Repetitorium Strafrecht AT - Ruhr

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Prof. Dr. Rolf D. Herzberg: Repetitoriums Strafrecht AT
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Strafrecht – Allgemeiner Teil
Repetitorium
Ein systematischer Grundriss
mit methodischen Hinweisen
zur Gesetzesauslegung und Fallbearbeitung
Dieser Grundriss begleitet das Uni-Repetitorium „Strafrecht – Allgemeiner Teil“.
Er vermittelt in diesem Bereich das Wissen für die Klausur und die mündliche Prüfung im ersten Examen. Der Stoff ist so dargestellt, dass den Lernenden das Verstehen, Behalten und Anwenden der allgemeinen Regeln möglichst leicht gemacht
wird. Das bedeutet:
– Scheinbare Besonderheiten werden auf allgemeingültige Gedanken zurückgeführt.
– Der strukturelle Zusammenhang der allgemeinen Deliktsarten wird deutlich gemacht.
– Im Vordergrund stehen die gesetzlichen Merkmale; nur im Rahmen ihrer Auslegung gewinnen dogmatische Sekundärbegriffe, „Theorien“ und Meinungsstreitigkeiten Bedeutung.
– Aufbauempfehlungen und Formulierungsvorschläge erleichtern die Erstellung
von strafrechtlichen Gutachten.
Ein weiteres Anliegen ist es, immer wieder klarzumachen, wo die Stringenz der
Ableitungen aus dem Gesetz endet und wo das Recht vom Rechtsanwender eigene
Wertungen fordert.
Rep AT. Stand:14.05.16.
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Prof. Dr. Rolf D. Herzberg, Prof. Dr. Bernhard Hardtung, Jörg Scheinfeld
 Exkurs: Das Lernen von juristischem Stoff
Als Teilnehmer des Repetitoriums sind Sie vermutlich „scheinfrei“ und wollen sich nun gezielt auf die Examensklausuren vorbereiten. Erfahrungsgemäß heißt das aber nicht, dass Sie während Ihres Studiums schon die richtige
Strategie gefunden haben, mit der es Ihnen gelingt, den juristischen Stoff effizient und verständig zu lernen. Mancher spürt vermutlich an einigen Lerntagen, dass, obwohl er viel gelesen und das auch alles verstanden hat, davon
nur sehr wenig im Kopf abgespeichert und abrufbar ist. Als Ursache dafür kommen mehrere „Lernfehler“ in Betracht. Wir wollen Ihnen in dieser kurzen Einführung nur ausgewählte Punkte benennen, die gerade das juristische
Lernen betreffen. Zu allgemeinen Tipps verweisen wir Sie auf Bücher, die wir gut finden und für Sie ausgewählt
haben.
Von allgemeiner Wichtigkeit ist zunächst, dass der Lernprozess aus mehreren Teilprozessen besteht. Wir wollen dabei nur auf die Teile „Verstehen des Stoffes“ und „Speichern des Stoffes“ eingehen. Die beiden Abschnitte erfordern
jeweils eine eigene Herangehensweise und Geisteshaltung. Beim Teilprozess des Verstehens sollten Sie sozusagen
von „unten“ nach „oben“ arbeiten, und beim Speichern umgekehrt von „oben“ nach „unten“. Beispielhaft: Wenn Sie
den strafrechtlichen Begriff des Vorsatzes verinnerlichen wollen, sollten Sie zunächst vom konkreten Fall ausgehen
(unten). Der nächsthöhere Begriff ist die „Definition des Vorsatzes“, dann kommt der „subjektive Tatbestand“ und
zuoberst der „Tatbestand“. Würden Sie sich beispielsweise nur die Definition des Vorsatzes merken, bliebe diese für
Sie nur eine Begriffshülse. Um zu verstehen, was damit genau gemeint ist, brauchen Sie anschauliche Fälle. Und dafür nimmt man tunlichst, was meist vernachlässigt wird, den einfachen Normalfall; denn wenn Sie diesen kennen,
können Sie sich notfalls durch den Vergleich mit dem Problemfall die Definition herleiten (dazu Haft, Einführung in
das juristische Lernen, 1997, Kapitel 8).
Wenn Sie nun ein gewisses Fallmaterial gesammelt und einen (ungefähren) Begriff vom Vorsatz haben, können Sie
sich daran machen, diese Informationen zu speichern. Die Beschaffenheit unseres Gehirns zwingt dabei dazu, nunmehr umgekehrt von oben nach unten vorzugehen, also vom abstrakten Begriff zum konkreten. Denn so wie das
Schiff zum Andocken einen Hafen braucht, benötigt die Information im Gehirn einen vorgeprägten Begriff höherer
Ordnung; fehlt ein solcher, geht die Information (vermutlich) verloren. Man kann sich das so vorstellen, dass die Information in dem im Gehirn vorhandenen Netz nach Bekanntem sucht und dort verweilt, wo es Vertrautes findet.
Um also Informationen zum Vorsatz systematisch und abrufbar zu speichern, müssen Sie zumindest die Begriffe
„Tatbestand“ und „subjektiver Tatbestand“ verstanden haben. Diese Zusammenhänge machen verständlich, warum
„aller Anfang schwer ist“: Man muss nämlich, wenn man sich auf ein ganz neues Gebiet einlässt, beides leisten, das
Verstehen des konkreten Begriffes wie das systematisierende Einordnen in einen größeren Zusammenhang. Weiß
man hingegen schon (so ungefähr), was der Begriff Tatbestand bedeutet, muss man nur noch das konkrete Problem
verstehen und kann es dann an der richtigen Stelle ablegen. Daraus folgt, dass Sie sich schnell darüber klar werden
sollten, was etwa die Begriffe Tatbestand – Rechtswidrigkeit – Schuld oder die Begriffe Einwendung – Einrede unterscheidet. Denn sie sind Begriffe hoher Ordnung im System des Rechts und müssen daher als „Hafen“ verfügbar
sein. Je klarer sie Ihnen sind, desto besser dienen sie Ihnen als Grundlage für neuen Stoff. Dabei vereinfachen sich
die Dinge, wenn Sie sich immer auch die Rechtsfolgen bewusst vor Augen führen (welche Folgen hat die Einordnung eines Tatbestandes aus dem BGB als Einrede?).
Wenn Sie sich mit den drei strafrechtlichen Begriffen Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld befassen, werden
Sie darauf stoßen, dass mehreres auseinander zu halten ist. Erstens: Als Punkte in Ihrem Prüfschema haben diese
Begriffe nur die Funktion, die Prüfung zu systematisieren; sie haben als ein solches Subsumtionsschema also nur
dienenden Charakter, ohne inhaltliche Aussagen zu machen. Zweitens handelt es sich um dogmatische Kategorien,
mit denen die Autoren bestimmte Sachaussagen und inhaltliche Festlegungen verbinden. Drittens unterscheidet auch
das Gesetz diese Begriffe und knüpft beispielsweise unterschiedliche Folgen an Irrtümer auf Tatbestands- und
Schuldebene. Der Streit um den Erlaubnistatbestandsirrtum etwa betrifft den zweiten Punkt, die dogmatischen Kategorien; und er rankt sich um die Frage, ob die Rechtswidrigkeit eine eigenständige Wertungsebene ist oder hingegen
mit dem Tatbestand die einheitliche Wertungsebene des Unrechts bildet (zum Verhältnis Tatbestand und Rechtswidrigkeit prägnant Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, 1996, S. 64-68 und 118-122).
Weil manche Begriffe so abstrakt sind, dass sie für sich genommen dem Lernenden nichts oder fast nichts sagen,
kann man sie auch nur als „Aufhänger“ verwenden, woran sich einzelne Fälle knüpfen. Was z.B. den prozessualen
Tatbegriff angeht, nützt es Ihnen nichts, sich bloß dessen Umschreibung als „einheitlichen geschichtlichen Vorgang“ zu merken. Bei einer so blassen Kennzeichnung müssen Sie sich vielmehr praktische Fälle merken, um ein
Gespür für die Wertungen zu entwickeln, die dahinter stehen. Am besten wählt man zunächst sowohl Fälle, bei deRep AT. Stand: 14.05.16.
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nen eine einzige prozessuale Tat unumstritten angenommen wird, als auch welche, bei denen klar auf zwei oder
mehrere zu erkennen ist. Dann kann man sich den problematischen Fällen zuwenden.
Bei allen mnemotechnischen Tricks, die Sie sich vielleicht aus den gleich genannten Büchern aneignen, werden Sie
nicht umhinkommen, sich häufig konzentriert in einen juristischen Text zu versenken. Dabei steigert es Ihre Konzentration, wenn Sie sich vor dem Lesen klare und konkrete Ziele setzen: Was sind die Kernargumente zum Thema?
Bei welchem Tatbestandsmerkmal muss ich das Problem in der Klausur behandeln? Sehr effektiv ist es, einen Text
in der Absicht zu lesen, später einem Kommilitonen das Wichtigste daraus zu referieren – am besten ist natürlich,
wenn Sie dies dann später wirklich tun. Einen weiteren Nutzen hat die Zielsetzung: Ich will herausfinden, welchen
Argumentationsstil der Autor verfolgt! Damit fördern Sie Ihre Kritikfähigkeit, Ihr methodisches Verständnis und
steigern Ihr Repertoire an Argumentationsmustern. Neben solchen, unmittelbar auf den Stoff abgesteckten Zielen,
können Sie sich auch anderes aufgeben und so für Abwechselung sorgen: Ich werde die Ausführungen Herzbergs in
JuS 1996, 377 ff. widerlegen! Auch dadurch erhöhen Sie Ihre Konzentration und nehmen den eigentlichen Lernstoff
besser auf. „Der Möglichkeiten sind viele“, schreibt Verena Steiner in Ihrem Buch „Exploratives Lernen“ (6. Aufl.
2001) und setzt den Leser über viele davon ins Bild. Das Buch ist gut zu lesen und bietet neben vielen Tipps fürs
Lernen den Vorteil, dass die Lektüre an sich bereits zum Lernen motiviert. Auch werden Sie, nachdem Sie es gelesen haben, Ihr Projekt „Examen“ effektiver und zielstrebiger angehen. Wir empfehlen es als Eingangs- und Basislektüre!
Mit einer unnötigen Hypothek geht ins Examen, wer die häufig erforderlichen Aufbauschemata (z.B. Erfolgsqualifikation, Organstreitverfahren, Zulässigkeit einer zivilrechtlichen Klage) nicht schnell reproduzieren kann. Wem es
schwer fällt, sich diese Schemata zu merken, findet mnemotechnische Hilfen und Systeme im Buch von Tony
Buzan, Nichts vergessen!, 2000, Preis: 8,- Euro. Immer aber müssen Sie darauf achten, dass Sie die einzelnen Prüfpunkte verstanden haben. Für Sie wichtig und aufschlussreich ist in dem genannten Buch vor allem auch das Kapitel
11: „Der Rhythmus des Gedächtnisses“! – Eine umfassende Anleitung dazu, „wie man die Vorlesung optimal
nutzt“, bietet Brigitte Chevalier, Effektiver Lernen, 1999; das Buch ist vorhanden in der Präsenzbibliothek der Geschichtswissenschaftler (GA 5/40): Signatur Ag. 6.1/38.
Eine Warnung sei am Ende noch ausgesprochen. Wenn Sie eines oder mehrere dieser Bücher konsultieren, werden
Sie eine Menge an Tipps geliefert bekommen, wie Sie Ihr Lernen gestalten können. Daran kann man sich leicht aufhalten und sich verzetteln. Deshalb unser Tipp: Verwenden Sie eines der Bücher neben dem Lernen und nicht in der
Haltung, erst einmal die Voraussetzungen für das Lernen zu schaffen! Probieren Sie einen Lerntipp nach dem anderen aus, und beginnen Sie mit dem reizvollsten! Den bei Ihnen vielleicht auftretenden Drang, die Bücher zu studieren, können Sie schon motivierend einsetzen, indem Sie die Lektüre als Belohnung dafür nehmen, dass Sie sich einen juristischen Problemkreis umfassend erarbeitet haben.
A. Examenswichtige Grundlagen
I.
Die Aufgaben des Strafrechts und seine Unterscheidung von
anderen Rechtsgebieten
Fall 1:
Nach einer Feier setzt A sich betrunken ans Steuer seines Autos, um nach Hause zu
fahren. Unterwegs gerät er infolge seiner Trunkenheit auf die Gegenfahrbahn und stößt
dort mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammen. Dessen Fahrer wird schwer
verletzt. Später wird festgestellt, dass A zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration
(BAK) von 1,5 ‰ hatte.
Was droht A? Versuchen Sie zunächst selbst, sich die Rechtsfolgen klar zu machen und unterscheiden Sie dabei nach den verschiedenen Rechtsgebieten!
Schlehofer (Universität Düsseldorf) führt dazu und insbesondere zu den Aufgaben des Strafrechts Folgendes aus.
»Die Trunkenheitsfahrt und der Unfall haben für A rechtliche Konsequenzen verschiedener Art. Das Bürgerliche Recht verpflichtet A dazu, F den unfallbedingten Schaden zu ersetzen (§§ 823, 847 I BGB). Das
Strafrecht droht A für die Tat Strafe an (§§ 315c I Nr. 1 Buchst. a, 229); außerdem verfügt es, dass das
Gericht dem A die Fahrerlaubnis entzieht (§§ 61 Nr. 5, 69 I, II Nr. 1) und eine Sperre für die Erteilung eiRep AT. Stand:14.05.16.
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ner neuen Fahrerlaubnis bestimmt (§ 69a). Das Öffentliche Recht wertet die Trunkenheitsfahrt als Ordnungswidrigkeit (§ 24a I Nr. 1 StVG), allerdings mit der Maßgabe, dass sie als solche nur geahndet werden darf, wenn keine Strafe verhängt wird (§ 21 I, II OWiG). Daneben ordnet das Öffentliche Recht die
Entziehung der Fahrerlaubnis an (§ 3 I StVG), gibt dabei aber wiederum dem Strafrecht den Vorrang
(§ 3 III, IV StVG).
Diese unterschiedlichen Bewertungen und Rechtsfolgen erklären sich aus den unterschiedlichen Zwecken, die die Normen des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts und des Öffentlichen Rechts verfolgen.
Worum es den §§ 823, 847 BGB geht, liegt nach deren Rechtsfolgen auf der Hand: Sie sorgen dafür,
dass F einen Ausgleich für die Schäden erhält, die er durch den Unfall erlitten hat. Klar ist auch der
Zweck des § 3 I StVG. Die Vorschrift will verhindern, dass ungeeignete Personen Kraftfahrzeuge führen,
und dadurch die Sicherheit des Straßenverkehrs gewährleisten. Schwerer fällt es zu sagen, was die Normen des Strafrechts und des ihm nahe stehenden Ordnungswidrigkeitenrechts bezwecken.
1. Die „Zweispurigkeit“ des Strafrechts
So wie sich die Zwecke der §§ 823, 847 I BGB, 3 I StVG aus deren Rechtsfolgen erschließen, könnte
sich das vom Strafrecht Bezweckte aus den Rechtsfolgen der Strafrechtsnormen erschließen. Diese sehen grob gesagt zwei Arten von Rechtsfolgen vor: die Verhängung von Strafe (siehe insbesondere die
Normen im Besonderen Teil des StGB, §§ 80 ff.) und die Anordnung von Maßregeln der Besserung und
Sicherung (§§ 61 ff.). Man spricht deshalb von der „Zweispurigkeit“ des Strafrechts. Der Zweck, genauer:
die Zwecke der Maßregelvorschriften kommen in der gesetzlichen Kennzeichnung der Maßregeln deutlich zum Ausdruck. Es sind die Besserung des Täters und die Sicherung der Allgemeinheit.
2. Mögliche Strafzwecke
Was die Strafrechtsnormen erreichen sollen, die die Verhängung von Strafe vorsehen, sagt das StGB
hingegen nicht so klar. Man diskutiert deshalb verschiedene Strafzwecke. Im Grundsatz geht es dabei um
Vergeltung auf der einen und Prävention auf der anderen Seite. Der Präventionsgedanke taucht dabei in
verschiedenen Formen auf. Man unterscheidet zum einen danach, ob präventiv auf die Allgemeinheit oder auf den bereits straffällig gewordenen Täter eingewirkt werden soll. Im ersten Fall spricht man von
Generalprävention, im zweiten von Spezial- oder Individualprävention. Zum andern wird danach differenziert, wie die General- oder Spezialprävention erreicht werden soll, durch „negative“ oder durch „positive“
Einwirkung: „negativ“ durch Abschreckung des straffällig gewordenen Täters (negative Spezialprävention)
oder der Allgemeinheit (negative Generalprävention); „positiv“ durch Besserung des straffällig gewordenen Täters (positive Spezialprävention) oder durch Erhaltung und Stärkung des allgemeinen Vertrauens in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung (positive Generalprävention).
Jeder dieser möglichen Strafzwecke wird auch als Strafzweck postuliert, entweder als ausschließlicher
oder als einer neben anderen (siehe dazu ausführlich Roxin, Strafrecht AT 3, § 3 Rn 1 ff). Es herrscht die
sog. Vereinigungstheorie. So hat etwa das BVerfG „Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des
Täters, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht“ als „Aspekte einer angemessenen Strafsanktion“
bezeichnet (BVerfG 45, 187, 253 f.).
Bei dieser Diskussion wird allerdings oft nicht hinreichend differenziert. Man muss nämlich mehreres auseinander halten. Zunächst gilt es zu trennen zwischen der rechtsphilosophischen und rechtspolitischen
Frage, welchem Zweck das Strafrecht dienen soll, und der rechtsdogmatischen Frage, welchem Zweck
das geltende Strafrecht dient. Die letztere – hier allein interessierende – Frage muss vorrangig nach den
gesetzlichen Vorgaben beantwortet werden. Rechtsphilosophische oder rechtspolitische Erwägungen
dürfen die Antwort nur insoweit mitbestimmen, wie das geltende Recht dies zulässt. Außerdem ist zu
trennen zwischen der Frage nach dem Zweck der die Strafe androhenden Normen (Strafandrohungsnormen), dem der Strafverhängung und dem des Strafvollzuges. Denn diese Zwecke könnten verschieden
sein.
3. Die Zwecke der Strafandrohungsnormen
Indem der Gesetzgeber eine Tat mit Strafe bedroht, drückt er aus, dass er sie rechtlich missbilligt, dass
sie nicht sein soll. Damit bewertet er zugleich das, was durch die Tat verletzt oder beeinträchtigt wird, als
etwas, was nach rechtlicher Bewertung schützenswert ist, sprich: als Rechtsgut. Die Strafandrohungsnormen dienen mithin dem Rechtsgüterschutz. Diesen Zweck können sie aber nur erreichen, wenn sie auch
darauf abzielen, das Verhalten der Menschen zu beeinflussen. Das tun sie auf zweierlei Weise. Zum eiRep AT. Stand: 14.05.16.
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nen wollen sie durch die Androhung des Strafübels, das man als Preis für die Straftat erleidet, abschrecken. Insoweit stehen sie im Dienst negativer Generalprävention. Zum andern zeigen die Strafandrohungsnormen, dass der Staat gewillt ist, durch den Einsatz von Strafe für die Erhaltung des Rechtsguts
zu sorgen, und werben damit um Vertrauen in die Rechtsordnung und ihre Durchsetzungskraft. Sie setzen mithin auch auf positive Generalprävention. Über negative wie positive Spezialprävention oder über
schuldausgleichende Vergeltung können sie ihr Ziel des Rechtsgüterschutzes hingegen nicht erreichen.
Soweit die Strafandrohungsnormen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verhindern wollen, müssen sie Strafe
für den Fall einer zukünftigen Straftat androhen; eine begangene Straftat lässt sich ja nicht mehr verhindern. Dann kann sich die Strafandrohungsnorm aber auch nicht an den individuellen Täter der Straftat
wenden. Ihn gibt es erst, wenn die Straftat begangen worden ist. Und erst dann gibt es auch eine Schuld,
die vergolten werden kann.
4. Die Zwecke der Strafverhängung
Zu welchem Zweck die Strafe für die begangene Tat verhängt und bemessen wird, ergibt sich aus den
Vorschriften über die Strafbemessung (§§ 46 ff.). Nach § 46 I S. 1 ist „Grundlage für die Zumessung der
Strafe“ die „Schuld des Täters“. Das heißt, dass sich das Maß der Strafe (jedenfalls auch) nach dem Maß
der Schuld bestimmt. Soweit sich das Strafmaß aus dem Maß der Schuld ergibt, dient die Strafe mithin
dem Schuldausgleich. [Ich sehe das etwas anders: „Schuldausgleich“ ist niemals (End-)Zweck einer –
ihm „dienenden“ – Bestrafung, sondern immer nur Mittel zu einem anderen Zweck. Der Schuldausgleich
dient allemal einem Interesse außerhalb seiner selbst. Dieses kann bestehen in einem Gerechtigkeitsverlangen – gleiches Unrecht fordert gleiche Strafe, unabhängig von der künftigen Gefährlichkeit des Täters
– oder in einem schlichten Vergeltungsbedürfnis einiger oder vieler, die ohne dessen Befriedigung leiden
würden. Beides, Gerechtigkeitsgefühl und Vergeltungsbedürfnis, mögen sich ändern oder schwinden, sie
sind aber noch eine zu berücksichtigende Realität. Der Satz „die Schuld des Täters ist Grundlage für die
Zumessung der Strafe“ besagt lediglich, dass solche Interessen immer nur im Rahmen der Schuldvergeltung, d.h. mit einer die Schuld nicht übersteigenden Bestrafung verfolgt werden dürfen. Gegen die gängige Sicht, auch die Schuldvergeltung als solche sei ein Zweck der Bestrafung, spricht i.Ü. die Erwägung,
dass wir dann in Widerspruch zum ethischen Postulat gerieten, Schuld möglichst zu vergeben statt sie zu
vergelten: „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. – R.D.H.] Das ist nach den §§ 46 ff. aber nicht
der einzige Zweck der Strafe. § 46 I 2 verpflichtet den Richter, bei der Strafbemessung auch die „Wirkungen ... zu berücksichtigen“, „die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu
erwarten sind“. Zu diesen Wirkungen gehören die Abschreckung des Täters von weiteren Straftaten und
seine Besserung hin zu einem rechtstreuen Lebenswandel. Negative und positive Spezialprävention sind
damit ebenfalls Zwecke der Strafe. Schließlich gibt § 47 zu erkennen, dass Strafe auch „zur Verteidigung
der Rechtsordnung“ verhängt wird. So ist gem. § 47 I einer der Gründe, eine Freiheitsstrafe unter sechs
Monaten zu verhängen, dass „besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters
liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe ... zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen“. Verteidigt wird die Rechtsordnung sowohl durch eine Strafbemessung, die die Allgemeinheit von
entsprechenden Rechtsbrüchen abschreckt, wie auch durch eine Strafbemessung, die die Geltung und
Durchsetzungskraft der Rechtsordnung unterstreicht und ihr dadurch in der Allgemeinheit Akzeptanz verschafft. Indem das StGB Strafe zur Verteidigung der Rechtsordnung erlaubt, legitimiert es also ihren Einsatz zu den Zwecken der negativen und positiven Generalprävention.
5. Die Zwecke des Strafvollzugs
Auskunft über die Zwecke des Strafvollzugs, genauer: des Vollzugs der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten, gibt § 2 S. 1 StVollzG: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig
in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel)“. Schlagwortartig spricht
man von Resozialisierung oder in der Terminologie der Straftheorien von positiver Spezialprävention. Gemäß § 2 S. 2 StVollzG „dient“ der Vollzug der Freiheitsstrafe „auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“. Dieser Schutz ist aber nicht wie die Resozialisierung ein Zweck, der am Ende des Vollzugs erreicht sein soll. Denn § 2 S. 2 StVollzG meint nur den Schutz der Allgemeinheit während des Vollzuges. Insoweit ist dieser Schutz allerdings auch bezweckt. Übersetzt in die Sprache der Straftheorien
heißt das, dass der Strafvollzug für die Dauer des Vollzuges auch der negativen Spezialprävention dient.
Mit ihr ist nämlich neben der Abschreckung des Täters auch die Sicherung der Allgemeinheit vor weiteren
Straftaten des Täters gemeint.
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6. Anhang: Die Zwecke des Ordnungswidrigkeitenrechts und sein Verhältnis zum Strafrecht
Die Zwecke des geltenden Ordnungswidrigkeitenrechts sind ebenso differenziert nach den gesetzlichen
Vorgaben zu bestimmen wie die des Strafrechts. Sie ergeben, dass auch das Ordnungswidrigkeitenrecht
dem Rechtsgüterschutz dient. Indem es Taten mit Geldbuße bedroht, missbilligt es sie rechtlich und bewertet die durch sie beeinträchtigten Güter damit als rechtlich schützenswert. Das Ordnungswidrigkeitenrecht sucht den Rechtsgüterschutz auch auf gleichem Wege zu erreichen wie das Strafrecht. Wie die Androhung von Strafe wirkt die Androhung einer Geldbuße im Sinne negativer und positiver Generalprävention: Die Androhung schreckt ab und betont die Geltung und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung. Mit
dem Strafrecht gemeinsam hat das Ordnungswidrigkeitenrecht schließlich die Sanktionsziele des Schuldausgleichs, der negativen und positiven Spezialprävention wie der negativen und positiven Generalprävention. Der Schuldausgleich ist als Zweck der Verhängung und Bemessung der Geldbuße festgeschrieben in § 17 III OWiG. Danach ist „Grundlage für die Zumessung der Geldbuße“ neben der „Bedeutung
der Ordnungswidrigkeit“ „der Vorwurf, der den Täter trifft“. Spezial- und Generalprävention werden im
Ordnungswidrigkeitenrecht zwar nicht so deutlich als Sanktionszwecke genannt wie im Strafrecht. Dass
auch sie Zweck der Ahndung sind, erschließt sich aber aus dem Ziel, das das Ordnungswidrigkeitenrecht
ebenso wie das Strafrecht letztlich anstrebt: aus dem Rechtsgüterschutz. Denn wie sich bei den Strafzwecken gezeigt hat, sieht die Rechtsordnung in den negativen und positiven Formen der Spezial- und
Generalprävention die Mittel zur Erreichung dieses Ziels.
Die gleiche Zweckausrichtung von Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht wirft die Frage auf, worin
sich beide Rechtsgebiete unterscheiden. Der Unterschied ist zunächst ein formaler. Straftat und Ordnungswidrigkeit haben andere Rechtsfolgen. Die Straftat ist mit Strafen oder Maßregeln i.S.d. StGB bedroht. Zu diesen Strafen gehören insbesondere die Freiheits- und Geldstrafen i.S.d. §§ 38 f., 40–43, nicht
aber die bürgerlichrechtliche Vertragsstrafe (§ 339 BGB), Disziplinarmaßnahmen, wie sie beispielsweise
das Beamtenrecht vorsieht, und prozessrechtliche Ordnungs- und Zwangsmittel (siehe etwa §§ 51, 70
StPO). Die Ordnungswidrigkeit hingegen ist mit Geldbuße bedroht. § 1 I OWiG definiert die Ordnungswidrigkeit ausdrücklich als „eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt“. In den unterschiedlichen Rechtsfolgen
drückt sich aber auch ein materieller Unterschied aus. Da die Geldbuße eine weniger schwere Sanktion
ist als die Strafe, muss das Unrecht einer Ordnungswidrigkeit weniger schwer wiegen als Strafunrecht.
Diese Gewichtung vorzunehmen ist Aufgabe des Gesetzgebers. Er ist dabei allerdings nicht völlig frei; die
Verfassung zieht ihm Grenzen. Das BVerfG hat eine solche Grenze beispielsweise in seiner Entscheidung zu § 218a StGB i.d.F. des 5. StrRG vom 18.6.1974 (Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch)
gezogen: „Im äußersten Falle, wenn nämlich der von der Verfassung gebotene Schutz auf keine andere
Weise zu erreichen ist, kann der Gesetzgeber verpflichtet sein, zum Schutz des sich entwickelnden Lebens das Mittel des Strafrechts einzusetzen“ (BVerfGE 39, 1, 46 f.).«
II. Beschränkungen der Rechtsfindungsmethoden im Strafrecht:
Der Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 II GG, § 1 StGB)
Fall 2:
A und B stapfen mit ihren Rodelschlitten stundenlang bergauf durch den winterlichen
Wald, um eine gerühmte lange Abfahrt zu machen. Oben merkt A, dass sein Rodel kaputt ist. Er schnappt sich schnell den des B und saust bergab. B muss durch den Schnee
zurückmarschieren, stapft geradewegs zur Polizeistation und stellt erbost Strafantrag
gegen A wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs.
III. Sachlicher Überblick
1. Die Systematisierung der Strafbarkeitsvoraussetzungen
Fall 3:
T und O geraten in einer Kneipe miteinander in Streit. T zieht dem O eine Bierflasche
über den Schädel; O geht betäubt zu Boden.
Fall 4:
Wie Fall 3. Aber T tut das, weil er nur so verhindern kann, dass O ihn schlägt.
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Fall 5:
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Wie Fall 3. Aber T tut das, weil er so betrunken ist, dass er sich nicht mehr beherrschen
kann.
Unterscheiden Sie die „klassischen“ Stufen des Deliktsaufbaus:
 Tatbestand
T hat im Fall 3 und dessen Abwandlungen jeweils den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, § 224 I Nr. 2, verwirklicht.
 Rechtswidrigkeit
T hat im Fall 4 ebenfalls den Tatbestand des § 224 verwirklicht. Aber er hat in Notwehr (§ 32)
und deshalb nicht rechtswidrig gehandelt. Weitere Bsp. für Rechtfertigungsgründe: §§ 34; Einwilligung; behördliche Genehmigung; § 127 StPO.
 Schuld
T hat im Fall 5 tatbestandlich und rechtswidrig gehandelt, aber gemäß § 20 ohne Schuld, weil er
wegen seiner alkoholbedingten krankhaften seelischen Störung oder tiefgreifenden Bewusstseinsstörung unfähig war, nach seiner Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln. Weitere Bsp.
für das Fehlen der Schuld: §§ 17, 19, 33, 35.

Sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen
In Fall 5 die Rauschtat bei § 323a.
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Unrecht
Erfolgsunwert: Ist dem Bestand an Rechtsgütern geschadet oder genutzt worden?
Verhaltensunwert: Verhält T sich im Hinblick auf den Erfolgsunwert pflichtwidrig (sorgfaltswidrig, unerlaubt riskant)?
Vorstellungsunwert (Vorsatz): Stellt T sich vor, durch sein pflichtwidriges Verhalten einen Schaden herbeizuführen?
(Verhaltens- und Vorstellungsunwert werden meist zusammen Handlungsunwert genannt.)
Tatbestand (in allen drei Fällen)
Rechtswidrigkeit
Tbl. Erfolgsunwert: Dem Rechtsgut der körperlichen Integrität des O ist geschadet worden (§ 223).
Tbl. Verhaltensunwert: T handelt mit Blick auf den tbl. Erfolgsunwert pflichtwidrig (er schlägt zu).
Tbl. Vorstellungsunwert (= Vorsatz): T weiß, dass er sich tbl.
pflichtwidrig verhält (zuschlägt) und dadurch den O schädigt.
igzigt.
Der tbl. Erfolgsunwert wird im Fall 4 kompensiert durch Erhalt
von Ts Gesundheit und Verteidigung der Rechtsordnung (§ 32).
Der tbl. Verhaltensunwert wird im Fall 4 kompensiert, weil Ts
Verhalten voraussehbar keinen Erfolgsunwert schafft.
Der tbl. Vorstellungsunwert wird im Fall 4 kompensiert, weil T
sich ein insgesamt nicht pflichtwidriges Verhalten vorstellt.
Abbildung 1:
Unrecht – Tatbestand und Rechtswidrigkeit
subj. Tb-Erfüllung
subj. Unrecht (Vorstellungsunwert)
obj. Tb-Erfüllung
obj. Unrecht (Erfolgs- und Verhaltensunwert)
Abbildung 2:
Das Zusammenspiel von objektivem und subjektivem Unrecht
(d. h. von Erfolgs- plus Verhaltensunwert und Vorstellungsunwert)
Machen Sie sich das Zusammenspiel der Unrechtskomponenten an den folgenden Fällen klar!
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Fall 6:
Frau A lässt gern Steine auf dem Wasser springen. Eines Tages gerät ihr – wie so oft –
ein Wurf ganz schlecht, so dass der Stein ihren Freund N schmerzhaft am Kopf trifft.
Fall 7:
Frau A ist wütend auf N, weil er mit kalten Worten „Schluss gemacht“ hat. Sie wirft
ihm einen Stein nach, verfehlt ihn aber.
Fall 8:
Frau A ist wütend auf N (s.o.) und wirft einen Stein nach ihm. Zu ihrer Freude trifft sie
ihn auch tatsächlich schmerzhaft am Kopf.
2. Das vorsätzliche vollendete Handlungsdelikt
Fall 9:
A grillt in seinem Garten Lammfleisch. Seinen Bruder K, der nebenan wohnt, ärgert
das sehr, denn er hat nur Maiskolben zum Grillen. K geht mit A aufs Feld und erschlägt
ihn mit einem Stein.
Lesen Sie §§ 211, 212 und §§ 15, 16 sowie § 8!
3. Das fahrlässige vollendete Handlungsdelikt
Fall 10: A fährt zu schnell und kann deshalb nicht mehr rechtzeitig bremsen, als das Kind K
hinter seinem Ball her auf die Fahrbahn läuft. K und der Ball überstehen den Unfall
nicht.
Lesen Sie §§ 222, 303 und § 15; außerdem § 276 I 2 BGB!
4. Das zum Teil vorsätzliche, zum Teil fahrlässige Delikte („VorsatzFahrlässigkeits-Kombinationen“)
Fall 11: T schließt den O in einem alten Bunker ein, um ihn zu ärgern. Aus Versehen lässt er
den O dort verhungern.
5. Das versuchte Handlungsdelikt
Fall 12: Grundstückseigentümer E ärgert sich maßlos darüber, dass der Hund des Nachbarn N
ständig seinen Vorgarten verschmutzt. Als er eines Tages mit dem Wagen von der Arbeit kommt, sieht er N mit dem Tier an der Leine über die Straße gehen. E tritt auf das
Gaspedal, um Hund und Herrchen zu töten. Die beiden können sich aber retten.
Lesen Sie §§ 212, 303 StGB, 17 Nr. 1 TierSchG und §§ 22, 23 I, II, 12 StGB!
Fall 13: T ist gerade dabei, den O zu erwürgen, als die Kirchenglocken läuten und ihn versöhnlich stimmen. Er lässt O los.
6. Das Unternehmensdelikt
Fall 14: Der Terrorist T versucht, durch Freisetzen von Kernenergie eine Explosion herbeizuführen, um dadurch Menschen zu töten. Sein Plan misslingt.
7. Das Unterlassungsdelikt
Fall 15: Vater V geht mit seiner Tochter T und seinem Stiefsohn S, der T oft drangsaliert, an
den sylter Strand. S will unbedingt ins eiskalte Wasser. Als er dort einen Krampf bekommt und zu ertrinken droht, hilft V ihm nicht. S ertrinkt.
a) V erkennt zwar die Not, aber ihm ist der Tod des verhassten S willkommen.
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b) V sieht und hört zwar den Kampf des S, hält das Ganze aber für einen albernen Spaß.
c) Wie Fall a; aber V hätte in dem eiskalten Wasser wegen einer bislang unerkannten
Herzschwäche selber den Tod gefunden, bevor er S hätte retten können.
8. Täterschaft und Teilnahme
Fall 16: T möchte X, Y und Z töten.
a) Er hetzt seinen Pit Bull Terrier auf den X, den das Tier zerfleischt.
b) Eine Woche später lässt er den Y von Z erschießen, indem er dem Z glaubhaft androht, anderenfalls ihn zu töten.
c) Eine weitere Woche später ertränkt er den Z in einem Baggersee, und zwar mit Hilfe
seines Freundes M, der ebenfalls Hand an Z legt, weil auch er dessen Tod wünscht.
Abwandlung: M ist geisteskrank; T weiß das nicht.
Fall 17: Im Fall 16 möchte T die drei töten, weil A ihm dafür 3 Millionen Euro angeboten hat.
Jedes Mal hat sich T von G zum Tatort bringen und auch wieder abholen lassen.
Fall 18: F fährt mit dem Auto von seiner Stammkneipe weg, obwohl er weiß, dass er betrunken
ist. Schon beim Ausparken schlägt er aus Versehen das Lenkrad kaum ein und kommt
nur mit Glück am neuen Mercedes des Gastes G heil vorbei. Eigentlich wollte F gar
nicht mehr fahren; aber sein Zechkumpan Z hatte ihn dazu überredet, weil er sogar
wünschte, dass Auto des G möge Schaden nehmen.
