Reaktionsgeschwindigkeit

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2.0 Geschwindigkeit chemischer Reaktionen
2.1
Definition der Reaktionsgeschwindigkeit
Die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen ist äußerst unterschiedlich. Explosionsartige
Verbrennungen (Benzin im Motor) oder schlagartiger Zerfall von Nitroglycerin, sekundenschnelle
Knallgasreaktion oder die sofortige Ausfällung von BaSO4 als Nachweisreaktion stehen im
Gegensatz zu langsamen mehrstündigen Verdauungsreaktionen in Magen und Darm oder zum
monatelangen Rosten von Eisen.
Allgemein ist Geschwindigkeit definiert als die Änderung einer Größe in einer bestimmten
Zeiteinheit. Bei chemischen Reaktionen entsteht in einem Zeitintervall aus einer gegebenen
Eduktmenge eine bestimmte Menge von Produkten. Die sich ändernde Größe ist allgemein die
Stoffmenge oder, bezogen auf ein abgegrenztes Reaktionsvolumen, die Stoffmengenkonzentration
der Reaktionsteilnehmer. Zur Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit greift man zurück auf leicht
messbare Größen, die in direkter Beziehung zur gesuchten Geschwindigkeit stehen, wie z.B.
Volumen, Masse, Leitfähigkeit oder Farbintensität.
Beispiel 1
Eine überschüssige verdünnte Mineralsäure wirkt auf metallisches Zink ein. Das
entstehende Volumen an Wasserstoff wird als Funktion der Zeit z. B. mit einem
Kolbenprober bestimmt.
Allgemeine Reaktionsgleichung:
Zn + 2 H3O+  Zn2+ + H2  + 2 H2O
H3O+ / Cl-
Zinkpulver
Aus den Messwerten einer komplexen Versuchsauswertung wird die Kurve „Volumen an entstehendem Wasserstoff V(H2)“ als Funktion der Zeit erstellt.
V(H2)
in ml
v2
 v2
v1
 v1
 t1
t in min
 t2
V(H2) als Funktion der Zeit
16
Konkretes Beispiel aus einem Experiment:
Im ersten Zeitintervall von t0 bis t1 werden 11 ml Wasserstoff erzeugt bei 0 oC; diese entsprechen
10,25 ml Gas bei Normalbedingungen. Ein mol Wasserstoffgas nimmt idealisiert bei diesen
Bedingungen 22,4 l ein.

n(H2) = 1,025  10-2 l/ 22,4 mol/l
Aus der Reaktionsgleichung folgt:
= 4,58  10 4 mol
n(H2) = n(Zn2+)
Verteilt sich diese Stoffmenge z.B. auf 10 ml Lösung lt. den gegebenen Versuchsbedingungen, so
ergibt sich für die Konzentration an Zn2+-Ionen zum Zeitpunkt t1:
c1(Zn2+) = 4,58  10-4 mol / 1 10-2 l = 4,58  10-2 mol/l
Für die Reaktionsgeschwindigkeit während des ersten Zeitintervalls  t = 1 min (die Zink-IonenKonzentration zum Zeitpunkt t0 entspricht 0 mol/l) ergibt sich damit:
v = (c1 - c0 ) : ( t1 - t0 ) = 4,58  10-2 mol/l : 1 min = 4,58  10-2 mol/ l  min
Beispiel 2
Auflösen von Marmor durch verdünnte Salzsäure. Kohlenstoffdioxid entweicht. Der
Massenverlust des offenen Systems wird als Funktion der Zeit mit einer Waage
bestimmt.
CaCO3 + 2 H3O+ + 2 Cl-  Ca2+ + 2 Cl- + CO2  + 3 H2O
Reaktionsgleichung:
Der Massenverlust durch Entweichen von Kohlenstoffdioxid lässt sich durch Stoffmengenbetrachtung aus der Reaktionsgleichung in die ansteigende Konzentration an Ca2+ umrechnen und dann
entsprechend grafisch auftragen. Die entstehende Kurve (c(Ca2+))(t) ist mit der aus Beispiel 1
vergleichbar; sie nähert sich asymptotisch einer horizontalen Geraden, wenn z. B. der gesamte
Marmor
aufgelöst ist.
Weitere Aufgaben Buch S. 117/1, 2;
Bei allen chemischen Reaktionen treten Konzentrationsänderungen auf, auch wenn keine
Volumenveränderungen zu registrieren sind. So ergibt sich folgende Definition:
Def. :
Die Reaktionsgeschwindigkeit einer chemischen Reaktion ist der Quotient aus der
Konzentrationsänderung eines Stoffes und dem betrachteten Zeitintervall.
v =
c
t
(Einheit : mol/ l  s )
Edukte und Produkte einer Reaktion sind über die Reaktionsgleichung miteinander verknüpft; zur
Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit genügt damit die Bestimmung der
Konzentrationsänderung eines Reaktionsteilnehmers.
Die so bestimmten Geschwindigkeiten sind immer Durchschnittsgeschwindigkeiten bezogen auf feste
Zeitintervalle. Wählt man diese Zeitabschnitte immer kleiner (  t  0 s ), dann ergibt sich aus dem
Differenzenquotient der entsprechende Differentialquotient, aus der Durchschnittsgeschwindigkeit
entsteht im Grenzübergang die Momentangeschwindigkeit. Zum Zeitpunkt t gilt hierfür:
17
v =
dc
dt
Im Konzentrations-Zeit-Diagramm entspricht der Durchschnittsgeschwindigkeit grafisch die Steigung
der entsprechenden Sekante, der Momentangeschwindigkeit die Steigung der zugehörenden
Tangente.
c in mol/l
c
Momentangeschwindigkeit v
zum Zeitpunkt t1 :

