidigung
geeigneten festen Plätze geflüchtet. Die Infanterie sollte langsam nachkommen. Als er auf
seinem Wege zur ersten Stadt dieser Gegend kam, jagte er die vor ihr aufgestellten Feinde
beim ersten Ansturm vom Marsche aus in die Flucht und schloss sie in dieser ein, wurde
jedoch durch einen Pfeilschuss verwundet, der durch den Panzer hindurch bis in die Schulter
drang; indes war die Verletzung nicht sehr schlimm, denn der Panzer verhinderte einen
Schulterdurchschuss. Verwundet wurden auch Ptolemaios, Sohn des Lagos, und Leonnatos.
Darauf lagerte man vor der Stadt an den offensichtlich schwächsten Stellen der Mauer. Die
Stadt selbst nämlich war mit doppeltem Wall umgeben. Am nächsten Tage, noch am Morgen,
brachen die Makedonen in den ersten ohne größere Mühe ein, denn er war schlecht befestigt.
Am zweiten dieser Wälle hielten die Barbaren kurze Zeit stand; als jedoch die Leitern
angelegt und die Verteidiger durch Geschosse von den Seiten her kampfunfähig gemacht
wurden, gaben sie den Widerstand auf und flohen aus den Toren in Richtung auf die Berge.
Ein Teil von ihnen kam dabei auf der Flucht um, doch auch was sie lebend fingen, töteten die
Makedonen aus Wut über die Verwundung Alexanders durch sie. Der Mehrzahl jedoch
gelang es, die nicht allzuweit entfernten Berge zu erreichen. Alexander ließ die Stadt
zerstören und zog dann nach Andaka, einer anderen. Diese wurde ihm übergeben; er ließ nun
Krateros mit den anderen Truppenführern der Infanterie zurück, die übrigen Städte zu
nehmen, soweit sie sich nicht freiwillig übergaben, und die Verhältnisse in diesem Gebiet zu
regeln, wie es für den Augenblick das beste schien.
Er selbst rückte mit Hypaspisten, Bogenschützen, Agrianen, den Infanterieabteilungen von
Koinos und Attalos, der Gardeschwadron und insgesamt an die vier berittenen
Hetairenverbänden sowie der Hälfte der berittenen Speerschützen an den Fluss ... zur Stadt ...
vor, wo der Herrscher der Aspasier sich aufhielt. Nach langem Marsch erreichte er diese am
zweiten Tag, doch hatten die Barbaren bei Nachricht von seinem Kommen sie angezündet
und sich in die Berge geflüchtet. Alexanders Leute indes setzten den Fliehenden auf den
Fersen bis in die Berge nach, und so kam es zu einem Gemetzel unter den Barbaren, noch ehe
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sie in dem unzugänglichen Gelände verschwinden konnten.
Den Führer dieser Inder, der schon bei einem der Hügel angelangt war, entdeckte, umgeben
von einer Anzahl seiner Leibwächter, Ptolemaios, Sohn des Lagos. Er jagte ihm, obwohl
zahlenmäßig unterlegen, sofort zu Pferde nach. Als der Anstieg für den Gaul zu steil wurde,
übergab er ihn einem der Hypaspisten, ihn am Zügel zu führen, und setzte sofort zu Fuß die
Verfolgung des Inders fort. Dieser sah Ptolemaios herankommen, wandte sich um, seine
Leibwächter mit ihm, und schoss eine Lanze auf ihn ab, die in den Panzer des Ptolemaios
eindrang, von diesem jedoch abgefangen wurde. Darauf aber durchschoss Ptolemaios dem
Inder den Schenkel, hieb ihn nieder und nahm ihm die Rüstung ab. Dessen Leute gaben jetzt,
als sie ihn so daliegen sahen, den Widerstand auf – die Feinde jedoch, die von der Höhe des
Berges herab beobachteten, wie der Gegner sich daran machte, den Leichnam ihres Anführers
fortzuschleppen, gerieten darüber in Wut, stürmten herab und begannen um die Leiche einen
erbitterten Kampf an dem Hügel. Aber schon hatte Alexander, der die Infanterie hatte absitzen
lassen, diesen erreicht. Freilich, auch sie konnten durch ihr Eingreifen nur mit Mühe die Inder
in die Berge zurückdrängen und sich im Besitz des Leichnams behaupten.
Alexander überschritt nun das Gebirge und kam zu einer Stadt namens Arigaion, fand jedoch
auch diese in Asche vor, angezündet durch ihre Bewohner. Die Menschen selbst waren in die
Berge geflohen. Nun stieß auch Krateros mit seiner Heeresgruppe nach Ausführung aller
Befehle des Königs wieder zu ihm und erhielt jetzt den Auftrag, den Ort in seiner strategisch
günstigen Lage neu zu befestigen und mit Freiwilligen aus der Umgegend sowie den
allenfalls Kampfunfähigen aus den eigenen Truppen zu besiedeln. Alexander selbst wandte
sich gegen die Stelle, wo sich den Nachrichten zufolge die Hauptmacht der geflohenen
Barbaren dieser Gegend gesammelt hatte; er kam an einen Berg und lagerte an dessen Fuß.
Dabei wurde Ptolemaios, Sohn des Lagos, von Alexander zum Futterholen ausgeschickt und
rückte mit einigen Leuten, gleichsam auf Kundschaft, auf eigene Faust etwas weiter vor. So
konnte er Alexander melden, er beobachte die Lagerfeuer der Barbaren und es seien ihrer
mehr an Leuten als im Lager Alexanders. Dieser war zwar bezüglich einer solchen Anzahl
feindlicher Lagerfeuer skeptisch, merkte aber, es müsse sich da wohl um eine
zusammengezogene Streitmacht sämtlicher Barbaren dieser Gegend handeln; so ließ er einen
Teil seiner Truppen vor dem Berg, wie sie waren, im Lager zurück und nahm selbst nur soviel
an Leuten mit sich, wie der Meldung entsprechend nötig schien. Als man die Feuer schon in
nächster Nähe sah, teilte er sie in drei Gruppen, deren erste unter Leonnatos, dem
Somatophylax, stand und der die Abteilungen von Attalos und Balakros zugeteilt wurden, die
zweite unter Ptolemaios, Sohn des Lagos, bestehend aus einem Drittel der königlichen
Hypaspisten, den Abteilungen von Philippos und Philotas sowie zwei Abteilungen
Bogenschützen, den Agrianen und der Hälfte der Reiterei. Die dritte übernahm, Alexander
selbst und führte sie dorthin, wo die Feinde am dichtesten geballt schienen.
Als diese die Makedonen heranrücken sahen – sie selbst hatten hochgelegene Stellungen
besetzt –, kamen sie im Vertrauen auf ihre überlegene Zahl und voller Verachtung auf die
scheinbar wenigen Gegner in das flache Gelände herab. Es entbrannte ein heftiges Gefecht,
doch gelang es Alexander, seine Gegner ohne größere Mühe zu werfen. Hingegen standen
Ptolemaios und seine Leute dabei nicht in der Ebene, sondern hatten vor sich einen Hügel,
besetzt mit Feinden. Dennoch ließ Ptolemaios Sturmkolonnen bilden und griff an, wo dies bei
dem. Hügel am ehesten möglich schien, wollte diesen aber dabei nicht ganz umzingeln,
sondern den Barbaren einen Fluchtweg freilassen, falls sie davonzulaufen gedächten. Auch
mit diesen war ein schwerer Kampf durchzustehen, dies nicht allein wegen der schwierigen
Geländeverhältnisse, sondern weil die Inder im Gegensatz zu anderen Barbaren gerade in
diesem Gebiet unendlich viel tapferer als alle Nachbarn sind. Aber auch hier wurden sie durch
die Makedonen von ihrem Hügel verdrängt. Den gleichen Erfolg hatte auch die dritte Gruppe
unter Leonnatos, die ebenfalls ihre Gegner besiegen konnte. Nach dem Bericht des
Ptolemaios fing man insgesamt über 40000 Mann, dazu 23000 Rinder, von denen Alexander
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die schönsten Stücke auswählte und sie nach Makedonien zur Feldarbeit schickte, weil diese
Rasse sich durch Ansehnlichkeit und Größe auszeichnet.
Von da zog er weiter ins Land der Assakener, die Meldungen zufolge mit etwa 2000 Reitern,
über 30000 Fußsoldaten und 30 Elefanten kampfbereit standen. Krateros, der inzwischen
bereits die Stadt befestigt hatte, zu deren Besiedlung er zurückgelassen war, führte auf Befehl
Alexanders die schwerer gerüsteten Einheiten sowie den Belagerungspark, falls eine
Belagerung nötig würde. Alexander selbst zog mit Hetairenkavallerie, berittenen
Speerschützen, den Abteilungen von Koinos und Polyperchon sowie 1000 leichtbewaffneten
Agrianen und den Bogenschützen gegen die Assakener. Dabei durchzog er das Land der
Guraier. Unter Schwierigkeiten überquerte man den Fluss Guraios, nach dem das Land
benannt ist, denn neben Tiefe und Strömung gibt es dort runde, glatte Steine im Flussbett, die
beim Auftreten leicht ausgleiten lassen. Die Barbaren indes, die Alexander heranrücken
sahen, wagten eine Schlacht in geballtem Haufen nicht, sondern lösten sich auf und zogen
sich einzeln in ihre Städte zurück mit der Absicht, sich dort zu verteidigen und so ihr Leben
zu retten.
Zuerst zog Alexander nach Massaga, der größten der Städte der Gegend. Bei seinem
Heranrücken an ihre Mauern stürmten die Barbaren dort, vertrauend auf Söldner aus dem
weiter entfernten Indien, von denen sie an die 7000 hatten, als sie die Makedonen sich lagern
sahen, mit neuem Mut gegen diese heraus. Alexander, der erkannte, der Kampf werde sich in
Nähe der Stadt abspielen, suchte die Gegner weiter von deren Mauern wegzulocken, damit
diese im Falle einer Niederlage, wie er sie kommen sah, keine Gelegenheit hätten, sich auf
einem kurzen Fluchtweg in die Stadt hinein mühelos in Sicherheit zu bringen. Er ließ daher,
als er die Feinde aus der Stadt herauslaufen sah, die Makedonen kehrtmachen und sich in
Richtung auf einen Hügel zurückziehen, der nicht mehr als sieben Stadien von dem in
Aussicht genommenen Lagerplatz entfernt war. Die Feinde nun, ermutigt, da die Makedonen
offensichtlich bereits wichen, liefen so schnell dies ging und ohne jede Ordnung auf diese zu,
doch als sie auf Schussweite heran waren, befahl Alexander auf ein gegebenes Zeichen der
Phalanx, wieder kehrtzumachen und nun ihrerseits im Sturmschritt zum Gegenstoß
anzutreten. So gerieten als erste seine berittenen Speerschützen, Agrianen unll Bogenschützen
im Gegenstoß an den Feind, während er selbst die Phalanx in geschlossener Formation
nachführte. Durch diese unvorhergesehene Entwicklung der Dinge verwirrt, wichen die Inder,
sobald es zum Nahkampf kam, und suchton in die Stadt zurückzufliehen. Von ihnen gingen
an die 200 zugrunde, der Rest wurde eingeschlossen.
Nun führte Alexander die Phalanx gegen die Mauern, wurde aber dabei von der Brustwehr
her durch einen Pfeilschuss in den Knöchel leicht verwundet. Am nächsten Tag aber brachte
man die Maschinen heran und konnte ohne Schwierigkeit damit ein Stück der Mauer
einreißen. Die Inder indes setzten sich gegen die an den Breschen hereindrängenden
Makedonen recht tapfer zur Wehr, so dass Alexander für diesen Tag den Rückzug befehlen
musste. Doch am folgenden wiederholten die Makedonen den Angriff in verstärkter Form,
auch führte man jetzt einen hölzernen Turm, an die Mauern heran, von dem aus
Bogenschützen und Schleudermaschinen durch ihre Geschosse die Gegner weithin
zurücktrieben – indes es war auch jetzt nicht möglich, in die Stadt einzubrechen.
Am dritten Tag endlich ließ Alexander die Phalanx nochmals vorrücken, legte mittels einer
Maschine eine Zugbrücke über die Mauerbresche und führte über diese persönlich diejenigen
Hypaspisten, die auf die gleiche Weise bereits Tyros für ihn genommen hatten. Als jedoch in
ihrer Kampfesbegeisterung allzu viele herandrängten, brach diese Brücke durch Überlastung
zusammen, und mit ihren Trümmern stürzten die Makedonen in die Tiefe. Jetzt aber, sobald
sie diesen Vorgang sahen, schossen die Barbaren unter Freudengeheul von der Mauer mit
Steinen, Pfeilen und was sonst noch jeder von ihnen in greifbarer Nähe hatte, auf die Gegner
herab, andere wieder drängten zu den Pforten heraus, die zwischen den Türmen angebracht
waren, und hieben aus nächster Nähe auf die Verwirrten ein.
23
Alexander schickte nun Alketas mit seiner Abteilung, die Verwundeten aufzunehmen und die
ins Lager zurückzuholen, die diese noch deckten. Auf seinen Befehl wurde drei Tage danach
mittels einer anderen Maschine in gleicher Weise ein neuer Übergang in die Mauer gegen
diese vorangetrieben. Die Inder leisteten auch jetzt mit aller Energie Widerstand, solange ihr
Führer am Leben war; als dieser aber durch ein Katapultgeschoss tödlich getroffen wurde und
von ihnen selbst die einen in dem anhaltenden Belagerungskampf gefallen, auf jeden Fall aber
die meisten bereits verwundet oder kampfunfähig waren, schickten sie einen Parlamentär zu
Alexander, dem es nicht unlieb war, solch tapfere Männer am Leben erhalten zu können. So
schloss er denn mit den indischen Söldnern einen Vertrag dahingehend, dass sie, in die übrige
Armee eingereiht, künftig mit ihm marschierten. Diese kamen aus der Stadt in Waffen und
lagerten für sich auf einem Hügel gegenüber dem makedonischen Lager, gedachten jedoch in
der Nacht heimlich jeder nach seiner Heimat davonzugehen, um nicht gegen die anderen
Inder die Waffen erheben zu müssen. Als Alexander dies erfuhr, umzingelte er daher in der
Nacht den Hügel mit seiner ganzen Armee und ließ die so eingeschlossenen Inder
niedermachen. Die von Verteidigern entblößte Stadt wurde im Sturm genommen, wobei man
Mutter und Tochter des Assakanos gefangennahm. Während der ganzen Belagerung waren
aus dem Heer Alexanders insgesamt 25 Mann gefallen.
Von hier aus schickte Alexander Koinos nach Bazira in der Meinung, man werde sich dort auf
Nachricht von der Eroberung Massagas ohne weiteres ergeben. Attalos, Alketas und den
Kavallerieführer Demetrios sandte er nach Ora, einer anderen Stadt, mit dem Befehl, diese,
bis er selbst einträfe, einstweilen durch einen Wall einzuschließen. Ein Ausfall der Bewohner
gegen die Gruppe des Alketas konnte leicht abgewiesen werden, wobei die Makedonen die
Gegner zum Rückzug in den Schutz der Mauern zwangen. Hingegen hatte Koinos bei Bazira
wenig Glück, denn im Vertrauen auf die Geländeverhältnisse – die Stadt selbst lag auf einem
sehr steilen Berg und war nach allen Seiten hin ausgezeichnet bewehrt – ließ man sich auf
eine Unterwerfung dort nicht ein.
Auf diese Nachricht beschloss Alexander, selbst gegen Bazira aufzubrechen: Da er indes in
Erfahrung gebracht hatte, Barbaren der umliegenden Gebiete, von Abisares zu diesem Zweck
geschickt, seien drauf und dran, sich heimlich in die Stadt Ora einzuschleichen, wandte er
sich zuerst gegen diese. Koinos sollte inzwischen Bazira gegenüber einen Platz befestigen,
mit einer genügend starken Besatzung versehen, um die Bewohner der Stadt von der freien
Nutzung ihres Landes abzusperren, und dann mit dem Rest seiner Truppen wieder zu ihm
stoßen. Als nun aber die Verteidiger von Bazira den Abzug des Koinos zusammen mit der
Mehrzahl seiner Leute bemerkten, wurden sie übermütig, da der zurückgelassene Rest
Makedonen an Kampfkraft ihnen kaum gewachsen schien, und liefen in das flache Land
hinaus. Es kam dabei zu einem heftigen Gefecht mit ihnen, in dessen Verlauf an die 500
Barbaren fielen und über 70 gefangen wurden; der Rest floh in die Stadt zurück und wurde
von den Makedonen aus ihren Verschanzungen heraus nun wirkungsvoller vom Umland
abgeschnitten. Die Belagerung von Ora aber machte Alexander keine Schwierigkeiten. Er
nahm die Befestigungen gleich vom Marsch aus im ersten Ansturm und gelangte so in
denBesitz der Stadt. Die dort verbliebenen Elefanten fielen in seine Hand.
8. Arrian, Indische Geschichte (auf der Basis des Logbuchs des Nearchos)
Kapitel 18-21
Als für Alexander die Flotte mit Schiffen am Hydaspis ausgerüstet war, versammelte er die
Phönizier, Kyprer und Ägypter, die ihm auf dem Hinweg gefolgt waren. Mit ihnen bemannte
er die Schiffe, indem er als Matrosen und Ruderer die in der Seemannsehaft am meisten
erfahrenen auswählte. Es gab auch nicht wenige Inselbewohner, die sich darauf verstanden,
im Heer, neben Ioniern und Bewohnern des Hellesponts. Aus den Makedonen ernannte er zu
24
Kapitänen Hephaistion, den Sohn der Amyntor, Leonnatos, den Sohn des Eunos, Lysimachos,
den Sohn des Agathokles, Asklepiodor, den Sohn des Timander, Archon, den Sohn des
Kleinios, Demonikos, den Sohn des Athenaios, Archias, den Sohn des Anaxidotos, Ophellas,
den Sohn des Seilenos, und Timanthes, den Sohn des Pantiades. Diese stammten alle aus
Pella. Aus Amphipolis wurden folgende zu Kapitänen bestimmt: Nearch, der Sohn des
Androtimos, der auch über die Reise schrieb, Laomedon, der Sohn des Larichos, und
Androsthenes, der Sohn des Kallistratos; aus Orestis Krateros, der Sohn des Alexander, und
Perdikkas, der Sohn des Orontes; aus Eordaia Ptolemaios, der Sohn des Lagos, und
Aristonous, der Sohn des Peisaios; aus Pydna Metron, der Sohn des Epicharmos, und
Nikarchides, der Sohn des Simos; dazu Attalos, der Sohn des Andromenes, Tymphaios und
Peukestas, die Söhne des Alexander, aus Mieza, Peithon, der Sohn des Krateuas, aus
Alkomenai, Leonnatos, der Sohn des Antipater, aus Aigai, Pantauchos, der Sohn des
Nikolaos, aus Aloros, und Mylleas, der Sohn des Zoilos, aus Beroaia. Alle diese sind
Makedonen. Von den Griechen aber: Medios, der Sohn des Oxythemis, aus Larisa, Eumenes,
der Sohn des Hieronymos, aus Kardia, Kritobulos, der Sohn des Plato, aus Kos, Thoas, der
Sohn des Menodoros, und Maiander, der Sohn des Mandrogenes, aus Magnesia, und Andron,
der Sohn des Kabeles, aus Teos. Von Kyprern Nikokles, der Sohn des Pasikrates, aus Solai,
und Nithaphon, der Sohn des Pnytagoras, aus Salamis. Auch ein Perser diente ihm als
Kapitän: Bagoas, der Sohn des Pharnouches. Der Steuermann des Schiffes von Alexander
selbst war Onesikritos aus Astypalaia, der Schreiber der ganzen Flotte war Euagoras, der
Sohn des Eukleon, aus Korinth. Als Admiral setzte Alexander Nearch, den Sohn des
Androtimos, ein, der zwar aus Kreta stammte, doch in Amphipolis am Strymon wohnte. Als
Alexander dies angeordnet hatte, opferte er den Familiengöttern und denen, die ihm das
Orakel bezeichnet hatten, ferner Poseidon, Amphitrite, den Nereiden, Okeanos selbst, dem
Fluss Hydaspes, von dem aus er aufbrach, und dem Akesines, in den sich der Hydaspes
ergießt, sowie dem Indus, in den sich beide ergießen. Er veranstaltete musische und sportliche
Wettkämpfe und ließ die Opfertiere im ganzen Heer an die einzelnen Abteilungen ausgeben.
Als aber alles für die Abfahrt vorbereitet war, befahl er Krateros, sich mit dem Fußvolk und
den Reitern auf die gegenüberliegende Seite des Hydaspes zu begeben. Auf der anderen Seite
begleitete ihn Hephaistion mit einem zweiten Heer, größer als das dem Krateros zugeordnete.