Fall 19: T und M lungern auf der Straße herum. Als sie den P aus seinem Porsche aussteigen
sehen, verständigen sie sich mit wenigen Worten, ihn auszurauben. Sie warten, ihm unauffällig folgen zu können, kriegen dann aber doch Skrupel und beschließen rasch, es
lieber zu lassen.
9. Die Rechtsfolgen
a) Freiheits- und Geldstrafe
aa) Die Strafrahmen
Lesen Sie zuerst §§ 211, 212, 285 und dann §§ 38, 39, 40 I, II, IV!
Fall 20: Weil Hansa Rostock gegen den VfL Bochum verloren hat, bemüht sich der Hansa-Fan
F, seinen Ärger in Bier zu ertränken. Als er schon erheblich angetrunken ist (2,5 ‰
BAK), bricht sein Ärger sich aber doch Bahn und H schlägt den Bochum-Fan B so brutal zusammen, dass Bs linker Arm gelähmt bleibt. Das hatte F allerdings nicht gewollt.
bb) Die Konkurrenzen
 Gesetzeskonkurrenz: lesen Sie noch einmal Fall 9!
 Tateinheit und Tatmehrheit (auch: Ideal- und Realkonkurrenz): Vergleichen Sie im folgenden
Fall einerseits § 52 und andererseits §§ 53, 54!
Fall 21: „Der Angeklagte hielt sich ... im Stadtpark von Fürth auf. Er setzte sich nacheinander
auf mehrere Bänke und entblößte seinen Geschlechtsteil. Sobald junge Mädchen nahten, spreizte er die Beine, so daß sein Glied zu sehen war. Das tat er auch, als die
zwölf- und dreizehnjährigen L, H und B vorbeikamen“ (BGHSt 4, 303).
cc) Die konkrete Strafzumessung (§ 46)
Fall 22: Wie Fall 20. Aber H war nüchtern. Im Hinblick auf die schwere Verletzung des B hat
er ...
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a)
b)
c)
d)
wie im Fall 20 fahrlässig gehandelt.
leichtfertig gehandelt.
mit Eventualvorsatz gehandelt.
absichtlich gehandelt.
b) Weitere Sanktionen
10. Die Verfolgbarkeit einer Straftat
Die bisher behandelten Voraussetzungen sind Voraussetzungen für die materiell-rechtliche
Strafbarkeit. Daneben gibt es Voraussetzungen für die prozessrechtliche Verfolgbarkeit. Sie gehören genau genommen nicht mehr ins Gutachten, wenn – wie fast immer – nur nach der Strafbarkeit gefragt ist. Aber trauen Sie weder der Aufgabenstellung noch Ihrem Prüfer! Es ist allgemein üblich, von Ihnen auch manche Ausführungen zur Verfolgbarkeit zu verlangen, selbst
wenn in der Aufgabenstellung nicht danach gefragt ist. Sie sollen nämlich immer erwähnen, ob
für die Verfolgbarkeit ein Strafantrag erforderlich ist. Andere Verfolgbarkeitsvoraussetzungen
sind dann zu thematisieren, wenn der Sachverhalt durch bestimmte Angaben die Prüfung nahe
legt. Beispiele: Er erwähnt, dass die Tatbestandserfüllung vor acht Jahren stattgefunden hat oder
der Taterfolg erst acht Jahre nach Tatbegehung eingetreten ist; oder schildert die Tat eines Bundestagsabgeordneten; oder er betont, dass der Täter einer inzwischen nachgewiesenen vorsätzlichen Tat bereits wegen deren fahrlässiger Begehung rechtskräftig veruteilt worden ist.
 Strafantrag, §§ 77 ff. (Beispiele: § 123 I, II (reines Strafantragsdelikt); §§ 223, 230 I, 303,
303c (Strafverfolgung auch ohne Antrag möglich, nämlich bei Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses)
 keine Verjährung, §§ 78 ff.
 Immunitätsaufhebung, Art. 46 II GG
 kein Strafklageverbrauch, Art. 103 III GG (Grundsatz des „ne bis in idem“)
B. Das (fahrlässige und vorsätzliche) vollendete Handlungsdelikt
Unstreitiger Grobaufbau beim Vorsatzdelikt:
(Fast) unstreitiger Aufbau beim Fahrlässigkeitsdelikt:
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
2. Subjektiver Tatbestand
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen
I. Tatbestand
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II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen
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I.
Der Tatbestand des (fahrlässigen und vorsätzlichen) vollendeten
Handlungsdelikts
1. Der objektive Tatbestand des (fahrlässigen und vorsätzlichen) vollendeten
Handlungsdelikts
a) Das Tatsubjekt = der Täter
b) Das Tatobjekt
c) Der Erfolgseintritt
aa) Das Erfolgsmerkmal und das Handlungsmerkmal
bb) Die Unterscheidung zwischen Erfolgs- und Tätigkeitsdelikten
Fall 23: A poltert erbost durch die Terrassentür in das Haus seines Nachbarn B, beschimpft ihn
als „Drecksau“, gibt ihm eine Ohrfeige und zertrümmert eine Blumenvase.
Fall 24: Die Nachbarn A und B sind zerstritten. Trotzdem gestattet A seiner dreizehnjährigen
Tochter T ausdrücklich, über den Zaun zu klettern und Bs Swimmingpool zu benutzen.
d) Die Handlung
aa) Terminologie
bb) Inhaltliches
 Strafrechtlich relevantes Verhalten (strafrechtliche „Handlungs“-Lehren)
Fall 25: Frau F steht vor einer Vitrine ihres Gastgebers G. Als sie von dessen achtjährigem Neffen N freudig angesprungen wird, stürzt sie in die Vitrine. Sie verletzt sich und es gehen Gläser des G zu Bruch. Ns Vater V hält derweil im Obergeschoss einen Mittagsschlaf
 Besonderheiten des Handelns gegenüber einem bloßen Unterlassen (s. dazu beim Unterlassungsdelikt)
cc) Zur Darstellung im Gutachten
dd) Achtung bei mehreren Anknüpfungsmöglichkeiten im Sachverhalt!
Fall 26: Mutter M nimmt ihren Säugling S jeden Abend zu sich ins Bett in der Hoffnung, ihn
eines Nachts zu ersticken, wenn sie sich im Schlaf herumwälzt. So kommt es tatsächlich.
e) Die Kausalität
aa) Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung und die Äquivalenztheorie
Fall 27: A verschafft sich gewaltsam Zugang zur Wohnung seiner Schwiegermutter S, wo er
seine Frau F und die im Bett liegende S findet. Er schießt auf beide, um sie zu töten. F
stirbt. S wird nicht getroffen, doch wird in denselben Sekunden draußen der X von einem Lastwagen zu Tode gefahren.
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 Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung fragt schlicht danach, ob zwischen der Handlung und dem konkreten Erfolg ein naturgesetzlicher Zusammenhang besteht (etwa SKStGBRudolphi1997, Vor § 1 Rn 41; Jescheck/Weigend5, § 28 II 4). Es kommt nicht darauf an, wie
viele Ursachen ein Erfolg hat, es kommt nicht auf die Bedeutung der einzelnen Ursachen an
und auch nicht auf ihre zeitliche Reihenfolge.
 Die Äquivalenztheorie – auch: Bedingungstheorie – (BGHSt 39, 195, 197; NJW 2000, 443,
448 l. Sp.; Freund, AT, § 2 Rn 63) sagt in der Sache dasselbe: Ursächlich für einen Erfolg
sind alle Handlungen, die mit dem Erfolg in einem naturgesetzlichen Ursachenzusammenhang
stehen; dabei sind alle Ursachen gleichwertig („äquivalent“). Ihre Anhänger benutzen aber bei
der Formulierung die Conditio-sine-qua-non-Formel („Bedingung-ohne-die-nicht“-Formel):
Ursächlich für einen Erfolg ist jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne
dass der konkrete Erfolg entfiele (so etwa BGH ebd. und bei Kühl3, § 4 Rn 9).
Kritik daran:
 Formal: Unnötige Komplizierung (doppelte Verneinung).
 Inhaltlich: Fehlerhaft wird nach einer notwendigen Bedingung gefragt. Deshalb sind Korrekturen nötig, die man sich dazu merken muss.
Beide Lehren fragen nach der naturgesetzlichen Kausalität. Deshalb müssen sie bei richtiger
Anwendung dasselbe Ergebnis haben.
Schauen Sie bei der Suche nach Kausalitäten genau hin!
Fall 28: (Nach BGH, NJW 1966, 1823) Um sich von der Tyrannei ihres Mannes M zu befreien,
schlägt ihm Frau F in Tötungsabsicht von hinten eine schwere Bratpfanne auf den
Kopf. M sinkt bewusstlos zu Boden. F läuft fort, um die Polizei zu benachrichtigen.
Währenddessen findet ihre Tochter T den M, ergreift die Bratpfanne und schlägt sie M
auf den Kopf. M stirbt.
Jeder der Schläge wäre schon für sich allein tödlich gewesen. T hat den Todeseintritt
aber beschleunigt.
Fall 29: Als X zum Haitauchen geht, nimmt er zu seinem Schutz eine Harpune mit. Y hat die
Harpune vorher heimlich unbrauchbar gemacht, weil er den Tod des X wünscht. X
taucht nie wieder auf.
 „Überholende Kausalität“
Fall 30: T gibt O heimlich ein langsam wirkendes Gift. Noch bevor es die ersten Wirkungen
zeigt, läuft O unvorhersehbar dem Autofahrer A vor dem Wagen und stirbt bei dem
Unfall.
 „Hypothetische Kausalverläufe“
Fall 31: Der Schüler S sieht, dass seine Klassenlehrerin K auf dem frisch gebohnerten Fußboden auszurutschen droht, und will sie warnen, wird daran aber durch seinen Mitschüler
M gehindert. K rutscht tatsächlich aus und zieht sich durch den Sturz erhebliche Prellungen zu. Hätte S sie gewarnt, wäre es dazu nicht gekommen.
Fall 32: Der Trunkenbold M tyrannisiert auf das Brutalste seine Frau F und die erwachsene
Tochter T. F und T spielen seit langem mit dem Gedanken, M zu vergiften, und haben,
wenngleich noch unschlüssig, „für alle Fälle“ Gift besorgt. Eines Tages versetzt T, ohne Absprache mit F, Ms Schnaps mit dem Gift. Wenig später will F dasselbe tun, erkennt aber an der geringfügigen Verfärbung und Geruchsveränderung, dass T schon
gehandelt hat, und fügt deshalb kein weiteres Gift hinzu. M trinkt vom Schnaps und
stirbt an dem Gift.
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 „Kumulative Kausalität“
Fall 33: Im Fall 32gießen T und F, ohne von einander zu wissen, dem M jeweils eine gleiche
Menge Gift in den Schnaps, um ihn zu töten. Dabei geht jede für sich zu Recht davon
aus, dass die eingegossene Menge für M durchaus tödlich sein könne. M stirbt, aber nur
wegen der Summierung. Die Hälfte hätte bei seiner robusten Konstitution nicht ausgereicht.
 „Alternative Kausalität“ (= „Mehrfachkausalität“, „Doppelkausalität“)
Fall 34: A und B schießen auf O, um ihn zu töten. Beide Kugeln treffen gleichzeitig den Kopf
des O und sind sofort tödlich.
Fall 35: Der Vorstand einer AG beschließt in geheimer Abstimmung einstimmig, ein gesundheitsschädliches Produkt auf den Markt zu bringen; für den Beschluss hätte die einfache Mehrheit genügt. Später erkranken etliche Konsumenten an dem Produkt.
bb) Adäquanztheorie und Relevanztheorie
Ganz üblicherweise werden derartige Einschränkungen heute aber nicht schon bei der Kausalität
gemacht, sondern an einer späteren Stelle im Deliktsaufbau. Dafür hat sich weitgehend durchgesetzt die objektive Zurechnung als eine allgemeine Voraussetzung des objektiven Tatbestandes.
f)
Objektive Zurechnung
Voraussetzungen:
1. Rechtlich missbilligte Gefahrschaffung oder Gefahrzulassung
= Überschreitung des erlaubten Risikos
= Pflichtwidrigkeit
= Sorgfaltspflichtverletzung
= objektive Fahrlässigkeit
2. Verwirklichung dieses Risikos im Erfolg
= Risikoverwirklichung
= Risikozusammenhang
= Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Die objektive Zurechnung hat sich weitgehend durchgesetzt als eine allgemeingültige Voraussetzung des objektiven Tatbestandes. Der Sache nach immer schon anerkannt war sie bei Fahrlässigkeitsdelikten, wenngleich dort unter anderen Namen (siehe oben, 1.). Heute erkennen die
meisten an, dass sie auch bei den Vorsatzdelikten eine Voraussetzung des (objektiven) Tatbestandes ist. Wer es nicht anerkennt, sieht sich gezwungen, die hier zu lösenden Sachprobleme
entweder im Rahmen der Kausalität oder des Vorsatzes zu erörtern.
Fall 36: Bei einem Profiboxkampf verletzt der Herausforderer H den Europameister M mit
schweren Kopftreffern. Seine Absicht ist es, eine tödliche Gehirnblutung auszulösen
und sich so für alle Zukunft von Ms Konkurrenz zu befreien. M geht k.o. und stirbt so,
wie H es gewollt hat.
aa) Rechtlich missbilligte Gefahrschaffung oder Gefahrzulassung
Die Schaffung oder Zulassung von Risiken kann aus verschiedenen Gründen erlaubt sein.
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(1) Extreme Unwahrscheinlichkeit
Fall 37: A will bei seiner Nachbarin B einen tödlichen Herzschlag bewirken und lügt ihr deshalb vor, ihr Kind sei mit dem Fahrrad lebensgefährlich verunglückt. Tatsächlich stirbt
B.
(2) Sozialadäquanz
Fall 38: Die Studentin Annette hat Husten und Schnupfen, geht aber trotzdem in volle Busse
und dicht besetzte Hörsäle. Wie von ihr erwartet infiziert sie andere mit ihrem Virus.
(3) Eigenverantwortlichkeit des Opfers
Fall 39: B bittet A, er möge ihm sein Fahrrad leihen. A warnt B vor der Benutzung, weil die
Handbremse nicht funktioniere. B meint, ihm genüge der Rücktritt. Daraufhin überlässt
A ihm das Fahrrad. Es kommt wegen des Defektes zum Sturz des B mit bösen Verletzungen.
Auch bei gesetzlichem Verbot, die eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers zu ermöglichen?
Fall 40: Der in Drogendingen unerfahrene U besorgt dem Studenten S, der zum ersten Mal Heroin ausprobieren will, ein Gramm dieser Droge. Er übergibt ihm den Stoff mit dem
Hinweis, es handele sich wohl um sehr starkes Material, das man nicht spritzen, sondern nur in kleinen Portionen sniefen dürfe. S konsumiert eine ordentliche Ration durch
die Nase und stirbt.
(4) Große zeitliche Entfernung
Dass ein großer zeitlicher Abstand zwischen Handlung und Erfolg dessen Zurechnung fragwürdig macht, wird immer hingestellt als ein Sonderproblem der Fahrlässigkeitsdelikte. Praktisch
begegnet es uns auch nur dort; systematisch gesehen ist es aber ein allgemeines Problem, kann
also auch bei Vorsatzdelikten auftauchen.
Fall 41: B hat nur eine Niere. Nach einem von A verschuldeten Unfall im Straßenverkehr büßt
er auch die andere ein. An dieser Verletzung stirbt er nach sieben Jahren, weil trotz aller Sorgfalt die Dialyse versagt.
Fall 42: Frau F erfährt von ihrer elfjährigen Tochter T, dass ihr Ex-Ehemann M sich häufig an T
sexuell vergangen hat. Sie schreibt M, dass sie ihn anzeigen werde, wenn er nicht Wiedergutmachung leiste. Und zwar verlange sie, dass er durch Zahlung von 50.000 Mark
auf das Sparkonto der T zu deren 18. Geburtstag den Start ins Studium erleichtere.
Nach einigen Monaten verliert F die Sache aus den Augen und denkt jahrelang nicht
mehr daran. Als T volljährig wird, erfährt F zu ihrer freudigen Überraschung vom Eingang der Zahlung.
bb) Risikoverwirklichung
Hat man die Überschreitung des erlaubten Risikos (Sorgfaltspflichtverletzung) bejaht, dann kann
die objektive Zurechnung dennoch zu verneinen sein. Es ist nämlich auch noch erforderlich, dass
sich das unerlaubt geschaffene Risiko im Erfolg verwirklicht. Auch dieses Erfordernis ist im Gesetz immerhin angedeutet. Es offenbart sich u.a. in den Fahrlässigkeitstatbeständen der §§ 222,
229, und zwar in der Präposition „durch“ (vgl. ferner §§ 163 I, 320: „aus“). Der Erfolg muß nicht
nur durch eine Handlung, die fahrlässig ist, verursacht werden, sondern durch die Fahrlässigkeit
selbst. Folgern Sie daraus aber nicht, dass es sich beim jetzt genannten Erfordernis um ein spezielles der Fahrlässigkeitsdelikte handele! Wie gesagt geht es um ein Untermerkmal der objektiven
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Zurechnung. Diese Tatbestandsvoraussetzung gilt allgemein, also auch für Vorsatzdelikte. – Die
Terminologie ist uneinheitlich. Wir schlagen vor, immer den „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“
zu verneinen bzw. zu problematisieren, wenn die Pflichtwidrigkeit sich im Erfolg nicht realisiert
hat, also auch in den unter (2) und (3) besprochenen Fallgruppen.
(1) Grundfall: Fehlen des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges i.e.S.
Fall 43: Der Bürovorsteher B schickt den kaufmännischen Lehrling L zur Beförderung eines eiligen Schreibens durch die Maschinenhalle und versäumt es, dem L zu sagen, dass er
einen Schutzhelm aufsetzen muss. L kommt in der Halle bei einer unvorhersehbaren
Explosion ums Leben. Der Helm hätte ihm nichts genützt.
(2) Fehlen des sog. Schutzzweckzusammenhanges
Nur wenig anders liegt
Fall 44: A will B totschießen, verletzt ihm aber nur durch einen Streifschuss den Arm, so dass B
zur Behandlung ins Krankenhaus muss, wo er bei einer Brandkatastrophe umkommt.
(3) Das Problem der Risikoerhöhung
Fall 45: Der Unternehmer U versäumt es, an einer Treppe in seinem Werk den vorgeschriebenen Handlauf anzubringen, obwohl er bereitliegt und binnen kurzem montiert sein
könnte. Dennoch gibt er den Verkehr auf der Treppe frei. Zwei Tage später stürzt
Buchhalterin B auf der Treppe und verletzt sich. U verteidigt sich gegen den Vorwurf
fahrlässiger Körperverletzung, auch ein Handlauf hätte wahrscheinlich nichts geholfen;
es sei ja bekannt, dass man ihn nur selten benutze. Tatsächlich lässt sich nicht klären,
ob B ggf. den Handlauf benutzt hätte.
g) Speziell: Das Fahrlässigkeitsdelikt
aa) Das Plus-Minus-Verhältnis von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt
Blickt man auf die Sache und nicht auf dogmatische Begriffe und Formeln, dann verschwinden
die scheinbaren sachlichen Besonderheiten des Fahrlässigkeitsdelikts. Bei ihm ist kein Merkmal
zu prüfen, das nicht auch im entsprechenden Vorsatzdelikt steckt.
Fall 46: A verletzt vorsätzlich die Nachbarin N, indem er ihr eine Ohrfeige gibt.
bb) Darstellungsprobleme
Erfahrungsgemäß macht die Prüfung von Fahrlässigkeitsdelikten oft große Schwierigkeiten. Soweit es um den Tatbestand geht, sind sie darauf zurückzuführen, dass man irrig annimmt, es seien Ausführungen sowohl zur „Sorgfaltspflichtverletzung“ wie zur "Vorhersehbarkeit" wie zur
„Vermeidbarkeit“ nötig. Zwar kann man den beiden letztgenannten Begriffen unterschiedliche
Inhalte geben. Spätestens aber kommt es zu Wiederholungen, wenn man daneben noch die
„Sorgfaltspflichtverletzung“ prüft. Ein krasses Beispiel fand sich in einer Sechs-Wochen-Arbeit,
in der es u.a. um den folgenden Sachverhalt ging.
Fall 47: Mutter M will ihrem kranken Kind die vom Arzt verschriebene Tablette eingeben. Sie
achtet nicht genau auf die Verpackung und verabreicht dem Kind eine ihrer ValiumSchlaftabletten. Das Kind gerät in Lebensgefahr und wird erst im letzten Augenblick
vom herbeigerufenen Arzt gerettet.
Der Prüfling schrieb dazu:
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„M müßte bei der Verabreichung der Valium-Schlaftabletten objektiv sorgfaltswidrig gehandelt haben. Sorgfaltswidrig handelt, wer den Anforderungen
an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der sozialen Rolle und
mit dem Sonderwissen des Täters zuwiderhandelt. Da M hier als Mutter tätig
wurde, bestimmt sich grundsätzlich das Maß der anzunehmenden Sorgfalt nach
dem, was von einer gewissenhaften Mutter bei der medizinischen Versorgung
ihres Kindes verlangt werden kann. Zu den Aufgaben einer gewissenhaften
Mutter gehört es, ihrem Kind keine schädlichen Arzneimittel zu geben. Wird
nicht auf die Verpackung eines Medikaments geachtet, so liegt es aber nicht außerhalb der Lebenserfahrung, daß dem Patienten anstatt des für ihn bestimmten
Medikaments ein anderes, für ihn schädliches verabreicht wird. Um ein derartiges Versehen zu vermeiden, muß eine Mutter ein an ihr krankes Kind zu verabreichendes Medikament auf seine Richtigkeit überprüfen, bevor sie es dem Kind
eingibt. Hier achtete M nicht auf die Verpackung und verabreichte ihrem Kind
die falschen Tabletten. Damit handelte M sorgfaltswidrig.
Des weiteren müßten der wesentliche Kausalverlauf und der Erfolg auch objektiv vorhersehbar gewesen sein. Auf alle Einzelheiten der Kausalkette braucht
sich die Vorhersehbarkeit nicht zu erstrecken, sondern nur auf den Erfolg und
die wesentlich zu diesem Erfolg führenden Umstände. Wird die Identität eines
einem kranken Kind zu verabreichenden Medikaments nicht überprüft, so liegt
eine Verwechslung und eine darauf beruhende Eingabe eines im konkreten Fall
schädlichen Arzneimittels innerhalb gewöhnlicher Lebenserfahrung. Bei sorgfältiger Überlegung muß dann auch eine Körperverletzung ins Auge gefaßt
werden. Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall die Vorhersehbarkeit
zu bejahen.
Schließlich müßte der Erfolg bei sorgfaltsgemäßem Verhalten vermeidbar gewesen sein. Bei sorgfaltsgemäßem Verhalten hätte M auf die Verpackung der
Tabletten geachtet. Der Irrtum wäre deshalb bemerkt und die ValiumSchlaftabletten nicht verabreicht worden. Dann wäre es auch nicht zum Körperverletzungserfolg gekommen. Somit wäre der Erfolg bei sorgfaltsgemäßem
Verhalten vermeidbar gewesen.“
Hier wird in den drei Absätzen dreimal das gleiche gesagt, was der Prüfling schlecht und recht
zu kaschieren versucht. Man hätte es viel kürzer (und übrigens auch gesetzesnäher!) sagen können:
„M müsste die Körperverletzung 'durch Fahrlässigkeit' verursacht haben. Fahrlässig handelt nach § 276 I 2 BGB, wer die im Verkehr, d.h. hier die im Umgang mit kranken Menschen erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Wer ein
krankes Kind medizinisch zu versorgen hat, muss darauf achten, dass er ihm die
richtige Medizin gibt und es nicht durch falsche gefährdet. M hat dies versäumt
und damit ihre Sorgfaltspflicht objektiv verletzt ...“
Damit man mit der „Sorgfaltspflichtverletzung“ auskommt, ist es allerdings wichtig, sie deliktsspezifisch zu prüfen. Vor allem bei der beliebten Frage nach der „Vorhersehbarkeit“ ist die Neigung groß, als Sorgfaltsverletzung irgendeinen Pflichtenverstoß genügen zu lassen. Evident ist
die Notwendigkeit einer delikts(erfolgs)spezifischen Fragestellung im
Fall 48: Der Rentner R geht im Wald mit seinem Dackel spazieren. Er löst ihn von der Leine,
obwohl er wissen müsste, dass das Tier manchmal Menschen angreift. Tatsächlich
beißt der Dackel einen achtjährigen Jungen, der in der Nähe mit anderen spielt. Das
Kind ist ein Bluter und stirbt an der Verletzung.
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cc) Terminologie und scheinbare Besonderheiten der Fahrlässigkeitsdogmatik
Wichtig: „Objektive Fahrlässigkeit“ bedeutet in der Sache dasselbe wie „objektive Zurechnung“
im Tatbestand des Vorsatzdeliktes (z. B. Roxin, AT3, 24/10 ff.; Wessels/Beulke, AT31, Rn 177,
673); dazu schon oben bei der objektiven Zurechnung (ab Fall 36). Deshalb prüft man sie auch
wie dort in zwei Schritten.
(1) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung („Fahrlässigkeit“) = rechtlich missbilligte Gefahrschaffung
 Ist in der Sache dasselbe wie der Prüfungspunkt „unerlaubte Gefahrschaffung“ in der objektiven Zurechnung beim Vorsatzdelikt.
Fall 49: Frau F fährt mit ihrem Wagen unter genauester Beachtung aller Verkehrsregeln auf der
Autobahn. Als sie einen jungen Mann (M) von einer Autobahnbrücke winken sieht,
winkt sie zurück und fährt weiter. Kurz bevor sie die Brücke erreicht, springt M über
das Geländer und stürzt vor F auf die Fahrbahn. F kann weder bremsen noch ausweichen und fährt M tot.
a) Der F war beim Winken gar nicht in den Sinn gekommen, dass M springen könnte.
b) F hielt beim Winken durchaus für möglich, dass M sich töten wollte, und hatte sogar
auf einen Sprung gehofft, um endlich einmal etwas zu erleben.
Alltagssprachgebrauch (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 2. Aufl.): „Fahrlässig“ bedeutet „die gebotene Vorsicht, Aufmerksamkeit, Besonnenheit fehlen lassend“.
Gesetzlicher Sprachgebrauch (§ 276 I 2 BGB): „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.“
 Im Tatbestand muss man die allgemeinen, objektiven Sorgfaltsanforderungen („Sorgfaltsstandards“) bestimmen. Bleibt der Täter dahinter zurück, handelt er objektiv sorgfaltspflichtwidrig.
Komplizierter wird es, wenn der Täter weniger kann oder weiß als der Durchschnitt und wenn er
mehr kann oder weiß als der Durchschnitt.
 Wenn der Täter persönlich weniger kann oder weiß als der Durchschnitt, also die objektiven
Sorgfaltsanforderungen (die „Sorgfaltsstandards“) auch bei bestem Willen und größter Anstrengung nicht erfüllen kann, handelt er trotzdem objektiv sorgfaltspflichtwidrig. Fraglich ist dann
nur, ob die Fahrlässigkeit mangels subjektiver Sorgfaltspflichtverletzung zu verneinen ist. Insoweit geht es aber erst um ein Problem der Schuld (dazu genauer unten auf dieser Deliktsstufe).
 Wenn der Täter persönlich mehr kann oder weiß als der Durchschnitt, muss man genauer
hinblicken.
Fall 50: Vorstadtbewohner V fährt täglich zur Arbeit in die City und parkt dort seinen Pkw auf
offener Straße. Eines Nachts legen ihm Terroristen unbemerkt eine Bombe in den Kofferraum.
a) V transportiert die Bombe unwissentlich in die Stadt.
b) Vor der Abfahrt erhält V einen warnenden anonymen Anruf, nimmt ihn aber nicht
ernst.
In der Stadt explodiert die Bombe. Ein Passant wird getötet.
Fall 51: C, Chefarzt einer Augenklinik, hat eine neue Operationsmethode entwickelt. Er praktiziert sie aber nur bei Privatversicherten. Bei der Kassenpatientin K führt die nach üblichem Standard durchgeführte Operation zur Erblindung. Mit Cs neuer Methode wäre
das vermieden worden.
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Faustregel: Bei der Bestimmung der objektiven Sorgfalt ist Sonderwissen zu berücksichtigen,
Sonderkönnen aber nicht.
(2) Objektiver Zurechnungszusammenhang („durch Fahrlässigkeit“) = Gefahrverwirklichung
 Ist in der Sache dasselbe wie der Prüfungspunkt „Gefahrverwirklichung“ in der objektiven
Zurechnung beim Vorsatzdelikt. Gängig ist auch hier die Unterscheidung zwischen Pflichtwidrigkeitszusammenhang (im engeren Sinne) und Schutzzweckzusammenhang.
Fall 52: A hat sein Fahrrad auf dem Dach seines Autos so schlecht befestigt, dass es bedrohlich
leicht herabfallen kann. Plötzlich und unvorhersehbar läuft ihm das Kind K vor den
Wagen. Trotz Vollbremsung wird K erfasst und erleidet tödliche Verletzungen. Das
Rad stürzt vom Dach, ohne K zu berühren.
Erinnern Sie sich: Der Schutzzweckzusammenhang ist deliktsspezifisch zu beurteilen!
Fall 53: Aus Ärger über die verschleiernde Buchführung des insolventen Kaufmanns K bekommt der Insolvenzverwalter I einen heftigen Magenkrampf.
Man muss sogar noch innerhalb des fraglichen Delikts konkretisieren.
Fall 54: Hundehalter H lässt seinen bissigen Bobtail B auf dem Kinderspielplatz herumlaufen.
Als sich der vierjährige J das Knie aufschlägt, läuft B sofort zu ihm hin und beschleckt
die Wunde. Später kommt es wegen der Hundebakterien zu einer schmerzhaften Entzündung des Knies.
Nach allem ist ein Erfolg objektiv zurechenbar, d.h. durch Fahrlässigkeit verursacht, wenn
- der Täter sogfaltspflichtwidrig hinsichtlich der eingetretenen Folge handelte und
- der Erfolg gerade auf dieser Sorgfaltspflichtverletzung beruht.
2. Der subjektive Tatbestand des vollendeten Handlungsdeliktes
a) Beim Fahrlässigkeitsdelikt?
Fall 55: I ist auf einen seiner Vorgartenbäume geklettert und sägt Äste ab. Ein Ast stürzt auf die
kleine Nachbarstochter T, die in der Nähe spielt, und bricht ihr einen Arm. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte I diese Möglichkeit erkannt.
a) I war so vertieft in seine Sägearbeiten, dass er T gar nicht bemerkt hat.
b) I hatte T zwar in der Nähe des Baumes gesehen, aber angenommen, es werde schon
nichts passieren.
c) I hatte T direkt unter dem Ast gesehen und eine Verletzung für möglich gehalten.
Das war ihm aber egal.
Unbewusst fahrlässig handelt, wer bei seinem pflichtwidrigen Verhalten nicht erkennt, dass er
die Gefahr eines tatbestandlichen Erfolges schafft (Fall 55a).
Bewusst fahrlässig handelt, wer bei seinem pflichtwidrigen Verhalten erkennt, dass er die Gefahr
eines tatbestandlichen Erfolges schafft (Fall 55b). Ob jemand nur bewusst fahrlässig oder sogar
vorsätzlich gehandelt hat (Fall 55c), ist oft schwer zu unterscheiden.
Zum Prüfungsaufbau: Bei der Prüfung eines Fahrlässigkeitsdeliktes müssen sie an keiner Stelle
eingehen auf die Frage „bewusste oder unbewusste Fahrlässigkeit“. Die Unterscheidung hat nur
Bedeutung für die konkrete Strafzumessung. Ein Richter muss sich darum zwar kümmern; Sie
müssen es aber in Studium und erstem Staatsexamen nicht. – Wichtig: Ob ein Täter nur bewusst
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fahrlässig oder sogar vorsätzlich gehandelt hat, darf nicht im Fahrlässigkeitsdelikt entschieden
werden. Wenn Vorsatz in Betracht kommt, müssen Sie das Vorsatzdelikt prüfen und dort im subjektiven Tatbestand den Vorsatz untersuchen.
b) Beim Vorsatzdelikt
Lesen Sie § 258 I und §§ 15, 16 I und unterscheiden Sie die drei Vorsatzformen:
 Absicht (dolus directus 1. Grades)
 Wissentlichkeit (dolus directus 2. Grades)
 Eventualvorsatz (dolus eventualis, bedingter Vorsatz)
Vergleichen Sie einerseits § 258 I und andererseits §§ 257 I, 242 I, 211 II, 267 I!
Fall 56: T erschießt O. Er tut das, um die Anzeige und Entdeckung des Raubes zu verhindern,
den vorher R an O begangen hat.
aa) Der Vorsatz
Üblicherweise liest man, Vorsatz sei „das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“
(z. B. BGHSt 19, 295, 298; Kühl, AT4, § 5 Rn 6; Roxin, AT3, § 12 Rn 4; Stratenwerth, AT I4, § 8
Rn 61; Wessels/Beulke, AT31, Rn 203). Etliche halten aber dagegen, dass Vorsatz nur ein „Wissen“ voraussetze und kein „Wollen“ (z. B. Freund, AT, § 7 Rn 54 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko,
S. 255 ff.; Herzberg, JZ 1988, 573 ff., 635 ff.; Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung,
S. 163 ff.). Diese Gegenansicht unterschlägt, wer in seinem Gutachten einfach die Standardformulierung der h. L. zu Papier bringt. Das ist nach den Regeln der Gutachtentechnik nicht korrekt: Auf Gegenansichten muss man hinweisen. Akzeptabel ist aber schon die Formulierung:
„Vorsatz setzt die Kenntnis und nach h. L. auch das Wollen der Tatbestandsverwirklichung voraus ...“ Noch besser ist u.E. der Einstieg: „Vorsatz setzt nach § 16 I 1 jedenfalls die Kenntnis
der Tatbestandsverwirklichung voraus. Hier wusste T, dass er mit seinem Schuss einen Menschen tötete. Darüber hinaus verlangt die h.L., dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung
auch ,gewollt’ hat. Hier ist das Wollen, als Tötungsabsicht, zweifellos gegeben.“ – Man braucht
also in solch einem klaren Fall den Streit, ob das Wollen tatsächlich eine Strafbarkeitsvoraussetzung ist, nicht zu behandeln. Nur wenn es fehlt, muss man die Diskussion führen (dazu aber erst
unter bb).
(1) Die Kenntnis (das „Wissen“) – § 16 I 1
Fall 57: Autofahrer A fährt zu schnell und kann deshalb nicht mehr rechtzeitig bremsen, als das
Kind K hinter seinem Ball her auf die Fahrbahn läuft. K und der Ball überstehen den
Unfall nicht.
Vorsätzlich handelt nur, wer bei Begehung der Tat alle Umstände kennt, die zum gesetzlichen
Tatbestand gehören (Umkehrschluss aus § 16 I 1).
Fehlt der Vorsatz, kann der Täter natürlich wegen fahrlässiger Begehung bestraft werden, wenn
das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht (vgl. § 15). Das stellt § 16 I 2
(überflüssigerweise) klar.
(a) Die Kenntnis der Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören (§ 16 I 1)
Fall 58: T sieht im Wald bei Dämmerlicht etwas sich schemenhaft bewegen und schießt darauf,
wobei er für möglich hält, einen Menschen vor sich zu haben und ihn zu töten. Tatsächlich trifft und tötet er den Pilzesammler P.
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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
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Der Irrtum über Eigenschaften des Tatobjekts („error in obiecto“)
Häufig trifft der Täter genau das Tatobjekt, das er bei seiner Tathandlung anvisiert hat, d. h. jenes Stück Materie der Welt, das zu treffen er sich vorgestellt hat. Wer zum Beispiel irgendeine
Urkunde sieht, vernichten will und sie verbrennt, irrt sich nicht über das Tatobjekt selber („die
Urkunde hier in meiner Hand“), auch wenn er die Urkunde mit einer anderen verwechselt, um
deren Vernichtung es ihm eigentlich geht. Vielmehr irrt dieser Täter nur über die Eigenschaft des
Tatobjektes, für ihn belanglos zu sein. Solch einen Irrtum nennen fast alle – nach dem Gesagten
eher verunklarend – „error in obiecto“. Wenn das Tatobjekt – wie im Fall 59 – ein Mensch ist,
spricht man auch oft vom „error in persona“.
