`Akademisierung` der Pädagogischen `Akademien`

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Johann Pehofer
Grundsatzüberlegungen zu einer „Akademisierung“
der Pädagogischen „Akademien“
Eine verantwortungsvoll durchdachte Lehrerbildung wird sich nicht an einem bestimmten Modell orientieren und dieses unreflektiert übernehmen, sondern muss mit der
grundsätzlichen Frage der Bestimmung von Bildung und Menschsein beginnen, denn
„Schule ist nicht vor allem für Fächer, sondern für Kinder und Jugendliche und die Zukunft unserer Gesellschaft da.“1) . Will sich die Pädagogik einer zukünftigen Pädagogischen Hochschule nicht den Vorwürfen einer manipulierten Weltanschauungspädagogik
aussetzen, kommt sie nicht umhin, sich kritisch – philosophisch mit Inhalten und Notwendigkeiten zu beschäftigen.
Eine Neuorientierung und Neugestaltung der Lehrerbildung muss mit grundsätzlichen
Fragen des radikalen Menschseins beginnen, die bereits Immanuel Kant in seinen Vorlesungen zur Logik 2) gestellt hat:
1. Was kann ich wissen?
2. Was soll ich tun?
3. Was darf ich hoffen?
4. Was ist der Mensch? 3)
Bereits die erste Frage offenbart das Grundproblem der wissenschaftlichen Pädagogik:
Ist sie - die zu ihrer Bestimmung ein bestimmtes Menschenbild braucht - eine axiomatische Wissenschaft, die sich generell von exakten Wissenschaften unterscheidet? Wenn
sich der Mensch im existenzialistischen Sinn als Wesen definiert, dessen Sein sich ausdrücklich zum Sein verhält 4) , so kann und muss auch die Lehrerausbildung – will sie
sich jeglichen Vorwürfen einer Weltanschauungspädagogik entziehen - auf dieses Konstitutivum zurückgreifen: Sie muss unter dem Ziel eines der Selbstbestimmung verpflichteten Bildungsbegriffs stehen, sowohl in der Vermittlung der Werte als auch in
eigenen Verwirklichung und Umsetzung dieses Begriffs, denn die „Vorstellung von der
Machbarkeit des Menschen, die Vorstellung von der Pädagogik als einer Theorie und
Praxis im Sinne eines neuen Sozialdarwinismus fügt sich zwar in das Bild des technischen Zeitalters, in dem Vernunft auf rationell geplantes Zweck-Mittel-Denken festgelegt scheint. Sie übersieht jedoch den grundsätzlich anderen Charakter des Subjektseins,
der Personalität mit dem Recht und der Verpflichtung gemäß Einsicht und Verbindlichkeit über sich selbst zu verfügen. Andernfalls ist der Mensch nicht mehr Subjekt möglicher Gegenstände, sondern er wird selbst zum Gegenstand der Bearbeitung; damit wird
der Begriff der Bildung im Sinne personaler Selbstentfaltung, selbständiger Urteilsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft aufgelöst.“ 5)
1. Akademisierung der Lehre
Verpflichtet sich jedoch die Lehrerbildung diesem ureigensten Begriff der Pädagogik,
dann kann sie nicht ausschließlich dem reduktionistischen Begriff der Erfahrungswissenschaften entsprechen. Das bedingt, dass weder Anpassungszwänge noch vordergründige
(partei)politische Interessen ihren Platz in der Lehrerausbildung finden dürfen: Wissenschaftlichkeit, Pluralismus und akademische Freiheit und Lehre schließen Dogmatismus
und autoritäres Verhalten aus: Der Anspruch pädagogischer Führung darf durch nichts
ersetzt werden. Das so gewonnene wissenschaftlich - pädagogische Selbstverständnis
ermöglicht es „die Ausbildung für Pädagogen und Pädagoginnen, die ein Urteilsvermögen über pädagogische Sachverhalte erlangen und in diesem Sinne undogmatisch sein
wollen, stärker theoretisch auszurichten. Schwerpunkte der theoretischen Intensivierung
sollten jene Bereiche sein, die sich aus der empirischen Untersuchung nach Einteilung in
wissenschaftliche Einzeldisziplinen bilden lassen. Das sind Statistik, Logik, Ethik und
Wissenschaftstheorie im Rahmen einer konstruktiven Erziehungswissenschaft.“ 6)
Eine zukünftige akademische Ausrichtung der Pflichtschullehrerausbildung erfordert
jedoch auch von den Lehrenden jene Bereitschaft zu wissenschaftlichen Forschen und
Arbeiten, die auch von den Studierenden gefordert wird.