vm
dc
= dt
t
Durchschnittsgeschwindigkeit
in einem Intervall :

vd 
c
t
c
t
t in sec
V(H2) als Funktion der Zeit; Durchschnittsgeschwindigkeit; Momentangeschwindigkeit
Der exakte gleichungsmäßige Zusammenhang zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit und den
augenblicklichen Konzentrationen aller an einer Reaktion beteiligter Substanzen lässt sich in
Geschwindigkeitsgesetzen zusammenfassen und über verschiedene Reaktionsordnungen definieren.
Sie sind kein Unterrichtsgegenstand der T-12-Chemie.
2.2
Aktivierungsenergie
Die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen wird beeinflusst von der Konzentration der
Reaktionspartner, den Oberflächen reagierender Körper, der Temperatur und den sog. Katalysatoren.
Der Einfluss der Konzentration ist in den Geschwindigkeitsgesetzen enthalten. Ein einfaches Beispiel
für die Wirkung großer Oberflächen ist die unterschiedliche Reaktion von Eisen mit einer offenen
Flamme. Ein kompakter Eisenstab kann in der Flamme erhitzt werden, ohne Feuer zu fangen.
Feinverteiltes Eisenpulver dagegen verbrennt in der Luft, denn dem Angriff des Sauerstoffs wird eine
viel größere Oberfläche geboten (vgl. Mehl- oder Kohlenstaubexplosionen, verursacht durch
feinstverteilte, brennbare Substanzen und Zündung durch Funken).
Def. :
Die Aktivierungsenergie ist die Energie, die man einsetzen muss, damit eine
chemische Reaktion mit merklicher Geschwindigkeit startet bzw. abläuft.
Beispiel 1
Wasserstoff- und Sauerstoffgas im Verhältnis 2 : 1 reagieren bei Zimmertemperatur
praktisch nicht miteinander. Bei Zündung des Gasgemenges durch eine Flamme oder
18
einen Funken stellt sich eine explosionsartige Reaktion ein.
Beispiel 2
Feuergefährliches Benzin kann beim Tanken gefahrlos gehandhabt werden. Erst die
Zündung im Verbrennungsraum setzt die enthaltene Energie frei.
Chemische Systeme, wie z.B. Knallgas aus Beispiel 1 oder das Kraftstoff-Luft-Gemisch aus Beispiel
2, welche zu exothermen Reaktionen befähigt sind, diese aber nicht von sich aus eingehen können,
heißen metastabile Systeme.
Nach der vereinfachten Stoßtheorie reagieren Moleküle nur dann miteinander, wenn sie mit so viel
kinetischer Energie geometrisch geeignet zusammentreffen, dass durch den Zusammenstoß
Bindungen aufgebrochen werden (Kollisionsmodell). Die kinetische Mindestenergie für einen
ausreichend kräftigen Zusammenstoß entspricht etwa der Aktivierungsenergie.
Energie
4H, 2O
Aktivierungsenergie EA
2H2, O2
freiwerdende Reaktionsenthalpie  HR ,
 HR < 0
2H2O
Reaktionskoordinate
Energie
C6H12O6, 6O2
Aktivierungsenergie EA
von außen aufzuwendende
Reaktionsenthalpie  HR
 HR > 0
6CO2, 6H2O
Reaktionskoordinate
Zusammenhang „Energie-Reaktionsfortschritt“ bei exothermen und endothermen Reaktionen
19
2.3
Konzentrationsabhängigkeit
Versuch 1
Natriumthiosulfatlösung wird mit Salzsäure unterschiedlicher Konzentration versetzt.
Es tritt eine Disproportionierung des Schwefels im Thiosulfat-Ion zu Schwefeldioxid
und elementarem Schwefel ein (Redox-System als HA).
Na2S2O3 + 2H3O+ + 2 Cl-
 S + SO2 + 3H2O + 2Na+ + 2 Cl-
Die Natrium- und Chlorid-Ionen sind nur Begleitionen, da sie an der Umsetzung nicht beteiligt sind;