Fall 59: Der gehörnte Ehemann E erschießt bei schlechtem Licht den Begleiter seiner Frau F in
dem Glauben, ihren Liebhaber vor sich zu haben. Tatsächlich handelt es sich um S, die
Schwester der F.
Fall 60: Wie Fall 58. Aber T hat nur daran gedacht, einen frei laufenden fremden Hund vor sich
zu haben.

Der Irrtum über das Tatobjekt selber: Das Fehlgehen der Tat („aberratio ictus“)
Der – zunächst nur phänomenologische – Unterschied dieser Fallgruppe zu der des error in obiecto liegt darin, dass der Täter das anvisierte Objekt hier nicht trifft. Er trifft vielmehr ein anderes Objekt.
Fall 61: Attentäter A zielt auf den Präsidenten P, tötet aber den Leibwächter L, der sich dazwischenwirft. Damit hatte A nicht gerechnet.
Abwandlung: Damit hatte A sehr wohl gerechnet.
Merken Sie sich, dass die Fälle der aberratio ictus manchmal schon im objektiven Tatbestand
Probleme bereiten!
Fall 62: T schickt an den allein wohnenden X einen Brief mit Milzbrandbakterien. X legt den
Brief gegen seine Gewohnheiten auf den Tisch, ohne ihn zu öffnen, und geht abends
auf die MS Stubnitz. Nachts um zwei bricht Y bei X ein, sucht nach Wertsachen, öffnet
den Brief und infiziert sich.
Das Lager der hM ist aber für Fälle gespalten, in denen der Täter ein schon bereitstehendes Objekt zum Tatmittel macht. Hier nehmen viele den kongruenten Vorsatz an (vgl. Jakobs, AT, 8/88;
Roxin, AT3, § 12 Rdnrn. 149-158).
Fall 63: Am Morgen schilt der Lateinlehrer L den Schüler S. Er sei dumm und faul zugleich.
Weil S ihm die Demütigung heimzahlen will, montiert er in der großen Pause die
Bremsklötze vom Fahrrad des L ab. Für S ganz überraschend und von ihm unbemerkt,
borgt sich T, Tochter des L und Mitschülerin des S, nach Schulschluss das Rad. Wie S
es für L erhofft hatte, stürzt nun T mit dem Rad und erleidet Schürfwunden.

Der Irrtum über den Kausalverlauf
Der Täter kann sich auch darüber irren, wie im Einzelnen seine Handlung den Taterfolg verursacht. Man trennt diese dritte Fallgruppe üblicherweise streng von der zweiten. Auch diese Trennung ist zunächst rein phänomenologisch: In der zweiten Fallgruppe weicht der objektive Kausalverlauf vom vorgestellten so stark ab, dass der Erfolg sogar am „falschen“ Objekt eintritt; als
„Irrtum über den Kausalverlauf“ behandelt man hingegen nur Fälle, in denen der Täter immerhin
das anvisierte Objekt trifft. Rechtlich kommt es in beiden Konstellationen für den Vorsatz auf
dieselbe Frage an: Hat der Täter den Umstand gekannt, dass er die Gefahr, die sich im Erfolg
verwirklicht hat, unerlaubt geschaffen hat? Dabei stellt sich die weitere Frage, wie konkret oder
Rep AT. Stand:14.05.16.
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abstrakt denn diese Gefahr zu beschreiben ist. Und wegen dieser zweiten Frage lohnt es sich, die
Fallgruppen „aberratio ictus“ und „Irrtum über den Kausalverlauf“ auseinander zu halten. In der
zweiten Fallgruppe nämlich war die Antwort auf diese zweite Frage meistens noch einfach: Jedenfalls so konkret, wie es das Gesetz selber vorgibt, d. h. jedenfalls auf das einzelne Tatobjekt
hin konkretisiert (es heißt ja nicht „wer die Menschheit verringert“, sondern „wer einen Menschen tötet“; im Fall 63 wäre die Begründung problematisch). In der dritten Fallgruppe dagegen
ist die Antwort sehr schwierig: Muss man die Gefahr noch genauer als nur nach dem konkreten
Tatobjekt beschreiben?
Fall 64: (BGH, MDR 1975, 22, 23) A wollte den B „zusammenschlagen“. Dazu kam es nicht,
weil B sich der Misshandlung durch Flucht in das Auto entzog. Wegen des brutalen
Vorgehens ... wurde B von heftiger Angst befallen und bekam dadurch erhebliche Magenschmerzen.
Der Irrtum über den Kausalverlauf muss nicht zu einem Irrtum über die konkrete Art und Intensität des Taterfolges führen. Im Fall 65 etwa kann man mit Blick darauf nicht differenzieren: Tot
ist tot. Der Irrtum kann auch allein die konkrete Art der Erfolgsverursachung betreffen.
Fall 65: Attentäter A zielt auf die Stirn des Präsidenten P. Der Schuss geht etwas zu kurz. Er
trifft P aber dennoch tödlich an der Schläfe, weil P genau in diesem Moment stolpert
und nach vorne fällt.
Abwandlung: A zielt auf Ps Stirn und drückt ab. P dreht sich zur Seite, so dass der
Schuss nicht seine Stirn, sondern seine Schläfe trifft. P stirbt.
Die Klassifizierung „Irrtum über den Kausalverlauf“ gilt auch für den schon mehrfach behandelten
Fall 66: (= Fall 32) Im Fall 32 gießen T und F, ohne von einander zu wissen, dem M jeweils eine gleiche Menge Gift in den Schnaps, um ihn zu töten. Dabei geht jede für sich zu
Recht davon aus, dass die eingegossene Menge für M durchaus tödlich sein könne. M
stirbt, aber nur wegen der Summierung. Die Hälfte hätte bei seiner robusten Konstitution nicht ausgereicht.
Fraglich ist hier schon, ob die Summierung der Giftportionen für T oder F hinreichend vorhersehbar, d. h. so wahrscheinlich war, dass man Ts oder Fs Verhalten als unerlaubt riskant bewerten muss (dazu oben 1 c dd am Ende). Bejaht man den objektiven Tatbestand des § 212 I, muss
man aber u.E. den subjektiven verneinen: Weder T noch F kannten den tödlichen Umstand, dass
die jeweils andere zusätzliches Gift in den Schnaps gegossen hatte bzw. gießen würde.

Anhang: Die Kenntnis sog. normativer Umstände
- Vorab: Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen?
- Gesetzliche Merkmale und tatsächliche Umstände
Umstände sind wirkliche Gegebenheiten; gesetzliche Merkmale beschreiben diese wirklichen
Gegebenheiten. Umstände verwirklichen Tatbestandsmerkmale (vgl. die Formulierung in
§ 16 II); Tatbestandsmerkmale erfassen die Umstände gesetzlich.
Fall 67: Der 20-jährige B vollzieht mit seiner 17-jährigen Halbschwester S den Beischlaf. Die
beiden leben seit Kindestagen voneinander getrennt.
a) Sie haben sich in der Disco kennengelernt und wissen nichts von ihrer Verwandtschaft.
b) B weiß, dass er und S denselben Vater haben, nicht aber, dass sie deshalb schon
„leibliche Geschwister" (§ 173 II 2) sind.
- Zur Veranschaulichung und Übung:
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Fall 68: Nachdem beim Patienten P der Herztod eingetreten ist, schaltet die Krankenschwester
S die Herz-Lungen-Maschine ab, weil sie P schon wegen des Herzstillstandes für eine
Leiche hält.
Fall 69: A wirft die ihm und seiner Frau gehörenden Sektgläser an die Wand. Er weiß, dass er
das wegen des Miteigentums seiner Frau nicht darf, meint aber, die Gläser seien – wegen seines Miteigentums – für ihn nicht fremd.
Fall 70: T hat durch Testament E zum Alleinerben eingesetzt, aber sein Auto dem V vermacht.
T stirbt. V liest das Testament und glaubt, er sei nun Alleineigentümer des Wagens. Als
E das Auto trotz Mahnung nicht herausgibt, montiert V nachts heimlich alle Räder ab.
Dazu und zu anderen Problemen in diesem Bereich ausführlich Herzberg/Hardtung, Grundfälle
zur Abgrenzung von Tatumstandsirrtum und Verbotsirrtum, JuS 1999, 1073 ff. Mit Blick auf
Fall 71 sehen wir die Dinge jetzt aber anders.
Fall 71: Politiker P sagt vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages als Zeuge aus und
schwört bewusst falsch. Er glaubt, ein solcher Ausschuss dürfe keine Eide abnehmen.

Anhang: Kenntnis bei Regelbeispielen
Fall 72: D stiehlt aus einer Kirche eine Weihschale. Er weiß aber nicht, dass sie beim Gottesdienst verwendet wird. §§ 242 I, 243 I Nr. 4 ?
(b) Bei Begehung der Tat (§ 16 I 1 i. V. mit § 8)
Fall 73: T liegt wach im Bett und wird vom Gekläff des Nachbarhundes am Einschlafen gehindert. Voller Zorn stellt er sich vor, wie er den Hund am nächsten Morgen auf dem Weg
zur Arbeit totfährt. Am Tag darauf wird seine Vorstellung tatsächlich wahr. T ist dabei
mit seinen Gedanken aber ganz woanders.
(c) Anhang: Die Fehlannahme privilegierender Umstände (§ 16 II)
Fall 74: Die Germanistikstudentin G ist lebensmüde und hat Professor P gebeten, sie in einem
Augenblick zu erschießen, wo sie nicht damit rechnet. P will ihr diesen Wunsch erfüllen und erschießt irrtümlich die Zwillingsschwester J, eine Jurastudentin mit gesunder
Lebensfreude.
(2) Das Wollen der Tatbestandsverwirklichung als Vorsatzelement?
Oft kommt es nicht darauf an, ob der Vorsatz neben der Kenntnis ein „Wollen“ voraussetzt.
Denn in vielen Fällen ist im Sachverhalt eine Einstellung des Täters vorgegeben, die allen Ansichten als „voluntatives Element“ genügt.
Fall 75: Zuhälter Z ohrfeigt den ihm persönlich unbekannten Richter K, der im Dienstzimmer
seines erkrankten Kollegen R sitzt. Z hält K für R, der die Prostituierte P verurteilt hat.
Fall 76: A und B spielen, vom Alkohol enthemmt, miteinander „Russisch Roulett“. Sie setzen
sich wechselseitig einen Trommelrevolver an die Schläfe und drücken ab in Kenntnis
des 17%igen Risikos, dass die jeweils einzige Kugel hinter dem Lauf sitzt und den
Freund tötet. Beide hoffen inständig auf glimpflichen Ausgang und vertrauen fest auf
ihr Glück; sie nehmen deshalb die Todesgefahr nicht ernst und missbilligen einen
schlimmen Ausgang ganz entschieden. A löst jedoch einen Schuss aus, der den B tötet.
Normalerweise begegnen einem die problematischen Fälle nicht mit Angaben, die über die Vorstellung des Täters hinaus auch seine (emotionale) Einstellung schildern. Das entspricht der Lebenswirklichkeit, weil auch der Richter einigermaßen zuverlässig allenfalls die Vorstellung
Rep AT. Stand:14.05.16.
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(Kenntnis) des Täters klären kann. Was die begleitende Einstellung anbetrifft, so tappt er meistens im Dunklen und sieht sich auf „Indizien“ angewiesen. Vgl. BGHSt 36, 1, 10 zum Körperverletzungs- und Tötungsvorsatz bei Sexualkontakten eines HIV-Infizierten:
„Die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement muß sich mit ... (der) Persönlichkeit des Täters
auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen ...
Geboten ist ... eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände. Hierbei können je
nach der Eigenart des Falles unterschiedliche Wertungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen. Aus
dem Vorleben des Täters sowie aus seinen Äußerungen vor, bei oder nach der Tat können sich Hinweise auf seine Einstellung zu den geschützten Rechtsgütern ergeben. Für den Nachweis bedingten
Vorsatzes kann insbesondere an die vom Täter erkannte objektive Größe und Nähe der Gefahr angeknüpft werden.“
Für den folgenden Vorschlag einer Lösungsformulierung zu Fall 76 sei davon ausgegangen, dass
zur Einstellung des A nur gesagt ist: „Er hofft beim Abdrücken inständig, dass es gutgehen werde.“ Wir empfehlen, dann für die Lösung die Erkenntnis zu nutzen, dass auch die Verfechter des
voluntativen Elementes bei bewusster Schaffung einer derartig drastischen Todesgefahr, ungeachtet entgegengesetzter Beteuerungen, das „Wollen“ in Wahrheit direkt aus dem „Wissen“ ableiten. Man könnte also seine Lösung wie folgt fassen:
„A müsste vorsätzlich gehandelt haben (§ 15). Wie aus der Umkehrung des § 16 I 1 folgt, ist für den
Vorsatz zumindest erforderlich, dass der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennt, die zum
gesetzlichen Tatbestand gehören. A hatte nicht das sichere Wissen, dass sich eine Kugel lösen und B
töten werde. Aber er kannte die unerlaubte Gefahr dieser Auswirkung. Fraglich ist, ob das für den
Vorsatz genügt. Die Kenntnis einer unerlaubten Gefahr der Tatbestandsverwirklichung hat auch, wer
nur "bewußt fahrlässig" handelt. Für den Vorsatz ist also mehr erforderlich. Die zusätzliche Voraussetzung könnte entweder die Vorstellung einer besonderen, nämlich zugespitzt-unmittelbaren Gefahr
sein oder ein "Wollen" der Tatbestandsverwirklichung, verstanden etwa als "Ernstnehmen" oder "billigendes Inkaufnehmen". Traditionell und immer noch herrschend ist die Auffassung, die ein solches
"Wollen" fordert. Von diesem Standpunkt aus liegt es nahe, den Vorsatz des A zu verneinen, weil er
inständig gehofft, vielleicht sogar fest darauf vertraut hat, dass es gutgehen werde, und den Tod, jedenfalls im üblichen Sprachsinne, keineswegs "gebilligt" hat. Die h.M., vor allem die Rspr., begnügt
sich aber mit einer "Billigung im Rechtssinne" und tendiert zumindest stark dahin, das "Wollen" dem
Täter zuzuschreiben, wenn er die Schaffung einer zugespitzt-unmittelbaren Gefahr gekannt hat. Das
war hier der Fall. Es ist davon auszugehen, dass beide Ansichten hier zum selben Ergebnis führen.
Der Vorsatz des A ist also von beiden Standpunkten aus zu bejahen.“
Zum voluntativen Moment Farbe bekennen muss man im folgenden
Fall 77: Ein Baugerüst wird von technischen Aufsichtsbeamten der Bau-Berufsgenossenschaft
wegen krasser Sicherheitsmängel durch sofort vollziehbare Anordnung nach § 19 II
SGB VII „stillgelegt“. Der Bauhandwerker B missachtet das strikte Verbot der Benutzung, indem er seinen Angestellten A zur Fugenversiegelung hinauf schickt. A arbeitet
auf einer Gerüstlage ohne den vorgeschriebenen „Seitenschutz“ (absturzverhindernde
Stangen in Brusthöhe), gerät unglücklich ins Straucheln und stürzt, von keiner Sperre
gehalten, zehn Meter in die Tiefe. Die Verletzungen sind tödlich. Auf diesen Ausgang
hatte B beim Hinaufschicken des gehofft.
Aufschlussreich ist der vom BGH (JR 1988, 115) beurteilte
Fall 78: Karatekämpfer K wohnt mit seiner Freundin und deren ein Jahr altem Kind S zusammen. Aus Wut über dessen Schreien versetzt er ihm mit aller Kraft einen Handkantenschlag gegen den Kopf. S stirbt.
bb) Weitere subjektive Tatbestandsmerkmale, insb.: Absicht als echte Absicht?
Manchmal bezieht sich eine im Tatbestand genannte Absicht nicht auf die objektiven Tatbestandsumstände, sondern auf außerhalb des objektiven Tatbestandes liegende Umstände. Beispiele: „in der Absicht“ in §§ 164 I, 242 I, 263 I; „um zu“ in § 211 II; „zur Täuschung“ in
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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§ 267 I). Diese Merkmale haben nichts mit dem Vorsatz zu tun; es sind sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale.
Fall 79: Herr A lügt Frau E vor, sie schulde als Erbin dem X 5.000 DM. Zwar liegt ihm gar
nichts am Vorteil des X. Weil er aber der E die Erbschaft neidet, will er sie schädigen.
E überweist den Betrag auf das Konto des X. X nimmt das Geld und schweigt. – Strafbarkeit des A?
Fall 80: Der Jurastudent J ist Hilfskraft am Lehrstuhl des Professors P. Die Kommilitonin K, die
in Ps Übung keinen Erfolg gehabt hat, bietet ihm 1000 DM für einen gefälschten
Übungsschein. J kann der Versuchung nicht widerstehen, füllt ein Formular aus und
versieht es mit Stempel und Unterschrift des P.
a) Weil J die K mag, liegt ihm daran, dass K den Schein auch nutzt und das Justizprüfungsamt ihn akzeptiert.
b) J weiß, dass Ks Anmeldung zum Examen allein vom Erwerb des Scheines abhängt.
Ihm kommt es zwar nicht darauf an, doch ist er sicher, dass K das Prüfungsamt täuschen wird.
c) J geht es nur ums Geld. Er hält für unwahrscheinlich, dass K den Schein vorlegt und
die Täuschung gelingt. Es wäre ihm aber auch egal.
Faustregel:
 Wenn die im Straftatbestand genannte Absicht eine Rechtsgutsverletzung betrifft, lässt man dafür auch Wissentlichkeit genügen.
 Wenn hingegen die im Straftatbestand genannte Absicht keine Rechtsgutsverletzung, sondern eine Selbst- oder
Drittbegünstigung betrifft, verlangt man echte Absicht.
Um welchen „Absichts“-Typ es sich bei den jeweiligen Straftatbeständen handelt, wird im Einzelnen im Besonderen Teil behandelt.
cc) Tatbestandsannex?
In manchen Straftatbeständen gibt es Strafbarkeitsvoraussetzungen, die zwar objektiv vorliegen,
nicht aber vom Vorsatz umfasst sein müssen. Man nennt sie „objektive Strafbarkeitsbedingung“.
Manche Strafrechtsautoren sagen, man solle sie als „Tatbestandsannex“ prüfen (Wessels/Beulke,
AT32, Rn 872). Andere Autoren bringen sie erst hinter der Schuld unter den sonstigen Strafbarkeitsvoraussetzungen (Krause, Jura 1980, 449, 455; Tiedemann, Die Anfängerübung im Strafrecht3, S. 61 f.).
Fall 81: Dem Freund F schildert T unter Tränen, dass seine Ehefrau E sich scheiden lassen will.
F gibt seinem Freund eine Flasche Korn und rät ihm, doch erst einmal den Kummer zu
ertränken. Diesem Rat folgend leert T die Flasche zur Hälfte. Als er schon eine Blutalkoholkonzentration von 3,5 Promille hat, entschließt er sich und geht dazu über, die E
zu verpügeln. E erleidet mehrere Prellungen und Blutergüsse. Zu Gewaltätigkeiten des
T war es noch nie gekommen, obwohl er sich schon häufiger bei Frust und Zorn bis zur
Besinnungslosigkeit betrunken hatte.
Lesen Sie §§ 323a, 26!
II. Die Rechtswidrigkeit
Hier geht es darum, die Abwesenheit von Rechtfertigungsgründen zu prüfen. Wenn evident ist,
dass keiner eingreift, sollte man eben dies nur kurz feststellen, etwa durch den Satz: "Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich". Oder: "Der Täter handelte auch rechtswidrig." Nicht genügend ist dagegen der bei Studenten beliebte Satz: "Die Tatbestandserfüllung indiziert die
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Rechtswidrigkeit." Ein bloßes Indiz, d.h. ein Anzeichen, kann durch Gegenindizien entkräftet
werden. Deshalb enthält der Satz für sich allein weder die Begründung noch auch nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit.
1. Tatbestandsausschluss oder Rechtfertigung?
Was erst als Rechtfertigungsgrund und was schon im Tatbestand als Tatbestandsausschließungsgrund zu beachten ist, kann zweifelhaft sein. Die Opferzustimmung beispielsweise begegnet uns
traditionell in zwei verschiedenen Formen: als tatbestandsausschließendes „Einverständnis“ (vgl.
z.B. § 123 I: „eindringt“) und als „Einwilligung“ (vgl. §§ 223, 226a). Es gibt aber heute auch
viele, die die Unterscheidung verwerfen und jede gültige Opferzustimmung als tatbestandsausschließend ansehen (z.B. Roxin, AT3, 13/2 ff.). Ein anderes Beispiel ist das Merkmal „unbefugt“
in den §§ 132, 132a. Mal wird eine Befugnis als tatbestands-, mal als unrechtsausschließend aufgefasst, z.B. die Befugnis zur Doktortitelführung: einerseits die des Promovierten, andererseits
die des verdeckten Ermittlers (§ 110a StPO).
Nennen Sie in folgenden Normen das problematische Merkmal und ordnen Sie es dem Tatbestand oder der Rechtswidrigkeit zu!
§ 303 I:
§ 123 I:
§ 223 I:
§ 145 I Nr. 1:
§ 248b I:
§ 228:
§ 324 I:
§ 284 I:
§ 17 Nr. 1 TierSchG:
„rechtswidrig“
Allg. Hinweis auf die Rechtswidrigkeit.
„widerrechtlich“
Allg. Hinweis auf die Rechtswidrigkeit.
„körperlich misshandelt“
Tatbestandsvoraussetzung.
„Notrufe missbraucht“
Tatbestandsvoraussetzung.
„gegen den Willen des Berechtigten“ Tatbestandsvoraussetzung.
„Einwilligung der verletzten Person“
Rechtfertigungsgrund (jdf. nach h. A.).
„unbefugt“
Allg. Hinw. auf die Rechtswidrigkeit (h. L.).
„ohne behördliche Erlaubnis“
Streitig.
„ohne vernünftigen Grund“
Streitig.
2. Zum Prüfungsumfang bei mehreren Rechtfertigungsgründen
Besteht zwischen den in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründen ein Spezialitätsverhältnis,
so ist mit den speziellen zu beginnen. Ein solches Verhältnis ist anzunehmen, wenn die eine Erlaubnisnorm nur einen Ausschnitt der Konfliktfälle erfasst, die in der anderen geregelt sind.
Fall 82: Auf dem Weg zum Friedhof ärgert sich Lobgott Piepsam über R, der den Weg unbefugt
als Radfahrer benutzt. Er hetzt seinen Schäferhund auf R. Zu Fall gebracht und in äußerster Not, zieht R ein Messer und ersticht den Hund.
Anderes gilt, wenn der zuerst geprüfte Rechtfertigungsgrund nicht durchgreift.
Fall 83: A hat in Köln B’s Mercedes geraubt und dabei Frau B ermordet. Drei Tage später sieht
B in Frankfurt/Oder zufällig, wie A aus dem Mercedes steigt und in eine Gaststätte
geht. B hält ihn dort gewaltsam fest und bittet, die Polizei zu alarmieren.
Häufiger sind freilich Sachverhalte, wo nach der ersten Ablehnung evident ist, dass der Sachgrund für alle weiteren Rechtfertigungsgründe gleichfalls gilt.
Fall 84: Der in Fall 82 auf R gehetzte Hund ist ein Dackel, den R auch durch kräftiges Festhalten hätte unschädlich machen können.
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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3. Einzelne Rechtfertigungsgründe
Verdeutlichen Sie sich das Zusammenspiel von BT-Tatbestand und Rechtfertigungsgründen erneut an der Übersicht auf S. 6!
a) Rechtfertigender Notstand (§ 34) als der Prototyp der Rechtfertigungsgründe
Fall 85: Vater V rennt zu seiner dreijährigen Tochter T, die gerade auf die Straße vor ein Auto
laufen will. Dabei rempelt er die Rentnerin R an. R stürzt und bricht sich den Oberschenkelhals.
Fall 86: Arzt A entnimmt dem Patienten O gegen dessen Willen Blut, um damit den Schwerverletzten S am Leben zu halten.
Lernen und prüfen Sie in dieser Reihenfolge:
 Gefahr: Drohender Schaden für ein Rechtsgut (Ex-ante-Urteil).
 Gegenwärtig: Wenn die Gefahr alsbald in den Schaden umschlagen kann.
Als Gefahr kommt auch eine Dauergefahr in Betracht. Sie ist gegenwärtig, wenn sie nur durch unverzügliches Handeln wirksam abgewendet werden kann (Wessels/Beulke, AT 31 Rdnr. 306 f).
 Nicht anders abwendbar: Die Tathandlung muss zur Gefahrenabwehr geeignet und erforderlich sein. Es darf also kein anderes Mittel geben, das genauso geeignet und auch noch milder
ist.
Wie die ersten zwei Schritte in der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Grundrechtseingriffen.
 Wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses:
Verhältnismäßigkeitsprüfung. Umfassende Abwägung aller Gesichtspunkte unter Beachtung
der näheren Kennzeichnung in § 34. Ziemlich freie Wertung.
Wie der dritte Schritt in der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Grundrechtseingriffen.
 Angemessenes Mittel (S. 2): Der Unterschied zur Verhältnismäßigkeitsprüfung ist unklar.
Manche halten S. 2 für überflüssig (S/S-Lenckner25, § 34 Rn 46); andere messen ihm eine
Bedeutung bei (Jakobs, AT2, 13/36; NK-Seelmann1997, § 34 Rn 21).
 Tatbegehung, „um“ die Gefahr abzuwenden: Sog. subjektives Rechtfertigungselement. Das
„um zu“ klingt wie Absicht; man lässt aber genügen, dass der Täter hinsichtlich der rechtfertigenden Umstände Vorsatz hat.
Zu den besonderen Problemen, wenn dieses subjektive Rechtfertigungselement fehlt, später unter 5.
Was verbindet § 34 mit allen oder doch zumindest mit den meisten Rechtsfertigungsgründen?
Welches Prinzip drückt sich in § 34 aus?
b) „Aggressiver Notstand“ (§ 904 BGB)
Fall 87: Wie Fall 85, aber V stößt beim Spurt zu seiner Tochter Ms Motorrad um, das schwer
beschädigt wird.
Lernen und prüfen Sie in dieser Reihenfolge:
 Gefahr: Drohender Schaden für ein Rechtsgut (wie bei § 34).
 Gegenwärtig: Wenn die Gefahr alsbald in den Schaden umschlagen kann (wie bei § 34).
 Einwirkung zur Gefahrabwendung notwendig: Geeignetheit und Erforderlichkeit.
Wie „nicht anders abwendbar“ in § 34.
Rep AT. Stand:14.05.16.
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 Der drohende Schaden muss unverhältnismäßig groß sein: Verhältnismäßigkeitsprüfung
(vgl. § 34). Trotz ganz anderer Formulierung ist der Abwägungsmaßstab derselbe wie in § 34.
Machen Sie sich das klar!
 Vorsatz hinsichtlich der rechtfertigenden Umstände: Wie in § 34.
Steht nicht im Gesetz, wird aber im Wege der systematischen Auslegung hineingelesen. Näher später unter 5.
Eine Angemessenheitsklausel gibt es hier nicht. Das liegt daran, dass diese besondere Einschränkung
immer nur bei Eingriffen in höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, Leib, Freiheit) zum Tragen kommen
kann, nicht aber bei Angriffen auf bloße Sachen.
Im liegen alle Voraussetzungen des § 904 BGB vor. Auch die Voraussetzungen des § 34 StGB sind erfüllt. Diese Norm zu prüfen ist aber nach Bejahung des § 904 BGB – wie oben gesagt – überflüssig.
c) „Defensiver Notstand“ (§ 228 S. 1 BGB)
Fall 88: Der reinrassige Bullterrier des E stürzt sich auf Ts alte Katze. T kann sie nur retten, indem er den Hund totschlägt.
Abwandlung: Der Bullterrier war ein preisgekröntes Zuchttier.
Lernen und prüfen Sie in dieser Reihenfolge:
 Gefahr: Drohender Schaden für ein Rechtsgut (wie bei § 34). Muss auch gegenwärtig sein
(vgl. §§ 34 StGB, 904 BGB).
 Durch die Sache drohend:
Vgl. „Angriff“ in § 32!
 Einwirkung zur Abwendung der Gefahr erforderlich: Geeignetheit und Erforderlichkeit.
Wie in §§ 34 StGB, 904 BGB!
 Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr:
Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. §§ 34 StGB, 904 BGB). Aber anderer Maßstab!
Begründung für den Abwägungsmaßstab „nicht außer Verhältnis“: Der Eigentümer der gefährlichen Sache ist verantwortlich für die Gefahr, eben weil sie von seiner Sache ausgeht.
Deshalb ist es nur „gerecht“, wenn die Gefahr auf Kosten der Sache und damit auf Kosten des
Eigentümers beseitigt wird. Nur wenn der Schaden beim Eigentümer all zu groß wird, kann es
den Täter nicht mehr rechtfertigen, dass durch die Abwehr auch ein bisschen Gutes bewirkt
wird. – Machen Sie sich den Unterschied zu §§ 34 StGB, 904 BGB klar!
 Tatbegehung, „um“ die Gefahr abzuwenden: Subjektives Rechtfertigungselement. Wie in
§ 34 genügt Vorsatz hinsichtlich der rechtfertigenden Umstände.
d) Notwehr (§ 32)
Lesen Sie noch einmal Fall 88!
Fall 89: Die Erstsemesterstudentin E sitzt in der Mitte des Warnemünder Hörsaales und wartet
auf den Beginn der Vorlesung. Da sieht sie, wie der Student S sich an ihrer Jacke am
Garderobenständer zu schaffen macht, das Portmonee herausnimmt und schnell wegläuft. Sie springt auf, schreit und will S stoppen, ist aber zu weit weg. Ihr Kommilitone
K, der den Hörsaal eben erst betreten hat, begreift das Geschehene und jagt hinter S die
Treppe hinunter und aus dem Gebäude hinaus. S, ein guter Läufer, wird von K, einem
noch besseren Läufer, erst auf der Strandpromenade eingeholt. K nimmt dem sich heftig wehrenden S das Portmonee mit schmerzhafter Gewalt ab.
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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Fall 90: Wie Fall 89, aber S hat mit den Worten „ich geb ihn dir übermorgen zurück“ E’s Lackner/Kühl ergriffen, der Verfolger entreißt ihm dieses Buch.
Fall 91: A sticht in einer Kneipe rasend vor Wut mit einem Messer auf T ein. T kann sich nur
einigermaßen helfen, indem er den O wie einen Schutzschild vor sich hält. T und O bekommen einige Stiche ab.
Fall 92: (OLG Hamm, OLGZ 1978, 71 f.) Dieb D will gerade mit der Beute aus dem Tabakladen fliehen, da feuert T eine Ladung Schrot auf D ab. D wird schwer verletzt.
Fall 93: (Frei nach BGHSt 26, 143) T und O hatten eine Schlägerei. T geht nach Hause, bewaffnet sich mit einem Messer und kehrt zurück, um sich zu rächen. Er ruft, das Messer in der Tasche, großspurig zu O: „Da bin ich wieder.“ O stürzt sich sofort mit Schlägen und Tritten auf T. T kann sich jetzt nur noch helfen, indem er O in den Bauch
sticht. O wird schwer verletzt.
Lernen und prüfen Sie in dieser Reihenfolge:
 Angriff: Jede von einem Menschen ausgehende Gefahr für ein Rechtsgut.
 Angriff auf sich oder einen anderen: „Notwehr“ oder „Nothilfe“.
 Gegenwärtig: Ab dem unmittelbaren Bevorstehen bis zum vollständigen Abschluss.
 Rechtswidrig: Muss nicht strafbar sein. Der Angriff muss nach h. L. auch nicht schuldhaft
und nicht einmal vorsätzlich begangen sein. Zu fordern ist aber wohl ein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten (str.).
 Verteidigung: Muss gegen den Angreifer gerichtet sein.
Begründung: Nur dann ist die Schärfe des Notwehrrechts (dazu s. u.) „gerecht“.
 Erforderlich: Geeignetheit und Notwendigkeit.
Wie in §§ 34 StGB, 228, 904 BGB!
Fall 94: Studentin S, die seit Jahren Kampfsport macht, wird beim Joggen in den Feldern von
Grevesmühlen vom beleibten B belästigt. Als er sich sogar vor sie stellt, sie ausbremst
und befingern will, setzt S ihn mit einem gekonnten Schlag außer Gefecht, obwohl sie
auch einfach hätte wegjoggen können.
 Gebotenheit (Abs. 1):
Grundsätzlich darf die Verteidigung unverhältnismäßig scharf sein. Dennoch gibt es manchmal sog. Notwehreinschränkungen. Hauptsächliche Fallgruppen:
 Krasses Missverhältnis
 Angriffe schuldlos Handelnder
 Angriffe nahestehender Personen
 Angriffe, die der Verteidiger provoziert hat („Notwehrprovokation“)
In diesen Fällen ist das Notwehrrecht nach h. L. abgeschwächt in dem Sinne, dass der Täter
grds. die mildeste Reaktion wählen muss und nur bei Ungeeignetheit stärker reagieren darf.
Merken Sie sich die Reihenfolge: „Ausweichen, Schutzwehr, Trutzwehr“.
Wie kann man das aus den Prinzipien der Notwehr herleiten?
Rep AT. Stand:14.05.16.
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 Vorsatz hinsichtlich der rechtfertigenden Umstände
Wie in §§ 34 StGB, 228, 904 BGB. Steht zwar nicht deutlich in § 32 StGB („um ... abzuwenden“ beschreibt
vielleicht nur eine Eigenschaft der objektiven Verteidigungshandlung), wird aber im Wege der systematischen
Auslegung hineingelesen.
e) Einwilligung
aa) Die Voraussetzungen der Einwilligung
Fall 95: Hauseigentümer E erklärt sich damit einverstanden, dass die überhängende Äste seines
Baumes vom Nachbarn N abgesägt werden. N sägt.
Fall 96: Die fünfjährige K hat eine akute Blinddarmentzündung. Ihre Eltern bringen sie ins
Krankenhaus, wo sie gegen ihren verzweifelten Protest vom Arzt A operiert wird.
Abwandlung: K ist 19 Jahre alt.
Fall 97: Der cholerische Reihenhäuscheneigentümer C gerät mit seiner Nachbarin N in Streit.
Er schlägt mit einem großen Hammer auf Ns Wagen ein und sieht dabei sein Treiben
von ihrer ausdrücklichen Zustimmung gedeckt. Die hatte N unter Tränen erteilt, weil C
ihr dargelegt hatte, im Falle der Nichtzustimmung werde er mit dem Hammer nicht den
Wagen traktieren, sondern sich selber.
H. L.: Keine wirksame Einwilligung wegen Zwanges: N hat nicht freiwillig zugestimmt. – Wir begründen
die Unwirksamkeit etwas anders: Ns innere Haltung ist schon gar keine wirkliche Zustimmung, keine echte Preisgabe ihres Eigentums, sondern ein bloßes Dulden. Würde N dem mittelbaren Täter als „Werkzeug“ dienen (er zwingt sie mit der Pistole, ihr eigenes Auto zu beschädigen) käme wohl kaum jemand
auf die Idee, die Entscheidung der N gegen das Auto als rechtfertigende Einwilligung in Betracht zu ziehen und diese erst wegen „Unwirksamkeit“ zu verneinen.
Fall 98: Hauseigentümer E sieht sich durchs Wohnzimmerfenster an, wie die überhängenden
Äste seines Baumes vom Nachbarn N abgesägt werden. E ist damit sehr einverstanden.
N hat aber vorher nicht gefragt, weil er dachte,
a) E sei damit in diesem Jahr sicher genauso einverstanden wie schon in den letzten
zehn Jahren.
b) E habe sicher etwas dagegen, sei aber gerade nicht zu Hause.
Lernen und prüfen Sie in dieser Reihenfolge:
 Einverstandensein.
 Dispositionsbefugnis (Verfügungsbefugnis) des Einwilligenden: Rechtsmacht, über das vom
Tatbestand geschützte Rechtsgut zu verfügen, es preiszugeben.
 Natürliche Einsichtsfähigkeit: Der Einwilligende muss die Fähigkeit haben, die Bedeutung
des Rechtsgutes und die Tragweite des Rechtsgutsverzichts zu erkennen.
 Freiwilligkeit = Keine Willensmängel (Täuschung, Zwang).
