31 - Konkurs na komiks o Powstaniu Warszawskim

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1. Die Garderobe – Einführung
Wir begrüßen Sie im Museum des Warschauer Aufstands – ein Museum, das einer der
größten Schlachten des Zweiten Weltkriegs gewidmet ist.
Am 1. August 1944 treten etwa 25000 leicht bewaffnete Soldaten der konspirativen
polnischen Armee zum Kampf gegen die deutsche Übermacht an. Die Zahl der Kämpfer
erhöht sich im weiteren Verlauf der Schlacht auf 50000. In zwei Monaten erbitterter Kämpfe
gelingt es den polnischen Verbänden, beträchtliche Teile des Stadtgebiets unter ihre Kontrolle
zu bringen und dem Gegner schwere Verluste zuzufügen. Die unzureichende Hilfe der
Verbündeten, die entschiedene technische Überlegenheit der deutschen Truppen sowie die
ungeheure Zahl der Opfer zwingen jedoch das polnische Kommando dazu, den heldenhaften
Kampf nach 63 Tagen einzustellen.
Die Kämpfe in der Stadt, die nur wenige Tage dauern sollten, ziehen sich über zwei Monate
hin. Vom ersten Tag an greifen die Bewohner der Hauptstadt den Aufständischen mit jeder
erdenklichen Hilfe unter die Arme. Sie beteiligen sich an den Kampfhandlungen, errichten
Barrikaden und legen Vorräte an. Bedroht durch die herannahende Ostfront bieten die
Deutschen zahlreiche Eliteeinheiten auf. Sie sollen den Aufstand mit allen Mitteln
niederkämpfen und damit ganz Europa ein abschreckendes Beispiel vor Augen führen. In der
Praxis bedeutet dies die Vernichtung der Stadt und vielfacher Völkermord. Etwa 180000
Zivilisten kommen in Warschau durch Hitlers Soldaten ums Leben.
„Wir wollen frei sein und uns unsere Freiheit selbst verdienen”. Diese Worte von Jan
Stanisław „Sobol” Jankowski, dem Beauftragten der polnischen Exilregierung in London und
gleichzeitig polnischer Vizepräsident, bilden das Motto der gesamten Austellung. Dieser eine
Satz enthält die ganze komplexe Wahrheit über die fünf Jahre dauernde Besetzung Polens und
den zweimonatigen Warschauer Aufstand. Die Rebellion ist denn auch keine unkluge,
romantisch gefärbte fixe Idee einer Handvoll Verrückter, sondern eine bewußte, wenn auch
tragische politische Entscheidung der höchsten im vollen Umfang rechtmäßigen polnischen
Führung. Nach den Erfahrungen zweier grausamer Okkupationen – der deutschen und der
sowjetischen – ist den Menschen in Polen vollkommen klar, welches Ziel den Sowjets
vorschwebte. Sie wissen, dass die von Osten heranrückende Rote Armee nicht darum kämpft,
Polen zu befreien, sondern um den faschistischen Totalitarismus durch ihren eigenen,
kommunistischen zu ersetzen. Mit dem Ziel, die Hauptstadt aus eigener Kraft zu
freizukämpfen, um dann die sowjetischen Truppen als Herr im eigenen Haus zu begrüßen, ist
der Warschauer Aufstand der letzte Versuch, Polen vor einer Zwangsherrschaft zu bewahren.
2. Die Vorhalle
Ganz am Anfang unseres Besuches im Museum stoßen wir auf das Zeichen des Ankers,
eine Kombination der Buchstaben „P” und „W”. Es wird uns auf unserem gesamten Rundweg
durch die Ausstellung begleiten. Seit 1942 ist dieses Zeichen des „Kämpfenden Polens” das
offizielle Symbol des Polnischen Untergrundstaates. Nahezu täglich in polnischen Städten an
die Häuserwände gemalt, bekräftigt es den Widerstand gegen die Aggressoren und den Willen
zum Kampf für die Freiheit.