Seine etwa zweihundert Elefanten hatte Hephaistion bei sich. Alexander selbst führte dagegen
die sogenannte Garde mit sich, alle Bogenschützen und von den Reitern diejenigen, die die
Gefährten heißen, alle zusammen etwa 8000. Die Truppen bei Krateros und Hephaistion
hatten den Befehl, vorauszumarschieren und an einem bestimmten Punkt die Flotte zu
erwarten. Philipp, der sein Statthalter dieses Landes war, schickte er, ebenfalls mit einem
großen Heer, an die Ufer des Akesines. Es folgten ihm nunmehr 120000 kampfbereite
Soldaten zusammen mit denen, die er selbst vom Meer herangeführt hatte, und mit denen, die
seine Rekrutenwerber mitbrachten. So führte er die verschiedensten fremden Völkerschaften
mit sich, die auf alle mögliche Weise bewaffnet waren. Alexander ließ die Anker lichten und
fuhr den Hydaspes hinab bis zum Zusammenfluss von Akesines und Hydaspes. Insgesamt
hatte er 800 Schiffe: Kriegs- und Handelsschiffe, Schiffe zum Transport von Pferden,
Lebensmitteln und Truppen. Wie seine Flotte die Flüsse hinabfuhr, welche Völker er auf der
Fahrt unterwarf, wie er selbst bei den Mallern in Gefahr geriet und wie er dort verwundet
wurde und wie Peukestes und Leonnatos den Gefallenen mit ihren Schilden schützten, das
alles habe ich in dem anderen in Attisch verfassten Bericht mitgeteilt. Diese Schrift dagegen
dient mir zur Darstellung der Küstenfahrt, die Nearch mit der Flotte antrat, als er von den
Mündungen des Indus aufbrach und über das große Meer bis zum Persischen Golf fuhr, den
einige das Rote Meer nennen.
Folgenden Bericht darüber gibt Nearch. Zwar habe Alexander gewünscht, die See von den
Indern bis zum Persischen Meer zu befahren, er habe jedoch wegen der Länge der Seefahrt,
wegen der Mögliehkeit, auf unbewohnte Gebiete ohne Hafen und ohne hinreichende
25
Möglichkeiten zur Aufnahme von Lebensmitteln zu stoßen, Bedenken gehabt. Denn so
könnte seine Flotte den Untergang finden und so ein schlimmer Schandfleck auf seinen
großen Taten entstehen, der ihm all sein Glück zunichte machen würde. Dennoch habe in ihm
die Lust gesiegt, stets etwas N eues und Ungewöhnliches zu unternehmen. Er sei sich
unschlüssig gewesen, welchen fähigen Mann er für seine Pläne auswählen solle und wie er
zugleich den Seeleuten, die doch ein derartiges Unternehmen ausführen sollten, die Furcht
nehmen könne, sie würden leichtfertig einer voraussehbaren Gefahr ausgesetzt. Nearch
beriehtet, Alexander habe sich mit ihm beraten, wen er für die Führung der Flotte auswählen
solle. Als ihm nun einer nach dem anderen in den Sinn gekommen sei, habe er sie teils
abgelehnt, da sie für ihn keine Gefahr auf sich nehmen wollten oder nicht energisch genug
waren, teils weil sie an Heimweh litten oder weil er dies oder jenes gegen sie vorbringen
konnte. Da habe er sich angeboten und gesagt: "Mein König, ich nehme es auf mich, die
Flotte zu führen. Und wenn die Götter gnädig sind, werde ich die Schiffe und die Männer
wohlbehalten bis nach Persien bringen, vorausgesetzt, dass das Meer dort schiffbar und dass
das Werk mit dem menschlichen Verstand durchführbar ist." Alexander habe es zum Schein
abgelehnt, einen seiner Freunde solchen Mühen und Gefahren auszusetzen; daraufhin habe er,
Nearch, erst recht nicht nachgegeben und ihn noch dringender gebeten. Dann habe Alexander
den Eifer Nearchs begrüßt und ihn als Befehlshaber der ganzen Flotte eingesetzt. Daraufhin
seien das für die Seefahrt bestimmte Heer und die Seeleute um so mehr guten Mutes gewesen,
da sie wussten, dass Alexander Nearch niemals in eine offenkundige Gefahr geschickt hätte,
wenn nicht ihre Rettung zu erwarten gewesen wäre. Die ganze Pracht der Ausstattung, die
Ausrüstung der Schiffe und die außerordentlichen Bemühungen der Kapitäne um die Seeleute
und die Besatzungen ließen auch die lange ganz Unschlüssigen Kraft und zugleich
zuversichtlichere Hoffnung schöpfen hinsichtlich des ganzen Unternehmens. Viel habe auch
zur Hebung der Moral der Truppe beigetragen, dass Alexander selbst mit aufgebrochen, durch
die beiden Mündungen des Indus zum Meere gefahren sei, Poseidon und den anderen
Meergöttern Opfertiere habe schlachten lassen und dem Meer herrliche Geschenke
dargebracht habe. Sie seien von dem meist unglaublichen Glück Alexanders überzeugt
gewesen und hätten geglaubt, dass er alles unternehmen und glücklich zu Ende führen könne.
Als sich nun die Monsunwinde legten – sie wehen nämlich den ganzen Sommer lang vom
Meer zum Land und machen so die Seefahrt unmöglich –, da brachen sie auf, als in Athen
Kephisodoros Archont war, am 20. des Monats Boedromion nach der Athener Rechnung,
nach der der Makedonen und Asiaten im Monat Hyperberetaios im 11. Jahr der Herrschaft
Alexanders. Nearch opferte vor dem Auslaufen Zeus Soter und veranstaltete auch einen
sportlichen Wettkampf. Nachdem sie von ihrem Schiffsdepot aufgebrochen waren, fuhren sie
am ersten Tag den Indus hinab, ankerten bei einem großen Kanal und blieben dort zwei Tage
lang. Dieser Ort heißt Stura und war etwa 100 Stadien von dem Schiffsdepot entfernt. Am
dritten Tag lichteten sie die Anker und fuhren 30 Stadien bis zu einem anderen Kanal, der
bereits Brackwasser führte. Besonders während der Flut strömte das Meer in ihn hinein, aber
auch bei Ebbe blieb das Wasser darin mit dem Fluss vermischt. Dieser Platz heißt Kaumana.
Von dort fuhren sie 20 Stadien flussab nach Koreestis und ankerten immer noch im Fluss.
Von dort brachen sie auf, fuhren jedoch nicht weit. Denn in dieser Mündung des Indus
bemerkten sie ein Riff; die Wellen brandeten gegen das Ufer, das felsig war. Wo das Riff am
schwächsten war, bauten sie auf fünf Stadien einen Kanal und brachten die Schiffe hindurch,
als die Flut aus dem Meere aufgelaufen war. Dann fuhren sie 150 Stadien an der Küste
entlang, ankerten bei der Sandbank Krokala und blieben dort den nächsten Tag. Dort wohnt
ein indisches Volk, die Arabier, die ich auch in meinem größeren Werk erwähnt habe und
dass sie nach dem Fluß Arabis heißen, der durch ihr Gebiet zum Meer fließt und ihr Land von
dem der Oreiten abgrenzt. Von Krokala aus fuhren sie weiter und hatten zur rechten einen
Berg, den man Eiros nannte, zur linken eine flache Insel. Die Insel erstreckt sich entlang dem
Ufer und bildet eine schmale Bucht. Sie fuhren hindurch und ankerten in einem guten Hafen.
26
Da er groß und schön war, fand Nearch es richtig, ihn den Alexander-Hafen zu nennen. Etwa
zwei Stadien vor der Einfahrt des Hafens liegt eine Insel. Sie heißt Bibakta, der ganze Platz
Sangada. Und die Insel, die im Meer vorgelagert ist, bildet selbst auch den Hafen. Dort blies
ununterbrochen ein gewaltiger Sturm vom Meer her. Daher fürchtetc Nearh, dass einige
Barbaren sich zu einem Raubzug gegen das Lager zusammentun könnten, und ließ den Ort
mit einer Steinmauer umgeben. Der Aufenthalt erstreckte sich auf 24 Tage. Und er berichtet,
dass die Soldaten Wasserratten, Muscheln und sogenannte Schwertfische von unglaublicher
Größe, gemessen an denen, die man in unserem Meer trifft, gefangen hätten und dass man
Meerwasser getrunken habe.
Kapitel 29-30
Dort lichteten sie um Mitternacht die Anker und legten bis zu dem guten Hafen von Talmena
etwa 1000 Stadien zurück. Von dort sind es bis zu der verlassenen Stadt Kanasis etwa 400
Stadien. Dort fanden sie einen gegrabenen Brunnen. Es wuchsen dort auch wilde
Dattelpalmen. Sie schlugen den Palmkohl ab und aßen ihn, denn dem Heer war das Getreide
ausgegangen. Sie litten nun Hunger und fuhren Tag und Nacht; schließlich gingen sie an einer
einsamen Küste vor Anker. Da Nearch befürchtete, dass die Soldaten an Land gehen und die
Schiffe aus Verzweiflung verlassen könnten, ließ er die Schiffe auf hoher See vor Anker
gehen. Von dort fuhren sie nach Kanate und legten 750 Stadien zurück. Dort gibt es einen
flachen Strand und flache Priele. Von dort fuhren sie 800 Stadien und ankerten bei den Taern.
Dort befanden sich kleine, ärmliche Dörfer. Die Bewohner verließen ihre Häuser; die
Griechen fanden jedoch nur wenig Brot und Datteln von Palmen. Ferner schlachteten sie
sieben zurückgelassene Kamele und verzehrten ihr Fleisch. Mit der Morgenröte brachen sie
auf, fuhren 300 Stadien und ankerten in Dagaseira. Dort leben einige Nomaden. Von dort
brachen sie auf, fuhren Tag und Nacht, ohne zu rasten, und legten 1100 Stadien zurück.
Damit verließen sie das Volk der "Fischesser", wo sie viel Schlimmes durch den Mangel an
lebensnotwendigen Gütern erlitten hatten. Sie zogen ihre Schiffe nicht aufs Land, denn die
Brandung ging hoch, sondern sie ankerten auf offener See. Die Länge des Weges an der
Küste des Landes der "Fischesser'' entlang betrug etwas mehr als 10000 Stadien.
Diese "Fischesser'' leben von Fischen, wonach sie auch ihren Namen haben. Nur wenige von
ihnen betreiben Fischerei: Denn nur wenige haben dazu auch Boote gebaut und eine gewisse
Fertigkeit in der Fischerei erworben. Den meisten Fisch bringt ihnen die Ebbe. Einige haben
hierfür Netze hergestellt, deren Länge in der Regel zwei Stadien beträgt. Sie flechten die
Netze aus dem Bast der Palmen, indem sie den Bast wie Flachs drehen. Wo das trockene
Land zurückbleibt, wenn das Wasser abläuft und das Land freigibt, sind meist keine Fische.
Wo aber tiefe Stellen sind, bleibt etwas Wasser, und darin findet man ziemlich viele Fische;
meist sind es kleine, manchmal auch größere. Diese schließen sie mit den Netzen ein und
fangen sie. Die zarten Fische essen sie roh, wie sie sie aus dem Wasser holen. Die größeren
und härteren dörren sie in der Sonne, bis sie ausgetrocknet sind. Dann zermahlen sie sie zu
Mehl und bereiten aus ihnen auch Brot; einige backen aus diesem Mehl auch Fladen. Auch
ihre Viehherden fressen getrocknete Fische. Denn in dem Land gibt es keine Wiesen, und es
trägt kein Gras. Vielfach fangen sie auch Krabben, Austern und andere Muscheln. Salz
entsteht im Land von selbst ... daraus bereiten sie Öl. Diejenigen, die nun diese Wüsten
bewohnen, ein Land, das keine Bäume hervorbringt oder essbare Früchte trägt, bereiten ihre
gesamte Nahrung aus Fischen. Nur wenige bebauen einen Teil des Landes, aber auch sie
genießen das Brot nur als Zukost zu den Fischen. Denn ihre Nahrungsmittel sind die Fische.
Die Wohlhabenden sammeln die Knochen von Walen, die das Meer auswirft, und verwenden
sie anstelle von Holz beim Bau ihrer Häuser. Türen verfertigen sie aus ihren breiten Knochen,
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die gesammelt werden. Von den meisten, ärmeren werden die Häuser aus Fischgräten
errichtet.
Große Wale leben im Ozean und Fische, die viel größer sind als im Mittelmeer. Und Nearch
berichtet, dass sie, nachdem sie von Kyiza abgefahren waren, bei Tagesanbruch gesehen
hätten, wie Wasser aus dem Meere nach oben geblasen wurde, wie durch die Gewalt einer
Windhose hochgerissen . Als sie erschrocken die Lotsen gefragt hätten, was das sei und
wodurch diese Erscheinung entstehe, hätten diese geantwortet, daß Wale bei der Wanderung
durch das Meer Wasser nach oben bliesen. Den erschreckten Seeleuten seien die Ruder aus
den Händen gefallen; er selbst, sei herangefahren, habe ihnen gut zugeredet und sie ermutigt.
Und allen, an denen er vorbeigefahren sei, habe er befohlen, die Schiffe wie zu einer
Seeschlacht in eine Front zu bringen, zugleich mit dem Lärm der Ruder ein Kriegsgeschrei
anzustimmen und schnell und mit kräftigem Schlag zu rudern. So ermutigt, seien sie zugleich
auf ein Signal hin gefahren. Als sie sich schon den Tieren näherten, da hätten sie nach besten
Kräften ein Kriegsgeschrei angestimmt, die Trompeten geblasen und mit einem möglichst
weithin hörbaren Schlag gerudert. So seien die schon vor dem Bug der Schiffe sichtbaren
Wale erschreckt in die Tiefe getaucht. Kurz darauf seien sie am Heck wieder emporgetaucht
und hätten wiederum gewaltig Meerwasser ausgeblasen. Daraufhin seien die Soldaten wegen
der unerwarteten Rettung in Beifall ausgebrochen zum Lobe des Mutes und der Klugheit des
Nearch. An vielen Orten der Küste seien einige Wale gestrandet, wenn sie von der Ebbe in
einer Untiefe überrascht würden, andere würden von heftigen Stürmen gegen das Festland
getrieben. Dann stürben und verfaulten sie. Wenn das Fleisch verwest und die Knochen allein
übrig seien, würden sie die Menschen zum Hausbau verwenden. Die Rippen, soweit sie groß
seien, dienten als Balken für Häuser, die kleineren als Dachsparren. Die Kieferknochen
würden als Türen verwendet, da von den Walen viele bis 25 Klafter lang sind.
Kapitel 35-36
Nachdem die Soldaten sie auf ihre Wagen hatten steigen lassen, machten sie sich auf den
Rückweg. Einige von den Soldaten wollten die Nachricht als erste überbringen, eilten voraus
und sagten Alexander: "Nearch und mit ihm Archias und fünf weitere kommen zu dir". Über
das Heer als Ganzes konnten sie jedoch keine Auskunft geben. Daraus schloss Alexander,
dass zwar diese wider Erwarten gerettet seien, sein ganzes Heer jedoch untergegangen sei. So
war er über die Rettung von Nearch und Archias nicht so sehr erfreut, wie ihn der Verlust des
ganzen Heeres betrübte. Kaum hatten die Soldaten ihren Bericht erstattet, als Nearch und
Archias ankamen. Alexander erkannte sie nur mit Mühe, als er sie mit ihren langen Haaren
und ihrer abgerissenen Kleidung sah. Und dadurch gewann sein Kummer um die Kriegsflotte
noch mehr an Gewissheit. Er ergriff die rechte Hand Nearchs und führte ihn allein beiseite,
weg von den Gefährten und der Leibwache, und weinte lange Zeit. Endlich fasste er sich und
sagte: "Nun, da du sicher zu uns zurückgekehrt bist und Archias, kann ich das ganze Unglück
leichter ertragen. Aber wie sind die Schiffe und das Heer untergegangen?" Nearch fiel ihm ins
Wort: "König, auch die Schiffe und das Heer sind in Sicherheit. Wir sind als Boten ihrer
Rettung gekommen." Da weinte Alexander noch mehr, weil ihm die Rettung des Heeres so
unverhofft kam, und er fragte, wo die Schiffe ankerten. Nearch sagte: "Sie sind an der
Mündung des Flusses Anamis an Land gezogen und werden überholt." Da schwor Alexander
beim Zeus der Griechen und beim Ammon der Libyer, dass er sich wahrhaftig mehr über
diese Botschaft freue als über den Besitz von ganz Asien. Denn der Schmerz über den
Untergang des Heeres sei seinem ganzen übrigen Glück gleich gewesen.
Aber der von Alexander wegen der falschen Botschaft gefangengesetzte Statthalter des
Landes fiel vor Nearch auf die Knie, als er seine Anwesenheit bemerkt hatte, und sagte: "Ich
bin es, der Alexander gemeldet hat, dass ihr wohlbehalten kommt. Du siehst, wie es mir
ergangen ist." Daraufhin bat Nearch Alexander, den Mann freizulassen, und er wurde
freigelassen. Alexander brachte dem Retter Zeus, Herakles, dem Unheilabwehrer Apollon,
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Poseidon und den anderen Meeresgöttern Dankopfer für die Rettung des Heeres dar. Ferner
veranstaltete er einen sportlichen und einen musischen Wettkampf und einen Festzug. An der
Spitze ging Nearch, der mit Bändern und Blumen vom Heer beworfen wurde. Als das Fest
zuende gegangen war, sagte Alexander zu Nearch: "Ich möchte, dass du dich jetzt nicht mehr
der Gefahr und den Strapazen aussetzt, Nearch, sondern dass von hier ein anderer die Flotte
führt, bis sie in Susa ankommt." Aber Nearch entgegnete: "König, ich will dir in allem
gehorchen, wie ich es muss. Wenn du deinerseits mir jedoch eine Gunst erweisen willst, so
handle nicht auf diese Weise, sondern lass mich das Heer bis zum Ende führen, bis ich deine
Schiffe sicher nach Susa gebracht haben werde. Auch sollte nicht mir der mühevolle und
schwierige Teil von dir aufgetragen, der einfache und zu leichtem Ruhm führende jedoch
weggenommen und in andere Hände übergeben werden." Alexander unterbrach seine Rede
und dankte ihm dafür. So schickte er ihn mit wenigen Soldaten als Begleitung weg, da er ja
durch ein befreundetes Gebiet ziehe. Aber der Weg zum Meer war für ihn nicht frei von
Mühen; denn die Barbaren ringsum hatten sich gesammelt und die Festungen des Landes
Karmanien besetzt, weil ihr Satrap auf Anordnung Alexanders hingerichtet worden war. Der
erst kürzlich eingesetzte Tlepolemos hielt die Macht noch nicht sicher in den Händen. Und
zwei- oder dreimal an demselben Tag wurden sie mit hier und da auftauchenden Barbaren
handgemein. So gelangten sie ohne Rast mit Mühe und Not sicher ans Meer. Dort opferte
Nearch dem Retter Zeus und veranstaltete einen sportlichen Wettkampf.
Bitte in Kopie aus dem Semesterordner einfügen: Historia Augusta, Vita
Hadriani (Lebensbeschreibung des Kaisers Hadrian)
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9. Die Romrede des Aelius Aristides
1. Wenn die Menschen auf dem Meer oder auf dem Lande reisen, so pflegt jeder zu geloben,
was ihm gerade in den Sinn kommt. Ein Dichter sagte sogar einmal scherzhaft, er habe
„Weihrauchkörner mit vergoldeten Hörnern“ gelobt. Wir aber, ihr Männer, gelobten auf dem
Weg hierher zu Lande und auf dem Meer nichts, was Mangel an Bildung und Wohlklang
verriete und mit unserer Kunst nicht vereinbar wäre, sondern wir wollten, wenn wir
wohlbehalten ankämen, die Stadt mit einer öffentlichen Rede begrüßen.
2. Aber es war nicht möglich, eine Rede zu versprechen, die der Stadt angemessen wäre, und
so wurde in der Tat wieder ein anderes Gelöbnis nötig. Vielleicht bedarf es eines begabteren
Mannes, der sich an eine Rede wagen könnte, welche der so großen Würde der Stadt gerecht
wird. Wir aber versprachen, euch so zu begrüßen, wie es in unseren Kräften steht; denn es
gibt auch andere, die meinen, dass das, was ihren Kräften angemessen ist, selbst für die Götter
ausreicht.
3. Aber, ihr Männer, die ihr diese große Stadt bewohnt, wenn ihr euch gleichfalls darum sorgt,
dass ich nichts Falsches versprach, so steht mir in meinem Wagnis bei, damit wir gleich am
Anfang unserer Lobrede auch dies sagen können: Wir konnten hier augenblicklich mit
solchen Menschen zusammentreffen, durch die ein Mann, „auch wenn er vorher ungebildet
war“ – um ein Wort des Euripides zu gebrauchen –, sogleich zum klangvollen und klugen
Redner wird und sogar über Dinge sprechen kann, welche sein Können übersteigen.
