Schmeer - Evangelische Akademie Tutzing

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Das Herz in der Kunst und in der Kunstgeschichte
DIA - Höhlenzeichnung
Fern und unbestimmt wie die Umrisse dieser Höhlenzeichnung kommt aus
grauer Vorzeit das erste Bild des Herzens vor unser Auge. Das Herz als Organ
und als Symbol.
Das Elefantenherz aus der Höhle von Pindal, von dem ich Ihnen hier ein Dia
zeige, ist das erstaunlichste Herz, das jemals ein Elefant oder ein anderes
Lebewesen gehabt hat. Es gleicht einem Pfefferkuchenherzen - oder eher
noch durch seine rosarote Farbe den Herzen auf amourösen Postkarten von l900.
Diese Farbe haben nämlich nicht die Höhlenmenschen vor looooo Jahren
gemalt, sondern sie stammt von einem Höhlenforscher und hochbegabten
Gelehrten, der Anfang des 2o. Jahrhunderts die Höhlenmalereien von Pindar
entdeckt hat, dem Abbe Breuil, der dem Elefanten das Herz mit Rötelkreide auf
die Brust gesetzt hat. Und diese Zeichnung ist in unzählige Bücher über
prähistorische Kunst übergegangen.
Ich möchte auf diese Weise gleich zu Anfang klar machen, dass Kunst und
Kunstgeschichte das Organ und das Symbol des Herzens zu allen Zeiten auf ihre
Weise aufgegriffen und ihrer jeweiligen Sichtweise untergeordnet haben. Das
Herz als Organ und Symbol wurde dem- entsprechend unterschiedlich
interpretiert.
Richard Lewinsohn, der Autor einer vor 5o Jahren erschienenen Weltgeschichte
des Herzens, hat den Höhlenforscher, den Abbe Breuil persönlich getroffen und
aus seinem Munde erfahren, was ein weniger geübter Betrachter nicht erkennen
kann, Breuil erläuterte: „ Ich habe einen breiten roter Fleck an der Stelle gemalt,
wo das Herz sein sollte „.
Wir müssen uns vorstellen, dass der Forscher wochenlang auf dem Boden der
niedrigen Grotten liegen musste, um bei Kerzenlicht Bleistiftskizzen zu machen,
die er dann außerhalb der Grotte mit Pastellstiften nachfärbte. Das war die
Grundlage seiner berühmten Aquarelle, die das Musee d´homme in Paris als
kunsthistorischen und künstlerischen Schatz bis heute hütet.
Für Forscher, Künstler und Kunsthistoriker stellt sich die Frage, welche
Funktionen und Eigenschaften die primitiven Menschen dem Herzen
zugeschrieben haben. Sicher ist, dass das Herz schon sehr früh mehr war als ein
bloßes Körperorgan.
Die meisten primitiven Völker mit ihrer Neigung zur Magie, Mystik und
Symbolik, insbesondere die Jäger hatten e i n e Vokabel für das Herz.
Manche gebrauchten das gleiche Wort für das Herz und für den Magen.
Manche Indianer im Matto Grosso hatten z w e i verschiedene Worte: eines fürs
eigene Herz und ein zweites für das Herz anderer, was darauf schließen lässt,
dass sie dem Herzen eine besondere Bedeutung zulegten.
So auch die Eingeborenen von Haiti, deren Wodu-Kult mit magischen
Beschwörungen das Herz einbezieht.
Ich beziehe mich noch einmal auf die sehr detaillierten Ausführungen von
Richard Levinsohn, der feststellt, dass alle Riten, die bei den Naturvölkern mit
dem Herz zusammenhingen, dem Bereich des Kannibalismus zuzuordnen sind.
Mitten in der Brust liegt da ein großes Organ, von dem man nicht recht weiß,
welche Funktion es zu erfüllen hat. Es ist härter als alle anderen inneren Organe.
Man braucht ein gehöriges Steinmesser, um es zu zerschneiden. Es ist ein
widerspenstiges Organ. Aber der Widerstand ist ein Beweis seiner Kraft, und
diese Kraft muss man sich einverleiben. Denn: Was selbst kräftig ist, verleiht
auch Kraft. Diese Kraft ist übertragbar von Mensch zu Mensch, von Tier zu
Mensch. Wer das Herz eines Feindes verschlingt, wird seine Kraft verdoppeln
und stärker sein als alle seine Gegner.
So war das Herz-Essen ein Mittel zur Ertüchtigung der Jugend, damit sie
„beherzte“ gute Krieger wurden.
Als Champions des Herzkannibalismus galten früher die Aschanti-Neger der
Goldküste Westafrikas. Sie hatten für die Herzmahlzeiten einen besonderen
Ritus entwickelt. Der Medizinmann schnitt kunstfertig das Herz aus der Brust
des Kriegsgefangenen, mischte es mit Blut und Kräutern und reichte es allen, die
noch keinen Gegner umgebracht hatten.
Herz-Esser gab es nicht nur in Afrika und nicht nur bei den Sioux-Indianern,
sondern auch die Vorfahren europäischer Völker stärkten sich auf diese Weise.
Siegfried - in der germanischen Edda-Saga - verspeist das Herz des Drachen
Fafnir und lernt auf diese Weise die Sprache der Vögel verstehen.
Zusammenfassend kann man sagen: Das Herz der Naturvölker ist im Grunde ein
wildes Organ, das man nicht aufpeitschen darf, ohne dass einem selbst oder
einem anderen ein Übel zustößt. Die Menschen, die bei den Naturvölkern als
besonders beherzt galten, sind eigentlich diejenigen, die wir herzlos nennen.
Wo es bei den Primitiven so etwas wie eine „Philosophie des Herzens“ gab,
unterschied sie sich kaum von der des Kampfes ums Dasein.
Dia: Mexikanisches Herzopfer
Das Herausreißen von Menschenherzen zu religiösen Zwecken blieb den
sogenannten Hochkulturen vorbehalten. Meister dieses schauerlichen Ritus
waren die Azteken. Die aztekische Prozedur des Herzopfers hat seinerzeit sogar
die abgebrühten Spanier erschreckt, als sie l519 nach Mexiko kamen. Junge
Männer wurden auf den Altar gelegt. Dann schnitt der Priester ihnen mit einem
Steinmesser die Brust auf und riss ihnen das Herz heraus. Nachdem die
Zeremonie zu Ende war, wurden die blutigen Herzen in eine Opferschale gelegt.
Auf diesem Dia sehen Sie den zum Opfertod bestimmten Gefangenen mit
gebundenen Armen und mit dem vollständigen gestreiften Opferdekor bemalt.
