VO Wirtschafts- und Sozialgeschichte

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VO Wirtschafts- und Sozialgeschichte
SS 2010
1.
Die Entstehung des europäischen Feudalismus
2.
Die große Expansion des Hochmittelalters
3.
Die Krise des Spätmittelalters
4.
Das 16. Jahrhundert: Aufschwung und
Preisrevolution
5.
Die Krise des 17. und frühen 18. Jahrhunderts
6.
Die Industrielle Revolution in England
7.
Industrialisierungsmuster auf dem Kontinent
8.
Hochindustrialisierung und Weltwirtschaft bis 1914
9.
Kriege und Krisen – 1914 – 1945
10.
Großer Boom und (wie schwere?) Krisen –
Weltwirtschaft seit 1945
2
1. Die Entstehung des europäischen Feudalismus
1.1. Zum Begriffsinhalt von "Feudalismus"
Begriff Feudalismus vom "feudum", dem Lehen. Erstmals im 18. Jahrhundert, zunächst in der
französischen Fassung "feodalite", für das Gesamtsystem jener Gesellschaftsordnung
verwendet, in der Lehensbeziehungen eine große Rolle spielten. Anfangs in polemischer
Absicht eingesetzt, erhielt der Begriff während des 19. Jahrhunderts langsam einen
allgemeineren, wissenschaftlich-analytischen Anstrich. Innermarxistische Diskussion um
einen präzisen Feudalismus-Begriff intensiv und aufschlussreich. Nicht-marxistische
Geschichtswissenschaft: Max Weber, Georg v. Below und vor allem (in deren Nachfolge) Otto
Hintze - Arbeit an einer allgemeinen historischen Typologie, verbunden mit einer präzisen
Definition des europäischen Feudalismus. Heute weitgehend aufgegeben.
Versuche einer Feudalismus-Definition:
1. Einschränkung auf eigentliches Lehenswesen - entzieht aber dem Begriff gerade seinen
umfassenderen Gehalt.
2. Feudalismus als gesellschaftliche Gefüge verstehen, in dem Lehensbeziehungen eine
zentrale und typische Rolle einnehmen.
3. Feudalismus als weltgeschichtlichen Typenbegriff, der für verschiedene Kulturen in
vergleichender Absicht angewandt wird. (passiert hier nicht)
4.
Feudalismus
für
die
europäische
Geschichte:
typische
gesellschaftliche
Entwicklungstendenz.
Für unsere Bedürfnisse genügt eine verhältnismäßig einfache Charakterisierung:
Feudalismus soll heißen ein gesamtgesellschaftliches Beziehungsgefüge, in welchem
gesellschaftliche Funktionsträger für ihre Leistungen mit Anteilen an den Erträgen von Grund
und Boden entlohnt werden, wobei sie sich diese Anteile direkt bei den Produizenten (Bauern)
aneignen müssen und dürfen. Diese für gewisse naturalwirtschaftlich fundierte Gesellschaften
typische
Konstellation führt in der Regel zu mehr oder minder weit reichenden
Verselbständigungen dieser lokalen Herrschaftsträger.
Entstehung:
Drei Faktoren (nach Otto Hintze): a) "Der alte fränkische Heerbann wird
verdrängt durch einen neuen berufsmäßigen Kriegerstand von berittenen, hochausgebildeten
Einzelkämpfern, wie sie dem damaligen Bedürfnis der Kriegführung und der Fechtweise,
namentlich seit dem Auftreten der Sarazenen, entsprachen. Dieses Kriegertum beruht auf
einem ... Privatvertrag, dessen notwendig zusammengehörige Elemente ein persönliches und
ein dingliches Rechtsverhältnis sind: die Vasallität und das Benefizium..."
3
b) "Mit dem Ritter tritt eigentlich auch der Bauer, gerade auch der freie germanische Bauer, im
Gegensatz zum romanischen colonus, erst recht in Erscheinung. Der Bauer ... wird
unabkömmlich und also für den regelmäßigen Kriegsdienst ökonomisch unbrauchbar; ... er
wird unkriegerisch und bedarf des Schutzes, ganz besonders in unruhigen Zeiten .... Solche
Schutzherren waren vor allem die geistlichen Stifter und Klöster, aber auch weltliche Herren,
namentlich solche, die im Besitz obrigkeitlicher Gewalt waren. So wird weithin der Bauer ein
grundherrlicher Hintersasse.... Die grundherrlich-bäuerliche Wirtschaftsweise hatte für das
Mittelalter eine ähnliche Bedeutung wie die kapitalistische für die neuere Zeit. Sie bildet die
ökonomische Seite des Feudalismus und ist sein zähester und dauerhaftester Bestandteil
geblieben..."
c) "Ein weiterer wichtiger Punkt ist nun aber die Aneignung obrigkeitlicher Rechte durch die
Inhaber von Grundherrschaften und namentlich auch durch die Ritter ... Wir sind damit schon
in das Gebiet des politischen Feudalismus gelangt ... Den Idealtypus finden wir dort am
schärfsten ausgeprägt, wo, wie in Deutschland und vorübergehend auch in Frankreich, die
Ämter zu Lehen geworden sind. Da greift jener Untertanenschwund um sich, in dem v. Below
das eigentliche Wesen des Feudalismus sieht. Wichtiger ist aber noch die positive Seite des
Vorgangs, die man bezeichnen kann als die Neigung zu einer neuen Staatenbildung auf
schmalerer Basis und mit intensiverem Betrieb. ... Ihr wesentliches Merkmal bleibt die
Verteilung der Staatsgewalt zwischen Haupt und Gliedern nach dem Objekt, d.h. nach Land
und Leuten, nicht in erster Linie eine Scheidung nach Funktionen. ..."
Zentral: Die soziale Differenzierung in Krieger (Ritter) und Bauern, die Ausbreitung und
Bedeutungsanreicherung
des
grundherrschaftlichen
Systems,
die
politische
und
herrschaftliche Zersplitterung mit ihren wichtigen Folgen für die spätere Staatsbildung.
1.2. Agrarwirtschaft und Feudalisierung der Gesellschaft
Agrarwirtschaft ist der zentrale Wirtschaftszweig Europas, bis weit in die Neuzeit hinein.
Europa um 500 :
(1) außerordentliche Ertragsarmut und
(2) Fehlen einer Anforderung aus den Bevölkerungsverhältnissen.
Bevölkerung beginnt seit dem 7. Jahrhundert langsam zu wachsen. Mehr Leute mussten
ernährt werden. Mehr Land wurde unter den Pflug genommen. Langsam schritt auch der
Ausbau der bestehenden Siedlungen voran. Und ebenso langsam, aber durchaus sichtbar,
wurde der Landbau selber verändert.
a) Zwischen 700 und 900 (eher in der zweiten Hälfte dieser Periode) erstmals bestimmte
technische Neuerungen: Hakenpflug schon häufiger mit einer Pflugsohle ausgestattet.
4
Wendepflug (Beetpflug) wird erfunden, breite Verwendung wohl erst im 11./12. Jahrhundert.
Verbesserte Anspannung der Zugtiere:
Neue Stirn- und Nackenjoche ersetzten ältere.
Kummet als Instrument der Pferdegeschirrung und Hufeisen dürften noch nicht dem Ackerbau
zugute gekommen sein. Rasche Verbreitung des zweiteiligen Dreschflegels. Zur großen
Kolonisationsbewegung des 11./13. Jahrhunderts bedurfte es dann nur weniger neuer
Erfindungen.
b) Einführung neuer betrieblich-organisatorischer Methoden. Deutlich tritt im späteren 8.
Jahrhundert eine genau geregelte Dreifelderwirtschaft auf. Vorausgegangen: Stabilisierung des
Ackerlandes (vermutlich in der Form einer Zweifelderwirtschaft erfolgt).
Urkunde aus St. Gallen (Schweiz), 763: Ein Mann verpflichtet sich im Rahmen eines
größeren Rechtsgeschäftes zu Ackerarbeiten auf dem Fronhof: "et in primum vir arata (arare?)
jurnalem unam, et in mense julio brachare alterum, et in autumno ipsum arare et seminare" Pflugarbeiten im Rahmen einer Dreifelderwirtschaft mit der Folge Brache, Winterfrucht,
Sommerfrucht. Brache im Herbst ("in autumno") gepflügt und besät. Nach der Ernte im
folgenden Sommer diente das Feld als Stoppelweide. Im darauf folgenden Frühjahr ("in
primum vir") wurde das Feld gepflügt und mit Sommerfrucht bebaut. Nach der Ernte blieb es
Stoppelweide bis zum drauffolgenden (3.) Jahr: Nun wurde es um Johannes (24. Juni)
gepflügt, im Herbst darauf nochmals und dann mit Wintergetreide bebaut.
"Gegenüber der noch ungeregelten Feld-Graswirtschaft, bei der Getreide und Weide je nach
Gelegenheit
oder
Nötigung
wechselten,
brachte
die
Dreifelderwirtschaft
Vorteile
verschiedener Art.
Sie ermöglichte (1)eine bessere Verteilung der landwirtschaftlichen Arbeiten im Jahr. Die
Erntearbeiten folgten ... nacheinander; die Brache konnte gepflügt werden (Juni), während auf
den anderen beiden Feldern ...keine Arbeiten durchgeführt zu werden brauchten. Sie
ermöglichte
(2) eine doppelte Bearbeitung und bessere Düngung des Feldes, das die Wintersaat aufnehmen
sollte, die erfahrungsgemäß solche Aufwendungen am besten lohnte.
Sie wirkte (3) günstig auf Nährstoffhaushalt des Bodens und die physikalische Struktur der
Ackerkrume ein und wehrte schließlich auch noch den Unkräutern, die sich bei länger
dauerndem Getreidebau einzustellen pflegen"
Die Dreifelderwirtschaft beruht in den nördlichen und östlichen Gebieten Europas auch auf
neuen Kulturpflanzen: Neben den Getreidesorten der Antike (Weizen, Emmer oder Einkorn,
Dinkel, Gerste)
sind es vor allem Roggen und Hafer. Der Roggen wird das wichtigste
Brotgetreide für die wachsende Bevölkerung Europas, der Hafer ernährt die Pferde der Ritter.
Der Roggenanbau ermöglicht die Benützung tieferer Böden und Getreidebau auch in kälteren
Regionen, erfordert aber ein tieferes Pflügen - Zusammenhang mit dem neuen Pflug!
c)
Hufenverfassung. Arrondierungsmaßnahmen und Neufestlegungen der Nutzungsrechte,
um den Vorteil der Freifelderwirtschaft allen zugute kommen zu lassen.
Ziemlich regelmäßige Gliederung des Bodens einer Siedlungseinheit (Dorf, Weiler) nach
5
Flurteilen (Gewannen, Zelgen, Lüssen usw.), an denen jeder Siedlungsgenosse Anteil hat,
ebenso in dieser Zeit erfolgt wie die Verpflichtung des Einzelnen, seine Arbeiten nur im
Einklang mit den anderen durchzuführen ("Flurzwang"). Das erklärt sich aus der gemeinsamen
Brach- und Stoppelweide ebenso wie aus anderen Notwendigkeiten.
Bedeutungszuwachs der Grundherrschaften: Intensivierte Ackerarbeit zwang Bauern, auf
Kriegerrolle zu verzichten. Freie Leute treten in den Schutz (vor allem) geistlicher
Grundherren, um nicht mehr Kriegsdienste (Kennzeichen des freien Mannes!) leisten zu
müssen. Ausbreitung der Dreifelderwirtschaft und der Hufenordnung nur im engsten
Zusammenhang mit grundherrschaftlichen Eingriffen vorstellbar. "Moderne" Formen zuerst
bei Ansiedlungen von Unfreien. Tendenz einer sozialen Differenzierung der freien Kriegerbauern aus den Anforderungen einer intensivierten Landwirtschaft - soziale Differenzierung
aus den Anforderungen einer intensivierten militärischen Ausbildung.
1.3. Wandel des Kriegswesens und Feudalismus
Heinrich Brunner (E. 19. Jh.): Lehenswesen als Grundlage militärischer Einrichtungen
entstand in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts, als Karl Martell das fränkische Reich gegen
die Expansion der Araber (Sarazenen) verteidigte. Die waren vorzüglich auf Grund ihrer
berittenen Truppen allen bisherigen Gegnern überlegen. Erst die gepanzerten Reiter der
Franken hätten ihre Expansion in der Schlacht bei Tours und Poitiers (732) aufgehalten. Diese
Reiter der Franken seien eine militärische Neuerung, die auf der Einführung des
Lehenswesens durch Karl Martell basiert gewesen sei. Der fränkische Stammesheerbann,
primär aus Fußtruppen, für die neuen Aufgaben ungeeignet - Karl habe daher eine
spezialisierte, gepanzerte Reitertruppe geschaffen, deren Unterhalt durch die Vergabe von
Land und untertänigen Leuten gesichert wurde. Zusammenhang von Wandel im Heerwesen,
gesellschaftlicher Differenzierung und Entstehung des Feudalismus nicht nur sachlich, sondern
auch zeitlich eng verknüpft. Unterstrichen wird diese Verknüpfung durch spätere
Untersuchungen, vor allem von Lynn White jr., die die kleine, aber entscheidende technische
Neuerung des Steigbügels (der es dem gepanzerten Reiter erlaubt, die ganze Wucht des
Pferdes in seinen Lanzenstoß zu legen), zeitlich ebenfalls in das frühe 8. Jahrhundert verlegt.
Aber: Karl der Große hat noch die Freien für das Heer aufgeboten, und dieser Heerbann dürfte
durchaus die Hauptlast der militärischen Unternehmungen getragen haben.
Jedenfalls: Seit 8. Jahrhundert vassallitische Leihe immer häufiger, besonders ihre
Verwendung zur Ausstattung von berittenen, spezialisierten Reitern. Freilich sollten diese als
praktisch alleinige Träger der militärischen Gewalt erst im 10. Jahrhundert fungieren. Bis
dahin erhält sich der Stammes-Heerbann noch in Resten (bzw. in neuen Formen).
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1.4. .Auswirkungen des Feudalisierungsprozesses
Mit Landausstattung durch den König und der Übernahme von Herrschaftsrechten im weiten
Land entsteht neue Situation: Bindung zum König lockert sich - weil der nunmehr
verselbständigte Adelige auf sich selbst angewiesen war. Kollegen und Konkurrenten:
Angehörige älterer Adelsschichten, geistliche Grundherren oder Adelige gleich ihm selbst.
Der verselbständigte Adel sah seine Position ständig bedroht, teils durch den König, teils durch
die Konkurrenz der anderen Adeligen. Der König konnte die Übermacht über seinen Adel nur
aufrecht erhalten, wenn es ihm gelang, neue Vasallen (Gefolgsleute) zu gewinnen. Karl
Martell - Verleihung von Kirchengut an seine Vasallen und von kirchlichen Ämtern an seine
Gefolgsleute. Karl der Große löste das Problem durch Expansion. Waren alle diese Mittel
erschöpft, dann drohte in der Regel ein Machtverfall der Zentrale (Ludwig d. Fromme und
Karl der Kahle).
Die Konkurrenz der feudalen Gewalten suchte einerseits die Freien unter ihre Botmäßigkeit zu
bringen und auf diese Weise ihr Potential zu stärken, andererseits unterlegene adelige Rivalen
zu Vasallen zu machen. Aus diesen einfachen Grundmustern resultierten die endlosen
Adelsfehden und die ermüdenden Auseinandersetzungen zwischen den zentralen Gewalten und
ihren verselbständigten Amtsträgern, bzw. zwischen diesen selbst.
Feudale Ausstattung in Verbindung mit Ritterdienst - Tendenz zur "Veradeligung". Nach
gewisser Zeit galten solche neue Gruppen von feudal ausgestatteten kriegerischen
Funktionären wieder als adelig.