 H. L.: Kundgabe der Einwilligung vor der Tat (nicht unbedingt gegenüber dem Täter).
 Vorsatz hinsichtlich der rechtfertigenden Umstände
Steht zwar nicht im Gesetz. Aber die Voraussetzungen der Einwilligung sind ohnehin nicht im Gesetz geregelt;
speziell diese subjektive Voraussetzung wird im Wege der systematischen Auslegung gemacht (vgl. §§ 34 StGB,
228 BGB). – Zu den besonderen Problemen, wenn dieser Vorsatz fehlt, später unter 5.
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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bb) Die Rechtsfolge der Einwilligung und ihr Verhältnis zum sog. tatbestandsausschließenden Einverständnis
Fall 99: (Vgl. Fall 95) Hauseigentümer E erklärt sich damit einverstanden, dass die überhängenden Äste seines Baumes vom Nachbarn N abgesägt werden und N dabei das Grundstück des E betritt. N betritt und sägt.
Lesen und vergleichen Sie §§ 123 I und 303 I!
Objektive Voraussetzungen von Einverständnis und Einwilligung nach wohl noch h. A.
Tatbestandsausschließendes Einverständnis
Rechtfertigende Einwilligung
Beispiele: §§ 123, 242, 248b
Beispiele: §§ 223, 303
Innere Zustimmung im Zeitpunkt der Tat
Innere Zustimmung im Zeitpunkt der Tat
Dispositionsbefugnis
Dispositionsbefugnis
Natürliche Willensfähigkeit:
Natürliche Einsichtsfähigkeit:
Fähigkeit, Willen zum Rechtsgutverzicht zu bilden. Fähigkeit, Bedeutung des Rechtsgutes und Tragweite des
(Verständnis für Rechtsgut und Verzicht entbehrlich.)
Verzichts zu erkennen.
Kein Zwang (Täuschung schadet nicht); str.
Keine Willensmängel (Täuschung, Zwang)
(Keine Kundgabe erforderlich)
Kundgabe vor der Tathandlung
U.E. darf die Einordnung in die eine oder andere Deliktsstufe keine verschiedene Lösungen zur Folge haben.
f)
Behördliche Genehmigung
Fall 100: Polizist P hindert tollkühn den Bankräuber R an der Flucht mit der Beute. Seine Behörde erlaubt ihm, die ihm angebotene Belohnung der Bank anzunehmen.
Lesen Sie § 331 I, III!
g) Mutmaßliche Einwilligung
Fall 101: N betritt den Garten des abwesenden E, um dessen Polsterliege vor einem Wolkenbruch zu schützen.
Lernen und prüfen Sie in dieser Reihenfolge die Voraussetzungen nach h. A.:
 Keine Befragung des Dispositionsbefugten möglich, also keine echte Einwilligung erlangbar.
 Sorgfaltsgemäße Annahme, der Dispositionsbefugte hätte seine Einwilligung gegeben, wenn
man ihn nur hätte fragen können.
Diese Annahme kann dann durchaus falsch sein; trotzdem liegt dann eine mutmaßliche Einwilligung vor.
h) Vorläufige Festnahme (§ 127 I StPO)
Fall 102: Kaufhausdetektiv K sieht, wie der Rentner R einen Taschenrechner einsteckt. Als R es
ablehnt, sich auszuweisen, hält K ihn fest und führt ihn ab in das Büro des Geschäftsführers. Dort stellt sich heraus, dass es sich um Rs Taschenrechner handelte.
 Frische Tat: Verwirklichung des Straftatbestandes und auch noch die Zeit unmittelbar danach.
Streitig ist, ob diese Tat wirklich begangen sein muss oder ob dringender Tatverdacht (Fall 102) genügt. Dazu
allgemein später unter 5.
 Betroffen werden: Gestellt werden, angetroffen werden.
Rep AT. Stand:14.05.16.
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 Verfolgen: Dem Täter nacheilen, wenn auch nur anhand von Spuren.
 Der Flucht verdächtig: Es genügt, dass nach den erkennbaren Umständen vernünftigerweise
die Annahme gerechtfertigt ist, der Betroffene werde sich dem Strafverfahren durch Flucht
entziehen.
Das ist weiter als „Fluchtgefahr“ in § 112 StPO.
 Identität nicht feststellbar: Wenn der Betroffene sich nicht genügend ausweisen kann.
Ein weiterer Rechtfertigungsgrund ist § 127 Abs. 2 StPO. Er gilt nur für Staatsanwaltschaft und Polizeibeamte.
i)
§§ 229, 230 BGB, Selbsthilfe
Fall 103: Im Fall 89 kann der diebische Student S entkommen. Nach Vorlesungsende trifft
Kommilitone K ihn an einer Bushaltestelle zufällig wieder. Als S die Herausgabe des
Geldes verweigert, hält K ihn gewaltsam fest und nimmt ihm das Portmonee ab.
j)
Erziehungsrecht der Eltern gegenüber ihren Kindern
Fall 104: Der 13-jährige S, Sohn des V, nennt seine übergewichtige Nachbarin jedes Mal „Pottwal“, wenn er ihr im Hausflur begegnet. V hatte zunächst versucht, S diese Unverschämtheit mit kurzzeitigem Fernseh- und Handyverbot sowie Stubenarrest auszutreiben. Als er von einer erneuten Beschimpfung hört, gibt er S eine kräftige Ohrfeige.
Vgl. § 1631 BGB!
4. Speziell: Subjektive Rechtfertigungselemente
Fall 105: Dem Hauseigentümer H ist der ständig kläffende Schäferhund S seines Nachbarn schon
lange ein „Pfahl im Fleische“. Als er sieht, dass S sich im Arm des Postboten P verbissen hat, holt er schnell sein Jagdgewehr und tötet S mit einem gezielten Schuss. H hatte
zutreffend erkannt, dass er nur so weiteren Schaden von P abwenden konnte; es kam
ihm aber allein darauf an, die Lärmquelle „S“ zu beseitigen.
5. Verkennung und Fehlannahme rechtfertigender Umstände
Ist ein Rechtfertigungsgrund objektiv gegeben und erkennt der Täter die rechtfertigenden Umstände auch, so bedeutet das im Ergebnis meist, dass die Tat schlechthin erlaubt ist. Allerdings
ist dies nicht notwendig der Fall. Wegen eines anderen Delikts kann der Täter durchaus strafbar
sein.
Fall 106: A setzt im Auftrag des E dessen komfortables Schrebergartenhäuschen wegen Baufälligkeit in Brand.
Ist ein Rechtfertigungsgrund entweder nur objektiv gegeben oder stellt sich der Täter die rechtfertigenden Umstände nur vor, muss man erwägen, ob dadurch das Unrecht des geprüften Deliktes wenigstens partiell ausgeschlossen wird. Das würde ausreichen, die Rechtswidrigkeit des
vollendeten Vorsatzdelikts zu verneinen, weil sie voraussetzt, dass das Unrecht vollständig gegeben ist (dazu Fall 107 und Fall 108). Es kann sogar ausreichen, die Rechtswidrigkeit des vollendeten Fahrlässigkeitsdelikts zu verneinen (dazu ab Fall 109).
a) Verkennung rechtfertigender Umstände („Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselementes“, sog. umgekehrter Erlaubnistatbestandsirrtum)
Fall 107: A sieht sich in der Kneipe plötzlich seinem Feind B gegenüber und schlägt ihn zu Boden; unbemerkt von A hatte B schon vorher ein Messer gezückt, um A zu erstechen.
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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b) Fehlannahme rechtfertigender Umstände („Fehlen des objektiven Rechtfertigungselementes“, sog. Erlaubnistatbestandsirrtum)
Fall 108: Mieter M hört aus der benachbarten Mietwohnung des Rentners R lautes Stöhnen. Er
ist sofort überzeugt, R stöhne wegen eines lebensbedrohlichen Herzinfarktes um Hilfe
und sei nicht mehr in der Lage, ihm zu öffnen. Darum wirft er sich mit aller Kraft gegen die Tür und zerstört sie. Drinnen erkennt er, was er leicht schon von außen hätte
erkennen können: Die Geräusche rühren her von einem Thriller im Fernsehen.
Fall 109: Frau F hat den Witwer W zum Freund gewonnen und ist zu ihm gezogen. Es kommt
zwischen ihnen zum Streit, weil sie die Wohnung entrümpeln will. In seiner Abwesenheit sortiert sie eine riesige Ansammlung von Trinkgläsern aus und bittet den Nachbarn
N, sie mit W’s Pkw wegzuschaffen und im Glascontainer zu zertrümmern. N glaubt
nach Zusicherung der F leichtfertigerweise, dass die Beseitigung der Gläser unter Verwendung des Autos W’s Wunsch sei.
Fall 110: A läuft mit gezücktem Messer auf B zu und schreit: „Ich bring dich um!“ N fürchtet
um B’s Leben und stellt dem A ein Bein. A stürzt und verletzt sich. In Wahrheit handelte es sich um einen Scheinangriff, verabredet von A und B, um Passanten zu erschrecken.
Im Folgenden finden Sie eine Anleitung, wie man im Sinne der vorstehenden Rechtsausführungen die Lösung zu Fall 108 formulieren kann, soweit sie die Rechtswidrigkeit bei § 303 betrifft.
Die Zusätze in eckigen Klammern haben erläuternden Sinn; sie gehören nicht zur eigentlichen
Lösung.
1. Damit M nach § 34 gerechtfertigt ist, muss eine Gefahr für R bestanden haben. Dies bestimmt sich nach einem Ex-ante-Urteil. Auch M hätte erkennen können, dass dem R kein
Schaden drohte. Eine Gefahr lag also nicht vor. R ist nicht wegen rechtfertigenden Notstandes gerechtfertigt.
[Orientiert man sich am konventionellen Aufbau – „objektiv vor subjektiv“ –, muss man hier
feststellen, dass der Täter auch im Hinblick auf das Fehlen der rechtfertigenden Umstände
sorgfaltspflichtwidrig gehandelt, also das erlaubte Risiko überschritten hat; siehe soeben zu
Fall 110. (Im Fall 108 ist Pflichtwidrigkeit mit der vorgenommenen Ex-ante-GefahrBeurteilung bejaht und erledigt.) Weil die Notwendigkeit dieses Prüfungspunktes aber von
kaum einem Korrektor erkannt wird, empfiehlt es sich zur Zeit noch, bei einer – wie hier –
gegebenen Sorgfaltspflichtverletzung den Punkt zu überspringen und sich auf die Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums zu beschränken. Fehlt allerdings die Sorgfaltspflichtverletzung, wie im Fall 110, dann muss man Farbe bekennen und richtigerweise auf eben dieses
Defizit abstellen. Andernfalls droht der nach Fall 110 aufgezeigte Widerspruch.]
M ist also nicht objektiv gerechtfertigt.
2. Möglicherweise liegt das Unrecht des Vorsatzdeliktes § 303 nicht vor, weil M irrig Umstände
annimmt, welche ihm hier das Recht zur Zerstörung der Tür geben würden (sog. Erlaubnistatbestandsirrtum).
[Wie schon oben nach Fall 108 gesagt, behandeln viele den Erlaubnistatbestandsirrtum erst
bei der Schuld; vgl. etwa Wessels/Beulke, AT31, Rdnr. 479 i.V.m. S. 325. Danach sollte man
sich nicht richten. Denn es ist zumindest diskutabel – und u.E. sogar richtig –, bei Erlaubnistatbestandsirrtümern bereits das Unrecht des Vorsatzdeliktes zu verneinen; vgl. nur
Schönke/Schröder-Lenckner26, Vor § 32 Rdnr. 21. Man übergeht also unzulässigerweise einen Zweifel, wenn man die Rechtswidrigkeit bejaht, ohne sich mit diesem Standpunkt auseinanderzusetzen. Deshalb mehren sich die Empfehlungen, den Erlaubnistatbestandsirrtum
schon bei der Rechtswidrigkeit zur Sprache zu bringen; so z.B. Kühl, § 13 Rdnr. 77;
Schlehofer, JuS 1992, 572, 578.]
M müsste sich die Voraussetzungen des § 34 vorgestellt haben. M hat geglaubt, ... Er hat sich
also die Umstände des § 34 vorgestellt, ein Erlaubnistatbestandsirrtum liegt mithin vor.
[Denken Sie im Gutachten unbedingt daran, den Erlaubnistatbestandsirrtum nachzuweisen!
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Bis in die Examensarbeiten hinein ist die Neigung groß, voreilig zu den „Theorien“ über die
Behandlung dieses Irrtums Stellung zu nehmen; das ist ein grober methodischer Fehler.]
Vielleicht ist der Erlaubnistatbestandsirrtum als vorsatzausschließender Umstandsirrtum
i.S.d. § 16 I 1 zu behandeln. Dann müsste M einen Umstand verkannt haben, der „zum gesetzlichen Tatbestand gehört“. Verkannt hat M das Fehlen der rechtfertigenden Umstände. Es
kommt also darauf an, ob dieses Fehlen zu den Umständen gehört, die im „gesetzlichen Tatbestand“ beschrieben sind.
Manche Autoren bejahen das (Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen). Die wohl
h.M. tut das zwar nicht, sie wendet § 16 I 1 aber analog auf den Erlaubnistatbestandsirrtum
an und verneint so ebenfalls den Vorsatz (eingeschränkte Schuldtheorie [u.E. besser: Unrechtstheorie]). Beide Ansichten verneinen also bereits das Unrecht des Vorsatzdeliktes. Andere Lehren dagegen bejahen das Unrecht des Vorsatzdeliktes und verschieben das Problem
in die Schuld. Dort verneinen sie dann entweder die „Vorsatzschuld“ (rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie) oder wenden § 17 an (strenge Schuldtheorie). Nur vom
letzten Standpunkt aus kommt es hier darauf an, ob M’s Irrtum vermeidbar war. M hätte die
Sachlage leicht und schnell klären können. Dadurch hätte er seinen Irrtum beseitigt. Dieser
war somit vermeidbar. Nur nach der strengen Schuldtheorie ist M also nach § 303 zu bestrafen.
Den Vorzug verdient jedoch die Verneinung des Vorsatzunrechtes, wobei offenbleiben kann,
ob man § 16 I 1 direkt oder analog anwendet. Für die Gleichbehandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums mit dem Tatbestandsirrtum i.e.S. spricht, dass beide Irrtümer den Täter Umstände verkennen lassen, die sein Verhalten objektiv zum Unrecht machen. Wegen der
Gleichartigkeit von Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen gibt es auch keine
sachlichen Unterschiede zwischen beiden, anhand deren man dogmatisch sauber eine Grenze
zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit ziehen könnte. [Das Problem und der Theorienstreit haben bekanntlich ein besonders großes Gewicht. Es bedarf also in Hausarbeiten einer
ausführlicheren Darstellung, vgl. zu Fall 109 Herzberg/Scheinfeld, Der Erlaubnisttatbestandsirrtum – dargestellt in Form eines Seminarvortrages, JuS 2002, 649 ff.]
Somit fehlt es am Vorsatzunrecht. M hat also § 303 nicht rechtswidrig verwirklicht und kann
aus dieser Vorschrift nicht bestraft werden.
[Auch wenn man nicht den Unrechtstheorien folgt, ist es richtig, sie in der Rechtswidrigkeit zu diskutieren. Hat man
sie verworfen – wofür es u.E. keine guten Gründe gibt! –, muß man die Rechtswidrigkeit bejahen und in der Schuld
zu den beiden restlichen Theorien – rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie, strenge Schuldtheorie –
Stellung nehmen.]
III. Die Schuld
1. Grundsätzliches
Bei der Schuldprüfung ist auch für Hausarbeiten davon abzuraten, einleitend das „Wesen“ der
Schuld zu kennzeichnen, etwa in dem Sinne, wie es in der Sekundärliteratur oft geschieht (vgl.
z.B. Wessels/Beulke, AT32 Rdnr. 401: Schuld als „Vorwerfbarkeit der Tat im Hinblick auf die ihr
zugrunde liegende rechtlich tadelnswerte Gesinnung“). Wenn man schon positiv definieren will,
was die Schuld im strafrechtlichen Sinne voraussetzt, muss man sich ans Gesetz halten. Es verlangt die Fähigkeit, „das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“ (§ 3
JGG; vgl. auch §§ 20, 21, 17). „Schuld“ im strafrechtlichen Sinne ist also gegeben, wenn der Täter trotz dieser Fähigkeit die „rechtswidrige Tat“ begeht.
Fall 111: Unterwegs zu einem Bundesligaspiel gerät der Fußballfan F auf der Autobahn in einen
Stau. Er wendet und rast auf der Standspur zurück zur nächsten Ausfahrt. Angeklagt
nach § 315c, verteidigt er sich, infolge seines Charakters und seiner Fußballleidenschaft
sei er unfähig gewesen, nach seiner Unrechtseinsicht zu handeln.
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Fall 112: Staatsanwalt S klagt den 13jährigen Gymnasiasten G wegen Computerbetruges
(§ 263a) mit der Begründung an, G sei reif genug gewesen, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Fall 113: A wird versehentlich am Abend in seinem Hotelzimmer eingeschlossen. Da der Schlüssel von außen steckt, kann er von innen nicht öffnen. Das Telefon funktioniert nicht,
auf Rufen und Klopfen kommt niemand. Weil er in der Bar noch ein paar Bier trinken
will, bricht er schließlich die Tür auf. Der Hotelier stellt Strafantrag wegen Sachbeschädigung und begründet das damit, dass A ohne weiteres bis zum nächsten Morgen
hätte warten können; der Zimmerkühlschrank habe genug Bier geboten und es sei ohnehin Zeit zum Schlafengehen gewesen.
2. Einzelne Schuldregeln
a) Die Schuldausschließungsgründe
aa) Kindlichkeit (§ 19)
Dazu Fall 112. (Zur Berechnung des Alters siehe §§ 187 II 2, 188 II BGB).
bb) Jugendliche Unreife (§ 3 JGG)
Fall 114: An seinem 14. Geburtstag streunt X mit seinen Freunden nachts durch die Straßen. Aus
Übermut zersticht er alle vier Reifen am Auto des Schuldirektors Dr. Wulicke.
cc) Psychisch abnorme Befindlichkeit (§ 20)
Unterscheiden Sie in § 20:
 Biologisches Defizit (vier Möglichkeiten)
 Normatives Defizit
 Fehlen der Einsichtsfähigkeit oder
 Fehlen der Steuerungsfähigkeit
Die Steuerungsfähigkeit entfällt eher als die Einsichtsfähigkeit.
Fall 115: Nach einer Zechtour fährt A betrunken mit seinem Auto nach Hause. Seine Blutalkoholkonzentration (BAK) beträgt
a) 3 ‰,
b) 2 ‰.
dd) Verbotsirrtum (§ 17)
Fall 116: Die Krankenschwester K gibt dem unheilbar kranken P auf dessen ernstliches Verlangen hin eine tödliche Injektion, nachdem der Arzt A sie durch Vorlage eines gedruckten Gesetzentwurfs überzeugt hat, in solchem Fall sei neuerdings auch aktive Sterbehilfe erlaubt.
oder wenn er
Fall 117: Aus Dankbarkeit für das gute Erstvotum zu seiner Dissertation schenkt Doktorand D
seinem Doktorvater, Professor P, eine Kiste Wein. P nimmt das Geschenk ohne Unrechtsbewusstsein dankend an (vgl. § 331).
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b) Die Entschuldigungsgründe
aa) Notwehrüberschreitung (§ 33)
Die Rechtsfolge „wird ... nicht bestraft“ bedeutet nach allgemeiner Ansicht „handelt ohne
Schuld“.
Fall 118: Die extrem schreckhafte F hat sich zum Schutz vor Einbrechern mit einer Pistole bewaffnet. Als sie nachts tatsächlich im Keller einem Dieb gegenübersteht, schreit sie auf
und schießt sofort. D wird schwer verletzt. F hätte auch durch bloße Drohung mit der
Waffe den Angriff auf ihr Eigentum abwehren können.
Fall 119: P ist zur Beobachtung im Krankenhaus. Um die Nachtschwester N zu vergewaltigen,
packt er sie von hinten. N gelingt es aber, sich loszureißen und schlägt P mit aller
Wucht eine Taschenlampe auf den Schädel. Sie erkennt, dass der röchelnd am Boden
liegende P nun ungefährlich ist. Aus Angst schlägt N erneut zu, und P erleidet als Folge
dieses Schlages ein schweres Hirntrauma.
Abwandlung: N erahnt die Absicht des P und schlägt aus Angst mit der Taschenlampe
zu, weit bevor dieser anzugreifen gedachte.
bb) Entschuldigender Notstand (§ 35 I)
Lesen Sie ganz genau die Sätze 1 und 2!
Fall 120: M, ein ehemaliges Mafia-Mitglied, tötet auftragsgemäß den Staatsanwalt S unter dem
Druck der Drohung, dass sonst sein Kind K, das von anderen Mafiosi entführt worden
ist, ermordet werde.
Fall 121: (= Fall 113) A wird versehentlich am Abend in seinem Hotelzimmer eingeschlossen.
Weil der Schlüssel von außen steckt, kann er von innen nicht öffnen. Das Telefon funktioniert nicht, auf Rufen und Klopfen kommt niemand. Weil er in der Bar noch ein paar
Bier trinken will, bricht er schließlich die Tür auf. Der Hotelier H stellt Strafantrag wegen Sachbeschädigung und begründet das damit, dass A ohne weiteres bis zum nächsten Morgen hätte warten können; der Zimmerkühlschrank habe genug Bier geboten und
es sei ohnehin Zeit zum Schlafengehen gewesen.
3. Ungeschriebene Schuldregeln für besondere Fälle
Lässt sich die Schuld nach keiner geschriebenen Regel verneinen, legt der Sachverhalt aber dennoch den Gedanken der Überforderung des Täters nahe, so muss man einen Schuldausschluss
durch ungeschriebene Regeln in Betracht ziehen. Im Gespräch sind deren drei:
a) Der übergesetzliche entschuldigende Notstand
Fall 122: Der Arzt A liefert wenige Geisteskranke der Vernichtung von „lebensunwertem Leben“
aus, weil sonst statt seiner ein anderer Arzt kurze Zeit später viel mehr in den Tod schicken würde (vgl. BGH, NJW 1953, 512 f.).
b) Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens
Fall 123: A führte für seinen Dienstherrn eine mit zwei Pferden bespannte Droschke. Eines der
Pferde war ein sog. „Leinenfänger“; es hatte die Angewohnheit, den Schweif über die
Fahrleine zu schlagen und diese einzuklemmen. A und sein Dienstherr wussten davon.
Trotzdem blieb das Pferd im Gespann. A fürchtete, entlassen zu werden, wenn er sich
weigerte, mit dem Pferd zu fahren. Als dieses wieder einmal die Leine eingefangen hatte und K sich vergebens bemühte, sie herauszuziehen, wurden die Pferde wild. A verlor
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die Herrschaft über das Gespann. Die Pferde warfen den Passanten P um. Er geriet unter den Wagen und erlitt einen Beinbruch (RGSt 30, 25).
Fall 124: Polizist P sieht, dass sein Sohn S bei einer Demonstration eine Schaufensterscheibe
einwirft. Aus Rücksicht auf S unternimmt er nichts. Dadurch entgeht S der Strafverfolgung (vgl. §§ 258a, 13).
c) Beim Fahrlässigkeitsdelikt: Die Unfähigkeit, die Sorgfaltsanforderungen zu erkennen
und zu erfüllen (Fehlen der subj. Sorgfaltspflichtverletzung)
Allgemein wird beim Fahrlässigkeitsdelikt verlangt, dass die Tat auch subjektiv sorgfaltswidrig
ist. Der Täter müsse nach seinem individuellen Vermögen fähig sein, die Leistungsanforderungen zu erkennen und zu erfüllen. Herausgelesen wird das, ebenso wie die Voraussetzung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit, aus dem Merkmal „fahrlässig“.
Fall 125: Der völlig verkalkte achtzigjährige Arzt Dr. D wird zu einer Kranken gerufen. Weil er
sie mit einer anderen Patientin verwechselt, gibt er ihr mit tödlicher Wirkung die falsche Spritze.
Fall 126: Der ausländische Arbeitnehmer A bedient eine Kreissäge, die den Sicherheitsvorschriften nicht entspricht, und verletzt dadurch seinen Arbeitskollegen. Aus Unerfahrenheit
hat er jegliche Gefahr verkannt.
Fall 127: A hat im vorigen Fall die Gefahr sehr wohl erkannt, aber seinem Vorgesetzten geglaubt, der ihm versichert hatte, dass sich die Maschine in ordnungsgemäßem Zustand
befinde und deshalb trotz der Gefahr bedient werden dürfe.
4. Irrtumsfälle
a) Erhebliche Irrtümer
Fall 128: Im Fall 120 ist das Kind K bei der Drohung bereits tot.
Lesen Sie § 35 II 1!
b) Unerhebliche Irrtümer
Fall 129: Der 14-jährige Tierquäler Q hält sich irrig für 13.
Fall 130: A war geistig erkrankt. Er ist wieder gesund, steht aber aufgrund der früheren Erkrankung noch unter Betreuung (vgl. § 1896 BGB). Er glaubt deshalb, auch schuldunfähig
im Sinne von § 20 zu sein.
5. Schuldhaftes Vorverhalten und Schuldausschluss: Die „actio libera in
causa (, sed non libera in actione)“
Fall 131: A fährt im eigenen Pkw zu seiner Stammkneipe. Dort trinkt er sich gezielt den Mut an,
seinen zänkischen Nachbarn N zu verprügeln. Wie von ihm vorausgesehen, fährt er
später volltrunken nach Hause und verprügelt den N.
Hat A sich strafbar gemacht wegen Körperverletzung (§ 223)? Wegen Trunkenheit im Verkehr
(§ 316)?
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Prof. Dr. Rolf D. Herzberg, Prof. Dr. Bernhard Hardtung, Jörg Scheinfeld
IV. Weitere Strafvoraussetzungen
1. Strafbarkeitsvoraussetzungen
In manchen Fällen ist mit der Feststellung der Schuld über die Strafbarkeit noch nicht entschieden. Nach verbreiteter Lehre sollen erst dahinter die objektiven Strafbarkeitsbedingungen an der
Reihe sein (s.o. zu Fall 81). Sehr weitgehend anerkannt sind die Kategorien der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe. Ausgeschlossen ist die Strafe etwa in den Fällen des jugendlichen Alters beim Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 III) oder in Fällen der Indemnität
(§ 36). Aufgehoben wird die Strafe beim vollendeten Delikt nur aufgrund von „tätiger Reue“
(vgl. etwa §§ 83a, 306e II). Auf derselben Linie liegt beim strafbaren Versuch – hier noch nicht
an der Reihe! – die allgemeine Regel des § 24.
2. Typisierende Strafzumessungsregeln
Steht unter Berücksichtigung auch dieser Voraussetzungen die Strafbarkeit fest, so kann es noch
erforderlich sein, typisierende Strafzumessungsregeln zu erwähnen, z.B. die §§ 17 S. 2, 21, 35 II,
213 1. Alt., 243 I 2 Nrn. 1-7. Man nennt die typisierenden Strafzumessungsregeln meistens die
„benannten“ und grenzt sie ab von den „unbenannten“, z.B. in §§ 212 II, 213, 243 I 1: „In besonders schweren Fällen“ und „sonst im minder schweren Fall“. Die unbenannten bleiben im
ersten Staatsexamen unerwähnt; die Sachverhalte sind insoweit fast immer unergiebig.
Die Aufbaufrage, wo benannte Strafzumessungsregeln zu prüfen sind, wird verschieden beantwortet. So behandeln manche die §§ 17 S. 2, 21, 35 II häufig schon in der „Schuld“, vermutlich
wegen ihres engen Zusammenhangs mit schuldausschließenden Regeln. Das ist nicht nur systemwidrig, sondern mitunter auch unökonomisch.
Fall 132: Der krankhaft pyromanische P löscht den Brand, noch bevor dieser entdeckt und ein
nennenswerter Schaden entstanden ist.
Unterscheiden Sie:
Echte Straftatbestände
Bloße Strafzumessungsregeln
Qualifikationen
Privilegierungen
Benannte Strafzumessungsregeln
Unbenannte Strafzumessungsregeln
(d. h. ohne prüfbare Merkmale)
(strafschärfend)
(strafmildernd)
Strafschärfend
(„Regelbeispiel“)
Strafmildernd
Strafschärfend
Strafmildernd
§§ 244, 306b
§ 216
§ 243
§§ 21, 213
§ 212 II
§ 249 II
Prüfen!
Prüfen!
Prüfen!
Prüfen!
Nicht prüfen!
Nicht prüfen!
3. Strafverfolgungsvoraussetzungen
Schließlich sind etwaige Strafverfolgungsvoraussetzungen zu beachten, so z.B. Strafantrag
(§ 77) und Immunitätsaufhebung (Art. 46 II GG). Sie sind allerdings selten problematisch und
werden meist im Aufgabentext klargestellt (dazu schon oben A.III.10.).
Fall 133: Der mit seinem Nachbarn N zerstrittene A stellt bei der Staatsanwaltschaft Strafantrag
gegen N wegen verschiedener Delikte, u.a. wegen eines Hausfriedensbruchs, den N vor
dreieinhalb Jahren begangen haben soll.
Rep AT. Stand: 14.05.16.
Prof. Dr. Rolf D. Herzberg: Repetitoriums Strafrecht AT
39
C. Das (fahrlässige und vorsätzliche) vollendete unechte
Unterlassungsdelikt
I.
Der objektive Tatbestand des sog. unechten Unterlassungsdelikts (§ 13)
1. Das Plus-Minus-Verhältnis von Handlungs- und Unterlassungsdelikt
Blickt man auf die Sache und nicht auf dogmatische Begriffe und Formeln, dann verschwinden
auch die scheinbaren sachlichen Besonderheiten des unechten Unterlassungsdeliktes. Wiederum
ist kein Merkmal zu prüfen, das nicht auch im entsprechenden Handlungsdelikt steckt.
Fall 134: (= Fall 46) A verletzt vorsätzlich die Nachbarin N, indem er ihr eine Ohrfeige gibt.
2. Die Garantenstellung als Basis der objektiven Zurechnung
Fall 135: A hat sein Auto in die Reparatur gegeben und sich von seinem reichen Bruder B einen
nagelneuen Mercedes geliehen. Er ist neidisch auf B und wünscht ihm allen möglichen
Schaden. Darum lässt er das Auto absichtlich vor seiner Garage stehen, als der Wetterbericht einen schweren Hagelschauer ankündigt. Tatsächlich hinterlässt der Hagel Beulen im Blech. Später kommt X des Weges und beschädigt den Mercedes, indem er mit
seinem Schlüssel die Seitentür verkratzt.
3. Die Abgrenzung zwischen Handlungs- und Unterlassungsdelikt
Ob nur das (unechte) Unterlassungsdelikt oder auch schon seine Qualifizierung, nämlich das
Handlungsdelikt vorliegt, ist eine Frage, die in der Sache sehr problematisch sein kann und auch
in an sich unproblematischen Fällen den Studierenden Mühe macht. Man muß verschiedene
Konstellationen unterscheiden.
a) Eine als strafbar in Betracht kommende Verhaltensweise, deren Zuordnung eindeutig
ist
Der Sachverhalt schildert oft mehrere Verhaltensweisen des Täters, von denen nur eine ernsthaft
in Betracht kommt. Diese Verhaltensweise kann dann in ihrer Einordnung als Handeln oder bloßes Unterlassen evident sein. So ist im Fall 135 das Verhalten des A, den Wagen im Hagel stehen zu lassen, so klar ein bloßes Unterlassen und das Verhalten des X, die Tür zu zerkratzen, so
deutlich ein Handeln, dass die jeweilige Einordnung keiner Begründung bedarf. Zwar hat A auch
durch ein aktives Tun, nämlich durch das Hinschaffen des Autos vor seine Garage den Erfolg
verursacht. Weil der Sachverhalt aber nichts dafür hergibt, dass schon diese Verhaltensweisen
die Voraussetzungen des § 303 I erfüllen könnten (objektive Zurechnung, Vorsatz), verbietet
sich insoweit jede Prüfung.
b) Mehrere als strafbar in Betracht kommende Verhaltensweisen, deren Zuordnung eindeutig ist
Fall 136: Leutnant L gibt an der Theatergarderobe seinen Mantel mit einer geladenen Pistole in
der Innentasche ab. In der Pause wird er Zeuge, wie die Garderobenfrau die Pistole im
Scherz auf ihre Kollegin K richtet. Leichtsinnigerweise vertraut er darauf, dass G nicht
Rep AT. Stand:14.05.16.
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Prof. Dr. Rolf D. Herzberg, Prof. Dr. Bernhard Hardtung, Jörg Scheinfeld
abdrücken werde, und mischt sich nicht ein. G drückt aber doch ab und tötet K (nach
RGSt 34, 91 ff.).
Es kommt aber auch vor, dass das Unterlassungsdelikt schwerer wiegt als das Handlungsdelikt.
Das ist dann der Fall, wenn der Täter durch sein Unterlassen ein schwereres Delikt begeht als
durch sein Handeln.
Fall 137: Die krebskranke Frau F will sterben und bittet ihren Mann, den Arzt M, ernsthaft um
Injizierung eines langsam wirkenden tödlichen Giftes. M kommt dem Verlangen nach.
Den Tod vor Augen, besinnt F sich eines anderen und fleht ihren Mann an, er möge sie
retten. M ringt mit sich und findet schließlich, dass der Tod doch wohl am Ende die
barmherzigste Lösung sei. Er lässt sie also sterben.
Fall 138: Die alkoholisierte A fährt den Radfahrer R an und flieht, ohne sich um R zu kümmern.
Dabei nimmt sie in Kauf, dass R ohne ihre Hilfe an seinen Verletzungen stirbt. So
kommt es.
c) Die zusätzliche Voraussetzung des tatbestandlichen Handelns („Abgrenzung von Tun
und Unterlassen“)
Bei der bekannten „Abgrenzungs-“Problematik geht es genau genommen um das Kriterium,
womit man erkennt, wann in Fällen des § 13 die zusätzliche Voraussetzung des Handlungsdeliktes vorliegt, so dass sich die Strafmilderung nach § 13 II verbietet und das unechte Unterlassungsdelikt im maius des Handlungsdelikts aufgeht.
Problematisch ist etwa
Fall 139: A verspürt während eines Trauergottesdienstes einen unwiderstehlichen Lachreiz. Er
weiß, dass sein Lachen eine skandalöse Störung wäre und er sie nur durch schnelles
Hinausgehen vermeiden könnte. Das ist ihm zu lästig. Er bleibt und kann so nicht verhindern, dass er in schallendes Gelächter ausbricht.
Das Kriterium der willkürlichen Körperbewegung oder Muskelanspannung:
Fall 140: Der Medizinstudent A will beweisen, dass man „durch Gedanken töten kann“. Er richtet ein Gerät zur Messung des Hautwiderstandes so her, dass die Schreibnadel bei einem bestimmten Ausschlag einen elektrischen Kontakt herstellt und so durch Stromschlag eine Labormaus tötet. An dieses Gerät schließt er den noch ahnungslosen B an.
Dann klärt er ihn auf und bittet ihn, sich etwas Aufregendes vorzustellen, um so den
nötigen Ausschlag zu verursachen. Tatsächlich gelingt das dem B, indem er sich ein
sexuelles Abenteuer ausmalt.
Das Kriterium des „Energieeinsatzes“:
Fall 141: Frau F hört das Kind K ihrer Nachbarin N vor Hunger erbärmlich schreien. Sie könnte
ohne weiteres in die Wohnung der N und K versorgen und empfindet einen starken Antrieb, dies zu tun. Weil sie aber andererseits N nicht entlasten will, unterdrückt sie die
ganze Zeit über ihren Drang. Wie von F befürchtet, stirbt K.
Die Konsequenzen des eigenen Kriteriums:
Fall 142: Der schwergewichtige G ist bei E zu Gast und sitzt ganz entspannt in einem Sessel. Als
ihn ein anderer Besucher darauf hinweist, dass der Stahlrohrrahmen des Sessels der
starken Belastung nicht lange standhalten könne, läßt G es darauf ankommen und bleibt
ruhig sitzen. Zwei Minuten später knickt der Rahmen ein und G sinkt nach hinten.
Rep AT. Stand: 14.05.16.
Prof. Dr. Rolf D. Herzberg: Repetitoriums Strafrecht AT
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Fall 143: Assistent Dr. D hat sich über seinen Chef, Professor P, geärgert. Als P am Morgen D’s
Dienstzimmer betritt und freundlich grüßt, läßt D demonstrativ die Beine auf dem
Schreibtisch, bleibt bewegungslos und erwidert den Gruß nicht.