4. Die Stadt preisen zwar alle und werden sie auch in Zukunft preisen. Aber sie nehmen ihr
dadurch mehr, als wenn sie schweigen; denn mit Schweigen können sie diese weder erhöhen
noch geringer machen, als sie wirklich ist, und das Wissen über sie bleibt unverfälscht. Mit
Worten aber erreichen sie das Gegenteil von dem, was sie sich wünschen; denn mit ihrem Lob
geben sie kein genaues Bild von dem, was sie bewundern. Wenn ein Maler, der einen Körper
von besonderer Schönheit kunstvoll abbilden will, dann aber hinter seinem Ziel zurückbleibt,
so werden sicher alle sagen, es wäre besser für ihn, nicht zu malen, sondern entweder den
Körper selbst sehen zu lassen oder ihnen nicht das schlechtere Abbild zu zeigen. So glauben
wir, verhält es sich auch mit dieser Stadt.
5. Die Worte rauben das meiste von dem, was man an ihr bewundert, und die Wirkung kommt
mir so ähnlich vor, als ob jemand die Größe eines Heeres beschreiben wollte, wie etwa das
des Xerxes, und in maßlosem Staunen dann sagen würde, er habe zehn- oder zwanzigtausend
Fußsoldaten gesehen und soundsoviele Reiter, ohne damit auch nur einen kleinen Teil all der
Dinge zu erwähnen, die er bestaunt.
6. Sie ist nämlich in Wahrheit die erste Stadt, welche bewiesen hat, dass die Macht der
Beredsamkeit nicht jedes Ziel erreicht. Es ist nicht nur unmöglich, so über sie zu sprechen,
wie sie es verdient, sondern man kann sie nicht einmal so ansehen, wie sie es verdienen
würde. Es wäre in der Tat ein alles sehender Argos nötig. mehr noch, der alles sehende Gott,
welcher sie beherrscht. Wer könnte wohl, wenn er so viele von ihr erfasste Berggipfel
erblickt, so viele Weideflächen in der Ebene, welche zur Stadt geworden sind, oder so viel
Land, das unter dem Namen einer einzigen Stadt vereinigt ist, dies alles noch vollkommen
überschauen? Von welcher Warte aus sollte er sie betrachten?
7. Was Homer über den Schnee gesagt hat, dass er, wenn er gefallen sei, „die Höhen ragender
Berge und die Vorgebirge verhülle, auch die Felder voll Klee und die üppigen Fluren der
Menschen, und dass er auf die Buchten des schimmernden Meeres und auf seine Gestade“
gefallen sei, das gilt auch von dieser Stadt. Sie bedeckt die ragenden Gipfel, bedeckt auch das
Land in der Mitte und reicht selbst bis zum Meer hinab, wo sich der gemeinsame
Handelsplatz aller Menschen und der gemeinsame Markt für die Erzeugnisse der Erde
befindet. Wo auch immer sich jemand in der Stadt aufhält, es gibt nichts, was ihn hindern
könnte, zugleich in ihrer Mitte zu sein.
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8. Sie breitet sich aber nicht nur über die Oberfläche der Erde aus, sondern sie ragt ganz und
gar ohne Beispiel unermesslich in den Himmel, dass ihre Höhe nicht so sehr mit einer
Schneedecke als vielmehr mit den Berggipfeln selbst zu vergleichen ist. Wie ein Mann, der
alle anderen an Größe und Stärke weit übertrifft, nicht zufrieden ist, wenn er nicht auch
andere über sich emporhebt und trägt, so ist auch diese über soviel Land erbaute Stadt nicht
damit zufrieden, sondern sie hebt noch weitere gleich große Städte über sich empor, eine über
die andere, und trägt sie. Davon hat sie auch ihren Namen; denn nichts als „Stärke“ ist das,
was man hier sieht. Wenn einer sie reinlich auseinander nehmen und die jetzt übereinander
gebauten Städte auf die Erde stellen und nebeneinander aufreihen wollte, dann, glaube ich,
würde alles, was jetzt von Italien noch dazwischen liegt, davon ganz ausgefüllt, und es
entstünde eine einzige zusammenhängende Stadt, die bis zum Ionischen Meer hin reichen
würde.
9. Obgleich sie so groß ist, wie ich es vielleicht nicht einmal jetzt ausreichend dargestellt
habe, sondern wie es deutlicher die Augen bezeugen, kann man von ihr nicht wie von den
anderen Städten sagen: Hier steht sie. Es gilt von ihr auch nicht das, was einer über die Stadt
der Athener und über die der Lakedämonier sagte, der behauptete, dass die Stadt der einen
doppelt so groß war im Vergleich zu ihrer Macht, während man die Stadt der anderen nach
ihrer Größe dereinst für weit weniger mächtig halten wird, als sie es früher war. Die schlimme
Nachrede möge dieses Beispiel nicht treffen. Von dieser Stadt, die in allem groß ist, könnte
niemand sagen, dass sie es versäumte, sich eine Macht zu schaffen, die einer solchen Größe
angemessen ist. Wenn einer das gesamte Reich betrachtet, so wundert er sich über die Stadt,
weil er bedenkt, wie klein der Teil ist, der die ganze Welt beherrscht. Wenn aber einer auf die
Stadt selbst und auf ihre Grenzen sieht, so wundert er sich nicht mehr, dass der gesamte
Erdkreis von einer so großen Stadt beherrscht wird.
10. Was einer der Geschichtsschreiber über Asien sagte, der behauptete, dass ein einziger
Mann alles Land regiere, welches die Sonne auf ihrer Bahn bescheine, war nicht richtig, falls
er nicht ganz Afrika und Europa vom Untergang und Anfang der Sonne ausschloss. Erst jetzt
ist dieser Satz Wirklichkeit geworden. Euer Besitz fällt zusammen mit dem Weg der Sonne,
und es ist nur euer Land, das sie auf ihrer Bahn bescheint. Keine Meeresklippen und weder
die Chelidonischen noch die Kyaneischen Inseln bilden die Grenze eures Reiches, auch nicht
die Strecke, die ein Pferd an einem Tag bis zum Meer zurücklegt. Ihr regiert auch nicht
innerhalb festgelegter Grenzen, noch bestimmt ein anderer, wie weit ihr herrschen dürft. Das
Meer, das sich in der Mitte des Erdkreises wie ein Gürtel ausdehnt, bildet zugleich die Mitte
eures Reiches.
11. Ringsherum erstrecken sich „gewaltig in gewaltiger Ausdehnung“ die Festländer, welche
euch stets reichlich mit dem versorgen, was es in ihnen gibt. Herbeigeschafft wird aus jedem
Land und jedem Meer, was immer die Jahreszeiten wachsen lassen und alle Länder, Flüsse
und Seen sowie die Künste der Griechen und Barbaren hervorbringen. Wenn jemand das alles
sehen will, so muss er entweder den gesamten Erdkreis bereisen, um es auf solche Weise
anzuschauen, oder in diese Stadt kommen. Was nämlich bei den einzelnen Völkern wächst
und hergestellt wird, ist notwendigerweise hier stets vorhanden, und zwar im Überfluss. So
zahllos sind die Lastschiffe, die hier eintreffen und alle Waren aus allen Ländern von jedem
Frühjahr bis zu jeder Wende im Spätherbst befördern, dass die Stadt wie ein gemeinsamer
Handelsplatz der ganzen Welt erscheint.
12. Schiffsladungen aus Indien, ja - wenn man will - sogar aus dem „glücklichen Arabien“,
kann man in solchen Mengen sehen, dass man vermuten könnte, für die Menschen dort seien
fortan nur kahle Bäume übrig geblieben, und sie müssten hierher kommen, um ihre eigenen
Erzeugnisse zurückzufordern, wenn sie etwas davon bräuchten. Man kann wiederum
beobachten, wie babylonische Gewänder und Schmuckstücke aus dem noch weiter entfernten
Barbarenland in viel größerer Zahl und leichter hierher gelangen, als wenn es nötig wäre, von
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Naxos oder Kythnos nach Athen zu fahren und Waren dorthin zu bringen. Eure
Getreideländer aber sind Ägypten, Sizilien und der kultivierte Teil von Afrika.
13. Das Ein- und Auslaufen der Schiffe hört niemals auf, so dass man sich nicht nur über den
Hafen, sondern sogar über das Meer wundern muss, dass es, wenn überhaupt, für die
Lastschiffe noch ausreicht. Und was Hesiod von den Grenzen des Ozeans sagte, dass es einen
Ort gebe, wo alle Wasser zu einem Anfang und zu einem Ende ineinander strömen, geradeso
kommt auch alles hier zusammen, Handel, Schifffahrt, Ackerbau, Metallveredelung, Künste,
wie viele es auch gibt und je gegeben hat, und alles, was erzeugt wird und auf der Erde
wächst. Was man hier nicht sieht, zählt nicht zu dem, was existiert hat oder existiert. Deshalb
ist es nicht leicht zu entscheiden, was größer ist, die Überlegenheit der Stadt gegenüber den
Städten, die es jetzt gibt, oder die Überlegenheit des Reiches gegenüber jenen Reichen, die es
jemals gegeben hat.
14. Nachdem ich über so viele bedeutende Dinge gesprochen habe, muss ich wahrhaftig
erröten, wenn ich den Anschein erwecke, dass ich irgendeiner barbarischen Herrschaft oder
einer griechischen Macht gedenke, als ob meine Rede weiter nichts zu bieten hätte, und es
könnte so aussehen, als ob ich damit das Gegenteil von dem tue, was die äolischen Dichter
taten. Wenn immer diese etwas aus ihrer Zeit verächtlich machen wollten, so verglichen sie es
mit einem großen und glänzenden Ereignis der Vergangenheit, weil sie meinten, es so am
besten entlarven zu können. Da es für mich aber keinen anderen Weg gibt, womit ich zeigen
könnte, wie sehr eure Leistungen herausragen, werde ich sie jetzt mit geringeren aus früherer
Zeit vergleichen; denn ihr habt durch eure überragenden Taten alle anderen Erfolge, auch die
größten, sehr gering erscheinen lassen. Wenn ich nun die wichtigsten auswähle und darüber
spreche, so werdet ihr über diese vielleicht lachen.
15. Wir wollen nun das Reich der Perser betrachten, das einst bei den Griechen in hohem
Ansehen stand und dem, der es beherrschte, den Titel „Großkönig“ verschaffte, - die Reiche
davor, die weniger bedeutend waren, will ich übergehen - und auf alles der Reihe nach unsere
Blicke richten, sowohl auf die Größe als auch auf die Dinge, welche sich in dieser Zeit
ereigneten. Dabei ist auch zu prüfen, welchen Nutzen die Perser von ihrem Besitz hatten und
wie sie ihre Untertanen behandelten.
16. Zunächst ist zu sagen: Die Bedeutung, welche der Atlantische Ozean heute für euch
besitzt, hatte damals für den König allgemein das Mittelmeer. Es bildete die Grenze seines
Reiches, so dass die Ionier und Äoler an den Endpunkten seines Gebietes saßen. Als „der
König der Völker vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang“ einst versuchte, nach
Griechenland überzusetzen, wurde er nur deswegen bestaunt, weil er gewaltige Misserfolge
hatte. So bewies er seinen Glanz dadurch, dass er vieler großer Besitztümer beraubt werden
konnte. Er, der so weit entfernt war, Griechenland zu erobern, und Ionien als äußerste Bastion
besaß, hatte ein Reich, das hinter dem euren nicht um einen bloßen Diskuswurf oder einen
Pfeilschuss zurückblieb, sondern um die volle Hälfte des Erdkreises und dazu noch um das
Meer.
17. Aber selbst bis zu diesen Grenzen war er nicht immer ein König mit unumschränkter
Macht, sondern je nachdem, wie die Athener mächtig waren oder die Lakedämonier das
Glück begünstigte, war er bald König bis zu den Ioniern, Äolern und zum Meer, dann
wiederum nicht mehr bis zu den Ioniern und zum Meer, sondern nur bis zu den Lydern, so
dass er das Meer westlich der Kyaneen nicht mehr sehen konnte. Er glich somit geradezu dem
König in einem Kinderspiel, der bald oben sitzen bleibt und bald hinabsteigt und Bittsteller
bei denen wird, die es ihm erlauben werden, König zu sein. Dafür lieferten das mit Agesilaos
ziehende Heer den Beweis und vorher das der Zehntausend unter Klearchs Führung; das eine
marschierte bis nach Phrygien wie durch eigenes Land, das andere drang bis jenseits des
Euphrat vor, als handle es sich um menschenleeres Gebiet.
18. Welchen Nutzen die Perserkönige von ihrer Herrschaft hatten, wird durch den klugen
Ausspruch des Oibaras deutlich. Dieser soll als erster dem Kyros, dem das viele umherziehen
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lästig wurde, folgendes gesagt haben: Wenn er weiter König sein wolle, so müsse er das tun
und alle Teile seines Reiches aufsuchen, ob er wolle oder nicht; denn er sehe, was mit einem
Schlauch geschehe: Die Teile, auf die er trete, würden niedergedrückt und berührten die Erde,
während sich die Teile, von denen er sich entferne, wieder aufrichteten und nur dann
niedergedrückt würden, wenn er wieder auf sie trete. Sie waren also gewissermaßen
wandernde Könige und unterschieden sich nur dadurch von den nomadischen Skythen, dass
sie in Karossen statt in einfachen Wagen umherfuhren. Sie hielten wegen ihres Misstrauens
und ihrer Angst, am gleichen Platze zu residieren, in Wahrheit ihr eigenes Land nieder wie
einen Schlauch und kontrollierten auf diese Weise bald Babylon, dann Susa und schließlich
Ekbatana, ohne dass sie es verstanden, ihr Land als Ganzes ständig zu behaupten, und ohne
dafür zu sorgen wie gute Hirten.
19. Es war in der Tat so, als ob sie nicht daran glaubten, dass ihnen ihr Reich gehöre. Sie
kümmerten sich nicht darum wie um einen eigenen Besitz, sie verschönerten und
vergrößerten weder die Städte noch die ländlichen Gebiete, im Gegenteil, sie vernichteten sie
in gewissenloser und übler Weise wie Eroberer, welche über ein Gebiet herfallen, das ihnen
nicht gehört. Sie strebten danach, über Menschen zu herrschen, die so schwach wie möglich
waren, und wie wenn sie sich den Rang im Morden streitig machen wollten, versuchte jeweils
der Nachfolger seinen Vorgänger nach Art der Fünfkämpfer zu übertreffen. Sie wetteiferten
miteinander, in möglichst großer Zahl Menschen hinzumorden, Häuser und Völker zu
vernichten und Eide zu brechen.
20. Das war nun der Gewinn, der ihnen aus ihrer angesehenen Machtstellung erwuchs. Die
Folgen aber, die sich daraus durch das Gesetz der Natur ergaben, waren Hass und Intrigen
von der Seite derer, die so behandelt wurden: Abfall, Bürgerkriege, fortdauernder Streit und
unaufhörliche Rivalität.
21. Das war also ihr eigener Gewinn, gleich als ob sie ihre Herrschaft mehr durch einen Fluch
als durch Gebet erhalten hätten; ihre Untertanen aber gewannen alles, was die gewinnen
müssen, welche solche Herrscher haben, - wovon kurz etwas angedeutet wurde. Ein
Schrecken für die Eltern war die Schönheit ihres Kindes, ein Schrecken die Schönheit der
Gattin für den Gatten. Nicht derjenige musste sterben, der die größten Verbrechen beging,
sondern wer das größte Vermögen besaß. Damals wurden mehr Städte niedergerissen und
vernichtet, als heute, so könnte man fast sagen, neue gegründet werden.
22. Es war leichter, sich zu retten, wenn man gegen sie kämpfte, als wenn man sich ihnen
unterwarf; denn in der Schlacht wurden sie leicht besiegt, aber dort, wo sie die Macht
besaßen, kannte ihr Übermut keine Grenzen. Wer ihnen ergeben war, den verachteten sie wie
einen Sklaven, wer frei war, den bestraften sie wie einen Feind. So kam es, dass sie immerfort
hassten und gehasst wurden. Häufig fürchteten sie nämlich ihre Untertanen mehr als ihre
Feinde und sie sahen in der Mehrzahl der Fälle den Krieg als Mittel zur Versöhnung an.
23. Schuld daran war, dass sie es nicht verstanden zu herrschen, und die Untertanen ihren
Pflichten nicht nachkamen; denn es ist unmöglich, in der rechten Weise zu gehorchen, wenn
die Regierenden schlechte Herrscher sind. Herrschaft und Despotie waren noch nicht getrennt.
König und Despot bedeuteten ein und dasselbe. Deshalb ist es verständlich, dass sie nichts
Bedeutendes erreichten; denn dieses Wort (Despot) reicht nicht über das Haus hinaus, wenn
es aber auf Städte und Völker ausgedehnt wird, so verliert es leicht seine Bedeutung.
24. Alexander wiederum, der das gewaltige, bis an das eure herankommende Reich erwarb
und durch die Länder stürmte, gleicht in der Tat eher einem, der ein Königreich gewann, als
einem, der König war. Ich glaube, er erlitt ein Schicksal ähnlich wie ein Privatmann, der ein
großes und gutes Stück Land erwarb, aber starb, ehe er die Früchte davon ernten konnte.
25. Er durcheilte den größten Teil der Erde, warf alle Feinde nieder, die sich ihm
entgegenstellten, und kostete alle Gefahren gründlich aus. Aber es gelang ihm nicht, seine
Herrschaft zu festigen und seine mühevollen Unternehmungen zu beenden, sondern er starb
mitten auf dem Wege seiner Taten. Daher kann man sagen, dass er zwar in sehr vielen
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Schlachten siegte, aber am wenigsten König war, dass er zwar tapfer um ein Königreich
kämpfte, aber keineswegs den Gewinn hatte, dessen er aufgrund seiner Pläne und seiner
Fähigkeit würdig gewesen wäre. Sein Schicksal war daher dem eines Olympiakämpfers
ähnlich, der zwar über seine Gegner die Oberhand gewann, dann aber unmittelbar nach dem
Sieg starb, ehe er glücklich und ehrenvoll den Siegeskranz auf sein Haupt setzen konnte.
26. Welche Gesetze gab er denn den einzelnen Völkern? Welche ständigen Abgaben an Geld,
Mannschaften oder Schiffen setzte er fest? Mit welcher gewohnten, in festgelegten
Zeiträumen routinemäßig ablaufenden Verwaltung führte er die Staatsgeschäfte? Welche
politischen Entscheidungen traf er bei seinen Untertanen? Das einzige Werk, das er als
würdiges Denkmal seiner Begabung hinterließ, war die nach ihm benannte Stadt Alexandria
am Rande Ägyptens. Er gründete sie zu eurem Nutzen, damit ihr sie im Besitz habt und so die
größte Stadt nach der euren beherrscht. So lässt sich sagen: Er beseitigte zwar die Herrschaft
der Perser, aber selbst herrschte er so gut wie gar nicht.
27. Als jener tot war, spalteten sich die Makedonen sogleich in zahllose Parteien und zeigten
damit, dass sie nicht fähig waren, das Reich zu regieren. Sie konnten nicht einmal mehr das
eigene Land behaupten, sondern gerieten so sehr ins Unglück, dass sie gezwungen wurden,
ihr eigenes zu verlassen, um das fremde zu beherrschen, so dass sie eher verbannte als zur
Herrschaft fähige Männer waren. Es war gleichsam ein Rätsel, warum Makedonen nicht in
Makedonien regierten, sondern dort, wo ein jeder es vermochte, gewissermaßen eher
Kommandanten ihrer Städte und Länder als wirkliche Herrscher, eher vertriebene Könige, die
ihre Macht nicht dem Großkönig, sondern sich selbst verdankten, und wenn man es so
ausdrücken darf, eher Satrapen ohne einen König. Sollen wir sagen, dass ein solcher Zustand
mehr einer Räuberbande als einem Königtum ähnlich ist?
28. Jetzt aber sind die Grenzen eures Reiches offenbar doch wohl so weit vorgerückt, dass
eine Geringschätzung nicht mehr möglich ist; denn das von ihnen umschlossene Gebiet kann
nicht mehr abgemessen werden. Wenn jemand von jener Stelle aus, wo damals das Reich des
Perserkönigs zu Ende war, eine Reise nach Westen antreten wollte, so wäre der Rest eures
Reiches sehr viel größer als das gesamte Reich des Persers. Es gibt nichts, was euch
entgangen wäre, keine Stadt, kein Volk, keinen Hafen, keinen Landstrich, außer wenn ihr eine
Gegend für wertlos erklärt habt. Das Rote Meer, die Katarakte des Nils und der Mäotische
See, wo man früher die Grenzen der Erde annahm, sind für diese Stadt gleich wie die
Umgrenzungsmauern eines Hofes. Den Ozean, von dem einige Geschichtsschreiber glaubten,
dass er überhaupt nicht existiere und die Erde nicht umfließe, sondern dass die Dichter seinen
Namen erfunden und zur Ergötzung in ihre Dichtung eingeführt hätten, habt ihr so gründlich
erforscht, dass selbst die daran liegende Insel euch nicht entging.