Wichtig: Traditionelle Aristokratien, wie die Athens oder Roms, hatten auch Grundbesitz und
durch hohes Prestige. Aber diese Aristokratien übten politische Funktionen immer nur
innerhalb ihrer res publica, nie im engeren Rahmen ihrer Besitzungen aus. Ausgenommen von
dieser Regel ist nur die präfeudale spätantike senatorische Aristokratie mit ihren Immunitäten.
Der typische feudale Adel ist untrennbar mit
- großem Grundbesitz
- ehemaliger (Abstammung) oder gegenwärtiger gesellschaftlicher Funktion (Königsgefolge,
Reichsverwaltung)
- Herrschaftsausübung über freie und unfreie Leute über die ökonomischen Beziehungen
hinaus verbunden.
Literatur:
Zur Feudalismus-Frage im allgemeinen: Heide Wunder, Hg., Feudalismus, München 1974.
Der nicht dort aufscheinende zentrale Aufsatz von Otto Hintze ist enthalten in:
Otto Hintze, Staat und„Verfassung (Gesammelte Werke, hg. v. G. Ostreich, Bd. 1, 1962, 84 119).
7
Zum eigentlichen Lehenswesen:
Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen (Vorträge und Forschungen, hrsg. v. Th. Mayer,
Bd. V, Lindau-Konstanz, 1960).
Zum Wandel der Landwirtschaft:
Wilhelm Abel, Geschichte der deutschen Landwirtschaft und der, Landwirtschaft 500 - 900 in:
W. Zorn-H. Aubin, Hg., Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1, 1971.
Das zentrale Werk zum Lehenrecht stammt von
Heinrich Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen
Verfassungsgeschichte, Weimar 1958 (unveränderter Nachdruck der ersten Auflage von
1933).
über den frühmittelalterlichen Adel gibt es zahlreiche Untersuchungen, die in den neueren
Handbüchern aufscheinen (so von Prinz, Störmer, Sprandel, usw.). Ferner:
Eckard Müller-Mertens, Karl der Große, Ludwig der Fromme und die Freien. Wer waren die
überi homines der karolingischen Kapitularien (742/3 - 832)? Berlin 1903.
2.
Die große Expansion des Hochmittelalters
Seit etwa 1000 weitreichende und rasche Veränderungen in Europa:
Zwischen etwa 1050 und 1300 entsteht die europäische Kulturlandschaft. Die Kirche, bis ins
11. Jahrhundert hinein von Entscheidungen weltlicher Machtträger weitgehend abhängig, wird
in großem Maße selbständig. Neben der Bauernschaft entstand das Rittertum, spätestens im 12.
Jahrhundert die Städte als eigenständiger kultureller und gesellschaftlicher Faktor.
Aus dem dünn besiedelten, halb barbarischen Bereich West- und Mitteleuropas wurde eine
dicht besiedelte und kultivierte Landschaft. Aus den fortgeschrittenen Regionen des
Nordwestens gehen die großen Expansionsbewegungen dieser Zeit hervor:
-
Die Reconquista der Pyrenäenhalbinsel,
die Ostkolonisation und
die Kreuzzüge.
2.1. Die Bevölkerungsbewegung bis etwa 1350
Die Bevölkerungszunahme war der Motor des Landesausbaues - die entscheidende
Angelegenheit des europäischen Hochmittelalters überhaupt. Die Schätzungen weisen im
einzelnen stark voneinander ab, der Trend jedoch zeigt eine generelle Übereinstimmung.
Die Bevölkerungszahl Europas wuchs:
1050
46 Millionen
8
1100
48 Millionen
1150
50 Millionen
1200
61 Millionen
1300
73 Millionen
Italien - um die Mitte des 10. Jahrhunderts etwa 5 Mio. Menschen, am Ende des 13.
Jahrhunderts 7 - 8 Mio. Dänische Bevölkerung - E. 8. Jh. rund 550.000, E. 10. Jh. etwa
850.000,
2.2. Die technischen Fortschritte der hochmittelalterlichen Landwirtschaft
Genau genommen waren um 1000 alle wichtigen Bestandteile der landwirtschaftlichen
Modernisierung schon bekannt - nun aber wurden sie in immer größerem Maßstab angewandt.
- Pflug: Kolonisation der schweren Marschenböden an der Nordseeküste, die nun in vollem
Umfang erfolgte, nicht ohne breite Verwendung des Wendepfluges möglich. Illuminierte
Handschrift des 12. Jahrhunderts zeigt einen solchen Pflug, jetzt schon in voller
Ausbildung: Gezogen von zwei Paar Ochsen, deren Zugkraft vermittelst großer
Nackenjoche ausgenützt wurde, erscheint ein Gerät, das vorne eine Art Messer hat (Sech),
-
-
dahinter ein Brett (Streichbrett) und an der Sohle offenbar eine Art Schneide, sodass man
den Boden richtig umwenden konnte. Immer noch war sehr wenig an diesem Gerät aus
Eisen, wahrscheinlich nicht einmal das ganze Messer, sondern nur seine äußerste Spitze,
möglicherweise auch der Vorderteil der Pflugschar. Vor allem aber haben die Räder es
erlaubt, wesentlich mehr Kraft auf den Boden zu bringen.
Egge mit meist hölzernen (später eisernen) Zähnen, vereinzelt schon von Pferden gezogen.
Rasche Verbreitung des Dreschflegels - zwei bewegliche Teile durch eine flexible
Verbindung vereinigt, erhöhte die Erträge angeblich um 100 Prozent.
Zur Ernte kleine, gezahnte Sichel. Die Sense, obgleich bekannt, blieb im wesentlichen auf
die Heuernte beschränkt - bei der Ernte mit der Sichel fiel weniger Getreide aus als bei
einer Sensenmahd.
Verbreitung der Wassermühle: Diese Ausnutzung der Wasserkraft ersparte eine große
Quantität menschlicher und tierischer Energie, die man anderen Zwecken zuführen konnte.
Anspannung: Kummets und verbessertes Joch für die Ochsen, jetzt in großem Umfang
angewandt. Im Süden Frankreichs und in Spanien Eseln und Maultieren, in Italien Büffel.
Vorteil des Pferdes: Schnelligkeit - wenn es um größere Entfernungen ging, war es
jedenfalls überlegen.
Technische Innovationen: (1) "Ora et labora" des heiligen Benedikt - Mönche haben nicht nur
bestimmte Arbeiten verbreitet (oder zumindest die Abscheu davor vermindert), hatten auch mit
dem Problem zu kämpfen, wie sie die Zeit für das Gebet vermehren, und jene, die man
aufwenden musste, um einen würdigen Rahmen für dieses zu schaffen, vermindern konnte.
9
Ihre großen Kirchen und Klöster waren ja nicht Selbstzweck. Zisterzienser des 12. und 13.
Jahrhunderts galten als große Techniker: Sie wandten alles, was ihnen bekannt war, an, um
Bauzeiten zu verkürzen und ihre Kirchen schneller fertig zu stellen und (sparsam) zu
verschönern. So hat der Druck, mit Hilfe einiger technischer Details Zeit zu sparen, die man
sinnvoller für Gebet und Meditation als für das Aufbauen von Mauern verwenden konnte, zu
zahlreichen Neuerungen auf dem Gebiet des Hochbaues geführt.
(2) Ein nicht genau quantifizierbarer Mangel an menschlicher Arbeitskraft. Die simple
Tatsache, dass jeder kleine Feudalherr stets mehr Bauern brauchte, um mehr Ritter
auszurüsten, dass aber die ursprünglich sehr engen Grenzen der Produktivität dem immer
wieder entgegentraten, führte zur Suche nach zahlreichen Auswegen - zu Rodung, zur
Dreifelderwirtschaft, zur Verwendung der Wassermühle. Das alles half, mehr Menschen zu
ernähren und andererseits Arbeitskraft freizumachen. Frei entweder für den Dienst als
spezialisierter Ritter oder für die landwirtschaftliche Intensivierung, oder darüber hinaus für
weitere Arbeitsteilung und überregionalen Austausch (Handwerker und Kaufmann) .
2.3. Die landwirtschaftlichen Produkte und Erträge
Vordringen des Getreides gegenüber dem Vieh ("Vergetreidung") - Verminderung der
einfachen Weiden ("Hutweiden"), denen keine entsprechende Vermehrung der richtigen
Wiesen gegenüberstand. Das Hochmittelalter und auch später jede Periode starker
Getreidekonjunktur kämpfte mit einem deutlich zu geringen Viehstapel, was sich nicht nur auf
die Ernährung, sondern auch auf Zugkraft und Düngung jeweils ungünstig auswirkte.
Getreidesorten: Wintergetreide (Roggen) die Hauptfrucht für die menschliche Ernährung, nur
in Südeuropa und Frankreich der Weizen. In Südwestdeutschland Dinkel (Spelz, triticum
spelta), Dinkelzone bildet Übergang zum vorherrschenden Roggenanbau. Neben dem Roggen
breitete sich der Hafer (in ärmeren Gegenden auch die herrschende Brotfrucht!) und ohne
regionale Schwerpunkte die Gerste aus. Neben den Getreidesorten haben sich vor allem die
Hülsenfrüchte verbreitet (Ackerbohnen, Erbsen, Linsen) - eine Ergänzung der menschlichen
Nahrung, die von einigen Forschern als sehr erheblich eingeschätzt wird. Mit dem
Aufschwung der Bevölkerungszahlen und der nichtagrarischen Zweige gewannen
Industriepflanzen wie Flachs (Lein) und Hanf eine über die Hausversorgung hinausreichende
Bedeutung, daneben wurden Farbpflanzen (Waid, Krapp) etc. in wachsendem Maße angebaut.
Landwirtschaftliche Intensivierung, zu der noch die Ausbreitung der Weinkulturen auf die
Hanglagen zu rechnen ist, beengte das Grünland und den Wald. Die Viehzucht wurde
problematischer, allerdings bildeten sich Zonen einer spezialisierten Viehhaltung heraus, die
am Rande der Ackerbauzonen lagen - die Marschlandschaften an der Nordsee und die alpinen
Gebirgslagen. Solche Viehhöfe (vaccariae, im Gebirge Schwaigen) werden häufiger seit dem
10
12. und 13. Jahrhundert genannt. Umwandlung "normaler" gemischtwirtschaftlicher Höfe in
Schwaigen bis ins 14. Jahrhundert: südlich von Chiemsee in Oberbayern wurden 1305 noch
Roggen- und Haferlieferungen von einigen Höfen verlangt, die wenig später nur mehr
Käselieferungen zu leisten hatten - deutliches Zeichen einer betriebswirtschaftlichen
Umstellung.
Erträge der Landwirtschaft: Beim Getreide bis ins 9. Jahrhundert das Verhältnis von Aussaat
zu Ernte 1.:2 (natürlich handelt es sich hier um eine angenommene Durchschnittszahl). Für das
Hochmittelalter wird häufiger das Dreifache angenommen. Im Kremsmünsterer Urbar von
1299 wird, freilich unter Berufung auf das Evangelium, Verhältnis von 1 : 10, was sicher eine
Ausnahme darstellte. Nach wie vor konnten anhaltende Nässe oder Kälte, ebenso wie zu große
Dürre und Hitze, einen partiellen oder totalen Ernteausfall herbeiführen, der dann für die
Betroffenen sofort schwere Hungersnöte, Seuchen und zahlreiche Todesfälle bedeutete.
Jedenfalls wird deutlich, dass die "Intensivierung" der hochmittelalterlichen Landwirtschaft
allein den großen Bevölkerungsaufschwung nicht hätte tragen können. Dazu bedurfte es der
großen Rodungen, sowohl im Innern des ehemaligen fränkischen Reiches, als auch an seinen
Grenzen. Das Hochmittelalter ist die Periode von Binnen- und Außenkolonisation schlechthin.
2.4. Rodung und Kolonisation - gesellschaftliche Voraussetzungen und Auswirkungen
In den Worten Marc Blochs bedeutet die hochmittelalterliche Siedlungsbewegung "die
Kolonisierung der iberischen Hochflächen und der großen Ebene östlich der Elbe; selbst im
Herzen des Kerngebietes dringt der Pflug ständig weiter in Wälder und Ödland vor. In den
Lichtungen, die in Forsten und Buschwerk geschlagen werden, klammern sich ganz neue
Dörfer an den urbar gemachten Boden. Anderswo, um alte Wohnsiedlungen, weiten sich die
Äcker unter dem unwiderstehlichen Drang der Rodungsbauern."
Ansiedlerverträge:
1) Spanische "fueros" - erster schon 824 an eine Gruppe von 5 Familien vergeben, "ad
populandum ad villa Brania Ossaria". Im 11. Jahrhundert enorm intensiviert Siedlungsunternehmungen. Wir kennen einen dieser Herren mit Namen: Senior Eximinio
Garscia qui fuit populator. Daneben betätigten sich Priester und Mönche im selben Sinne.
Etwas nach 1050 erhielt die Kolonisationsbewegung auf der Pyrenäenhalbinsel einen neuen
Anstoß von jenseits der Pyrenäen. Landsuchende Bauern folgten nun den die "reconquista"
besorgenden Rittern.
2) Im Zentrum des westfränkischen Reiches zweite Gruppe von Urkunden: chartae libertatis.
Zuerst begannen kirchliche Institutionen ihre "villas exhospitatas" in "villas rehospitates" zu
verwandeln. Seit 1050 organisierter Siedlungsprozess in Nordfrankreich und in den
angrenzenden Regionen Flanderns und Hollands. Klöstern begannen damit, auf wüst liegenden
Ländereien größere Gruppen von Siedlern (30-80) anzusetzen. Damit entstanden größere
11
Dörfer, von denen aus dann die weitere, über die altbesiedelten Regionen hinausreichende
Rodung ansetzen konnte. Periode der Siedlungsausweitung fällt mit der
Gottesfriedensbewegung, die die Fehde regulieren, zurückdrängen und zeitlich und örtlich
sowie personal befriedete Zonen schaffen wollte, zusammen.
Bewegung der hospites-Dörfer ging aus von der Ile de France, Picardy, Champagne, breitete
sich aber auch nach Westen aus. Hier "burgi", bourgs, genannt. Neue burgi oft nicht befestigt,
größer als alte Dörfer, daneben kirchliche Mittelpunkte und hatten in der Regel Marktrechte.
Vergleichbar mit jenen Pfarr- und Marktzentren, die im 12. und 13. Jahrhundert auch in den
österreichischen Streusiedellandschaften die Siedlung verdichtet haben und den lokalen
Austausch verbesserten. Ludwig VI. (1108 - 37) begann auf seinen Gütern mit der Gründung
der "villes neuves". Vorbild die Charte von Lorris, die die Rechte der Siedler genau beschrieb.
Weitere Privilegien: Freiheit von gewissen Abgaben (Taille, tolte, aides) und militärischen
Belastungen. Die königlichen Dörfer sollten ein wichtiges Mittel zur Stärkung der königlichen
Macht und zur Befriedung zunächst der Krondomäne werden. Unter Ludwig VII. (1137 1180) ging diese Bewegung in größerem Umfang weiter. Treibende Kraft wohl Abt Suger von
St. Denis (+1151), theoretisch und praktisch zentral an der Stärkung der Königsgewalt
beteiligt. Die "villes neuves" wurden zahlreicher. Ludwig VII. befreite vereinzelt auch ganze
Gruppen von Leibeigenen..
3) Besonderer Typus des Landesausbaues an der flandrischen und holländischen Küste,
Gewinnung sumpfigen Gebiets und schließlich auch von Meeresboden für die
landwirtschaftliche Nutzung. Polder eingedeicht und trockengelegt. Aus Flandern und Holland
zogen Rodungsunternehmer weiter nach Osten. 1106 schlossen sechs Holländer mit dem
Erzbischof von Bremen einen Vertrag, in welchem sie sich verpflichteten, eine Zahl von
Landsleuten in jenes Land an der unteren Weser zu bringen, das kultiviert werden sollte.
