Ionisierende Strahlung

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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
TEN/466
"Ionisierende Strahlung/
Sicherheitsnormen"
Brüssel, den 22. Februar 2012
STELLUNGNAHME
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
zu dem
"Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für
den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung"
COM(2011) 593 final – 2011/0254 (NLE)
_____________
Berichterstatter: Richard ADAMS
_____________
TEN/466 – CESE 488/2012 (EN) UR/CD/al
Rue Belliard/Belliardstraat 99 — 1040 Bruxelles/Brussel — BELGIQUE/BELGIË
Tel. +32 25469011 — Fax +32 25134893 — Internet: http://www.eesc.europa.eu
DE
-1-
Die Europäische Kommission beschloss am 28. September 2011, gemäß Artikel 31 des EURATOMVertrags den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage
zu ersuchen:
"Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender
Strahlung"
COM(2011) 593 final – 2011/0254 (NLE).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 3. Februar 2012 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 478. Plenartagung am 22./23. Februar 2012 (Sitzung vom
22. Februar) mit 118 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
*
*
*
1.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1
Schlussfolgerungen
1.1.1
Der Ausschuss begrüßt diesen Vorschlag, der auf der Grundlage der jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Gefahren ionisierender Strahlung den Schutz der menschlichen
Gesundheit und der Umwelt thematisiert, definiert und ausweitet.
1.1.2
Insbesondere die Zusammenfassung von fünf bestehenden Richtlinien zu einem folgerichtigen, kohärenten und einheitlichen Sicherheitskonzept wird sich in der Praxis positiv auf
die Umsetzung der Anforderungen auswirken.
1.2
Empfehlungen
1.2.1
Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass den Mitgliedstaaten nach der Umsetzung in einzelstaatliches Recht eventuell zusätzliche Anforderungen vorgeschrieben werden. Der Ausschuss
hält es für besonders wichtig, den für die Umsetzung auf einzelstaatlicher Ebene zuständigen
Behörden angemessene Mittel an die Hand zu geben, damit Wort und Geist der Rechtsvorschriften entsprochen werden kann. Dazu muss insbesondere ein qualitätsbezogener Ansatz in
Form umfassender Bildungs- und Schulungsmaßnahmen gewählt werden.
1.2.2
Der Ausschuss befürwortet voll und ganz die Ausweitung der Schutzbestimmungen auf die
Umwelt und empfiehlt eingedenk der noch ausstehenden Veröffentlichung der Internationalen
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.../...
-2Kommission für Strahlenschutz (ICRP) zur Anwendung der Kriterien die Annahme der Kapitel IX-Bestimmungen, sobald diese Kriterien formell gelten.
1.2.3
Der Ausschuss begrüßt die fundierte Arbeit aller Beteiligten, die diesem Vorschlag zugrunde
liegt, und empfiehlt seine schnellstmögliche Annahme.
2.
Hintergrund der vorgeschlagenen Richtlinie
2.1
Ionisierende Strahlung ist in der Umwelt allgegenwärtig. Jeder Erdbewohner ist natürlicher
Hintergrundstrahlung ausgesetzt. Sie wird von natürlichen Radionukliden in den Gesteinen,
Böden, der Nahrung und der Luft emittiert. Mit der geologischen Beschaffenheit variieren
auch die Konzentration der Strahlung und der radioaktiven Substanzen (wie Radon) aus
Gesteinen und Böden, mithin ist die Strahlenbelastung ortsabhängig. Dazu kommt die kosmische Strahlung. Kosmische Strahlung ist in großen Höhen und mit zunehmender geografischer Breite intensiver, so dass Flugpersonal und Vielflieger einer entsprechend höheren
Belastung ausgesetzt sind. Des Weiteren gibt es die durch den Menschen freigesetzte künstliche Strahlung. Der größte Teil davon entsteht durch medizinische Anwendungen. Durch
industrielle Verfahren wie die Durchstrahlungsprüfung von Schweißnähten kommt es zu
Exposition am Arbeitsplatz, durch kerntechnische Anlagen an die Umgebung abgegebene
radioaktive Stoffe belasten die Bevölkerung, und in der Umwelt sind auch noch Spuren von
Radioaktivität aus Kernwaffentests und der militärischen Verwendung von Uranmunition
nachweisbar.