Ein priesterliches Messer schneidet die Brust auf. Das Blut spritzt in alle
Richtungen.
Dia : Mictecacinatl
Die rituellen Menschopfer waren natürlich alles andere als primitive Morde. Sie
dienten vielmehr der Erhaltung der göttlichen Weltordnung. Die grausame
Todesgöttin Mictecatinatl forderte regelmäßig ihren Tribut und verschlang die
Menschenopfer, wie auf dieser Darstellung aus Yucatan zu sehen ist. Oben
rechts die Hieroglyphe: Herzopfer.
DIA : Opferszene Mexiko
Bei dieser Darstellung auf dem Relief der klassischen Maja-Kultur verwandelt
sich das Herz des Geopferten in einen kostbaren Federstrauß. Hier deutet sich
also ein Zusammenhang von Opfer und Verwandlung an.
Was den Sitz der Lebenskraft anbetrifft – und demnach auch die Möglichkeit,
aus der Beschaffenheit der Organe Weissagungen zu machen - so stand in
Mesopotamien die Leber an erster Stelle. Das Herz - so sagten die Babylonier –
reagiert zu stark auf äußere Einflüsse – es klopft, es flattert, ist unbeständig und
beeinflussbar.
Die Leber hingegen diese große, blutvolle, pralle Masse, die unbeweglich in
der Leibeshöhle von Menschen und Tieren lag - die Leber war nicht nur in
Mesopotamien, sondern auch in den meisten andern Ländern und Kontinenten
als Sitz des Lebens am meisten geschätzt.
Es gab da allerdings eine Ausnahme: Ägypten.
Dia : Totengericht
Für die Ägypter war das Herz nicht, wie für die Naturvölker, Sitz von Kraft.
Und es war auch nicht, so für uns heute, symbolisch der Sitz der Gefühle,
sondern das Herz war für die Ägypter der Ort der Vernunft, des Denkens, des
Überlegens. Ein „herzloser“ Mensch war für die Ägypter ein törichter Mensch,
ein Tor.
Dementsprechend wurde beim Totengericht das Herz des Verstorbenen
gewogen.
Auf dieser bekannten Darstellung auf einem Totenbuch-Papyrus sehen wir links
den Toten und seine Gattin und auf der linken Waagschale sein Herz.
Auf der Waagschale rechts sehen wir das Symbol des Maàt, an dem alles
gemessen wird. Es ist eine Feder.
Wägemeister ist der schakalköpfige Anubis.
Wiegt das Herz des Verstorbenen weniger als die Feder der Wahrheit auf der
rechten Waagschale, so kann der Verstorbene zum Gott Osiris in die Unterwelt
geleitet werden.
Wiegt das Herz allerdings schwerer als das Maat, so wird der Verstorbene von
dem bereits lauernden Ungeheuer verschlungen.
Dia : Doppelherzorden
Der Doppelherzorden aus Gold und Silber, der hier – auf einer ägyptischen
Grabmalerei – gerade einem Bürgermeister verliehen wird, ist daher die größte
Auszeichnung gewesen, die ein Pharao verlieh für Verstand und für Umsicht in
der Politik und in der Kriegsführung.
Dia: Eva mit Lebkuchenherz
Bei uns zulande werden Herz-Anhänger aus ganz anderen Motiven verschenkt,
nämlich um ein Gefühl von Liebe und Freundschaft, also eine Herzensbindung
auszudrücken. Und diese gleichsam magisch zu schützen und zu festigen.
Solche Herzen an Ketten sind aus Gold, Silber und Edelsteinen. Oder wie hier,
auf dem Münchner Oktoberfest, aus Lebkuchen.
Dia: Postkarte Herz von heute
Wir kommen damit zu der interessanten Frage, ab wann denn eigentlich in
unseren Lebensräumen das Herz die symbolische Bedeutung von Liebe und
Liebesgefühlen zugesprochen bekommen hat.
Wie zum Beispiel hier auf einer jener unzähligen Postkarten, die wir heute auf
den Ständern von Schreibwaren- und Souvenirläden sehen können.
Es war im 9. Jahrhundert, dass ein elsässischer Mönch, Otfried von
Weißenburg, der Verfasser eines Evangelienbuches, vom Herz nicht nur im
altbiblischen Sinne als Sitz von Frömmigkeit spricht. Und zwar in der
Totenklage der Maria Magdalena am Grabe Christi. Das Herz wird hier zum
ersten Mal als Kosename gebraucht, für Christus. Es handelt sich nicht um das
Herz Jesu, das später im katholischen Kult eine so große Bedeutung erlangt hat,
sondern um das Herz der Frau, die ihn beweint, um das Herz, das Maria
Magdalena an Christus verloren hat.
Zum ersten Mal findet sich in diesem Evangelienbuch des Otfried von
Weißenburg der fatale Reim „Herz und Schmerz“, der von da an so oft
wiederholt wird, dass Dichter von Rang sich schließlich scheuen, ihn
anzuwenden. Gedanklich jedoch bleibt dieser Gleichklang für immer bestehen.
Liebeskummer ist eines der großen Themen der Weltliteratur. Zwei Drittel aller
Lyrik und die Hälfte aller Dramen und Romane wären nie geschrieben worden,
wenn das Herz den Menschen keinen Schmerz bereiten würde.
DIA: Herzformen / Fabrikmarken
Indem man sie von nun an Herz nannte, war die Liebe im Mittelalter weniger
anstößig geworden, man konnte ungenierter darüber sprechen. Das war für die
Liebenden und für die Minnesänger gewiss ein Gewinn. Aber im Übrigen war
die neue Symbolik nicht sehr glücklich, weil sie zu unklar, zu verschwommen
war. Was war das Herz? Was wusste man davon? Was ging darin vor?
Schließlich war es doch kein leeres Wort sondern etwas, was jeder Mensch in
der Brust hatte. Das Herz hatte in der Literatur einen hohen Rang, in der
bildlichen Darstellung und vor allem in der bildenden Kunst jedoch scheinen
die Klöster gegen die Verweltlichung des Herzens protestiert zu haben.
Erst im 14. Jahrhundert wurde der Bann gebrochen, und zwar vom Handwerk.
Die bildliche Darstellung des Herzens in der westlichen Welt begann als
Firmenzeichen, als Fabrikmarke. Alle diese Herzformen haben eine
ausgesprochene Blattform. Da die Künstler, die die Wasserzeichen für die
Handwerksbetriebe erfanden nur vage Vorstellungen davon hatten, wie ein
menschliches Herz aussieht, holten sie sich ihre Inspiration aus dem
Pflanzenreich. Möglicherweise in Anlehnung an die Ornamente und Zierleisten
mit Herzblättern, die in Ephesus, Athen und Delphi und später auch im
römischen, italienischen Raum gefunden wurden.