die Reaktionsgleichung vereinfacht sich damit zu
S2O32- + 2H3O+  S + SO2 + 3H2O
Der zunächst als feine Trübung auftretende Schwefel ballt sich zu einem gelben Niederschlag
zusammen. Die kürzere Reaktionszeit mit konzentrierterer Säure zeigt, dass die größere
Konzentration an Oxonium-Ionen auch eine größere Reaktionsgeschwindigkeit bewirkt.
 c(H3O+)2
v
Versuch 2
Eine Verdünnungsreihe mit unterschiedlicher Thiosulfat-Konzentration wird
hergestellt und mit Salzsäure gleicher Konzentration versetzt. Die Reaktionszeiten
verhalten sich etwa umgekehrt wie die Konzentrationen.
v  c(S2O32-)
Für viele allgemeine Reaktionen vom Typ A + B  C + D findet man, dass die
Reaktionsgeschwindigkeit sowohl proportional c(A) als auch proportional c(B) ist. Dafür gilt dann:
v = k  c(A )  c( B)
Geschwindigkeitsgesetz für die obige Reaktion
k charakteristische Geschwindigkeitskonstante
k ist stark temperaturabhängig
großer Wert von k  große Reaktionsgeschwindigkeit
Aus den beiden obigen Versuchen ergibt sich damit:
2
v = k  (c( H 3O  )) 2  c(S 2 O3 )
A: B=1:1
A : B = 10 : 1
o
o
o
o
A : B = 10 : 10
o
* o *
o
o *
*
o
o
* *
o*
*o
o
o
*
1
o
o
:
*
o
o
10
:
o
o
*
o
*
100
Verhältnis der Zusammenstöße zwischen den Teilchen A und B in der gleichen Zeit und bei gleicher Temperatur
Häufigkeit der Zusammenstöße von Teilchen
20
Eine Erhöhung der Ausgangskonzentration einer Komponente beschleunigt in vielen Fällen die
Reaktionsgeschwindigkeit, eine eigentlich alltägliche Tatsache. Als Erklärung dieser Erkenntnis kann
beispielhaft die Knallgasreaktion im Gasraum oder die obige Reaktion von Thiosulfat in Lösung
herangezogen werden. Die Gasteilchen bzw. die Ionen der Edukte befinden sich in ständiger
Bewegung und stoßen dabei laufend miteinander zusammen. Kollisionen von ausreichendem Impuls,
bei denen die Teilchen die nötige Aktivierungsenergie besitzen (um die Bindung aufzubrechen bzw.
die Hydrathülle zu durchstoßen), führen zu einer chemischen Reaktion. Die Wahrscheinlichkeit von
Zusammenstößen und damit auch von wirksamen, im chemischen Sinn wirksamen Kollisionen steigt
direkt mit der Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit, also mit steigender Konzentration an.
2.4
Temperaturabhängigkeit
Versuch
Thiosulfatlösungen gleicher Konzentration werden mit verdünnter Salzsäure bei
deutlich unterschiedlichen Temperaturen versetzt und die Zeitspanne bis zum Eintreten
der Schwefel-Trübung verglichen.
Bei höherer Temperatur tritt der Thiosulfatzerfall deutlich früher ein. Die Geschwindigkeit der Ionen
in der Lösung und damit ihre kinetische Energie hat sich vergrößert und damit die Intensität der Zusammenstöße. Mehr Ionen werden damit aktiviert und reagieren bei geeignetem Aufprall mit entsprechenden Reaktionspartnern.
Nach Arrhenius steigt die Reaktionsgeschwindigkeit mit erhöhter Temperatur. Nach einer Faustregel
bewirkt eine Temperaturerhöhung um 10o eine Verdopplung der Reaktionsgeschwindigkeit; real sind
Steigerungsraten zwischen Faktor 1,5 und 4,0. Eine Temperatursteigerung von 100o ergibt einen
durchschnittlichen Faktor von 210 = 1024.
Damit muss also auch die Geschwindigkeitskonstante k im Geschwindigkeitsgesetz größer werden.
Genauer Zusammenhang :
k = Ae