2.2
Für Strahlung gibt es viele praktische Anwendungen in der Medizin und der Forschung, im
Bauwesen und in anderen Bereichen. Strahlung ist vor allem deshalb gefährlich, weil sie in
Zellen lebender Organismen Moleküle ionisieren und dadurch biochemische Veränderungen
auslösen kann. Die Schädigungen können bis zum Zelltod oder zur irreversiblen Veränderung
der genetischen Information (DNA-Schäden) führen. Deshalb wurden frühzeitig, noch bevor
die durch Strahlung ausgelösten schädigenden Reaktionsmechanismen im Einzelnen erkannt
waren, einzelstaatliche Schutzmaßnahmen und Rechtsvorschriften festgelegt und auf EU-Ebene
von Anfang an im Rahmen des Euratom-Vertrags gemeinsame Maßnahmen entwickelt.
2.3
Die europäischen Rechtsvorschriften folgen bezüglich der Festlegung geeigneter Schutzmaßnahmen seit jeher den Empfehlungen der ICRP; 2007 hat diese Organisation neue detaillierte
Empfehlungen für den Strahlenschutz herausgegeben, die den Entwicklungen der letzten
20 Jahre Rechnung tragen. Zu diesen Entwicklungen gehören die Zunahme der durch den
Menschen freigesetzten künstlichen Strahlung und die laufenden Forschungsarbeiten über die
Auswirkungen von natürlicher Strahlung, wie sie beispielsweise durch Radon verursacht
wird. Ziel der vorgeschlagenen Richtlinie ist es, auf der Grundlage der jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse ein hohes Schutzniveau für Arbeitnehmer, Patienten und die Bevölkerung
gegenüber den gesundheitsschädlichen Auswirkungen ionisierender Strahlung sicherzustellen.
Des Weiteren bezieht sie neue Bereiche wie den Umweltschutz mit ein.
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-32.4
Die vorgeschlagene umfangreiche Richtlinie besteht aus 110 Artikeln sowie 16 Anhängen
und umfasst insgesamt mehr als 100 Textseiten. Sie beinhaltet im Prinzip eine Zusammenfassung und konsolidierte Neufassung von fünf bestehenden Richtlinien 1 in einer einzigen
Richtlinie, wobei verbindliche Vorschriften zum Schutz vor Radonexposition in Gebäuden
und vor Baumaterialien mit erhöhten Radioaktivitätswerten, zur Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen im Zusammenhang mit der Ableitung radioaktiver Stoffe aus kerntechnischen Anlagen und zur Vermeidung von Umweltschäden bei Unfällen eingeführt
werden.
2.5
Kurz zusammengefasst wird diese neue Richtlinie den europäischen Bürgern einen besseren
Gesundheitsschutz im Zusammenhang mit ionisierender Strahlung bringen, vor allem durch

wirksamere Aufklärungs- und Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Exposition
gegenüber Radon in Innenräumen;

besseren Schutz der Arbeitnehmer in den Sektoren, in denen Baumaterialien verarbeitet
werden, die natürliche Radionuklide enthalten;

besseren Schutz vor ionisierender Strahlung bei medizinischen Anwendungen und
Begrenzung der Expositionshäufigkeit;

besseren Schutz und erhöhte Mobilität für externe Fachkräfte in der Kernindustrie.
2.6
Die in den EU-Mitgliedstaaten geltenden rechtlichen Anforderungen werden harmonisiert und
an internationale Standards angepasst. Mit besonderem Augenmerk auf die nukleare Sicherheit werden unter dem Eindruck der Nuklearkatastrophe von Fukushima strengere Auflagen
für den Umgang mit Notfallexpositionssituationen vorgeschlagen.