Was ist charakteristisch an der Form des Herzens?
Die Kerbe/ die Mulde/ der Einschnitt/ Die Bucht.
Man kann fragen: Was kommt daraus hervor?
Was geht in die Kerbe hinein?
Aus der Mitte des Herzens kommt die Flamme wie aus einem Krater. Die Mulde
wird zu einer Art vulkanischer Öffnung.
Ist der Rand wie ein Wulst geformt, erscheint die Öffnung wie eine
Körperwunde.
Verfestigt sich der Rand gleichsam keramisch, so wird aus dem Krater eine
Vase, in die man Rosen, Zweige, Lilien hineinstecken kann.
DIA: Liebeszauber
Zurück zum Herz als Symbol für Liebe, Liebeskummer und die diversen
Spielchen, die zwischen Frau und Mann ablaufen.
Auf diesem Ölbild eines niederrheinischen Meisters aus dem Jahre 1470 mit
dem Titel „Liebeszauber“ aus dem Museum der Bildenden Künste in Leipzig
hat eine sehr verführerische nackte Dame das Herz des Verehrers in ein
Holzgefäß gelegt und ist gerade dabei, es mit ihrem Schleier und magischen
Ritualen einzuspinnen und zu verzaubern. Hinten in der halboffenen Tür steht
der Mann, um dessen Herz es sozusagen schon geschehen ist.
DIA: Frau Minne von Meister Caspar um 1479
Auf dem kolorierten Holzschnitt eines Meisters namens Caspar aus dem Jahr
1479 mit dem Titel DIE MACHT DER VENUS werden die Liebesleiden,
welche „Frau Minne“ bereit hat, herz-symbolisch zusammengestellt, uns zwar
unter Verwendung von Folterwerkzeugen.
Auf diesem Holzschnitt wird den Frauen geradezu ein Lehrkurs erteilt, wie sie
die Herzen der Männer malträtieren können. Herzen des Geliebten kann man
durchbohren, man kann sie auch zersägen, zerstückeln, verbrennen, zermalmen
und dergleichen mehr.
Sie sehen auf diesem Holzschnitt
Das durchbohrte Herz,
das eingequetschte Herz
das gepresste,
das gespaltene,
das aufgespießte,
das verbrennende,
das getretene Herz.
In Frankreich und in Flandern des 14. Jahrhunderts hatten Elfenbeinschnitzer
das durchbohrte Herz als Symbol für die sinnliche Liebe eingeführt,
höchstwahrscheinlich nach der Schreckensperiode der Pest, also um die Zeit, als
die Kunst sich verbürgerlichte und einen stark erotischen Charakter annahm.
Die Darstellung des durchbohrten Herzens ist im Wesentlichen immer die
gleiche: Ein Mann kniet vor einer Frau nieder und hält ihr sein Herz entgegen,
das die Dame meistens sehr kühl, von oben mit einem langen Pfeil senkrecht
durchbohrt.
Die Symbole der Herzverletzungen ähneln übrigens durchaus denen, die ich im
Rahmen meiner kunsttherapeutischen Tätigkeit bei Patienten und Patientinnen
beobachtet habe,
die unter akuten oder chronischen Beziehungskrisen litten, Trauer und
Kränkungen, Schmerz, Verlust und Stress
DIA: Herz mit Stacheldraht
Dazu ein kurzer Exkurs in die kunsttherapeutische Praxis.
Ein paar Herzbilder, die die seelischen Nöte der Maler und Malerinnen
dramatisch zum Ausdruck bringen, ohne Kommentar.
Die Bilder sprechen für sich.
DIAs: Herzen aus der Kunst-Therapie
Als letztes sehen wir, wie ein Patient rückblickend - in drei Phasen - sein
einstmals von Angst – einem Tier – besetztes Herz darstellt.
Und den Prozess der Heilung.
DIA: Amor nimmt das Herz
Diese Miniatur aus dem „ Livre du coeur amours espris“ des Rene von Anjou
aus dem 15.Jahrhundert illustriert ein Gedicht; in dem erzählt wird, dass eines
Nachts, als der König halb schlafend, halb wachend im Bett lag, der geflügelte
Amor ans Bett trat und ihm das Herz aus der Brust nahm, um es „Vif desir“ zu
geben.
Eigentlich ist es das von Amor dem König aus der Brust genommene Herz, das
auf Abenteuer ausgeht.
Amor übergibt es dem Boten, der es der leidenschaftlich geliebten Frau
überbringen soll.
Dieser Bote, der Dritte im königlichen Schlafgemach ist das „heiße Verlangen“,
die Personifikation der Leidenschaft.
DIA: Amor vergrößert
Der tragische Ausdruck im Gesicht aller Beteiligten weist auf den Ernst der
Liebeskrankheit hin
DIA: Allegorien: Caritas
Die Überreichung des Herzens scheint ein Motiv weltlichen Ursprungs zu sein.
Wir finden es auch in der religiösen Kunst, z.B. bei der Personifikation der
Caritas auf dem berühmten Fresko von Giotto in der Arenakapelle in Padua aus
dem 13. Jahrhundert
Eine jugendliche Frau steht auf Geldsäcken. Irdischen Reichtum verachtet sie so
sehr, dass sie ihn mit Füßen tritt. Das Herz, das sie dem oben rechts als
Halbfigur erscheinenden Herrn entgegenhebt ist ein Symbol , genau so wie die
Fruchtschale und die Geldsäcke. Es erfüllt - wie bei vielen anderen Skulpturen
und wie bei manchen Heiligen - die Funktion eines Attributes.
Dia: Neid
Noch deutlicher wird die allegorische, also symbolische Bedeutung des Herzens
als Attribut auf diesem Relief von Peter Flötner im Germanischen
Nationalmuseum in Nürnberg.
Dargestellt ist die Allegorie des Neides.
Der Neid verschlingt sein eigenes Herz.
Der Hund schaut zu, als ob ihm eine Beute entgangen wäre.
DIA: Herz Jesu
Und nun verlassen wir die allegorischen Herz-Darstellungen von Mitleid und
Neid und wenden uns dem Herz Jesu zu, einer in der Kunst unseres christlichen
Kulturraums weit verbreiteten Symbolik.