Eine Konkretisierung des Kriteriums verlangt
Fall 144: Frau T pflegt seit Jahren ihren steinalten, bettlägerigen Vater V. Sie wünscht seinen
Tod und beschließt, ihn nicht länger zu versorgen. Ihr ist klar, dass sie nüchternen Sinnes die tödliche Unterlassung nicht übers Herz brächte, wenn sie V in seiner Not nach
ihr rufen hört.
a) Sie verläßt darum das Haus. Als V nach ihr ruft, hört sie ihn nicht und er bleibt unversorgt. V stirbt.
b) Sie betrinkt sich. Als V nach ihr ruft, ist die volltrunkene, nach § 20 schuldunfähige
T so gleichgültig, dass sie ihn unversorgt läßt. V stirbt.
Ähnlich liegen die Konstellationen, die oft als „Abbruch eigener Rettungsbemühungen“ gekennzeichnet werden (vgl. dazu den Fall bei Wessels/Beulke, AT32, Rdnr. 702).
Fall 145: Vater V erleidet beim Schwimmen im offenen Meer einen Herzanfall. Er kann sich aus
eigener Kraft nicht mehr retten. Seine Tochter T eilt ihm mit dem Motorboot zur Hilfe,
ergreift V an den Händen und zieht ihn ein Stück hoch. Plötzlich kommt ihr der Gedanke, V sterben zu lassen, um den Erbfall zu beschleunigen. Darum läßt sie ihn wieder
los. V gleitet zurück in das Wasser und ertrinkt.
Ein Gegenbeispiel bildet
Fall 146: S will den Tod seines bettlägerigen Schwiegervaters V. Darum entführt er seine Frau T
gegen ihren Willen. V bleibt infolgedessen unversorgt und stirbt.
Stark umstritten ist die Konstellation, dass der Außenfaktor gleichsam als „verlängerter Arm“
des Ausschaltenden betrachtet werden kann.
Fall 147: Chefarzt C hat angeordnet, dass der komatöse Patient P mit der Herz-Lungen-Maschine
am Leben erhalten werden soll. Nach einigen Tagen schaltet er eigenhändig die Maschine ab, weil er erhebliche Gehirnschäden befürchtet. Diese Entscheidung entspricht
nach Lage der Dinge nicht den medizinrechtlichen Regeln. C hätte vielmehr den P weiterhin am Leben halten müssen.
Fall 148: Der unheilbar kranke K wird wegen einer Stoffwechselentgleisung zur Erhaltung seines
Lebens vom Internisten I durch einen Perfusor mit Insulin versorgt. I erkennt, dass die
Dosis überhöht ist, unternimmt aber nichts dagegen, weil er K von seinen Leiden erlösen will. Nach einiger Zeit fällt P in ein hypoglykämisches Koma und stirbt.
4. Unterlassen der Erfolgsabwendung
 „Erfolg“ im Sinne des § 13 I ist jeder Zustand, der nach einem tatbestandsmäßigen Verhalten
notwendig besteht. Diese Sicht ist bei den sog. Erfolgsdelikten unstreitig; hier ist der gemeinte
Zustand z.B. der Schaden in § 303 oder die konkrete Gefährdung in § 315c. Über die sog. Tätigkeitsdelikte hingegen wird von manchen gesagt, ihnen fehle der „Erfolg“ und sie könnten deshalb nicht durch Unterlassen der Erfolgsabwendung im Sinne des § 13 I begangen werden (z.B.
LK-Jescheck, 11. Aufl., § 13 Rdnr. 2).
Fall 149: G ist geisteskrank und in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht. Für Außenstehende ist seine Krankheit nicht erkennbar. Der Pfleger P ist dafür zuständig, ihn bei
Ausflügen in die Stadt zu betreuen und zu überwachen. Aus therapeutischen Gründen
Rep AT. Stand:14.05.16.
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lässt er es ständig zu, dass G bei Kontakten mit anderen Menschen den Doktortitel
führt. Eines Tages lässt er sogar den alkoholisierten G mit seinem Wagen fahren.
Hat es P unterlassen, die zu den §§ 132a, 316 gehörenden Erfolge abzuwenden?
 Aus dem Wortlaut des § 13 I (Erfolg „abzuwenden“; dafür einzustehen haben, dass „der Erfolg nicht eintritt“) folgt, dass Unterlassungstäter nur ist, wer den Eintritt eines Erfolges nicht
verhindert. Es genügt nicht, dass man es unterlässt, einen schon eingetretenen Erfolg zu beseitigen.
Fall 150: Die kleine T zersticht vor den Augen ihres Vaters V den Vorderreifen am Fahrrad der
Nachbarstochter N, ohne dass V es verhindern kann. V weigert sich, den Reifen zu flicken.
Umstritten ist die Lösung von
Fall 151: T dringt in O’s Hotelzimmer ein, weil er es mit seinem eigenen, ganz ähnlichen verwechselt. Als er seinen Irrtum bemerkt, bleibt er dennoch und macht es sich gemütlich.
 Nach § 13 I macht sich nur strafbar, wer es „unterläßt“, den tatbestandlichen Erfolg abzuwenden. Das kann man nur sagen, wenn der Täter die physisch-reale Macht hatte, den Erfolg abzuwenden. Beispiel: Die Mutter in der Wüste, die kein Wasser bei sich hat, „unterläßt“ es nicht,
den Tod ihres verdurstenden Kindes abzuwenden. Umgekehrt genügt es für das Merkmal „unterläßt“, dass die betreffende Person die physisch-reale, wenngleich für sie vielleicht unerkennbare
Möglichkeit der Erfolgsabwendung besaß. Wer z.B. an einer Hütte vorbeigeht, in der ein entführtes Opfer gefesselt und geknebelt zu verdursten droht, „unterläßt“ die Abwendung des Todeserfolges schon dann, wenn er sich durch ein Fenster Zutritt verschaffen und dem Opfer Wasser reichen könnte. Dass er keine Veranlassung hat, in der Hütte nachzuschauen, ist erst eine
Frage der Sorgfaltspflichtverletzung und damit des rechtlichen Einstehenmüssens.
Ideal ist u.E. eine gesetzesnahe, saubere und leicht verständliche Kompaktprüfung, in der – nach
Bejahung des Erfolges – schlicht gefragt wird: War der betreffenden Person eine Handlung möglich, die den Erfolg abgewendet hätte (= Erfolgsabwendungsfähigkeit)?
Fall 152: Vater V misshandelt sein Kind so brutal, dass es nur noch kurze Zeit zu leben hat. Als
die Mutter M heimkehrt und die schweren Verletzungen bemerkt, unternimmt sie
nichts. Das Kind stirbt nach wenigen Minuten. M hätte es weder retten noch auch nur
sein Leben verlängern können.
Wie ist der Erfolg, um dessen Abwendung es geht, zu bestimmen, abstrakt, dem Tatbestand nach
oder aber konkret, wie beim Handlungsdelikt?
Fall 153: Bei einem Brand hat Vater V nur noch eine Chance, seine zweijährige Tochter vor dem
Flammentod zu retten. Er müsste sie aus dem Dachgeschoss in die Arme auffangbereiter Helfer fallen lassen. Wegen des damit verbundenen Risikos kann er sich nicht zum
Werfen durchringen. Das Kind kommt im Feuer ums Leben. V rettet sich selber im
letzten Augenblick durch einen Sprung aus dem Fenster (BGH bei Dallinger, MDR
1971, 361).
Fall 154: M erleidet beim Schwimmen einen Krampf und droht zu ertrinken. Seine Frau F müsste ihm aus großer Entfernung den einzigen vorhandenen Rettungsring zuwerfen. Dies
tut sie nicht. M ertrinkt. Die Chancen, dass der Wurf M gerettet hätte, stehen 50:50.
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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5. Rechtlich dafür einzustehen haben, dass der Erfolg nicht eintritt (sog. Garantenpflicht)
a) Die Garantenstellung
Fall 155: Vater V hat seiner siebenjährigen Tochter T ein Fahrrad zu Weihnachten geschenkt.
Nach tagelangem gemeinsamen Üben fährt T immer noch unsicher. Als T wieder einmal alleine übt, beobachtet V, wie sie nach einiger Zeit stürzt und sich schmerzhaft das
Knie aufschlägt.
aa) Beschützergaranten
Sie haben die Pflicht, bestimmte Personen vor Gefahren (in der Regel: vor allen möglichen Gefahren) zu schützen, z.B. Eltern/Kind, Bodyguard/Popstar. Im Folgenden bieten wir eine knappe
Aufteilung nach dem vertrauten Modell. Sie sollten aber im Auge behalten, dass es bloße Topoi
sind, aus denen man die Sonderverantwortung herleitet; sie verfließen ineinander und sind
manchmal geradezu austauschbar.
(1) Aus Gesetz
Beispiele: Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 BGB) oder zur elterlichen Sorge
(§§ 1626, 1705 BGB), Sorgepflicht des Vormundes (§ 1793 BGB). „Pflicht zu Fürsorge und Unterstützung“ bei gleichgeschlechtlichtlichen Lebenspartnern (§ 2 LPartG).
Fall 156: O liegt nach einem Verkehrsunfall schwer verletzt am Straßenrand. Fußgänger T könnte den Tod abwenden, greift aber nicht ein. O stirbt.
Umstritten ist, ob und wann aus Amtspflichten Garantenpflichten entstehen.
Fall 157: Polizist P sieht untätig mit an, wie T nacheinander mehrere Fensterscheiben am Geschäft des O einwirft.
(2) Aus enger natürlicher Verbundenheit
Der Idealtypus sind die Eltern; sie müssen ihre Kinder beschützen. Auch Eheleute müssen einander beschützen. Wie weit man sich vom Idealtypus entfernen und dennoch eine Beschützergarantenstellung annehmen kann (z.B. unter Geschwistern), wird sehr kasuistisch beantwortet, vgl. Schönke/Schröder-Stree26, § 13 Rdnr. 17-22.
Begründet die nichteheliche und nicht-„lebenspartnerschaftliche“ Lebensgemeinschaft eine Garantenstellung? Wohl nicht schon wegen der natürlichen Verbundenheit der Partner, denn der
Gesetzgeber hat der nichtehelichen Lebensgemeinschaft bewusst die rechtliche Anerkennung
und Absicherung verweigert, um die eheliche nicht zu entwerten (Art. 6 I GG); das ist ein Unterschied zu den anderen Gemeinschaften.
(3) Aus besonderem Vertrauensverhältnis
Fall 158: Bei einer Südpolexpedition lassen A und B den C sterben, als dieser in eine Gletscherspalte stürzt. A hatte kurz vor dem Unglück erklärt, er habe keine Lust mehr, auf ihn
könne man nicht mehr zählen, er gehe jetzt nach Hause.
(4) Aus tatsächlicher Übernahme von Schutzpflichten
Der Idealtypus ist das Babysitting. In dieser Gruppe begründen manche die Einstandspflicht mit
dem Gesichtspunkt der Ingerenz: Wenn der Babysitter den Eltern erklärt, er werde das Kind hüten, dann unterlassen die Eltern im Vertrauen darauf andere Schutzvorkehrungen; dieses „SicherRep AT. Stand:14.05.16.
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heitsrisiko“ muss der Babysitter kompensieren (übrigens auch, wenn der Babysitting-Vertrag
unwirksam ist!). Dieser Gesichtspunkt trifft aber nicht in allen Fällen zu. Er ist darum hier nicht
ausschlaggebend und streng genommen fehl am Platz. Die Garantenstellung des anwesenden
Babysitters kann nicht davon abhängen, ob im Fall seiner Absage die Eltern selber oder durch
andere Personen das Kind behütet hätten. Man denke sich etwa Eltern, die ihr Kleinkind allein zu
lassen entschlossen sind und im letzten Augenblick das überraschende Angebot einer Studentin
aus der Nachbarschaft dankbar annehmen. In diesem Fall die Fahrlässigkeitshaftung zur verneinen, wenn das Kind Schaden leidet, den sorgfältiges Babysitting vermieden hätte, könnte nicht
einleuchten
Fall 159: A wohnte bei seiner Bekannten S und ihrer ein Jahr alten Tochter C. S war oft außer
Haus. In dieser Zeit schaute A nach dem Kind. Eine ausdrückliche Absprache hatten S
und A nicht getroffen. S verließ sich stillschweigend darauf, dass A sich um das Kind
kümmerte. Als S immer weniger für C sorgte, ermahnte A sie mit Nachdruck. S gelobte
Besserung, versorgte das Kind aber bald doch wieder nur sporadisch; auch A kümmerte
sich nur noch hin und wieder um C. Eines Tages fand S das Kind tot auf; es war verhungert und verdurstet (BGH, NStZ 1984, 163 f.) .
(5) Keine Beschützergarantenpflicht allein aus enger häuslicher Gemeinschaft
Der BGH betont z.B. in der gerade genannten Entscheidung, „daß das tatsächliche Zusammenwohnen allein noch keine Handlungspflicht i.S. des § 13 StGB begründet ..., sondern daß auch in
diesen Fällen für die Annahme einer Garantenstellung, wenn nicht ein enges Verwandtschaftsverhältnis oder Verlöbnis vorliegt, die Übernahme einer Schutzfunktion vorauszusetzen ist“
(BGH, NStZ 1984, 163; s. auch BGH, NStZ 1987, 171 f.; SK-Rudolphi, § 13 Rdnr. 56). Dem ist
zuzustimmen. Was der BGH fordert – „Übernahme einer Schutzfunktion“ – entspricht unserem
Kriterium oben unter (3) und (4).
bb) Überwachergaranten
(1) Überwachung von Sachen und Tieren
Diese Überwachungspflicht ist dasselbe wie die zivilrechtliche Verkehrssicherungspflicht. Sie
kann aus Gesetz entstehen (z.B. §§ 833, 834 BGB: Tierhalter und Tieraufseher) oder aus tatsächlicher freiwilliger Übernahme (z.B. beim Hundedieb, für den es also nicht darauf ankommt, ob
man ihn schon als Halter ansieht). Es ist aber zumindest missverständlich, mit Rudolphi „allein
die tatsächliche Herrschaft“ zur Voraussetzung zu erklären (SK-Rudolphi, § 13 Rdnr. 27). Denn
das kann man so verstehen, als genüge schon eine faktische Macht wie die des P in
Fall 160: Ein frei laufender Rottweiler greift einen Setter an und droht ihn zu beißen. Passant P
kennt den Rottweiler aus der Nachbarschaft und beherrscht den Pfiff, auf den das Tier
„bei Fuß“ kommt. Aus Lust an dem Spektakel lässt er aber den Dingen ihren Lauf. Der
Setter wird verletzt.
In Betracht kommt allenfalls § 323c.
Fall 161: Bei einem Polterabend in seinem Hause lässt es der Brautvater V zu, dass der betrunkene Gast G wankend in den Keller strebt, um Bier heraufzuholen. Wie vorauszusehen,
stürzt G auf der steilen Kellertreppe und bricht sich den Arm.
Fall 162: A verbringt die B in die Wohnung des W und vergewaltigt sie dort. W, der die beiden
zunächst arglos hereingelassen hat, hätte das verhindern können. Er protestiert aber lediglich (nach BGHSt 30, 391 ff.).
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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(2) Überwachung von Personen
Wie bei den Garantenstellungen unter (1) kommt es auch hier an auf eine rechtlich zugewiesene
Herrschaftsmacht. Diese nimmt bei Personen als Herrschaftsobjekten die Form der Weisungs-,
Steuerungs- oder Befehlsgewalt an; Beispiele: Eltern/Kind, Lehrer/Schüler, Arbeitgeber/Arbeitnehmer, Vorgesetzter/Untergebener. Die Herrschaftsmacht folgt z.B. nicht aus der Ehe. (Man
liest oft, dass die Rechtsprechung das anders sehe oder doch gesehen habe. Ein genaueres Studium der einschlägigen Entscheidungen zeigt aber, dass es im Grunde immer andere Gesichtspunkte waren, die die Annahme einer Garantenpflicht trugen, z.B. Mitherrschaft über den Hund
des Ehegatten.) Sie ist ferner nicht schon deshalb anzunehmen, weil jemand Inhaber einer Wohnung ist, worin er andere zu Gast hat.
(3) Überwachung der eigenen Person: Ingerenz
Fall 163: Radfahrer R missachtet das Rot der Ampel und fährt eine alte Frau heftig an, als sie die
Straße überquert. R fährt weiter und sieht dabei voraus, dass sich der von ihm verursachte Gesundheitsschaden ohne seine Hilfe verschlimmert.
Fall 164: R fährt vollkommen korrekt. Ein Junge mit Inline-Skates beginnt ein Wettrennen mit
R. Er fährt so angestrengt und unvorsichtig, dass er schwer stürzt. R fährt weiter und
sieht dabei voraus, dass sich der von ihm verursachte Gesundheitsschaden ohne seine
Hilfe verschlimmert.
Fall 165: O ist bei T zu Gast und betrinkt sich. Er randaliert und bedroht alle Anwesenden. T gelingt es, O einzuschließen. Als O wieder nüchtern und friedlich ist, lässt T ihn dennoch
nicht heraus, weil er eine Strafe für angebracht hält.
Fall 166: V will in einer Tiefgarage Frau F vergewaltigen. F sticht ihm eine Schere tief in den
Bauch. V krümmt sich hilflos am Boden. F lässt ihn liegen und geht. V stirbt an seinen
Verletzungen.
Dass es auf die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens nicht ankommt, wird ganz deutlich, wenn der
Ingerent mit seiner erlaubten Notstandsmaßnahme einen Unbeteiligten beeinträchtigt.
Fall 167: N ist in den Rhein gefallen und droht zu ertrinken. T benutzt ein fremdes Motorboot,
das am Liegeplatz vertäut ist, um N zu bergen und ans Ufer zu bringen. T verlässt das
Boot, ohne es wieder festzumachen. Es treibt ab und wird beschädigt.
b) Garantenpflicht
Wie schon oben nach Fall 155 gesagt, bringt man die Voraussetzung der objektiven Zurechnung
beim Unterlassungsdelikt am besten unter diesem Punkt. In der Sache gibt es keine Besonderheiten. Zur Verdeutlichung:
aa) Unerlaubte Risikozulassung
Fall 168: V lässt seinen Sohn S wie schon seit Jahren mit dem friedlichen und kinderlieben
Bernhardiner aus der Nachbarschaft spielen. Der Hund wird von einer Wespe gestochen und schnappt zu. S wird vom Biss verletzt.
Fall 169: Frau F verlangte von ihrem Mann M, er solle zu ihr zurückkehren, sonst bringe sie sich
um. M blieb stur. F tötete sich (nach BGHSt 7, 269 ff.).
Fall 170: Rheinschiffer A hatte Streit mit seiner schizophrenen Frau K. Sie sprang ins Wasser.
„Zu diesem Zeitpunkt herrschte Dunkelheit. Die Außentemperatur betrug 11-12° C und
die Wassertemperatur 9,5° C. Der Rhein war an dieser Stelle 3 m tief, die FließgeRep AT. Stand:14.05.16.
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schwindigkeit an der Oberfläche mäßig, in tiefen Wasserschichten stärker. A, der eine
BAK von 2,7 ‰ aufwies, unternahm nichts“ (BGH, NStZ 1996, 29).
bb) Risikoverwirklichung
Auch hier gibt es nichts Neues zu sagen. Versuchen Sie selbst, für das folgende Beispiel die richtige Lösung zu formulieren!
Fall 171: V lässt seinen Sohn S mit dem bissigen Rottweiler aus der Nachbarschaft toben. Der
gutgelaunte Hund läuft S so zwischen die Beine, dass S stürzt und sich das Handgelenk
bricht.
6. Die Entsprechungsvoraussetzung: „wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht“
Wie schon mehrfach angedeutet, gelten für das unechte Unterlassungsdelikt sämtliche Voraussetzungen des entsprechenden Handlungsdeliktes. Die Entsprechungsvoraussetzung kann also
verstanden werden als Sammelbecken für alle Tatbestandsmerkmale, die im Falle des Handelns
zu prüfen wären und bei den bisher behandelten Voraussetzungen des § 13 I noch nicht berücksichtigt worden sind. Beispiele: die Mordmerkmale der 2. Gruppe in § 211, „mittels einer Waffe“
usw. in § 224, Täuschung und Irrtum in § 263.
Fall 172: M will an der Hafenmole seine Frau knipsen. Um auch den Leuchtturm ins Bild zu bekommen, geht er langsam ein paar Schritte rückwärts und fällt ins Wasser. F hat das
kommen sehen.
In Fall 172 haben wir die Entsprechung verneint, weil das Unterlassen nicht der Verwirklichung
durch ein Tun in der Modalität des hinterlistigen Überfalls entsprach. Wohl eher umgekehrt
muss man sich u.E. – im Hinblick auf das Merkmal „mittels ... eines anderen gefährlichen Werkzeugs“ (§ 224 I Nr. 2) – entscheiden in
Fall 173: Der A besitzt einen nicht dressierten Schäferhund, der schon früher Kinder gebissen
hat. Er lässt ihn weiterhin frei umherlaufen. Wie von A vorausgesehen, beißt das Tier
eines Tages ein Kind (nach OLG Hamm, NJW 1965, 164).
Ein interessantes Beispiel für fehlende „Entsprechung“ bietet der vom BGH entschiedene
Fall 174: „A war Führer eines Lastzugs. Ermittlungen ergaben, daß die Geschwindigkeit vom
Tachometer des Zugkraftwagens zu niedrig angezeigt und vom Fahrtschreiber zu niedrig aufgezeichnet wurde. A wußte, daß der Fahrtschreiber fehlerhaft arbeitet. Er wollte
mit Hilfe der unrichtigen Aufzeichnungen über die von ihm tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit täuschen“ (BGHSt 28, 300).
II. Der subjektive Tatbestand des unechten Unterlassungsdeliktes
Hier bestehen gegenüber dem vorsätzlichen Handlungsdelikt keine Besonderheiten.
Fall 175: Ms Kind K kämpft im See um sein Leben. Nichtschwimmer M sieht einen Bootsschuppen am Ufer, den er für leer hält. In Wahrheit sind dort aber Boote und Rettungsringe,
mit denen er K am Leben hätte halten können. M tut nichts, K ertrinkt.
Beachten Sie: Der Irrtum über die Garantenstellung ist ein Tatumstandsirrtum gemäß § 16 I 1;
der Irrtum über die Garantenpflicht ist ein Verbotsirrtum gemäß § 17 (man nennt ihn dann gerne
„Gebotsirrtum“).
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Fall 176: V sieht seine minderjährigen Kinder S und T ertrinken. Er glaubt, die T nicht retten zu
müssen, weil sie sich von ihm losgesagt hat und zu ihrem Freund F gezogen ist. Den S
hält V irrig für eben diesen F, den er verabscheut. V lässt dem Geschehen seinen Lauf.
III. Die Rechtswidrigkeit des unechten Unterlassungsdeliktes
 Viele Konstellationen bieten gegenüber dem Handlungsdelikt keine Besonderheiten.
Fall 177: Die kleine K saust auf dem Spielplatz die Rutsche hinunter, wo Mutter M sie auffangen
soll. Als das fremde Kind F oben von der Rutsche fällt, läuft M hin und fängt F auf. K
landet unbeholfen auf dem Rasen und schlägt mit dem Kopf hart auf.
 Es gibt aber einen besonderen Rechtfertigungsgrund: Die rechtfertigende Pflichtenkollision, die nicht auf dem Prinzip des überwiegenden Interesses (vgl. bei § 34) beruht. Sie hat
folgende Voraussetzungen:
- Mindestens zwei Handlungspflichten.
- Kollision: Die eine kann nur auf Kosten der anderen erfüllt werden.
- Die befolgte Pflicht muss der nicht befolgten mindestens gleichwertig sein.
Machen Sie sich klar, dass und warum hier kein wesentliches Überwiegen und nicht einmal
überhaupt ein Überwiegen nötig ist!
Fall 178: Sohn S und Tochter T spielen auf dem Spielplatz nebeneinander im Sandkasten. Als
sich ein Bullterrier auf die Kinder stürzt, ergreift ihre Mutter M die T und steigt mit ihr
auf ein Klettergerüst. S trägt schwere Bissverletzungen davon.
V. Die Schuld beim unechten Unterlassungsdelikts
Auch hier gibt es gegenüber dem Handlungsdelikt kaum Besonderheiten. Zu beachten ist nur der
besondere Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens.
Fall 179: Polizist P sieht, dass sein Sohn S bei einer Demonstration eine Schaufensterscheibe
einwirft. Aus Rücksicht auf S unternimmt er nichts. Dadurch entgeht S der Strafverfolgung.
Bei echten Unterlassungsdelikten wird der Gedanke der Unzumutbarkeit vielfach schon im Tatbestand berücksichtigt (vgl. etwa § 323c: „obwohl ... den Umständen nach zuzumuten“). Daraus
muss man im Umkehrschluss für Täter der unechten Unterlassungsdelikte folgern, dass Zumutbarkeitsgesichspunkte erst bedeutsam sind für ihre Schuld: Das Unterlassen „entspricht“ schon
dann dem Tun, wenn die Voraussetzungen des § 13 erfüllt sind; dann muss der Täter aber auch
wie ein Begehungstäter behandelt werden (vgl. Wessels/Beulke AT32, Rdnr. 739).
Rep AT. Stand:14.05.16.
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VI. Aufbauschema für das unechte Unterlassungsdelikt
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Besondere Tätermerkmale
b) Merkmale des Tatobjekts
c) Erfolgseintritt
d) Unterlassen der erfolgsabwendenden Handlung
e) Rechtliche Einstandspflicht
aa) Garantenstellung (Basisverantwortung)
bb) Garantenpflicht (= Handlungspflicht i.c. = pflichtwidriges Unterlassen = objektive Zurechnung)
g) Weitere Merkmale des Straftatbestandes und Entsprechungsklausel
2. Subjektiver Tatbestand (nur beim Vorsatzdelikt)
a) Vorsatz
b) Sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale, v. a. besondere Absichten
II. Rechtswidrigkeit
1. Objektive Rechtswidrigkeit
- Kein Rechtfertigungsgrund darf objektiv vorliegen. – Besonderer Rechtfertigungsgrund: rechtfertigende
Pflichtenkollision
2. Nur beim Vorsatzdelikt: Subjektive Rechtswidrigkeit
- Kein Rechtfertigungsgrund darf subjektiv vorliegen (= kein Erlaubnisumstandsirrtum)
III.Schuld
Besonderer Entschuldigungsgrund: Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens
Das folgende Beispiel gibt Ihnen Gelegenheit, den Aufbau zu erproben.
Fall 180: Der Strafgefangene S leidet in seiner Zelle an Bauchschmerzen und vermutet richtig,
dass er wegen akuter Blinddarmentzündung schnell operiert werden muss. Er ruft den
Justizvollzugsbeamten J herbei und bittet ihn, das Notwendige zu veranlassen. Weil S
schon oft simuliert hat, hält J für wahrscheinlich, dass er es auch diesmal tue, und unternimmt nichts. S bleibt eingesperrt, erleidet immer heftigere Qualen und wird erst im
letzten Augenblick gerettet.
Strafbarkeit des J nach §§ 340, 13?
Rep AT. Stand:14.05.16.
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D. Der Deliktsversuch
I.
Zur sog. Vorprüfung
Die Frage einer Strafbarkeit wegen Versuches wird üblicherweise mit einer „Vorprüfung“ eingeleitet. So zum Beispiel bei Wessels/Beulke, Strafrecht AT32, Rdnr. 863: „a) Fehlen der Vollendung ... b) Prüfung, ob der Versuch dieser Tat mit Strafe bedroht ist.“
1. Die Nichtvollendung
Fall 181: A schießt mit Mordabsicht auf B, verfehlt ihn aber.
Fall 182: S will in einer Skinhead-Gruppe Mitglied werden und sich gleich bewähren, indem er
einen Punk verprügelt. Als er die Faust zum Schlag erhebt, befiehlt ihm der Gruppenführer genau diese Tat und droht ihm Schläge mit dem Baseballschläger an, wenn er
nicht gehorche. In dieser Weise doppelt motiviert, schlägt S zu.
Fall 183: A schießt B vorsätzlich tot.
2. Versuchsstrafbarkeit, § 23 I
Beim zweiten Punkt geht es um die Frage, ob der Versuch unter Strafe gestellt ist. Diese Frage
lässt sich in der Tat oft nicht auf Anhieb beantworten, vor allem dann nicht, wenn es auf die
Verbrechensqualität des Delikts und damit auf § 12 ankommt (vgl. etwa §§ 249, 266). In den genauso zahlreichen Fällen des strafbedrohten Vergehensversuchs dagegen hat man es leicht, weil
hier die Strafbarkeit im einschlägigen Paragraphen des BT stets ausdrücklich angeordnet ist. Es
genügt darum z.B. der Einleitungssatz „A könnte strafbar sein wegen eines Diebstahlsversuchs
gem. §§ 242 I, II, 22“.
Fall 184: D ist Mitglied einer dreiköpfigen Diebesbande, die seit langem erfolgreich zusammen
arbeitet. Alle drei brechen in eine Wohnung ein, um eine wertvolle Skulptur zu stehlen.
Als sie gerade bemüht sind, gemeinsam das Kunstwerk rauszutragen, kommt die alamierte Polizei und nimmt sie fest. Strafbarkeit des D nach §§ 244a I, 244 I Nr. 3, 22?
Viele nutzen den (zweiten) Vorprüfungspunkt zur Klarstellung der Strafbarkeit auch des untauglichen Versuches. Man kann das zur Not so machen, weil es immerhin gut zum Standardargument des § 23 III passt. Ein besserer Anknüpfungspunkt findet sich aber in § 22 beim „unmittelbaren Ansetzen“ (s.u., 2.b).
II. Der Tatbestand
Fall 185: Krankenschwester K will den Patienten P durch eine tödliche Injektion von seinen
Qualen erlösen. Als sie nach einer Ader tastet und die Injektionsnadel heranführt, bemerkt sie, dass P schon tot ist.
1. Die Vorstellung der Verwirklichung des Tatbestandes und etwaige sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale (der „Tatentschluss“)
§ 22 sagt, der Täter müsse eine „Vorstellung von der Tat“ haben. Für sich allein genommen,
können diese Worte jedoch nur bedeuten, dass der Täter sich überhaupt ein Tun oder Unterlassen
vorgestellt haben muss.
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Fall 186: A erleidet in einer Geschenkboutique einen Kreislaufkollaps. Mit Entsetzen nimmt er
gerade noch wahr, wie er in ein Regal stürzt, ohne es verhindern zu können. Einige
Porzellanteile fallen zu Boden, bleiben aber zum Glück heil.
Fall 187: A führt einen Nagel an das Ventil im Reifen eines dem E gehörenden Autos, um die
Luft herauszulassen. Als E auftaucht, muss A unverrichteter Dinge davonlaufen.
a) Antizipierende Vorstellung oder gegenwärtige Realisierung?
Beim Vorstellungsmerkmal geht es streng genommen darum, ob der Täter sich eine künftige
Tatbestandsverwirklichung vorgestellt hat, also die Erfüllung aller objektiven und subjektiven
Tatbestandsmerkmale eines vollendeten Delikts. Er müsste sich beispielsweise für einen Diebstahlsversuch auch vorstellen, beim zukünftigen Wegnehmen Zueignungsabsicht zu haben. Neben der antizipierenden Vorstellung wird aber gemeinhin noch verlangt, dass der Täter solche
speziellen subjektiven Tatbestandsmerkmale wie die Zueignungsabsicht im Zeitpunkt der Versuchshandlung auch schon verwirklicht. Er muss sich demnach nicht nur die Zueignungsabsicht
für die Zukunft vorstellen, sondern sie schon gegenwärtig haben. In den meisten Fällen wird freilich die Vorstellung künftiger Erfüllung subjektiver Tatbestandsmerkmale mit deren gegenwärtiger Erfüllung zusammenfallen. Deshalb sollte man die Prüfung fast immer vereinfachen, nämlich
nur fragen, ob der Täter sich vorgestellt hat, die objektiven Tatbestandsmerkmale zu verwirklichen, und ob in seiner Person schon jetzt etwaige sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Das entspricht der Prüfung, wie sie auch üblicherweise beim „Tatentschluss“ empfohlen wird. Sie stimmt dann im wesentlichen überein mit der des subjektiven Tatbestandes beim
vollendeten Delikt.
Wohlgemerkt: Man nimmt dabei eine Ungenauigkeit in Kauf, deren man sich bewusst bleiben
sollte, weil sie im Ausnahmefall den Blick auf das Problem verstellen kann.
Fall 188: A beginnt zum Zeitvertreib ein Scheckformular des B auszufüllen. Er will einen Betrag
von 500,- DM eintragen, die Unterschrift des B so gut er kann nachahmen und dann das
Papier sofort zerreißen. Allerdings sieht er zugleich die große Gefahr, der Versuchung
zu erliegen und noch beim Schreiben den Entschluss zur Verwertung des Schecks zu
fassen. In dieser Sekunde kommt B herein und entreißt A das Formular.
b) Gegenstand und Umfang des Tatentschlusses: Was genau muss sich der Täter vorstellen?
Selbst Examenskandidaten zeigen sich oft unsicher und verraten dem Leser, dass sie nicht genau
wissen, was sie beim Tatentschluss eigentlich prüfen müssen. Sie neigen dazu, den Sachverhalt
nachzuerzählen und sich, fern vom Gesetz und meist spekulativ, über die Motive, Pläne und die
Festigkeit des Handlungswillens beim Täter auszulassen.
Fall 189: A will einen Reifen am Auto des E mit dem Messer zerstechen.
Hier würden manche Kandidaten so formulieren:
„A war über die Kränkungen, die ihm E zugefügt hatte, sehr verärgert. Wahrscheinlich hatte er schon längere Zeit überlegt, wie er sich rächen könne. Nun
bot sich ihm eine verlockende Gelegenheit. Darum schlich er sich in den Hof
und war fest entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen. Sein zielstrebiges Vorgehen zeigt eindeutig, dass er mit der Absicht, den Reifen zu zerstören, das Messer gezückt, also Tatentschluß gehabt hat.“
Solche Erzählungen kosten Zeit und schaffen zugleich schon beim Schreiber selbst das unbehagliche Gefühl, mit vielen Worten doch nur Belangloses zu sagen. Und dabei könnte man sich
meistens so kurz fassen; im Beispiel würde genügen: „A stellte sich vor, durch sein Zustechen
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eine fremde Sache, nämlich den Reifen des E, zu zerstören“. Denn es kommt nur darauf an, ob
der Täter sich die Umstände vorgestellt hat, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Betrachten wir ein weiteres Beispiel!
Fall 190: In einer Geschenkboutique gerät der Vermieter V mit der Inhaberin I wegen rückständiger Miete in Streit. Um I zu strafen, fegt V mit dem Arm ein paar Porzellanteile aus
dem Regal.
Fall 191: Die Mutter M wünscht den Tod ihres schwerbehinderten Kindes und holt deshalb bei
einer akuten Erkrankung keine ärztliche Hilfe. Das Kind gerät in äußerste Lebensgefahr, wird aber gerettet, weil sich Nachbarn einschalten.
Zur „Verwirklichung des Tatbestandes“ gehört die objektive Zurechnung!
Fall 192: Bei einem Profiboxkampf verletzt der Herausforderer H den Europameister M mit
schweren Kopftreffern. Seine Absicht ist es, eine tödliche Gehirnblutung auszulösen
und sich so für alle Zukunft von Ms Konkurrenz zu befreien. M geht k.o., überlebt aber
dank ärztlicher Soforthilfe. §§ 212, 22 ?
Wer dies beachtet, findet den richtigen Ansatz, um die Fälle des sog. abergläubischen Versuchs
zu lösen.
Fall 193: Die Frau F des Krebskranken M betet im Krankenzimmer und in Gegenwart der Ärzte
und Schwestern laut darum, der Herr möge M von seinen Leiden erlösen. Als der Hall
der Worte noch in der Luft ist, spüren alle Anwesenden ein eigentümliches Kribbeln
auf der Haut und M scheidet sanft aus dem Leben.
c) Kenntnis – Vorstellung – Wahn
Nach allem ergibt sich speziell für den Versuch: Der Täter muss sich eine Tat vorstellen, die,
wenn begangen, den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt.
Fall 194: Neffe N will seinen geistig umnachteten Erbonkel zur Beschleunigung des Erbfalles
mit Barbituraten vergiften, gibt ihm aber infolge einer Verwechslung harmlose Vitamintabletten ein.
Fall 195: A will im dunklen Schlafzimmer L, den Liebhaber seiner Frau F, erwürgen, gerät dabei
aber versehentlich an den Hals der F. L rettet F im letzten Moment, indem er A niederschlägt.
Weder „Kenntnis“ noch „Vorstellung“ einer Tatbestandsverwirklichung kann man dem Täter anlasten, wenn er das, was er sich als sein Tun vorstellt und vielleicht sogar ausführt, irrtümlich einer Deliktsbeschreibung subsumiert. Gemeint sind die Fälle des sog. Wahndelikts.