29. Obwohl euer Reich so groß und so umfassend ist, ist es noch weit größer durch seine
vollendete Ordnung als durch die Ausdehnung seines Gebietes. Das „Königsland“ wird nicht
mehr von Mysern, Saken, Pisidern und irgendwelchen anderen Völkern dazwischen fest
gehalten, die teils das Gebiet mit Gewalt besetzten, teils abfielen und nicht mehr unterworfen
werden konnten. Auch wird es nicht mehr „Königsland“ genannt, da es allen gehört, welche
fähig sind, es zu besitzen. Es gibt keine Satrapen, welche gegeneinander kämpfen, als ob sie
keinen König hätten, und keine Städte, welche sich abwechselnd bald dieser, bald jener Partei
anschließen, und Besatzungen, welche in die eine Stadt geschickt und aus der anderen
vertrieben werden. Wie eine Flöte, die gründlich gereinigt ist, lässt der ganze Erdkreis,
sorgfältiger als ein Chor, nur einen einzigen Ton erschallen, nämlich das gemeinsame Gebet,
dass euer Reich ewig bestehen möge. So gut wird er von diesem höchsten Lenker geschult.
30. Für alle ist überall eure Herrschaft gleich. Diejenigen, welche in den Bergen leben, sind
noch friedlicher als die Bewohner der tiefsten Täler und leisten keinen Widerstand mehr, und
die Menschen in den reichen Ebenen, sowohl die Kolonisten als auch die Bewohner des
Landes, bestellen für euch das Feld. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Insel und
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Festland; alle zeigen sich ruhig und gehorsam, wie wenn nur ein einziges zusammenhängendes Land und ein Volk vorhanden wären.
31. Alles wird auf Befehl und auf bloßen Wink hin ausgeführt, leichter, als wenn man eine
Saite anschlägt, und wenn etwas geschehen soll, genügt es, einen Beschluss zu fassen, und es
ist getan. Die Statthalter, die zu den Städten und Völkern ausgesandt werden, haben allesamt
Herrschergewalt über die, welche ihnen unterstehen. Was sie aber selbst angeht und ihr
Verhältnis untereinander, so gehören sie alle in gleicher Weise zu den Beherrschten. Daher
könnte man auch sagen, sie unterscheiden sich darin von den Beherrschten, dass sie zuerst
zeigen, wie man sich beherrschen lassen soll. Eine so große Furcht ist sämtlichen Menschen
eingeflößt vor dem großen Herrscher und „Prytanen“ des ganzen Reiches.
32. Daher glauben sie, dass jener über ihre Tätigkeit besser Bescheid weiß als sie selbst, und
so fürchten und scheuen sie ihn mehr als mancher Sklave seinen Herrn, wenn dieser zugegen
ist, ihn bewacht und ihm Befehle gibt. Keiner ist so stolz auf sich, dass er ohne Bewegung
bleiben könnte, wenn er auch nur den Namen des Herrschers vernimmt, sondern er erhebt
sich, preist und verehrt ihn und spricht zwei Gebete, eines für den Herrscher zu den Göttern
und eines zu dem Herrscher selbst für das eigene Wohl. Wenn sie auch nur geringen Zweifel
über einen Rechtsentscheid oder Gesuche der Untertanen haben, mögen sie von öffentlicher
oder privater Seite kommen, so wenden sie sich, wenn einige davon berechtigt sind, sogleich
an jenen, fragen an, was zu geschehen habe, und warten, bis er einen Bescheid erteilt, nicht
anders wie ein Chor, der auf seinen Leiter wartet.
33. Deshalb hat er es nicht nötig, mühsame Reisen durch das ganze Reich zu unternehmen,
bald bei diesen, bald bei jenen Völkern zu erscheinen und die einzelnen Fälle zu regeln, wenn
er ihr Land betritt. Er kann es sich leisten zu bleiben, wo er ist, und den ganzen Erdkreis mit
schriftlichen Befehlen zu regieren. Sie sind kaum abgefasst, da treffen sie auch schon ein, als
seien sie von Flügeln getragen.
34. Was aber am meisten von allem Anerkennung, Bewunderung und Dank in Wort und Tat
verdient, darüber soll jetzt gesprochen werden. Obgleich ihr ein so großes Reich besitzt und
es so kraftvoll und ganz unumschränkt regiert, zeichnet ihr euch weitaus am meisten durch
folgenden Vorzug aus, der in jeder Weise nur bei euch zu finden ist:
36. Von allen, die jemals ein Reich besaßen, herrscht ihr allein über Menschen, die frei sind.
Karien ist nicht an Tissaphernes, Phrygien nicht an Pharnabazos und Ägypten nicht
irgendeinem anderen gegeben. Nicht wie die Hausangehörigen irgendeinem Herrn gehorchen,
dem sie zur Knechtschaft übergeben wurden und der selbst nicht frei ist, gehorchen euch die
Völker, im Gegenteil, wie die Bürger in den einzelnen Städten, so regiert auch ihr auf dem
ganzen Erdkreis wie in einer einzigen Stadt und ernennt eure Statthalter gleichsam aufgrund
ordentlicher Wahlen, damit sie eure Untertanen schützen und für sie sorgen, nicht damit sie
sie knechten. Deshalb macht ein Statthalter dem nächsten Platz, wenn seine Amtszeit
abgelaufen ist, und nicht leicht wird es der Fall sein, dass einer seinem Nachfolger noch
begegnet. So weit ist er entfernt, sich darüber zu streiten, als ob die Provinz sein persönlicher
Besitz sei.
37. Bei Appellationsprozessen wie bei der Berufung von „Demenangehörigen“ an das Gericht
zeigen diejenigen, welche die Klage angenommen haben, eine nicht geringere Furcht vor
einem Urteil als diejenigen, welche sie erheben. Deshalb kann man sagen, dass jetzt die
Menschen von den zu ihnen geschickten Beamten nur so weit beherrscht werden, als sie
selbst damit einverstanden sind.
38. Sind dies nicht Vorzüge, welche über jede Demokratie hinausgehen? Dort ist es nicht
möglich, nach einem Urteil, das in der Stadt gesprochen wurde, an einen anderen Ort und zu
anderen Richtern zu gehen, sondern man muss sich mit dem abfinden, was beschlossen
wurde, außer es handelt sich um eine kleine Stadt, so dass fremde Richter nötig sind, (unter
eurer Herrschaft aber braucht sich keiner zufrieden geben, wenn er ohne Verschulden
verurteilt wurde, oder auch zu ärgern, wenn er als Ankläger keinen Erfolg hatte und besiegt
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wurde.) Es bleibt ja noch ein anderer machtvoller Richter, dem niemals ein Rechtsspruch
verborgen bleibt.
39. Hier gibt es eine umfassende und rühmliche Gleichheit des Geringen mit dem Mächtigen,
des Unbekannten mit dem Bekannten, des Bedürftigen mit dem Reichen, des Einfachen mit
dem Adeligen, und es trifft auf diesen Richter und Lenker das zu, was Hesiod sagt: „Leicht
macht er mächtig, leicht wirft er den Mächtigen zurück.“ Ihn lenkt die Gerechtigkeit wie ein
Schiff der Wind, der auch den Reichen nicht mehr begünstigt und geleitet und den Armen
weniger, sondern jedem in gleicher Weise nützt, auf wen er immer trifft.
40. Ich werde mich nunmehr auch den griechischen Staaten zuwenden, da ich im Verlauf der
Rede auf sie gekommen bin, freilich nur mit Scheu und einer gewissen Angst, man könnte
von mir glauben, dass ich mich mit einem unbedeutenden Gegenstand beschäftige. Ich werde
indes nicht so verfahren, wie ich schon eben sagte, dass ich Gleiches neben Gleiches stelle,
aber da es keine anderen Beispiele gibt, bin ich gezwungen, mich der vorhandenen zu
bedienen; denn es wäre auch lächerlich, einerseits voller Bewunderung darauf zu verweisen,
dass es nicht möglich sei, andere Leistungen zu finden, die auch nur annähernd mit den euren
zu vergleichen sind - sie verschwinden nämlich allesamt dahinter -, andererseits mit dem
Vergleich darauf zu warten, bis Gleichartiges vorhanden ist, das wir anführen könnten. Ich
meine, dass man das nicht tun sollte; denn selbst wenn wir ungefähr gleiche Leistungen
nennen könnten, würden diese nicht die gleiche Bewunderung verdienen.
41. Ich weiß sehr gut, dass diese Leistungen sowohl in der Ausdehnung der Herrschaft als
auch im Gewicht der Politik noch bescheidener erscheinen werden als die, welche ich eben
betrachtete. Indes, den Barbaren an Reichtum und Macht voraus zu sein, die Griechen an
Klugheit und Besonnenheit zu übertreffen, dies ist, so glaube ich, etwas Großes und im
Hinblick auf die Leistung Vollkommenes und ein weitaus rühmlicheres Thema als jedes
andere.
42. Zunächst will ich berichten, welche Politik sie betrieben und wie groß ihre Machtstellung
war. Und wenn es sich zeigt, dass sie nicht in der Lage waren, einen viel kleineren
Machtbereich zu behaupten, dann ist klar, dass man unserem Urteil beistimmen kann.
43. Die Athener und die Lakedämonier taten alles um ihrer Herrschaft und ihrer
Vorrangstellung willen, und ihre Macht bestand darin, das Meer zu befahren und die
Kykladen zu beherrschen sowie die Küstengebiete Thrakiens, die Thermopylen, den
Hellespont und Koryphasion in der Hand zu haben. Soweit erstreckte sich ihr Machtbereich.
52 Es erging ihnen dabei ähnlich wie einem Menschen, der sich darum bemühte, Besitzer
eines Körpers zu werden, aber statt des ganzen Körpers nur einige Nägel und Haare erhielt
und glaubte, damit alles zu haben, was er wünschte. So erfreuten sich auch jene in ihrem
Streben nach der Vorherrschaft am Besitz kleiner Inseln, am Meer gelegener Vorgebirge, an
Hafenplätzen und ähnlichem und erschöpften ihre Kräfte in Bemühungen um das Meer.
Daher kam es, dass sie sich eine Vorrangstellung mehr erträumten, als dass sie fähig waren,
sie zu erwerben.
44. Als dennoch zu einem günstigen Zeitpunkt gleichsam wie im Turnus einer Verlosung die
beiden Staaten zu Führern der Griechen wurden, konnten sie sozusagen nicht einmal für eine
einzige Generation ihre Stellung behaupten. Sie herrschten auch nicht ohne Hass, sondern
errangen im gegenseitigen Kampf um die Vorherrschaft einen Kadmossieg, wie man zu sagen
pflegt. Es war, als ob die eine Seite es nicht für richtig hielt, dass man immer nur die andere
hasste, selbst aber daran keinen Anteil hatte.
45. Zunächst brachte ein einziger Feldherr der Lakedämonier die Griechen so weit, dass sie
sich aus eigenem Antrieb von Sparta abwendeten und sich freudig andere Herren suchten. Sie
vertrauten sich den Athenern an, sobald aber eine kurze Zeit vergangen war, bereuten sie
diesen Schritt, da sie weder die übermäßig hohen Steuern hinnehmen noch die Beamten
ertragen konnten, welche sich unter dem Vorwand der Steuererhebung selbst bereicherten.
Außerdem wurden sie Jahr für Jahr weggeschleppt, um in Athen über die Lage in ihrer
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Heimat Rechenschaft zu geben, während man ihnen andererseits athenische Kleruchen ins
Land schickte und Schiffe, um über die Tribute hinaus Geld einzutreiben, wenn ein weiterer
Bedarf vorhanden war.
46. Weiterhin war es ihnen nicht möglich, die Freiheit ihrer Burgen zu behaupten, und sie
waren den athenischen Politikern ausgeliefert, ohne Unterschied, ob diese ihnen teils mehr,
teils weniger gewogen waren, und schließlich wurden sie gezwungen, sich an nutzlosen
Feldzügen zu beteiligen, oftmals an geheiligten Tagen und an Festen. Um es offen zu sagen,
sie zogen aus der Führerstellung Athens nicht so großen Gewinn, für den es sich gelohnt
hätte, diese Lasten zu ertragen.
47. Aber als die meisten von ihnen deswegen mit den Athenern unzufrieden wurden und sich
wieder den Lakedämoniern zuwandten auf die gleiche Weise, wie sie früher von diesen zu
den Athenern übergewechselt waren, wurden sie erneut von den Lakedämoniern betrogen.
Diese hatten nämlich verkündet, sie würden für die Freiheit der Griechen gegen die Athener
kämpfen und brachten so die meisten auf ihre Seite. Als sie aber die Mauern Athens
niedergerissen hatten und Herren der Lage geworden waren und sich alles erlauben konnten,
übertrafen sie die Athener so sehr, dass sie in allen griechischen Städten
Tyrannenherrschaften errichteten, welche sie euphemistisch „Dekarchien“ nannten.
48. Sie vernichteten also die eine Herrschaft der Athener, errichteten aber dafür viele, die von
ihnen selbst ausgingen und die Untertanen unaufhörlich peinigten, freilich nicht von einer
zentralen Stelle in Athen oder in Sparta aus, sondern jede von ihnen war in den eigenen
Gebieten der Untertanen für immer eingerichtet und gleichsam in diese verwoben. Wenn also
die Lakedämonier bei Kriegsbeginn den Griechen verkündet hätten, sie würden deswegen mit
Athen den Kampf aufnehmen, um ihnen noch größeres und noch mehr Unrecht anzutun als
die Athener und um ihnen zu zeigen, dass das, was sie von jenen erfuhren, noch Freiheit war,
dann hätten sie wahrhaftig ihr Versprechen nicht besser halten können.
49. So kam es denn, dass sie schnell von einem einzigen Verbannten besiegt, von den
Thebanern im Stich gelassen und von den Korinthern gehasst wurden. Das Meer war voll von
ihren „Ordnungshütern“, die vertrieben wurden, da sie die Ordnung störten sowie nicht ihrem
Titel gemäß eingesetzt waren und die Städte regierten.
50. Wegen der Untaten dieser Männer und wegen des Hasses, der dadurch bei den Griechen
gegen die Lakedämonier entstand, kamen die Thebaner zur Macht und besiegten diese in der
Schlacht bei Leuktra. Aber kaum waren die Lakedämonier ausgeschaltet, vermochte
wiederum niemand die Thebaner zu ertragen, die nur in einer einzigen Schlacht erfolgreich
waren. Jetzt wurde deutlich, dass es den Griechen noch eher nützte, wenn die Kadmea besetzt
war, als wenn die Thebaner über die Lakedämonier Sieger blieben. Ein solcher Hass hatte
sich gegen jene aufgestaut.
51. Ich habe diese Beispiele gewiss nicht gesammelt, um die Griechen allgemein anzuklagen,
wie jener bewundernswerte Verfasser des Trikaranos - ich wünsche mir, dass dies niemals
nötig ist -, sondern weil ich darlegen wollte, dass man vor eurer Zeit die Kunst des Herrschens
noch nicht kannte; denn wenn es sie gegeben hätte, dann müsste man sie bei den Griechen
finden, die sich durch Klugheit doch wohl am meisten vor allen anderen Völkern
ausgezeichnet haben. Aber auch diese Kunst ist eine Erfindung, die von euch stammt und
durch euch zugleich mit den anderen Dingen in die Welt gekommen ist. Was nämlich von den
Athenern gesagt wurde, scheint auch richtig zu sein, wenn man es von allen Griechen sagen
wollte; denn sie waren tüchtiger als alle anderen, wenn es galt, gegen Herrscher Widerstand
zu leisten, die Perser zu besiegen, ihren Reichtum zu opfern und Mühen zu ertragen; aber
selbst zu herrschen, dazu fehlte ihnen noch die Erfahrung, und als sie es versuchten,
scheiterten sie.
52. Zuerst legten sie in die Städte Besatzungen, die sicherlich stets nicht weniger zahlreich
waren als die Einwohner jeder Stadt und diejenigen, zu welchen man sie schickte. Dadurch
erregten sie jedoch bei denen, die noch ohne Besatzungen waren, den Verdacht, sie würden
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überall Gewalt und Zwang anwenden. Daraus ergab sich zweierlei, dass sie die Städte nicht
sicher in der Hand hatten und zudem gehasst wurden und nur die Nachteile der Herrschaft
ernteten anstatt der Vorteile, die eine Herrschaft mit sich bringt; denn sie besaßen keine
ständige Überlegenheit, aber den dauerhaften Ruf, dass sie überlegen seien.
53. Was war dann das Ergebnis dieser Entwicklung? Durch die stete Aufteilung und
Zersplitterung ihrer Kräfte wurden sie zu Hause zu schwach und waren somit nicht mehr
fähig, das eigene Land zu schützen, weil sie versuchten, das der anderen zu besitzen. Sie
konnten damals weder mit der Zahl derer, die sie ausschickten, diejenigen übertreffen, die sie
beherrschen wollten, noch ließen sie eine ausreichende Truppe zu ihrem eigenen Schutz
zurück. Sie waren sowohl draußen wie zu Hause zu wenig, und es wurde für sie schwierig,
ihre Herrschaft zu erweitern, da sie am Ende nicht mehr die Mittel hatten, um sie zu
behaupten. Daher standen ihre Anstrengungen im Gegensatz zu dem, was für sie nötig war.
Ein Gelingen ihrer Pläne brachte sie in Verlegenheit und bedeutete beinahe einen Fluch, ein
Misslingen aber war leichter zu ertragen und brachte weniger Schrecken mit sich. Statt Herrscher zu sein, unterschieden sie sich in keiner Weise von zerstreuten Siedlern und von
Menschen, die sich mühen um der Mühe willen; denn zugleich mit ihrem Ende brach
unversehens ihre gesamte Herrschaft sofort zusammen und kehrte, wie die Dichter sagen,
wieder an ihren Ausgangspunkt zurück.
54. Ferner war es für sie weder nützlich, wenn die Untertanen zu mächtig waren, weil sie
sonst Aufstände unternahmen, noch durften sie zu schwach sein, weil man sie wiederum für
die Kriege von außen brauchte und einigen Vorteil von dem Kampfhund haben wollte. Daher
erging es den Athenern mit ihren Untertanen ähnlich wie bei einem Spiel, indem sie sie bald
vorwärts und bald rückwärts schoben. Sie wussten nicht, was sie mit ihnen anfangen sollten,
sondern gleich als ob sie sie bald haben und wieder nicht haben wollten, führten und
benützten sie diese, ohne ihnen erklären zu können, worum es eigentlich gehe.
55. Am lächerlichsten und widersinnigsten von allem war folgendes: Wenn ihre Untertanen
von ihnen abgefallen waren, so zwangen sie die übrigen, welche die Absicht hatten, dasselbe
zu tun, gegen diese zu ziehen. Sie handelten damit ähnlich, wie wenn sie die Rebellen
überreden wollten, gegen sich selbst zu ziehen, und bedachten nicht, dass sie ihnen Leute
entgegenstellten, welche zu jenen hielten, und sie hatten keinen Vorteil davon, wenn sie zu
ihrem eigenen Schaden den Untertanen die eifrige Hilfe für die anderen vor Augen führten.
So taten sie auch in diesem Fall das Gegenteil von dem, was sie wollten und was für sie
vorteilhaft war.
56. Dadurch, dass sie die Aufrührer zurückgewinnen wollten, veranlassten sie auch den
Abfall derer, die noch treu geblieben wären. Sie zeigten ihren Untertanen damit an, dass sie,
falls sie treu blieben, ihnen für den gegenseitigen Kampf zur Verfügung stehen müssten, dass
sie aber, falls sie sich alle gemeinsam lossagten, mit Sicherheit frei sein würden; am Ende
bliebe nämlich niemand mehr, mit dessen Hilfe sie unterworfen werden könnten. Daher
schadeten sich die Athener selbst mehr, als ihre treulosen Bundesgenossen ihnen schaden
konnten; denn diese sagten sich einzeln von ihnen los, während sie selbst aufgrund ihrer
Handlungsweise eine allgemeine Erhebung herbeiführten.
57. Damals gab es also für die Ausübung einer Herrschaft noch keine Regel, und man
versuchte zu herrschen, ohne dass man es verstand. Obwohl die Machtausdehnung der
Athener gering war und sich gleichsam auf Grenzgebiete und erloste Ländereien beschränkte,
vermochten sie nicht einmal diese festzuhalten, weil ihnen die Erfahrung und die Kraft zu
herrschen fehlten. Da sie die Städte nicht milde behandelten und andererseits nicht stark
genug waren, sie kraftvoll zu behaupten, waren sie gewalttätig und schwach zugleich. Zuletzt
wurden sie gleichsam ihres Gefieders beraubt wie die Dohle in der Geschichte des Äsop und
kämpften allein gegen alle.
58. Was demnach früher, man kann wohl sagen, allen Menschen verborgen war, wurde für
euch allein aufgespart, damit ihr es findet und zur Vollkommenheit entwickelt; und das ist
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nicht verwunderlich. Wie nämlich in anderen Bereichen die Künste zum Vorschein kommen,
wenn das Material dazu vorhanden ist, so bildete sich damals, als das größte Reich von
außergewöhnlicher Machtvollkommenheit entstand, mit ihm auch die Kunst des Herrschens
heraus und zog in dieses ein, und beide stärkten sich gegenseitig. Durch die Größe des
Reiches wuchs zwangsläufig die Erfahrung, und durch die Kunst des Herrschens wiederum
vergrößerte sich zu Recht und folgerichtig das Reich.