Holländer und Flamen leisteten einen erheblichen Teil dessen, was als "deutsche
Ostkolonisation" in die Geschichte einging. Diese Kolonisationsbewegung aus ideologischen
Gründen historisch höchst unterschiedlich eingestuft; Von deutsch-nationaler und (natürlich)
nationalsozialistischer Geschichtsschreibung euphorisch gepriesen, von der polnischen oder
tschechischen nationalen Geschichtsschreibung als Katastrophe für die nationalen Kulturen
beklagt. Real: Kein "Drang nach Osten" der deutschen Stämme ergriffen. Nach neueren
Schätzungen nur 200.000, höchstens vier- bis fünfhunderttausend Menschen in Bewegung.
Ostkolonisation primär von Flandern und Holland ausgehende Bewegung zur Kultivierung und
Neulandgewinnung, um überschüssige Populationen unterbringen zu können, neue
Einkommensmöglichkeiten für geistliche und weltliche Feudalherren zu schaffen um durch
Getreideüberschüsse die neuen städtischen Zentren im Nordwesten Europas ernähren zu
können.
Siedlungsbewegung nur teilweise von politischer Eroberung durch deutsche Fürsten begleitet,
am ehesten zwischen Elbe und Oder-Neiße (Mecklenburg, Brandenburg, Meißen). Siedlung in
Schlesien erfolgte auf Wunsch der einheimischen Piastenfürsten, in Böhmen begünstigt König
12
Přemysl Ottokar II. "deutsche" Siedlung .
Durchführung der Siedlung beim "locator" - Siedlungsunternehmer,verpflichtet sich zur
Herbeischaffung der Siedler usw., erhält begünstigte Besitzung und Position im neuen Dorf
(Burmeester, Bürgermeister, Schultze, scultetus, präfectus), erhielt abgabenfreie (Doppel-)
Hube und niedere (erbliche) Gerichtsbarkeit. Grundherr bezog jährliche Rente und (bzw. oder)
den Zehent, soweit es sich um eine kirchliche Institution handelte. Weiter im Osten, im
Deutschordensland, fiel auch der Zehent weg. Belastung der Neusiedler umso geringer, je
weiter im Osten sie sich sesshaft machten.
In Italien kam es schon seit dem 10. Jahrhundert, vorerst aus Gründen der militärischen
Sicherung, zur Errichtung von burgi durch bäuerliche Siedler - Anknüpfung an byzantinische
und langobardische Stratioten und Arimannien.
England - nach dem Abschluss der normannischen Eroberung Siedlungsverdichtung und
Neubesiedlung, dabei regelmäßige Siedlungsformen verwendet, ähnlich wie auf dem
Kontinent. Wälder und fruchtbares Marschland unter den Pflug genommen, auch offene
Weiden. 13. Jh.: Streitigkeiten erwachsen aus der beginnenden Knappheit des Waldes. Grenze
des wünschenswerten Ausmaßes der Rodungen erreicht.
Literatur:
Die einschlägigen Bände der entsprechenden Weltgeschichten sind brauchbar (Fischer
Weltgeschichte Bd. 11 von Jacques Le Goff, Propyläen - Weltgeschichte, hrsg. v. Golo Mann,
Bd. V/2, Taschenbuchausgabe von 1976 - hier der Beitrag von François Louis Ganshof über
das Hochmittelalter).
Zur Reichsgeschichte ist nach wie vor auf Gebhardt zu verweisen. Die neunte Auflage dieses
Bandbuches der deutschen Geschichte ist bei dtv in Form von Taschenbüchern erschienen
(inzwischen gibt es schon eine zehnte). Für die vorliegende Periode sind die Bände 3,4, 5 und
7 heranzuziehen (dtv Wiss. Reihe 42O3, 4204, 4205, 4207).
Für Byzanz und den
BalkanBd. 13. der Fischer - Weltgeschichte: Franz Georg Maier, Byzanz. Die strukturellen
Probleme Nord- und Ost- sowie Südosteuropas hat Perry Anderson, Von der Antike zum
Feudalismus. Spuren der Übergangsgesellschaft (suhrkamp 922, 1978) ausführlich von einem
marxistischen, freilich recht undogmatischen Gesichtspunkt aus diskutiert. ;
Für die allgemeine Entwicklung teils recht brauchbar (aber auch mit einigen fehlerhaften
Angaben!) Karl Bosl, Europa im Mittelalter, 21978 Grundsätzlich für die westslawischen
Bereiche
Frantisek Graus, Die Entstehung der mittelalterlichen Staaten in Mitteleuropa, in: Historica X,
1965, 5 - 65.
13
2. 5 Ansätze zur Überwindung der feudalen Zersplitterung
2.5.1. Bevölkerungswachstum, Arbeitsteilung und Integration
Innere Folgen des Bevölkerungswachstums: Fortschreiten der Arbeitsteilung - mehr Menschen
können Aufgaben auf mehrere verteilen, während eine geringe Menschenzahl immer bedeutet,
dass wenige Leute viele Funktionen wahrnehmen müssen.
Zur Funktionsteilung von Bauer und Krieger, stets auch spezialisierte Händler (ursprünglich
nicht vom kriegerischen Handel geschieden!) im Hochmittelalter Entstehung spezialisierter
Gewerbe. Die Sozialkategorie der Kaufleute, eingekleidet in die Sozialformen des
Kaufmannshauses und wieder entsprechender Zechen oder Gilden. Spezialisierte Handwerker
auch dem Frühmittelalter nicht fremd, doch selten, in die grundherrliche oder klösterliche
Ordnung eingebunden. Verselbständigung der gewerblichen Produktionsfunktion entwickelt
sich: Die Sozialkategorie des Handwerkers gekleidet in die Sozialformen des
Handwerkerhauses und der Zunft.
Prozesse der Arbeitsteilung zogen Integrationsprozesse mit sich. Je länger die Tauschketten
werden, durch die die Menschen ökonomisch verbunden sind, desto dringlicher die Herstellung
friedlicher Zustände, die den reibungslosen Ablauf der Tauschhandlungen garantiert.
Gottesfriedensbewegung - Ausdruck des gesteigerten Bedürfnisses nach Räumen und Zeiten
des Friedens in einer prinzipiell sehr unfriedlichen Welt. Intensivierter Handel benötigte
gesicherte Straßen. Märkte als Plätze des Austausches brauchen ebenfall einen befriedeten
Bereich ("Freiung"). Jene Gruppierungen, die an solchen Friedensregelungen interessiert
waren, unterstützten daher jene Feudalgewalten, von denen sie am ehesten eine
Friedenssicherung erwarten konnten. Das waren nun gerade die größten und stärksten. Diese
wurden durch die Unterstützung durch die neuen sozialen Kräften ihren feudalen Konkurrenten
noch mehr überlegen. Erhielten in immer breiterem Ausmaß von daher auch jene Ressourcen,
die eine dauerhafte Überwindung der feudalen Zersplitterung garantieren konnten.
2. 5. 2. Die Intensivierung des Handels und die Verbreitung der Geldwirtschaft
9. und 10. Jahrhunderts - Netz von "Burgen" entsteht. Überregionaler Handel kann sich hier
anlehnen, Burgen außerdem regionale Verteilungszentren. Schon im 9. Jahrhundert vermehren
sich die deutlich auch als Wirtschaftsplätze gekennzeichneten "Burgen" und ähnliche Zentren.
Der Handel mit den Normannen, wie stark er auch von räuberischen und freibeuterischen
Grundzügen getragen gewesen sein mag, hat sicher dazu beigetragen, neue Zentren, aber auch
neue Güter in die weitgesteckten Austauschbahnen der Wikinger einzubeziehen.
Zwei Güter immer überregional gehandelt: Salz, kommt selten vor, wird aber überall von
Mensch und Tier benötigt, und Eisen, ferner Sklaven (Sklavenmarkt von Verdun in der
14
Karolingerzeit).
Handel theoretisch unter Königsschutz - Durchführung des Schutzes bei den Grafen
(Geleitrecht bzw -pflicht). Daraus resultiert Recht zur Einhebung von Abgaben - Geleit und
Zoll entsprechen daher einander.
Luxusgüter für den König, für höhere Geistliche und reiche Feudalherren werden über weite
Strecken verhandelt, sind nicht als Anreiz zur Entwicklung des Fernhandels zu sehen..
Einige Edelsteine, etwas Gold und einige orientalische oder byzantinische Seidenstoffe, dazu
vielleicht Papier (Papyrus), Farben und einige Gewürze brachten dem Kaufmann zwar hohe
Gewinne, die Auswirkung solcher Austauschprozesse für die gesamte Wirtschaft waren aber
zu vernachlässigen.
Aufschwung des Handels viel eher durch etwas billigere, aber in größeren Massen bewegte
Güter. Bedeutung der "friesischen Tücher", der "pallia fresonica", im nordwestlichen Bereich
Kontinentaleuropas. Schon in der Spätantike im Gebiet der Rheinmündung ein entwickeltes
Tuchmachergewerbe. In fränkischer Zeit ähnliche Gewerbszweige, die teilweise schon zur Zeit
Karls des Großen eine beachtliche Qualität entwickelten. Entscheidend für Belebung des
Handels nicht das hochwertige Einzelprodukt, sondern eine größere Anzahl von Gütern.
Produktion von nicht unbedingt überlebensnotwendiger Güter nur möglich, wenn sie so
preiswert waren, dass sich ein Transport und Absatz über größere Strecken hinweg rentierte.
Potentielle Abnehmer mussten auch in etwas breiteren Kreisen zu finden sein - in Flandern
schon im 10. und 11. Jahrhundert. Zur gleichen Zeit entwickelte sich die oberitalienische
Tuchproduktion. Beide Zentren standen bald vor dem Problem der Beschaffung von
Rohstoffen.
Rückblende: im italienischen Bereich ursprünglich der Süden ökonomisch besser dran. Hier
blieben bis ins 11. Jahrhundert von der Spätantike her die Handelsverbindungen mit Byzanz
aufrecht. Konstantinopel, in jenen Jahrhunderten die einzige Großstadt Europas, bedurfte
immer eines intensiven Warenverkehrs - man musste Lebensmittel importieren, die eben zum
Teil aus Sizilien (solange es byzantinisch war) und Unteritalien kamen, und die Händler aus
Neapel, Amalfi, Salerno und Bari brachten dafür die Güter der Kaiserstadt nach Europa Produkte der kaiserlichen Manufakturen wie Seidenstoffe etc. Diese Verbindungen hielten an,
bis Unteritalien von den Normannen erobert wurde. In diese Verbindungen war auch das zum
Ostreich gehörende, seit dem 10. Jahrhundert faktisch selbständige Venedig eingebunden. Als
die Normannen nicht nur Süditalien eroberten, sondern Byzanz selbst angriffen gab Kaiser
Alexios Komnenos 1082 den Venezianern für ihre militärische Unterstützung in diesem Kampf
eine Zollbefreiung in allen Städten des Reiches. Damit waren die Süditaliener ausgeschaltet
und Venedig wurde die wichtigste Handelsstadt zwischen Byzanz und Europa.
Venedig : Zuerst Verkauf von Salz, das man in der Lagune erzeugte, gegen Lebensmittel
getauscht. Sklavenjagden an der Adriaküste - für islamische Harems zu verkaufen. Salz- und
Sklavenhandel begründen Venedigs Aufstieg.
15
11. Jahrhundert: Genua und Pisa vertrieben die Sarazenen sukzessive aus dem Tyrrhenischen
Meer und zogen seit dem 1. Kreuzzug erhebliche Vorteile aus den dadurch erschlossenen
Verbindungen zum Orient. Die militärische und politische Expansion dieser Städte ist sicher
nur zu verstehen vor dem Hintergrund des langsam ökonomisch erstarkenden Kontinents.
Pisa: Wichtiger Hafen, produziert Schiffe und Waffen (Eisen von der Insel Elba) ,
außerordentlich aggressive Expansionspolitik, stolz auf militärische Erfolge. Um 1100
führende Seemacht im westlichen Mittelmeer. Wichtige geistige Leistungen, u.a. durch
Leonardo Fibonacci (ca.1170 - ca. 1240) - Mathematiker, lernt in Algerien (Bajaja) arabische
Mathematik kennen, später Handelsreisen in die Levante. Hauptwerk: Liber abaci - Einführung
des Rechnens mit arabischen Ziffern. Bereinflusste Handelsleben (doppelte Buchführung nur
dadurch möglich), aber auch Theorie der Mathematik - ohne Leonardo abendländische
Mathematik nicht denkbar.
Genua, Pisa und Venedig beherrschen ökonomisch die Kreuzfahrerstaaten, ohne die
Beziehugnen zu den islamischen Fürsten dauerhaft zu belasten.
Vermehrter Handel bezieht Hinterland ein. Bestimmte Produkte des flachen Landes, wie
Schafwolle, erhielten plötzlich einen erhöhten Wert.
Flandern: schon im 11. Jahrhundert Import von Wolle aus England für Ausweitunfg der
Tuchfabrikation. Brügge wird der erste Hafen des Landes - Tausch von Produkten des Landes
gegen Lebensmittel und Luxusgüter aus Italien und dem Orient.
11. Jahrhundert auch für Belebung des Handels zentral. 1074 nennt Lampert von Hersfeld in
Köln 600 "mercatores opulentissimi".
Zwei Zentren - Flandern und Oberitalien - für überregionalen Handel und Exportgewerbe Das
Exportgewerbe drängt, soweit möglich, in die Handelsstädte oder in ihre Umgebung: Im 12.
und 13. Jahrhundert werden auf dieser Basis die flandrischen Städte (Brügge, Gent, Ypern,
Douai) zu Großstädten; dasselbe gilt für Siena und Florenz, ebenso wie für Mailand und andere
Städte der Lombardei.
Kontakt zwischen den beiden wirtschaftlichen Zentrallandschaften Europas: Schon im 11 .
Jahrhundert (2. Hälfte) Italiener in Frankreich, seit frühem 12. Jh. in Flandern, erwerben die
berühmten Tuche im Austausch gegen Gewürze, Seide und Schmuck aus dem Süden. Für den
überregionalen Handel nur feinste Qualität geeignet, um bei den hohen Transportkosten noch
immer Gewinne zu erzielen (ebenso wie bei Gewürzen, die in derselben Zeit fantastische
Gewinne ermöglichen).
Der eigentliche Ort der Begegnung zwischen Nord und Süden im 12. Jahrhundert die Messen
der Champagne. Solche Messen gibt es (mit Ausnahme jener von St. Denis bei Paris, die bis in
merowingische Zeit zurückreicht), in größerer Zahl erst seit der "Renaissance des Handels" im
11. und 12. Jahrhundert.
Messen = periodische Zusammenkünfte von Berufskaufleuten, Zentren des Austausches von
16
Waren
im
großen,
ohne
lokale
Zusammenhänge
und
Rücksichten.
Von
dieser
Zweckbestimmung her von den lokalen Wochen- und Jahrmärkten streng zu unterscheiden.
Massieren sich in typischer Weise am Treffpunkt zwischen den neuen merkantilen Zentren
Europas - dem Nordwesten und Italien - eben in der Champagne.
Für kontinuierliche Handelstätigkeit an vier Plätzen das ganze Jahr über, seit Beginn des
Frühjahrs, Messe gehalten: in Lagny, Bar-sur-Aube, Provins, Troyes. Am Ende des zur
Nordsee führenden Verkehrsweges wurden sie ergänzt durch die fünf flämischen Messen in
Brügge, Ypern, Lille usw. Champagner Messen standen unter dem besonderen Schutz der
Grafen der Champagne, wachten über Marktordnung und Marktgericht. Die Messen genossen
Freiheit von gerichtlichen Eingriffen der verschiedensten Art. Hier waren die kanonischen
Zinsverbote für die Zeit der Messen aufgehoben.