Fall 196: Der Mittelstreckenläufer L belegt bei einem regionalen Wettkampf über 800 m den ersten Platz. Um vor anderen mit seiner Leistung noch mehr Eindruck zu machen, verbessert er die in der „Siegerurkunde“ des Westdeutschen Leichtathletikverbandes angegebene Zeit um fünf Sekunden. Obwohl sich L über die rechtliche Bedeutungslosigkeit
der Angaben im Klaren ist, stellt er sich vor, eine „Urkundenfälschung“ zu begehen.
Fall 197: Politiker P sagt im Ermittlungsverfahren vor Staatsanwalt S falsch aus. S will ihn zur
Wahrheit drängen und nimmt ihm einen Eid ab. P schwört und glaubt dabei, S sei zur
eidlichen Vernehmung von Zeugen zuständig.
Fall 198: Bauer B gerät beim Skatturnier in Altenburg mit dem Großbauern G in Streit, weil sie
eine Regel unterschiedlich auslegen. Turnierveranstalter T beruft das Skatgericht ein.
„Richter“ R macht sich einen Spaß und vereidigt B. Obwohl B glaubt, er stehe vor einem Gericht und R sei vereidigungsbefugt, schwört er falsch.
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Umstritten sind die Fälle des sog. untauglichen Subjekts. Einigkeit besteht noch für
Fall 199: E nimmt beim Zahnarzt einen Knirps aus dem Schirmständer, um ihn für sich zu behalten, und geht damit nach Hause. Er glaubt, der Schirm gehöre einem anderen Patienten.
In Wahrheit ist es sein eigener, den er bei der Konsultation der letzten Woche vergessen hatte.
Viele verneinen aber den Verusch in Konstellation wie
Fall 200: Rechtsassessor A ist in den Staatsdienst aufgenommen und versieht den Dienst eines
Richters. Seine Ernennung zum Richter ist – bisher von niemandem bemerkt – unwirksam. In einem Fall gibt er wissentlich der unbegründeten Klage seines Kegelbruders
statt.
d) Vorstellung durch bloßes Erwägen der Tat?
Problematisch ist schließlich noch, ob als Vorstellung der (künftigen) Tatbestandsverwirklichung
schon ein unschlüssiges In-Betracht-Ziehen der deliktischen Handlung genügt.
Fall 201: Schüler S sieht einen geparkten Golf mit offenem Fenster und steckendem Zündschlüssel. Er setzt sich hinein und spielt mit dem Gedanken einer Rundfahrt. Noch ehe er sich
schlüssig geworden ist, kommt der Eigentümer und vertreibt ihn.
2. Das unmittelbare Ansetzen nach der Vorstellung des Täters
Auch der Versuchstatbestand bedarf eines Handlungsmerkmals, weil er sonst unvereinbar wäre
mit dem Prinzip des Tatstrafrechts, das unserem StGB zugrunde liegt. So sagt etwa § 15: „Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln ...“. Der Tatentschluss allein genügt also nicht, er muss auch,
wie man es gern ausdrückt, „betätigt“ werden. Freilich will damit niemand sagen, dass nur aktives Tun dem § 22 unterfallen könne.
Fall 202: Die Pflegerin und Alleinerbin des A will dessen Tod und holt bei einer lebensgefährlichen Lungenentzündung keinen Arzt. A überlebt mit knapper Not dank seinen Abwehrkräften.
Fall 203: V sonnt sich am Rande eines Baggersees und bleibt ruhig liegen, als er aus dem Wasser
einen Jungen um Hilfe rufen hört. Er glaubt, es sei sein Stiefsohn S, dem er den Tod
wünscht. In Wahrheit ist es ein anderer. V lässt ihn ertrinken.
Abgeschwächt wird das tatstrafrechtliche Prinzip bereits durch die Statuierung von Unterlassungsdelikten überhaupt, insbesondere also durch § 13 und den hier einschlägigen § 323c. Kann
man durch Unterlassen ein Tötungsdelikt vollenden, so muss man es in derselben Weise zu begehen auch versuchen können.
Andererseits ist angesichts der in § 22 gewählten Worte klar, dass auch bei aktiver Entschlussbetätigung nicht ohne weiteres schon ein Versuch vorliegt.
Fall 204: Grundstückseigentümer E lädt sein Gewehr und erklärt dabei seiner Frau, dass er fest
entschlossen sei, die Nachbarin N durch Schreckschüsse an der Ausübung ihres Wegerechtes zu hindern, wenn sie am Abend von der Arbeit komme.
a) Das Ansetzen als sorgfaltswidriges Verhalten (= Überschreitung des erlaubten Risikos)
Wie jedes straftatbestandliche Handlungsmerkmal muss man auch das „unmittelbare Ansetzen“
in § 22 einschränkend als ein sorgfaltspflichtwidriges deuten, also dahin gehend, dass dem Handelnden ein Spielraum des erlaubten Risikos bleibt, worin er sogar böse Absichten verfolgen
darf.
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Fall 205: X findet in der Fußgängerzone einen VW-Autoschlüssel. Auf einen glücklichen Zufall
hoffend, probiert er ihn irgendwo an einem Golf aus, um diesen ggf. zu stehlen. Der
Schlüssel passt nicht.
Problematisch ist, ob man die Sorgfaltswidrigkeit auch unter dem Aspekt der Sozialadäquanz
verneinen kann.
Fall 206: Frau F legt ihrer pflegebedürftigen Schwiegermutter S jeden Morgen auf dem Balkon
einen Schal um den Hals, um sie vor Zugluft zu schützen. Eines Tages tut sie es wie
immer, nur diesmal mit der tödlichen Absicht, den Schal zuletzt plötzlich und mit aller
Kraft zuzuziehen. Da hört sie, wie jemand die Wohnungstür öffnet. Es ist ihr Mann, der
sich unwohl fühlt und nicht arbeiten kann. F lässt es nun bei der üblichen Fürsorge für
S bewenden.
Fall 207: Der Philosophiestudent P entnimmt einem Regal in der Institutsbibliothek Schopenhauers „Aphorismen zur Lebensweisheit“ und blättert darin mit der Absicht, das Büchlein
im nächsten Moment durch Verstecken in der Jackentasche zu stehlen. Sein Plan scheitert, weil eine Kommilitonin ihn um das Buch bittet, sobald er es freigebe.
b) Der untaugliche Versuch
Fall 208: M hat Cognac in einer Karaffe mit Gift versetzt, um seine Frau F zu töten. Am Abend
reicht er einen Drink, doch bleibt die Wirkung aus, weil er versehentlich aus einer anderen Karaffe eingeschenkt hat.
„Fraglich ist, ob M zum Totschlag unmittelbar angesetzt hat. Man könnte daran
wegen der Untauglichkeit des eingesetzten Mittels zweifeln. M schuf mit der
Darreichung des unvergifteten Cognac keine Gefahr für F’s Leben. § 22 verlangt aber keine objektive Gefährdung. Er fordert nur, dass der Täter nach seiner
Vorstellung ansetzt. Das hat M getan. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs wird auch in § 23 III vorausgesetzt.“
c) Die Unmittelbarkeit des Ansetzens
Dass der Täter seinen Deliktsentschluss durch sorgfaltspflichtwidriges Verhalten betätigt (s.o.
unter a), genügt noch nicht. Das Ansetzen muss auch ein „unmittelbares“ sein.
Fall 209: T will seinen Feind F erschießen. Als er ihn auf der Straße trifft, tritt er auf ihn zu, zieht
seinen Revolver, legt an und feuert ab. Die Kugel verfehlt F knapp.
Fall 210: Schreinermeister S ist in finanziellen Nöten. Er legt daher seinem Kunden K eine
Rechnung vor, die dieser schon bezahlt hat, und fordert ihn auf,
a) jetzt gleich bar zu bezahlen,
b) doch nächste Woche zu überweisen.
K erklärt sich erst bereit, erinnert sich aber aber im nächsten Moment der Zahlung.
Problematisch ist
Fall 211: E hat einen prachtvollen Weihnachtsbaum gekauft und vorerst auf der Terrasse in einen
Wassereimer gestellt. D will ihn in der Nacht stehlen. Als er sich durch die Hecke
zwängt, stürmt E’s bissiger Rottweiler laut bellend auf ihn zu. D muss schleunigst umkehren.
Die meisten Prüfer sehen die Dinge wohl nicht so klar und legen Wert auf eine Umschreibung
(Definition) des Merkmals „unmittelbar ansetzt“. Im Hinblick darauf empfiehlt sich die folgende, stark an BGH, NStZ 1987, 20 angelehnte Formel:
Rep AT. Stand:14.05.16.
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„Zweitens muss der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar
ansetzen, und zwar nach seiner Vorstellung. Das tut er, wenn er subjektiv die
Schwelle zum ‘Jetzt-geht-es-los’ überschreitet und auf der Basis seiner Vorstellung die konkrete Gefahr der Tatbestandserfüllung besteht, insbesondere
das Rechtsgut konkret gefährdet ist.“
d) Handlung und Erfolg des „unmittelbaren Ansetzens“
Viele meinen, jedenfalls in der Theorie, den Versuch als eine Art reines Tätigkeitsdelikt verstehen zu müssen. Sie unterscheiden also nicht die Tätigkeit des unmittelbaren Ansetzens von dessen Erfolg, den man, etwas ungenau, als die vorgestellte unmittelbare Gefahr der Tatbestandsverwirklichung bezeichnen kann. Dieser Erfolg ist streng zu trennen vom Erfolg des vollendeten
Deliktes.
Fall 212: Der Terrorist T montiert am Montag im Ferienhaus des Politikers O eine Bombe, die
den O töten soll, wenn er am Freitagabend die Haustür öffnet. So kommt es tatsächlich.
In diesen Zusammenhang gehören auch die Konstellationen der „actio libera in causa“ und der
„actio illicita in causa“ (eine Handlung, die in ihrem Ursprung freiverantwortlich-schuldhaft
bzw. verboten ist).
Fall 213: M lässt sich in einer Kneipe „volllaufen“. Aus Erfahrung ist ihm klar, dass er später
höchstwahrscheinlich in völlig enthemmtem (schuldunfähigem) Zustand zu Hause seine Frau mit einem Stock brutal verprügeln wird. So kommt es tatsächlich.
Fall 214: Der Polizist P hebt ein kleines Kind über den Zaun in einen fremden Garten. Er erwartet, dass der bissige Schäferhund des Eigentümers bald heranstürmen und das Kind lebensgefährlich angreifen wird. Zwei Minuten später tritt der Notstand ein, und wie geplant erschießt P das Tier, dessen Zubeißen er jetzt nur noch so verhindern kann.
Kritischer Nachprüfung hält die Prämisse der h.M. (das Dogma zeitlichen Zusammenfallens von
Begehung und Versuch) nicht stand.
Fall 215: Handwerker H diktiert am Vormittag eine betrügerisch überhöhte Rechnung und verliert danach den Vorgang gänzlich aus den Augen. Weder beim Abgang des Briefes aus
seinem Büro noch beim Einwurf in den Briefkasten, noch zum Zeitpunkt des Zugangs
beim Empfänger ist er sich seiner Unredlichkeit bewusst. H erinnert sich erst daran, als
der Kunde bei ihm anruft und die Rechnung empört zurückweist.
Fall 216: Im Terroristenfall hat T im Ferienhaus des Politikers O eine Bombe montiert, die den O
töten soll, wenn er am Freitagabend die Haustür öffnet. So kommt es tatsächlich. T hat
in der ganzen Zeit, während O im Auto hinfuhr und schließlich sein Anwesen erreichte,
fest geschlafen.
Unser Gedankengang weicht in den Ergebnissen nicht von denen ab, die auch die h.A. in Fällen
der actio libera in causa erzielt. Er verschafft ihnen aber eine systematisch stimmige Begründung, woran es u.E. bislang gefehlt hat. Er bestätigt zugleich eine Grenze, die schon länger in der
Literatur und neuerdings auch vom BGH (NZV 1996, 500 ff.) gezogen wird: Der Rückgriff auf
die Verursachung im Vorfeld versagt, wo sie nach der Interpretation des Handlungsmerkmals die
„Begehung der Tat“ nicht sein kann.
Fall 217: M sieht voraus, dass er nach Schließung der Kneipe volltrunken sein Auto steuern wird.
So geschieht es.
Die Lösung des nachfolgenden Falles bietet das Beispiel einer Argumentation, wie sie u.E. in einer umstrittenen Konstellation
lauten könnte.
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Fall 218: Grundstückseigentümer G lässt am Morgen seinen bissigen Beagle frei laufen, damit die wegeberechtigte Nachbarin N,
wenn sie mittags heimkehrt, von dem Hund gebissen wird. Auf dem Weg zur Arbeit erfährt G von einem Freund, dass N einen
schlimmen Fahrradunfall hatte und jetzt länger im Krankenhaus liegen muss. Strafbarkeit des G nach §§ 223, 22?
aa) G hatte die Vorstellung, N unerlaubt Hundebisse beizubringen, also den Tatentschluss, sie körperlich
zu misshandeln und an der Gesundheit zu schädigen.
bb) Dazu hat G auch schon angesetzt, denn er hatte mit dem Freilassen des Hundes alles getan, was nach
seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Körperschadens nötig war. Fraglich ist, ob er auch schon unmittelbar angesetzt hat. Der Wortsinn legt die Bejahung dieser Frage nahe. Denn das Adverb „unmittelbar“
bezieht sich auf das Ansetzen, also auf die Versuchshandlung. Und weil G wie gesagt schon alles Erforderliche getan hatte, gibt es kein unmittelbareres Ansetzen mehr; er hat bereits die Handlung vorgenommen, die im Vollendungsfall als Tathandlung angesehen würde.
Bei diesem Verständnis wäre das Merkmal „unmittelbar“ allerdings überflüssig. Denn was es ausdrückt,
liegt sprachlich bereits im Merkmal „ansetzt“. Sagt man etwa von jemandem, dass er zum Reden, Springen oder zum Freilassen des Hundes „ansetzt“, dann ist damit schon ausgedrückt, dass er sofort, direkt,
ohne Umschweife und Verzögerung handeln will, dass dieses Handeln eben „unmittelbar“ bevorsteht.
Unmittelbar ansetzt ist also Wendungen vergleichbar wie „Schweig still!“ oder „weiter fortfahren“. Weil
man annehmen muss, dass der Gesetzgeber nichts Überflüssiges sagen, sondern eine beachtliche Voraussetzung aufstellen wollte, muss man umittelbar auf etwas anderes als „ansetzt“ beziehen.
Als Bezugspunkt bietet sich die „Verwirklichung des Tatbestandes“ im Ganzen an; d.h. die Tatbestandserfüllung muss nach der Vorstellung des Täters unmittelbar bevorstehen. Denn bei der mittelbaren Täterschaft ist die Neigung groß, das unmittelbare Ansetzen des Hintermannes erst mit dem (vorgestellten)
Ansetzen des Vordermannes anzunehmen, also eben mit dem Vorliegen der unmittelbaren Gefahr der
Tatbestandsverwirklichung. Bei der mittelbaren Täterschaft resultiert die Verlagerung des unmittelbaren
Ansetzens ins Späte aus dem Unbehagen, jemanden schon wegen Versuchs zu bestrafen, obwohl weder
objektiv noch nach seiner Vorstellung die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar bevorstand bzw. das
Rechtsgut gefährdet war. Dann muss man aber auch konsequent bleiben und dies bei der unmittelbaren
Täterschaft genauso sehen. So verstanden ist der Versuch also ein Delikt, dass den Eintritt der konkreten
Gefahr der Tatbestandsverwirklichung verlangt.
Bei diesem Verständnis des Versuchs muss also entweder objektiv oder in der Vorstellung des Täters die
bei der Versuchshandlung gesehene Gefahr der Tatbestandsverwirklichung unmittelbar geworden sein,
sich zugespitzt haben. Beides liegt aber nicht vor, weil N wegen des Unfalls der Gefahr von Hundebissen
nicht ausgesetzt war und G noch vor dem Mittag davon erfuhr, also vor dem Zeitpunkt, da nach seiner
Vorstellung die Gefahr sich zuspitzen sollte. G hat also nicht unmittelbar angesetzt und ist somit nicht
strafbar gemäß §§ 223, 22.
[In der Hausarbeit müssten Sie freilich noch auf anderes eingehen, etwa auf das Kriterium „Entlassung
aus dem Herrschaftsbereich“; dazu Herzberg, FS-Roxin (2001), 759, 758 f. u. 764 ff.]
Versteht man den Unmittelbarkeitserfolg als zugespitzte Gefahr der Verwirklichung des gesamten Tatbestandes, muss man die Anwendung des Kriteriums bei starker Kontraintuition durchhalten. Das Rechtsgefühl rebelliert vor allem in Fällen zweiaktiger und verwandter Delikte.
Fall 219: E hat erfahren, dass sein Arbeitskollege A seine Frau betrügt. Mitte Mai droht E dem
Untreuen an, die Ehefrau über alles zu informieren, falls A ihm nicht Anfang Juni
2.000 € übergebe. A, der sich ohnehin von seiner Frau trennen will, tut erst willig, zeigt
E aber später bei der Polizei an.
Hier würden wohl fast alle einen Erpressungsversuch bejahen. Als Grund dafür stellen manche
darauf ab, dass die „Opfersphäre“ mit der Drohung schon berührt sei (vgl. dazu Roxin, JuS 1979,
1, 3 ff.). Wir bevorzugen die Verneinung des Versuchs. Denn die Gefahr der Verwirklichung des
kompletten Erpressungstatbestandes spitzt sich erst zu, wenn A sich (nach der Vorstellung des E)
zur Zahlung der 2.000 € anschickt. Die Berührung der Opfersphäre halten wir demnach nicht für
eine hinreichende Bedingung zur Bejahung des Versuchs. Zur Begründung die folgenden Fälle:
Fall 220: Der 18jährige kokainsüchtige D droht der 13jährigen K telefonisch Schläge an für den
Fall, dass er ihm nicht am nächsten Morgen die Videokamera ihres Vaters V überbringt.
Fall 221: M und F sind geschieden und leben getrennt. F ist dessen heilfroh, M kommt hingegen
darüber nicht hinweg. Als M von einer Liebschaft der F erfährt, gerät er in Eifersucht.
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Als die gemeinsame Tochter, die zwölfjährige T, den M besucht, will er die Situation
ausnutzen. Er kündigt F telefonisch an, sich an T zu vergreifen, wenn sie nicht nach der
Arbeit zu ihm käme und ihm gefällig sei. F schickt die Polizei, um T abzuholen.
Ähnlich liegen die Fälle der Verwirklichung eines Qualifikationstatbestandes oder eines Regelbeispiels.
Fall 222: D hat sich die Zahlenkombination für den Tresor des M verschafft. Um dessen Münzsammlung zu stehlen, bricht er in
a) das Büro des M
b) die Wohnung des M
ein. Gleich nachdem D die Räumlichkeit betreten hat, streckt M ihn nieder.
Beim Unterlassen ergeben sich nach unserem Kriterium keine Besonderheiten.
Fall 223: Mutter M bittet ihren Freund F, mit dem sie zusammenlebt, ihren Säugling S zu versorgen, während sie auf die Love Parade fährt. F sagt zu, lässt aber das Kind, das ihm
lästig ist, gänzlich unversorgt, wobei ihm dessen Tod sogar ganz recht wäre, weil M
dann mehr Zeit für ihn hätte. Nach Tagen hört S auf zu schreien und wimmert nur
noch, so dass F nun stündlich mit dem Tod des S rechnet. Als M am nächsten Tag zurückkehrt, ist S zwar schon stark unterversorgt und leidet sehr, ist aber noch nicht in
Lebensgefahr. M und der Kinderarzt machen S wieder ganz gesund.
e) Exkurs: Methodik der Fallbearbeitung bei „actio libera in causa“
Fall 224: T lebt mit seinem Nachbarn O in Unfrieden. Nach einer heftigen verbalen Auseinandersetzung, worin T den Kürzeren gezogen hat, beschließt er, sich mit viel Alkohol
gänzlich zu enthemmen und dann O zu verprügeln. Er weiß nämlich, dass er nur unter
starkem Alkoholeinfluss den Mut findet, O aufzusuchen. In der unberechtigten Überzeugung, O allein anzutreffen, klingelt er bei ihm. O öffnet und bittet ihn herein. Wie
beabsichtigt, bricht T einen neuen Streit vom Zaun und schlägt auf O ein. Wider sein
Erwarten kommt F, die Frau des O, ins Zimmer und protestiert entrüstet. T wirft ihr üble Schimpfwörter an den Kopf.
O und F stellen Strafantrag gegen T. Die ärztliche Untersuchung ergibt für die Tatzeit
eine BAK von 3,5 ‰.
Strafbarkeit des T? § 123 ist nicht zu prüfen.
Lösungsskizze:
I. § 223 durch das Einschlagen auf O
1.
Tatbestand/Rechtswidrigkeit: +.
2.
Schuld
T könnte gemäß § 20 ohne Schuld gehandelt haben. Als T den O schlug, hatte er eine
BAK von 3,5 ‰. Eine so starke Berauschung stellt nach einer Ansicht eine krankhafte
seelische Störung, nach anderer Meinung eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung dar.
Unabhängig von der Einordnung ist man sich einig, dass ein so schweres psychisches Defizit den Täter entweder schon unfähig macht, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder
jedenfalls unfähig macht, nach dieser Einsicht zu handeln. Das gilt zumindest dann, wenn
der Berauschte – wie hier – eine relativ leichte rechtswidrige Tat begeht, weil vor ihr eine
relativ niedrige Hemmschwelle liegt (siehe nur BGHSt 34, 29, 31).
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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Fraglich ist, ob § 20 durch die ungeschriebene Voraussetzung ergänzt werden muss, dass
der Täter für die seelische Störung nicht selbst verantwortlich sein darf (so v.a. Hruschka,
Strafrecht, S. 47 f., 295 ff.). Man spricht hier von der „Schuldlösung“ zum Problem der
actio libera in causa. [Die meisten Prüfer erwarten dieses Etikett. Darum sollte man es
hier verwenden. In der Sache bringt es nichts.] Das entspräche zwar den Regelungen in
§§ 17, 35 I 2, II. Sie für § 20 zu übernehmen wäre jedoch eine gemäß Art. 103 II GG verbotene Analogie zu Lasten des Täters (BGH, NZV 1996, 500).
3.
Ergebnis: -.
2. § 223 durch das Trinken
a) Tatbestand
Zu prüfen bleibt, ob T dadurch den O körperlich misshandelt hat, dass er sich betrank
(sog. Tatbestandslösung). Denn ein Delikt wie § 223 kann man nicht nur durch Zuschlagen oder Steinewerfen begehen, sondern auch durch jedes andere Ingangsetzen eines
Kausalprozesses mit Verletzungsfolge.
1. Einen solchen Kausalverlauf hat T ausgelöst, indem er sich durch Alkohol enthemmte.
Sein Trinken führte unter den gegebenen Umständen (Absicht!) voraussehbar zum Erfolg und war deshalb auch sorgfaltswidrig, d.h. Überschreitung des erlaubten Risikos.
Manche halten die Anknüpfung an das Trinken für eine willkürliche Vorverlegung der
Tathandlung; sie würden deshalb hier eine Tatbestandserfüllung durch das Trinken
verneinen (z.B. Salger/Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 564; monographisch Hettinger,
Die „actio libera in causa“: Strafbarkeit wegen Begehungstat trotz Schuldunfähigkeit;
„Wer trinkt, tötet nicht“). Diese Ansicht irrt. Die Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes sind erfüllt und nicht etwa nur willkürlich für erfüllt erklärt. Ebenso wie sein
Kind kann man auch sich selber als ein schuldloses Werkzeug zur Begehung z.B. eines Totschlages einsetzen. Niemand würde die mittelbare Täterschaft durch Aufforderung des Kindes mit dem Satz abtun: „Wer redet, tötet nicht.“
b) Vorsatz: +. [Muss näher ausgeführt werden, wobei die Klarstellung wichtig ist, dass
sich T’s Kenntnis auf alle genannten objektiven Umstände beziehen muss, also z.B.
auch auf die Ursächlichkeit des Trinkens für die Verletzung.]
2.
Rechtswidrigkeit/Schuld: +.
3.
Strafmilderungsmöglichkeit gem. § 21
Als sich T in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzte, war seine Schuldfähigkeit –
zumindest in dubio pro reo – wegen des Alkohols bereits erheblich vermindert. Deshalb
kann die Strafe gemildert werden. Eine Strafmilderung ist aber wohl unangebracht, denn
T hat die Verminderung seiner Schuldfähigkeit absichtlich herbeigeführt (vgl. in diesem
Sinne § 7 I WStG und auch § 35 I 2).
4.
Ergebnis: +, aber § 21.
5.
Strafantrag des O (§ 232 I) ist gestellt.
III. § 185 durch das Beschimpfen der F
1.
Tatbestand
a) Die übliche Definition der „Beleidigung“ lautet: Kundgabe der eigenen Missachtung
oder Nichtachtung. Dafür genügt es, wenn der Täter in zurechenbarer Weise verursacht, dass seine eigene Missachtung oder Nichtachtung einem anderen zur Kenntnis
Rep AT. Stand:14.05.16.
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gelangt. Obwohl T im schuldunfähigen Zustand die F beschimpft, drückt sich darin
doch immer noch seine Missachtung ihrer Person aus; und diese gelangt der F zur
Kenntnis.
b) Vorsatz: +.
2.
Rechtswidrigkeit: +.
3.
Schuld: - wegen § 20 (s.o.). (Die Verweisung nach oben ist an dieser Stelle erlaubt und
geboten.)
4.
Ergebnis: -.
IV. § 185 durch das Trinken
1.
Tatbestand
a) Zu dem Erfolg, dass F Kenntnis von T’s Missachtung erlangt, ist es gekommen (s.o.
C.I.). Diesen Erfolg hat T durch das Trinken verursacht. Ob er ihm zurechenbar ist,
hängt – grob gesagt – von der objektiven Vorhersehbarkeit ab. Diese ist nach dem
Sachverhalt zweifelhaft. Die Frage kann offenbleiben, wenn der Tatbestand jedenfalls
aus einem anderen Grund zu verneinen ist.
b) T müsste vorsätzlich gehandelt haben (§ 15). Dazu müsste er alle objektiven Umstände gekannt haben (§ 16 I 1). Daran fehlt es. T verkannte die Möglichkeit, dass sein
Trinken zu einer Beleidigung der F führen werde.
2.
Ergebnis: -.
V. § 323a I durch das Trinken
1.
Tatbestand
a) T hat sich durch alkoholische Getränke in einen Rausch versetzt.
b) T hat insoweit vorsätzlich gehandelt. Manche verlangen zusätzlich die Erkenntnis der
„Möglichkeit, es könne zu rechtswidrigen Taten irgendwelcher Art kommen“ (Schönke/Schröder-Cramer, 24. Aufl., § 323a Rdnr. 10). Das ist hier zu bejahen, weil T in
der Absicht trank, O zu verprügeln.
2.
Rechtswidrigkeit/Schuld: +.
3.
Weitere Strafbarkeitsvoraussetzungen
T hat im Rauschzustand eine rechtswidrige Tat begangen, nämlich die Beleidigung der F
(s.o. C. I.). Er kann ihretwegen nicht bestraft werden (s.o. C. und D.).
(Die Voraussetzung „wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht“ ist eine
sog. objektive Bedingung der Strafbarkeit. Die meisten prüfen solche Merkmale nach der
Schuld; manche bringen sie hinter dem subjektiven Tatbestand. – Ob man die Voraussetzung „und ihretwegen nicht bestraft werden kann“ noch der objektiven Bedingung der
Strafbarkeit zuschlägt oder als Subsidiaritätsregel begreift, ist gleichgültig; der Gesetzeswortlaut lässt beide Deutungen zu).
4.
Strafmilderungsmöglichkeit gem. § 21? + (s.o. B. III.)
5.
Ergebnis: +, aber § 21.
6.
Strafantrag der F (§§ 194 I 1, 323a III) ist gestellt.
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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III. Die Rechtswidrigkeit des Versuches
Die Studenten werden meist belehrt, dass die Rechtswidrigkeit beim Versuch nicht anders als
beim vollendeten Delikt zu prüfen sei (vgl. z.B. Kienapfel, Strafrechtsfälle, § 8 A II, III; Wessels,
AT, Rdnr. 863 unter II.). Diese Anleitung scheint uns nicht recht durchdacht und nicht sachgemäß.
So beinhaltet die Rückverweisung auf das zum vollendeten Delikt Gesagte die methodische
Empfehlung, den etwaigen Unrechtsausschluss „nach dem Grundsatz: Objektiv vor Subjektiv! zu
untersuchen“ (Geilen, Jura 1979, 542 f.), genauer gesagt in der Reihenfolge: „1. Objektive
Merkmale des in Betracht kommenden Rechtfertigungsgrundes. 2. Subjektive Erfordernisse dieses Rechtfertigungsgrundes“ (Wessels, AT, Rdnr. 861 unter II.).
Fall 225: Die Ärztin A steht bei einem Hausbesuch vor der Etagentür ihres herzkranken Patienten P. Wegen eines schweren Herzanfalls kann P nicht öffnen. A ruft vergeblich nach
anderen Hausbewohnern und wirft sich schließlich mit aller Kraft gegen die Tür, um
sie aufzubrechen. Die Tür ist aber so stabil, dass sie nicht den geringsten Schaden leidet. P stirbt. Wäre die Tür aufgesprungen, hätte A ihn retten können.
Fall 226: P ist vor dem Fernsehapparat eingeschlafen. Es läuft ein Horrorfilm, dessen laute Geräusche die A vorschnell dem P zuschreibt und als Anzeichen eines Herzanfalls missdeutet. Um P zu retten, handelt sie wie im Fall 225 geschildert.
Nach einer Strafbarkeit gem. §§ 303, 22 fragend, wären die meisten wohl versucht, den Theorienstreit um den Erlaubnistatbestandsirrtum abzuhandeln. U.E. wäre das ein Fehler. Was man in
diesem Irrtumsfall allerdings bringen muss, ist eine Begründung, weshalb es nach keiner Irrtumslehre auf die objektiven Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes ankommen kann.
Man könnte also etwa schreiben:
„Selbst die strenge Schuldtheorie, die den Erlaubnistatbestandsirrtum erst auf
der Schuldebene berücksichtigt, müsste im vorliegenden Fall schon das Unrecht
verneinen. Denn auch ihre Anhänger lehren, dass das Unrecht des Versuches in
der Betätigung eines ‘bösen Willens’ besteht. A hat aber keinen bösen Willen.
Sie stellt sich vielmehr die Situation eines Notstandes (§ 904 BGB) vor und will
die Tür zur Rettung eines Menschenlebens beschädigen. Die Rechtsgutsverletzung, die der strengen Schuldtheorie zur Begründung von Unrecht genügt, ist
hier nicht gegeben, weil die Tür unbeschädigt bleibt. Darum ist auch diese Lehre i.c. auf den ‘Handlungsunwert’ angewiesen, an dem es, wie gesagt, fehlt.“
Gegeben ist der Handlungsunwert jedoch in der schon besprochenen umgekehrten Konstellation,
die das wissenschaftliche Gespräch viel stärker beschäftigt und im gegenwärtigen Zusammenhang Verwirrung stiften kann, wenn man sie nicht deutlich als das Gegenstück erkennt.
Fall 227: Nachbar N ist wegen eines Übergriffes wütend auf P und will ihn zur Rede stellen. Als
P nicht öffnet, bricht N in äußerster Erregung die Etagentür auf. Er findet P mit den
Symptomen eines schweren Herzinfarktes hilflos am Boden und rettet ihm in letzter
Minute das Leben.
IV. Die Schuld beim Versuch
Auch für die Schuld wird üblicherweise gelehrt, dass sie beim versuchten genauso wie beim
vollendeten Delikt zu prüfen sei. Für die meisten Schuldregeln trifft das zu.
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Fall 228: Der Arzt A nimmt bei Frau F zwecks Abtreibung eine Gebärmutterausschabung vor.
Weil er einen Reformvorschlag für neuerdings geltendes Recht hält, glaubt er sich dazu
berechtigt. Es stellt sich heraus, dass es sich um eine bloße Scheinschwangerschaft
handelte.
Fall 229: Der 14-jährige K hält sich aufgrund falscher Beurkundung seines Geburtstages für 13.
Im Streit will er seinen Spielkameraden S mit einem Messer schwer verletzen. Dem S
gelingt aber die Flucht.
Hätte A, bei wirklicher Schwangerschaft der F, § 218 I vollendet, hinge seine Schuld davon ab,
ob der Verbotsirrtum vermeidbar war (§ 17). Genauso liegt es im gegebenen Versuchsfall. Entsprechendes gilt für K. Bei erfolgreichem Angriff wäre K nach § 224 strafbar, ungeachtet seiner
irrigen Annahme, noch Kind zu sein. Die Grenze, die § 19 zwischen absoluter und relativer, d.h.
nach § 3 JGG individuell zu prüfender Unreife zieht, ist unabhängig davon, ob der Täter sein Alter kennt. Ebenso verhält es sich beim Versuch.
V. Versuch und Regelbeispiel
Um sich der Problematik zu nähern, muss man zunächst die Unterscheidung zwischen Qualifikationstatbeständen (z.B. § 244) und bloßen Regelbeispielen (§ 243) nachvollziehen. Regelbeispiele kann man leicht erkennen. Sie beinhalten nämlich den Passus „liegt in der Regel vor“ (vgl.
§§ 243 I 2, 253 IV, 263 III). Der Richter muss demnach bei Erfülltsein der Merkmale des
§ 243 I 2 noch negativ prüfen, ob nicht strafmildernde Umstände die Indizwirkung des Regelbeispiels aufheben. Dass dies genau besehen keine Besonderheit der Regelbeispiele ist, wurde
schon oben nach Fall 72 aufgezeigt. Schwierigkeiten ergeben sich bei dieser Gesetzgebungstechnik, wenn ein Stück Erfolgsunwert fehlt. Das sei anhand von § 242 und dessen Erschwerungsgründen erläutert:
a) Zunächst: Versuch und Qualifikation
Fall 231: Der verdeckte Ermittler V stellt D eine Diebesfalle. Er schickt ihn mit einem angeblich
falschen Schlüssel in die Villa des E, der damit einverstanden ist. Als D das Haus mit
einer Münzsammlung verlässt, wird er von der Polizei festgenommen. Strafbarkeit des
D gem. § 244 I Nr. 3 ?
b) Diebstahl versucht – Regelbeispiel vollendet
Fall 232: Einbrecher E ist in das Büro des Geschäftsmannes G eingedrungen. Als er gerade mit
einem Laptop hinausgehen will, schlägt G ihn nieder.
c) Diebstahl vollendet – Regelbeispiel „versucht“
Fall 233: K stiehlt aus einer Kirche einen goldenen Becher in der irrigen Annahme, dieser sei
„dem Gottesdienst gewidmet“.
d) Diebstahl versucht – Regelbeispiel „versucht“
Fall 234: Wie Fall 231, aber D betritt nicht die Villa, sondern das Büro des G.
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V. Strafaufhebung durch Rücktritt gem. § 24
Der Täter kann nach vollbrachter Straftat Wiedergutmachung leisten; z.B. durch Zurückbringen
der gestohlenen Sache, Erstattung des abgeschwindelten Geldes, Zerreißen der zwecks Täuschung hergestellten unechten Urkunde usw. Bei vollendeten Delikten ist das materiell-rechtlich
grundsätzlich bedeutungslos: Die durch das Delikt begründete Strafbarkeit bleibt bestehen (Ausnahmen: § 306e – Löschen vor Eintritt eines erheblichen Schadens; § 371 AO – Selbstanzeige
nach noch unentdeckter Steuerhinterziehung). Prozessual und für die Strafzumessung – vgl. etwa
§§ 153 StPO; 59, 46 (II a.E.!), 46a StGB – schlägt die Wiedergutmachung und auch schon das
Bemühen darum natürlich stets zu Buche.
Eine grundlegend andere, den Täter schon materiell-rechtlich entlastende Regelung gilt, wenn
das Delikt Versuch bleibt. Besteht hier die Wiedergutmachung darin, dass der Täter gem. § 24
zurücktritt, so wird er „wegen Versuchs ... nicht bestraft“.
Fall 235: N will von seinem vergesslichen alten Onkel O Geld ergaunern durch die Vortäuschung, ihm vor zwei Monaten 100 DM geliehen zu haben. Er ist schon dabei, ihm seine Lügengeschichte aufzutischen, schämt sich dann aber und wechselt das Thema.