Das Haus, in dem das Museum des Warschauer Aufstands untergebracht ist, wurde Anfang
des 20. Jahrhunderts – in den Jahren 1904/05 – errichtet. Es gehört zu den wenigen erhaltenen
denkmalgeschützten Industriebauten in Warschau. In den Gebäudehallen befand sich das
Transformatorenwerk der Straßenbahn, das im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen stark
beschädigt und während des Warschauer Aufstands völlig zerstört wurde. Obwohl die TrafoAnlage nach dem Krieg wieder aufgebaut und zu einem Fernheizwerk umfunktioniert wurde,
verliert sie bald ihren Glanz und beginnt zu verfallen.
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Mit der Entscheidung, hier das Museum des Warschauer Aufstands einzurichten, beginnt
eine neu Ära für das Baudenkmal. Im Zuge der Restaurierungsarbeiten wurden die
Innenräume nach einem Projekt von Wojciech Obtułowicz erneuert und finden somit eine
moderne architektonische Lösung. Unter der dicken Putzschicht kommt die schöne
Ziegelfassade zum Vorschein, die charakteristisch ist für die Industrie-Architektur des 19.
Jahrhunderts. Das gut bewirtschaftete weiträumige Gelände des Transformatorenwerks wurde
in einen Garten umgestaltet, der in seiner Art einmalig ist: den Park der Freiheit, dessen
Kernelement die 156 Meter lange Gedenkmauer ist. Sie ist mit grauen Granitplatten-Reihen
besetzt, in denen die Namen Tausender Aufständischer verewigt wurden, die im August und
September 1944 gefallen sind. Wir laden Sie außerdem jeden Sonntag um 12.30 Uhr zur
Heiligen Sonntagsmesse in die Kapelle des Seligen Vaters Józef Stanek ein, die von dem
Museums-Kaplan zelebriert wird.
3. Der Aufstand nach 60 Jahren – Telefongeräte
Das Regime, das Polen von Stalin nach dem Krieg aufgezwungen wurde, kann die
Wahrheit über den Warschauer Aufstand, der letztendlich eine Unterordnung Polens unter die
Sowjetunion verhindern sollte, nicht dulden. Deshalb entwarfen die kommunistischen
Machthaber viele Jahre lang ein falsches Bild von dem Aufstand, die Aufständischen wurden
sogar verfolgt, besonders rücksichtslos gegen Ende der vierziger und zu Beginn der fünfziger
Jahre, bis in das Jahr 1956. Oft genügte es, der Heimatarmee anzugehören, um mit dem Tod
bestraft zu werden. Nach der sogenannten „Tauwetterphase” 1956 verstummt die Kritik der
volkspolnischen Staatsführung an den Aufstands-Teilnehmern, sofern es um die einfachen
Soldaten geht. Umso mehr klagt sie jetzt jedoch seine Anführer und die Politiker der
polnischen Exilregierung an. Erst nach dem Sturz des kommunistischen Regimes 1989 ist es
in Polen möglich, offen alle Aspekte des Warschauer Aufstands zu diskutieren und vollen
Ernstes mit der Errichtung eines Museums zu beginnen. Leider vergehen weitere 15 Jahre,
bevor das Projekt verwirklicht werden kann.
Die feierliche Eröffnung des Museums erfolgt am 31. Juli 2004, am Vortag der 60.
Jahresfeier anlässlich des Ausbruchs der Kämpfe um die polnische Hauptstadt. Aus dem Inund Ausland treffen Tausende früherer Aufständischer in Warschau ein. Sie betreten als erste
die Hallen ihres Museums, und ihre Erinnerungen, Gedanken und über viele Jahre verborgen
gehaltenen Gefühle leben wieder auf...
Sie können sich die Erinnerungen der Aufständischen 60 Jahre nach der Rebellion am
Telefon erzählen lassen.
4. Saal des Kindersoldaten
Durch die Tür rechterhand gelangen wir in den Saal des Kindersoldaten, der für unseren
jüngsten Gäste gedacht ist. In diesem Teil des Museums führen wir Jungen und Mädchen im
Kindergarten- und Grundschul-Alter in die Geschichte ein. Ihrem Alter angemessen werden
hier historische Ereignisse erläutert und die Werte vermittelt, von denen sich die
Aufständischen 1944 leiten ließen. An den Wochenenden ist dieser Saal individuellen Gästen
vorbehalten: Eltern können dort ihren Nachwuchs der Aufsicht eines erfahrenen Betreuers
anvertrauen. Die Kinder können Spielzeug und Spiele aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs
nutzen, zeichnen, mit der Nachbildung eines kleinen Aufstands-Theaters spielen, Barrikaden
bauen und ihren Altersgenossen von der Pfadfinder-Feldpost nacheifern.