2.7
Die Richtlinie ergänzt die Richtlinie über radioaktive Stoffe in Wasser für den menschlichen
Gebrauch, zu der sich der Ausschuss kürzlich in einer Stellungnahme geäußert hat2.
2.8
Die von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) genehmigten internationalen
Sicherheitsgrundnormen (International Basic Safety Standards) spiegeln einen internationalen
Konsens wider, doch ist ihre Einhaltung nicht verbindlich. Auch berücksichtigen sie die weltweit unterschiedlichen Möglichkeiten der einzelnen Staaten hinsichtlich ihrer Umsetzung. Die
Richtlinie löst sich von diesem Ansatz, indem einheitliche Normen für die Mitgliedstaaten
vorgegeben und zudem die Binnenmarktvorschriften beachtet werden. Dem Richtlinienvorschlag ging ein umfassender Konsultationsprozess voraus, bei dem die Sachverständigengruppe nach Artikel 31 Euratom-Vertrag, die IAEO, HERCA (Heads of the European
1
ABl. L 180 vom 9.7.1997, S.22-27.
ABl. L 346 vom 31.12.2003, S.57-64.
ABl. L 349 vom 13.12.1990, S.21-25.
ABl. L 357 vom 7.12.1989, S.31-34.
ABl. L 159 vom 29.6.1996, S.1-114.
2
ABl. C 24 vom 28.1.2012, S.122.
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-4Radiological Protection Competent Authorities), IRPA (International Radiation Protection
Association) und weitere Interessenträger gehört wurden.
2.9
Rechtsgrundlage des Richtlinienvorschlags ist der Euratom-Vertrag. Der Ausschuss kann die
Bedenken, ob der seit 1957 nicht mehr geänderte Vertrag sich als Grundlage für den Umgang
mit Umweltbelangen eignet, in gewisser Weise nachvollziehen. Allerdings ist eine Überarbeitung des Euratom-Vertrags in absehbarer Zukunft unwahrscheinlich, während die Umweltschutzanliegen drängende Realität sind. Seinerzeit, also 1957, stand Artikel 37 Euratom-Vertrag für bahnbrechende, verbindliche, grenzübergreifende primärrechtliche Vorgaben für den
Schutz der Umwelt und der Menschen.
3.
Zusammenfassender Überblick über die vorgeschlagene Richtlinie
3.1
Eine ausführliche Zusammenfassung einer so komplexen Richtlinie würde den Rahmen einer
Ausschussstellungnahme sprengen. Stattdessen wird der Ansatz der Kommission stichpunktartig unter Verweis auf relevante Kapitel dargestellt.
Allgemeiner Ansatz
Kapitelüberschriften
•
Kapitel I: Gegenstand und Anwendungsbereich
Kapitel II: Begriffsbestimmungen
Kapitel III: Strahlenschutzsystem
Kapitel IV: Anforderungen an Ausbildung, Fortbildung und Unterweisung im Bereich des Strahlenschutzes
Kapitel V: Rechtfertigung und aufsichtsrechtliche
Kontrolle der Tätigkeiten
Kapitel VI: Schutz von Arbeitskräften, Auszubildenden und Studierenden
Kapitel VII: Schutz von Patienten und anderen Personen bei medizinischer Exposition
Kapitel VIII: Schutz der Bevölkerung
Kapitel IX: Umweltschutz
Kapitel X: Anforderungen an die aufsichtsrechtliche Kontrolle
Kapitel XI: Schlussbestimmungen
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Überarbeitung und Konsolidierung der
Sicherheitsgrundnormen
Expositionssituationen
Schutzsystem
Bestehende Expositionssituationen
–
Radon (Arbeitsplatz, Wohnungen)
–
Baumaterialien
–
Leben in kontaminierten Gebieten
Absichtliche Expositionen
–
Rechtfertigung und Kontrolle
–
abgestufte Vorgehensweise
Expositionskategorien
Notfall-Expositionssituationen
–
Notfall-Einsatzkräfte
–
Notfallmanagementsystem
und
Notfallpläne
–
Information der Öffentlichkeit
Institutionelle Infrastruktur
Neugefasste Richtlinien
Umsetzung in einzelstaatliches Recht
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-54.