EA
R T
mit
EA
R
A
T
Aktivierungsenergie
allg. Gaskonstante
reaktionscharakteristische Konstante
abs. Temperatur
Nach den Untersuchungen von L. Boltzmann besitzen nicht alle Teilchen eines Gases (oder Ionen
einer Flüssigkeit) identische kinetische Energie; eine große Anzahl von Molekülen wird eine mittlere,
zur vorliegenden Temperatur passende Energie beinhalten, es werden aber auch sehr energiearme und
energiereiche Moleküle existieren. Es ergibt sich die charakteristische Boltzmannverteilung der
Anzahl der Teilchen als Funktion ihrer kinetischen Energie.
21
Zahl der Teilchen
EA
kinetische Energie
Teilchenanzahl bei einer festen, vorgegebenen Temperatur als Funktion der kinetischen Energie der Teilchen
Bei einer angenommenen Aktivierungsenergie EA sind bei einer gegebenen Temperatur T1 nur ein
bestimmter Anteil der Moleküle bei einem Zusammenstoß zu einer Reaktion befähigt (Fläche unter
der Kurve rechts von EA). Bei einer höheren Temperatur T2 verschieben sich das Kurvenmaximum
und der asymptotische Kurvenauslauf nach rechts mit einem deutlichen Anstieg der Teilchenzahl mit
kinetischer Energie größer als EA (rot schraffierter Bereich). Der Ordinatenwert des absoluten
Maximums muss sich in der Kurve für die höhere Temperatur verkleinern wegen der Forderung der
Flächengleichheit (gleiche Teilchengesamtzahl).
Zahl der Teilchen
EA
kinetische Energie
Verteilung der Energie auf die Teilchen eines Systems bei verschiedenen Temperaturen.
22
2.5
Abhängigkeit vom Zerteilungsgrad
Metallisches Zink wird bei Raumtemperatur mit verdünnter Salzsäure versetzt. Das Metall wird in
unterschiedlichen Korngrößen eingesetzt, von Zn-Staub, Zn-Pulver, Zn-Körnern, Zn-Granalien bis zu
einem Zn-Brocken. Die Intensität der Wasserstoffentwicklung sinkt mit steigender Korngröße.
 Die Reaktionsgeschwindigkeit ist proportional zur Oberfläche des Metalls; nur an der
Außenschicht kann eine Reaktion mit den Oxonium-Ionen stattfinden. Diese Abhängigkeit ist
auf Oberflächen-Reaktionen (i. A. Festkörperbeteiligung) beschränkt.
2.6
Abhängigkeit vom Druck
Bei Reaktionen unter Beteiligung von Gasen kann eine Druckveränderung Einfluss auf den Ablauf
einer Reaktion bewirken. Hierzu ist die konkrete Reaktionsgleichung zu betrachten. Nur Reaktionen
mit unterschiedlicher Zahl der Stoffmengen an Gasen auf der Edukt- und der Produktseite reagieren
auf Druckvariation. Volumenvermindernde Reaktionen werden durch Druckerhöhung begünstigt,
Reaktionen mit Volumenvergrößerung durch Druckreduzierung.
Beispiel
Großtechnische Ammoniakdarstellung aus den Elementen
3 H2 + N2