In diesem Saal wollen wir auch zeigen, dass die Realität in der von den Kämpfen erfassten
Stadt mit Alt und Jung gleichermaßen rücksichtslos umging, von den Jüngsten aber vielleicht
noch schrecklicher empfunden wurde, als von den Erwachsenen. Der tägliche Beschuß,
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Bombardements, die Notwendigkeit, in Kellern hausen zu müssen – dies alles war unfassbar
und brachte Tod und Schrecken mit sich...
Rettet die Kinder, unsere, eure, polnischen Warschauer Kinder... – so lauten die Leitsätze
des Aufstands. Schon in den ersten Tagen werden die sogenannten Milchküchen organisiert,
in denen man die für Babys und Kleinkinder so wichtige Milch und Nährstoffe bekommen
kann. Alle Warschauer einigt der dringende Wunsch, die Kinder vor der allgegenwärtigen
Grausamkeit des Krieges zu schützen.
Insbesondere den Jüngsten ist es untersagt, sich den von direkten Kämpfen bedrohten
Gebieten auch nur zu nähern. Jeder bemüht sich darum, ihnen wenigstens ein dem Anschein
nach normales Lebens zu sichern: Es werden für sie Marionetten-Theaterstücke, Spiele und
Vergnügungen organisiert und kleine illustrierte Blätter wie „Jawnutka” oder „Dziennik
Dziecięcy” („Kinder-Zeitung”) herausgegeben. So können die Kleinsten wenigstens
kurzzeitig in eine Traum- und Phantasiewelt eintauchen.
Nicht alle Kinder jedoch beobachten die Ereignisse um sich herum aus der Distanz. Viele
von ihnen helfen den Aufständischen auf ihre Weise. Noch sehr jung, mit kaum mehr als zehn
oder zwölf Jahren versuchen sie, ihren Beitrag zum Sieg zu leisten. Oft handelt es sich dabei
um Waisenkinder, die während der Okkupation mitunter ihre ganze Familie verloren haben.
Mit ihrer Hilfe konnte schon in den ersten Augusttagen die Pfadfinder-Feldpost entstehen.
Von Tag zu Tag kommen neue junge Helfer dazu, die sich als Kuriere zwischen den
kämpfenden Verbänden zur Verfügung stellen oder Zivilisten durch die Kanalwege in
Sicherheit bringen. Man erlaubt ihnen nicht, zu kämpfen, aber niemand kann sie daran
hindern, Lebensmittelpakete und Benzinflaschen zu befördern oder Meldungen
weiterzugeben. Zu ihnen gehört auch der Patron des Saals des Kindersoldaten, Korporal
Witold Modelski, genannt „Warszawiak”, ein zwölfjähriger „Verbindungsmann” zwischen
den Bataillonen „Gozdawa” und „Parasol”. Als jüngster Aufständischer für seinen Mut mit
dem Tapferkeits-Kreuz ausgezeichnet, kommt er bei der Verteidigung einer der letzten
Aufstands-Schanzen im Stadtteil Czerniaków am 20. September 1944 ums Leben.
Alle Gegenstände im Saal des Kindersoldaten sind seinen jungen Besuchern frei
zugänglich, fast alles kann zum Zweck des Lernens Teil des Spiels sein. Hier befinden sich
auch Original-Exponate, darunter ein kleines Blatt Papier mit einem Gebet, das ein
achtjährigen Mädchens für ihren Vater schrieb, bevor er sich dem Aufstand anschloß. Voller
Rührung steckt er es in sein Portemonnaie, das er in der linken Brusttasche aufbewahrt.
Während des Kampfes wird er von einer Kugel getroffen, die genau an dem mit kindlicher
Schrift geschriebenen Gebet zum Stehen kommt. Der Vater des Mädchens überlebt den
Aufstand, und fast 60 Jahre später stiftet die Verfasserin ebenjenes Zettelchen mit dem Gebet
unserem Museum; die ausgefransten Ränder, die Sie in der linken Ecke des Blattes sehen
können, sind Spuren der Kugel, die ihr Ziel nicht erreicht hat.