2. Subjektivierung statt Funktionalisierung
„Schließlich - wir wissen inzwischen: eigentlich in erster Linie - soll der Schüler neben
Wissen und Können die Fähigkeit erwerben, in der Gemeinschaft zu leben, also zum
politeuein, und die Gewohnheit nachzudenken, sein Denken zu prüfen, nach dem Sinn
der Dinge zu fragen, also zu philosophieren. Ein Lehrer, der diese Gewohnheiten nicht
hat, muß sie sich aneignen.“ 7)
In einer Zeit, in der auch in der Pädagogik „Input-“ und „Output-“ Modelle konstruiert
werden, in einer Zeit der Medienmanipulation muss eine verantwortungsvolle Lehrerbildung der Subjektivität des Einzelnen Beachtung schenken. Ein Lehrer, der sich seiner
Subjektivität nicht bewusst ist, der Defizite in der Persönlichkeitsbildung aufweist, wird
auch nicht fähig sein, diese bei seinen Schülern und Schülerinnen zu schätzen und noch
weniger zu fördern. Daher sind im Bereich der Lehrerbildung alle Bestrebungen strikt
abzulehnen, die dem Subjekt in einer dem Zeitgeist entsprechenden Funktionalisierung
Autonomie und Mündigkeit zu nehmen versuchen: Das Studium darf nicht nur der Ausbildung dienen, es muss auch eine Zeit der persönlichen Reifung, Interessensfindung und
Persönlichkeitswerdung sein. Ein Lehramtstudent muss nicht nur von den Lehrenden als
prüfendes, argumentatives Subjekt verstanden werden, er selbst muss sich als dieses verstehen lernen.
Es geht um eine verbindlichen Haltung und Entscheidungsfähigkeit gegenüber dem als
wahr Erkanntem: Beide müssen so zu einem zentralen Bestandteil der Lehrerausbildung
werden, denn in der Berufstätigkeit des Lehrers können die wesentlichen pädagogischen
Entscheidungen „durch Einflüsse von außen zwar erleichtert oder erschwert, nicht aber
vorweggenommen werden.“ 8)
3. Ethik , Werte und Moral
Daraus ergibt sich von selbst die Überleitung zum dritten notwendigen Punkt einer verantworteten Lehrerausbildung, nämlich den Bereichen der Ethik, der Werte und der Moral. „Die Institutionen, die in früheren Zeiten Werte setzten und Spielregeln festlegten:
Elternhaus und Schule, sind dazu nicht mehr in der Lage, aber ohne eine solidaritätsschaffende und Orientierung bietende Ethik wird die Gesellschaft auf Dauer nicht bestehen können. Denn jede Gesellschaft braucht Bindungen, ohne Spielregeln, ohne Traditi-
on, ohne einen ethischen Minimalkonsens, der den Verhaltensnormen zugrunde liegt,
wird unser Gemeinwesen eines Tages so zusammenbrechen wie vor kurzen das sozialistische System“ 9)
Gerade hier hat die Pädagogik eine Aufgabe, die über das rationale Erklären von Zusammenhängen ihr Wesen ausmacht; denn die Behandlung von Werten, von Fragen der
Ethik und Moral ist nicht als isolierte Forderung zu verstehen. Gerade die Affinität zu
allgemeinen Erziehungszielen zeigt die Wichtigkeit dieser Forderung. Denn „die Bindung an andere, die Gefühle der Zugehörigkeit, das Erleben sozialer Nähe, die Existenz
von Anerkennungs- und Anpassungsbereitschaften als Bestandteile von Gemeinschaften
dienen ja nur als Übergangsmomente zur Erzielung von Mündigkeit und Selbstbestimmung des Ich.“ 10)
Soll und will Pädagogik sich selbst gerecht werden, kann sie ohne Ethik nicht auskommen, denn gerade das pädagogisches Ethos „ist Parteinahme für das Personsein des
Menschen und die darin als Aufgabe gegebene Möglichkeit der Bildung. Diese Parteinahme in der Haltung des Ethos gilt für alle Pädagogik“ . 11) Und seinen Sinn erhält alles
