VL Diabetes mellitus

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Diabetes mellitus
Definition:
Störung der Glukoseverwertung
durch Insulinmangel (relativer / absoluter Mangel)
bzw. unzureichende Insulinwirkung
Begriffserläuterung:
Glukose = Traubenzucker = Transportform der
Energie in Blut und Zellen
Insulin = Hormon der Inselzellen der
Bauchspeicheldrüse
„diabetes“ = Durchfluß
„mellitus“ = honigsüß
Häufigkeit
 Kinder unter 15 Jahre:
Prävalenz: 82 auf 100.000 Kinder
Inzidenz:
1987
 1998
10
 16
pro 100.000 pro Jahr
 Patienten unter 20 Jahre:
Prävalenz: 140 auf 100.000 Patienten
Krankheitsmechanismus
 Regelkreis:
Bauchspeicheldrüse
Inselzellen
Blut:
Glukose
Insulin
Insulinrezeptor
Körperzellen
 bei Diabetes ist Regelkreis gestört:

am häufigsten Insulinproduktion (Typ 1 (und 2))
oder Insulinwirkung (Typ 2)
Einteilung der Diabetesformen:
Diabetes-Form
Krankheitsmechanismus,
weitere Unterteilung
Typ I-Diabetes
Zerstörung der Inselzellen durch
eigenes Immunsystem
Therapie: Insulingabe
Typ-II-Diabetes
verminderte Insulinwirkung auf die
Körperzellen (Insulinresistenz)
+ gestörte Insulinbildung:
- z. B. Altersdiabetes
- z. B. Adipositas
Therapie: Medikamente,
Gewichtsreduktion, später Insulin
spezifische Diabetestypen:
A genetische Defekte der -Zell-Funktion:
B
C
D
E
F
G
H
Schwangerschaftsdiabetes
- z. B. „MODY“
genetische Defekte des Insulinrezeptors
Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse:
- z. B. Mukoviszidose
Erkrankungen diverser Hormondrüsen
medikamenten-/chemikalien-induzierter
Diabetes
Infektionen
seltene immunologische Diabetesformen
genetische Syndrome, die mit Diabetes
assoziiert sein können:
- Trisomie 21
- Turner-Syndrom etc. etc.
Häufigkeitsverteilung der Diabetesformen
(< 20-jährige Diabetespatienten, die in der DPV-Wiss-Datenbank
bundesweit registriert sind)
Diabetes-Form
Typ-I-Diabetes mellitus
Anzahl Patienten
14.919
Diabetes mellitus bei
Pankreaserkrankungen
86
Typ-II-Diabetes mellitus
72
MODY
40
hormonell oder
medikamentös bedingter
Diabetes mellitus
26
mit Diabetes assoziierte
Syndrome
29
sonstige Diabetesformen
16
Diabetes mellitus Typ 1
Krankheitsentstehung:
genetisch fixierte Neigung
zur autoimmunen Reaktion
gegen eigene Inselzellen
Virus-Infektion;
chemische Noxen
Demaskierung von Autoantigenen auf den Inselzellen

Autoimmunreaktion

Entzündung der Inselzellen = "Insulitis"

wenn 90 % der Zellen zerstört

ausgeprägter Insulinmangel

Symptome des Diabetes mellitus
Klinische Symptomatik:
Beginn:
- oft schleichend

wenn nicht erkannt  plötzliche schwere
Dekompensation  Koma
- in 80 % "langsame Manifestation":
= rechtzeitige Diagnose in Anfangsphase
- in 20 % "akute Manifestation":
= stationäre Einweisung in schwerer Stoffwechseldekompensation bzw. Koma
Symptome (Typ 1 und 2):
- häufiges Wasserlassen  nächtliches Einnässen!
- Durst
- Heißhunger
- Gewichtsabnahme
- Abgeschlagenheit
- selten Erbrechen
Diagnostik:
 Messung der Blutglukose
(evtl. auch Zufallsdiagnose durch Harnglukose)
 erhöhte Nüchtern-Blutglukose ohne Symptome:
1. "inselzell-gesundes" Kind nach Steroidgabe
2. "gestörte Glukosetoleranz"
3. Diabetes mellitus in der Anfangsphase