Den Höhepunkt der Champagner Messen: 2. H. 13. Jhs., im 14. Jh. langsamer Verfall
(kriegerische Auseinandersetzungen, beginnende Sesshaftigkeit der Kaufleute, die nunmehr
ihren Handel nur mehr leiteten, direkte Schifffahrtsverbindung zwischen Italien und dem
Nordwesten).
Wichtig wurden die Messen für neue Formen des Finanzwesens.
Auf Grund der bei komplizierteren Austauschverhältnissen häufiger vorkommenden
Übertragungen von Zahlungsverpflichtungen und Empfangsrechten wurden gerade an diesen
überregionalen Handelszentren erstmals nördlich der Alpen Wechsel (seit 12. Jh.) verwendet.
Wechsel und andere Kreditbriefe bei Geldwechslern deponiert - das waren auch die ersten
Leute, von denen man erwarten konnte, dass sie ihnen übergebene Wechsel auch tatsächlich
einlösen konnten.
Ausweitung des Handels im 12. Jahrhundert von einer spürbaren Geldknappheit begleitet - erst
das Kuttenberger Silber (Kutná Hora, Tschech. Rep.) hat im 13. Jahrhundert dieser Knappheit
abgeholfen. Geldknappheit als Hintergrund der enormen Zinssätze. Kirchliche Zinsverbote werden umgangen, indem man in den Schuldschein eine doppelt so hohe Summe als Schuld
eintrug, als der Gläubiger tatsächlich geliehen hatte. Oder indem man das Kreditgeschäft in die
Form eines Rentenkaufes kleidete: Der Gläubiger kaufte beim Schuldner eine Geld- oder
Naturalrente, deren Ergebnis eben de facto eine hohe Verzinsung des Darlehens bedeutete.
Im 13. Jahrhundert Geldwesen an Plafond seiner Entwicklungsmöglichkeit angelangt.
Abwertung der byzantinischen Goldsolidi ("besants"), die im Handel mit Außereuropa als
Leitwährung gedient hatten. Folge: Einführung eigener europäischer Goldwährungen - Florenz
erste Stadt mit Goldprägung, dieser "Gulden" in Mitteleuropa noch lange als "Florin"
(abgekürzt fl.) bezeichnet.
Quantitative Beurteilung: Listen von Zoll- oder Mautstätten vor dem 13. Jahrhundert höchst
bruchstückhaft überliefert. Hochmittelalterlicher Handel soll sich quantitativ zu jenem des 16.
und 17. Jahrhunderts wie 1 : 5 verhalten haben.
Literatur:
17
Zum grundsätzlichen die Handbücher, wie Gebhardt, Propyläen-Weltgeschichte usw., ferner
Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation, Bd. 2, 1976 (Taschenbuchausgabe).
Zur Territorialbildung im Reich gibt es zahlreiche Arbeiten, zusammenfassend bei Bosl in
Gebhardt angeführt.
2.6. Das europäische Städtewesen
2.6.1. Vor- und Frühformen der europäischen Stadt
Das europäische Städtewesen nicht plötzlich im 11. oder 12. Jahrhundert "erfunden". Man wird
überhaupt den Gegensatz städteloses Früh- gegen städtereiches Hochmittelalter nicht
übertreiben dürfen. Die eigentliche Blütezeit der Städte war zweifellos das Spätmittelalter, also
das 13. bis 15. Jahrhundert. Andererseits gab es auch vor dem 11. Jahrhundert zahlreiche
Siedlungen, in denen man Funktionen zentriert sieht, wie sie auch späterhin für die europäische
Stadt typisch waren. Weite Gebiete Europas - Italien, die Pyrenäenhalbinsel, Süd- und
Südwestfrankreich - verloren die grundlegende urbane Orientierung der Antike niemals ganz.
- Die städtischen Kontinuitätsgebiete Mediterran-Europas
Im 4. bis 6. Jahrhundert militärische Funktionen der spätantiken Städte im Vordergrund. In
Spanien, Gallien und in den Rhein- und Donauprovinzen wurden Stadtmauern errichtet.
Gleichzeitig Befestigung anderer Siedlungen und Herrenhöfe sowie Straßenstationen. Städte
verloren mit der Agrarisierung des Wirtschaftslebens, mit der Übersiedlung der Mächtigen
aufs Land usw. ihre zentrale Funktion im Verwaltungs- und Wirtschaftsleben. Aber: Bischöfe
sitzen weiterhin in den civitas-Zentren, üben hier Verwaltungsfunktion aus. Dennoch
Funktionsschrumpfung und Schrumpfung der Stadtgebiete: Stadtfläche von Bologna ging von
70 auf 25 ha zurück.
Spanien: Auch hier Kontinuität mit Schrumpfung. Durch Arabereinfall und Reconquistä wird
das hoch- und spätmittelalterliche Städtewesen doch im wesentlichen aus neuen Strukturen
resultieren.
Anders in Gallien: Im Süden und Südwesten antikes Städtewesen weithin erhalten. Städte sind
befestigt und Bischofssitze. Bis ins 8. Jahrhundert Zentren eines bescheidenen wirtschaftlichen
und kulturellen Austausches. Wehrfunktion auch hier stark in den Vordergrund getreten:
Gregor von Tours am Beginn des 7. Jahrhunderts fragt, warum das "castrum" Dijon, ein zu
einer Befestigung ausgebauter "vicus", in das sich noch dazu ein Bischof gesetzt hatte, nicht
als "civitas" gelten sollte ("quae cur non civitas dicta sit, ignoro"). Beibehaltung der
spätantiken
gleichzeitig
Städtisches
gesprochen
Struktur, deutliche Bedeutungsreduktion der Städte auf die Schutzfunktion,
Vermehrung der befestigten Punkte (als möglicher Ansätze für spätere Städte).
Zentrum und Umland beginnen im Frankenreich auseinander zufallen: Grob
erhält der Bischof die Stadtherrschaft, während der Graf den pagus, das flache
18
Land beherrscht - ein wichtiger Unterschied zur Antike!
Nördlich der Seine und im Rheingebiet - Kontinuitätsfrage noch komplizierter. Nicht nur
topographische Kontinuität sicher in Köln und Trier, wo es gewisse Bevölkerungs- und
Funktionskontinuitäten gab. Anders an der Donau: Hier boten die römischen Baurest zwar
Anregung für spätere neue Anlagen, aber kaum direkte Kontinuität. Insoferne eine "Stadt" in
unserem Sinne aber eine multifunktionale zentrale Siedlung ist, wird städtische Kontinuität nur
dort vorliegen, wo sich mehr als eine zentrale Funktion kontinuierlich feststellen lässt.
Wirtschaftlich sind alle diese "städtischen" Siedlungen häufig nicht mehr als befestigte Nester,
zumeist auf die Nahmarktfunktion reduziert: Das ländliche Umland wird von hier aus mit den
unentbehrlichsten nichtagrarischen Gütern versorgt, zugleich nimmt das "städtische" Zentrum
dafür einige landwirtschaftliche Güter auf. Betonung der Verteidigungsfunktion zog häufig
eine Siedlungsverlegung an geschütztere Plätze nach sich.
- Vor- und frühstädtische Formen außerhalb und am Rande des Imperiums
Seit dem 6., deutlich seit dem 8. Jahrhundert ziemlich große und weitläufige Siedlungen mit
wichtiger Rolle im überregionalen Warenaustausch spielen: "portus", was auf eine
Hafenfunktion hinweist (daher niederländisch "poorter" für deutsch "Bürger", englisch
"portsmen"); oder "vicus", was eine Latinisierung eines germanischen Wortes "-wik" ist, der
sich verschiedentlich als Bestandteil gerade in Ortsnamen solcher Siedlungen findet (Quentowik, Bardowik). Zumindest ursprünglich mangelt ihnen zumeist eine Befestigung, obgleich
eine Fluchtburg häufig in der Nähe ist. Erst seit dem 10. Jahrhundert werden die "Wike" häufig
ummauert. Die wichtigsten Siedlungen dieses Typs waren Quentowik am Fluß Canche in
Nordfrankreich, Dorestad in der Verzweigung von Rhein und Lek (heute Holland), Bardowik
bei Hamburg, Haithabu bei Schleswig, Birka am schwedischen Mälarsee.
Die "Wike" haben eine spezifische Verwaltungsorganisation (praefectus oder comes vici). Sie
sind Treffpunkte der Fernhändler, haben aber auch ein sesshaftes Element und zumeist auch
Funktionen im Nahmarktbereich. Dorestad, Haithabu, aber auch Hamburg, waren im 9.
Jahrhundert schon dicht bebaut. Soferne sie im 10. Jahrhundert auch eine Befestigung erhielten
(Hamburg, Haithabu, Birka, Aarhus in Dänemark), sind sie der "eigentlichen" mittelalterlichen
Stadt schon nahegerückt.
Seit dieser Zeit erfüllten diese Plätze fast alle Funktionen früher "Städte": Viele sind als
Zentralorte der kirchlichen Organisation nachweisbar. Häufig sind sie politische Zentren
(Birka Dingplatz für einen Teilbezirk des Schwedenreiches, Hamburg Vorort des Gaues
Stormarn, Haithabu "Oppidum capitale" der Landschaft Anglia). Dazu Fernhandelsfunktionen.
Die im 9./10. Jahrhundert errichteten Verteidigungsanlagen setzen eine Organisation der
Bevölkerung für diese Zwecke voraus. Neben freien Kaufleuten und vielleicht auch
Handwerkern gibt es Unfreie, vor allem der kirchlichen Grundherren. Ein Präfekt oder Graf hat
offenbar die militärische Führung, daneben aber auch wirtschaftliche Aufsichtsrechte inne
(zumindest im Raum des fränkischen Reiches).
19
Neben dem Grafen ist mehrfach ein Ding (placitum - Gerichtsversammlung) der Ortsbewohner
bezeugt. Dazu die Organisation der Gilde für die Kaufleute (viell. seit 9. Jahrhundert, sicher
belegt seit 10. / 11. Jh. in Haithabu, Tiel, Sigtuna).
Gilde: Einrichtung aus germanischer Rechtstradition. Sie dient im wesentlichen dem Schutz
von Leuten, die in keinem festen siedlungsmäßigen, herrschaftsmäßigen oder
Verwandtschaftszusammenhang stehen, also mobilen Elementen, wie eben Fernkaufleuten.
Neben der Schutzfunktion hatte die Gilde auch religiös-kultische Aufgaben. Sicher bot die
Gildeorganisation neben dem Ding eine zweite genossenschaftliche Organisationskomponente
neben der herrschaftlichen des Grafen.
Der wesentliche Unterschied zur hochmittelalterlichen Stadt besteht, soweit man das heute
sehen kann, in zweierlei:
1) haben die "Wike" offenkundig in der Regel zwar mehr als eine, aber fast nie alle städtischen
Funktionen ausgeübt.
2) sind die meisten von ihnen verschwunden. Diese Instabilität hängt mit der gering
ausgebildeten Multifunktionalität offenbar zusammen. Fernhandelszentren mussten sich nach
natürlichen
(Versumpfung
oder
Verlandung)
oder
gesellschaftlichen
(Bevölkerungsschrumpfung oder -Wachstum, Schwerpunktsverlagerung infolge politischer
Ereignisse) richten. Die geringe Stabilität bietet Möglichkeit von Siedlungsverlegungen - fast
überall gibt es vollstädtische Nachfolgesiedlungen, bzw. ganze Ketten von verlegten,
funktionell einander abfolgenden Siedlungen (Helgö-Birka-Sigtuna-Stockholm; HaithabuSchleswig; Quentowik-Montreuil; Dorestad-Tiel-Utrecht (Deventer), Bardowiek-Hamburg).
Neben diesen "Wiken" im Merowingerreich solche im Anschluss an römische Siedlungen.
Dabei handelt es sich häufig um Kaufleutesiedlungen im Anschluss an aus römischer Wurzel
stammende "castra" oder "civitates". Typische Polarität von Befestigung und ökonomischer
Funktion.
- Von den karolingischen "Burgen" zur Stadt des Hochmittelalters
"Burg" - althochdeutsches Wort bezeichnet nicht die adelige Höhenburg, sondern jenen
Siedlungstypus, den wir als "Stadt" verstehen. Erst im späteren 12. Jahrhundert wird diese
Bezeichnung auf die adelige Befestigungsanlage ohne ökonomische und sonstige zentrale
Funktionen konzentriert werden, während für die multifunktionale zentrale Siedlung der
Begriff "Stadt" aufkommt.
Dass im Althochdeutschen "Burg" soviel bedeutet wie für uns "Stadt" unterstreicht der
Heliand, in dem die antiken und vorderasiatischen Städte als "Burgen" übersetzt werden
(Romaburg, Jerichoburg, Sodomoburg, Hierosolymaburg, Nazarethburg). Hier heißt es
übrigens auch an einer Stelle, dass sie zur Burg gingen, um irgendetwas einzukaufen deutlicher Hinweis auf die selbstverständlich mitgedachte Nahmarktfunktion solcher "Burgen".
Aber auch die aus alten römischen Siedlungen entstandenen oft direkt kontinuierlich
entwickelten frühen Städte tragen diese Burgbezeichnung (Kolnaburg aus Colonia
20
Agrippinensis, Regensburg aus Castra Regina, Augsburg aus Augusta Vindelicorum).
Alle diese Burgen nicht bloße Befestigungsanlagen, sondern bevölkerungsreiche Plätze mit
einer Reihe von Funktionen, insbesondere der Marktfunktion. Dualismus der Funktion auch
topographisch sichtbar: Markt liegt in der Regel außerhalb der geschützten Anlage. Das kann
zu einem Auseinanderfall von Burg und zugehörigem Markt führen. Oftmals folgt aber der
Handel als das mobilere Element der Befestigung. Auch "castra" auf ehedem römischen Gebiet
haben oft unbefestigte Marktsiedlungen. Solche Marktsiedlungen extra muros, sogar bei
römischen "civitates" schließen oftmals an alte christliche Kultstätten (Heiligengräber, Klöster)
an.
Gegenüber den "Wiken" sind die Burgorte der Karolingerzeit durch größere Stabilität
gekennzeichnet. Auch hier vereinzelt Siedlungsverlegungen (Büraburg - Fritzlar), aber im
allgemeinen Konstanz zu richtigen "Städten": Bei Erfurt, Magdeburg und Würzburg sind nur
mehr Verschiebungen auf engerem Raum festzustellen.
Die hier angesprochene Marktfunktion ist bei allen diesen Burgmärkten ohne besondere
rechtliche Verleihung festzustellen. Erst seit dem 9. Jahrhundert erteilten die fränkischen
Könige Marktprivilegien, zumeist an geistliche Feudalherren im Zusammenhang mit
Immunitätsprivilegien.
Für das frühe 10. Jahrhundert aus dem österreichischen Raum ein einmaliges Quellenzeugnis
über die Ordnung des Marktwesens, die Zollordnung von Raffelstetten (904 - 906). Geregelt
wird die Besteuerung des offenbar ziemlich bedeutenden Handelsverkehrs mit Salz
(Reichenhall, Salzkammergut), Vieh, Sklaven und anderen Gütern durch die königlichen
Amtsträger in den drei Grafschaften des Markgrafen Aribo. Den drei Grafschaften entsprechen
die drei Donauzölle in Linz, "Eparesburg" (wahrscheinlich Ybbs) und Mautern. Die Zollstätten
decken sich mit den rechtmäßigen Marktorten, d.h. jenen Plätzen, wo unter königlichem
Schutz Markthandel getrieben werden durfte und wohin auch die öffentliche (gebotene) Straße
führte.
Das Marktwesen als für die Stadtentstehung wichtige Funktion kann in seiner periodischen
Gestaltung unterteilt werden in
a) Jahrmärkte und Messen
b) Wochen- und tägliche Märkte.