Einzel- und Fachwissen erst, wenn „es sich in den Dienst der zu entfaltenden Bildung
stellt, wenn es Ausdruck jener pädagogischen Liebe wird, die sich im Zeugen des Schönen und Guten begreift.“ 12)
Es genügt jedoch nicht eine akademisch – abstrakte Behandlung im Bereich der Lehrerbildung, die Forderung nach Verwirklichung „fordert dem Hochschullehrer selbst zusammen mit dem wissenschaftlichen Ethos eben auch ein pädagogische Ethos und Geschick ab, das für die Studierenden an ihm gleichfalls ´sichtbar´ und erfahrbar sein soll,
das aber jeden Lehramtstudierenden nun wieder in besonderer Weise angehen muss und
ihm selbst pädagogische Grundhaltung an erlebter pädagogischer Haltung wecken und
fördern kann.“ 13)
4 Internationalisierung
Die Tatsache, dass auch - oder gerade - der Bereich der Bildung und der Wissenschaften
nicht mehr auf dem Gebiet der eigenen Hochschule endet, bedeutet eine einmalige
Chance für die in der Entstehung befindlichen Pädagogischen Hochschulen in Österreich. In bereits bestehenden Kooperationen kann nicht nur die eigene pädagogische
Leistung evaluiert werden, wobei durch bestehende Netzwerke wertvolle Rückmeldung
aus anderen Staaten erwartet werden kann. Auch Studierende erhalten die Chance, durch
Austauschprogramme und Gastdozenten anderer Institutionen jene Haltung eines Weltbürgers zu bekommen, der nicht nur für die wissenschaftliche Welt generell, sondern
gerade im Bereich der Pädagogik eine wichtige Rolle spielt, denn eine Zukunft Europas
ist nicht ohne Bildung möglich. Will Europa nicht in neuen Nationalismen versinken,
soll bei den Bürgern ein Verständnis für die Vielgestaltigkeit Europas erreicht werden,
will Pädagogik einen aktiven Beitrag zu einer Friedenspädagogik leisten, will man zu
den ständig wachsenden und immer komplexer werdenden Problemen unserer Gesellschaft Lösungen finden, so muss eine zukünftige Pädagogische Hochschule diesen Bereich zu einem zentralen machen. Denn, wie es Jean Monnet, der Gründer der Montanunion, in seinem letzten Interview formulierte: „Würde ich es noch einmal tun, würde
ich mit der Bildung beginnen. “ 14)
Somit sind die Voraussetzungen einer Lehrerausbildung genannt, die sich dem Begriff
der Pädagogik in ihrem ureigensten verpflichtet fühlt, erfasst: Akademisierung als Voraussetzung für pädagogisches Urteilsvermögen, Subjektivität als Voraussetzung der
Personalität, Haltung als subjektive Umsetzung der Ethik, Internationalität als Maßstab
der Evaluation und Qualität: „Andernfalls ist der Mensch nicht mehr Subjekt möglicher
Gegenstände, sondern er wird selbst zum Gegenstand der Bearbeitung: Damit wird der
Begriff der Bildung im Sinne personaler Selbstentfaltung, selbständiger Urteilsfähigkeit
und Verantwortungsbereitschaft aufgelöst.“ 15)
Es muss den zukünftigen Pädagogischen Hochschulen in Österreich gelingen, diese
Grundsätze umzusetzen, und die Freiheit einer kritisch - akademischen Haltung zu verwirklichen. Denn auch „heute erfüllt das Bildungssystem seinen Auftrag am besten,
wenn es sich nicht bedingungslos den gesellschaftlichen Erwartungen instrumental unterwirft, sondern diese in kritischer Vermittlung als konkrete Aufgabe unter gegebenen
empirischen Bedingungen fasst, um aus ihrem Anlaß den Logos der Seele zu vermehren“.