Kriterien zur Unterscheidung:
1. Kontrollen der Nüchtern-Blutglukose
2. oraler Glukose-Toleranztest = OGTT
Therapie des Diabetes mellitus Typ 1
1. Diabetes mellitus Typ 1 mit Koma
2. Diabetes mellitus Typ 1 ohne Koma
zu 1. Diabetes mellitus Typ 1 mit Koma
- Intensivstation
- Flüssigkeits- und Elektrolytersatz intravenös
- Insulinsubstitution
- etc.
zu 2. Diabetes mellitus Typ 1 ohne Koma
- stationäre Aufnahme
- Insulinsubstitution
- engmaschige Blutglukose-Überwachung:
"Blutzuckertagesprofil"
- Anpassung der Insulindosis an individuellen Bedarf
Beachte:
vorübergehende Erholung der Inselzellfunktion
bei Kindern!
= "REMISSION"
- Beginn der Remission abpassen: 10 bis 14 Tage!
- dann Übergang zu ambulanter Dauerbehandlung
5 Säulen der Dauerbehandlung bei Diabetes mell. Typ 1:
1. Insulinsubstitution subcutan
2. geregelte Kost (nicht „Diät“)
3. Muskelarbeit
4. ausführliche und ständig wiederholte Schulung
5. psychologische Betreuung
Ziele der Behandlung:
1. Vermeidung akuter Komplikationen:
schwere Hypoglykämien, Ketoazidosen
2. Reduktion der Häufigkeit diabetischer
Folgeerkrankungen (in den ersten 10-20 J.):
diabetische Retinopathie, Nephropathie etc.
4. normale körperliche Entwicklung
5. normale psychosoziale Entwicklung
Therapie des Diabetes mellitus Typ 2
- bei beginnenden / Schwachformen:
 Diät unter Vermeidung schnell aufnehmbarer
(=süßer) Kohlenhydrate
 Gewichtsreduktion
- bei fortgeschrittenen Formen, aber vorhandener
Insulinrestsekretion:
 Medikamente: Förderung von Insulinausschüttung
und Insulinwirkung
 Diät
- bei versiegender Insulinrestsekretion:
 Insulin + wie Typ 1
Komplikationen
 Koma
 Nebenwirkungen der Insulintherapie:
- hypoglykämische Anfälle:
wie epileptischer Anfall oder Koma
- Vermehrung oder Untergang von Fettgewebe an den
Spritzstellen
Prognose und Verlauf:
- generell günstig (in den ersten 10 – 20 Jahren)
- körperliche, geistige und sexuelle Entwicklung normal unter
sachgemäßer Behandlung
- bei unzureichender Therapieführung:
 „Mauriac-Syndrom“: heutzutage nicht mehr!
(Minderwuchs, Stammfettsucht, Leberverfettung,
Cataracta)
 Brittle-Diabetes mit Leberglykogenose
 schnelleres Auftreten von Folgeerkrankungen
- Störungen der psychosozialen Entwicklung möglich:
unzureichende psychische, soziale, organisatorische,
finanzielle Bewältigung der Erkrankung, ihrer Behandlung
und ihrer Folgen
 Folgeerkrankungen nach 8 bis 10 bis 15 Jahren auch bei
optimaler Therapie zu erwarten  nicht zu verhindern
Folgeerkrankungen:
= sogenannte vaskuläre Spätkomplikationen:
- Erkrankung der großen und kleinen Gefäße
- Ursache:
„Verzuckerung“ von Eiweißen,
generelle Veränderungen des Zucker-Stoffwechsels,
Enzymaktivierungen etc.
- Empfänglichkeit dafür individuell sehr unterschiedlich:
Rolle genetischer Faktoren!
betroffene Organe:
 Auge: diabetische Retinopathie (Netzhauterkrankung)
Beginn im statist. Mittel: nach 8 – 10 Jahren
50 % der Patienten betroffen: nach 12,5 – 14,5 J.
100 % betroffen: nach > 20 Jahren
 Niere: diabetische Nephropathie (Nierenerkrankung)
 andere Organe / Körperteile:
- Herz-Kreislauf-System:
Bluthochdruck, Gefahr durch Herzinfarkt,
Schlaganfall
- diabetischer Fuß: Durchblutungsstörungen  Gangrän
- periphere Nerven: Steuerung von Darm, Harnblase,
