KKP/BE – Klasse 6C Aus der WAHRNEHMUNGSPSYCHOLOGIE

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KKP/BE – Klasse 6C
Aus der WAHRNEHMUNGSPSYCHOLOGIE
Dalis „Paranoisches Gesicht“
In seinen Aufzeichnungen berichtet der spanische Künstler Salvador Dali von einem
Ereignis, wo ihm die eigene Wahrnehmung einen Streich gespielt hat: als er sich 1931
sehr intensiv mit Picassos Porträts und Kopfbildern befasste, geschah es, dass er auf
seinem Schreibtisch zwischen Zetteln zu seiner großen Verwunderung ein ihm bislang
unbekanntes Picasso- Gesicht fand.
Bei näherer Betrachtung bemerkte er dann schnell die afrikanische Szene, die auf dieser
Postkarte eigentlich abgebildet war.
Die Illusion passierte ihm, weil die Karte 90° nach
rechts gedreht vor ihm lag, und weil er vor lauter
Picassos „gar nichts anderes mehr sah“.
Selbstverständlich schlachtete er diesen Zufall für neue
Gemälde aus.
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„Paranoisches Gesicht“, 1933
In der Gruppe besprechen wir selbst erlebte Situationen, in denen wir bereits
vergleichbare Erfahrungen gemacht haben: „…seit wir selbst ein rotes Auto haben, sehe
ich vorwiegend rote Autos, während mir solche früher überhaupt nicht aufgefallen sind..“
Leonardos anatomische Studien
In der Renaissance erinnerte man sich an ca. 2000 Jahre alte Lehrsätze aus der Antike.
„Der Mensch ist das Maß aller Dinge“, hieß es da. Und das bedingte nun die Frage, was
der einzelne Mensch von sich aus tun könnte, um Sinn und Ethik in sein Leben zu
bringen.
Albrecht Dürer aus Nürnberg vertrat z.B. die Ansicht, die Menschen sollten ihre jeweils
eigenen Talente entdecken und entfalten. Denn mit dem, was sie am liebsten tun und
demnach am besten können, könnten sie der Gesellschaft auch am besten dienen.
Leonardo da Vinci war fasziniert von physikalischen Zusammenhängen und Mechanik. Er
tat sein möglichstes, den Dingen auf den Grund zu gehen. Daher sein Wunsch, zu
wissen, wie der menschliche Körper von innen aussieht. Gern hätte er das Organ
gefunden, in dem die Seele ihren Sitz hat. So untersuchte er die Augen, von denen es
damals schon hieß, sie seien die Fenster zur Seele.
Geschützt vor dem Zugriff durch die Inquisition konnte er im Mailänder Herzogspalast
anatomische Studien durchführen.
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Er erkannte, dass die Bilder der Außenwelt in verkleinerter, auf dem Kopf stehender und
spiegelverkehrter Form auf die Netzhaut des Auges projiziert werden.
„Sehen“ und „Erkennen“ sind zwei Paar Schuhe
Inzwischen ist bekannt, dass das Netzhautbild
nicht identisch ist mit dem Bild unserer
Wahrnehmung. Vielmehr werden die im Auge
gewonnenen Daten zur Verarbeitung in die
Sehrinde im Hinterkopf geleitet. Dort wird geklärt,
wo wir hinschauen. Achten wir zum Beispiel auf
die neuen Sportschuhe, in denen unser Nachbar
vor uns steht, bilden sie den Fokus unserer
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Aufmerksamkeit. Alles andere verschwimmt in
diesem Moment. Das heißt nicht, dass das Auge
als Kameraobjektiv nicht die übrigen Dinge vor
sich auch alle sehen würde. Das wohl, aber sie
gehen nicht ins Bewusstsein.
Der objektive, allgemein uninteressierte Blick der
Kamera sieht hier lediglich zwei Linien.
Unser Wahrnehmungsapparat verlangt hingegen
von uns permanent die Entscheidung, was wir
von der Außenwelt erkennen wollen.
Nur auf diese Weise kommen „Sinn“ volle Bilder
zustande, die für uns Mitteilungen bieten bzw.
Orientierung ermöglichen – entweder die zwei
Gesichter oder der Kelch.
In diesem Zusammenhang veranschaulichen die
Schülerinnen und Schüler zeichnerisch die
springenden Punkte, die in
Dalis „Sklavenmarkt
mit unsichtbarer Büste
Voltaires“ den
Kippeffekt bewirken.