Allgemeine Bemerkungen
4.1
Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass dieser Vorschlag auf der Grundlage der jüngsten
wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Gefahren ionisierender Strahlung erstellt wurde,
und begrüßt den Ansatz, den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zu thematisieren, zu definieren und auszuweiten.
4.2
Die Kommission hat beschlossen, fünf bestehende Richtlinien in einer gemeinsamen Neufassung zu konsolidieren, was sich in der Praxis positiv auf die Umsetzung der Anforderungen
auswirken wird und einen folgerichtigen, kohärenten und einheitlichen Sicherheitsansatz
ermöglicht.
4.3
Eine Reihe vergleichender Analysen der Durchführung und einzelstaatlichen Umsetzung bisheriger Richtlinien hat diverse Schwachstellen an den Tag gebracht. Dies liegt nicht an der
Umsetzung in nationales Recht, sondern an der praktischen Handhabung, bspw. bezüglich der
für Bildungs- und Schulungsmaßnahmen bereitgestellten Mittel, der öffentlichen Sensibilisierungskampagnen, der Anerkennung der Fachkompetenz vor Ort, der Information der Öffentlichkeit über richtiges Verhalten bei Unfällen usw.
4.4
Der Ausschuss schlägt vor, dass die Kommission zur Unterstützung der zuständigen nationalen Behörden Workshops zur Erörterung rechtlicher und praktischer Schwierigkeiten bei der
Umsetzung auf einzelstaatlicher Ebene veranstalten sollte, um den zunehmenden Anfragen im
Zusammenhang mit den Umsetzungsvorschriften entgegenzukommen und eventuellen Problemen zu begegnen. Auch sollte die Einrichtung von Beobachtungsstellen der Zivilgesellschaft, die neben den zuständigen nationalen Behörden die Umsetzung der Rechtsvorschriften
in konkrete Maßnahmen überwachen und bewerten, gefördert werden.
4.5
Der Ausschuss bedauert, dass die Richtlinie zwar die Strahlenexposition durch natürliche
Quellen und durch künstliche Quellen im Zivilbereich umfassend abdeckt, dass aber durch
militärische Anwendungen freigesetzte Strahlung ausgeklammert werden kann, da die Tätigkeiten des militärischen Bereichs nicht in den Anwendungsbereich des Euratom-Vertrags
fallen3.
4.6
Der Ausschuss begrüßt, dass in dem Richtlinienvorschlag dem Schutz des Rechts der Bürger
Rechnung getragen wird, ihre Exposition gegenüber menschengemachter künstlicher Strahlung, die beispielsweise durch den zunehmenden Einsatz von Sicherheitskontrollgeräten wie
Ganzkörperscannern verursacht wird, möglichst gering zu halten.
3
EuGH, Urteil vom 12.4.2005 – C-61/03.
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-64.7
Der Ausschuss befürwortet nachdrücklich die Ausweitung der Schutzbestimmungen auf die
Umwelt, macht jedoch darauf aufmerksam, dass erst die noch ausstehenden Kriterien der
Internationalen Kommission für Strahlenschutz (ICRP) formell festgelegt sein müssen, bevor
verbindliche quantitative Vorgaben gemacht werden können. Diese spezifischen Kriterien
beruhen auf allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen und sind als gemeinsame Grundlage für alle Mitgliedstaaten geeignet.
Brüssel, den 22. Februar 2012
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschusses
Staffan NILSSON
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