Dabei sind für die Stadtentstehung nur die in kurzen Abständen stattfindenden Märkte
(Wochenmarkt, täglicher Markt) von Bedeutung. Jahrmärkte und Messen bedürfen zunächst
nicht des regelmäßigen Schutzes und der Dauersiedlung, sondern können auch an
unbesiedelten Orten (Bergeshöhen, Friedhöfen, verschiedentlich an Plätzen antiker Märkte!)
stattfinden, die für die Zeit des Marktes einen Sonderfrieden erhalten. Rregelmäßiger Markt
braucht dauernden Schutz und als Hintergrund eines regelmäßigen Warenaustausches dauernde
nichtagrarische Siedlung.
In der Regel ist der Ansatz solcher nichtagrarischer Dauersiedlung in einem Burgzentrum einer
Region (eines Gaues oder Burgbezirkes) mit der Anwesenheit eines Grafen oder von
21
ständigem Militärpersonal gegeben. Und im Schutze dieser Anlage konzentriert sich früh ein
spezialisiertes Handwerk, soweit es - sozial gesehen - freier Herkunft ist.
Ottonen und Salier setzen Marktregal durch. Neugründungen von Märkten werden von
königlicher Genehmigung abhängig. Reichskirchensystem der Ottonen und Salier in verändert
durch Immunitätsverleihungen und Herrenvogtei grundsätzlich die ältere Raumstruktur. Den
geistlichen Herrschaftsträgern als nicht primär wehrhaften Personen mussten Funktionen, die
mit Schutzleistungen zusammenhingen, wohl eigens verliehen und bestätigt erhalten: Daher
die häufige Verleihung von Befestigungsrechten, aber auch von Markt, Zoll und Münze an
geistliche Herren.
Zentral: Schaffung eines eigenen Rechtsbereiches für die privilegierte Marktzone, die
Marktimmunität. Der Bann (Gerichtsbezirk)der Marktimmunität ist fest abgegrenzt, er umfasst
den Bereich (die Gemarkung) einer "Burg" oder aber auch einer königlichen "villa" (bes. im
Westen). Das hatte sicher Folgen für die schon angesprochene Trennung von Stadt und Land.
Der abgetrennte Friedensbereich musste notwendig ein eigener Gerichtsbezirk werden, der
inhaltlich ein Recht entwickeln musste, das sich vom ländlichen seiner agrarischen Umwelt
unterschied.
Ähnliche Strukturen auch für die westslawischen Gebiete. Auch hier ist die ältere Stadt- und
Burgbezeichnung identisch (gorod, hrad usw.). Auch hier gibt es offenbar an handelsgünstigen
Plätzen ursprünglich nicht oder kaum befestigte Plätze mit überwiegender Handelsfunktion
(Menzlin, Wollin - in Pommern od. Mecklenburg). Daneben aber ist der wichtigere Ansatz
zweifellos der der Stammes- oder Gefolgschaftsburgen teilweise erheblichen Ausmaßes, die
bei frühstaatlicher Konzentration städtische Formen annehmen konnten. Die eigentümliche
Tatsache, dass sich im westslawischen Bereich verschiedentlich auf engem Raum mehrere
Burgen bzw. Suburbien in Korrespondenz zueinander entwickelten (wofür später Prag das
beste Beispiel bilden sollte), zeigt sich hier schon an ausgegrabenen Zentren des
Großmährischen Reiches (bei Stare Mesto bzw. Mikulčice oder Nitra).
Im 10./11. Jh. im westslawischen Bereich zweite Welle "Burgen"-Entstehung. Diese sowie die
ungarischen Burg-Orte sind gerichtliche, administrative, militärische und ökonomische
Zentren eines bestimmten Gebietes - die Analogie zu den früheren Burgzentren von Gauen im
Westen ist ganz deutlich. Auch die Ortsnamen weisen darauf hin: Die slawischen
Bezeichnungen wie "grod", "-gorod", "-hrad" ebenso wie das ungarische "-vár" heißen "Burg"
in jenem Sinne wie im gleichzeitigen Althochdeutschen.
Im nordischen Bereich sind ebenfalls im 9./10. Jahrhundert neue Ansätze zur Städtebildung
festzustellen. Dabei spielen Vorbildformen vorab aus dem angelsächsischen Bereich eine Rolle
(Lund angeblich nach dem Vorbild Londons!). Eine Stadtgründung König Olafs des Heiligen
zu Beginn des 11. Jahrhunderts erfolgte nach der Schilderung von Snorris Königsbuch durch
die Errichtung eines von einem Graben umgebenen Walles von Steinen, Erde und Torf, durch
die Anlage eines Handelsplatzes innerhalb der Umwallung und durch die Erbauung einer
Königsburg, einer Kirche und weiterer Häuser - alle charakteristischen Bestandteile der frühen
22
Burgstädte vorhanden, das gesamte Ensemble von einer umfassenden Befestigung geschützt.
Die Besonderheit der nordischen frühen Städte ist die Kaufmannskirche. Oftmals (Sigtuna)
lassen sich mehrere Kirchen in solchen Anlagen nachweisen. Es handelt sich dabei um die
kultischen Mittelpunkte der verschiedenen Kaufleutegenossenschaften, die den Ort besuchten.
Gleichzeitig dienten sie als Warenlager.
In England gibt es eine bestimmte Tradition aus der Spätantike, freilich ist die Frage nach der
Intensität der Kontinuität umstritten. Die "castra" ("cair") als reduzierte civitates oder
Neuanlagen setzen sich in Siedlungsnamen wie Leicester, Worcester, Colchester, Rochester,
Winchester etc. fort. Im selben Sinne ist die Bezeichnung "-burh" (= "-burg") zu verstehen.
Viele dieser "-burh"-Siedlungen gehen auf Alfred den Großen und seinen Sohn Edward
zurück. Es handelt sich um größere Festungsanlagen für größere Mannschaften. Sie waren aber
auch zumeist Münzstätten, was auf zusätzliche ökonomische Funktionen schließen lässt.
Der zu "-borough" weiterentwickelte Burgbegriff zeigt alle Merkmale der frühen Burgstädte
auch Kontinentaleuropas. Burgorte sind königlich, häufig sind sie Zentren von älteren
Kleinstammgebieten: Canterbury ist die Burg der Leute von Kent ("Cantwarabyrig"). Burgen
sind politische, gerichtliche, kirchliche und wirtschaftliche Zentren. Im Domesday-Book (um
1085) erstmals ein statistischer Hinweis auf die Größe der frühen englischen Städte: London
soll 12000, York 8000, Norwich und Lincoln je 5000, Thetford 4000 Einwohner gehabt haben.
- Ausbildung und Ausbreitung der hochmittelalterlichen Stadt
Bevölkerungswachstum, Expansion und bessere Bedingungen für regionalen und
überregionalen Austausch (Zurückdrängung des Islams, Ende der Einfälle von außen) fördern
die kleinräumige ebenso wie die überregionale Arbeitsteilung. Von der Renaissance des
Handels war schon die Rede, ebenso von der damit zusammenhängenden Ausbildung zweier
neuer gewerblichindustrieller Zentren in Flandern-Brabant einerseits, in Oberitalien
andererseits. Freilich darf man das europäische Städtewesen nicht allein nach seinen
glanzvollsten Exemplaren, wie Venedig, Siena, Florenz, Brügge oder Cent beurteilen. Daneben
steht eine Unzahl kleiner, nicht exportorientierter und fern vom Fernhandel existierender
bürgerlicher Gemeinwesen. Herrschaftssitz und Zentrum des regionalen Austausches zu sein
war offenbar auch schon Anregung genug in dieser Phase der europäischen
Gesellschaftsentwicklung, um städtische Eigenheiten auszubilden. Darüber hinaus darf nicht
vergessen werden, dass die deutlichen Vorteile der städtischen Existenz ja sehr bald bewusst
wurden und schließlich zu gezielten Gründungsakten geführt haben. Damit entstehen, seit dem
11. Jh. etwa, jetzt nicht mehr irgendwelche Zentren, sondern durchaus "Städte" im Sinne einer
durch Mauer und mehr oder minder autonome Gemeinde gekennzeichneten zentralen
Ansiedlung.
Bischöfe blieben städtisch orientiert. Im westfränkischen Reich und in Oberitalien erhielten die
Bischöfe meist Grafenrechte (Gerichtshoheit, militärisches Aufgebot) in der Stadt, die Grafen
werden aufs Land verwiesen, woraus der Begriff "contado" (von comitatus) herrührt (und
23
natürlich die Tendenz der weltlichen Herren, dort neue Zentren anzulegen!).
In Flandern schon im 10./11. Jahrhundert "castra" Stützpunkte der gräflichen Herrschaft,
verdichtet sich hier zuerst nördlich der Alpen gerade auf der Basis der Stadtentwicklung zu
einer territorialen. Gent und Brügge die wichtigsten "Burgen". Ein solches "castrum"
umschloss fünf für die Herrschaftszentrale wichtige Teile: (a) die Residenz der Grafen (bzw.
seines Kastellans), (b) Verwaltungsgebäude und Gerichtshalle, (c) Speicherbauten für die
Erträgnisse der benachbarten Domänen, (d) eine Kapelle mit einem Kanonikerstift als
geistlichem Mittelpunkt und (e) Räume für die Burgbesatzung. Markt und Bürgersiedlung
lagen außerhalb der Ummauerung. Die Burg wird zum Zentrum eines Gerichts-, Verwaltungsund Domänenbezirkes - damit wird die entstehende Stadt zum Zentren einer modernstaatlichen
territorialen Durchdringung des Umlandes.
Bischofsstädte in Deutschland kennen Dualismus von Bischofssitz und Marktsiedlung. In Köln
sitzt der Bischof innerhalb der römischen Ummauerung, die Kaufmannssiedlung ist außerhalb.
Desgleichen in Trier. Wallfahrten zu besonders wichtigen Heiligen (von denen sich natürlich
jeder Bischof einen zu sichern suchte), wie zu den hl. drei Königen in Köln. Dualismus von
befestigtem Kern = Herrschaftszentrum und Suburbium in verschiedene Variationen. Die
wichtigsten Variablen sehen etwa so aus:
Alstädtischer
Kern
Bischofssitz
m.
Römermauer
Bischofssitz inmitten einer fam. Befestigung
Königspfalz
Befestigter Königshof
Dynastenburg
Befestigtes Stift oder Kloster
Suburbium
Kaufmannssiedlung
"emporium")
Marktsiedlung
Kommerziell
Handwerkersiedlung
("vicus",
"portus",
orientierte
24
Lateinisches Wort "burgus" nicht simple Latinisierung des germanischen "burgs" Bedeutungsumwandlung: "Wehrturm, Kastell". Im FMA "burgus" auch in der Bedeutung
"castrum" verwendet, aber im Loire - Saône - Rhone - Gebiet mit der Bedeutung
"Siedlung außerhalb der Mauer", etwa im 9./10. Jahrhundert. Von hier verbreitet sich
dieser Bedeutungsinhalt nach Südfrankreich, Spanien und Oberitalien, wo "borgo" auch
die Vorstadt bedeuten sollte. Im späten 11. und 12. Jahrhundert dringt das Wort nach
Norden vor, wo man geradezu den unbefestigten, aber häufig rechtlich hervorgehobenen
Gründungsmarktflecken mit "bourg" bezeichnet.
Dass nun der diesen "burgus", vor allem den vor der "civitas" gelegenen, bewohnende
"burgensis" dann im Hochmittelalter als eigentlicher Träger des städtischen Lebens
erscheint ("civis" tritt dagegen in den Hintergrund, bedeutet oft nur den Kleriker im
Gegensatz zum Laien), ist ohne Zweifel darauf zurückzuführen, dass zur selben Zeit die
vorstädtische Siedlung in den Mauerring einbezogen wird und zum ökonomischen Kern
der ganzen, neuen städtischen Anlage wird.
Etwas anders entwickelt sich die Bedeutung von "Burg" in Deutschland. Im Norden wird
der Begriff relativ früh auf die Befestigung begrenzt. Für die vorstädtische Siedlung wird
"wik" verwendet, im Süden hält sich dagegen die beide Teile umfassende Burgbedeutung
länger.
Neuer Begriff für ein neues Phänomen: Um 1080/1100 Begriff "stat". Um 1170 hat er
sich voll durchgesetzt (literarischer Beleg: Heinrich von Veldeke). Jetzt wird "burgensis"
der Bewohner der auch rechtlich gefreiten Siedlung, im Deutschen wird "burgaere"
immer seltener für den militärischen Burgmann, immer häufiger und deutlicher für den
Stadtbewohner schlechthin verwendet (analog zu burgensis, während im Deutschen
"Burg" jetzt immer mehr ausschließlich Herrensitz bezeichnet). Ähnliche
Begriffsverlagerungen gibt es mit zeitlichen Verschiebungen auch im westslawischen und
im ungarischen Bereich. Hier tritt für die neuen städtischen Siedlungen ebenfalls ein
neuer Begriff auf: Im Polnischen, Tschechischen und Slowenischen heißt es jetzt
"miasto" , "miesto" bzw. mesto, anstatt des älteren, zur Burg-Schloßbezeichnung sich
verengenden "grad", "hrad" oder "grod". Im Süd- und Ostslawischen, wo dieser Wandel
nicht stattgefunden hat, bleibt "gorod" die führende Stadtbezeichnung, nur im
Ukrainischen findet sich, aus dem Polnischen entlehnt "misto". Im Serbischen und
Bulgarischen bleibt "-grad" die Stadtbezeichnung (Belgrad).
Im Ungarischen gibt es ebenfalls eine Weiterentwicklung. "Var" wird zur Bezeichnung
für die Burg-(Schloss), aber die neue Stadtbezeichnung "város" ist doch deutlich davon
abgeleitet (und wurde auch ins Bosnische übertragen). Daneben wird aber auch,
wenngleich in weniger präziser Bedeutung als im Deutschen, ebenso wie in dieser
Sprache ein neuer allgemeiner Begriff eingeführt, nämlich "-hely", der dasselbe bedeutet
wie "stat" im Deutschen, nämlich "locus". In diesem Zusammenhang sei auf die Stadt
Szombathely - Steinamanger verwiesen (was evtl. soviel wie "Samstagsmarkt" bedeutet).
Im Englischen blieb "borough" als Stadtbezeichnung, um erst später durch "city" und
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"town" verdrängt zu werden. Die Herrenburg als normannisches Importgut im
angelsächsischen England sofort mit dem aus dem Lateinischen stammenden Begriff
(castellum - chateau - castle) bezeichnet, sodass der Burgbegriff auch für die zur
Vollstadt weiterentwickelten Siedlungen zunächst verbleiben konnte.
Im 11./12. Jahrhundert, in Ostmitteleuropa etwas später, fand somit auch begrifflich die
Umwandlung der alten Burgzentren zu "Städten" statt - die Sprachen reflektieren den
sozialen Wandel mit nur geringer zeitlicher Verspätung. Fast gleichzeitig beginnt nun
auch die systematische Gründung der als neuartig begriffenen Siedlungstypen: Die
europäische Stadt erweitert ihren Bereich durch eine breite Welle von Städtegründungen.
Älteste Welle solcher Gründungen in Spanien: "poblaciones" als Mittel der
Herrschaftssicherung unter militärischen Aspekten im Bereich der Reconquista - es gilt
für den städtischen Bereich dasselbe wie für den ländlichen - und die "fueros", die
berühmten Gründungsbefreiungen, gab es nicht nur für ländliche, sondern auch für
städtische Neugründungen. Frühes Beispiel - aragonesische Stadt Jaca: Anknüpfen an
ältere Einrichtungen, an eine ältere Burg, die auch Bischofssitz und Kloster, Markt und
Zoll eingeschlossen hatte. Die Gründungsstadt umfasst gesellschaftliche "milites" des
Königs, also militärische Funktionsträger, "burgenses", nichtmilitärische, vollberechtigte
Gemeindemitglieder, die später von einer Oberschicht der "vicini meliores" abgelöst
wurden und eine Unterschicht aus Sarazenen und Sklaven, die natürlich nicht zur
Gemeinde gehören. Diese Siedlungstypen werden dann im 12. und 13. Jahrhundert noch
in größerer Zahl gegründet.