Das zweite Ausstellungsstück ist ein Kinderspielzeug – eine Holzlokomotive. Keine
deutschen Patrouille schenkte dem kleinen Jungen im Kinderwagen und seinem Spielzeug
Beachtung. So konnten Verbindungsleute dem polnischen Untergrund gefahrlos geheime
Meldungen zuspielen, die sie in einer Aushöhlung der Lokomotive verwahrten.
5. Das Monument
Zentraler Punkt des Museums ist ein Stahlmonument, das alle Ebenen der Ausstellung
vertikal durchläuft. Der von Durchschüssen gelöcherte meterlange Obelisk, „das schlagende
Herz des kämpfenden Warschau” ist mit Inschriften der noch verbleibenden Tage des
Aufstands versehen. Wenn man sein Ohr an eine der Einschußstellen hält, kann man die
„Laute des Aufstands” hören: das Rattern der Waffen, Fragmente von Liedern und Gebeten,
Bekanntmachungen im Radio oder das Dröhnen der Bomben.
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6. Kriegsausbruch und Okkupation
Am 1. September 1939 greifen deutsche Truppen Polen an. Die Verteidigung leistet
entschlossen Widerstand. Nach dem verräterischen Angriff der Roten Armee im Osten des
Landes am 17. September ist das Schicksal Polens endgültig besiegelt. Im Herbst 1939
herrschen zwei Okkupanten über die polnische Gesellschaft: die Sowjetunion und das Dritte
Reich. Warschau befindet sich in einer besonders schweren Lage. Die Deutschen wollen die
polnische Nation, deren Herz die Hauptstadt ist, um jeden Preis vernichten. Von Ende Mai bis
Herbst 1940 führen sie in Warschau eine sogenannte „Ausserordentliche Befriedungsaktion”
durch, die die Ausrottung der polnischen Intelligenz zum Ziel hat. Es kommt zu
Massenverhaftungen und -exekutionen. Die meisten Inhaftierten werden von den Deutschen
in Palmiry erschossen, wo am 20. und 21. Juni 1940 358 Personen im Kugelhagel sterben,
unter ihnen der frühere polnische Parlamentspräsident Maciej Rataj und Janusz Kusociński,
Goldmedaillen-Gewinner bei den Olympischen Spielen.
Ein ähnliches Ziel – die Liquidierung der polnischen Eliten – verfolgte auch der zweite
Okkupant, die Sowjetunion. Im Frühjahr 1940 ermordet das NKWD auf Befehl Stalins in der
Gegend von Katyn, Miednoje und Charkow über 20000 polnische Gefangene, zumeist
Reserveoffiziere. Unter den Zivilisten finden vor allem Beamte, Lehrer, Ärzte, Rechtsanwälte,
aber auch Wissenschaftler und Künstler den Tod...
Mit Beginn der Besetzung Polens wird Vermögen widerrechtlich beschlagnahmt,
Straßennamen werden umbenannt, und in den Schaufenstern der Geschäfte und Cafés, auf
Spielplätzen und sogar auf Parkbänken ist immer häufiger die Aufschrift „Nur für Deutsche”
zu lesen. Von Monat zu Monat wächst die Zahl der Verhaftungen, öffentlicher oder geheimer
Hinrichtungen sowie der Razzien, die oft mit der Verschleppung zur Zwangsarbeit ins Dritte
Reich enden.