Fall 236: M bringt seiner unheilbar kranken Frau F mit Tötungsvorsatz heimlich ein Gift bei.
Von Reue erfasst, flößt er ihr bald darauf ein Brechmittel ein.
a) F wird dadurch gerettet.
b) Die Giftdosis war zu gering und konnte F sowieso nichts anhaben.
1. Rücktritt durch Aufgeben der weiteren Ausführung der Tat (§ 24 I 1,
1. Alt.)
a) Ungeschriebene Merkmale?
Die Anwendung dieser Alternative wird üblicherweise abhängig gemacht von den Vorfragen, ob
der Versuch erstens nicht „fehlgeschlagen“ und zweitens noch „unbeendet“ gewesen sei.
Fall 237: A stellt an einem Geldtresor die ihm mitgeteilte Zahlenkombination ein, um den Tresor
zu öffnen und das Geld zu stehlen. Zu seiner Enttäuschung bemerkt er, dass die Kombination nicht stimmt.
Der Rspr. ist es bis heute nicht gelungen, aus dem Ansatz mit der Frage, ob ein fehlgeschlagener
Versuch vorliegt, eine Dogmatik zu entwickeln, die mit den gesetzlichen Voraussetzungen übereinstimmt. Ihre Entscheidungen sind deshalb unsicher und uneinheitlich, wie die folgenden Fälle
zeigen.
Fall 238: C stieß M ein Messer tief in den Leib, um ihm einen „Denkzettel“ zu verpassen. C
nahm dabei den Tod des Opfers in Kauf. Er verließ nach dem Stich den Raum. M verspürte zunächst keine Schmerzen und blieb stehen. Als er die Verletzung bemerkte,
fuhr er mit dem Fahrrad zur Polizeistation. Ohne ärztliche Hilfe hätte die erlittene Verletzung spätestens nach 24 Stunden zum Tode geführt. Den Feststellungen war „nicht
mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, daß der Angeklagte nach dem Messerstich
den Eintritt des Todes des Verletzten für möglich gehalten habe“.
In BGHSt 39, 221 hat der Große Senat seinem Urteil zu diesem Fall folgenden Leitsatz gegeben:
„Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch ist auch in den Fällen
möglich, in denen der Täter von weiteren Handlungen absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel erreicht hat.“
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Im Urteil sagt er jedoch auch (S. 232):
„Ein fehlgeschlagener Versuch (wird) in Betracht zu ziehen sein“ in den Fällen,
„in denen aufgrund der Entwicklung des Geschehensablaufs ein erneutes Ansetzen zur Vollendung der Tat nur so erfolgen könnte, dass kein einheitlicher Lebenssachverhalt, der sich auch für einen Dritten als zusammengehöriges Tun
darstellen würde ..., mehr vorläge, sondern eine auf neuem Tatentschluss beruhende Versuchstat.“
Wonach soll man sich nun richten: Nach dem Leitsatz oder seiner Einschränkung? Der 5. Senat
hat im folgenden Fall 239 den strafbefreienden Rücktritt unter Berufung auf die Einschränkung
verneint (BGH, NStZ 1994, 493). Ausgehend vom Urteil des Großen Senats, hätte er den Rücktritt ebenso gut in Anwendung des Leitsatzes bejahen können.
Fall 239: L verfolgte A. Als L ihn bereits erreicht und berührt hatte, schoss A auf L, um ihm zu
entkommen. Den Tod des L nahm er in Kauf. Der Schuss traf L am Arm. Dieser wandte sich daraufhin von A ab und „begab sich zurück in das Lokal“. A erkannte, dass er
noch weiter auf L schießen konnte, tat es aber nicht.
Von der Vorabprüfung, ob der Versuch fehlgeschlagen ist, raten wir nach allem ab (vgl. auch
Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, AT, 10. Aufl., 27/12). Wohl aber sollten Sie Ihrem Prüfer
das von ihm vielleicht erwartete Stichwort nicht vorenthalten. Sie könnten z.B. zu Fall 237
schreiben:
„A könnte vom versuchten Diebstahl gemäß § 24 I 1, 1. Alt. zurückgetreten
sein. Dazu müsste er die weitere Ausführung der Tat aufgegeben haben. Das hat
er nicht, wenn er eine weitere Tatausführung gar nicht für möglich hielt (sog.
fehlgeschlagener Versuch) ...“
Ebenso wenig Sinn hat es, der Prüfung der gesetzlichen Merkmale die Frage vorzuschalten, ob
ein „unbeendeter“ Versuch vorliege, d.h. ob „der Täter nach seiner Vorstellung noch nicht alles
getan hat, was ihm für die Verwirklichung des Tatbestandes notwendig erscheint“ (Otto, AT, 5.
Aufl., 19/9).
Fall 240: Im obigen Fall 237 war die Zahlenkombination richtig. Die Öffnung des Tresors löst
aber einen lauten Alarm aus. A erschrickt und ergreift die Flucht ohne Beute, obwohl
das Geld offen vor ihm liegt.
Fall 241: A sticht in Tötungsabsicht mit dem Messer auf X ein, hört dann auf und rechnet zunächst mit tödlicher Wirkung. Als X wütend mit der Polizei droht, lässt A ihn ziehen
und hält es jetzt für recht wahrscheinlich, dass X überleben werde (BGH, NStZ 1989,
525).
Fall 242: B ringt mit H, um ihn zu berauben. Dabei fällt H ein Gasrevolver aus der Tasche. B
hält für möglich, dass die Waffe mit Kugeln geladen sei, greift zu und schießt dem H
ins Gesicht, die Tötung in Kauf nehmend. Als H vom Gas benommen zu Boden sinkt,
könnte B ihn leicht erwürgen oder erschlagen, doch begnügt er sich plangemäß damit,
das wehrlose Opfer auszurauben (BGH, NStZ 1990, 30).
Fall 243: C will nach einem Überfall auf den Supermarktleiter P mit der Beute flüchten. P verfolgt ihn im Auto. Um P zu vertreiben, schießt C mit bedingtem Tötungsvorsatz auf die
Frontscheibe. P bleibt unverletzt und tritt angstvoll den Rückzug an. C könnte ihn erschießen, ist aber mit der gelungenen Vertreibung des P zufrieden und flieht (BGH,
NStZ 1990, 77).
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b) Die geschriebenen Merkmale
aa) Die weitere Ausführung der Tat
(1) Die „Tat“ als die vorgestellte Tatbestandsverwirklichung i.S.d. § 22
Die Tat, wovon der Täter zurücktritt, kann nur die sein, die er versucht hat. Sie ist zu sehen in
der „Verwirklichung des Tatbestandes“, wozu der Täter gem. § 22 „nach seiner Vorstellung“
unmittelbar angesetzt hat.
Fall 244: Theologiestudent T fühlt sich durch die laute Musik aus dem Nachbarzimmer des
Kommilitonen K gestört. Er will K’s Stereoanlage zerstören und bei der Gelegenheit
sogleich das Buch „Kleriker. Psychogramm eines Ideals“ von Drewermann stehlen.
Nachdem er sich in das Zimmer geschlichen hat, sucht er zunächst das Buch und legt es
auf den Tisch. Als er sich dann mit einer Kneifzange den Kabeln nähert, um sie zu
durchtrennen, scheint ihm dies nun doch übertrieben, und er lässt es. Kaum hat er das
Buch auf dem Tisch ergriffen, kommt K herein. Er ist empört und entreißt T das Buch.
Die weitere Ausführung der versuchten Sachbeschädigungstat hat T freiwillig aufgegeben, die
des versuchten Diebstahls dagegen nicht. So selbstverständlich in diesem Fall die Verknüpfung
des § 24 mit § 22 erscheint, sie wird durchaus nicht klar erkannt und konsequent beachtet. Dies
könnte sich schon in einer leichten Abwandlung des Falles zeigen:
Fall 245: T will zunächst nur die Sachzerstörung, zieht aber im letzten Moment die Kneifzange
zurück, weil er K durch den Diebstahl einer Bibel aus der Lutherzeit noch mehr zu treffen hofft. Als er mit dem Buch gerade hinausgehen will, kommt K herein.
(2) Die vorgestellte Tatbestandsverwirklichung: Einzelakt- oder Gesamtbetrachtung?
Problematisch ist allerdings, wie die Tatbestandsverwirklichung im Sinne des § 22 genauer zu
beschreiben ist, und zwar unter verschiedenen Gesichtspunkten. Diese Frage ist für examenswichtige Probleme entscheidend. Es geht darum, ob ein Akt, der möglich war, aber unterblieben
ist, noch Teil der schon begonnenen oder eine selbstständige Tatbestandsverwirklichung gewesen wäre. Nur im ersten Fall kann die weitere Ausführung der versuchten Tat aufgegeben worden sein.
(a) Bei planwidrigem Verzicht auf die weitere Verfolgung des tatbestandlichen Zieles
Diese Konstellation ist uns schon im Fall 241 (Messerstich in Tötungsabsicht) begegnet. Ihn
richtig zu lösen, erleichtert ein stark vereinfachtes Beispiel.
Fall 246: Pfarrer P gerät mit seiner Haushälterin H in Streit. Die erzürnte H ergreift ein Glas, um
es an die Wand zu werfen. P entwindet es ihr und stellt es auf den Tisch. H ergreift das
Glas erneut, setzt es aber von sich aus wieder ab, als P sie händeringend darum bittet.
Fall 247: M will seine Frau F und sein Kind K umbringen. In der Nacht, während F und K in der
Wohnküche schlafen, öffnet er den Gashahn. Als beide schon bewusstlos sind, bereut
er sein Handeln und rettet K, indem er es ins Krankenhaus bringt. Um F kümmert er
sich dagegen nicht. Dank der Hilfe von Nachbarn überlebt aber auch sie.
Fall 248: (nach einer NW–Examensklausur 1991) A ist im Besitz eines dem Millionär M gestohlenen wertvollen Gemäldes. Er will sich telefonisch von M für die Rückgabe 100.000
DM zusagen lassen und ihn mit der Zerstörung des Bildes bedrohen. A verwählt sich
aber und gerät an einen anderen. Er bemerkt das sofort, entschuldigt sich und legt auf.
Diesen Misserfolg betrachtet A als Wink des Schicksals. Er beschließt, dem M das Bild
anonym zuzusenden.
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(b) Bei plangemäßem Aufhören nach Erreichung des außertatbestandlichen Ziels
Diese Konstellation wird durch die beiden Dolus-eventualis-Fälle (Fall 242 und Fall 243) veranschaulicht. Wir verspüren zumindest eine starke Neigung, mehrere Gesetzesverletzungen anzunehmen, wenn der Täter mit Tötungsvorsatz ein zweites Mal angegriffen hätte. Geradezu evident
wird die Lösung in einem extremen Beispiel.
Fall 249: F steuert mit kühnem Schwung seinen uralten Volkswagen in eine enge Parklücke, wobei er in Kauf nimmt, das zu seiner Linken geparkte Auto kräftig zu schrammen. Tatsächlich fährt er haarscharf ohne Berührung daran vorbei. F wiederholt das Manöver
nicht, sondern steigt aus und macht seine Besorgungen.
Man kann in derartigen Fällen, wie es weithin geschieht, auch offenlassen, ob der unterlassene
Akt noch dieselbe Gesetzesverletzung und damit Teil der versuchten Tat gewesen wäre. Ebenso
schlüssig wäre es nämlich, im Sinne einer Jedenfalls-Begründung das Aufgeben zu verneinen.
Man könnte z.B. im Fall 249 Folgendes schreiben:
„Indem F es unterlassen hat, heraus- und dann noch einmal hineinzufahren,
könnte er vom Sachbeschädigungsversuch nach § 24 I 1, 1. Alt. zurückgetreten
sein. Dann müsste er die weitere Ausführung der Tat, also der versuchten Sachbeschädigung, aufgegeben haben; d.h. es müsste die Situation eines unbeendeten Versuches gegeben sein. Zweifelhaft ist schon, ob das unterbliebene Tun
noch Teil der versuchten Tat gewesen wäre, und zwar aus zwei Gründen: zum
einen, weil schon das Einparken erfolgstauglich war; zum anderen, weil F sein
eigentliches Ziel schon erreicht hat. Das kann aber dahinstehen, weil es jedenfalls am ‘Aufgeben’ fehlt: Aufgeben ist mehr als Unterlassen. Es setzt einen
Verzicht voraus. F hat aber auf gar nichts verzichtet, mithin auch nicht auf eine
etwaige weitere Tatausführung. F ist damit nicht gem. § 24 I 1, 1. Alt. zurückgetreten.“
(c) Exkurs: Darstellung der typischen Klausurkonstellationen anhand der gesetzlichen
Merkmale unter Einbeziehung des Diskussionsstandes in Rspr. und Lit.
Fall 250: (= Fall 241) A sticht in Tötungsabsicht mit dem Messer auf X ein, hört dann auf und
rechnet zunächst mit tödlicher Wirkung. Als X wütend mit der Polizei droht, lässt A
ihn ziehen und hält es jetzt für recht wahrscheinlich, dass X überleben werde (BGH,
NStZ 1989, 525).
Fall 251: L verfolgte B. Als L ihn bereits erreicht und berührt hatte, stach B mit einem Messer
auf ihn ein, um L zu entkommen. Den Tod des L nahm er in Kauf. L konnte so weit
ausweichen, dass ihn nur ein Stich am Arm traf. Er wandte sich daraufhin aber von B
ab. B erkannte, dass er noch weiter auf L einstechen konnte, tat dies aber nicht (vgl.
BGH, NStZ 1994, 493).
Fall 252: (= Fall 238) C stieß M ein Messer tief in den Leib, um ihm einen „Denkzettel“ zu verpassen. C nahm dabei den Tod des Opfers in Kauf. Er verließ nach dem Stich den
Raum. M verspürte zunächst keine Schmerzen und blieb stehen. Als er die Verletzung
bemerkte, fuhr er mit dem Fahrrad zur Polizeistation. Ohne ärztliche Hilfe hätte die erlittene Verletzung spätestens nach 24 Stunden zum Tode geführt. Den Feststellungen
war „nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, dass der Angeklagte nach dem
Messerstich den Eintritt des Todes des Verletzten für möglich gehalten habe“
(BGH[GS]St 39, 211).
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A, B und C haben sich eines versuchten Totschlags schuldig gemacht. Sie werden gem. § 24 I 1,
1. Alt. wegen des versuchten Totschlags aber nicht bestraft, wenn sie freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben haben (Situation des sog. unbeendeten Versuchs).
Das ihnen mögliche weitere Zustechen müsste die „weitere Ausführung der Tat“ i.S.d. § 24 I 1,
1. Alt. gewesen sein. Mit „Tat“ kann hier nach dem systematischen Zusammenhang nur die Tat
gemeint sein, die der Täter versucht hat. Sie ist zu sehen in der „Verwirklichung des Tatbestandes“, wozu der Täter „nach seiner Vorstellung“ unmittelbar angesetzt hat (§ 22). Die Frage ist also, ob man den zweiten Stich, wenn A, B und C ihn vorgenommen hätten, mit dem ersten zu einer Tatbestandsverwirklichung verschmelzen würde; dann wäre der zweite Stich die „weitere
Ausführung der Tat“.
Diese Möglichkeit wird von den Vertretern der sog. Einzelakttheorie abgelehnt. Nach ihrer
Auffassung muss jede auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete und nach der Tätervorstellung erfolgstaugliche Handlung als selbstständiger Versuch gewertet werden.1 Nach dieser Lehre
scheidet ein Rücktritt für A, B und C aus.
Andererseits ist in der Konkurrenzlehre anerkannt, dass mehrere Handlungen im natürlichen
Sinne eine Gesetzesverletzung bilden können, so etwa eine Serie von Ohrfeigen (§ 223) oder eine Kaskade von Schimpfworten (§ 185).2 Während in der Literatur viele von einer „tatbestandlichen Handlungseinheit“3 sprechen, bevorzugt die Rspr. den Begriff „natürliche Handlungseinheit“4. Jenseits der begrifflichen Differenzen besteht aber Einigkeit darin, dass man ein Strafgesetz nur durch die Verwirklichung seines Tatbestandes verletzen kann. Der systematische Zusammenhang drängt deshalb dahin, die Begriffe Tat (§ 24), Verwirklichung des Tatbestandes
(§ 22) und eine Gesetzesverletzung (§ 52) zur Deckung zu bringen, wie es der Sache nach die
sog. Gesamtbetrachtungslehre tut. Voraussetzung der wertenden Zusammenfassung des ausgeführten mit dem hinzugedachten Akt zu einer Tat (= Verwirklichung des Tatbestandes = Gesetzesverletzung) ist, dass die einheitsstiftenden Momente die trennenden überwiegen. In diesem
Sinne fragt die Rspr. danach, ob bei Weiterhandeln des Täters ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorläge, der sich auch für einen Dritten als zusammengehöriges Tun darstellen würde. 5 Anhaltspunkte hierfür sind ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang, die Ähnlichkeit der Begehungsweise sowie eine einheitliche Motivationslage.
Bei A hätte ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang zwischen dem bereits geführten Stich
und weiteren Stichen bestanden. Beim Weiterhandeln hätten Begehungsweise (Messerstiche)
und Motivationslage (Tötungsabsicht) auf der Linie des ersten Zustechens gelegen, so dass sich
weiteres Zustechen auch aus der Perspektive eines Dritten als einheitlicher Lebenssachverhalt
dargeboten hätte. Das dem A mögliche weitere Zustechen wäre also die „weitere Ausführung der
Tat“ i.S.d. § 24 I 1, 1. Alt. gewesen. Weil er ferner freiwillig darauf verzichtete, hat er i.S. dieser
Vorschrift freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben. Er darf nicht wegen versuchten
Totschlags bestraft werden.
Bei B sprechen zwar der enge zeitlich-räumliche Zusammenhang und die ähnliche Begehungsweise dafür, den bereits geführten Stich mit weiteren Stichen zu einer Einheit zu verbinden. B
hatte aber das mit dem ersten Stich verfolgte Ziel, dem L zu entkommen, bereits erreicht. Weite1
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Backmann, JuS 1981, 340 f.; Weber, in: Baumann/Weber, AT, 9. Aufl., § 33 II.
Vgl. Sowada, Jura 1995, 247 ff.; Warda, FS f. Oehler, S. 242 ff., beide mit weiteren Nachweisen auch aus der
Rspr.
Schönke/Schröder-Stree, 25. Aufl., Vor §§ 52 ff. Rdnrn. 13 ff.
Der Begriff ist missverständlich, weil die Rspr. damit nicht nur die Verbindung mehrerer Handlungen zu einer Gesetzesverletzung, sondern auch die Verbindung mehrerer Gesetzesverletzungen zu einer Handlung i.S.d. § 52 I bezeichnet; ausführlicher hierzu Sowada, Jura 1995, 247 ff.; Warda, FS für Oehler, S. 242 ff.
BGH(GS)St 39, 221 (232); BGH, NStZ 1994, 493 mit Anm. Otto, JK 1995, § 24/22.
Rep AT. Stand:14.05.16.
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re Stiche hätten in dieser Situation eine Änderung der Motivation vorausgesetzt, z.B. dahin, dem
L nicht nur zu entkommen, sondern ihn nunmehr auch noch zu töten. Mangels einheitlicher Motivation ließe sich das mögliche weitere Zustechen mit dem ersten Stich nicht zu einer Gesetzesund Tatbestandsverwirklichung verbinden. Es wäre deshalb auch nicht die „weitere Ausführung
der Tat“ i.S.d. § 24 I 1, 1. Alt. gewesen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.
B hat sich wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht.
Bei C bestünde ebenfalls ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang und eine ähnliche Begehungsweise. Trennend wirkt aber, dass C sein Ziel, dem M einen „Denkzettel“ zu verpassen, erreicht hatte, so dass weitere Stiche nicht mehr auf derselben Motivation beruht hätten. Betont
man diesen Gesichtspunkt, so hat C nicht die weitere Ausführung der Tat aufgegeben. Man mag
aber auch darauf abstellen, dass einer solchen Situation typischerweise eine Dynamik zum Weiterhandeln innewohnt und sich das Geschehen für den Beobachter nicht etwa wie bei B als
Wechsel von der Flucht zum Angriff darstellt, sondern einheitlich als Angriff.
(d) Bei planwidrigem bloßem Aufschub der weiteren Zielverfolgung
Das Kriterium der einen Gesetzesverletzung ist auch maßgeblich zur Lösung der Problemfälle,
wo der Täter die Deliktsbegehung aufschiebt.
Fall 253: A besucht den homosexuellen Politiker P, um ihn zu erpressen. Er bedroht ihn mit „Outing“ und verlangt die sofortige Zahlung von 10.000 DM. P bangt um seine Karriere
und zeigt sich grundsätzlich bereit. Er könnte auch sofort zahlen, bittet aber den A um
eine Woche Aufschub bis zur nächsten Gehaltsüberweisung. A hat Verständnis und
kündigt an, in einer Woche wiederzukommen. Nach drei Tagen verunglückt P tödlich
mit dem Auto. Frau P stellt Strafantrag wegen versuchter Erpressung.
Die Gewichte sind anders verteilt im
Fall 254: E hat einen prachtvollen Weihnachtsbaum gekauft und vorerst auf der Terrasse in einen
Wassereimer gestellt. D will ihn stehlen und schleicht sich gegen 17.30 Uhr durch die
Hecke auf die Terrasse. Als er den Baum aus dem Eimer hebt, disponiert er um. Er will
erst noch Einkäufe erledigen und in der Nacht wiederkommen. Bei seiner Rückkehr
gegen 21 Uhr bemerkt er schon von der Straße aus, dass E gerade die Terrassentür öffnet und den Baum hereinholt.
Üblicherweise stellt man die Frage in diesen Aufschub-Fällen allerdings anders. Man streitet, ob
die Tat eher „abstrakt“ oder eher „konkret“ bestimmt werden müsse. Dabei bleibt aber das Entscheidende offen: In welchem Maße muss man abstrahieren bzw. konkretisieren? Extreme Positionen sind offensichtlich unhaltbar.
Fall 255: Einbrecher T ist entschlossen, den Tresor der Firma F in denkbar kürzester Zeit aufzubrechen und leer zu räumen. Nachdem er ihn geöffnet hat, beschließt er aber doch, es
sich nebenan im Chefsessel bequem zu machen und eine Zigarette zu rauchen. Während er sitzt und raucht, stürmt die Polizei herein.
Fall 256: A ist in einen Bauernhof eingebrochen. Bauer B hat ihn ertappt und läuft nun, seinen
Schäferhund an der Leine, hinter dem flüchtenden A her. Als sie näherkommen, dreht
sich A um und legt mit der Pistole auf B an, um ihn ins Bein zu schießen. Im letzten
Augenblick hat er aber Mitleid mit B und lenkt auf den Hund um. Er trifft das Tier und
entkommt.
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Interessant in diesem Zusammenhang BGH, NJW 1994, 1674.
Die ältere Rspr. des BGH, z.B. St 21, 319, die für die Frage einer Tat auch die Figur der „fortgesetzten Tat“ berücksichtigte, ist überholt.
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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In den Fällen des planwidrigen bloßen Aufschubs kann stark argumentieren, wer den anstehenden Fall mit einem Fehlschlag vergleicht:
Fall 257: P legt seine Pistole in Tötungsabsicht auf O an, setzt sie aber wieder ab und entschließt
sich, es morgen erneut zuprobieren. Er unterlässt das Abdrücken, weil er
a) O lieber vorher noch einen Kaufvertrag unterschreiben lassen will
b) erkennt, dass die Waffe ungeladen ist.
bb) Das Aufgeben
(1) Das Unterlassen der weiteren Tatausführung aufgrund eines Verzichtes
Das Aufgeben ist das Handlungsmerkmal des ersten Rücktrittstatbestandes. Der Täter muss es
jedenfalls unterlassen, die Tat weiter auszuführen. Dieses Unterlassen und damit das Aufgeben
kann auch in einem aktiven Tun bestehen.
Fall 258: V ist mit seinem Sohn S schwimmen gegangen. Als er sich am Ufer sonnt, erleidet S
einen Wadenkrampf und droht zu ertrinken. V ist zunächst entschlossen, ihn sterben zu
lassen. Als S schon untergeht, hat er jedoch noch Mitleid und rettet ihn.
Fall 259: G will als Gehilfe des Einbrechers T diesem durchs Telefon die Zahlenkombination für
den Tresor durchgeben, die T direkt nach G’s Diktat einstellen soll. Nach der ersten
Ziffer besinnt sich G und hört auf. T muss unverrichteter Dinge abziehen.
Fall 260: Herr F will Trauben stehlen, die eine hohe Mauer überwachsen, kann sie aber bei allem
Recken und Springen nicht erreichen. Daraufhin sagt er sich: „Die Trauben sind mir
viel zu sauer“, und geht weiter.
Die Handlungsfähigkeit erscheint in vielen Darstellungen als ein reines Faktum („physisch-reale
Möglichkeit der Erfolgsabwendung“). In Wahrheit geht es darum, Tatsachen zu bewerten und
danach die Fähigkeit zuzuschreiben.
Fall 261: M versucht, F zu vergewaltigen, wird daran aber von F im letzten Moment durch Hypnose gehindert.
Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch genügt für ein Aufgeben das bloße „Anderskönnen“
nicht. Er setzt mehr voraus, nämlich dass man auf etwas verzichtet. Diese Deutung ist nicht
zwingend. Was sie leistet, könnte auch das Merkmal „freiwillig“ leisten. Sie hat sich aber in der
Literatur durchgesetzt (z.B. SKStGB-Rudolphi, § 24 Rdnrn. 14b, 17; anders jedoch BGHSt 39,
221, 230 f., s. dazu oben Fall 238).
Fall 262: A lauert im Dunklen seinem Feind F auf, um ihn zu töten. Als ein Mann kommt, hält A
ihn fälschlich für F und legt das Gewehr auf ihn an. Da bemerkt er seinen Irrtum und
lässt den Unbekannten abziehen.
(2) Das Aufgeben als Verlassen der Versuchszone
Zur weiteren Tatausführung, auf die der Täter verzichten muss, gehört auch eine etwa verbleibende weitere Tatausführung durch Unterlassen; so die Sachaussage der ganz herrschenden Ansicht.
Fall 263: N flößt seinem schwerkranken Erbonkel O, angeblich zur Schmerzlinderung, ein vergiftetes Getränk ein. Als O ein Drittel der Menge geschluckt hat, hört N auf, weil ihm
das Gewissen schlägt. Er hält für wahrscheinlich, dass die eingeflößte Menge noch
nicht tödlich wirkt, ist sich dessen aber nicht sicher. Obwohl ihm klar ist, dass er darum
vorsichtshalber den Notarztwagen alarmieren müsste, kümmert er sich nicht weiter um
O. Der kommt mit einer Magenverstimmung davon.
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(3) Das partielle Aufgeben
Hat der Täter die weitere Ausführung der Tat (der Gesetzesverletzung) nicht ganz aufgegeben,
so kann die Rechtsfolge des § 24 nicht eintreten; denn dass der Täter wegen seines Versuchs
überhaupt nicht bestraft wird, passt nur zu einem totalen Aufgeben. Fehlt es daran, so muss er
wegen Versuches strafbar bleiben. Es liegt jedoch in der Konsequenz der Wertung, die § 24 enthält, dass ein partielles Aufgeben durch eine partielle Strafaufhebung zu honorieren ist. Das zeigt
vor allem der Vergleich mit den Fällen des sog qualifizierten Versuchs, also bei Versuchen, die
einen anderen Tatbestand verwirklichen:
Fall 264: (wie Fall 236) M bringt seiner unheilbar kranken Frau F mit Tötungsvorsatz heimlich
ein Gift bei. Von Reue erfasst, flößt er ihr bald darauf und rechtzeitig ein Brechmittel
ein. F überlebt deshalb.
Nach allgemeiner Ansicht ist M vom Tötungsversuch zurückgetreten. Genau besehen handelt es
sich auch im Fall 264 nur um einen partiellen Rücktritt: Von der vollendeten Körperverletzung
kann M nicht mehr zurücktreten. Nur vom größeren und spezielleren Unrecht der Tötung hat M
Abstand genommen. Nicht anders liegt es im
Fall 265: Die Haushälterin H sieht auf dem Schreibtisch des senilen Pfarrers P ein Bündel von 25
Zwanzigmarkscheinen. P hat das Geld vor einigen Tagen von seinem Konto abgehoben. H greift danach, um es einzustecken und für sich zu behalten. Während sie es noch
in Händen hat, erscheint ihr die Tat in diesem Ausmaß denn doch zu riskant. Sie behält
darum nur zwei Scheine in der Hand und legt die anderen zurück. Da kommt P herein.
Er erkennt H’s Vorhaben und entreißt ihr das Geld.
Im Fall 265 geht der partielle Rücktritt dem Fehlschlag voraus. Die Reihenfolge kann sich umkehren.
Fall 266: (= Fall 246) Pfarrer P gerät mit seiner Haushälterin H in Streit. Die erzürnte H ergreift
ein Glas, um es an die Wand zu werfen. P entwindet es ihr und stellt es auf den Tisch.
H ergreift es erneut, setzt es aber von sich aus wieder ab, als P sie händeringend darum
bittet.
cc) Die Freiwilligkeit
Wie der Straftäter für seine Straftat, so muss der Zurücktretende für sein Aufgeben verantwortlich sein. Fehlt es daran, so kann jenem seine Tat nicht angelastet und diesem sein Aufgeben
nicht zugute gehalten werden. Das Merkmal „freiwillig“ enthält die Verantwortlichkeitsvoraussetzungen, soweit diese nicht schon beim Aufgeben der weiteren Tatausführung (Verzichtsleistung, s.o. bb) (1)) berücksichtigt sind.
(1) Die Exkulpationsregeln als Maßstab?
Danach bietet es sich zunächst an, hier die Exkulpationsregeln für deliktisches Tun zum Vorbild
zu nehmen.
Fall 267: M hat schon mehrfach seine 13-jährige Stieftochter T sexuell missbraucht. Seine Frau F
ahnt das seit Langem. Eines Tages ertappt sie ihn, wie er gerade erneut zum Missbrauch ansetzt. M fordert sie auf abzuhauen, weil er ungestört weiter machen will. F
erklärt kategorisch, auf der Stelle die Polizei anzurufen und ihn für immer zu verlassen,
wenn er nicht sofort aufhöre. M fürchtet beides gleichermaßen und wendet sich von T
ab.
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(2) Das „empfindliche Übel“ (§ 240 I) als Maßstab?
Auch bei § 240 geht es um die Freiheit der Entscheidung für ein bestimmtes Verhalten. Der Nötigungstäter nimmt sie dem Opfer in strafbarer Weise, indem er es unter den Druck eines drohenden Übels setzt. Also könnte man auch hier den Maßstab suchen, den wir für § 24 brauchen.
Und in der Tat ist der Druck eines empfindlichen Übels für die Freiwilligkeit von Bedeutung. Im
Fall 267 etwa verzichtet M auf den begehrten sexuellen Missbrauch unter dem Druck der Androhung zweier empfindlicher Übel. Jedes für sich würde man für die Verwirklichung des Nötigungstatbestandes genügen lassen.
Umgekehrt ist die Freiwilligkeit zu bejahen, wenn der Druck unterhalb der Schwelle eines empfindlichen Übels bleibt.
Fall 268: A steigt durchs Fenster in den Keller seines Nachbarn ein, um einige Flaschen teuren
Wein zu stehlen. Als er feststellt, dass der ganze Fußboden mit einer flachen Wasserlache bedeckt ist, scheut er die nassen Schuhsohlen und kehrt um.
Man kann aber auch das Kriterium des empfindlichen Übels nicht ohne Weiteres zum Vorbild
nehmen; es bedarf der Abstriche und Ergänzungen.
Fall 269: R richtet auf einem Uferparkplatz durchs offene Seitenfenster seine Pistole auf die Fahrerin F und fordert sie auf, ihm ihr Geld herauszureichen. Da hört er hinter sich einen
Menschen ins Wasser fallen und um Hilfe rufen. R, ein ausgezeichneter Schwimmer,
empfindet es als grauenhaft, dass jemand stirbt, den er leicht retten könnte. Darum lässt
er ab von F und rettet den Ertrinkenden. Wie von R vorausgesehen, fährt F sofort los.
(3) Die Kombination beider Maßstäbe
Vollkommen angemessen ist also weder der eine noch der andere Maßstab. Passend erscheint
uns aber eine Kombination der genannten Maßstäbe. Die Freiwilligkeit ist zu verneinen, wenn
die folgenden vier Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Der Täter gibt auf unter dem Druck eines empfindlichen Übels (vgl. § 240), welches nur
durch das Aufgeben abwendbar ist (vgl. § 35 I 1).
2. Das Übel ist eine Einbuße und nicht nur das Ausbleiben eines Vorteils (vgl. § 35 I 1).
3. Das Übel droht dem Täter selbst oder einem ihm nahe stehenden Menschen (vgl. § 35 I 1).
4. Das Übel kann dem Täter nicht zugemutet werden (vgl. § 35 I 2).
Umgekehrt gilt, dass man die Freiwilligkeit bejahen muss, wenn auch nur eine dieser vier Voraussetzungen nicht erfüllt ist.
Zur Veranschaulichung: Die erste Voraussetzung ist erfüllt in Fall 267 und Fall 269; dagegen ist
sie nicht erfüllt in Fall 268 (keine Empfindlichkeit des Übels). Ebenso wenig erfülllt ist sie in
Fall 270: Student S hat im Seminar ein Buch in die Hand genommen, das er sogleich in die Tasche stecken und stehlen will. Da spricht ihn eine Kommilitonin K an und fragt ihn, wo
sie die Bundestagsdrucksachen finde. Das Gespräch zieht sich eine halbe Minute hin. S
kann vor ihren Augen das Buch nicht einstecken. Er stellt es zurück und gibt sein Vorhaben auf.
Die zweite Voraussetzung ist erfüllt z.B. in Fall 267. Dagegen ist sie nicht erfüllt in
Fall 271: M steigt in Bochum-Hiltrop in den „Nacht-Expreß“, um schwarz nach Gerthe zu fahren. Als er aus der anderen Tür ein junges Mädchen aussteigen sieht, verlässt er den
Bus schnell wieder, weil er dem Mädchen folgen und es sexuell missbrauchen will.
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Die dritte Voraussetzung ist gegeben z.B. in Fall 267, Fall 270, fehlt in Fall 269 und ist wiederum erfüllt in dessen Abwandlung (Aufgabe des Raubversuchs, um den eigenen Sohn aus dem
Wasser zu retten).
Die vierte Voraussetzung scheint uns in der Sache unstreitig; sie ist aber in der Begründung
schwer zu fassen. Es geht dabei um die Konstellation, dass der Täter wegen eines Übels aufgibt,
das er schon vor Versuchsbeginn vollen Umfangs antizipiert und hinzunehmen beschlossen hat.
Fall 272: Frau F hat eine Wahlversammlung in der Absicht aufgesucht, den Redner R zu erstechen. Ihr ist klar, dass man sie sofort nach der Tat festnehmen wird. Sie geht zu R und
zückt schon das in einem Blumenstrauß verborgene Messer. Im letzten Augenblick erscheint ihr der Preis einer langjährigen Gefängnisstrafe zu hoch. Sie steckt das Messer
in den Mantel und überreicht R die Blumen.
Fall 273: Voller Zorn stürzt sich T auf seinen kleinen Bruder O, um ihn mit einem Baseballschläger brutal zu verprügeln. Als er zum ersten Schlag ausholt, tut ihm O so leid, dass
er den Schläger sinken lässt.
Anders liegt es im
Fall 274: Die Studentin S sieht den Assistenten A sein Zimmer verlassen. Sie beschließt, hineinzugehen und das Portmonee des A einzustecken, plant aber, es doch sein zu lassen,
wenn jemand hereinkommt. Sie hält das für gut möglich und will ggf. ein fachliches
Anliegen vorschützen. Tatsächlich kommt Professor P herein, als S gerade das Portmonee in A’s Jacke ertastet hat. Sie könnte es noch schnell vor P’s Augen herausnehmen
und einstecken. Wie geplant, lässt sie es aber und stellt P eine Frage zur laufenden
Hausarbeit.
Hier zeigt sich bei gleichem Ansatz eine starke quantitative Abweichung von den Wertungen bei § 35.
Fall 275: M befürchtet, dass er bei Aufnahme in eine neonazistische Bande sogleich durch Drohung mit Prügeln
gezwungen werden würde, seinerseits einen Ausländer zu verprügeln. Er tritt dennoch der Gruppe bei.
Als er wie erwartet genötigt wird, gibt er dem Druck nach und verletzt unter den Augen des Bandenführers den Asylbewerber A.