Im französischen Bereich seit dem 11. Jahrhundert eine Welle von Städtegründungen.
Zeitlich voran: Süden und Südwesten. Hier heißen sie "salvitates", während im Westen
und Nordwesten der Begriff "bourg" verwendet wird (Ökonomisches Zentrum eines
herrschaftlichen Gebietes, meist ein Zentrum des Landesausbaues und der Rodung,
häufig Pfarrsitz). Fast alle Gruppen weltlicher und geistlicher Feudalherren schufen
solche Zentren. Freilich sind sie, trotz Mauer und wirtschaftlicher Vorrechte, nicht alle zu
"Städten" geworden - viele sind nach unserem Empfinden nur Marktflecken geblieben
("bourgs-à-chateau"). Es kommt eben darauf an, wer eine Stadt zu gründen versucht, das
heißt aber auch, wie groß jenes Gebiet ist, dem die Stadt als Zentrum zu dienen hat, ob
ihr Herr ihre Stellung gegen mächtigere Nachbarn verteidigen kann usw. Offenbar haben
aber die französischen Feudalherren schon die Rolle begriffen, die den neuen Städten im
feudalen Konkurrenzkampf bzw. im Rahmen der Überwindung der feudalen
Zersplitterung zukam.
11. Jahrhundert Gründungen in Flandern und Brabant, neben den Grafen vor allem die
Kaufmannschaft tragendes Element der Stadtgründung. Die bedeutendste Brabanter
Stadtgründung Hertogenbosch wird 1196 erwähnt. In England expandieren die alten
Burgzentren ebenso wie neue gegründet werden. Städtegründer sind neben dem König
auch die großen normannischen Feudalherren, im 12. Jahrhundert und in den dünner
besiedelten Regionen des Südwestens.
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Im deutschen Bereich wird Naumburg an der Saale um 1030 als älteste Gründungsstadt
bezeichnet - freilich handelt es sich hier offenbar noch um einen weiterentwickelten
älteren Burgtypus. Dagegen sind die südwestdeutschen Gründungsmärkte Allensbach
(1075), Radolfszell (1100) und Schaffhausen schon eher zur Stadtgründungswelle zu
zählen, die mit Freiburg im Breisgau (um 1120) eingeleitet wird. Freilich ist die berühmte
Freiburger Gründungsurkunde eine Fälschung aus späteren Jahrzehnten, sodass man nicht
alles so ernst nehmen kann, was da drin steht. Für die Zeit um 1180 aber realistisch:
Herzog Konrad von Zähringen erklärt (angeblich 112o), er habe auf seinem eigenen
Grund einen Markt gegründet. Weiters habe er angesehene Kaufleute von überall her
herbeigerufen und mit ihnen einen Schwurverband konstituiert. Jeder Neuankömmling
bekommt ein Hausgrundstück von 50 mal 100 Fuß zu Erbzinsleihe gegen einen Schilling
Jahreszins. Hier dominiert die ökonomische Seite, Marktfunktion steht ganz im
Vordergrund, während in Spanien doch noch das militärische eine recht große Rolle
gespielt hatte. Die neuen Gründungsstädte sind Zentren neuer Territorialherrschaft nicht
mehr so sehr als Burgen, sondern als wirtschaftliche Zentren, die dem Herrn wichtige
Einkünfte garantieren und darüber hinaus in der Bürgerschaft ein Gegengewicht gegen
das adelige Element in den werdenden Territorien darstellen.
Erfolg einer Gründung umso eher, je früher sie erfolgte und je höher in der feudalen
Hierarchie der Städtegründer rangierte. Besonders die wirtschaftlichen Rechte waren ja
nur zu sichern, wenn der Stadtherr die effektive Machtchance hatte, die zugesicherten
Rechte auch durchzusetzen, d.h. also ein allfälliges Niederlagsprivileg und einen
allfälligen Straßenzwang zugunsten der gegründeten Stadt auch zu garantieren und zu
erzwingen. Städtegründungen nur im Zusammenhang mit der Ausbildung territorialer
Fürstentümer zu verstehen, seien es solche der Könige wie in Spanien, Frankreich oder
England, seien es solche der großen Feudalherren wie in Deutschland oder seien es
letztlich - wie in Oberitalien - solche der Städte selbst. Hier, in Oberitalien, treten die
Städte selbst wieder als Gründer auf (Alessandria, Bundesfestung der Lombarden gegen
Friedrich Barbarossa, 1167). Die Gemeinde Vercelli hat 1210 ein "burgum" erbaut, das
eine Kirche erhielt und durch Gräben und Mauer mit vier Torburgen bewehrt sein sollte.
Ein Markt und Straßenverbindungen wurden eingerichtet. Diese Gründungen gehören
nicht nur zu den Versuchen der Städte, ihr Territorium machtpolitisch abzusichern
(Befestigung!), sondern auch wirtschaftlich insbesondere die landwirtschaftliche
Nahversorgung durch solche "borghi" zu sichern.
- Emanzipation der Städte von ihren Herren
1) Kaufmannsgilden.
Kaufmannsgilden - Schutzverbände von mobilen freien Leuten, bilden in Nordwest- und
Nordeuropa Vorbild für spätere Schwurvereinigungen. Als Schutzvereinigungen wandeln
sich die Kaufmannsgilden zu wirtschaftlichen Monopolen. Wollen eigenes Recht für sich
in Anspruch nehmen und durchsetzen, (gegen gerichtlichen Zweikampf als Form des
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Gottesurteiles!): Ersetzung solcher Bestimmungen durch Reinigungseide gehört zum
wesentlichen Bestand früher Stadtrechte. 11. - 13. Jh. - Kaufmannsgilden gut belegt, so in
Köln und in St. Omer. Kommunale Betätigung der Gilden nicht belegt - und in der
großen Mehrzahl aller Städte gab es solche Gilden auch gar nicht.
2) Die Gerichtsgemeinde.
Fränkische Gerichtsverfassung - im Urteilsfinderkolleg (Schöffen) genossenschaftliche
Komponente. Städte bildeten eine eigene Gerichtsgemeinde aus - wichtige Stufe in der
Ausbildung städtischer Autonomie. Trennung im Westen schon in spätkarolingischer Zeit
(ebenso in Italien), als der Bischof die Grafenrechte in der Stadt erhielt. Zweite Vorstufe
eigener Gerichtsbezirke: die Immunitätsverleihungen der Ottonen und Salier an geistliche
Herren. Dritte Wurzel für eigene Gerichtsgemeinden: Marktimmunitäten - Eigenheiten
des Marktverkehres und des städtischen Zusammenlebens bedurften rechtlicher
Regelungen (s.u.).
3) Die Nachbarschaft.
"Nachbarschaft" ist ländlichen Ursprunges (nach-gebur, nachpaur), das soziale Phänomen
in den wachsenden Städten noch ausgeprägter, wegen gedrängter Siedlungsweise.
4) Die Marktverfassung.
Wird einem Marktplatz eine Immunität verliehen - seit den Ottonen zunehmend der Fall dann weitere Voraussetzung für eine Abgrenzung dieses Platzes von seinem Umland.
Gottes- und Landfriedensbewegung für städtische Siedlungen von ganz besonderer
Bedeutung. Kaufleute unter jenen Gruppen, die durch den Landfrieden von 1103
besonders geschützt erscheinen. Verbindung der Stadtbewohner zu einem Schwurverband
zwecks Friedenssicherung - wichtige Stufe im Prozess der Durchsetzung der
Gemeindeautonomie. Schwurvereinigungen richten sich häufig gegen den Stadtherrn.
Verbindung zur Kirchenreform: Kampf gegen weltliche Herrschaftsrechte der Bischöfe,
gegen ihre Reichtümer und gegen die häufig simonistische Besetzung der Bischofsämter
führt zu Bestreitung der Legitimität der Bischöfe zur Ausübung von Stadtherrschaft.
Bischofsstädte bilden als erste gegen ihren Herrn Kommunen: Cambrai erstmals 1077
(1101 anerkannt); Kölns Bischof anerkennt 1112 die coniuratio der Stadtbewohner.
Zugeständnisse des Bischofs liegen im Bereich der Wehrhoheit (Mauerbau, Wehrpflicht,
Abgabenleistung der Bürger an eigene Organe als Folge), in der Befreiung von Abgaben
am Markt, in der Gerichtsbarkeit. Folge: Weiterentwicklung der gerichtlichen
Gemeindebildung und daraus (oder aus der Schwurgenossenschaft) der Entwicklung
einer städtischen Selbstverwaltung, die nun die vom Bischof übernommenen Funktionen
durchzuführen hat.
Oberschicht der autonomen Stadt: Dienstmannschaft des Stadtherren. Mitglieder der
stadtherrlichen "familia" höheres Prestige dank ihrer militärischen Aufgaben, sondern
auch dank ihrer Funktion als Verwalter der Geldeinkünfte des Herren. Wenn dieses
Kapital vorwiegend im Handel angelegt, dann rasche Verschmelzung mit den Händlern
und reichen Kaufleuten (so in Köln schon im 12. Jahrhundert kaum ein Unterschied
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zwischen beiden Gruppen), oder ob es in Grundbesitz angelegt wurde, dann entstand ein
Stadtadel (Nürnberg, Regensburg). Der zweite Bestandteil der Oberschicht, der "optimi",
"meliores" oder "prudentiores" war das Händlerelement, zumeist von freier Herkunft.
Durch Zusammenschluss in der Friedens-Eidgenossenschaft etabliert sich
Einwohnerschaft als Bürgergemeinde. Diese unter den Optimates stehenden Schichten
rekrutierten sich aus sehr ungleichen Herkunftsbereichen, ursprünglich dominierten aber
wohl Unfreie des Stadtherren. Rolle der Zensualität, einer Form der höherrangigen
Unfreiheit mit früher Beschränkung auf einen bestimmten Geld- oder Wachszins.
Daneben gibt es aber sicher auch Unfreie eher simpler Qualität. Drang nach Freiheit:
„burgenses“ von Huy erkaufen 1066 "libertas ville" von ihrem Herrn (wobei freilich nicht
klar ist, ob damit die persönliche Freiheit der Bewohner oder eine Freiheit der Gemeinde
bezeichnet wird).
"Stadtluft macht frei!" - im 12. Jahrhundert als Spezifizierung der allgemein
festzustellenden Kolonistenfreiheit. Ursprünglich, solange mit stärker unfreien
Verhältnissen zu rechnen ist, heißt es "Luft macht eigen".
-Regionale Besonderheiten:
- Italien
Ende des 11. Jahrhunderts - in der Lombardei verliert der Stadtherr total seine Bedeutung.
Indiz für das Vorhandensein einer freien Gemeinde die "Konsuln", zuerst in Pisa
(1081/85) nachweisbar. Oberitalienische Kommunen haben bis um 1180 Herrschaft der
Bischöfe abgeschüttelt. Kämpfe mit den Stauferkaisern zwischen etwa 1165 und 1250 Lombarden bleiben selbständig.
Erweiterung der Stadtgebiete zu aneinander grenzenden Stadtstaaten schon im 12. Jh..
Landadel zog in die Stadt. Zur Sicherung der städtischen Herrschaft wurden
Landgemeinden und untergeordnete Städte gegründet - Kolonisationsvorgänge setzten
ein. Gebiet der Stadtherrschaft umfasste neben der herrschenden Gemeinde noch andere
städtische (und ländliche) Gemeinwesen, teils als Verbündete, teils als Unterworfene
Hintergründe dieser Expansion: Konkurrenzkampf der Städte untereinander. Tatsächliche
Vormacht von Venedig, Mailand, Genua und Florenz trat langsam hervor. Maritime
Konkurrenz schuf stabile Feindschaften (so zwischen Pisa und Genua bzw. Lucca, später
zwischen Venedig und Genua), auch Binnenstädte in ständige Auseinandersetzungen
verwickelt (Mailand gegen Pavia, Bologna gegen Modena, Florenz gegen Lucca, Pistoia,
Siena, Arezzo).
Wirtschaftliche Vormacht der italienischen Städte im ganzen östlichen und teils auch im
westlichen Mittelmeergebiet bildet sich während der Kreuzzüge heraus. Pisa, Genua und
Venedig die wichtigsten Handelsstädte des südlichen Europas. Zahl und Größe der
Binnenstädte nur verständlich in Verbindung mit einem reichen Exportgewerbe Textilindustrie mit den Zentren in Florenz, Siena, Pisa, Mailand, Venedig und Genua.
Tucherzeugung im Vordergrund. Florenz verarbeitet seit 13. Jh. englische Qualitätswolle
29
(Zusammenhang mit Champagner Messen und Aufschwung der Westalpen-Pässe sowie
Genuas!).
Organisation Produktion in Florenz durch gleichzeitige Konzentration und Arbeitsteilung
gekennzeichnet: Der "lanaiolo" war Kaufmann und Leiter der Produktion zugleich. Er
beherrschte den ganzen Arbeitsprozess, der vertikal stark gegliedert und auch örtlich
aufgegliedert war (Waschen, Spinnen, Weben, Färben, Walken, Spannen, Appretur,
Verpacken). Hier ist erstmals in Europa das Verlagssystem (Herrschaft des Handels über
die Handwerker) zu einer tatsächlichen kapitalistischen Betriebsorganisation mit
Lohnabhängigen vorgedrungen, wenn auch formal die Handwerker (Weber, Färber usw.)
selbständig waren und in Zünften sich organisierten. Im 14. Jahrhundert traten hier
erstmals Ansätze zur Bildung von Manufakturen auf. Diese abhängigen Heimarbeiter
beschäftigten nun, als Subunternehmer, Gesellen und Taglöhner, die nun tatsächlich ein
großes, von den Produktionsmitteln völlig getrenntes Proletariat bildeten und erheblich
zur quantitativen Auffüllung der Exportgewerbestädte beitrugen.
Neben der Tuchindustrie - Seidenindustrie, überwiegend für den Export. Zunächst
dominierte hier, entsprechend dem kostbareren Rohstoff und den geringeren Quantitäten,
handwerksmäßige Organisation. Aus Genua schon im 13./14. Jahrhundert Seidenzeuge
ausgeführt, während sich die hausindustrielle kapitalistische Organisation erst im 15.
Jahrhundert durchsetzte. Ähnlich in Venedig und in der Mutterstadt der europäischen
Seidenindustrie, in Lucca.
Größe dieser Städte: Florenz um 1340 55.000 Einwohner, Mailand Ende des 15.
Jahrhunderts 85.000, Venedig und Palermo mehr als 100.000, Neapel 200.000 (zum
Vergleich: Die volksreichste Stadt des Reiches war Köln mit fast 40 000 Einwohnern im
13./14. Jahrhundert).
Kolonialreiche italienischer Städte: Im 11. Jh. errichteten Pisa und Genua die ersten
Außenposten, zunächst auf Korsika und Sardinien. Dann folgten Kontore in den
orientalischen Kreuzfahrerstaaten. Die erste volle Ausbildung eines maritimen
Kolonialreiches erstrebte und erreichte Venedig 1204. Venezianer wollten nie Landbesitz
an sich (zumindest nicht in dieser Phase), sondern Handelsvorteile. Sichern sich aus der
Erbmasse des byzantinischen Reiches gerade die Inseln und Seewege bzw. Durchfahrten.
Um den Zugang zu diesem ägäischen Kolonialreich offen zu haben, wurde vom 13. bis
zum 15. Jahrhundert der größte Teil Dalmatiens und der westgriechischen Inseln
(Jonische Inseln) besetzt - bis 1797 venezianisch.