7. Der Polnische Untergrundstaat
Der polnische Staat bleibt jedoch bestehen – in der Konspiration, gelenkt von seiner
rechtmäßigen obersten Führung, die ihre Amtsgeschäfte im Exil fortsetzt: dem Präsidenten,
der Regierung und dem Oberbefehlshaber. Die höchste Macht im Polnischen Untergrundstaat
übt der Bevollmächtigte der Regierung für das besetzte Land aus. Er leitet die konspirative
Schaltzentrale der Zivilverwaltung, die von den verschiedenen Bereichen des vom Besatzer
verbotenen öffentlichen Lebens organisiert und unterstützt wird. Besonders zu erwähnen ist
das dichte Netz geheimer – auch höherer – komplett zusammengefasster Schulen, die der
Ausbildung von Jugendlichen dienen. Ähnlich leistungsfähig funktioniert die
Rechtssprechung, die im Untergrund ihre Urteile verkündet – Todesurteile für Verräter und
Kollaborateure inbegriffen. Im Gefüge des Polnischen Untergrundstaates gibt es auch eine
militärische Organisation, die immer mehr an Stärke gewinnt – die Heimatarmee, die größte
Untergrund-Streitmacht im besetzten Europa. 1944 gehören ihr etwa 400000 Soldaten an. Ihr
Hauptziel ist der Kampf für die Wiedererlangung der Unabhängigkeit. Diese
Untergrundarmee rüstet sich mit Waffen aus, schult ihre Soldaten, unternimmt Störaktionen,
betreibt einen Geheimdienst und bereitet dabei den bewaffneten nationalen Aufstand vor.
8. Das Getto
Es sind die Juden, die in den von Deutschland unterworfenen Gebieten am grausamsten
behandelt werden. Mit Beginn der Okkupation werden sie gewaltsam von den Deutschen in
Gettos umgesiedelt – das erste wurde bereits im Oktober 1939 in Piotrków Trybunalski
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eingerichtet. Weitere entstehen bald darauf. Im Herbst 1944 richten die Deutschen das größte
aller abgetrennten Wohnviertel für die jüdische Bevölkerung ein: das Warschauer Getto.
Unter unmenschlichen Bedingungen müssen sich annähernd 450000 – nicht nur Warschauer –
Juden auf engsten Raum drängen. Im Unterschied zu den deutsch besetzten Ländern im
Westen wird in Polen jede Hilfeleistung für Juden mit dem Tod bestraft. Auf der WannseeKonferenz im Januar 1942 beschließen die Deutschen ein Programm zur sogenannten
„Endlösung der Judenfrage”. Dabei handelt es sich um einen beispiellosen Plan zur
Ermordung aller Juden in Europa. Bald darauf werden die Gettos aufgelöst und die jüdische
Bevölkerung in die Vernichtungslager deportiert. Als die Deutschen beginnen, das
Warschauer Getto endgültig zu liquidieren, kommt es dort zu einem Aufstand. Trotz
schlechter Bewaffnung und zahlenmäßiger Unterlegenheit kämpfen die jüdischen Verbände
fast einen Monat – vom 19. April bis 16. Mai 1943. Nach der Zerschlagung des Aufstands
reißen die Deutschen das Getto systematisch nieder und machen somit einen ganzen
weitläufigen Stadtteil dem Erdboden gleich.
9. Aktion „Gewittersturm”
1943 tritt der Krieg in eine neue Phase ein. Den Alliierten gelingt eine Offensive in Italien
und im Fernen Osten. Nachdem die Rote Armee die Deutschen in der Schlacht bei Kursk
besiegen konnte, nimmt sie ihren Marsch nach Berlin auf. Die Frage lautet nun nicht mehr ob,
sondern wann die Deutschen der Übermacht der Verbündeten unterliegen würden. Am 25.
April 1943 brechen die Sowjets die diplomatischen Beziehungen zur polnischen
Exilregierung ab. Als Vorwand dient ihnen der von den Deutschen gemachte Fund im Wald
von Katyn. Dort entdeckten sie in Massengräbern die 1940 auf Befehl Stalins bestialisch
ermordeten Offiziere der Polnischen Streitkräfte. Wochen später verhaften die Deutschen mit
Hilfe von Kollaborateuren den Kommandanten der Heimatarmee, General Stefan „Grot”
Rowecki. In Gibraltar fällt der Oberbefehlshaber und Premierminister General Władysław
Sikorski einem tragischen Unfall zum Opfer. Auf der internationalen Bühne verschlechtert
sich die Lage Polens entscheidend, weil sich immer deutlicher abzeichnet, dass die Alliierten
eine neue Haltung zur Frage der polnischen Ostgrenzen eingenommen haben. Das sowjetische
Militär, das auf seinem Marsch nach Westen Polen von der deutschen Besatzung
höchstwahrscheinlich befreien wird, erweist sich nicht als Polens Verbündeter. Diese
Entwicklung zwingt die polnische Regierung im Exil und im Land dazu, ihre Pläne eines
allgemeinen Aufstands aufzugeben. Die Heimatarmee macht sich nunmehr bereit zu einer
subversiven Sabotage-Aktion unter dem Decknamen „Gewittersturm” („Burza”).