59. Die bei weitem größte Aufmerksamkeit und Bewunderung verdient jedoch die
Erhabenheit eures Bürgerrechts und der Gesinnung, die ihr damit verbindet. Es gibt wohl
nichts, was insgesamt damit verglichen werden könnte. Ihr habt nämlich sämtliche Untertanen
eures Reiches - wenn ich das sage, habe ich den ganzen Erdkreis gemeint - in zwei Gruppen
eingeteilt und überall die Gebildeten, Edlen und Mächtigen zu Bürgern gemacht oder auch
ganz und gar zu euren Verwandten, die übrigen Reichsbewohner gelten euch als Untertanen
und Beherrschte.
60. Weder das Meer noch eine dazwischen liegende Ländermasse bilden ein Hindernis,
römischer Bürger zu sein, und weder Asien noch Europa macht hierin einen Unterschied.
Allen stehen alle Wege offen. Keiner ist ein Fremder, der sich eines Amtes oder einer
Vertrauensstellung würdig erzeigt, im Gegenteil, auf der Welt hat sich unter einem Mann,
dem besten Herrscher und Lenker, eine allgemeine Demokratie herausgebildet. Alle strömen
wie auf einem gemeinsamen Markt zusammen, ein jeder, um das zu erlangen, was ihm
gebührt.
61. Was eine Stadt für ihre eigenen Grenzen und ihr Gebiet bedeutet, das bedeutet diese Stadt
für den gesamten Erdkreis, da sie gleichsam zu seiner gemeinsamen Hauptstadt gemacht
worden ist. Man könnte sagen, dass alle „Periöken“ oder die, welche in einer anderen Gegend
im Verband einer „Demengemeinde“ wohnen, in diese einzige Burg zusammenströmen.
62. Sie hat niemals einen abgewiesen, im Gegenteil, so wie der Boden der Erde alle
Menschen annimmt, so nimmt auch diese Stadt die Menschen aus allen Ländern auf. Sie hat
aber auch folgendes mit dem Meer gemeinsam: Dieses wird nicht größer durch die Flüsse,
welche hineinmünden, da es ihm gleichsam vom Schicksal bestimmt ist, dass es seine Größe
trotz der Flüsse, die hineinströmen, behält. Auch bei eurer Stadt ist wegen ihrer Größe keine
Veränderung sichtbar. Aber wie diejenigen, welche etwas in ihre Gewandfalten aufnehmen,
so nimmt sie alles auf und birgt es, wobei sie ständig gleich bleibt und gleich erscheint trotz
der Menschen, die sie aufsuchen und verlassen.
63. Dieses Thema wollen wir nur so nebenbei berühren, da wir in unserer Rede darauf
gekommen sind. Wie schon gesagt, „gewaltig in gewaltiger Ausdehnung“, habt ihr eure Stadt
angelegt. Ihr wolltet nicht prahlen und machtet sie nicht dadurch bewundernswert, dass ihr
keinem von den anderen Anteil an ihr gabt, im Gegenteil, ihr wart bestrebt, sie mit Bürgern
aufzufüllen, die ihrer würdig sind. Das Wort „römisch“ wurde durch euch nicht zum Namen
für eine Stadt, sondern gewissermaßen für ein gemeinsames Volk, das nicht eines unter
sämtlichen anderen ist, sondern das eine, das allen übrigen das Gleichgewicht hält. Nicht in
Griechen und Barbaren trennt ihr jetzt die Völker, und ihr habt eure Einteilung in ihren Augen
nicht lächerlich gemacht, da ihr in eurer Stadt mehr Menschen vorweisen könnt als der
griechische Stamm in seiner Gesamtheit, wenn man so sagen darf. Ihr habt dagegen die
Menschen in Römer und Nichtrömer eingeteilt und den Namen der Stadt so weit ausgedehnt.
64. Aufgrund einer solchen Einteilung der Menschen gibt es in jeder Stadt viele Bürger eures
Namens; ihre Zahl ist nicht geringer als die der Bürger des eigenen Stammes, obgleich
manche von ihnen diese Stadt noch nicht gesehen haben. Es bedarf keiner Besatzungen,
welche die Burgen innehaben; denn die angesehensten und mächtigsten Männer überwachen
überall in eurem Interesse die eigene Vaterstadt, und so habt ihr die Städte in doppelter Weise
in Besitz, einmal von hier aus und jeweils durch diese Bürger.
65. Neid tritt nicht auf in eurem Reich; denn ihr habt selbst damit angefangen, den Neid
auszuschalten, da ihr alles allen zugänglich gemacht und es den mächtigen Männern erlaubt
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habt, weniger beherrscht zu werden als abwechselnd selbst zu herrschen. Es gibt auch keinen
Hass bei denen, welche hinter jenen zurückstehen; denn weil es nur eine gemeinsame
staatliche Ordnung gibt, gleichwie in einer einzigen Stadt, ist es natürlich, dass eure
Statthalter so regieren, als seien sie nicht über Fremde, sondern über Landsleute gesetzt.
Außerdem hat die gesamte breite Masse, welche in dieser Ordnung lebt, Sicherheit vor ihren
eigenen Amtsträgern ...; aber unverzüglich werden diese euer Zorn und eure Strafe treffen,
wenn sie es wagen, etwas in gesetzloser Weise zu verändern.
66. So sind die bestehenden Verhältnisse naturgemäß sowohl für die Armen als auch für die
Reichen befriedigend und nützlich, und eine andere Art zu leben gibt es nicht. So hat sich eine
einzige Harmonie staatlicher Ordnung entwickelt, die alle einschließt, und was früher
offensichtlich nicht zusammentreffen konnte, hat sich unter euch vereinigt: Ihr seid fähig,
zugleich die Macht über ein Reich, und dazu über ein gewaltiges, auszuüben und es nicht
ohne Menschenfreundlichkeit zu beherrschen.
67. So sind die Städte frei von Besatzungen, Kohorten und Reiterabteilungen genügen zur
Beaufsichtigung ganzer Provinzen, und nicht einmal jene sind in größerer Menge auf die
Städte der einzelnen Stämme verteilt, sondern sie leben entsprechend der übrigen
Bevölkerung verstreut im Land, so dass viele der Provinzen gar nicht wissen, wo ihre
Besatzung steht. Wenn aber irgendwo eine Stadt wegen ihrer übermäßigen Größe aus eigener
Kraft die Ordnung nicht aufrechterhalten konnte, so habt ihr auch dieser die Leute, die sie
regieren und schützen sollen, nicht vorenthalten. So kommt es nämlich, dass alle ihre
Abgaben lieber an euch zahlen, als manche sie von anderen eintreiben würden - und dies zu
Recht.
68. Herrschen ist nämlich nicht vorteilhaft für diejenigen, welche dazu keine Fähigkeit
besitzen; von Besseren beherrscht zu werden, dies ist, wie man sagt, der zweite Weg zu
segeln; von euch aber wurde jetzt bewiesen, dass es sogar der erste ist. Alle halten daher
unablässig an euch fest und wünschen wohl ebensowenig, sich von euch zu trennen, wie die
Seeleute von ihrem Steuermann. Wie die Fledermäuse in ihren Höhlen aneinander und an
Steine festgeklammert hängen, so hängen alle an euch, erfüllt von großer Furcht und Sorge, es
könnte einer aus diesem Schwarm herausfallen, und sie ängstigen sich wohl mehr, dass ihr sie
verlasst, als dass sie selbst euch verlassen könnten.
69. Statt um die Herrschaft und um den ersten Rang zu streiten, wodurch sämtliche Kriege in
früheren Zeiten ausbrachen, führen die einen ein höchst angenehmes und ruhiges Leben, das
einem geräuschlos dahinfließenden Wasser ähnlich ist, glücklich, von Mühen und Leiden
befreit zu sein, und erfüllt von Reue, dass sie vergeblich um Schattenbilder kämpften. Die
anderen wissen nicht einmal, welche Herrschaft sie einst hatten, und erinnern sich auch nicht
daran. Ganz wie im Mythos des Pamphyliers, oder andernfalls im Mythos Platons, lagen die
Städte infolge ihres gegenseitigen Haders und ihrer Unruhe schon gleichsam auf dem
Scheiterhaufen, dann aber erhielten sie eine gemeinsame Führung und lebten plötzlich auf.
Wie es dazu kam, können sie nicht sagen und sie wissen auch nichts davon. Sie können über
ihre gegenwärtige Lage nur staunen. Ja, es ergeht ihnen wie Menschen, die vom Schlaf
erwacht sind und statt der Träume, die sie eben noch gesehen haben, diese Dinge plötzlich
wachend sehen und mit ihnen leben.
70. An Kriege, auch ob es sie jemals gegeben hat, glaubt man nicht mehr, allein Erzählungen
darüber werden von den meisten wie Mythen aufgenommen. Wenn aber einmal irgendwo an
den Grenzen Kämpfe aufflammten wie es in einem unermesslich großen Reich natürlich ist
angesichts der Tollheit der Daker, der misslichen Lage der Libyer oder des Elends der Völker
am Roten Meer, die unfähig sind, die Segnungen der Gegenwart zu genießen, dann
verschwanden die Kriege rasch wieder ganz wie Mythen, und auch die Erzählungen über sie.
71. So groß ist der Friede, den ihr jetzt habt, obwohl das Kriegführen bei euch Tradition ist ...
Fürwahr, die Schuhmacher und die Zimmerleute von gestern sind nicht die Fußkämpfer und
Berittenen von heute, und es ist nicht wie auf der Bühne, wo sich einer in einen Krieger
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verwandelt hat, der eben noch ein Bauer war. Ihr verwischtet nicht so die Tätigkeiten, wie
man es im Hause eines Armen tut, wo die gleichen Leute die Speisen richten, das Haus
besorgen und das Lager bereiten. Ihr habt nicht darauf gewartet, dass die Angehörigen anderer
Berufe aus der Not heraus Soldaten werden, noch habt ihr jemals euren Feinden zugestanden,
dass sie euch zu den Waffen rufen…
72. Bisher wurde darüber gesprochen, wie ihr im Ganzen euer Reich und seine staatliche
Ordnung beurteilt und eingerichtet habt. Nun ist es an der Zeit, das Heer und die Probleme
des militärischen Dienstes zu behandeln und wiederum zu fragen, wie ihr darüber gedacht und
welche Organisation ihr ihm gegeben habt. Bewundernswert und ganz ohne Beispiel war auch
hier eure Klugheit.
73. So weit gingen auch die Ägypter schon, dass sie das Heer absonderten, und man hielt es
für eine überaus kluge Erfindung von ihnen, dass sie die Verteidiger des Landes für sich,
getrennt von der übrigen Bevölkerung, ansiedelten, wie sie denn auch im Vergleich zu den
übrigen Völkern in vielen anderen Dingen als „kluge Ägypter“ galten, wie man sagt. Obwohl
ihr darin zu der gleichen Erkenntnis gekommen seid, habt ihr nicht das gleiche getan, sondern
eine weitaus bessere und klügere Art der Trennung gewählt; denn in jenem System war es
nicht möglich, dass jede der bei den Gruppen das gleiche Bürgerrecht besaß. Die Krieger,
welche als einzige ständige Anstrengungen zu ertragen hatten, waren schlechter gestellt als
diejenigen, welche ein ruhiges Leben führten - daher war jene Ordnung weder gerecht noch
günstig für sie -, da aber bei euch alle die gleichen Rechte haben, ist es möglich, das Heer
getrennt anzusiedeln. So sind die Griechen und Ägypter und alle übrigen, die man anführen
könnte, im Kampfesmut euch unterlegen.
74. Und obwohl sie alle euch an Waffengewalt bei weitem nicht erreichen, stehen sie noch
viel mehr in ihrer Einsicht hinter euch zurück. Einerseits glaubt ihr, wenn die Bürger aus
dieser Stadt Kriegsdienst leisten und Mühen erdulden, so sei das mit eurer Herrschaft und
dem Genuss des gegenwärtigen Glücks nicht vereinbar, andererseits vertrautet ihr euch nicht
fremden Söldnern an. Dennoch musstet ihr ein Heer haben, ehe eine Notlage eintrat. Was tatet
ihr demnach? Ihr fandet die Möglichkeit, ein eigenes Heer zu schaffen, ohne dass die Bürger
belästigt wurden. Erreicht wurde es durch euren Willen, der im gesamten Reich Gültigkeit
besitzt, sowie durch eure Absicht, keinen für einen Fremden zu halten, wenn er etwas tun
kann und dafür benötigt wird.
75. Was für eine Werbung war es also und wie habt ihr sie durchgeführt? Ihr durchforschtet
alle Länder, die euch gehorchen, und schautet euch dabei nach Männern um, die zu diesem
Dienst geeignet wären. Waren sie gefunden, so löstet ihr sie aus ihrer Heimatstadt und gabt
ihnen gleichzeitig dafür das Bürgerrecht eurer Stadt, so dass sie sich fortan nur ungern zu
ihrem eigenen Volk bekannten, aus dem sie einst gekommen waren. Nachdem ihr sie zu
Mitbürgern gemacht hattet, machtet ihr sie auch zu Kriegern, so dass die Bürger dieser Stadt
keinen Kriegsdienst mehr zu leisten brauchen und diejenigen, welche Kriegsdienst leisten,
nichtsdestoweniger Bürger sind. Sie wurden zwar mit ihrem Eintritt ins Heer von ihrer
früheren Heimatstadt getrennt, aber vom gleichen Tag an sind sie Bürger und Beschützer
eurer Stadt geworden.
76. Auf diese Weise folgen euch alle, und es gibt keine Stadt, die deswegen grollen würde.
Aber ihr berieft jeweils nur so viele Männer aus den einzelnen Städten, dass sie weder für
diejenigen, welche sie versorgen, eine Last bedeuten noch stark genug sein können, um allein
für sich die volle Stärke eines eigenen Heeres zu erreichen. Deshalb sind alle Städte den zu
ihnen entsandten Kriegern wohlgesinnt, wie wenn es ihre Partner wären. Keine Stadt hat
jedoch für sich durch ihre eigenen Leute irgendeine Macht, und wenn sie hinausgezogen sind,
richten sie niemals anderswohin ihre Blicke als auf euch; denn allein dazu erhielten sie ihre
ehrenvolle Rekrutierung.
77. Aber dadurch, dass ihr überall die geeignetsten Leute aussuchtet, entdecktet ihr für euch
einen nicht geringen Vorteil. Ihr glaubtet nämlich nicht, dass man diejenigen, welche man als
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die Tüchtigsten und körperlich Überlegenen ausgewählt hatte, für Festversammlungen und
sportliche Wettkämpfe trainieren müsse, dass aber die, welche für ein solches Reich sehr
große und ernsthafte Taten ausführen und so viele Siege wie möglich erringen sollen, nur im
Augenblick der Gefahr zusammenkommen müssten. Im Gegenteil, es war eure Meinung, dass
schon lange vorher die Stärksten und vor allem die Geeignetsten ausgewählt und trainiert
werden sollten, damit sie sogleich beim Einnehmen ihres Platzes überlegen seien.
78. Diese Menschen wurden von euch auf ihre Tauglichkeit geprüft, nach Stämmen
geschieden und daraufhin in die Gemeinschaft des herrschenden Volkes eingeführt, nicht
ohne die Vorrechte, von denen ich sprach, aber auch nicht so, dass sie die in der Stadt
zurückbleibenden Bürger noch beneideten, da sie ja am Anfang nicht die gleiche
Rechtsstellung hatten, sondern die Teilnahme am Bürgerrecht als ihren Teil der Ehre
empfangen sollten. Nachdem ihr die Krieger auf diese Weise gefunden hattet, schicktet ihr sie
an die Grenzen des Reiches, verteiltet sie dort und vertrautet ihnen jeweils einen anderen
Abschnitt zur Verteidigung an.
79. Auch über die Befestigungsanlagen habt ihr euch beraten und Gedanken gemacht; sie
verdienen es, jetzt erwähnt zu werden. Man könnte diese Stadt weder unbefestigt nennen nach
dem anmaßenden Vorbild der Lakedämonier noch wiederum so glanzvoll bewehrt wie
Babylon oder irgendeine andere Stadt, die davor oder danach mit prächtigeren Mauern
umgeben war. Ja, ihr habt gezeigt, dass diese Befestigung nur Spielerei und in Wahrheit das
Werk eines Weibes war.
80. Die Stadt selbst mit Mauern zu umgeben, als wolltet ihr sie verbergen oder vor euren
Untertanen flüchten, hieltet ihr für unrühmlich und nicht vereinbar mit eurer sonstigen
Denkungsart, im Glauben, man könnte euch sonst mit einem Herrn vergleichen, der sich vor
seinen eigenen Sklaven fürchtet. Freilich, ihr habt die Mauern nicht vernachlässigt, aber ihr
habt sie um euer Reich herumgeführt, nicht um eure Stadt. Ihr habt sie so weit draußen
errichtet, wie es möglich war, prächtig und eures Namens würdig, sehenswert für jene, welche
innerhalb des Ringes wohnen. Wenn sie aber einer sehen wollte, so würde der Weg dahin von
der Stadt aus Monate und Jahre erfordern.
81. Über den äußersten Ring des Erdkreises hinaus legtet ihr ganz ähnlich wie bei der
Umwallung einer Stadt noch eine weitere Grenzlinie an, die beweglicher und leichter zu
bewachen ist. Dort führtet ihr Befestigungsanlagen auf und erbautet Grenzstädte, jede in
einem anderen Gebiet. In diese berieft ihr Siedler, gabt ihnen zu ihrer Unterstützung
Handwerker und gewährtet ihnen sonst alles, was sie brauchten.
82. Wie ein Graben ein Lager ringsherum umgibt, ist es mit dem Umfang dieses Ringes.
Wollte man ihn berechnen, so misst er nicht zehn und nicht zwanzig Parasangen oder noch
ein wenig mehr - es gibt überhaupt keine Zahl, die man mit Recht angeben könnte -, sondern
er schließt das gesamte Gebiet ein, das von dem bewohnten Teil Äthiopiens und vom Phasis
auf der einen Seite sowie vom Euphrat im Binnenland und der großen, letzten Insel im
Westen begrenzt wird. Dies alles kann man als Ring und Umfang der Befestigungen
bezeichnen.
83. Sie sind nicht aus Asphalt und gebrannten Ziegelsteinen gebaut und sie stehen nicht da,
mit Stuck verziert - aber auch diese herkömmlichen Formen gibt es an allen Orten, und zwar
in sehr großer Zahl, und sie sind, wie Homer von der Mauer eines Hauses sagt, aus Steinen
eng und sorgfältig zusammen gefügt, unermesslich an Größe und heller erstrahlend als Erz.
84. Aber die Ringanlage, bei weitem größer und eindrucksvoller, ist überall völlig
uneinnehmbar und unzerstörbar, und sie überstrahlt bei weitem alle Befestigungen und
niemals vorher waren Mauern so stabil gebaut. Sie werden von Männern mit vorgehaltenem
Schild verteidigt, welche die Flucht nicht kennen und mit ihrem gesamten Kriegsgerät in so
enger Verbindung nebeneinander stehen, wie es Homer von den Myrmidonen sagt, welche er
mit jener Mauer vergleicht, die ich nannte. So eng ist die Reihe ihrer Helme, dass kein Pfeil in
der Mitte hindurch fliegen kann, die über den Kopf gehaltenen Schilde aber könnten erhöhte
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Rennbahnen aufnehmen, die weitaus stabiler wären als die in einer Stadt gebauten Bahnen, so
dass auch Reiter darauf galoppieren könnten. Man dürfte hier zu Recht den Vers des
Euripides anführen, man erblicke „eine Fläche aus reinem Erz“. Die Brustpanzer schließen so
eng aneinander an, dass sie ausreichen würden, einen unbewaffneten Mann, würde man ihn
dazwischen stellen, von beiden Seiten bis zur Mitte zu bedecken. Die Wurfspeere folgen dicht
aufeinander, dass man glauben könnte, sie fielen wie Regen von Zeus herab. So eng sind der
Befestigungsring der Durchgänge und Mauern und der Ring der Menschen verbunden, welche
den ganzen Erdkreis schützen.
85. Vormals konnte Darius durch Datis und Artaphernes über eine einzige Stadt auf einer
einzigen Insel ein Netz auswerfen und sie erobern. Ihr aber habt, wenn man so sagen darf, ein
Netz über den gesamten Erdkreis ausgeworfen und sichert ihn so durch jene, welche sowohl
gemeinsame Bürger darin sind, als auch durch Fremde, die ihr, wie oben dargelegt, aus allen
ausgewählt und angeworben habt. Ihr gabt ihnen die Hoffnung, dass sie es nicht bereuen
würden, wenn sie sich als tüchtige Männer erwiesen; denn nicht Leute aus altem Adel würden
die sein, die stets den ersten Platz einnehmen, und Leute aus der zweiten Klasse den zweiten
Platz, und auch bei den übrigen Plätzen werde es nicht so sein, sondern jeder werde den Rang
einnehmen, der er verdiene, da die Tüchtigen hier nicht nach Worten, sondern nach Taten
beurteilt würden. Herrliche Beispiele habt ihr allen dafür gegeben, so dass sie allesamt
Untätigkeit für ein Unglück halten, Taten aber für ein Mittel zur Erfüllung ihrer Wünsche.