Schon in der letzten Phase des mittelbyzantinischen Reiches waren verschiedentlich die
Genueser gegenüber den Venezianern begünstigt worden, um so ein Gegengewicht zu
schaffen. Mit dem Aufstieg des spätbyzantinischen Reiches von Nicäa aus ging ein
Aufstieg Genuas in diesen Regionen parallel, der schließlich zu langen auch
kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Venedig und Genua führte. In diesem
Zusammenhang eines festen Zuganges zu den östlichen Handelsstraßen sind auch die
berühmten Reisen Marco Polos einzuordnen.
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Während des 14. Jahrhunderts konnten sich beide Kolonialsysteme, wenngleich in
heftiger Konkurrenz zueinander, erfolgreich in der Ägäis und im Schwarzen Meer
behaupten. In der Levante stets nur Faktoreien und Kontore ohne nominelle Herrschaft hier war die Dominanz der italienischen Schiffe im Handel so stark, dass man auf
formelle Herrschaft verzichten konnte und, mangels einer territorialen Basis schließlich ja
auch musste. Erst mit der vollen Durchsetzung der Osmanen im ganzen östlichen
Mittelmeerraum (um 1520) wird die Stellung Venedigs problematisch (Genua war schon
um 1380 entscheidend geschlagen worden und verlor seine Stellung mit dem endgültigen
Niedergang von Byzanz). Es kann aber Kreta bis 1669 und Stellungen auf dem
Peloponnes bis 1719 halten. Vorrangstellung als Handelsmacht ging aber im 17.
Jahrhundert verloren.
- Deutschland
Ausbildung eigener Stadtstaaten nur ansatzweise (Nürnberg). Reichsstädte waren u.a.
Frankfurt/Main, Nürnberg, Ulm, die zahlreichen schwäbischen Städte usw. (Schwaben
als Staufergebiet hatte nach deren Aussterben die meisten Reichsstädte). Freie Städte
waren u.a. Köln, Mainz, Worms, Speyer, Straßburg, Basel, Regensburg (insgesamt ca.
60- 70).
In der Hanse waren Reichsstädte mit landesherrlichen (wie Wismar, Rostock) verbunden,
von denen die letzteren auf Grund ihrer Stellung in der Hanse ihren Landesherren
gegenüber recht unabhängig auftraten. Noch unter diesen Städten - von denen einige,
besonders in den nördlichen Territorien doch recht beachtlich auftreten konnten, standen
solche, die sich unter der Herrschaft landsässiger geistlicher oder weltlicher Herren
befanden. Hier kann von Autonomie schon kaum die Rede sein, außerdem war in diesen
Fällen auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Reichweite gering. In der Mitte des 13. Jahrhunderts treten die rheinischen Städte - wie immer zur
Friedenssicherung - gemeinsam handelnd hervor (1254 - 1257). Dieser Bund umfasste
von Lübeck und Köln bis Basel und Regensburg alle wichtigen Städte vorab des
Rheingebietes - jenes Gebietes, das in der Salier- und Stauferzeit das Kerngebiet des
Reiches gewesen war. Gegen Ende des 13. und im 14. Jahrhundert haben die Ostseestädte
verschiedentlich Bünde geschlossen (schon 1241 Lübeck und Hamburg, dann 1283 die
Städte von Lübeck bis Stettin, 1374 im Rahmen eines kaiserlichen Landfriedens auch die
Städte derselben Gegend).
Deutlich wird in diesen Bündnissen, ebenso wie im Schwäbischen von 1376 und 1438
das Bestreben, für die Zwecke der Städte, vorab die Wegesicherung und Sicherheit des
Handels, einen Ersatz für die nichtvorhandene Territorialstaatlichkeit zu finden.
Größenordnung deutscher Städte: Im Durchschnitt waren die großen Städte des Reiches
kleiner als die großen Städte des Westens oder Italiens. Köln als größte Stadt des Reiches
hatte im 13. und 14. Jahrhundert etwa 40.000 Einwohner (hier war schon vor 1200 die
letzte Stadterweiterung des Mittelalters erfolgt!). Es schließen an Magdeburg mit etwa
30.000, Lübeck mit etwa 25.000 und Bremen mit ca. 20.000 Einwohnern im Norden und
31
Osten. Im Westen war Metz mit ca. 25 000 (um 1325) und im Südosten Wien mit ca. 20 25.000 Einwohnern (M. 15. Jahrhundert) die jeweils größte Stadt. Eine Reihe von Städten
dürften im 15. Jahrhundert die Grenze 20.000 erreicht bzw. überschritten haben (Breslau,
Danzig, Nürnberg, Straßburg), andere, wie Rostock, Hamburg, Braunschweig, Frankfurt,
Augsburg und Erfurt, lagen zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern.
- Der Westen -• Niederlande, Frankreich/ England
Nordwesteuropäische Wirtschaftszentrale bildet einen Kreis, an dessen Rand London,
Paris und Köln liegen, dessen Zentrum aber in Flandern und Brabant (heute
Nordfrankreich - Belgien) lag.
In Frankreich kräftige kommunale Bewegung im 11. und' 12. Jahrhundert, bischöfliche
Stadtherrn verlieren jeden Einfluss. Festigung des Königtums - rasche Eingliederung der
Städte in die sich festigende Königsherrschaft. Der König erkannte die wichtige Rolle im
Kampf mit den feudalen Sondergewalten. Andererseits boten ihm in den "freien Städten"
die scharfen Gegensätze zwischen den patrizischen Familien und den unteren Schichten
Möglichkeiten des Eingreifens. Soweit die Städte in der Domäne des Königreiches
entstanden waren, wie in Paris, hatten sie sowieso keine Chance auf erhöhte
Selbständigkeit gehabt. Um 1300 erscheint, egal wie und wo die Städte lagen, ihre
Einordnung in das Königreich abgeschlossen. Neben einer inneren Selbstverwaltung steht
eine scharfe Kontrolle der Krone über alle Regungen einer Autonomie nach außen, aber
auch im Innern werden die Städte streng kontrolliert. Aufgewogen wird diese rigide
Verhinderung einer autonomen Entfaltung durch die reichliche Heranziehung des
Bürgertums als gesellschaftlicher Faktor in der Verwaltung des Königreiches. In den
Gerichten (Parlamenten) und im königlichen Rat hatten die bürgerlichen Juristen hohes
Gewicht. Die Durchsetzung der staatlichen Hoheit erleichterte und förderte den
Binnenhandel und gewährte - jedenfalls nach dem Ende des Hundertjährigen Krieges jenen Schutz, den um 1500 die Italiener, aber auch die Bürger der deutschen Hansestädte,
langsam schmerzlich zu vermissen begannen.
England: 12. Jahrhundert kommunale Bewegung, von den Kaufmannsgilden getragen.
Freilich gab es hier auf Grund anderer Voraussetzungen (Fehlen der Bischofsherrschaft
und Immunität) keine Trennung von Stadt und Land, von civitas und comitatus. Das
konnte langfristig dazu führen, dass der kleine Landadel und die bürgerlichen Vertreter
ihrer Grafschaften, dem König bei Ausbildung von Mitspracheorganen gegenübertraten daraus entstand dann das "house of commons" des englischen Parlamentes. Eine andere
Folge dieser nicht voll durchgeführten Trennung war die leichte Überwindbarkeit der
Grenze von Adel und Stadtbürgertum. Auch das sollte sich späterhin als wichtig
erweisen. Der Mangel an Autonomie, den die englischen Städte aufwiesen, wurde also
mehr als reichlich durch die anderen hier genannten Faktoren aufgewogen.
In Flandern, das wir als frühesten Territorialstaat des Nordwestens bezeichnet haben,
verstehen sich im späten 12. Jahrhundert schon die Städte (Brügge, Douai, Gent, Ypern,
Lille) als "das Land", die "terra Flandriae". In der Regel allein, nur manchmal gemeinsam
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mit der Geistlichkeit und fast nie mit dem praktisch entmachteten Adel treten sie dem
Landesfürsten als quasi-parlamentarische Versammlung entgegen. Dabei übernehmen die
wirtschaftlich führenden Städte auch die Ständevertretung für alle anderen: Brügge, Gent
und Ypern. Flandern ist damit kein Stadtstaat, aber ein Territorialstaat, in dem die Städte
in einer sonst unbekannten Weise auch politisch dominieren.
Diese niederländischen Städte - der Begriff "Niederlande" ist übrigens aus der Zeit des
burgundischen Reiches abzuleiten, das ja in "obere" (Herzogtum und Freigrafschaft
Burgund) und in untere oder "niedere" Lande (Flandern, Brabant, Hennegau, Luxemburg,
Holland, Seeland und einige friesische Ländereien) zerfiel - sind auch durch ihre Größe
und den Anteil der städtischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung bemerkenswert.
Herman van der Wee hat für das 15./16. Jahrhundert den Anteil der Stadtbevölkerung mit
35 bis 40 % angegeben - das ist enorm viel im gesamteuropäischen Vergleich, wo doch
im allgemeinen mehr als 80 - 90 % noch ländlich wohnten.
Die Exportgewerbestädte sind nun ziemlich groß - das Exportgewerbe ist der
"Städtefüller" des Mittelalters, so wie es in der frühen Neuzeit der Residenzcharakter
einer Stadt war. Tournai zählte im 14. Jahrhundert 40 - 50.000 Einwohner, Gent rund
60.000, Brügge 50.000, Löwen 40.000, Brüssel 30.000, Antwerpen wurde im späten 15.
und frühen 16. Jahrhundert (vor Amsterdam) die eigentliche Kapitale des
westeuropäischen Welthandels und zählte ca. 100.000 Einwohner.
Mit den südniederländischen Industriegebieten - Flandern (Ypern, Gent, Brügge, St.
Omer), Hennegau (Valenciennes), das Maasgebiet (Lüttich, Namur, Dinant, Huy),
Brabant (Mecheln, Brüssel, Löwen) - standen die nordfranzösischen (Ponthieu und
Picardie mit den Städten Amiens, Abbéville, Montreuil, Vermandois mit St. Quentin),die
Isle de France mit Paris und die Champagne sowie die Normandie in engem auch
räumlichem Zusammenhang, überall dominierte hier die Tuchproduktion, im Maasgebiet
mit den Zentren in Dinant, Huy und Lüttich existierte auch eine weit verbreitete
Verarbeitung von Buntmetallen und Eisen.
- Gilden, Hansen und Zünfte
Wenn hier die Organisationen der Fernhändler und Kaufleute an erster Stelle genannt
werden, so nicht deshalb, weil der Fernhandel allein die Blüte der mittelalterlichen Städte
mit sich gebracht hat, sondern weil mit diesem stets die dominanten Positionen innerhalb
der Städte verbunden waren. Auszugehen ist dabei von zwei Tatsachen:
1.) von der Loslösung der Händler aus allen Bindungen an Grund und Boden und an
traditionelle Bindungen, die Schutz verleihen konnten und
2.) vom großen Risiko, das der Handel über größere Entfernungen mit sich brachte.
Das führte dazu, dass nicht einer allein mit seinen Waren loszog, sondern eine ganze
Gruppe von Kaufleuten, die sich gegenseitig in der Form einer Schwurbrüderschaft
Unterstützung versicherten. Solche Karawanen bildeten sich nun immer wieder aus den
Kaufleuten derselben Stadt oder Region. An gewissen Zielorten hatten sie als Stützpunkte
eigene Kirchen, sodass diese Genossenschaften auch als Kultverband (Gilde)
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entgegentreten. Solche Gilden der Fernkaufleute werden nun Hansen genannt (das Wort
bedeutet ursprünglich "Schar").
Solche Hansen als Fahrtgenossenschaften finden sich seit dem 11. und 12. Jahrhundert im
gesamten nordwesteuropäischen Raum. Sie wurden teils nach ihrem Herkunftsort, teils
nach ihrem Zielort benannt. Ziemlich rasch treten dabei zwei Erscheinungen auf
a) ein Versuch, den Handel nach bzw. von bestimmten Gebieten zu monopolisieren,
b) überregionale Bündnisse einzugehen.
1230 gibt es eine "Hanse der 17 Städte", in der sich Städte aus Flandern, Frankreich und
Champagne, dem Artois und Niederlothringen zum Ziele des gemeinsamen Besuches der
Champagner Messen zusammengeschlossen hatten.
Die dauerhafteste und berühmteste aller Hansen ist die "deutsche Hanse".
Diese Hanse besorgte, kurz gesagt, im Spätmittelalter den Austausch zwischen Nordwestund Osteuropa (und umgekehrt), teils auch zwischen dem kontinentalen und dem
Küstengebiet.
Um 1100 von Haithabu bzw. der Nachfolgesiedlung Schleswig aus, auch sächsische
Kaufleute in die skandinavisch-slawisch beherrschte Ostsee. Neben Schleswig wurde
aber schon der Landübergang von der Elbe (Bardowik bzw. Hamburg) zur
Travemündung immer wichtiger (die Meerengen zwischen Dänemark und NorwegenSchweden wurden damals noch nicht befahren) . Eine slawische Burgsiedlung im Bereich
des späteren Lübeck wurde schon ein Konzentrationspunkt dieses Handels. Gründung
Lübecks (endgültig 1159) entscheidendes Ereignis in der Vorgeschichte der Hanse:
Hinter ihr stand die größte territoriale Macht Norddeutschlands, Heinrich der Löwe. Die
Stadt selbst unterschied sich durch ihre Privilegien und ihre bürgerlichen Freiheiten sehr
stark von den älteren slawischen Burgstädten, wo sich der Handel ja doch nie so recht
sozial verselbständigen konnte. Im 13. Jahrhundert sollte dann die Neuentwicklung des
Koggen (der Kogge) eine entscheidende schiffsbautechnische Überlegenheit nach sich
ziehen.
Lübeck zunächst Vorort der westlichen Kaufleute, die nach Osten wollten. Bald Zentrum
des ganzen Ostseehandels. Von Lübeck aus wurde auf der Fahrt nach Nowgorod die Insel
Gotland erreicht, der Mittelpunkt des älteren Ostseehandels. Hier, in Wisby , konstituierte
sich die Genossenschaft der deutschen Gotlandfahrer ("Universi mercatores imperii
Romani Gotlandiam fequentes") als Kern der deutschen Hanse .
Entlang der baltischen Küste folgten bald weitere Stützpunkte wie Riga, Dorpat, Reval
usw. In Nowgorod erwarb die Hanse einen Kontor, dem dann ähnliche privilegierte und
unter Selbstverwaltung stehende Höfe in anderen Städten folgen sollten.
Diese Handelskontore waren Ansatzpunkte einer weitgehenden Selbstverwaltung der
Hansekaufleute an ihre jeweiligen Zielorte, wo sie sich als eigene Genossenschaften, mit
eigener Rechtssprechung und Besteuerung konstituierten. Aus Gästen des jeweiligen
Stadtherren waren Partner, und manchmal sehr übermächtige Partner der jeweiligen
Stadtobrigkeit geworden. Im Westen und Norden bestanden solche Kontors in Brügge
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(seit 1253), in London (seit 1157 ein Haus der Kölner, seit 1282 der Hanseaten) und in
Bergen (Norwegen).
Im Laufe des späteren 13. Jahrhunderts Wandel der Kaufleutehanse zu einer Städtehanse.
Seit dem späten 13. Jahrhundert Hauptrolle bei Lübeck. Bei Rechtsstreitigkeiten in
Nowgorod hatte man sich zunächst nach Wisby zu wenden, seit 1293 aber nach Lübeck.
Seit dem 14. Jahrhundert tritt die regionale Gliederung der Hanse deutlich hervor:
Wendisches Quartier Vorort
Lübeck
Sächsisches Quartier Vorort
Braunschweig
Niederrheinisch-westfälisches
Quart.