16)
Fußnoten:
1 Struck, Peter: Neue Lehrer braucht das Land. Ein Plädoyer für eine zeitgemäße Schule.
Darmstadt 1994, S 172
2 Immanel Kant in der Weischeidel-Ausgabe von 1977, S448.
3 Vgl. dazu auch: Krope, Peter: Muss Pädagogik dogmatisch sein? In: Bayer M. et al.: Brennpunkt
Lehrerbildung. Strukturwandel und Innovationen im europäischen Kontext. Opladen 1997,
S 301-315
4 Schütz, Egon: Prolegomena zu einer existenzialkritischen Pädagogik. In: Konrad, Helmut:
Pädagogik und Wissenschaft, Kippenheim 1981, S 83
5 Heitger, Marian: Das Bildungssystem zwischen öffentlicher Erwartung und pädagogischem
Auftrag. In: Heitger, Marian (Hrsg.): Beiträge zu einer Pädagogik des Dialogs. S 131
6 Krope, Peter: Muss Pädagogik dogmatisch sein? In: Bayer M. et al.: Brennpunkt Lehrerbildung.
Strukturwandel und Innovationen im europäischen Kontext. Opladen 1997, S 301-315
7 Hentig, Hartmut von: Die Schule neu denken. München – Wien, 1994, S 255
8 Eckinger, Ludwig: Professionalisierung des Lehrers durch Pädagogische Bildung. In: Ernst, Hans;
Gonnert, Siegfried; Schulz, Georg (Hrsg.): Theorie und Praxis in der Lehrerbildung. München
1992, S 94
9 Dönhoff, Marion: Zivilisiert den Kapitalismus. Grenze der Freiheit, Stuttgart 1997, S13
10 Uhle, Reinhard: Individualpädagogik oder Sozialerziehung zur Ambivalenz von Autonomie und
Re-Vergemeinschaftung. Bad Heilbrunn, 1995
11 Heitger, Marian: Vom Eros pädagogischen Handelns im interdisziplinären Zusammenhang. In:
Heilpädagogik 2000, Graz 1988, S 110-116A
12 Ebenda
13 Reble, Albert: Pädagogische Grundhaltung – ein nicht immer beachteter zentraler Zielpunkt der
Lehrerausbildung. In: Ernst, Hans; Gonnert, Siegfried; Schulz, Georg (Hrsg.): Theorie und
Praxis in der Lehrerbildung , München 1992, S 238
14 Zit. Nach: Riemer, Gerhard: Neue Anforderungen an das Bildungswesen im Lichte der
europäischen Integration. In: Klement, Karl; Oswald, Friedrich; Rieder, Albert (Hrsg.):
Bildung - Schwelle zur Freiheit. Ergebnisband zum 11. Europäischen Pädagogischen Symposion
(EPSO) in Baden bei Wien. Linz: 1993, S.
173-178.
15 Heitger, Marian: Das Bildungssystem zwischen öffentlicher Erwartung und pädagogischem
Auftrag. In: Heitger, Marian (Hrsg.): Beiträge zu einer Pädagogik des Dialogs. Wien 1983.
S 135
16 Ebenda
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