Wenn es gegen den Feind geht, sind sie eines Sinnes, untereinander aber kämpfen sie, solange
sie leben, um den Vorrang, und als einzige von allen Menschen beten sie darum, auf einen
Feind zu treffen.
86. Wenn einer nur auf Ausbildung und Ordnung des Heeres sieht, wird er glauben, dass die
Gegner, „wären sie noch zehn- und zwanzigmal stärker“, um ein Wort Homers zu
gebrauchen, rasch zum Weichen gebracht und bis zum letzten Mann überwältigt würden.
Wenn er aber auf die Ergänzung und Rekrutierung der Truppen seine Blicke richtet, wird er
das ausdrücken und empfinden, was über den König von Ägypten erzählt wird, als Kambyses
das Land ausplünderte und die Tempel zerstörte. Auf den Mauern Thebens stehend, hielt
jener eine Erdscholle und einen Becher Nilwasser in die Höhe und zeigte damit an, dass der
Perser, solange er Ägypten selbst und den Fluss Nil nicht wegschleppen und als Beute mit
sich führen könne, den Reichtum der Ägypter noch nicht gewonnen habe. Wenn ihnen diese
Güter verblieben, so meinte er, hätten sie bald wieder andere Schätze in gleicher Zahl, und
Reichtum werde Ägypten niemals fehlen. Solches kann man auch von eurem Heer denken
und sagen: Solange nicht irgendwer das Land selbst von seiner Stelle rücken und entvölkert
zurücklassen kann und solange der Erdkreis an seinem Platz verbleiben muss, ist es
unmöglich, dass euch die Krieger nicht in ausreichender Zahl zu Gebote stehen. Im Gegenteil,
es stehen so viele Männer, wie ihr sie haben wollt, für euch bereit, die aus jedem Land
kommen, das bewohnt ist.
87. Aber auch auf dem Gebiet der Taktik habt ihr gezeigt, dass alle Völker Kinder sind; denn
ihr habt den Kriegern und ihren Anführern nicht nur befohlen, diese gegen die Feinde zu
üben, sondern zu allererst gegen sich selbst. Daher leben sie Tag für Tag in ihrer Stellung und
keiner verlässt den ihm zugewiesenen Posten. Gleichsam wie in einem immer bestehenden
Chor kennt und wahrt jeder seinen Platz, und der Untergebene beneidet deswegen nicht den,
der einen höheren Rang besitzt, sondern herrscht selbst streng über die, denen er vorangestellt
ist.
88. Es verdrießt mich, dass andere schon vorher von den Lakedämoniern sagten, ihr Heer
bestehe, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus Vorgesetzten von Vorgesetzten. Es wäre
nämlich besser gewesen, diesen Satz aufzusparen und zuerst auf euch anzuwenden; indes der
Autor sprach ihn früher aus als nötig. Gewiss, das Heer der Lakedämonier scheint tatsächlich
aus so wenigen zu bestehen, dass wahrscheinlich auch alle Vorgesetzte sind. Aber bei den so
großen Zahlen der Abteilungen und Völkerschaften eures Heeres ist es nicht einmal leicht,
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ihre Namen herauszufinden. Wollte man mit dem einzigen beginnen, der alles kontrolliert und
über alles wacht, über Provinzen, Städte, Heere, selbst über die Feldherrn, und bei dem einen
aufhören, der ein Kommando über vier oder zwei Männer hat – alle Dienstgrade dazwischen
haben wir beiseite gelassen – und wollte man wie beim Spinnen eines Fadens ständig von
einer größeren zu einer kleineren Zahl von Strähnen übergehen und so zu jedem einzelnen,
der jeweils unter einem anderen aufgestellt ist, vordringen bis ans Ende, wie sollte eine solche
Organisation nicht jede menschliche Ordnung übertreffen?
89. Es drängt mich, hierbei den folgenden Homervers zu zitieren mit einer kleinen Änderung
am Schluss: „So ist wohl im Innern die Herrschaft des olympischen Zeus“. Wenn ein einziger
über so viele Menschen herrscht und seine Beauftragten und Gesandten zwar weit unter ihm
stehen, aber weit höher als die, über welche sie die Aufsicht haben, und alles in Ruhe
durchführen, ohne Lärm und Erregung, und wenn kein Neid im Wege ist, sondern überall
völlige Gerechtigkeit und Achtung herrschen, und keinem der Lohn für seine Leistung
vorenthalten wird, warum sollte dann dieser Vers nicht besser sein?
90. Mir scheint, dass ihr sogar in dieser Stadt selbst eine Staatsform errichtet habt, die in
keiner Weise mit der anderer Völker verglichen werden könnte. Früher glaubte man, dass es
drei Staatsformen unter den Menschen gebe: Zwei hatten zwei verschiedene Namen, je nach
dem Charakter derer, die regierten, nämlich Tyrannis und Oligarchie sowie Königtum und
Aristokratie. Die dritte Form wurde als Demokratie bezeichnet, ohne Unterschied, ob sie gut
oder weniger gut ausgeübt wurde. Eine dieser Formen hatten nun die Städte für sich
angenommen, je nachdem ob bei ihnen jeweils Wahl oder Zufall den Ausschlag gab. Eure
Staatsform aber ist mit keiner von diesen zu vergleichen, sondern gewissermaßen eine
Mischung aus allen Formen, aber ohne die Mängel, die jede einzelne zeigt. Das ist der Grund,
weshalb eine solche Form staatlicher Ordnung die Oberhand gewonnen hat. Wenn daher einer
darauf schaut, welche Macht das Volk hat und wie leicht es alles erhält, was es wünscht und
fordert, so wird er glauben, es sei eine Demokratie, der nichts mangelt außer den Fehlern des
Volkes. Wenn er aber den Senat betrachtet, der berät und die Regierungsgewalt innehat, wird
er keine Aristokratie für vollkommener halten als die bei euch. Wenn er aber seinen Blick auf
den „Ephoren“ und „Prytanen“ richtet, der über diesen allen steht, von dem das Volk alles
erreicht, was es sich wünscht und „die wenigen“ ihre Ämter und ihre Macht empfangen, so
sieht er in ihm jenen, der die absoluteste Monarchie ausübt, jedoch ohne die Laster eines
Tyrannen und emporgehoben über die Würde eines Königs.
91. Es geschah nicht ohne Grund, dass ihr allein die Macht so verteiltet und euch so kundig
zeigtet sowohl in der auswärtigen Politik als auch in der Verwaltung der Stadt selbst; denn ihr
allein seid sozusagen Herrscher von Natur aus. Die anderen, welche vor euch regierten, waren
untereinander abwechselnd Herren und Sklaven und illegitime Erben ihrer Herrschaft. Daher
folgten sie einander, indem sie ihre Plätze wechselten wie bei einem Ballspiel. Die
Makedonen waren den Persern, die Perser den Medern, die Meder den Assyrern untertan.
Euch aber kennen alle von der Zeit an, wo sie euch kennen, als Herrscher. Da ihr von
Anbeginn frei und gewissermaßen unmittelbar zum Herrschen geboren wart, sorgtet ihr für
alles trefflich vor, was diesem Ziele dient, fandet eine Staatsform, wie sie noch niemand
zuvor besaß, und stelltet für alle feste Gesetze und Regeln auf.
92. Jetzt dürfte der Zeitpunkt vielleicht nicht ungelegen sein, einen Gedanken zu äußern, der
mich schon seit geraumer Zeit bedrängt und mir häufig auf den Lippen lag und lästig war, den
ich aber aufgrund des Verlaufs meiner Rede bis jetzt ständig überging. Wie sehr ihr durch die
Ausdehnung eurer gesamten Herrschaft, durch eure Macht und durch die Klugheit in der
staatlichen Verwaltung allen Völkern überlegen seid, wurde bereits gesagt. Nun aber glaube
ich, dass man wohl nicht fehl geht, wenn man auch folgendes behauptet: Alle in früherer Zeit,
auch diejenigen, welche einen sehr großen Teil der Erde beherrschten, herrschten gleichwie
über nackte Körper lediglich über die Völker, (ihr aber habt das ganze Reich angefüllt mit
Städten und Kostbarkeiten.)
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93. Wann gab es denn so viele Städte im Binnenland und am Meer, oder wann wurden sie so
mit allem ausgerüstet? Wer reiste früher jemals so, dass er die Städte nach Tagen zählte und
bisweilen am gleichen Tag zwei oder drei durcheilte wie Straßen einer Stadt? Daher stehen
die früheren nicht nur in der Gesamtausdehnung ihrer Herrschaft so sehr hinter euch zurück,
sondern auch darin, dass sie dort, wo sie über die gleichen Völker herrschten wie ihr heute,
diesen allen nicht gleiche oder ähnliche Rechte verliehen. Jetzt aber ist es möglich, jedem
Volk von damals eine Stadt entgegenzustellen, die in demselben Gebiet liegt. Daher könnte
man sagen, dass jene gleichsam Könige über leeres Land und feste Burgen waren, während
ihr allein Herrscher über Städte seid.
94. Nun blühen alle Städte der Griechen unter eurer Führung auf und ihre Weihegeschenke,
Kunstwerke und alle ihre Kostbarkeiten, die sie haben, tragen bei zu eurer Ehre wie die
Kleinodien in einer Vorstadt. Die Küsten des Meeres und das Binnenland sind reich besetzt
mit Städten, die teils neu gegründet, teils unter euch und von euch gefördert wurden.
95. Ionien, um dessen Besitz viel gestritten wurde, ist frei geworden von Besatzungen und
Satrapen und gilt allen als ein Vorbild an Schönheit. In dem Maße, wie es einstmals die
anderen Länder durch Anmut und Glanz zu überragen schien, übertrifft es jetzt sich selbst.
Alexanders stolze und gewaltige Stadt in Ägypten ist zu einer Zierde eures Reiches geworden
wie eine Halskette oder ein Armreif unter den vielen anderen Besitztümern einer reichen
Frau.
96. Fortwährend sorgt ihr für die Griechen wie für eure Pflegeeltern, haltet eure Hand über sie
und richtet sie gleichsam auf, wenn sie darniederliegen. Diejenigen unter ihnen, welche einst
die Vornehmsten waren und eine Führerstellung innehatten, erlangten von euch Freiheit und
Unabhängigkeit, die übrigen regiert ihr maßvoll mit großer Schonung und Umsicht. Die Barbaren aber erzieht ihr entsprechend ihrer jeweiligen Natur entweder mit größerer Milde oder
Strenge; denn da ihr über Menschen herrscht, ist es natürlich, dass ihr nicht hinter
Pferdebändigern zurücksteht, sondern die Anlagen der Untertanen erforscht habt und sie
danach behandelt.
97. Wie bei einem Festtag hat der ganze Erdkreis sein altes Gewand, das Eisen, abgelegt und
sich dem Schmuck und sämtlichen Freuden zugewandt, um sie zu genießen. Jeder andere
Streit ist den Städten fremd geworden, sie alle beherrscht nur dieser eine Ehrgeiz, dass jede
von ihnen möglichst schön und einladend erscheine. Überall gibt es Gymnasien, Brunnen,
Vorhallen, Tempel, Werkstätten und Schulen. Mit einem klugen Vergleich könnte man sagen,
dass der am Anfang gleichsam kranke Erdkreis gesund geworden ist.
98. Niemals hört der Strom der Geschenke auf, welcher von eurer Seite diesen zufließt, und es
ist unmöglich herauszufinden, wer mehr bekommen hat, da eure Menschenfreundlichkeit
gegen alle gleich ist.
99. Städte strahlen nun in Glanz und Anmut, und die ganze Erde ist wie ein paradiesischer
Garten geschmückt. Rauchwolken aus den Ebenen und Feuersignale von Freund und Feind
sind verschwunden, als hätte sie ein Wind davongetragen, jenseits von Land und Meer. An
ihre Stelle sind anmutige Schauspiele aller Art und Wettkämpfe in unbegrenzter Zahl
getreten. So hören die Festversammlungen gleich wie ein heiliges, nie erlöschendes Feuer
nicht mehr auf, sie gehen bald zu diesen, bald zu jenen, und ständig wird irgendwo gefeiert;
denn allen geht es so, dass dies zu Recht geschieht. Daher verdienen allein diejenigen Mitleid,
die außerhalb eures Reiches wohnen, wenn es irgendwo noch welche gibt, weil sie von
solchen Wohltaten ausgeschlossen sind.
100. Ja, das von jedem gebrauchte Wort, dass die Erde die Mutter aller und das für alle
gemeinsame Vaterland sei, wurde durch euch aufs beste bewiesen. Jetzt ist es sowohl dem
Griechen wie dem Barbaren möglich, mit oder ohne Habe ohne Schwierigkeit zu reisen,
wohin er will, gerade als ob er von einer Heimatstadt in eine andere zöge. Es schrecken ihn
weder die „Kilikischen Tore“ noch die schmale und sandige Durchgangsstraße durch das
Land der Araber nach Ägypten, nicht unwegsame Gebirge, nicht unermesslich große Flüsse
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und nicht wilde Barbarenstämme, sondern es bedeutet Sicherheit genug, ein Römer zu sein
oder vielmehr einer von denen, die unter eurer Herrschaft leben.
101. Was Homer sagte, „aber die Erde ist allen Menschen gemeinsam“, wurde von euch
tatsächlich wahr gemacht. Ihr habt den ganzen Erdkreis vermessen, Flüsse überspannt mit
Brücken verschiedener Art, Berge durchstochen, um Fahrwege anzulegen, in menschenleeren
Gegenden Poststationen eingerichtet und überall eine kultivierte und geordnete Lebensweise
eingeführt. Deshalb meine ich, dass das Leben vor Triptolemos, wie man es annimmt, dem
Leben vor eurer Zeit entsprach, hart, ländlich und wenig verschieden von dem, welches ein
Bergbewohner führt, dass aber das gesittete Leben in unserer Zeit von der Stadt der Athener
seinen Ausgang nahm, jedoch von euch erst dauerhaft begründet wurde; denn als die zweiten
seid ihr die Besseren, wie man so sagt.
102. Jetzt ist es nicht nötig, eine Beschreibung der Erde zu verfassen und die Gesetze
aufzuzählen, welche jedes Volk besitzt; denn ihr seid für alle gemeinsam die „Periegeten“
(Fremdenführer) geworden. Sämtliche Tore des Erdkreises wurden von euch aufgestoßen und
alle erhielten die Gelegenheit, sich mit eigenen Augen überall umzusehen, wenn sie es
wollten. Ihr stelltet gemeinsame Gesetze für alle auf und machtet den früheren Zuständen ein
Ende, die zwar ergötzlich sind, wenn man davon erzählt, aber unerträglich, wenn man sie vom
Standpunkt der Vernunft betrachtet. Jedem gabt ihr die Erlaubnis zu heiraten, wen er will, und
machtet so den ganzen Erdkreis gleichsam zu einer einzigen Familie.
103. Vor der Herrschaft des Zeus war, gerade wie die Dichter sagen, alles erfüllt von Aufruhr,
Unruhe und Unordnung, als Zeus jedoch an die Macht gelangte, trat überall Ruhe ein, und die
Titanen suchten die untersten Winkel der Erde auf, nachdem sie alle von ihm und den Göttern
auf seiner Seite vertrieben worden waren. So könnte einer, der die Welt vor und zu eurer Zeit
betrachtet, zur Überzeugung kommen, dass vor eurer Herrschaft das Unterste zu oberst
gekehrt war und alles in blindem Zufall sich bewegte, seit eurem Auftreten aber Verwirrung
und Aufruhr ein Ende fanden. Überall kehrte Ordnung ein und helles Licht im Leben und im
Staat, Gesetze kamen auf und den Altären der Götter vertraute man sich an.
104. Früher verwüsteten die Menschen auch die Erde, geradeso als ob sie ihre Eltern
verstümmeln wollten; ihre Kinder verschlangen sie zwar nicht, aber sie töteten sowohl die der
anderen als auch ihre eigenen bei Streitigkeiten, sogar an den Altären. Nun aber ist dem
Erdkreis selbst und seinen Bewohnern eine allgemeine und jedem erkennbare Sicherheit
geschenkt. Sie scheinen mir völlig davon befreit zu sein, Schlimmes zu erleiden, während sie
andererseits mannigfache Gelegenheiten erhalten haben, um gut regiert zu werden; denn die
Götter, wie es scheint, sehen auf euch herab, erhalten gnädig euer Reich und verleihen euch
die Gunst, es beständig zu besitzen:
105. Zeus, weil ihr euch für ihn um den Erdkreis, seine vorbildliche Schöpfung, wie man sagt,
vorbildlich kümmert, Hera, weil die Ehen rechtmäßig geschlossen werden, Athene und
Hephaistos, weil die Künste geachtet werden, Dionysos und Demeter, weil ihnen die
Feldfrüchte kein Unrecht leiden, Poseidon, weil ihm das Meer von Seeschlachten rein
gehalten und von Handelsschiffen statt von Trieren befahren wird. Im Chor vereint, blicken
Apollo, Artemis und die Musen unablässig auf ihre Diener im Theater, Hermes indes braucht
nicht auf Wettkämpfe und Gesandtschaften zu verzichten, Aphrodite nicht auf Fruchtbarkeit
und Gunstbezeugungen. Wann war jemals die Zeit geeigneter oder wann erfreuten sich die
Städte jemals mehr daran? Die Gunstbezeugungen des Asklepios und der ägyptischen Götter
sind jetzt bei den Menschen am weitesten verbreitet. Selbst Ares ist bei euch nicht gering
geschätzt, und man muss nicht fürchten, dass er eine allgemeine Verwirrung stiftet, weil man
ihn übersah wie beim Gastmahl der Lapithen. Im Gegenteil, an den Ufern der weit entfernten
Flüsse tanzt er unablässig und hält die Waffen rein von Blut. Der alles sehende Helios
entdeckte unter eurer Herrschaft weder eine Gewalttat noch ein Unrecht noch irgendwelche
andere Dinge, wie sie sich in früheren Zeiten häufig ereigneten. Daher blickt er zu Recht mit
höchstem Wohlgefallen auf euer Reich herab.
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106. Wenn Hesiod ein ebenso vollkommener Dichter und Seher gewesen wäre wie Homer dieser wusste sehr wohl, dass euer Reich einst kommen werde, ja er ahnte es voraus und
prophezeite es in seinen Versen -, so hätte er, wie mir scheint, bei der Aufzählung der
Geschlechter nicht mit dem goldenen Geschlecht angefangen, wie er es tatsächlich tut. Er
hätte auch nicht, nachdem er damit begonnen hatte, bei der Behandlung des letzten, des
eisernen Geschlechtes, erklärt, dass dieses dann untergehen werde, „wenn Menschen mit
grauen Schläfen zur Welt kämen“. Vielmehr hätte er gesagt, erst dann, wenn eure Führung
und eure Herrschaft vorhanden seien, werde das eiserne Geschlecht auf der Erde vernichtet,
und erst dann hätte er der Gerechtigkeit sowie der Scham die Rückkehr zu den Menschen
gestattet. Er hätte deshalb die bedauert, welche vor eurer Zeit geboren wurden.
107. Immer werden eure wertvollen Einrichtungen bleiben, die von euch in der Tat geschaffen
und mit der Zeit immer mehr gefestigt wurden. Der Herrscher, welcher jetzt regiert, übertrifft
wie ein großer Wettkämpfer seine Vorgänger so offenkundig, dass es nicht leicht ist zu
erklären, wie sehr er die übrige Menschheit übertrifft. Man kann wohl sagen, dass in Wahrheit
Gerechtigkeit und Gesetz ist, was immer er entscheidet. Dies aber kann man vor allem
deutlich sehen, dass es eine größere Anzahl von Männern gibt, die an seiner Herrschaft
teilhaben, als sie jemals ein Kaiser vor ihm hatte, die er wie eigene Söhne hält, welche ihm
selbst ähnlich sind.
108. Die Aufgabe, die wir uns am Anfang stellten, unsere Rede so abzufassen, dass sie der
Größe eures Reiches angemessen sei, übersteigt die Kraft eines jeden Mannes, und man
bräuchte dazu beinahe ebensoviel Zeit, wie euer Reich bestehen wird. Das aber wäre wohl die
Ewigkeit. Daher ist es am besten, die Dichter von Dithyramben und Päanen nachzuahmen und
unsere Rede noch mit einem Gebet zu schließen.
109. Alle Götter und Söhne der Götter wollen wir anflehen: Sie mögen ihre Gunst gewähren,
dass dieses Reich und diese Stadt in Ewigkeit gedeihen und nicht eher vergehen, als
glühendes Eisen auf dem Meere schwimmt und die Blätter im Frühling nicht mehr sprießen,
und dass der große Herrscher und seine Söhne wohlbehalten bleiben und das Reich zum
Nutzen aller leiten.
Mein Wagnis ist beendet. Ob es gut oder schlecht gelungen ist, darüber mögt ihr nun
entscheiden.