DIA: Herz Jesu - Leiden
Wir erkennen, dass auf diesem Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert - Das liebende, leidende, verwundete und eucharistische Herz Jesu -
die Herzverletzungen Christi auf ganz ähnliche Weise dargestellt sind wie
weltlichen Liebesleiden der Frau Minne die wir vorhin auf dem Holzschnitt
gesehen haben.
Das Herz oben links ist von Liebespfeil durchbohrt.
Das Herz oben rechts ist ein Dornenkronenherz und weist auf die Leiden am
Kreuz hin.
Das Herz unten links ist von einer Lanze durchstochen sowie von Nägeln, die
auf die Passion hinweisen.
Schließlich das Herz unten rechts im Bild. Aus der Wunde dieses Herzens fällt
eine Hostie heraus. Eine weitere Hostie schwebt zwischen den Flügeln, die
dieses Herz tragen.
Auch in der christlichen Religion scheint also – symbolisch – erst das
Herzopfer, also das Überwinden und Überschreiten des Leiblichen, Sinnlichen
und Emotionalen, das Betreten des geistig-religiösen oder göttlichen Raumes zu
ermöglichen.
DIA: Tarot
Hinter dem Symbol des Stiches ins Herz - des durchbohrten Herzens scheint ein uraltes Wissen um das Wesen des geistigen Wegs zu stehen, der sich
fast immer nach einer schmerzlichen Herzenserfahrung auftut.
Hier die Karte drei Schwerter aus dem Tarot,
dessen Ursprung sich, wie Sie wissen, bis in die Zeit der Alten Ägypter und
unter Umständen noch weiter zurückverfolgen lässt.
DIA: Herz Jesu
Hier noch einmal eine Herz-Jesu-Büste aus späterer Zeit, aus dem 18.
Jahrhundert, zu sehen in der Pfarrkirche von Tegernsee.
Der Herz-Jesu-Kult ist in der katholischen Kirche so verbreitet und hat in der
christlichen Kunst so viele Spuren hinterlassen, dass ich kurz auf seine
Entstehung eingehen möchte.
Am 27. Dezember l673 hatte die französische Nonne Marguerite-Marie
Alacoque vom Orden der Heimsuchung Mariä eine Vision. Jesus erschien ihr.
„Er ließ mich“, so berichtet sie, „sehr lange auf seiner göttlichen Brust ruhen,
wo er mir die Wunder seiner Liebe enthüllte und die unerklärlichen
Geheimnisse seines heiligen Herzens. Er verlangte von mir mein Herz. Er
zündete es an seinem Herzen an und setzte es, noch lodernd, dort ein, wo er es
genommen hatte. Dann verschloss er die Wunde, aber ein brennender Schmerz
blieb zurück“.
Die Nonne berichtete, dass Jesus sie auserwählt habe, ihre Vision den Menschen
mitzuteilen, damit diese das göttliche Herz in Gestalt eines „Herzens von
Fleisch“ – „coeur de chair“ – verehren sollten.
Ein Jesuitenpater, Claude de la Colombiere regte die Nonne zur Aufzeichnung
ihrer Visionen an.
Von dieser mystischen Erkenntnis einer – vielleicht neurotisch verzückten,
exaltierten, halluzinierenden - Nonne nimmt die Verehrung des Herzen Jesu,
aus der ein Weltkult werden sollte, seinen Anfang.
Wenn gleich das brennende Herz als Symbol der unermesslichen Liebe bis ins
Mittelalter zurückreicht, ist erst dieser Nonne gelungen, was vor ihr vielen
anderen bedeutenden Männern und Frauen nicht gelungen ist: eine weltweite
und nun schon dreihundert Jahre dauernde Bewegung angefacht zu haben.
Liebe und Leid sind die Kennzeichen dieses neuen Kultbildes. Das lodernde,
zugleich aber wunde, blutende Herz soll den Gläubigen die Leidensgeschichte
des Heilands und ihre eigenen Sünden ins Gedächtnis rufen.
DIA: Herz-Jesu –Bildchen
Wichtig für die Ausbreitung des Kults, der nach langen vergeblichen Anläufen
der Jesuiten auch vom Vatikan sanktioniert und dann sogar gefördert wurde sind
die kleinen Herz-Jesu-Bilder.
Die Bedenken des Vatikans richteten sich auf die mögliche Umgehung der
kirchlichen Instanz. Wenn die Menschen und Gott - gleichsam von Herz zu
Herz - so leicht zusammenfinden, wozu brauchte man dann noch die Kirche und
die Fürsprache der Heiligen? Würden durch den Kult Abweichungen vom
rechten Glauben entstehen?
Die Anerkennung des Herz-Jesu-Kultes wurde immer mehr zu einer politischen
Frage, zumal nach dem Siebenjährigen Krieg die protestantischen Mächte
Preußens und Englands gestärkt waren, was zu einer Schwächung der
katholischen Kirche geführt hatte.
1765 wurde endlich der Herz-Jesu-Kult vom Vatikan zugelassen - mit der
Begründung: weil er schon bestand und auf der ganzen Welt verbreitet war.
Später gestattete die katholische Kirche - zusätzlich zu den Herz-Mariä-Festen
- sogar gewisse Festtage zur Verehrung des Herzen Jesu. Und auf dem
Montmartre wurde im Jahr 1914 die Kirche „Sacre Coeur“ eingeweiht.
Ein Tempel zur Verehrung des Heiligen Herzens. Gestaltet von Architektur und
Kunst.
DIA: Anatomie, Leichensektion /
Fast parallel zu all diesen mystischen Einbindungen des Herz-Organs und auch
zeitlich gleich mit den mexikanischen Herzopfern (!) läuft im arabischen und
europäischen Raum die Forschung auf dem Gebiet der Anatomie.
Sie sehen hier die Darstellung einer Sektion des Körpers und der Eingeweide
aus einem Liber Quodliberatius aus dem Jahre 1524
DIA: Figur einer Fünfbilderserie
Die Anfänge der medizinischen Abbildungen führen uns nach Alexandrien. In
dieser Stadt wurde schon um 3oo vor Christus zum ersten Mal Anatomie an der
menschlichen Leiche gelehrt.
Die auf Alexandria zurückgeführten Fünfbilderserien bestanden aus je fünf
hockenden Ganzfiguren, die je ein Organsystem darstellten.
Auf dieser Abbildung sehen Sie eine Figur aus einer solchen 5-Bilder- Serie, auf
der das Herz und der Kreislauf – wie ich meine auf kunstfertige und
künstlerische Weise - dargestellt sind.
DIA: Leonardo : Das menschliche Herz, Zeichnung von Leonardo da Vinci,
die sich in Windsor befindet
Eine Geschichte der medizinischen Abbildung kann an Leonardo nicht
vorbeigehen. Er ist als Künstler ihr größter Meister.