4 Mol Gase
2 NH3
2 Mol Gase
Das Anlegen eines Überdrucks (technisch z. B. 200 bar) begünstigt die Entstehung von Ammoniak.
Übungsbeispiele
Aufgabe 1
Kupferspäne reagieren bei Raumtemperatur mit halbkonzentrierter Salpetersäure. Als
Gas entsteht zunächst Stickstoffmonoxid, Cu2+-Ionen sind in der Lösung nachweisbar.
Das farblose Gas NO reagiert mit Luftsauerstoff bei Raumtemperatur zu NO2.
Reaktionsgleichung: 3Cu + 8H3O+ + 8NO-3  3Cu(NO3)2 + 2NO + 12H2O
Es werden nun verdoppelt:
a)
b)
c)
d)
die Temperatur,
das Volumen der Säure,
die Konzentration der Säure,
der Druck auf die Flüssigkeitsoberfläche.
Begründen Sie die Wirkung dieser Maßnahmen bzgl. der Reaktionsgeschwindigkeit.
Aufgabe 2
Konzentrierte Salzsäure reagiert mit Aluminiumkörnern unter
Wasserstoffentwicklung.
Reaktionsgleichung : 6H3O+ + 6Cl- + 2Al  2AlCl3 + 3H2 + 6H2O
Durch welche sinnvollen äußeren Veränderungen lässt sich die Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen?
Genaue Begründungen!
23
2.6
Katalyseabhängigkeit
Bei einigen Reaktionen wird die Geschwindigkeit durch die Zugabe kleiner Mengen bestimmter
Substanzen beschleunigt; oft liegen diese Stoffe nach der Reaktion unverändert vor. Substanzen mit
dieser Eigenschaft heißen Katalysatoren.
Def. :
Ein Katalysator ist eine Substanz, die die Reaktionsgeschwindigkeit einer chemischen Reaktion erhöht, ohne selbst bei der Reaktion verbraucht zu werden.
Im Chinesischen bedeutet das Wort Katalysator eigentlich „Heiratsvermittler“.
Ein Katalysator reduziert die Aktivierungsenergie EA einer Reaktion; so kann eine größere Anzahl
von Molekülen die EA-Barriere überwinden und es kommt zu einer merkbaren Produktbildung.
Energie
Aktivierungsenergie EA
ohne Katalysator
Aktivierungsenergie EA
mit Katalysator
Edukte
( 2 H2, O2 )
(  H = -286 kJ/mol )
Produkte
( 2 H 2O )
Reaktionsfortschritt
Katalysatoreinfluss auf die Aktivierungsenergie einer exothermen Reaktion
Beispiel 1
Knallgasreaktion von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser
, Pt

 2 H2O  H = -286 KJ/mol
2 H2 + O2 RT
Wasserstoff und Sauerstoff sind bei Raumtemperatur ein metastabiles Gasgemenge. Ohne
Aktivierung durch „Zündung“ findet praktisch keine Reaktion statt. Durch Hinzufügen von feinst
verteiltem Platin (Platinasbest) verläuft die Reaktion der Wasserbildung bei Raumtemperatur
merklich aber nicht explosiv ab. Damit erreichen bzw. überschreiten ausreichend viele Moleküle die
jetzt deutlich niedrigere Aktivierungsenergie und die Reaktion kommt in Gang. Dies ist eine Folge
der Oberflächenwirkung des Metalls. An den Metallatomen an der Oberfläche sind noch Valenzen
frei, die mit benachbarten Wasserstoffmolekülen wechselwirken. Damit wird die Atombindung im
Gasmolekül gedehnt bis vollständig gespalten, es entstehen an Platin schwach gebundene
24
Wasserstoffatome. Diese können an der Katalysatoroberfläche bei Aufprallen von Sauerstoffatomen
lokal spontan reagieren zu Wasser. Die Wassermoleküle lösen sich sofort von der Metalloberfläche,
die nun für eine neue Katalyse zu Verfügung steht.
O2
H2
H2
freie
Valenzen
von Pt
Pt-Katalysator-Oberfläche
Wirkungsweise von oberflächenaktivem Platin bei der stillen Knallgasreaktion
Beispiel 2
Katalytische Beschleunigung der thermischen Zersetzung von Kaliumchlorat durch
eine geringe Menge an Braunstein:
MnO 2