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„Wahrnehmen“ heißt: Daten aus der Wirklichkeit heraus messen
Was wir sehen, hören oder erleben, sind alles Messergebnisse unseres
Wahrnehmungsapparates. Sie bilden unsere Realität. Was nicht gemessen wird, bleibt als
Möglichkeit lebendig bis eventuell eine Messung erfolgt – vgl.: bloß weil ich jetzt nur auf
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die Schuhe meines Nachbarn schaue, ist es ja trotzdem möglich, dass ich gleich auch den
Potkasten beachte, zu dem ich eigentlich am Weg war ..
Ein anderes Beispiel: Eine im Dunklen geworfene Münze bleibt am Boden liegen. Zeigt
Kopf oder Zahl nach oben? Beides ist möglich. Sobald wir Licht machen, fällt die
Entscheidung. Die Messung macht aus der Möglichkeit eine Realität. Das Sowohl Als
Auch wird festgelegt zum Entweder Oder.
Ein ZEN- Rätsel: Der Baum, der in der Einöde umfällt. Niemand ist da, der es hört. War
da trotzdem ein Geräusch?
Unser Gehirn ist so verkabelt, dass wir nur erkennen, was wir für möglich halten.
(Das andere sehen wir nicht einmal)
Wir erinnern uns an Ultraschall oder Röntgenbilder, in denen wir als Laien oft nichts
Plausibles erkennen können, während dem Arzt anscheinend alles klar ist.
Wie oft sind wir schon an Türen vorbei gelaufen, weil wir es nicht für möglich hielten, dass
wir da wirklich hinein wollten.
Für ein Experiment in der Verhaltensforschung wurden Katzenbabys in einem Raum
gehalten, in dem es keine vertikalen Linien gab. Wochen später, als die Kleinen in ihre
normale Umgebung entlassen wurden, liefen sie gegen Tisch- und Stuhlbeine, weil sie sie
nicht sehen konnten.
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Die Bilder in optischen Illusionen stellen unsere gewohnten Wahrnehmungsmuster in
Frage. Bei der ersten Begegnung haben wir unsere Mühe mit ihnen. Sie senden
gewissermaßen auf einer eigenen Frequenz. Und wir müssen daher an unseren
Empfangsantennen so lang herumdrehen, bis wir die diffusen Gestaltfetzen geordnet
haben. Dann rasten sie plötzlich zu einer Figur ein. Die Leitung ist gelegt. Und ab jetzt
finden wir nicht mehr zurück in die ursprüngliche Situation, in der wir die Figur nicht
erkennen konnten.
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Die gegenwärtige amerikanische Gehirnforschung hat herausgefunden, dass unser Gehirn
100 Milliarden Wahrnehmungseinheiten pro Sekunde verarbeitet und dass uns davon nur
2000 bewusst sind; (die Zahlen beziehen sich auf die gesamte Wahrnehmung – nicht nur
auf optische Reize).
Das ergibt ein Verhältnis wie 2mm (bewusst Wahrgenommenes) zu 100 km (unbewusst
Wahrgenommenes).
Einleuchtend in diesem Zusammenhang, dass Missverständnisse einfach passieren;
dass die eine Person sehr leicht etwas versteht, was die andere überhaupt nicht gemeint
hat; dass man dem anderen die eigene Sicht der Dinge nie bis ins Letzte klar machen
kann, weil wir nicht von Hirn zu Hirn, sondern nur über Worte, Bilder und Töne
kommunizieren können; (niemand außer Dir selbst wird je erfahren, wie es ist, Du zu sein.
Und kein anderer wird je dasselbe fühlen wie Du, so sehr Du Dich auch bemühst, Dich
ihm mitzuteilen.)
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Der Mensch ist ein Gewohnheitstier
Ausbrechen aus eingefahrenen Denkrillen
Von der unbegrenzten Wirklichkeit bekommen wir pro Sekunde also 100 Mia. Reize mit.
Und die 2000 Reize unseres Bewusstseins bilden einen verschwindend kleinen Bereich
innerhalb dessen, was möglich, gut und gültig wäre. Trotzdem bewegen wir uns mit allem,
was wir tun und denken meist nicht aus diesem Feld hinaus – wir fühlen uns hier einfach
sicher.
Dennoch lohnt der eine oder andere Vorstoß über den eigenen Horizont.
Das Kreativitätstraining bietet Übungen an, die darauf abzielen, dass die Übenden lernen,
dort Dinge zu sehen, wo sie vorher lediglich „nichts“ sehen konnten.
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Wir zeichnen einen Lehnsessel – aber nur anhand der Zwischenräume von Stuhlbeinen,
Lehnen und Sitzfläche. Da wir nur auf diese Leerräume achten, wird in unseren
Zeichnungen das Nichts sichtbar, das mit dem Gegenstand in unmittelbarem
Zusammenhang steht – als Ideenraum bzw. als Raum für neue Möglichkeiten.
In gleicher Weise modellieren wir die Negativform, die unsere zugreifende Hand
einschließt.
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