Gefäßtonus etc. gestört
 je besser die Langzeitstoffwechselkontrolle, desto
später und leichter die Folgeerkrankungen
Psychosoziale Aspekte des Typ-1-Diabetes bei Kindern
und Jugendlichen
Diabetes =
chronische, gewissenhaft zu behandelnde Erkrankung
mit Risiko für Komplikationen und Folgeerkrankungen
= psychisch zu bewältigende Lebensaufgaben und
Bedrohungen
- Diagnosestellung = „kritisches Lebensereignis“!
- körperliche und psychische Dauerbelastung für Patienten
und Eltern
- psychische und sozioökonomische Ressourcen der Familie
werden strapaziert = große Anpassungsleistung
- lebenslanger Akzeptanzprozeß erforderlich!
Ängste der Eltern:
- Angst vor Folgeerkrankungen
- Angst vor Komplikationen
(hypoglykämische Anfälle  Risiko für Hirnschaden)
Folge: Depressionen u. a. affektive Störungen v. a. bei
Müttern
Ängste der Kinder / jugendlichen Diabetiker:
- Übertragung der Unsicherheit von Eltern auf Kinder
- Gefühl der körperlichen Minderwertigkeit
- Abhängigkeitsgefühl, ständige Kontrolle  jgdl.
Streben nach Unabhängigkeit
- Enttäuschung über Verlauf der Erkrankung bei
schwer beherrschbaren Blutzuckerschwankungen
Reaktionen, Folgen:
- Rückzug, Unsicherheit, Identitätskrisen, geringes
Selbstwertgefühl
- Konflikte: mit Eltern, Schule etc.
- affektive Störungen: Depressionen, Angstsyndrome
- subklinische Eßstörungen (Anorexie, Bulimie aber
nicht gehäuft)
- „Insulin-purging“: gezielte Insulin-Unterdosierung,
Nahrungsaufnahme ohne Insulingabe
- „thanatophiles“ Verhalten: unbewusste
Suizidversuche (heimliche Insulininjektionen,
Überdosierungen)
- evtl. Manipulationen der Therapie, an denen die
gesamte Familie beteiligt ist
Wechselwirkung zwischen Stoffwechseleinstellung und
psychischen bzw. intellektuellen Problemen:
psychischer Streß des Patienten  Stresshormone verhindern
gute Stoffwechseleinstellung
Depression der Mutter  Risiko für Stoffwechselsituation des
Kindes
schlechte Stoffwechseleinstellung  mentale Defizite
Assoziationen (in Studien bewiesen):
zu hoher Blutglukosemittelwert,
gehäufte Stoffw.entgleisungen,
wiederholte schwere Hypoglykämien,
lange stationäre Aufenthalte
Diabetesmanifestation vor 5.
Lebensjahr,
anhaltende Hyperglykämien,
wiederholte schwere
Hypoglykämien
verminderte
Intelligenz,
Schul- und Lernprobleme
Defizite von:
Aufmerksamkeit,
Informationsverarbeitung,
Gedächtnisleistung
Psychosoziale Hilfen:
optimal: multiprofessionales pädiatrisches Diabetesteam
- pädiatrische Diabetologen
- Diätassistenten
- Psychologen
- Pädagogen
- Sozialarbeiter
Medizinisch und psychologisch fundierte Schulungskonzepte:
 individuelle Erstschulung
 regelmäßige Folgeschulungen: für Eltern /
altersgerecht für Kinder:
- individuelle Beratungen
- Gruppenschulungen
- Schulungsfreizeiten (= Ferienlager) für die
Patienten
Ziele:
- Wissensvermittlung
- emotionale Bewältigung: z. B. stabiles Selbstwertgefühl
- Förderung von Selbständigkeit / Selbstmanagement der
Patienten bzw. der Eltern = „Empowerment“
Bei psychosozialen Störungen:
- psychosoziale Beratung,
- familientherapeutische / psychotherapeutische
Intervention
- finanzielle, soziale Unterstützung: z.B. ambulante
Pflegedienste
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