2KClO3 (s) ,
Beispiel 3
2KCl (s) + 3O2 (g)
Die thermische Zersetzung von Wasserstoffperoxid ist stark temperaturabhängig; bei
Raumtemperatur und Dunkelheit ist die Zerfallsgeschwindigkeit sehr klein.
Ein kleiner Zusatz von Braunstein ergibt sofort eine heftige Gasentwicklung nach:
2H2O2 (aq.)
 2H2O (l) + O2 (g)
 H = -196,3 kJ/mol
Der Braunstein lässt sich nach beendeter Reaktion in unveränderter Menge isolieren und auch wieder
erfolgreich einsetzen (Heterogenkatalysator).
Die Zugabe von Chromat-Ionen (im neutralen bis leicht saurem Milieu) zu einer
Wasserstoffperoxidlösung zeigt ebenfalls eine (leicht verzögerte) Zerfallsreaktion. Die Gelbfärbung
durch die Chromat-Ionen verdunkelt sich, ein blauvioletter Übergangskomplex entsteht:
HCrO4- + 2 H2O2
gelb
 HCrO6- + 2 H2O
blauviolett
Dieser Farbkomplex (eigentlich ein Hydroxy-Komplex [CrO5(OH)]- ) spaltet Sauerstoff ab und wird
wieder zur gelben Ausgangsverbindung:
HCrO6-
 HCrO4- + O2
Die Chromat-Ionen entstehen nach diesem Kreisprozess unverändert, es liegt eine homogene
Katalyse vor.
25
Ein weiterer Homogenkatalysator für die Wasserstoffperoxid-Zersetzung ist elementares Brom. Das
Halogen ist fein verteilt in der wässrigen Phase und wirkt über einen bekannten
Reaktionsmechanismus:
Br2 (aq) + H2O2 (aq) + 2H2O (l)  2Br- (aq) + 2H3O+ (aq) + O2 (g)
2Br- (aq) + H2O2 (aq) + 2H3O+ (aq)  Br2 (aq) + 4H2O (l)
Die Addition der beiden Teilschritte ergibt die obige Zersetzungsgleichung, die Brommoleküle und
die Bromid-Ionen „kürzen“ sich weg, haben so zwar an der Reaktion teilgenommen, liegen aber in
unveränderter Form und Menge wieder vor.
Auch ein Zusatz von Hefe wirkt als Reaktionsbeschleuniger; Hefezellen enthalten einen Katalysator,
der ebenfalls den Wasserstoffperoxid-Zerfall begünstigt. Katalysatoren, die Stoffwechselreaktionen in
Organismen ermöglichen, werden als Biokatalysatoren oder Enzyme bezeichnet. Auch die Katalase,
ein in der Kartoffel enthaltenes Enzym, lässt die Sauerstoffentwicklung in obiger Reaktion bei
Raumtemperatur sofort merklich einsetzen (Biokatalysator).
Beispiel 4
Technische Ammoniaksynthese aus den Elementen durch feinverteiltes Eisen,
Aluminiumoxid und Kaliumoxid (Haber-Bosch-Synthese) katalysiert
(Kontaktkatalyse).
, Al 2 O 3 , K 2 O

N2 (g) + 3H2 (g) Fe
H <0
2NH3 (g)
Das Eisen wirkt als Heterogenkatalysator durch zunehmende Dehnung der Stickstoff-Bindung über
den Einfluss freier Valenzen des Metalls auf die Dreifachbindung.
N2
3 H2
H
H
H
H
H
N
N
N N
H
H
H
N
N
NH3 NH3
H2N
NH2
Katalytische Wirkungsweise von Eisen bei der Ammoniaksynthese
Heterogen-Katalysatoren befinden sich in einer anderen Phase als die Edukte und Produkte. Häufig
handelt es sich hierbei um oberflächenaktive Festkörper, die bei Reaktionen in der Gasphase oder in
Flüssigkeiten Verwendung finden.
26
Beispiel 5
Großtechnische Schwefelsäuresynthese nach dem Kontaktverfahren aus Schwefeldioxid und Sauerstoff mit Vanadiumpentaoxid.
2SO2 (g) + O2 (g)






2SO3 (g)
H <0
V 2O 5
Bei Raumtemperatur reagieren Schwefeldioxid und Sauerstoff praktisch nicht miteinander und bei
höherer Temperatur wird der Zerfall von Schwefeltrioxid begünstigt. Somit muss ein Katalysator
eingesetzt werden. Beim Kontaktverfahren kommt Vanadiumpentaoxid auf Siliziumdioxid als
Trägermaterial zum Einsatz.
V2O5 + SO2


2 V2O4 + O2


V2O4 + SO3
2 V2O5
Der Katalysator wird mit Sauerstoff regeneriert und der Valenzwechsel vom V-wertigen zum IVwertigen Metalloxid rückgängig gemacht. Das entstehende Schwefeltrioxid (sehr schlecht
wasserlöslich) löst sich gut in konzentrierter Schwefelsäure unter momentaner Bildung von
Dischwefelsäure; diese wird durch permanente Wasserzugabe hydrolysiert zu konzentrierter
Schwefelsäure:

SO3 + H2SO4 
H2S2O7

H2S2O7 + H2O 
2 H2SO4
Die heterogenen Katalysatoren adsorbieren die reagierenden Substanzen an ihrer Oberfläche und
führen damit zu einer Dissoziation oder zumindest zu einer Dehnung von Bindungen oder gar zu
ihrer Spaltung und damit zu einem erleichterten Reaktionsablauf. Die gebildeten Substanzen müssen
die Katalysatoroberfläche schnell verlassen, um Platz für erneute Katalyse zu machen.
Katalysatoren beschleunigen i.a. nicht nur die Reaktion zu den Produkten, sondern begünstigen in
Gleichgewichtsreaktionen auch die unerwünschte Rückreaktion. Die technische Lösung ist die
Steuerung in die bevorzugte Richtung durch Entzug eines der Produkte z.B. durch Ausfällen oder
durch sofortige Weiterreaktion oder durch Prozessführung mit einem (billigen) Edukt in leichtem
Überschuss.
2.7
Technisch wichtige Katalysatoren
In der Aufstellung sind einige wichtige Verfahren mit dem Einsatz von Katalysatoren aus der
anorganischen und organischen Chemie im großtechnischen Einsatz aufgeführt.
27
Verfahren
Ausgangsstoffe
Produkte
Katalysatoren
Hydrierung
Alkene, H2
z. B. CnH2n
Alkane
z. B. CnH2n+2
Raney-Nickel
Pd, Pt
Fischer-TropschVerfahren
CO, H2
CnH2n + 2
Eisencarbid, Co
Methanol-Synthese
CO, H2
CH3OH
ZnO / Cr2O3
Haber-BoschVerfahren
N2 , H2
NH3
Fe / Al2O3 / K2O
Epoxidierung
Alkene, O2
C
C
Ag
O
Schwefelsäuredarstellung
SO2 , O2
SO3
V2O5
Polymerisation
Alkene
Polymere
Ni- , Ti- , V-Verb.
Veresterungen
Alkohole, Säuren
Ester
Schwefelsäure
Autoabgaskatalysator
Auch in „alltäglichen“ chemischen Reaktionen werden zunehmend Katalysatoren eingesetzt, v.a. in
Kraftfahrzeugen. Sie sollen für die (fast) vollständige Oxidation bzw. für die Überführung von
Schadstoffgasen in ungefährliche Substanzen sorgen. Kohlenmonoxid und unverbrannte
Kohlenwasserstoffe werden zu Kohlendioxid oxidiert, Stockoxide zu Stickstoff reduziert.
 N2 + 2CO2
2NO + 2CO
2CO + O2
CxHy + (x +

y
4
2CO2
) O2  xCO2 +
y
2
H2O
(Folie: Aufbau Dreiwegekatalysator)
Die katalytisch wirkende Schicht im Keramikwabenkörper (Al2O3 und CeO2) eines AutoKatalysators besteht aus ca. 2 g Edelmetallen wie Platin (Oxidationskatalysator), Palladium und
Rhodium (Reduktionskatalysator); die Wirksamkeit liegt bei ca. 90% und ist stark vom Alter des
Katalysator und der Fahrweise abhängig. Im Betrieb muss stets die Mischung von Benzin und Luft
stimmen. Die Lambda-Sonde misst den Sauerstoffgehalt im Abgas und sorgt für eine elektronisch
gesteuerte optimale Gemischzusammensetzung. Sie besteht aus einer Keramik mit den
Wirkbestandteilen ZrO2 und Y2O3. In dieser Metalloxidschicht machen nicht besetzte Oxidfehlstellen
28
im Gitter eine O2- Ionenleitung möglich. Es entstehen damit messfähige Potentialdifferenzen, über die
die Luftzufuhr im Vergaser elektronisch gesteuert wird.
Luftseite :
O2 + 4e-  2 O2-
(Pluspol)
Abgasseite:
2 O2-  O2 + 4e-
(Minuspol)
Folie: Lambda-Fenster
Das optimale Verhältnis von angesaugter Luftmasse zu theoretisch erforderlicher Luftmasse (  =1)
wird nur in Grenzen erreicht. Bei  <1 ist zu wenig Luft vorhanden (fettes Gemisch; Höchstlast mit
 = 0,9 – 095; extrem hoher NOx-Anteil, rel. niedrige CO- und KW-Anteile), bei  >1 ist das
Gemisch mager (geringster Kraftstoffverbrauch bei  = 1,15 – 1,25; rel. niedriger NOx-Anteil, hohe
CO- und KW-Anteile). Schwankungen bei Lastwechsel lassen sich nur träge nachregeln. Die
Edelmetalle liefern kurzzeitig Sauerstoff bzw. entnehmen diesen aus dem Abgas und sorgen so für
einen rascheren Ausgleich. Bei moderater Fahrweise stellt sich so ein  -Fenster knapp unter dem
Optimum Eins ein mit einem sinnvollen (für ihre möglichst vollständige Beseitigung; v. a. genügend
hoher CO-Anteil für die Entstickung) Verhältnis der Schadstoffgase.
Regelung der Luftzufuhr
Vergaser
Luft
Dreiwege-Katalysator
Motor
Auspuff
LambdaSonde
Benzin
Weitgehend
gereinigtes Abgas
Schematischer Aufbau der Abgasanlage eines Benzin-PKWs
Probleme treten auch bei kaltem Motor auf, da hier das Emissionsproblem besonders groß und die
Wirksamkeit des Katalysators klein ist. Diese Abgasentgiftung ist nur bei bleifreiem Benzin (kein
Zusatz von Bleitetraethyl als Antiklopfmittel) möglich; Blei würde die Katalysatorenoberfläche
blockieren und damit die Wirkungsweise praktisch vollständig verhindern. Der im Benzin enthaltene
Schwefel ist ein zusätzliches Problem, denn Schwefel wird von den eingesetzten Edelmetallen bei
den herrschenden Bedingungen von SO2 zu SO3 katalytisch oxidiert. Mit dem entstehenden
Wasserdampf im Abgas entsteht analog der großtechnischen Produktion Schwefelsäure!
(Siehe auch Buch S. 129f)
Fallbeispiel
Ein Mittelklassewagen verbraucht 7,0 l Benzin auf 100,0 km bei gemäßigter Fahrweise. Die
Abgasmenge Kohlenstoffdioxid lässt sich unter der Annahme einer vollständigen Verbrennung und
der Vereinfachung Modellbenzin entspricht Oktan (  = 0,7028 kg/l) berechnen.
2 C8H18 + 25 O2