Obwohl hier das dem M drohende Übel an sich drängender wirkt als das im Fall 274 der S drohende, wird dem M
dennoch nach § 35 I 2 die Hinnahme des Übels zugemutet, d.h. seine Entscheidung, den A zu verprügeln, als frei
gewählt bewertet. Der Grund für diese auffällige Differenz liegt im Folgenden: Drängt das Übel den Bedrohten –
wie im Fall 275 – zur Begehung einer rechtswidrigen Tat, dann muss er aus der Erkenntnis, dass man kein Unrecht
tun darf, Widerstandskraft schöpfen. Diese Tathemmung wirkt gegen den Antrieb, durch Begehung der Tat das drohende Übel zu vermeiden; und darum muss das Übel schon ein sehr großes sein, damit das Gesetz dem Täter attestieren kann, er habe unfrei gehandelt. Ganz anders beim Aufgeben (Fall 274). Hier drängen drohendes Übel und
Normappell in dieselbe Richtung, nämlich weg von der rechtswidrigen Tat. Es kommt also auch bei einem verhältnismäßig kleinen Übel insgesamt ein starker Druck heraus; darum muss die Entscheidung des Täters, dem Druck
durch Verzicht auf die Vollendung nachzugeben, sehr viel öfter als unfreiwillig bewertet werden.
(4) Die gängigen Kriterien zur Freiwilligkeit
Das bekannteste und in studentischen Arbeiten am liebsten eingesetzte Kriterium ist die Unterscheidung zwischen autonomen und heteronomen Gründen für das Aufgeben. Eine seiner
Schwächen ist das gänzliche Fehlen der Anbindung an gesetzlich vorgegebene Wertungen. Im
Übrigen scheint es uns die Sachfrage nur in neue Begriffe zu verschieben: Ob R im Fall 269 sich
„freiwillig“ oder „autonom“ entschieden hat – das eine ist nicht im Mindesten leichter zu beantworten als das andere.
Zu denselben Ergebnissen wie auf unserem Wege wird man häufig über das Kriterium der „Verbrechervernunft“ kommen (vgl. Roxin, Heinitz-FS, S. 251; SK-Rudolphi, § 24 Rdnr. 25: „Tritt
ein Täter nur deshalb zurück, weil ihm dies die ‘Verbrechervernunft’, d.h. seine rechtsfeindliche
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Einstellung, gebietet, so zeigt er damit nur seine besondere Gefährlichkeit“). Aber dieses Kriterium ist nicht zuverlässig und kann sogar die falsche Entscheidung ganz nahe legen.
Fall 276: A will ein Schulkind kidnappen, den Eltern die Tötung androhen und so zu Geld kommen. Er wartet vor einer Grundschule und redet auf den 7-jährigen K ein, dass er zu
ihm in den Wagen steige. Als K sich bereit erklärt, sieht A die 8-jährige M, die er als
Tochter eines Multimillionärs erkennt. Um der reicheren Beute willen disponiert er um.
Er weist K ab, bewegt statt seiner die M einzusteigen und fährt mit ihr davon.
2. Rücktritt durch freiwilliges Verhindern der Tatvollendung (§ 24 I 1, 2.
Alt.)
Ebenso wie man durch aktives Tun „aufgeben“ kann, kann man durch schlichtes Unterlassen die
Tatvollendung „verhindern“. Wer ausholt, um einen Stein ins Schaufenster zu werfen, und dann
doch davor zurückschreckt, gibt nicht nur die weitere Tatausführung auf, er verhindert auch die
Vollendung der Sachbeschädigung; denn hätte er sich nicht Einhalt geboten, wäre es ja dazu gekommen. Üblicherweise wird ein solcher Rücktritt aber allein der Aufgebens-Alternative subsumiert. Dahinter steht die traditionelle Unterscheidung zwischen „unbeendetem“ und „beendetem“ Versuch, die stets im Sinne eines Entweder-oder verstanden wird. Dieses Exklusivitätsdogma überzeugt nicht. Im Gutachten kann und sollte man sich freilich mit einer Alternative begnügen, wenn sie erfüllt ist. Die Rechtsfolge stünde damit ja fest. Den Vorzug verdient die jeweils phänomenologisch näher liegende Alternative: Bloßes Aufhören passt besser zum „Aufgeben“, aktives Abwenden besser zum „Verhindern“. Man kann allerdings darüber streiten, ob diese Faustregel auch in Unterlassungsfällen immer passt.
Fall 277: Die Mutter M will ihr zuckerkrankes Kleinkind K sterben lassen, indem sie ihm die
notwendigen Insulinspritzen vorenthält. Als das Kind schon bedrohlich leidet, wird sie
von Reue erfasst und rettet K, indem sie ihm eine angemessen erhöhte Dosis zuführt.
a) Verursachung der Nichtvollendung
Die Voraussetzung „die Vollendung verhindert“ meint mindestens, dass der Täter die Nichtvollendung verursacht. Theoretisch können uns hier alle Probleme begegnen, die in der Kausalitätslehre behandelt werden. Erfahrungsgemäß tauchen sie aber in Rücktrittsfällen nicht auf.
b) Zurechnung der Nichtvollendung
Über das Verursachen hinaus ist aber zu fordern, dass dem Täter das Ausbleiben der Vollendung
auch zugerechnet werden kann.
aa) Erforderlichkeit eines pflichtgemäßen Verhaltens
Fall 278: Bei einem Streit hat X den Y mit Tötungsabsicht niedergestochen. Als er den Y schwer
verletzt am Boden liegen sieht, reut ihn die Tat. X schleppt Y ins Auto und fährt ihn bis
auf 100 Meter an ein Krankenhaus heran. Dort legt er den lebensbedrohlich Verletzten
ins Gebüsch. Ein Passant findet Y und gibt im Krankenhaus Bescheid. Dadurch wird Y
gerettet (vgl. BGHSt 31, 46).
bb) Realisierung der durch pflichtgemäßes Verhalten geschaffenen Nichtvollendungschance
Fall 279: Wie Fall 278; aber X ruft einen Notarztwagen. Als Y mit diesem auf dem Weg zum
Krankenhaus ist, kommt es zu einem Verkehrsunfall, bei dem Y stirbt.
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3. Rücktritt durch freiwilliges und ernsthaftes Bemühen (§ 24 I 2)
Geschaffen wurde § 24 I 2 vor allem, um auch dem Täter des sog. „untauglichen“ Versuchs eine
Rücktrittsmöglichkeit zu eröffnen, solange ihm die Untauglichkeit verborgen bleibt.
Fall 280: B hat im Keller eines Landgerichts eine Bombe mit Zeitzünder gelegt. Zwei Stunden
vor der erwarteten Explosion besinnt er sich um. Er ruft im Gericht an und nennt das
Versteck. B weiß dabei nicht, dass
a) die Bombe defekt war und deswegen ohnehin nicht explodiert wäre.
b) die Bombe bereits entdeckt und entschärft worden ist.
In beiden Fallvarianten wird B dank seines freiwilligen und ernsthaften Bemühens nicht bestraft.
4. Rücktritt bei Tatbeteiligung mehrerer (§ 24 II)
a) Rücktritt durch freiwilliges Verhindern der Tatvollendung (§ 24 II 1)
Fall 281: T will sich die Juwelen aus dem Safe des E verschaffen. Er überredet E’s frühere
Haushälterin H, ihm die Kombination für den Safe zu beschaffen. H will sie T aber erst
mitteilen, wenn es ihm gelungen ist, unentdeckt in die Villa des E einzudringen. Sie
will ihm dann durchs Telefon die Kombination ansagen. Als es soweit ist, nennt sie T
die erste der sechs Zahlen, und er stellt sie ein. Danach bekommt H aber Skrupel und
nennt keine weitere Zahl. Weil T den Tresor allein nicht öffnen kann, muss er die Villa
unverrichteter Dinge verlassen.
aa) T ist eines versuchten Diebstahls schuldig. Er könnte zurückgetreten sein. Weil „an der Tat
mehrere beteiligt“ sind, nämlich T und H, ist § 24 II maßgeblich, hier dessen Satz 1. T hat aber
nicht freiwillig die Vollendung des Diebstahls verhindert, denn es stand gar nicht mehr in seiner
Macht, die Tat zu vollenden.
Zu demselben Ergebnis würde die Anwendung des Abs. 1 führen: Weil T aus seiner Sicht das Delikt nicht mehr
vollenden konnte, hat er weder seine Vollendung verhindert (2. Alt.) noch die weitere Ausführung der Tat aufgegeben (1. Alt.). Deshalb ist es ohne praktische Bedeutung, ob man in einer Konstellation wie im Fall 281 – Alleintäter
plus Gehilfe – für den Alleintäter § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 heranzieht. Die Frage ist aber für die Falllösung wichtig.
Die meisten würden auf T wohl den Abs. 1 anwenden. U.E. ist das nicht richtig. Zwar passt Abs. 1 seinem Wortlaut
nach vollkommen. Aber § 24 II stellt sich bei unbefangener Lektüre dar als eine Spezialvorschrift für die Fälle der
Beteiligung mehrerer an einer Tat. Nach der Definition in § 28 II sind „Beteiligte“ Täter und Teilnehmer; „Teilnehmer“ sind gemäß § 28 I Anstifter und Gehilfen. Also sind mit T und H mehrere an der Tat des Diebstahlsversuches
beteiligt. Damit ist Abs. 2 anzuwenden.
Im Lösungsgang eines Gutachtens wäre aber die Beihilfe der H noch gar nicht dargetan. Was soll man machen? In
Betracht kommen vier Aufbaumöglichkeiten.
Erstens die Inzidentprüfung der Beihilfe im Rahmen der Prüfung des Merkmals „mehrere beteiligt“ in § 24 II 1.
Dieser Aufbau empfiehlt sich u.E. nicht. In ihm wird die Beihilfe der H, die um ihrer selbst willen geprüft zu werden
verlangt, der Frage nach dem Rücktritt des T untergeordnet. So oder ähnlich liegt es immer bei Inzidentprüfungen;
deshalb werden sie zu Recht allgemein missbilligt.
Zweitens die Anwendung des § 24 Abs. 1 gegen das bessere Wissen, dass in Wahrheit Abs. 2 maßgebend ist. Das
wird bei vielen Prüfern unbeanstandet bleiben (s.o.). Von anderen Prüfern droht aber die Gefahr, dass sie spätestens,
wenn beim Teilnehmer (hier H) § 24 II herangezogen wird, stutzen und kritisch fragen, wieso nicht auch für den Täter (hier T) diese Vorschrift gelte. Auch von diesem Vorgehen möchten wir also abraten.
Drittens die Anwendung des § 24 Abs. 2 bei bloßer Behauptung der Beteiligung mehrerer und Vorausverweisung
auf die spätere Prüfung der Beteiligung der anderen Person. U.E. ist das ein guter Aufbau. Denn er erlaubt eine zusammenhängende Prüfung der Versuchsstrafbarkeit (hier des T), und zwar ohne die Mogelei der zweiten Aufbaumöglichkeit (Anwendung des Abs. 1). Dennoch raten wir für die meisten Fälle auch von diesem Vorgehen ab. Denn
fast allgemein und ganz pauschal wird der „Verweis nach unten“ für das Gutachten als nicht erlaubt verworfen.
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Viertens die Abtrennung und Verschiebung der Rücktrittsprüfung: Der Rücktritt des Täters (hier T) wird erst geprüft, nachdem die Beteiligung der anderen Person (hier H) dargestellt ist. Dieses Verfahren empfehlen wir für die
meisten Fälle. Es beachtet alle für „zwingend“ gehaltenen Aufbauregeln und enthält nur den dann unvermeidbaren
Schönheitsfehler, eine Strafbarkeitsprüfung zu zerreißen. – Die Entfernung zwischen den getrennten Prüfungsteilen
kann allerdings gelegentlich, am ehesten in Hausarbeiten, so groß werden, dass der Verweis nach unten (soeben unter drittens) das kleinere Übel darstellt.
bb) H hat zu dem Diebstahlsversuch des T durch Mitteilung der Zahlenkombination Hilfe geleistet. Sie hatte bei der Nennung der ersten Zahl den Vorsatz, zu dem Versuch Hilfe zu leisten,
und stellte sich vor, dass die Tat vollendet werde. H handelte rechtswidrig und schuldhaft. Sie
wird aber gem. § 24 II 1 wegen Versuchs – d.h. für sie: wegen Beihilfe zum Versuch – nicht bestraft, wenn sie freiwillig die Vollendung der Tat verhinderte. Anders als bei Abs. 1 entspricht es
hier der ganz h.M., das bloße Unterlassen durch Nichtweiterhandeln dem „Verhindern“ zu subsumieren, sofern der Tatbeteiligte schon dadurch das Ausbleiben der Vollendung sicherstellt.8
Dies hat H getan, indem sie von der Mitteilung der weiteren Zahlen absah. H wird also nicht
nach §§ 242 II, 22, 27 bestraft.
Zum gleichen Ergebnis käme man auch hier bei Anwendung von § 24 I 1. Wiederum: Der Wortlaut des Abs. 1 lässt
die Anwendung zu, aber Abs. 2 ist spezieller. Anders als bei Alleintätern (s.o. aa) ist das bei Teilnehmern auch die
übliche Sicht.
b) Rücktritt durch freiwilliges und ernsthaftes Bemühen (§ 24 II 2, 1. und 2. Alt.)
Fall 282: Wie Fall 281; aber H wähnt nur, die richtige Kombination zu kennen. Tatsächlich sind
die Zahlen falsch, weil E sie nach H’s Entlassung umgestellt hat.
Fall 283: Nachdem H die Nennung der vermeintlich richtigen weiteren fünf Zahlen verweigert
und aufgelegt hat, beschließt T, auf gut Glück eine Kombination einzustellen. Das Unwahrscheinliche geschieht: Die Kombination stimmt. T öffnet den Tresor, nimmt die
Juwelen an sich und macht sich davon.
Da sich jedes Mal gezeigt hat, dass man genauso gut mit dem ersten Absatz zurechtkommt, fragt
es sich, ob der zweite nicht ersatzlos gestrichen werden kann. In dem Bemühen, der Norm einen
Sinn zu geben, lesen viele aus § 24 II 2 eine Verschärfung der Rücktrittsanforderungen heraus.
Fall 284: T will heimlich mit dem Porsche des abwesenden E nach Köln fahren. Er bittet seine
Freundin G, die früher mit E verlobt war und noch Zutritt zu dessen Wohnung hat, ihm
die Wagenschlüssel zu verschaffen. G tut das, bereut es aber alsbald und läuft T nach.
Sie entreißt ihm die Schlüssel, als er gerade aufschließen will. T müht sich nun, insoweit von G weder unterstützt noch behindert, mit eigenen Werkzeugen, die er vorsorglich gleich mitgebracht hat, die Sicherungen zu überwinden. Nach einigen Minuten gelingt ihm das (vgl. Herzberg, NJW 1991, 1639, dort Fall 22).
VI. Die Möglichkeit des Absehens von Strafe oder der Strafmilderung beim grob unverständigen Versuch (§ 23 III)
1. Die erste der zwei Voraussetzungen des § 23 III ist, „daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht
zur Vollendung führen konnte“. Der BGH und die herrschende Lehre bejahen dies, „wenn durch
8
9
BGH, NStZ 1989, 318; Eser, in: Schönke/Schröder, 25. Aufl., § 24 Rdnr. 89; Rengier, JZ 1988, 932.
Gores, Der Rücktritt des Tatbeteiligten, 1982, S. 217 ff.; Dreher/Tröndle, 48. Aufl., § 24 Rdnr. 16; Eser, in:
Schönke/Schröder, 26. Aufl., § 24 Rdnr. 101.
Rep AT. Stand:14.05.16.
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die Tat weder eine konkrete noch eine abstrakte Gefährdung für das Opfer bestand“. 10 Das ist
u. E. missverständlich, weil die Formel offen lässt, was mit „Tat“ gemeint ist und welchen Grad
eine etwa verbleibende Gefahr haben darf.
Nach seiner Systematik kann mit der „Tat“ in § 23 III nur die Verwirklichung des Unrechtstatbestandes gemeint sein, wozu der Täter nach seiner Vorstellung unmittelbar angesetzt hat. Geht es
doch in § 23 III um die Strafbefreiung oder -milderung für eben diesen Versuch. Für den Vollendungsausschluss genügt deshalb die Verneinung einer zurechenbaren Erfolgsverursachung. Es
braucht also nicht schlechthin jede Gefahr des tatbestandsmäßigen Erfolgseintritts zu fehlen.
Z.B. kann durchaus eine „erlaubte“ Gefahr gegeben sein. Selbst wenn sie sich realisiert, bleibt
das Vorsatzdelikt unvollendet. Denn eine solche Gefahr genügt dafür nicht.
Fall 285: T will ein neunjähriges Kind auf dem Spielplatz mit 30 Baldrianpillen vergiften. Er gibt
ihm die Pillen und geht. Das Kind nimmt einige davon in den Mund, verschluckt sich
und droht zu ersticken. Eine Passantin rettet K.
Schafft der Täter mit der Versuchshandlung objektiv eine rechtlich missbilligte unmittelbare Gefahr der Tatbestandsverwirklichung, so bleibt zu fragen, ob ihm die Vollendung subjektiv zuzurechnen wäre. Nur dann handelt es sich um die Vollendung der vorgestellten Tat.
Fall 286: T will ein Kind mit Baldrianpillen vergiften. Er vergreift sich aber und gibt dem Kind
Valium (Jakobs, AT2, 25/83).
a)
Das Kind stirbt.
b)
Das Kind erbricht die Tabletten und kommt mit einer Magenverstimmung davon.
2. § 23 III setzt ferner voraus, dass der Täter die Nichtvollendbarkeit „aus grobem Unverstand
verkannt hat“. Grober Unverstand wird gemeinhin bejaht, wenn der Täter Vorstellungen von naturgesetzlichen Zusammenhängen hat, die völlig abwegig sind und deren Unrichtigkeit nach
durchschnittlichem Erfahrungswissen offenkundig ist (Roxin, JuS 1973, 331). Diese Wertung
kann im Einzelfall schwierig sein, weil regelmäßig eine empirische Grundlage fehlt. Als Faustformel kann man sich merken: Die Vorstellung des Täters muss vom Urteil eines Verständigen
so weit abweichen, dass dieser die Tat nicht mehr ernst nimmt.
Fall 287: Die A sprühte zweimal je etwa eine Sekunde das Insektengift „Detmol“ auf das Vesperbrot ihres Ehemannes, um ihn zu töten. Dieser verzichtete auf den Verzehr des Brotes, nachdem er einen ersten Bissen wegen des bitteren Geschmacks ausgespuckt hatte.
Sachverständig beraten stellte die Strafkammer fest, dass die 500-ml-Spraydose insgesamt nur 0,85 ml (etwa 0,85 g) des Giftes Fenitrothion enthielt, die für einen Menschen
mit etwa 70 kg Körpergewicht tödliche Dosis bei oraler Einnahme jedoch etwa 40 g beträgt (BGHSt 41, 94 ff.).
3. Alle grob unverständigen Versuche sind untaugliche Versuche. Darum liefert § 23 III für deren Strafbarkeit, die schon aus § 22 folgt, ein zusätzliches Argument (s.o. unter I 2 und II 2 b).
Falsch ist dagegen die Annahme, dass auch umgekehrt alle untauglichen Versuche grob unverständige seien. Dieser Fehler begegnet einem oft noch bei Examenskandidaten. Sie versäumen
nämlich die Prüfung des Merkmals „aus grobem Unverstand“ und nehmen § 23 III z. B. auch an,
wenn eine Mutter sich vergreift und ihrem Kind statt der tödlichen Herztabletten nur harmlose
Vitaminkapseln einflößt, um es zu töten. Die Vorstellung der Mutter, dass dieses Mittel in ihrer
Hand zur Vollendung führen könnte, beruht nicht auf Unverstand, sondern auf Unachtsamkeit.
BGH, NJW 1995, 2177; Eser, in: Schönke/Schröder, 26. Aufl., § 23 Rdnr. 15 – beide unter Hinweis auf die Materialien (Schriftl. Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs. V/4095, S. 12).
11
Im gleichen Sinne Jakobs, AT2, 25/83.
12
BGHSt 41, 94 (96).
10
Rep AT. Stand: 14.05.16.
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 Exkurs: Das Lernen von juristischem Stoff ............................................................... 2
A. Examenswichtige Grundlagen ..................................................................................... 3
I.
Die Aufgaben des Strafrechts und seine Unterscheidung von anderen
Rechtsgebieten....................................................................................................................3
1. Die „Zweispurigkeit“ des Strafrechts ..................................................................................... 4
2. Mögliche Strafzwecke ......................................................................................................... 4
3. Die Zwecke der Strafandrohungsnormen .............................................................................. 4
4. Die Zwecke der Strafverhängung ......................................................................................... 5
5. Die Zwecke des Strafvollzugs .............................................................................................. 5
6. Anhang: Die Zwecke des Ordnungswidrigkeitenrechts und sein Verhältnis zum Strafrecht ....... 6
II. Beschränkungen der Rechtsfindungsmethoden im Strafrecht: Der
Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 II GG, § 1 StGB) .....................................................6
III. Sachlicher Überblick .........................................................................................................6
1. Die Systematisierung der Strafbarkeitsvoraussetzungen .................................................6
2. Das vorsätzliche vollendete Handlungsdelikt .................................................................9
3. Das fahrlässige vollendete Handlungsdelikt....................................................................9
4. Das zum Teil vorsätzliche, zum Teil fahrlässige Delikte („Vorsatz-FahrlässigkeitsKombinationen“).............................................................................................................9
5. Das versuchte Handlungsdelikt .......................................................................................9
6. Das Unternehmensdelikt..................................................................................................9
7. Das Unterlassungsdelikt ..................................................................................................9
8. Täterschaft und Teilnahme ............................................................................................10
9. Die Rechtsfolgen ...........................................................................................................10
a) Freiheits- und Geldstrafe ..........................................................................................10
aa) Die Strafrahmen ................................................................................................10
bb) Die Konkurrenzen .............................................................................................10
cc) Die konkrete Strafzumessung (§ 46) .................................................................10
b) Weitere Sanktionen ..................................................................................................11
10. Die Verfolgbarkeit einer Straftat ..............................................................................11
B. Das (fahrlässige und vorsätzliche) vollendete Handlungsdelikt ............................. 11
I.
Der Tatbestand des (fahrlässigen und vorsätzlichen) vollendeten Handlungsdelikts
...........................................................................................................................................12
1. Der objektive Tatbestand des (fahrlässigen und vorsätzlichen) vollendeten
Handlungsdelikts...........................................................................................................12
a) Das Tatsubjekt = der Täter .......................................................................................12
b) Das Tatobjekt ...........................................................................................................12
c) Der Erfolgseintritt ....................................................................................................12
aa) Das Erfolgsmerkmal und das Handlungsmerkmal ............................................12
bb) Die Unterscheidung zwischen Erfolgs- und Tätigkeitsdelikten ........................12
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d) Die Handlung .......................................................................................................... 12
aa) Terminologie .................................................................................................... 12
bb) Inhaltliches ....................................................................................................... 12
cc) Zur Darstellung im Gutachten .......................................................................... 12
dd) Achtung bei mehreren Anknüpfungsmöglichkeiten im Sachverhalt! .............. 12
e) Die Kausalität .......................................................................................................... 12
aa) Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung und die Äquivalenztheorie ...... 12
bb) Adäquanztheorie und Relevanztheorie ....................................................................... 14
f) Objektive Zurechnung ............................................................................................. 14
aa) Rechtlich missbilligte Gefahrschaffung oder Gefahrzulassung ................ 14
(1) Extreme Unwahrscheinlichkeit .......................................................... 15
(2) Sozialadäquanz ................................................................................... 15
(3) Eigenverantwortlichkeit des Opfers ................................................... 15
(4) Große zeitliche Entfernung ................................................................ 15
bb) Risikoverwirklichung ................................................................................ 15
(1) Grundfall: Fehlen des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges i.e.S. ...... 16
(2) Fehlen des sog. Schutzzweckzusammenhanges ................................. 16
(3) Das Problem der Risikoerhöhung ...................................................... 16
g) Speziell: Das Fahrlässigkeitsdelikt .......................................................................... 16
aa) Das Plus-Minus-Verhältnis von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt ............... 16
bb) Darstellungsprobleme ....................................................................................... 16
cc) Terminologie und scheinbare Besonderheiten der Fahrlässigkeitsdogmatik .... 18
(1) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung („Fahrlässigkeit“) = rechtlich missbilligte
Gefahrschaffung ............................................................................................... 18
(2) Objektiver Zurechnungszusammenhang („durch Fahrlässigkeit“) =
Gefahrverwirklichung ...................................................................................... 19
2. Der subjektive Tatbestand des vollendeten Handlungsdeliktes .................................... 19
a) Beim Fahrlässigkeitsdelikt? ..................................................................................... 19
b) Beim Vorsatzdelikt .................................................................................................. 20
aa)
Der Vorsatz....................................................................................................... 20
(1) Die Kenntnis (das „Wissen“) – § 16 I 1 ........................................................... 20
(a) Die Kenntnis der Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören
(§ 16 I 1) .................................................................................................... 20
 Der Irrtum über Eigenschaften des Tatobjekts („error in obiecto“) ... 21
 Der Irrtum über das Tatobjekt selber: Das Fehlgehen der Tat
(„aberratio ictus“) ............................................................................... 21
 Der Irrtum über den Kausalverlauf .................................................... 21
 Anhang: Die Kenntnis sog. normativer Umstände ............................ 22
 Anhang: Kenntnis bei Regelbeispielen .............................................. 23
(b) Bei Begehung der Tat (§ 16 I 1 i. V. mit § 8) ........................................... 23
(c) Anhang: Die Fehlannahme privilegierender Umstände (§ 16 II) .............. 23
(2) Das Wollen der Tatbestandsverwirklichung als Vorsatzelement? ................... 23
bb)
Weitere subjektive Tatbestandsmerkmale, insb.: Absicht als echte Absicht? . 24
cc)
Tatbestandsannex?............................................................................................ 25
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II. Die Rechtswidrigkeit .......................................................................................................25
1. Tatbestandsausschluss oder Rechtfertigung? ................................................................26
2. Zum Prüfungsumfang bei mehreren Rechtfertigungsgründen ......................................26
3. Einzelne Rechtfertigungsgründe ...................................................................................27
a) Rechtfertigender Notstand (§ 34) als der Prototyp der Rechtfertigungsgründe .......27
b) „Aggressiver Notstand“ (§ 904 BGB) ......................................................................27
c) „Defensiver Notstand“ (§ 228 S. 1 BGB) ................................................................28
d) Notwehr (§ 32) .........................................................................................................28
e) Einwilligung .............................................................................................................30
aa) Die Voraussetzungen der Einwilligung ............................................................30
bb) Die Rechtsfolge der Einwilligung und ihr Verhältnis zum sog.
tatbestandsausschließenden Einverständnis ......................................................31
f) Behördliche Genehmigung .......................................................................................31
g) Mutmaßliche Einwilligung .......................................................................................31
h) Vorläufige Festnahme (§ 127 I StPO) ......................................................................31
i) §§ 229, 230 BGB, Selbsthilfe...................................................................................32
j) Erziehungsrecht der Eltern gegenüber ihren Kindern ..............................................32
4. Speziell: Subjektive Rechtfertigungselemente ..............................................................32
5. Verkennung und Fehlannahme rechtfertigender Umstände ..........................................32
a) Verkennung rechtfertigender Umstände („Fehlen des subjektiven
Rechtfertigungselementes“, sog. umgekehrter Erlaubnistatbestandsirrtum) ...........32
b) Fehlannahme rechtfertigender Umstände („Fehlen des objektiven
Rechtfertigungselementes“, sog. Erlaubnistatbestandsirrtum).................................33
III. Die Schuld .........................................................................................................................34
1. Grundsätzliches .............................................................................................................34
2. Einzelne Schuldregeln ...................................................................................................35
a) Die Schuldausschließungsgründe .............................................................................35
aa) Kindlichkeit (§ 19) ............................................................................................35
bb) Jugendliche Unreife (§ 3 JGG) .........................................................................35
cc) Psychisch abnorme Befindlichkeit (§ 20) .........................................................35
dd) Verbotsirrtum (§ 17) .........................................................................................35
b) Die Entschuldigungsgründe .....................................................................................36
aa) Notwehrüberschreitung (§ 33) ..........................................................................36
bb) Entschuldigender Notstand (§ 35 I) ..................................................................36
3. Ungeschriebene Schuldregeln für besondere Fälle .......................................................36
a) Der übergesetzliche entschuldigende Notstand ........................................................36
b) Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens .......................................................36
c) Beim Fahrlässigkeitsdelikt: Die Unfähigkeit, die Sorgfaltsanforderungen zu
erkennen und zu erfüllen (Fehlen der subj. Sorgfaltspflichtverletzung) ..................37
4. Irrtumsfälle ....................................................................................................................37
a) Erhebliche Irrtümer ..................................................................................................37
b) Unerhebliche Irrtümer ..............................................................................................37
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5. Schuldhaftes Vorverhalten und Schuldausschluss: Die „actio libera in causa (, sed non
libera in actione)“ ......................................................................................................... 37
IV. Weitere Strafvoraussetzungen ....................................................................................... 38
1. Strafbarkeitsvoraussetzungen ....................................................................................... 38
2. Typisierende Strafzumessungsregeln ........................................................................... 38
3. Strafverfolgungsvoraussetzungen ................................................................................. 38
C. Das (fahrlässige und vorsätzliche) vollendete unechte Unterlassungsdelikt ......... 39
I.
Der objektive Tatbestand des sog. unechten Unterlassungsdelikts (§ 13) ................. 39
1. Das Plus-Minus-Verhältnis von Handlungs- und Unterlassungsdelikt ........................ 39
2. Die Garantenstellung als Basis der objektiven Zurechnung ......................................... 39
3. Die Abgrenzung zwischen Handlungs- und Unterlassungsdelikt ................................ 39
a) Eine als strafbar in Betracht kommende Verhaltensweise, deren Zuordnung
eindeutig ist ............................................................................................................. 39
b) Mehrere als strafbar in Betracht kommende Verhaltensweisen, deren Zuordnung
eindeutig ist ............................................................................................................. 39
c) Die zusätzliche Voraussetzung des tatbestandlichen Handelns („Abgrenzung von
Tun und Unterlassen“) ............................................................................................. 40
4. Unterlassen der Erfolgsabwendung .............................................................................. 41
5. Rechtlich dafür einzustehen haben, dass der Erfolg nicht eintritt (sog. Garantenpflicht)
43
a) Die Garantenstellung................................................................................................ 43
aa) Beschützergaranten .......................................................................................... 43
(1) Aus Gesetz................................................................................................. 43
(2) Aus enger natürlicher Verbundenheit ....................................................... 43
(3) Aus besonderem Vertrauensverhältnis ...................................................... 43
(4) Aus tatsächlicher Übernahme von Schutzpflichten .................................. 43
(5) Keine Beschützergarantenpflicht allein aus enger häuslicher Gemeinschaft
44
bb) Überwachergaranten ......................................................................................... 44
(1) Überwachung von Sachen und Tieren ...................................................... 44
(2) Überwachung von Personen ...................................................................... 45
(3) Überwachung der eigenen Person: Ingerenz ............................................. 45
b) Garantenpflicht......................................................................................................... 45
aa) Unerlaubte Risikozulassung ............................................................................. 45
bb) Risikoverwirklichung ....................................................................................... 46
6. Die Entsprechungsvoraussetzung: „wenn das Unterlassen der Verwirklichung des
gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht“ .................................................. 46
II. Der subjektive Tatbestand des unechten Unterlassungsdeliktes .................................. 46
III. Die Rechtswidrigkeit des unechten Unterlassungsdeliktes .......................................... 47
V. Die Schuld des unechten Unterlassungsdelikts ............................................................ 47
VI. Aufbauschema für das unechte Unterlassungsdelikt .................................................. 48
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D. Der Deliktsversuch ...................................................................................................... 49
I.
Zur sog. Vorprüfung .......................................................................................................49
1. Die Nichtvollendung .....................................................................................................49
2. Versuchsstrafbarkeit, § 23 I ...........................................................................................49
II. Der Tatbestand.................................................................................................................49
1. Die Vorstellung der Verwirklichung des Tatbestandes und etwaige sonstige subjektive
Tatbestandsmerkmale (der „Tatentschluss“) ................................................................49
a) Antizipierende Vorstellung oder gegenwärtige Realisierung? .................................50
b) Gegenstand und Umfang des Tatentschlusses: Was genau muss sich der Täter
vorstellen? ................................................................................................................50
c) Kenntnis – Vorstellung – Wahn ...............................................................................51
d) Vorstellung durch bloßes Erwägen der Tat? ............................................................52
2. Das unmittelbare Ansetzen nach der Vorstellung des Täters ........................................52
a) Das Ansetzen als sorgfaltswidriges Verhalten (= Überschreitung des erlaubten
Risikos).....................................................................................................................52
b) Der untaugliche Versuch ..........................................................................................53
c) Die Unmittelbarkeit des Ansetzens ..........................................................................53
d) Handlung und Erfolg des „unmittelbaren Ansetzens“ .............................................54
e) Exkurs: Methodik der Fallbearbeitung bei „actio libera in causa“ ..........................56
III. Die Rechtswidrigkeit des Versuches ..............................................................................59
IV. Die Schuld beim Versuch ................................................................................................59
V. Versuch und Regelbeispiel ................................................................................................60
a) Zunächst: Versuch und Qualifikation ............................................................................60
b) Diebstahl versucht – Regelbeispiel vollendet ...............................................................60
c) Diebstahl vollendet – Regelbeispiel „versucht“ ............................................................60
d) Diebstahl versucht – Regelbeispiel „versucht“ .............................................................60
V. Strafaufhebung durch Rücktritt gem. § 24 ...................................................................61
1. Rücktritt durch Aufgeben der weiteren Ausführung der Tat (§ 24 I 1, 1. Alt.) ............61
a) Ungeschriebene Merkmale? .....................................................................................61
b) Die geschriebenen Merkmale ...................................................................................63
aa) Die weitere Ausführung der Tat ........................................................................63
(1) Die „Tat“ als die vorgestellte Tatbestandsverwirklichung i.S.d. § 22 .......63
(2) Die vorgestellte Tatbestandsverwirklichung: Einzelakt- oder
Gesamtbetrachtung? ...................................................................................63
(a) Bei planwidrigem Verzicht auf die weitere Verfolgung des
tatbestandlichen Zieles ........................................................................63
(b) Bei plangemäßem Aufhören nach Erreichung des
außertatbestandlichen Ziels .................................................................64
(c) Exkurs: Darstellung der typischen Klausurkonstellationen anhand der
gesetzlichen Merkmale unter Einbeziehung des Diskussionsstandes in
Rspr. und Lit. ......................................................................................64
(d) Bei planwidrigem bloßem Aufschub der weiteren Zielverfolgung ....66
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bb) Das Aufgeben ................................................................................................... 67
(1) Das Unterlassen der weiteren Tatausführung aufgrund eines Verzichtes . 67
(2) Das Aufgeben als Verlassen der Versuchszone ........................................ 67
(3) Das partielle Aufgeben .............................................................................. 68
cc) Die Freiwilligkeit ............................................................................................. 68
(1) Die Exkulpationsregeln als Maßstab? ....................................................... 68
(2) Das „empfindliche Übel“ (§ 240 I) als Maßstab? ..................................... 69
(3) Die Kombination beider Maßstäbe ........................................................... 69
(4) Die gängigen Kriterien zur Freiwilligkeit ................................................. 70
2. Rücktritt durch freiwilliges Verhindern der Tatvollendung (§ 24 I 1, 2. Alt.) ............. 71
a) Verursachung der Nichtvollendung......................................................................... 71
b) Zurechnung der Nichtvollendung ............................................................................ 71
aa) Erforderlichkeit eines pflichtgemäßen Verhaltens ........................................... 71
bb) Realisierung der durch pflichtgemäßes Verhalten geschaffenen
Nichtvollendungschance .................................................................................. 71
3. Rücktritt durch freiwilliges und ernsthaftes Bemühen (§ 24 I 2) ................................. 72
4. Rücktritt bei Tatbeteiligung mehrerer (§ 24 II) ............................................................ 72
a) Rücktritt durch freiwilliges Verhindern der Tatvollendung (§ 24 II 1)................... 72
b) Rücktritt durch freiwilliges und ernsthaftes Bemühen (§ 24 II 2, 1. und 2. Alt.) ... 73
VI. Die Möglichkeit des Absehens von Strafe oder der Strafmilderung beim grob
unverständigen Versuch (§ 23 III)................................................................................. 73
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