Hier sehen Sie eine Zeichnung zum Thema: das menschliche Herz von
Leonardo da Vinci, die sich in Windsor befindet.
Leonardo hat die menschliche Anatomie selbst an Leichen studiert. Als er
merkte, dass die Lehrbücher und seine eigenen Befunde nicht immer
übereinstimmten, vollzog sich bei ihm genau dasselbe, was ein halbes
Jahrhundert später in VESAL vorging. Er beschloss, selbst ein Lehrbuch zu
schreiben.
War später bei Vesal (1543) die Anatomie in erster Linie als Basis der
Chirurgie gemeint, so erscheint die Anatomie bei Leonardo als Basis einer
Anthropologie.
Den Abbildungen – Kunstwerken – hatte er von Anfang an die führende Rolle
zugedacht.
„Schlage dir den Gedanken aus dem Kopf“, sagt Leonardo, „die Gestalt des
Menschen in allen Ansichten ihrer Gliederung mit W o r t e n wiedergeben zu
können. Denn je eingehender du sie beschreibst, desto mehr wirst du den Geist
des Lebens verwirren, und desto mehr wirst du ihm die Erkenntnis dessen
entziehen, was du beschrieben hast. Deshalb ist es notwendig, sowohl zu
zeichnen als auch zu beschreiben. .
Und einige Jahre später lesen wir: „Ich rate dir, bemühe dich nicht mit Worten,
wenn du nicht zu Blinden sprichst.“
DIA: Leonardo: „Großer Adermann“
Leonardo hatte sich im Laufe der Jahrzehnte eine Fülle von graphischtechnischen Kunstgriffen angeeignet und zum Teil selbst erdacht, bediente sich
der Unterschraffur, benutzte farbiges Papier und manchmal auch – wie hier beim
„großen Adermann“ den Pinsel, um dem Betrachter die dritte Dimension
spürbar zu machen.
Die Folge: Als Betrachter haben wir nicht das Gefühl, Leichenteile zu sehen,
sondern eine geradezu visionär belebte Körperlichkeit.
Leonardo war nicht nur Graphiker und Anatom, er war auch Ingenieur und
Architekt. Er war dies alles zugleich. Der menschliche Organismus und die
Organe werden hier vom Ingenieur wie eine Maschine untersucht, die man
analysieren und auseinandernehmen kann. Der L´homme machine des De la
Matrie ist ebenso vorweggenommen wie das analytische Denken der
Naturforscher des Barock.
Die anatomischen Abbildungen Leonardos blieben über zweihundert Jahre unter
Verschluss. Mehrere moderne Lehrbuchautoren haben sich später von den
anatomischen Zeichnungen Leonardos anregen lassen.
DIA: DIE ANATOMEN
Die medizinische Abbildung hat ihrerseits wieder die Malerei beeinflusst.
Hier sehen Sie noch ein Ölgemälde des niederländischen Malers Jurr Pool:
„Die Anatomen C. Boekelman und Jan Six“ aus dem Jahre 1699, das im
Museum Boernhaave in Leiden zu besichtigen ist.
Die linke Figur demonstriert dem Betrachter das blutrote Herzpräparat, während
die Figur rechts im Bild ein Sezierbesteck in der Hand hält.
Meine Damen und Herren, ich würde gerne bei der Entwicklung der Anatomie
als Kunst verweilen, überspringe aber aus Zeitgründen vieles Interessante und
zeige Ihnen nun anatomische Kunstwerke, die wir im Museum La Specula in
Florenz bewundern können.
DIAs : La Specula
Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal in dem Museum La Specula in
Florenz die Organ- Präparate aus Wachs betrachtete, die dort seit zweihundert
Jahren in Glaskästen aufbewahrt werden, war ich – und waren alle, die mit mir
waren, nicht nur überrascht , nicht nur begeistert von der Schönheit der
Präparate, sondern voll Staunen angesichts des Wunders Mensch. Ich habe in
früheren Zeiten viele Monate in Seziersälen verbracht und auch meine
Doktorarbeit habe ich vor über fünfzig Jahren auf einem Gebiet der Pathologie
geschrieben, war es also gewöhnt, eröffnete Leichen zu sehen. Hier aber
begegneten uns nicht nur wissenschaftlich exakte Anschauungsobjekte, sondern
Kunsthandwerk, Kunst und eine große Ehrfurcht vor der inneren Organisation
und Beschaffenheit des menschlichen Organismus.
Die Besonderheit dieser Kunstwerke, die ursprünglich zu Lehrzwecken für die
Medizinstudenten angefertigt wurden, später aber zu bestimmten Tageszeiten
für jedermann zu besichtigen waren, wurden damals in Europa zum
Gesprächsthema. und der österreichische Kaiser bestellte sie in Florenz und
gab ein Vermögen aus, um seinerseits auch solche Präparate zu besitzen und
seinem Volk zum Studium und zur Erbauung offerieren zu können. In einem
Museum in Wien werden sie seit kurzem gezeigt.
Die plastinierten und arrangierten Leichenteile des Doktor von Hagen, von
denen in den letzten zwei Jahren immer wieder zu hören ist und die ich gestern
in der Ausstellung „Körperwelten“ in München besichtigt habe, sind verglichen
mit diesen liebevoll gestalteten Kunstwerken kühl kalkulierte Scheinkunst,
allerdings hervorragendes didaktisches Anschauungsmaterial.
Statt dessen möchte ich voll Dankbarkeit meines ersten Lehrers in Anatomie
gedenken, Herr Professor Bauer, der aus der freien Hand die anatomischen
Gegebenheiten des menschlichen Körpers an die Tafel malte und auch kolorierte
- wahre Kunstwerke - , die jedes Mal nach der Vorlesung wieder von der Tafel
ausgelöscht wurden. So auch das Herz.
Das war im Jahr l943.
Dia: Kanope
Wie Sie wissen, wurde in früheren Jahrhunderten verstorbenen Reichen und
Königen eine besondere Ehre zuteil, ihre Organe, besonders das Herz, wurde aus
der Leiche herausgeschnitten und separat bestattet. Auf diese Weise entwickelte
sich schon im alten Ägypten eine Kunst um diese Organ- Bestattungs-Behälter,
die sogenannten Kanopen.