10. Strabon, Geographika
Strabon, Geographika 1, 1, 1
Zum Arbeitsfeld des Philosophen gehört, meinen wir, wenn irgendetwas, auch die
Geographie, die wir uns jetzt zu behandeln vorgenommen haben. Dass dies keine haltlose
Meinung ist, zeigt sich an Vielem. Waren doch die die sich zuerst mit Geographie zu
beschäftigen wagten – Homer, Anaximander der Milesier und sein Mitbürger Hekataios –
Leute dieses Schlages, wie auch Eratosthenes sagt; und auch Demokrit, Eudoxos,
Dikaiarchos, Ephoros und mehrere andere und des weiteren ihre Nachfolger Eratosthenes,
Polybios und Poseidonios waren Philosophen. Ferner gehört die große Gelehrsamkeit, durch
die allein diese Aufgabe sich bewältigen lässt, keinem Anderen als dem der die göttlichen und
die menschlichen Dinge betrachtet, und als Wissenschaft dieser Dinge gilt die Philosophie.
Ebenso deutet auch der Nutzen der Geographie, der mannigfaltig ist – teils für die Politik und
das staatsmännische Handeln, teils für die Kenntnis der Himmelserscheinungen sowie, auf der
Erde und dem Meer, der Tiere, Pflanzen, Früchte und aller übrigen Dinge die bei den
jeweiligen Leuten zu sehen sind – auf denselben Mann: den der sich um die Kunst des Lebens
und das Glück kümmert.
Greifen wir jeden einzelnen Punkt des Gesagten wieder auf und betrachten ihn noch näher.
Und zwar wollen wir erstens zeigen dass wir ebenso wie unsere Vorgänger – zu denen auch
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Hipparch gehört – mit Recht Homer als den Urheber der geographischen Sachkenntnis
betrachten. Er übertrifft alle Alten und Späteren nicht nur durch seine dichterische Qualität
sondern auch, so kann man sagen, durch seine Erfahrung im politischen Leben, dank deren er
sich bemüht hat nicht nur möglichst viele Ereignisse sondern auch Nachrichten über die Orte
– sowohl die einzelnen als die bewohnte Welt und das Meer in ihrer Gesamtheit – zu erfahren
und den Künftigen zu überliefern: sonst wäre er ja mit ihrer Erwähnung nicht bis an die
äußersten Enden der bewohnten Welt gegangen, indem er sie rings umwanderte.
Strabon, Geographika 1, 2, 1 – 1, 2, 2
Dies darüber dass das was wir uns vorgenommen haben eine bedeutsame und dem
Philosophen wohlanstehende Arbeit ist. Wenn wir aber, nachdem bereits Viele vor uns davon
gehandelt haben, es unternehmen auch unsererseits über dasselbe zu sprechen, soll man das
deshalb noch nicht tadeln - es sei denn man weist uns nach dass wir alles auch in derselben
Weise behandeln wie jene. Wir meinen aber dass, wenn auch den Einen dies, den Anderen
jenes gelungen ist, ein großer Teil der Arbeit noch zu leisten bleibt; und wenn wir dazu auch
nur ein wenig beizutragen vermögen, soll man das als eine hinreichende Rechtfertigung des
Unternehmens betrachten. Hat doch die Vorherrschaft der Römer und der Parther den
Heutigen einen großen Zuwachs an Kenntnissen dieser Art gebracht, ebenso wie laut
Eratosthenes denen die nach dem Feldzug Alexanders lebten. Jener nämlich hat uns einen
großen Teil Asiens erschlossen und von dem Norden Europas Alles bis zum Istros, die Römer
aber den ganzen Westen Europas bis zur EIbe (dem Fluss der Germanien in zwei Hälften
teilt), sowie das Gebiet jenseits des Istros bis zum Tyras-Fluss (was darüber hinausliegt bis zu
den Maiotern und der bei den Kolchern endenden Küste haben Mithridates, zubenannt
Eupator, und seine Feldherren bekannt gemacht); und die Parther haben uns Hyrkanien, die
Baktriane und das Gebiet der oberhalb davon wohnenden Skythen besser bekannt gemacht,
Regionen die die Früheren weniger gut kannten. Somit dürften wir etwas mehr mitzuteilen
haben als unsere Vorgänger.
Das wird sich besonders in der Kritik an unseren Vorgängern zeigen, weniger an den alten,
mehr an den Nachfolgern des Eratosthenes und an ihm selber: sind diese doch
begreiflicherweise, wenn sie etwas sagen was nicht stimmt, für die Späteren umso schwerer
zu widerlegen als sie gelehrter waren als die Meisten. Wenn wir dabei gelegentlich
gezwungen werden denselben Männern zu widersprechen denen wir in Anderem am meisten
folgen, soll man das entschuldigen: denn es ist nicht unsere Absicht Allen zu widersprechen,
sondern die Meisten – die es auch nicht verdienen dass man ihnen folgt – beiseite zu lassen
und uns nur mit denen auseinanderzusetzen von denen wir wissen dass sie in den meisten
Dingen recht hatten; ziemt es sich doch auch nicht, mit Allen zu diskutieren; mit Eratosthenes
aber und Poseidonios, Hipparch, Polybios und Anderen solchen Schlages ist es löblich.
Zuerst müssen wir uns Eratosthenes vornehmen, wobei wir zugleich auch, Hipparchs
Widerspruch gegen ihn berücksichtigen werden. Eratosthenes ist einerseits nicht so leicht
fertigzumachen dass man behaupten könnte, er habe nicht einmal Athen gesehen – was
Polemon zu zeigen versucht –, andererseits aber geht seine Glaubwürdigkeit auch nicht so
weit wie Manche sich das haben einreden lassen, wenn er auch, wie er selber sagt, besonders
vielen tüchtigen Männern begegnet ist. Es befanden sich nämlich, sagt er, zu jener Zeit wie
niemals sonst innerhalb der Mauem einer Stadt die in ihrer Blüte stehenden Philosophen zur
Zeit des Ariston und des Arkesilas. Das halte ich aber nicht für genug: man muss vielmehr
richtig beurteilen wem man sich am ehesten anzuschließen hat. Er aber bezeichnet Arkesilas
und Ariston als die Koryphäen der zu seiner Zeit in ihrer Blüte Stehenden; auch kommt
Apelles oft bei ihm vor, sowie Bion, von dem er sagt, er habe der Philosophie zuerst bunte
Kleider angelegt, doch könne man trotzdem oft von ihm sagen 'Welche fleischichte Lende
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Bion'. Lässt er doch in eben diesen Äußerungen eine erhebliche Schwäche seines Urteils
erkennen, dank der er, obwohl er in Athen Schüler des Zenon von Kition gewesen war, keinen
von dessen Nachfolgern erwähnt, von seinen Gegnern aber, die keine bleibende Schule
gegründet haben, behauptet, sie hätten zu jener Zeit in Blüte gestanden. Auch die von ihm
veröffentlichte Abhandlung Über das Gute, seine Studien und sonstiges derart zeigen sein
Bildungsniveau, nämlich dass er die Mitte hielt zwischen einem der philosophieren möchte
und einem der nicht den Mut hat sich dieser Disziplin ganz zu ergeben, sondern es nur zu dem
Schein eines Philosophen bringt bzw. sich diese Disziplin nur als Abstecher von den übrigen
Grundfächern zur Entspannung oder zum Spiel geleistet hat; und in gewissem Sinne ist er
auch auf den übrigen Gebieten so.
Strabon, Geographika 2, 5, 11
Bei unserer Beschreibung werden wir uns teils auf unsere eigene Bereisung von Land und
Meer stützen, teils auf mündliche und schriftliche Angaben Anderer verlassen. Bereist haben
wir die Erde in westlicher Richtung von Armenien bis zu der Gegend des Tyrrhenischen
gegenüber von Sardo, in südlicher vom Schwarzen Meer bis zu den Grenzen Äthiopiens; und
auch bei den Anderen, die die Erde beschrieben haben, dürfte sich keiner finden der von den
genannten Räumen viel mehr bereist hat als wir, sondern diejenigen die im Westen weiter
gelangt sind, haben nicht soviel vom Osten berührt und die die in der entgegengesetzten
Richtung weiter gekommen sind sind im Westen zurückgeblieben; und ebenso ist es mit dem
Süden und dem Norden. Das Meiste jedoch haben sowohl jene als wir aus zweiter Hand und
setzen daraus Form, Größe und die übrige qualitative und quantitative Beschaffenheit in
derselben Weise zusammen wie das Denkvermögen aus den Sinneswahrnehmungen die
Begriffe zusammensetzt. Denn Form, Farbe und Größe des Apfels sowie seinen Geruch,
seinen Geschmack und wie er sich anfühlt vermitteln uns die Sinne, und daraus setzt das
Denkvermögen den Begriff des Apfels zusammen; ja, bei großen Formen ist es sogar so dass
die Sinneswahrnehmung die einzelnen Teile sieht, das Ganze aber aufgrund des Gesehenen
von dem Denkvermögen zusammengesetzt wird. So nun machen es auch die Wissbegierigen:
sie verlassen sich auf diejenigen die die jeweiligen Gegenden gesehen haben und von denen
der eine diesen, der andere jenen Teil der Erde durchstreift hat, wie auf Sinnesorgane und
setzen so das Aussehen der ganzen bewohnten Welt zu einem Schema zusammen.
11. Pausanias, Reisen in Griechenland
Paus. 1, 1, 1 – 1, 1, 5 (Attika)
Vom griechischen Festland springt gegen die Inseln der Kykladen und das Aigaiische
Meer das Vorgebirge Sounion des attischen Landes vor; und ein Hafen ist da, wenn man
am Kap vorbeigefahren ist, und ein Tempel der Athena Sounias auf der Spitze des
Vorgebirges. Fährt man weiter, so kommt Laureion, wo die Athener einst
Silberbergwerke hatten, und eine unbewohnte, nicht große Insel, Patroklosinsel genannt;
denn auf ihr baute Patroklos eine Festung mit Wall und Graben, der als Admiral mit
aigyptischen Dreiruderern heranfuhr, die Ptolemaios, der Sohn des Pto1emaios, des
Sohnes des Lagos, den Athenern zu Hilfe schickte, als ihnen Antigonos, der Sohn des
Demetrios, selber mit einem Heere bei einem Einfall das Land verwüstete und sie
zugleich mit Schiffen von der See absperrte.
Der Peiraieus war zwar von alters her eine Ortschaft, aber früher, bevor Themistokles
Archon in Athen war, kein Hafen; Phaleron, denn dort ist das Meer am wenigsten weit
von der Stadt entfernt, das diente ihnen als Hafen, und von dort, sagen sie, sei
Menestheus mit seinen Schiffen nach Troia abgefahren und noch vor ihm Theseus, um
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Minos Genugtuung zu geben für den Tod des Androgeos. Wie aber Themistokles Archon
war und ihm der Peiraieus geeigneter für die Schiffahrt zu sein und auch drei Häfen zu
haben schien statt des einen in Phaleron, da richtete er ihnen diesen als Hafen ein.
Schiffshäuser waren bis zu meiner Zeit noch vorhanden und an dem größten Hafen ein
Grab des Themistokles. Man sagt nämlich, die Athener hätten ihre Handlungsweise gegen
Themistokles bereut und seine Verwandten hätten seine Gebeine aus Magnesia herübergeholt.
Es scheinen auch die Söhne des Themistokles sowohl zurückgekehrt zu sein wie ein Bild in
den Parthenon geweiht zu haben, auf dem Themistokles gemalt ist.
Sehenswert ist von den Dingen im Peiraieus besonders ein Heiligtum der Athena und des
Zeus; beide Standbilder sind aus Bronze, der eine hält ein Szepter und eine Nike, die Athena
aber eine Lanze. Hier hat den Leosthenes, der als Kommandant der Athener und aller
Griechen die Makedonen in Boiotien in einer Schlacht besiegte und ein zweites Mal
außerhalb der Thermopylen und sie gewaltsam in Lamia gegenüber dem Oitaegebirge
einschloss, diesen Leosthenes und seine Söhne Arkesilaos gemalt. Hinter der langen Halle,
wo der Markt für die Leute am Meer ist, es gibt nämlich auch noch einen anderen für die vom
Hafen Entfernteren, hinter dieser Halle am Meer stehen Statuen des Zeus und des Volkes, ein
Werk des Leochares. Am Meer baute Konon ein Heiligtum der Aphrodite, als er Trieren der
Lakedaimonier bei Knidos auf der karischen Halbinsel vernichtet hatte. Denn die Knidier
verehren die Aphrodite am meisten, und sie haben Heiligtümer der Göttin; das älteste war das
der Doritis, dann das der Akraia, das jüngste das derjenigen, die die meisten „die knidische“,
die Knidier selbst aber Euploia nennen.
Die Athener haben noch einen anderen Hafen, den an der Mounychia mit einem Tempel der
Artemis Mounychia, und ferner den bei Phaleron, wie ich früher schon gesagt habe, und daran
ein Demeterheiligtum. Dort ist auch ein Tempel der Athena Skiras und etwas weiter einer des
Zeus und Altäre der Unbekannten Götter und von Heroen und der Söhne des Theseus und des
Phaleros; denn dieser Phaleros. soll, wie die Athener sagen, mit Iason nach Ko1chis gefahren
sein. Auch ein Altar des Androgeos ist da, des Sohnes des Minos, er heißt aber nur Altar des
Heros; dass er dem Androgeos gehört, wissen die, denen es obliegt, die einheimischen
Einrichtungen besser zu kennen als andere.
Paus. 1, 24, 5 – 1, 25, 1 (Athen, Akropolis, Parthenon)
Tritt man in den Tempel ein, den sie Parthenon nennen, so bezieht sich die ganze Darstellung
im Giebel auf die Geburt der Athena, der rückwärtige Giebel aber enthält den Streit des
Poseidon mit Athena um den Besitz des Landes. Das Kultbild selbst ist aus Gold und
Elfenbein gemacht. Mitten auf dem Helm sitzt die Figur einer Sphinx; was man von der
Sphinx erzählt, werde ich schreiben, wenn meine Darstellung bis Boiotien vorgeschritten ist,
beiderseits an dem Helm aber sind Greifen angebracht. Von diesen Greifen erzählt der
Prokonnesier Aristeas in seinen Werken, dass sie mit den über den Issedonen wohnenden
Arimaspen um das Gold kämpften. Das Gold aber, das die Greifen bewachen, kommt aus der
Erde. Die Arimaspen sind Männer, sämtliche von Geburt an einäugig; die Greifen sind
löwengleiche Tiere, haben Flügel und Adlerschnäbel. Über die Greifen mag dies genügen.
Das Kultbild der Athena ist aufrechtstehend mit einem Chiton bis zu den Füßen, und an
ihrer Brust ist das Medousenhaupt aus Elfenbein angebracht. Und eine Siegesgöttin,
gegen vier Ellen hoch, hat sie in der Hand und eine Lanze, und zu ihren Füßen steht der
Schild, und neben der Lanze befindet sich eine Schlange, und diese Schlange mag wohl
Erichthonios darstellen. An der Basis des Kultbildes ist die Geburt der Pandora
dargestellt. Hesiod und andere haben erzählt, wie diese Pandora die erste Frau wurde; vor
der Geburt der Pandora gab es das Geschlecht der Frauen noch nicht. Hier gibt es sonst
nur ein Bild des Kaisers Hadrian, wie ich selber gesehen habe, und im Eingang eines des
Iphikrates, der viele berühmte Taten vollbracht hat.
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Dem Tempel gegenüber steht ein Apollon aus Bronze, und die Statue soll Pheidias
gemacht haben. Man nennt ihn den Parnopios, da der Gott ihnen sagte, er werde ihnen die
Heuschrecken, die ihrem Lande schadeten, aus dem Land vertreiben. Dass er sie vertrieb,
weiß man, auf welche Weise, wird aber nicht gesagt. Ich selbst habe es dreimal erlebt,
dass Heuschrecken am Sipylosgebirge vernichtet wurden, nicht jedesmal auf die gleiche
Weise. Die einen verjagte ein heftig einfallender Wind, die anderen vernichtete eine nach
einem heftigen Regen des Gottes auftretende Hitze, die dritten richtete eine plötzlich
einfallende Kälte zugrunde. Diese Ereignisse habe ich selbst gesehen.
Auf der Akropolis von Athen steht auch Perikles, der Sohn des Xanthippos, und
Xanthippos selbst, der die Seeschlacht bei Mykale gegen die Perser schlug. Die Statue
des Perikles steht aber anderswo, in der Nähe des Xanthipposje jedoch steht Anakreon
von Teos, der zuerst nach der Lesbierin Sappho vor allem Liebesgedichte schrieb. Und er
ist so dargestellt, wie wohl ein trunkener Mensch singen würde. In der Nähe hat
Deinomenes Frauenstatuen geschaffen, die 10, die Tochter des Inachos, und Kallisto, die
Tochter des Lykaon, von denen beiden die ganz gleichen Geschichten erzählt werden, die
Liebe des Zeus, der Zorn der Hera und ihre Verwandlung, die eine in eine Kuh, Kallisto
in eine Bärin.
Paus. 5, 9, 3 – 5, 12, 8 (Olympische Spiele und Olympia, Zeustempel mit Zeusstatue)
Die heutige Ordnung der Spiele, nämlich, dass die Opfer für den Gott nach dem Fünfkampf
und den Pferderennen, aber … stattfinden, diese Ordnung wurde in der 77. Olympiade
eingeführt, vorher führten sie den Wettkampf der Menschen und Pferde am selben Tage
durch. Damals dehnte sich der Wettkampf der Pankratiasten bis in die Nacht aus, da sie nicht
rechtzeitig aufgerufen wurden; schuld daran waren einmal die Pferderennen und noch mehr
der Wettkampf der Fünfkämpfer, und es siegte der Athener Kallias bei den Pankratiasten. In
Zukunft sollte weder der Fünfkampf noch die Pferderennen ein Hindernis für das Pankration
sein. In betreff der Wettkampfleiter halten sie es zu meiner Zeit nicht mehr so, wie es zu
Anfang festgesetzt war, denn Iphitos veranstaltete den Wettkampf selber allein, und nach
Iphitos führten ihn ebenso die Nachkommen des Oxylos durch. In der 50. Olympiade wurde
zwei aus allen Eleern gelosten Männern die Aufgabe übertragen, die olympischen Spiele zu
veranstalten, und seitdem blieb die Zweizahl der Wettkampfleiter die längste Zeit bestehen.
An der 25. Olympiade setzten sie neun Hellanodiken ein, und dreien von ihnen wurde das
Pferderennen anvertraut; ebensoviel andere wurden als Aufseher für den Fünfkampf
bestimmt, und den üb rigen lag die Sorge für die sonstigen Wettkämpfe ob. In der zweiten
Olympiade danach wurde noch der zehnte Wettkampfleiter hinzugefügt. An der
Olympiade entstanden die zwölf Phylen der Eleer, und aus jeder Phyle wurde je einer
Hellanodike. Aber von den Arkadern im Krieg bedrängt, verloren sie einen Teil des
Landes und die Gemeinden in dem abgerissenen Lande, und so wurden sie an der
Olympiade auf acht Phylen beschränkt und ebenso viele Hellanodiken gewählt, wie
Phylen waren. An der Olympiade kehrten sie dann wieder zu der Zehnzahl zurück, und
dabei ist es nun bis zu unserer Zeit geblieben.
Es gibt bei den Griechen auch sonst mancherlei Staunenswertes zu sehen und zu hören;
am meisten Fürsorge von Gott erhalten aber die Weihehandlungen in Eleusis und der
Wettkampf in Olympia. Den heiligen Hain des Zeus nennen sie mit Veränderung des
Namens seit alters Altis; auch Pindar hat in einem Gedicht auf einen Olympiasieger den
Platz Altis genannt. Der Tempel und das Kultbild für Zeus wurden hergestellt aus Beute,
als die Eleer Pisa und die sonstigen Perioiken, die mit den Pisaiern zusammen abgefallen
waren, im Krieg vernichteten. Dass Pheidias der Künstler der Kultstatue war, dafür dient
als Beweis auch eine Inschrift, die unter den Füßen des Zeus steht: „Pheidias, Charmides'
Sohn, Athener, machte mich.“
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Die Form des Tempels ist dorisch, und außen hat er ringsum Säulen. Er ist aber aus
einheimischem Stein gebaut. Seine Höhe bis zum Giebel beträgt 68 Fuß, seine Breite 95
und seine Länge Fuß. Sein Baumeister war der Einheimische Libon. Die Dachziegel
bestehen nicht aus gebranntem Ton, sondern aus pentelischem Marmor in Ziegelform.
Das soll eine Erfindung des Naxiers Byzes sein, von dem in Naxos die Statuen mit der
Aufschrift sein sollen: „Der Naxier Euergos schuf mich für den Sohn der Leto, des Byzes
Sohn, der zuerst marmorne Ziegel erstellte.“
Dieser Byzes lebte in der Zeit des Lyders Alyattes und des Astyages, des Sohnes des
Kyaxares, der in Medien König war. In Olympia steht ein vergoldeter Kessel an jeder
Ecke des Dachs, und eine Nike steht über der Mitte des Giebels, auch diese vergoldet.