Das Hauptkommando der Heimatarmee plant mit seiner Aktion „Gewittersturm”
Militärschläge gegen die sich im Zuge der Frontverschiebung nach Westen zurückziehenden
deutschen Verbände, um dann die Herrschaft über die frei werdenden Gebiete zu übernehmen
und diese unverzüglich unter die polnische Amtsgewalt zu bringen. Die polnische Führung
geht davon aus, dass sie den sowjetischen Truppen nach ihrem Eintreffen in Polen als
offizieller Souverän über ihr eigenes Territorium entgegentreten wird. Nachdem die Rote
Armee am 4. Januar 1944 die Vorkriegsgrenzen der 2. Polnischen Republik überschreitet,
äußert sich die Aktion „Gewittersturm” in einer Reihe lokaler Aufstände, die die von Ost nach
West vorrückende Front begleiten. Dem Kampf schließen sich aufeinanderfolgend die
Heimatarmee-Verbände in Wolhynien, in den Gebieten Wilna und Lemberg sowie im Raum
Lublin an. Obwohl die Heimatarmee die Städte Wilna und Lemberg befreite und auch mit den
sowjetischen Truppen gut zusammenarbeitete, führten die militärischen Erfolge leider nicht
zur Verwirklichung der politischen Ziele. Der Ausgang war jedes Mal gleich: Verbände des
sowjetischen Sicherheitsdienstes verhafteten die polnischen Führungsorgane, sowohl die
zivilen als auch die militärischen. Die Soldaten der Heimatarmee wiederum wurden
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gewaltsam entwaffnet und entweder in die Weiten Russlands ins Gefangenenlager verschleppt
oder zwangsweise in die Armee Berlings eingegliedert.
10. Vor der Stunde „W”
Um die Situation in Warschau kurz vor der Stunde „W” und im Verlauf der einzelnen
Tage des Aufstands zu veranschaulichen, haben wir für Sie Kalenderblätter zum Sammeln
vorbereitet und in der Ausstellung verteilt. Zusammengenommen umfassen sie den Zeitraum
vom 27. Juli bis zum 5. Oktober, und auf jedem Blatt finden Sie kurze Informationen über die
wichtigsten Ereignisse, die sich an ebendiesem Tag auf den Straßen dieser unbesiegbaren
Stadt abgespielt haben. Die gesammelten Kalenderblätter bieten Ihnen nicht nur einen
besseren Überblick über die Geschichte des Aufstands, sondern sind auch ein besonderes
Andenken an unser Museum.
Wenn wir die weiß-rote Linie überschreiten, betreten wir die Zone der letzten Augenblicke
vor dem Ausbruch des Warschauer Aufstands.
Als Ende Juli 1944 von der Ostfront schlechte Nachrichten für Deutschland eintreffen,
beginnt in Warschau die Evakuierung der deutschen Verwaltung und der Hilfsdienste. Es
herrscht Verwirrung. Nach einigen Tagen, am 27. Juli, bekommen die Deutschen ihre Panik
wieder in den Griff: Polizeikräfte und SS kehren in die Stadt zurück. Zur Vermeidung
bewaffneter Ausschreitungen beruft der Gouverneur des Warschauer Distrikts, Dr. Ludwig
Fischer, per Verfügung 100000 Polen zu Befestigungsarbeiten ein. Dieser Befehl wird von
den Warschauern spontan ignoriert. Zur gleichen Zeit rufen die Sowjets und polnische
Kommunisten zum Kampf gegen die Deutschen auf und klagen dabei die Heimatarmee an. In
den von der Roten Armee besetzten Gebieten übernimmt das von Moskau gesteuerte
Polnische Komitee zur Nationalen Befreiung die Macht. Die Sowjets stoßen bis an die
Weichsel vor, und in Warschau gehen Gerüchte um, sie seien bereits in die Vorstadt am
rechten Flußufer einmarschiert. In dieser Situation gibt der Kommandant der Heimatarmee,
General Tadeusz „Bor” Komorowski nach Absprache mit Vizepremier Jan Stanisław „Sobol”
Jankowski, dem Bevollmächtigten der polnischen Regierung für das besetzte Land, für
Dienstag, den 1. August 1944, 17.00 Uhr den Befehl zu einer bewaffneten Aktion mit dem
Decknamen Stunde „W”.