Sie sehen auf diesem Bild die Kanopen des Anpuhotep, die bei Saqqara in
Nordägypten gefunden wurden und ca 4000 Jahre alt sind. Sie sind etwa 34 cm
hoch und haben einen Durchmesser von 11 cm. Sie sehen die typischen Tonoder Steinurnen, worin man seit dem Alten Reich die bei der Einbalsamierung
aus dem Körper entfernten Eingeweide aufzubewahren pflegte. Anfänglich
verschloss man die Urnen mit dicken, gewölbten Pfropfen, doch bald wurden sie
- wie in diesem Fall - mit menschlichen Köpfen gekrönt.
Dia: Herzbehälter - Herzdenkmal
Die Behälter, in denen die königlichen Herzen zum Beispiel der Habsburger
bestattet wurden, waren ihrerseits Kunstwerke, von denen ich hier nur eines
zeigen möchte. In der Abteikirche von Saint Denis findet sich dieser
Herzbehälter, eine Art Herzdenkmal.
Dia: Grabmal Karl des Fünften Paris Louvre.
Hier sehen Sie eine Abbildung des Grabmals Karls des Fünften im Louvre, in
Paris.
Die getrennte Bestattung der königlichen Leiche einerseits, des Herzens
andererseits, hat als mos regius, als königlicher Brauch, begonnen und war den
königlichen Familien vorbehalten.
Der Brauch war mit allerhand abstoßenden Akten verbunden. Der Leichnam von
Barbarossa zum Beispiel wurde in Stücke geschnitten und gekocht. Das Herz
und die Eingeweide wurden dann – ähnlich wie Reliquien - an verschiedenen
heiligen Stätten beigesetzt.
Schon im 12. Jahrhundert war de Brauch nicht mehr auf Könige beschränkt
Dia: Donatello : Das Herz des Reichen
Der italienische Bildhauer Donatello, Hauptmeister der Frührenaissance in der
Bildhauerei und der Schöpfer einer neuen, von mittelalterlicher Gebundenheit
befreiten Kunst, schuf Anfang des 15. Jahrhunderts dieses bekannte Relief mit
dem Titel „Das Herz des Reichen“.
Dieses Relief vom Hochaltar des Santo in Padua zeigt den Eingriff, bei dem
das Herz des Reichen aus der Leiche entnommen wird um dann gesondert
bestattet zu werden.
DIA: Votivbild
Auch in der Votivmalerei erscheint das Herz als ein dem Körper entnommenes
Organ, rot und prall.
Das leibliche Herz ist in unserem Kulturkreis zum selbstverständlichsten
Symbol für das Lebendigsein des Menschen geworden.
Diese Tafel aus dem Jahr 1746 – „Eine Kranke vertraut ihr Herz Maria an“ - die
sich im Bayerischen Nationalmuseum in München befindet, erinnert an die
Darstellung der amourösen Herz-Übergabe-Szene, die wir vorher gesehen
haben.
Wir dürfen davon ausgehen, dass die Mutter Maria mit dem ihr anvertrauten
Herzen sorgsam umgeht.
Dia: Votivbild
Dass auch Soldaten vertrauensvoll ihr Herz Maria anvertraut haben zeigt diese
Votivtafel aus dem 18. Jahrhundert, die aus Südtirol stammt und so wie die
vorherige im Bayerischen Nationalmuseum in München zu sehen ist.
DIA: Schwarze Madonna von Chartres
Übrigens wird in der christlichen Kunst nicht nur das Herz Jesu, sondern auch
das Herz von Maria dargestellt und verehrt. Besonders an speziellen
katholischen Wallfahrtsstätten.
Zum Beispiel hier. In der Kathedrale von Chartres gibt es diese „Notre Dame au
Pilier“ (Gottesmutter am Pfeiler) aus dem 16. Jahrhundert,
Die Gottesmutter hält ihr Herz wie einen Reichsapfel in ihrer rechten Hand.
Außerdem ist
ihr gekröntes Haupt von strahlenförmig aneinander gefügten silbernen
Votivherzen umgeben.
DIA: Spielkarten
Unerschöpflich ist die Darstellung des Herzens auf .Spielkarten
Hier sehen wir ein deutsches Kartenspiel mit Federzeichnungen aus dem
deutschen Spielkartenmuseum in Bielefeld.
DIA : Scherenschnitt Almaufzug
Und unerschöpflich ist auch die Darstellung des Herzens in der Volkskunst, auf
Backmodeln, auf Stickereien, Amuletten und zum Beispiel hier auf einem
Scherenschnitt von Louis Saugy, einem Schweizer Künstler vom Anfang des
letzten Jahrhunderts.
Auf dem Scherenschnitt ist ein Almaufzug dargestellt
Das Herz oben in der Mitte mit fein ziselierten Details und Szenen aus dem
bäuerlichen Leben ist transparent.
------------------------------------------Von diesem durchsichtigen stilisierten Herzen möchte ich überleiten zu einer
chinesischen
Herz-Darstellung, die das Herz ebenfalls durchsichtig und schematisch darstellt.
DIA: China
Das Herz im alten China ist im Gegensatz zu den geschlossenen Organen, die
wir zu sehen bekommen haben, ebenfalls ein sehr transparentes, offenes Gebilde
und wird dementsprechend in Verbindung dargestellt – wie hier in Verbindung
mit dem Auge.
Wir sehen hier eine Darstellung des inneren Menschen nach der Vorstellung der
Taoisten.
Die Taoisten sagen: Die Herzkunst besteht darin, dass das Herz - sich jeder
Aktivität enthaltend - die Öffnungen in Ordnung hält.
Das Herz betätigt nicht die neun Öffnungen, die neun Öffnungen sind in
Ordnung.
Wie beim Staat fügen sich auch im Leiblichen alle Glieder und Teile in die
sogenannte Große Bahn das Tao, der sie durch das Herz angeschlossen sind und
in die das Ganze eingebettet ist.
Diese chinesische Tafel scheint mir eine gute Überleitung zu sein zur modernen
Kunst, in der – im Rahmen der revolutionären Umwälzung des Kunstbegriffes tradierte Formen und Symbole, so auch das Symbol des Herzens, aus seiner
prallen, knallroten Form herauskatapultiert und in einen neuen ästhetischen
Kontext gestellt wird.
Achten Sie noch einmal auf die Verbindung von Herz und Auge auf dieser
altchinesischen Tafel
DIA: HAP Grieshaber, Herzauge 1937
…. Und betrachten Sie nun dieses als Herzauge bezeichnete Bild von HAP
Grieshaber, das im Jahr1937 entstanden ist und als Gewissenssymbol
verstanden werden darf.
Wir sehen eine schwarze eher männlich anmutende Gestalt, aus deren Kopf
blumige rote und weiße Gebilde herauswachsen, Mischungen von Emotionen
und Gedanken, welche ihre Wurzel weiter unten zu haben scheinen, an der
Stelle, wo die Innen-Schau, die Herz-Schau stattfindet, die ehrliche
Auseinandersetzung mit sich selbst.
