DOC - Europa.eu

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IP/00/1344
Brüssel, den 22. November 2000
Die Europäische Union: Gegensätzliche Erfahrungen
und gemeinsame Hoffnungen in Großbritannien und
Deutschland
Rede von Kommissar für Aussenbeziehungen Chris Patten, Deutsche
Gesellschaft für Auswärtige Politik, Deutsch-Englische Gesellschaft,
Institut für Europäische Politik, Berlin, den 22. November 2000
Herr Patten führt aus, dass gegenwärtig sowohl bei den Bürgern
Grossbritanniens als auch Deutschlands eine gewisse Verdrossenheit und
Entfremdung gegenüber dem Projekt der europäischen Integration besteht. Er
regt mehrere Möglichkeiten an um sie wieder stärker einzubeziehen –
insbesondere durch eine bessere Verknüpfung der europäischen Institutionen
mit der nationalen und regionalen Entscheidungsebene. Trotz der sehr
unterschiedlichen Erfahrungen mit der EU in Grossbritannien und
Deutschland weren ähnliche Fragen darüber gestellt, wieviel Europa gewollt
ist und benötigt wird. Herr Patten untersucht näher wie diese Fragen im
Bereich der gemeinsamen Aussen-und Sicherheitspolitik (GASP) beantwortet
werden. Die EU strebt nicht eine einheitliche Aussenpolitik an, aber wenn wir
eine wirksamere, kohärentere und sichtbarere GASP wollen, dann müssen
Mitgliedstaaten akzeptieren, dass reine Regierungszusammenarbeit ein Rezept
für Schwäche darstellt. Patten bechliesst seine Rede mit einem Ausblick auf
kürzlich gemachte aussenpolitische Erfahrungen, insbesondere in
Südosteuropa und Russland. Die EU hat als Modell für erfolgreiche
Regionalintegration der Welt viel anzubieten, einschliesslich durch den
Erweiterungsprozess. Die EU muss ihr Projekt fortführen, das eine der
grossen Errungenschaften des 20. Jh. darstellt, « mit Einfühlungsvermögen
für das empfindliche Gleichgewicht das es zu wahren gilt zwischen der Union
und ihren einzelnen Mitgliedern. »
Herr Patten drückt in seiner Rede zunächst seinen Dank für Ludwig Erhard aus,
dessen Konzept der « Sozialen Marktwirtschaft » « von unschätzbarer Bedeutung für
… die Entwicklung einer intellektuell unbesiegbaren Philosophie der rechten Mitte in
den späteren Jahren des letzten Jahrhunderts war ». Er vergleicht dann die sehr
verschiedenen Erfahrungen mit Europa in Deutschland und in Grossbritannien. Über
viele Jahre hinweg war « Europa » fast eine Art säkulare Religion im damaligen
Westdeutschland, die nicht hinterfragt werden durfte. Die Briten hingegen waren nie
besonders glücklich über Europa. Sie ringen um eine Lösung der
Souveränitätsfrage, als wenn eine Wahl zu treffen wäre zwischen Nation und EU.
Das aber ist ein Fehlschluss. Wie bereits Churchill 1930 sagte: “
… von jedem Mann wird eines Tages erwartet, dass er seine verschiedenen
Verpflichtungen nicht vermischt oder missachtet, sondern sie in einer vollständigen
und umfassenden Synthese in Einklang bringt."
Eine viel wichtigere Frage ist jedoch wie Demokratie in so einer grossen Union
funktionieren soll. Gegenwärtig fehlt eine emotionale Bindung der Bevölkerung zum
Aufbau Europas. Joschka Fischer schlug kürzlich als Lösung vor, den Präsidenten
der Kommission direkt zu wählen, und forderte eine starke europäische Regierung,
dier aus dem Rat oder der Kommission hervorgehen könnte. Herr Patten ist
besorgt, dass “derartige Vorschläge für Viele eher eine noch stärkere Ausgrenzung
und Entfremdung” bedeuten könnten. Es sind die nationalen Parlamente und
untergeordnete Regierungsebenen, wie die die Bundesländer, die Europas
demokratische Basis bilden. Die Frage ist, wie diese eine wirkungsvollere
Legitimation für die europäische Einigung herstellen könnten. Herr Patten beleuchtet
mehrere Vorschläge, einschliesslich den der Schaffung einer Zweiten Kammer des
Europaparlamentes, sowie eines abschliessenden Kompetenzkataloges.
Im Rat sollte ebenfalls mehr nachgedacht werden über “Fragen wie Transparenz
und Kommunication mit der Öffentlichkeit…. Es ist dem Europäischen Gedanken
abträglich, wenn die Beschlüsse hinter geschlossenen türen heranreifen und gefasst
werden und anschließend das böse "Brüssel“ verantwortlich gemacht wird, wenn sie
sich als problematisch oder unpopulär erweisen”.
Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit Europa beginnen Briten und
Deutsche sich die gleichen Fragen darüber zu stellen wieviel Europa sie wollen und
brauchen. Herr Patten stellt dar, wie diese Frage im Bereich der Aussenbeziehungen
beantwortet wurde.
Die jahrelangen Bemühungen um die Schaffung einer
wirksamen gemeinsamen Politik wurden durch die Entschlossenheit der
Nationalstaaten vereitelt, in außenpolitischen Fragen ihre Unabhängigkeit zu
bewahren. “Ich möchte hier nicht mit gegenseitigen Schuldzuweisungen beginnen…,
denn die Außenpolitik geht an den Kern dessen, was der Begriff "Nation" bedeutet.
… Das zeigt uns auch, dass wir uns über die Grenzen der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik im Klaren sein müssen. Die EU will und kann keine einheitliche
Außenpolitik anstreben.” Wenn wir aber eine effizientere, kohärentere und besser
sichtbare Gemeinsame Außenpolitik haben wollen, dann müssen die Mitgliedstaaten
akzeptieren, dass eine allein auf Zwischenstaatlichkeit beruhende GASP das beste
Rezept für Schwäche und Mittelmäßigkeit ist: für eine europäische Außenpolitik des
kleinsten gemeinsamen Nenners.” “Meine Aufgabe, bei der ich eng mit Javier Solana
zusammenarbeite, besteht darin, zur politischen Entscheidungsfindung beizutragen
und für die Ausführung der gemeinsamen aussenpolitschen Ziele Europas
effizientere Gemeinschaftsinstrumente einzusetzen”.
Herr Patten berichtet dann über die Erfahrungen in Südosteuropa, wo die
Anstrengungen der EU eine grosse Wirkung entfalten. “Vor allem müssen wir unsere
Versprechen nun einlösen und diesen Ländern beim wirtschaftlichen und
institutionellen Wiederaufbau helfen, und sie auf dieser Grundlage wieder in Europa
willkommen heißen.” Wenn Russland in naher Zukunft wieder den angestammten
Platz einer Großmacht einnehmen möchte , dann benötigt es starke und effiziente
Institutionen zur Konsolidierung des Rechtsstaats”. Die EU ist bereit dabei zu helfen,
aber “eine echte Partnerschaft wird aber nur möglich sein, wenn sich Russland
seinerseits glaubhaft für die Individualrechte und den Rechtsstaat einsetzt. Die
Ereignisse in Tschetschenien haben hier einen langen Schatten geworfen.
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Die Erweiterung der EU “stellt mit Abstand den größten Beitrag dar, den die EU zur
Stabilität in Europa - und sogar in der ganzen Welt - leisten kann.” Die EU stellt auch
ein Modell der Regionalintegration dar, das für viele andere Länder, von Asien bis
Lateinalmerika, von Bedeutung ist: “ …auch anderswo bemüht man sich darum,
wirtschaftliche, rechtliche und politische Rahmenbedingungen zu schaffen, die den
Anliegen der Staaten Rechnung tragen, die zwischenstaatlichen Beziehungen zu
erleichtern und den Globalisierungsprozess in positive Bahnen lenken.”
Zuletzt lenkt Herr Patten den Blick auf die Beziehungen der EU mit den USA. Unsere
gegenseitigen Interessen sind groß. “ Aber es gibt auch viele Bereiche, in denen die
Vereinigten Staaten meiner Meinung nach einen falschen Ansatz verfolgen. Wir
müssen eine aufrichtige nachbarschaftliche Beziehung aufbauen, in der Antipathien
und Sympathien gut ausgelotet werden. Aber Europa wird in solchen Debatten den
Kürzeren ziehen, wenn wir selbst nicht ernst genommen werden. … So müssen wir
im Bereich der Verteidigung unseren Beitrag leisten, so wie wir bereits sehr viel für
die Auslandshilfe tun - im Vergleich wesentlich mehr als die anderen…. Indem wir
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln … dürften wir zu einem
besseren globalen Gleichgewicht beitragen.”
Herr Patten zieht die Schlussfolgerung, dass die Debatte über die weitere Zukunft
Europas starke Emotionen und Besorgnisse hervorrufen kann. “Wenn wir diese
Fragen angehen, dürfen wir jedoch nie unser gemeinsames Ziel und auch nicht die
Bedeutung unseres gemeinsamen Erbes aus dem Auge verlieren. Der Aufbau der
Europäischen Union gehört zu den großen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts.
Wir tragen die Verantwortung dafür, dass die bisherigen Anstrengungen fortgesetzt
werden, wobei das empfindliche Gleichgewicht zwischen der Union und ihren
einzelnen Mitgliedern mit viel Gespür gewahrt werden muss.”
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