Unter der Nikestatue ist ein goldener Schild angebracht mit der Medousa Gorgo daran.
Die Inschrift auf dem Schild nennt die Weihenden, und aus welchem Anlass sie es
weihten; sie lautet so: „Der Tempel hat eine goldene Schale, die von Tanagra weihten die
Lakedaimonier und ihr Bund als Gabe von den Argivern und Athenern und Ioniern als
Zehnten des Sieges wegen im Kriege.“
Diese Schlacht habe ich auch in meinem Buch über Attika erwähnt bei meiner
Behandlung der Grabdenkmäler in Athen. Am Tempel in Olympia befinden sich außen
über dem Fries, der über den Säulen herumläuft, vergoldete Schilde, an der Zahl, ein
Weihgeschenk des römischen Feldherrn Mommios, der die Achaier im Kriege besiegte
und Korinth eroberte und die dorischen Korinther vertrieb. Von den Giebelfiguren ist
vorn das Wettfahren des Pelops gegen Oinomaos dargestellt, das erst stattfinden soll, und
bei beiden ist das Rennen in Vorbereitung. Gerade in der Mitte des Giebels ist eine
Zeusstatue angebracht, und rechts von Zeus befindet sich Oinomaos mit einem Helm auf
dem Kopf und neben ihm seine Frau Sterope, auch sie eine der Töchter des Atlas.
Myrtilos, der den Wagen des Oinomaos lenkte, sitzt vor den Pferden; die Pferde sind vier
an der Zahl. Nach ihm sind da zwei Männer; Namen haben sie nicht, aber auch ihnen war
doch wohl von Oinomaos aufgetragen, für die Pferde zu sorgen. Ganz am Ende liegt
Kladeos; er wird auch sonst bei den Eleern von den Flüssen am meisten geehrt nach dem
Alpheios. Links von Zeus aus stehen Pelops und Hippodameia und der Wagenlenker des
Pelops und Pferde und zwei Männer, auch diese offenbar Pferdeknechte des Pelops. Und
wieder verengt sich der Giebel, und hier ist darin Alpheios dargestellt. Der Mann, der
Wagenlenker des Pelops war, heißt nach der Aussage der Troizener Sphairos; der Erklärer in
Olympia nannte ihn aber Killas. Die vorderen Giebelfiguren sind das Werk des Paionios,
seiner Herkunft nach aus Mende in Thrakien, die hinteren des Alkamenes, der in der Zeit des
Pheidias lebte und in der Kunst der Bildhauerei die zweite Stelle errang. Seine Giebelfiguren
stellen den Kampf der Lapithen bei der Hochzeit des Peirithoos gegen die Kentauren dar. In
der Mitte des Giebels steht Peirithoos, neben ihm auf der einen Seite Eurytion, der die Frau
des Peirithoos geraubt hat, und Kaineus, der dem Peirithoos zu Hilfe kommt, auf der anderen
Seite Theseus, der mit einer Axt gegen die Kentauren kämpft, und der eine Kentaur hat ein
Mädchen, der andere einen schönen Knaben geraubt. Das hat meines Erachtens Alkamenes
dargestellt, da er in den homerischen Epen gelernt hatte, daß Peirithoos ein Sohn des Zeus sei,
und wußte, dass Theseus der vierte nach Pelops war. In Olympia sind auch die meisten Taten
des Herakles dargestellt. Über der Tür des Tempels ist die Jagd des Ebers aus Arkadien
angebracht und die Kämpfe mit dem Thraker Diomedes und in Erytheia gegen Geryones, und
wie er im Begriff ist, in Empfang zu nehmen, was Atlas ihm bringt, und das elische Land vom
Mist reinigt. Über der Tür des Opisthodoms ist dargestellt, wie er der Amazone den Gürtel
abnimmt, und das Abenteuer mit der Hindin und mit dem Stier in Knosos und den Vögeln in
Stymphelos und der Hydra und dem Löwen im argivischen Land. Tritt man in die Bronzetür
ein, steht rechts vor der Säule Iphitos, der von einer Frau Ekecheiria („Waffenstillstand“)
bekränzt wird, wie das Epigramm an ihnen besagt. Auch innerhalb des Tempels stehen
Säulen, und dazu sind drinnen Säulenhallen im Obergeschoß, und durch sie gelangt man zum
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Kultbild. Auch eine Wendeltreppe aufs Dach ist da gemacht. Der Gott sitzt auf einem Thron
und ist aus Gold und Elfenbein gemacht, und ein Kranz liegt auf seinem Haupt in Form von
Ölbaumzweigen. In der Rechten trägt er eine Nike, ebenfalls aus Elfenbein und Gold, die ein
Band hält und auf dem Kopfe einen Kranz hat. In der linken Hand des Gottes befindet sich ein
Szepter, mit lauter Metalleinlagen verziert. Der Vogel, der auf dem Szepter sitzt, ist der Adler.
Aus Gold sind auch die Sandalen des Gottes und sein Gewand ebenso; an dem Gewand sind
Figuren und Lilien angebracht. Der Thron ist in abwechslungsreicher Arbeit aus Gold und
Steinen und Ebenholz und Elfenbein, und an ihm sind Figuren gemalt und Bildwerke
angebracht. Vier Niken in der Gestalt von Tanzenden befinden sich an jedem Bein des Throns
und zwei weitere am Fuß jedes Thronbeines. Über jedem der beiden vorderen Beine liegen
thebanische Knaben, die von Sphingen geraubt werden, und unter den Sphingen töten
Apollon und Artemis die Kinder der Niobe. Zwischen den Beinen des Thrones sind vier
Leisten, die jede von einem Bein zum anderen reichen. An der Leiste geradeaus vom Eingang
befinden sich sieben Figuren; von der achten von ihnen weiß man nicht, wie sie
verschwunden ist. Das mögen wohl Darstellungen alter Kämpfe sein, denn die
Knabenwettkämpfe gab es zur Zeit des Pheidias noch nicht. Derjenige, der sich selbst den
Kopf mit einer Binde umwickelt, soll dem Pantarkes ähnlich sehen; der elische Knabe
Pantarkes soll der Liebling des Pheidias gewesen sein. Pantarkes errang auch einen Sieg im
Knabenringkampf an der 86. Olympiade. An den übrigen Leisten ist die Schar dargestellt,
die mit Herakles gegen die Amazonen kämpft. Die Zahl beider ist gegen 29, und auch
Theseus befindet sich bei den Mitkämpfern des Herakles. Die Füße tragen aber nicht
allein den Thron, sondern es stehen noch ebensoviel Säulen wie Füße zwischen den
Füßen. Unter den Thron kann man nicht gelangen, wie wir in Amyklai ins Innere des
Thrones kommen. In Olympia verhindern das mauerartige Schranken. Von diesen
Schranken sind diejenigen gegenüber der Tür nur blau gestrichen, die übrigen tragen
Gemälde des Panainos. Darunter ist Atlas, der Himmel und Erde trägt, und Herakles steht
neben ihm, um Atlas die Last abzunehmen, ferner Theseus und Peirithoos und Hellas und
Salamis, die die Schiffszier in Händen hält, die am Ende der Schiffe angebracht ist, und
von den Taten des Herakles der Kampf mit dem Löwen in Nemea und Aias' Untat an
Kassandra und Hippodameia, die Tochter des Oinomaos, mit ihrer Mutter und
Prometheus noch in Fesseln, und Herakles hat den Bogen erhoben in Richtung auf ihn.
Denn auch das wird von Herakles erzählt, dass er den Adler tötete, der im Kaukasos den
Prometheus quälte, und den Prometheus selbst von den Fesseln befreite. Als letztes Bild
ist Penthesileia dargestellt, die ihren Geist aufgibt, und Achilleus, der sie stützt, und zwei
Hesperiden bringen die Äpfel, deren Bewachung ihnen anvertraut worden sein soll.
Dieser Panainos war Bruder des Pheidias, und von ihm stammt auch in Athen in der
Bunten Halle das Gemälde der Schlacht bei Marathon. Am obersten Ende des Thrones
hat Pheidias über dem Kopf der Statue auf der einen Seite Chariten, auf der anderen
Horen angebracht, von beiden drei. Auch von ihnen heißt es im Epos, sie seien Töchter
des Zeus. Homer hat in der Ilias von den Horen gedichtet, dass ihnen der Himmel
anvertraut sei wie Wächtern eines Königshofes. Der Schemel unter den Füßen des Zeus,
den Leuten in Attika Thranion (Bank) genannt, hat goldene Löwen und den Kampf des
Theseus gegen die Amazonen in Relief, die erste Heldentat der Athener gegen
Stammesfremde. An der Basis, die den Thron trägt, und was sonst noch an
Ausschmückung um den Zeus ist, an dieser Basis sind goldene Figuren, Helios, der den
Wagen besteigt, und Zeus und Hera … und neben ihm Charis; an sie schließt sich
Hermes an und an Hermes Hestia. Nach der Hestia folgt ein Eros, der die aus dem Meere
aufsteigende Aphrodite empfängt, und Peitho bekränzt Aphrodite. Auch Apollon mit
Artemis ist dargestellt und Athena und Herakles und am Ende der Basis Amphitrite und
Poseidon und Selene, wie mir scheint, ein Pferd reitend. Einige behaupten, die Göttin
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reite ein Maultier und kein Pferd, und erzählen eine dumme Geschichte über das
Maultier.
Obwohl ich weiß, dass die Maße des Zeus in Olympia nach Höhe und Breite
aufgezeichnet sind, möchte ich diejenigen doch nicht loben, die sie gemessen haben, da
auch die von ihnen angegebenen Maße weit zurückbleiben hinter dem Eindruck, den das
Kultbild auf den Beschauer macht, wo man ja doch erzählt, dass der Gott selbst Zeuge für
die Kunst des Pheidias geworden sei. Denn als die Statue fertig war, betete Pheidias zum
Gott, er möge ihm ein Zeichen geben, ob ihm das Werk nach Wunsch sei, und er habe
sofort an der Stelle des Bodens einen Blitz niederfahren lassen, wo noch zu meiner Zeit
die bronzene Hydria daraufstand. Der Boden vor dem Kultbild ist nicht aus weißem,
sondern aus schwarzem Stein gemacht. Um den schwarzen Stein läuft eine Umrandung
aus parischem Marmor rings herum als Schranke für das ausgegossene Öl. Denn Öl ist
der Statue in Olympia gut zuträglich, und Öl verhindert, dass das Elfenbein durch die
sumpfige Natur der Altis leidet. Auf der Akropolis von Athen ist es nicht Öl, sondern
Wasser, das für das Elfenbein der Statue der Parthenos von Nutzen ist. Denn da die
Akropolis wegen ihrer großen Höhe trocken ist, verlangt die aus Elfenbein hergestellte
Statue nach Wasser und Feuchtigkeit vom Wasser. Als ich in Epidauros fragte, weshalb
sie den Asklepios weder mit Wasser noch mit Öl begießen, belehrten mich die Wärter
des Heiligtums, dass das Bild des Gottes und der Thron über einem Brunnen stünden.
Diejenigen Menschen, die meinen, dass das, was bei den Elefanten nach außen aus dem
Maul herausragt, die Zähne der Tiere seien und nicht Hörner, mögen die Elche
betrachten, das Tier im Keltenland, und auch die aithiopischen Stiere. Denn bei den
Elchen haben die männlichen Tiere Hörner auf den Augenbrauen, die weiblichen aber
überhaupt keine, und den aithiopischen Stieren wachsen die Hörner auf der Nase. Wer
wird sich da noch groß darüber wundern, dass einem Tier Hörner aus dem Maul
herauswachsen?
Man kann sich auch noch durch folgendes belehren lassen: Die Hörner fallen nämlich
den Tieren in jährlichen Perioden ab und sprossen dann wieder neu. Und das ist bei
Hirschen und Gazellen und ebenso bei den Elefanten ganz gleich. Es gibt aber kein
schon ausgewachsenes Tier, dem ein Zahn zum zweitenmal wächst. Wenn es Zähne
wären, was zum Maul herauswächst, und nicht Hörner, wie könnten sie dann wieder
nachwachsen? Zähne schmelzen auch nicht im Feuer, dagegen lassen sich Hörner von
Rindern und Elefanten im Feuer aus gebogenem Zustand gerade biegen und in andere
Formen bringen. Bei Flusspferden und Ebern trägt der Unterkiefer die Hauer; dass aber
Hörner aus Kiefern wachsen, habe ich nicht gesehen. Man mag auch das wissen, dass
dem Elefanten die Hörner von oben her durch die Schläfen herunterkommen und sich so
nach außen drehen. Das schreibe ich nicht vom Hörensagen, sondern weil ich einen
Elefantenschädel im Land der Kampaner in einem Artemisheiligtum gesehen habe. Das
Heiligtum liegt etwa dreißig Stadien von Kapua, und Kapua ist die Hauptstadt von
Kampanien. Bei dem Elefanten ist die Art des Herauswachsens der Hörner verschieden
von den übrigen Tieren, wie auch seine Größe und Gestalt keinem anderen Tier gleicht.
Die Griechen scheinen mir nun ganz besonders ehrgeizig und hinsichtlich der Ehrung
der Götter nicht knauserig gewesen zu sein, wenn sie sich von den Indern und aus
Aithiopien Elfenbein zur Anfertigung von Götterbildern bringen ließen.
In Olympia hat Antiochos einen wollenen Vorhang, mit assyrischen Webereien und
phoinikischer Purpurfarbe verziert, geweiht, von dem auch über dem Theater in Athen
das Weihgeschenk der goldenen Aigis mit der Gorgo darauf stammt. Diesen Vorhang
ziehen sie nicht nach oben zur Decke hinauf wie im Artemistempel in Ephesos, sondern
lassen ihn, an Tauen ziehend, in den Boden hinunter. An Weihgeschenken, die innen
oder im Pronaos stehen, ist dort ein Thron des Arimnestos, der bei den Tyrrhenern
König gewesen war und als erster Barbar den Zeus in Olympia mit einem Weihgeschenk
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beschenkte, und bronzene Pferde der Kyniska zum Andenken an ihren olympischen
Sieg. Diese sind kleiner als natürliche Pferde und stehen im Pronaos rechts vom
Eingang. Es steht da auch ein mit Bronze überzogener Dreifuß, auf dem sie die Kränze
für die Sieger ausstellten, bevor der Tisch gemacht wurde. Von den Kaiserstatuen haben
die des Hadrian aus parischem Marmor die zum Achaiischen Bund gehörenden Städte
geweiht, die des Trajan alle Griechen. Dieser Kaiser gewann die Geten über Thrakien
zum Reich hinzu und führte mit Osroes, dem Nachkommen des Arsakes, und den
Parthern Krieg. Von den Bauten, die er hat herstellen lassen, sind die
bemerkenswertesten die nach ihm genannten Bäder und ein großes ringsum rundes
Theater und ein Gebäude für Pferderennen, volle zwei Stadien lang, und das römische
Forum, das wegen seiner sonstigen Ausstattung sehenswert ist und besonders wegen des
Bronzedaches. Von den Statuen, die in den Rundbauten stehen, stellt diejenige aus Elektron
den römischen Kaiser Augustus dar, während die aus Elfenbein der bithynische König
Nikomedes sein sollte. Nach diesem änderte auch die größte Stadt in Bithynien, die vorher
Astakos hieß, ihren Namen; ihr ursprünglicher Gründer war Zypoites gewesen, ein Thraker
von Abstammung, wie es nach seinem Namen scheint. Dieses Elektron, aus dem man für
Augustus die Statue gemacht hat, findet sich als Naturerzeugnis in den Sanden des
Eridanosflusses, ist aber sehr selten und auch sonst aus vielen Gründen für den Menschen
kostbar. Das andere Elektron ist Gold mit Silber vermischt. Im Tempel in Olympia befinden
sich als Weihgeschenke Neros auch drei Kränze in Form von Blättern des wilden Ölbaums
und ein vierter in Form von Eichenlaub. Es liegen hier auch 25 eherne Schilde, für die
Waffenläufer beim Lauf zu tragen. An Inschriftstelen steht da unter anderen die mit dem Eid
von den Eleern gegenüber den Athenern und Argivern und Mantineern auf ein
hundertjähriges Bündnis.
Paus. 2, 27, 1 – 2, 27, 7 (Asklepieion von Epidauros)
Den heiligen Hain des Asklepios umgeben allerseits Grenzsteine, und innerhalb des
Heiligtums sterben keine Menschen und gebären keine Frauen, wie auch auf der Insel Delos.
Die Opfer aber, mag nun der Opfernde einer von den Epidauriern selbst oder ein Fremder
sein, verzehren sie innerhalb der Grenzen. Dasselbe beobachtete ich auch in Titane. Die
Kultstatue des Asklepios ist halb so groß wie die des olympischen Zeus in Athen und aus
Elfenbein und Gold gemacht; eine Inschrift besagt, der Künstler sei der Parier Thrasymedes,
der Sohn des Arignotos. Er sitzt auf einem Thron, einen Stab haltend, und die andere Hand
hat er über dem Kopf der Schlange, und auch ein Hund ist neben ihm liegend dargestellt. An
dem Thron sind die Taten von argivischen Heroen angebracht, Bellerophontes' Kampf mit der
Chimaira und Perseus, der der Medousa den Kopf abgeschlagen hat. Dem Tempel gegenüber
ist der Ort, wo die den Gott um Hilfe Bittenden schlafen. In der Nähe ist ein Rundbau aus
Marmor errichtet, die sogenannte Tholos, sehenswert. Darin ist von der Hand des Pausias ein
Eros gemalt, der Geschosse und Bogen niedergelegt hat und statt ihrer eine Leier trägt. Auch
Methe („die Trunkenheit“) ist hier gemalt, auch diese ein Werk des Pausias, aus einer
Glasschale trinkend. Man sieht auch in dem Gemälde die gläserne Schale und durch sie
hindurch das Gesicht der Frau. Innerhalb des heiligen Bezirks standen vor alters viele Stelen,
zu meiner Zeit noch sechs. Auf ihnen sind die Namen von Männern und Frauen verzeichnet,
die von Asklepios geheilt wurden, und dazu die Krankheit, an der jeder litt, und wie er geheilt
wurde. Geschrieben ist das in dorischer Sprache. Getrennt von den anderen befindet sich eine
alte Stele, die besagt, dass Hippolytos dem Gott zwanzig Pferde geweiht habe.
Übereinstimmend mit der Inschrift dieser Stele erzählen auch die Bewohner von Ariccia, dass
Asklepios den durch die Flüche des Theseus getöteten Hippolytos wieder zum Leben
erweckte. Wie er wieder lebendig geworden war, wollte er seinem Vater keine Verzeihung
zuteil werden lassen, sondern ging trotz seinen Bitten nach Italien zu den Bewohnern von
Ariccia, wurde dort König und weihte der Artemis ein Heiligtum, wo es noch zu meiner Zeit
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als Siegespreis im Zweikampf galt, dass der Sieger Priester der Göttin wurde. Dieser
Wettkampf stand aber keinem Freien offen, sondern nur ihren Herren entlaufenen Sklaven.
Die Epidaurier haben in dem Heiligtum ein Theater, das nach meiner Meinung besonders
sehenswert ist. Die der Römer übertreffen alle anderen überall durch ihre Ausstattung, das
arkadische in Megalopolis tut es durch seine Größe. Welcher Architekt könnte aber wohl
hinsichtlich Ebenmaß und Schönheit mit Polyklet wirklich in Wettbewerb treten? Denn
Polyklet war es, der sowohl dieses Theater wie auch den Rundbau errichtet hat. Innerhalb des
heiligen Haines ist ein Tempel der Artemis und eine Statue der Epione und ein Heiligtum der
Aphrodite und der Themis und ein Stadion, wie die meisten griechischen nur eine
Erdaufschüttung, und ein Brunnenhaus, durch sein Dach und seine sonstige Ausstattung
sehenswert. Was aber der Senator Antoninus zu meiner Zeit gebaut hat, ist ein Bad des
Asklepios und ein Heiligtum der Götter, die sie Epidotai nennen. Er baute auch einen Tempel
für Hygieia und Asklepios und Apollon mit dem Beinamen „die aigyptischen“. Und es war da
auch eine Halle, nach Kotys genannt, die nach Einsturz ihres Dachs schon ganz zerstört war,
weil sie aus ungebrannten Ziegeln gebaut war, und so baute er auch diese wieder auf. Die
Epidaurier am Heiligtum litten am meisten darunter, dass die Frauen nicht unter einem Dach
gebären konnten und die Kranken unter freiem Himmel sterben mussten. Er sorgte auch dafür
und baute ein Haus, und hier darf nun ein Mensch sterben und eine Frau gebären. An Bergen
erheben sich über dem Hain das Titthion und ein anderer, der Kynortion heißt, mit einem
Heiligtum des Apollon Maleatas darauf; das ist alt, aber was sonst um das Heiligtum des
Maleatas herum ist, und die Zisterne, in der das Regenwasser gesammelt wird, auch das baute
Antoninus den Epidauriern.
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