DIA: Christine Schlegel
Auf diesem Öl-Gemälde der Künstlerin Christine Schlegel aus dem Jahr 1991 ist
das Herz des dargestellten Mannes schwarz und auf der falschen Körper-Seite
dargestellt, sozusagen nicht am rechten Fleck. Auch bei der Betrachtung dieses
Bildes denken wir an Gewissensnöte, maskierte Gefühle, Ehrgeiz und Schuld
Dia: Frida Kahlo
Ich zeige Ihnen im Folgenden einige Werke von Frauen sowie einige Werke von
männlichen Künstlern. Mir fiel auf, dass die Herzdarstellungen im
künstlerischen Werk sowohl von Frauen als auch von Männern den Lebens- u n
d auch den Leidensaspekt hervorheben.
Als erstes zeige ich Ihnen das erschütternde Gemälde der bekannten
mexikanischen Malerin Frida Kahlo, einer zeitlebens Schwerkranken, aus dem
Jahr 1939, das sich im Museo de Arte Moderno in Mexiko befindet.
„Die zwei Fridas“ - so der Titel des Gemäldes - sitzen, Zwillingen gleich,
spiegelbildlich nebeneinander, nur in ihren Gewändern unterscheiden sie sich.
Beide tragen ihre Herzen außen.
Zwei Verbindungen gibt es zwischen den beiden Frauen. Einmal die Hände.
Und dann winden sich auf eine medizinische Art Schläuche über und unter den
Kleidern von Schlagader zu Schlagader.
Die festlich gekleidete linke Frida klemmt mit einer fast nicht wahrnehmbaren
Geste ein Ende des Schlauches ab, wie um im letzten Augenblick den
Blutverlust zu stoppen. Trotzdem tropft aus dem Ende des Ader-Schlauches Blut
und läuft - wie in einem Schalenbrunnen - in zwei Stufen über die Falten ihres
Kleides, dessen Saum mit Blumen besetzt ist.
Die rechte Frida wirkt kräftiger, muskulöser.
Das Bild schockiert durch die Art und Weise, wie technisch-medizinische
Sachverhalte
einbezogen werden. Frida Kahlo malt aus Not. Sie braucht eine Bildsprache für
ihre Leiden. Nach einem schweren Unfall in ihrer frühen Jugend kann sie nur in
einem Streckverband leben. Als Künstlerin deutet sie das Organische nicht
gleich ins Symbolische um, d.h. sie lenkt nicht ab von der nackten und brutalen
Wirklichkeit ihres Leidens. Trotz ihrer schweren Krankheit hält Frida Kahlo fest
an ihrem Anspruch auf Glück, Sexualität und Schönheit.
Und an ihrem Anspruch, als Künstlerin zu schaffen und zu leben.
DIA: Else Lasker –Schüler
Auch diese Herz-Darstellung stammt von einer Frau, nämlich von der Dichterin
Else Lasker-Schüler. Diese Zeichnung beeindruckt mich besonders, weil ich
über die Liebesbeziehung zwischen ihr und Gottfried Benn gelesen habe und
weil diese Zeichnung, die aus ihrer Auto-Biographie mit dem Titel „Mein Herz“
stammt, sehr deutlich macht, was eine liebende Frau durchmacht, wenn sie ihr
Herz an einen bedeutenden, seine kreative Einsamkeit kultivierenden,
narzisstischen Künstler hängt.
DIA: Niki de S. Phalle , SÄULE MIT HERZEN
Wenn man als Besucher den Garten der Niki de S. Phalle in der Toskana betritt,
ist man geblendet von den strahlenden Farben und Spiegeln, mit denen sie ihre
Skulpturen ausgestattet hat. Innen und außen. Und immer wieder begegnet
einem in diesem Garten das Symbol des Herzens.
Hier sehen Sie eine mit Herzen übersäte Säule aus dem Hof der Skulptur des
Herrschers.
Diese Herzen sollen unter anderem erinnern an all die - meist italienischen Mitarbeiter, die der Künstlerin in den 7oer und 8o er Jahren bei der Gestaltung
des Tarot-Gartens geholfen, also ihre Ideen ausgeführt haben. Diese
Kunsthandwerker sind auf anderen Säulen auch namentlich aufgeführt.
DIA: Niki de S. Phalle: Herz im Spiegelsaal
Steht man als Besucher in dem Spiegelsaal der Herrscherin, einem Raum, den
Niki de S. Phalle jahrelang selbst bewohnt hat, so spiegelt sich das zwischen
den Spiegeln angebrachte Herz hundertfach, so als ob der Betrachter den vielen
Facetten seines eigenen Herzens und der Herzlichkeit nicht entrinnen kann.
DIA: Niki de S. Phalle: Elefantenherz
Vielleicht erinnern Sie sich noch an das Herz des Höhlenelefanten, mit dem ich
dieses Referat eingeleitet habe?
Hier sehen Sie eine zeitgenössische Version.
Dekorativ, humorvoll und lebendig – eine poppige, erheiternde künstlerische
Gestaltung der Niki de S. Phalle.
DIA : Birgit Dieker
Hier zeige ich Ihnen eine extreme Variante der modernen Herz-Kunst.
Das linke Objekt aus Adidas-Trainigsjacken mit dem Titel: „Trimm dich“, aus
dem Jahr 2000, wurde von der Künstlerin Birgit Dieker in Berlin gestaltet.
Rechts sehen wir einen Turnschuh in Herzform mit dem Titel „Cardio“.
Der Turnschuh in Herzform, aus Leder, ist fast einen halben Meter hoch und
wird so zum Klotz am Bein. Dieses rechte Kunstwerk entstand 2002, ebenfalls
in Berlin.
Der Hintergedanke der Künstlerin ist sicher ein Protest gegen den modernen
Sportfanatismus.
DIA : A. R. Penck
Von einem Maler der ehemaligen DDR, - A. R. Penck, - stammt dieses Bild
ohne Titel, auf dem er eine Freundesgruppe abbildet.
Von Rembrandt und van Gogh beeinflusst, stand das Frühwerk des Malers im
Banne des Expressionismus. Auf diesem gespenstisch und gleichzeitig ironisch
und humorvoll anmutende Bild einer Freundesgruppe sind - von links nach
rechts - Jürgen Böttcher, der Liedermacher Wolf Biermann, dann - klein und
gnomenhafter - er selbst und
schließlich ganz rechts sein DDR -Malerkollege Georg Baselitz - als
Nachtgespenst -dargestellt.