16 CO2 + 18 H2O
29
7,0 Liter Oktan entsprechen 4,92 kg Modellbenzin.
Mit der Molmasse 114,0 g/mol ergeben sich 43,2 mol Oktan.
Nach der Reaktionsgleichung entstehen aus 2 mol Oktan 16 mol Kohlenstoffdioxid und damit als
345,6 mol CO2.
Mit Avogadro (ein Mol Gas besitzt bei 25,0 0C ein Volumen von ca. 24,0 l) folgt ein CO2-Volumen
von ungefähr 8295 l.
Die Abgase eines benzingetriebenen Kraftfahrzeugs bestehen v. a. aus Stickstoff, Wasserdampf und
Sauerstoff. Von 100,0 l Abgas sind ungefähr 10,0 l Schadstoffgase. Die Tabelle zeigt die
durchschnittliche prozentuale Zusammensetzung der Schadgase eines Ottomotors ohne Katalysator.
Ungefähre Zusammensetzung der schädlichen Kfz-Abgase in Vol%
CO2
CO
NOx
SO2
CxHy
Aldehyde
87,6
10,3
0,6 (gemäßigter Fahrstil)
0,06
1,07 (unverbrannte und teilverbrannte Kohlenwasserstoffe
0,4
Nach der Tabelle werden real nicht 8295 l Kohlenstoffdioxid, sondern nur 7422,3 l CO2 und
zusätzlich 872,7 l CO freigesetzt. Die restlichen Schadgase entsprechen 2,1 Vol%.
Ein Volumenprozent der Schadstoffgase entspricht 87,729 l. Damit sind die Volumen aller
Schadstoffe berechenbar die bei einer 100,0 km Fahrt entstehen.
Volumen der Schadstoffgase bei 100,0 km Fahrt in Vol%
Volumen in l
CO2
CO
NOx
SO2
CxHy
Aldehyde
7422,3
872,7
50,8
5,1
90,7
33,9
87,6
10,3
0,6 (gemäßigter Fahrstil)
0,06
1,07 (unverbrannte und teilverbrannte Kohlenwasserstoffe
0,4
Setzt man vereinfacht wieder eine vollständige Verbrennung der 43,2 mol Oktan voraus, so ergibt
sich ein Sauerstoffverbrauch von ungefähr 540 mol oder 12960 l O2 bei 25,0 0C. Unter der Annahme,
dass Luft ca. 20 % Sauerstoff enthält, ergibt sich ein Luftverbrauch von 64800 l oder 64,8 m3 bei
einer 100,0 km langen Fahrt. Der Durchsatz eines Triebwerks bei einem Düsenjet ist ungefähr in der
gleichen Größenordnung, allerdings in einer Sekunde, kaum mit „gemäßigtem Fahrstil“ und ganz
ohne Katalysator!
Biokatalysatoren
Auch im menschlichen Körper wirken v.a. Blei, Cadmium, Quecksilber und andere Schwermetalle
als Katalysatorengifte; sie blockieren das aktive Zentrum eines Enzyms durch Deformation oder
dauerhafte Besetzung, behindern damit seine Wirksamkeit und führen zu Vergiftungserscheinungen.
Auch Nervengase blockieren enzymatisch kontrollierte Reaktionen und unterbrechen damit die Leitung von Nervenimpulsen.
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