Einen Tag vor Ausbruch des Warschauer Aufstands dienen in den polnischen Streitkräften
im Warschauer Bezirk der Heimatarmee etwa 50000 Soldaten. Es fehlt ihnen allerdings
wichtiges Zubehör und die nötige Ausrüstung mit Waffen; nur etwa 10 Prozent aller
Aufständischen sind bewaffnet. Genau umgekehrt sieht die Lage beim Okkupanten aus. Ende
Juli 1944 verfügt die deutsche Garnison in Warschau über annähernd 20000 bestens
ausgerüstete und ausgebildete Soldaten, die sämtliche Objekte der Stadt mit strategischer
Bedeutung besetzt halten. Darüber hinaus können die Deutschen auf ihre schweren ArtillerieGeschütze und die Luftwaffe zurückgreifen. Trotz dieses gewaltigen Ungleichgewichts von
Schlagkraft und Kriegsgerät nehmen die Aufständischen am 1. August ihren Kampf auf, der
63 Tage dauern wird...
11. Die Stunde „W”
Zu ersten Gefechten kommt es bereits drei Stunden vor der Stunde „W”. Trotz des
Verlustes des Überraschungsmomentes und Problemen mit Bewaffnung und
Informationsfluß, begeben sich um 17.00 etwa 23-25000 Soldaten der Heimatarmee in den
Kampf.
Am ersten Tag der Rebellion bringen die Aufständischen den deutschen Truppen
empfindliche Verluste bei: Schätzungen zufolge finden etwa 500 Soldaten den Tod. Die
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Aufständischen haben mit rund 2000 Gefallenen jedoch wesentlich höhere Verluste zu
beklagen. Die während der ersten Kämpfe eroberten Gebäude verschaffen den Polen keine
taktischen Vorteile. Dennoch gelingt es ihnen, drei Viertel ihrer Hauptstadt zu besetzen – fast
die gesamte Altstadt, das Zentrum von Żoliborz und einen Großteil der Stadtmitte, mit dem
damals höchsten Gebäude Warschaus, dem Prudential, auf dem bereits wieder die weiß-rote
Flagge weht. Die Deutschen leisten jedoch an einigen Dutzend Widerstandspunkten heftige
Gegenwehr und behalten weiterhin die Kontrolle über die Stadt. Strategisch wichtige Objekte
bleiben in ihrer Hand: Brücken, Bahnhöfe, Flugplätze, zahlreiche Verwaltungsgebäude und
Kasernen.
12. Druckerei
Als Teil des Kampfes gegen die polnische Identität werden seit den ersten Monaten der
Besatzung die unabhängigen polnischen Verlage und Zeitungen liquidiert. Das gedruckte
Wort wird zu einem wichtigen Instrument der deutschen Politik gegenüber dem
unterworfenen Land. Fast 40 Pressetitel, die in polnischer Sprache herausgegeben werden,
nutzen die Deutschen während der gesamten Okkupation zu Propagandazwecken. Die Polen
bezeichnen sie gemeinhin als Hetzblätter, deren Lektüre verpönt ist. Sie enthalten zahlreiche
Beiträge, die in der polnischen Gesellschaft die Überzeugung festigen sollen, ihr Land sei
unfähig, eine eigenständigen Existenz zu führen. Gleichzeitig versuchen diese Blätter das
Idealbild einer unbesiegbaren deutschen Armee und Besatzungsmacht vorzutäuschen.
Als Reaktion auf die wachsende Beschränkung und Schließung unabhängiger polnischer
Zeitungen kommt es zu einer raschen Entwicklung der geheimen Verlagsbewegung: Die
verschiedenen Untergrund-Organisationen betätigen sich jetzt auch als Herausgeber von
Zeitungen und Zeitschriften. Sie decken die deutschen Kriegsverbrechen auf, die vor der
polnischen Gesellschaft geheimgehalten werden und informieren über Erfolge der Alliierten.