Über das schwarze Herz im Körper des Verwachsenen kann ich nur spekulieren.
A.R. Penck war ein Pseudonym dieses Malers, der eigentlich Ralf Winkler hieß.
Er wurde von der Kulturbürokratie der DDR schikaniert und schlug sich als
Briefträger, Heizer und Nachtwächter durch.
Auf diesem frühen Bild aus dem Jahr l965 deutet sich etwas von den
Strichmännchen an, die später zu einer Art Markenzeichen für seine Bilder
werden, und ihm den Ruf eines modernen Höhlenmalers eingetragen haben.
Auch sein Pseudonym ist nicht willkürlich gewählt, sondern A. R. Plenck ist der
Name eines Eiszeitforschers, der von 1858 –l949 gelebt hat.
Vorrangige Beachtung finden auf diesem Bild die männlichen Genitalien und
das Herz.
Das Herz von Georg Baselitz – rechts – ist pastellfarben. Das Herz des Malers
selbst ist schwarz. Eine Analyse dieser unterschiedlichen Farbgebung im Sinne
der Deutung ist mir nicht möglich, da ich dazu einen ausführlichen Kommentar
des Malers und Hinweise auf die Entstehungsgeschichte dieses Ölgemäldes
bräuchte, das übrigens in Köln im Museum Ludwig zu sehen ist.
Die nahezu reflexartige Zusammenhang des Herzens mit den Genitalien bei den
beiden rechten Figuren, - den Malern Penck und Baselitz -, bei gleichzeitiger
Vernachlässigung der anderen Organe ist möglicherweise ein Hinweis auf den
Sitz der Kreativität, von der Salvadore Dali sagt: sie sitze in den Eiern.
DIA: Siegfried Anzinger: Herztöter
Ich komme nun zum Abschluss meines Referates und möchte noch mal
hervorheben, dass das Herz - wenn es in einem Kunstwerk auftaucht - zu allen
Zeiten entweder ornamental, dekorativ, oder narrativ im Sinne eines Symbols
auftaucht.
Als Beispiel für den narrativen Aspekt der Herzdarstellung zeige ich Ihnen hier
noch mal ein Akryl-Gemälde von Siegfried Anzinger aus dem Jahr 1982 mit
dem Titel: Herztöter. Das Motiv dieses großformatige Bildes - 2,00 Meter mal
3,40 - ruft die Erinnerung wach an das Symbol des durchstochenen Herzens
aus der Zeit des Mittelalters. Es schaut so aus, als ob es in Freundschaft und
Liebe so etwas gäbe wie Täter und Opfer.
DIA: Edvard Munch , Das Mädchen und das Herz
Zu diesem Gedanken passt als zweites Beispiel diese Radierung mit dem Titel
„Das Mädchen und das Herz“ von Edvard Munch aus dem Jahr 1896.
Als Betrachter hat man das Gefühl, das Mädchen presse aus dem Herzen, das es
zwischen seinen Händen hält, das letzte Blut heraus. Und man fragt sich:
Ist das Mädchen Opfer der Liebe? Blutet das Herz des Mädchens aus?
Oder zerquetscht das Mädchen das Herz des Geliebten?
Wer ist Täter? Wer ist Opfer?
Auf solche Fragen gibt es keine einfachen Antworten, denn Freundschaft und
Liebe geschehen uns und gestalten sich in sehr komplexen
zwischenmenschlichen und geistigen Feldern.
DIA: Paul Klee , Das Herz als primäre Form
.
Als Beispiel für die meines Erachtens gelungenste künstlerische
Überschreitung dieses narrativen Aspektes in der Malerei - und gleichzeitig
als Beispiel für das künstlerische Transzendieren der emotionalen oder
analytischen Deutungsebene möchte ich Ihnen zum Abschluss zwei Bilder
vorstellen.
Zunächst diese Zeichnung von Paul Klee
Mit dem Titel: Das Herz als primäre Form aus dem Jahr l939.
Diese, alle Ebenen übergreifende Herz-Figur, in der der Künstler Paul Klee
Linien, Viereck, Dreieck, Kreis und Herz miteinander in eine elementare
Beziehung setzt, bewertet nicht und lässt alle Betrachtungsebenen offen.
Dieses Herz aller Dinge hat uns Paul Klee in seiner unendlichen
Naturgeschichte hinterlassen.
DIA: Ernst Wilhelm Nay: Takte
Und schließlich das letzte Bild zum Thema „Das Herz“ in der Kunst.
Ernst Wilhelm Nay, der Maler dieses großformatigen Ölbildes - aus dem Jahr
l954 - hat die dekorative, deskriptive und narrative Ebene vollkommen
verlassen. Bei der Betrachtung seines Bildes aus dem Jahr 1954 - mit dem Titel
„Takte“ - spüren wir Herzschlag und Puls, Rhythmus und Musik, etwas, was
jeder von uns in diesem Moment an sich selbst wahrnehmen kann. Das Leben.
--------------------------------------------Literatur zum Thema
DAS HERZ IN DER KUNST
Referat Dr. Gisela Schmeer / Evangelische Akademie / 9. März 2003 / Rothenburg ob
der Tauber
Mario Bucci (1969): ANATOMIA COME ARTE, EDIZIONI D ` ARTE IL FIORINO,
Firenze,
unter Einbeziehung einiger Objekte aus dem Museum LA SPECULA in Florenz
Lewinsohn, Richard ( Morus) ( l959 ): Eine Weltgeschichte des Herzens, Rowohlt Verlag,
Hamburg
Herrlinger, Robert (l967): Geschichte der medizinischen Abbildungen, I Antike bis um
1600, Heinz Moos Verlag, München
Putscher, Marlene (l972): Geschichte der medizinischen Abbildungen, II 1600 bis
Gegenwart, Heinz Moos Verlag, München
Ruhrberg / Schneckenburger / Fricke / Honnef (l998): Kunst des 20. Jahrhunderts, Benedikt
Taschen Verlag, Köln
Theopold, Wilhelm ( l978): Votivmalerei und Medizin, Karl Thiemig Verlag, München
Dr. Karl Thomae GmbH (l966 – l969): Das Herz. Eine Monographie in Einzeldarstellungen,
Biberach an der Riss
Isabel Alcantara und Sandra Egnolff (2001): Frida Kahlo und Diego Rivera,
Prestel Verlag, München
Begleitbuch zur Ausstellung „HERZ“ vom 5. Oktober l995 – 31. März l996 (l995)
im Deutschen Hygiene Museum in Dresden, Verlag der Kunst, Dresden, Basel
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