Köln
Märkisches Quartier Stendal
Pommersches Quartier
Stettin
Preußisches Quartier Danzig
D
Die Zahl der der Hanse zugehörigen Städte betrug gleichzeitig höchstens 90, insgesamt
waren irgendwann einmal 177 Städte und der Hochmeister des Deutschen Ordens
Mitglieder. Die Organisation dieses Bundes war locker, Mitglieder hatten
unterschiedliche Rechte.
Wichtigste Handelsgüter Richtung Osten: Salz (aus der Lünebürger Saline), flandrische
Tuche und andere Gewerbeprodukte, bes. Waffen und Metallwaren aus Köln und dem
Niederrheingebiet.
Richtung Westen: Pelze, Wachs, Honig und Pech geliefert, Rohstoffe wie Eisenerz und
Kupfer (aus Schweden). Bald nach Beginn des 13. Jahrhunderts wurde auch Getreide
geliefert - der baltische Raum blieb dann bis ins 19. Jahrhundert Hauptgetreidelieferant
des europäischen Gewerbezentrums im Nordwesten. Von Norden her kamen getrocknete
und gesalzene Fische (Fisch als Fastenspeise hatte damals eine enorme Bedeutung), von
Süden drangen französischer Wein und Kolonialwaren nach Norden vor.
Erste Handelsgesellschaften als Kapitalgesellschaften:
Venezianische collegantia-Verträge bis ins 11. Jahrhundert zurück. Ursprünglich einzelne
Unternehmungen im Vordergrund. Später entstanden dauerhafte Gesellschaften, zumeist
dadurch, dass aus einem großen Handelshaus durch Erweiterung des Mitgliederkreises
(Verselbständigung von Kindern, aber weitere Beteiligung, Einheirat) eine Gesellschaft
entstand. Der ökonomische Hintergrund in Italien in der großen Kapitalerfordernis des
Levantehandels und des Ausbaues der Kolonialreiche besonders Venedigs und Genuas.
Weiters war die Beteiligung an Einzelunternehmungen eine Maßnahme der
Risikostreuung (aus der sich um 1380 dann richtige Seeversicherungen entwickeln
sollten).
Die großen Aufgaben der italienischen Kommunen schufen Gesellschaften von
Staatsgläubigern, die dann in der Regel auch die Staatseinkünfte gepachtet hatten. Aus
solchen "montes" oder "maones" entstanden mit der Ersetzung der Zinsen durch
Dividenden die ersten Aktienbanken (1407 St. Georgs-Bank in Genua).
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In Oberdeutschland war die erste große Gesellschaft die 138O gegründete Große
Ravensburger Handelsgesellschaft. Sie war vor allem im Handel mit dem westlichen
Mittelmeer engagiert. Ihr eigenes Hauptexportgut war das oberdeutsche Leinen. Eine der
drei ursprünglichen Teilhaberfamilien stammte aus Italien (die Montprats aus Konstanz).
Die Handelsgesellschaften, aber auch große Einzelkaufleute, betrieben nun nicht mehr
selbst ihr Geschäft im Umherziehen. Die Regensburger Runtinger haben um 1380
letztmals eine Kauffahrt der althergebrachten Art durchgeführt. In der Regel hatte man
um diese Zeit schon feste Stützpunkte, entweder Filialen, die bei jeweils einheimischen
Händlern errichtet worden, oder Faktoreien, das waren firmeneigene Niederlassungen mit
weisungsgebundenen Faktoren als Geschäftsführern.
Neuartige Organisationsformen des Warenaustausches, aber auch der Kapitalbeteiligung
bzw. -anlage durch den Handel. Gewerbliche Produktion hinkt immer nach..
Die Zünfte (Gilden, Zechen, Einungen) sind eine gesamteuropäische Erscheinung. In
Italien hießen sie "arti" oder "corporazioni", in Frankreich "metiers" oder "jurande", in
England "craftguilds" oder "misteries". Das letztere kommt offensichtlich vom
lateinischen "ministerium", das ebenso wie das ebenfalls überlieferte "officium" (Amt)
auf eine eher herrschaftliche Herkunft der Einrichtung verweist.
Organisation des Handwerks in Berufsgruppen bis ins 11./12. Jahrhundert zurück zu
verfolgen. Handelsnahe Bereiche zunächst im Vordergrund: die Fischhändler in Worms
1106/07, die Zu-Wasser-Händler (marchands d'eau) in Paris und Rouen um 1100, die
Gastwirte in Chartres 1147. Schuhmacher 1128 in Würzburg, Bettziechenweber in Köln
1149 organisiert. In England verselbständigt sich das Handwerk 1100 bis 1135 (Oxford,
Winchester, London, Lincoln) - Ausgliederungen aus Kaufmannsgilden handelt. Seit dem
Beginn bzw. der Mitte des 13. Jahrhunderts wird die Zunftorganisation in Süd-, Westund Nordeuropa allgemein, im Zuge der Ostsiedlung treten dann auch im Osten, teils
deutsch-exklusive Zünfte auf.
Zünfte beanspruchen das Recht, Nichtmitglieder vom Gewerbe auszuschließen
(Zunftzwang). Erhielten sie dieses Recht von Stadtherrn oder Rat, wurden sie zu
obligatorischen Genossenschaften, zu Monopolvereinigungen. Die Monopolisierung
erfolgte seitens der Obrigkeit mit dem Ziel, eine bessere Kontrolle zu erreichen,
andererseits, um dafür von den Zünften Abgaben verlangen zu können.
Diese Zwangsgewalt führte zum Streben nach einer gewissen Selbstverwaltung. Das
haben sie nicht überall erreicht. Mancherorts kommt es zum Verbot der
Handwerkereinungen (schon 1189 in Rouen, im 14. Jahrhundert in Wien usw.). Dennoch
treten sie immer wieder zutage. Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts gelingt es den Zünften
vielfach, Vorsitzer und Zunftmeister selbst ernennen zu dürfen.
Ziele der Zünfte: Handwerker einer Stadt sollten sowohl vor der auswärtigen Konkurrenz
wie vor der Tüchtigkeit der eigenen Kollegen geschützt werden. Dem einheimischen
Handwerker wird der städtische Markt reserviert, in den fremde Fabrikate keinen
Eingang finden. Dieser Umkreis wird häufig als "Bannmeile" bezeichnet. Innerhalb der
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Zünfte sollte kein ökonomisches Übergewicht entstehen. Daher die Regelungen
betreffend die Produktionskapazität, die Verteilung der Rohstoffe und Arbeitskräfte,
sowie Kontingentierungen von Erzeugung und Absatz. Das Ideal ist Stabilität des
Handwerks durch gleichförmige, ihm auferlegte Arbeitsbedingungen.
Die Zunft war eine Gemeinschaft von Hausherren - innerhalb ihres Hauses, in dem
Haushalt und gewerblicher Betrieb nicht getrennt waren, herrschten die Meister
patriarchalisch. Der Meister ist Chef der Werkstatt, Eigentümer des Rohmaterials und des
Werkzeuges. Nicht unbedingt, und wohl in abnehmender Tendenz, war er auch
Hausbesitzer. Zu den eigenen Kindern kommen andere, die in das Handwerk eingeführt,
angelernt werden. Um die Kenntnisse auszuweiten, werden die Kinder zuerst vielleicht
vereinzelt, später prinzipiell außer Haus gegeben; alle diese jungen Leute werden zuerst
als "Knechte" bezeichnet - mit jenem Ausdruck, der auch den jungen Gehilfen des
Bauern, des Ritters usw. kennzeichnet. Mit zunehmender Unmöglichkeit für alle
Knechte, selber Meister zu werden, differenzieren sich die "Knechte" in "Lehrlinge" und
"Gesellen" Der Lehrlingsstatus wird schließlich durch eine eigen Prüfung abgeschlossen,
die die handwerkliche Qualifikation bestätigt. Die Gesellen sind dann qualifizierte
Arbeiter mit abgeschlossener Lehrzeit. Prinzipiell sind sie den Meistern fachlich fast
gleichrangig, doch wird es immer schwieriger für sie, selbst Meister zu werden, was im
allgemeinen mit dem eigenen Aufstieg zu handwerklicher Hausherrschaft, also mit Heirat
und Vorstandschaft eines Haushalt-Betriebes verbunden ist. Mit Absperrung der Zunft
(Beschränkung der Zahl der erlaubten Betriebe) werden diese Chancen verringert. Man
schafft deshalb zusätzliche Sperren für die Gesellen: die Wanderschaft (15. Jahrhundert)
und das Meisterstück, dann noch kostspielige Gelage und Spenden für die
Zunfthäuptlinge.
Prinzip der "bürgerlichen Nahrung" soll dem einzelnen Betrieb ein gleichmäßiges
Auskommen sichern, verhindert allzu große Ungleichheiten und Schwankungen,
behindert aber auch technischen und ökonomischen Fortschritt.
Die zunehmende soziale (nicht ökonomische!) Verselbständigung äußert sich in Streiks
der Gesellen (1245 in Douai, 1329 in Breslau), sowie in der Bildung eigener
Organisationen der Gesellenbruderschaften, die sich zunehmend gegen die Meisterzünfte
stellen, aus denen sie sich herausgebildet haben.
Überregional gab es Organisationen sowohl der Meister wie auch, bedingt durch den
Wanderzwang, der Gesellen. So gab es eine gemeinsame Zunftordnung der Steinmetzen
für ganz Deutschland (1459). Doch blieben alle überregionalen Organisationen und
Kontakte streng auf den eigenen Gewerbszweig beschränkt.
Stärke der Zünfte: von einem Dutzend bis zu mehreren hundert Mitgliedern. Tendenz zu
einer immer weitergehenden Spezialisierung der Gewerbe, die sich in neuen Zünften
niederschlägt. Marseille hatte um 1250 bereits 100 Zünfte, Lüttich um 1384 32. Große
Exportgewerbezentren zeigen den Trend zu einer sehr weitgehenden Arbeitsteilung, so
dass die entsprechenden Zünfte nur mehr Halbfabrikate herstellten.
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Welche Gewerbe existierten wo? 3 Typen von Städten:
1. In den meisten kleinen, regionalen Zentren gab es die Gewerbe des täglichen Bedarfes
- Lebensmittel-, Bekleidungs-, einfache Werkzeug- und Gastgewerbe etwa.
2. In größeren Zentren differenzierten sich diese einfachen Muster zu zahlreichen
spezialisierten, auch auf luxurierte Bedürfnisse ausgerichteten Sparten, in den Hauptorten
von Fürsten o.a. kamen Waffenerzeugungen (Bogner, Armbruster, usw.) dazu, daneben
Goldschmiede, Kürschner usw.
3. Fast nur für überregionalen Bedarf arbeiteten die typischen Exportgewerbestädte, von
denen die größten die Zentren der Tucherzeugung (Florenz, Brügge, Gent, Ypern usw.)
waren.
Die städtische Wirtschaft und Gesellschaft des hohen und späten Mittelalters bot
zweifellos zahlreiche Ansatzpunkte zur Überwindung einiger typischer Eigenheiten der
feudalen Gesellschaftsordnung. Hier zuerst wurde der Besitz von Grund und Boden als
primäre Voraussetzung sowohl für die gesellschaftliche Positionszuordnung als auch für
die wirtschaftliche Funktion wenigstens ansatzweise überwunden. Die Städte drängten
massiv zur Überwindung feudaler Selbsthilferechte . Sie entwickelten auf Grund ihrer
Bedürfnisse neue, rationalere Rechtsgrundsätze und Gerichtsformen. Hier entstanden
neue Wirtschaftsmethoden, neue Formen des Geld- und Warenverkehrs, der
Güterproduktion. Hier wurden zuerst Selbstverwaltungsformen entwickelt, die mehr oder
weniger breite Wahlprinzipien einführten, hier zuerst wurden bezahlte Amtsträger
gehalten. Alles zweifellos ohne höchst zukunftsträchtige Phänomene. Aber dieses Bild
wäre einseitig, wollte man verschweigen, dass auch diese städtische Gesellschaft sehr
viele Züge ihrer feudalen Umwelt trug. Immer noch waren die Oberschichten der Stadt
durch ihre ritterliche Militärpflicht und Lebensweise ausgezeichnet. Immer noch war die
Stadt, ebenso wie die Landgemeinde oder auch die entstehende Landesgemeinde der
fürstlichen Landesstaaten, ein Verband von patriarchalischen Hausvätern. Ebenso wie in
der ländlichen Feudalgesellschaft war der soziale Status doch genau zugeschrieben und
konnte kaum verändert werden. Und gegen die wirtschaftlichen Wechsel alle versuchte
man sich durch eine enge Reglementierung zu helfen, die auf Jahrhunderte hinaus
technischen Fortschritt nur in sehr zäher Weise gestatten sollte. Sieht man von den
wenigen ganz großen Städten ab, so passten sie sich sehr wohl und ohne großen
Widerstand an untergeordneter Stelle ins Gefüge des entstehenden spätfeudalen
Ständestaates ein. So wichtige Impulse von hier aus auch in den folgenden Jahrhunderten
noch ausgehen sollten eine völlige Neuordnung der Gesellschaft kam nur dort zustande,
wo die Städtenetwicklung im Rahmen großer Staaten erfolgte. Große und traditionsreiche
Städtelandschaften wie Oberdeutschland oder Norditalien blieben dabei auf der
Verliererstraße.
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3. Die "Krise" des Spätmittelalters
Die Zeit der Expansion war vorüber. Die Eroberung der Pyrenäenhalbinsel machte vor
Granada Halt. Im Osten gehen um 1290 die letzten Stützpunkte an der Küste Palästinas
verloren. Schon in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts war praktisch ganz
Kleinasien türkisch, am Ende des Jahrhunderts bereits der Großteil der Balkanhalbinsel.
Die Christenheit schrumpfte also räumlich zusammen. Dieser Eindruck wird nur durch
die um 1400 erfolgte Christianisierung und gleichzeitige, räumliche Expansion Litauens
weit ins weißrussische und ukrainische Land hinein abgeschwächt.
Die Rodungen kommen zum Stillstand, ungefähr zugleich mit dem Ende der AußenExpansion. Damit und mit der Christianisierung Litauens verliert der Staat des Deutschen
Ordens seine eigentliche Existenzgrundlage. Es gibt kaum mehr Neugründungen von
Dörfern und Städten, dafür aber zahlreiche Wüstungen - verlassene Siedlungsplätze. Die
Bevölkerungszahl sinkt. Die Landwirtschaft erleidet eine langwierige Depression, ähnlich
auch einige der großen Gewerbelandschaften. Der Hunderjährige Krieg, die Aufstände in
Frankreich (1358), Flandern (1302, 1327, 1382) und England (1381) sind Ausdruck
schwerer politischer Krisen. Nicht viel besser sieht es im kirchlichen Bereich aus. Zuerst
die Übersiedlung der Päpste nach Avignon (1306), dann das Große Schisma (1378 1417), schließlich die Hussiten sind nur die augenfälligen Anzeichen für eine schwer
Krise der Kirche.
3.1. Die Bevölkerungsbewegung und die Wüstungen
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Jahr
1200
1300
1340
1350
14O
O
1500
Wenn sich auch
nach Russel 61
Mio
85,9
52
70,8
nach Bennett
61 Mio
73
51
45
69
die beiden Autoren hinsichtlich des Zeitpunktes der Tendenzwende nicht einig
sind, so ist der Trend doch klar: Um 1300 hat Europas Bevölkerung ihre höchste Zahl bis zum
18. Jahrhundert erreicht, danach beginnt ein Rückgang, der erst um 1450 von einem neuerlichen
Anstieg abgelöst wird.
Die Zahlen für Deutschland, Frankreich und England (nach Abel) weisen in dieselbe Richtung:
1200
1340
1470
1620
1740
Frankreich
England
Deutschland
12
21
14
21
17
Mio
2,2
4,5
3
5
6
n
8
14
10
16
18
n
^
22,2
39,5
27
42
41 Mio
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