Die Übermittlung von Informationen, die helfen sollen, den Patriotismus zu stärken, ist
ebenfalls Aufgabe der Untergrundblätter, die in gewaltigen Auflagen gedruckt werden. Allein
in Warschau erscheinen während der Okkupation über 700 Titel und zahlreiche Bücher,
darunter die berühmten Steine für die Schanze (Kamienie na szaniec) von Aleksander
Kamiński.
Eine Sensation von internationalem Rang sind zweifellos die Zeitungen des Warschauer
Aufstands, die vom 1. August bis 5. Oktober 1944 erscheinen. Trotz schwerster Bedingungen
in der umkämpften Hauptstadt werden insgesamt 167 verschiedene Titel vertrieben. Es
herrscht eine für Kriegszeiten ungewöhnliche Pressefreiheit und Demokratie – Blätter aller
politischen Richtungen sind im Umlauf, mit Beiträgen von Redakteuren unterschiedlichster
Weltanschauungen.
Die Zeitungen des Aufstands unterscheiden sich deutlich von denjenigen, die während der
Konspiration erschienen. Ihr Format und Umfang unterliegen einem laufenden Wandel. Keine
der Zeitungen hat ihre feste Auflagenhöhe. Die höchsten Auflagenzahlen können auf dem
Höhepunkt der Presseverbreitung Mitte August die publizistischen Informations-Blätter
verzeichnen, unter anderem das offizielle Presse-Organ der Regierungsvertretung für das
besetzte Land „Biuletyn Informacyjny”, mit 20000-28000 und „Rzeczpospolita Polska” mit
10000 Exemplaren. Weil es in den letzten Tagen der Kämpfe zu Engpässen bei der
Versorgung mit Papier kommt, erscheinen viele Zeitungen nunmehr als Plakate, die ringsum
an die Häuserwände geheftet werden.
In der eingeschlossenen und vom Rest der Welt abgeschnittenen Stadt war die Presse ein
überaus wichtiges Instrument zur Beeinflussung von Stimmungen und Einstellungen, sowohl
bei den kämpfenden Einheiten als auch bei der Zivilbevölkerung. Mit ihrer Berichterstattung
aus Warschau, Polen und der ganzen Welt erhielt sie maßgeblich den Kampfgeist der
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Menschen aufrecht. Die aktuellen Nachrichten bezog sie vor allem aus abgehörten
ausländischen Radiosendern, Materialien von Kriegsberichterstattern sowie der von Stanisław
Ziemba geleiteten Polnischen Telegraphen-Agentur.
Trotz der parlamentarischen Erklärung von 1947 und der 1952 verabschiedeten
Verfassung, die beide die Presse- und Meinungsfreiheit garantieren, führt die polnische
Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg eine weitreichende Zensur ein, die vom Hauptamt für
die Kontrolle von Presse, Publizistik und Aufführungen überwacht wird. In Anknüpfung an
die Tradition der polnischen Untergrundverlage kursieren von 1975-1989 in Polen
Publikationen aus dem sogenannten zweiten Umlauf, einem Netz inoffizieller Verlage, die
zahlreiche kostbare Bücher herausgeben, unter anderem Warschaus einsamer Kampf
(Samotny bój Warszawy) von Tadeusz Żenczykowski und Tadeusz Komorowskis
Untergrundarmee (Armia Podziemna).
13. Die Freude der Aufständischen
Mit Euphorie reagieren die Soldaten und Einwohner Warschaus auf den Ausbruch des
Aufstands. Es herrscht die allgemeine Überzeugung, dass er unwiderruflich ein siegreiches
Ende der Kämpfe herbeiführt. Die nach 5 Jahren grausamer Okkupation wieder gewonnene
Freiheit berauscht die Menschen ebenso wie die Möglichkeit, einen offenen Kampf gegen
dem verhassten Feind aufzunehmen. Die bis dahin im Untergrund aktive polnische
Zivilverwaltung arbeitet nunmehr öffentlich. Ihre Anweisungen werden von den Warschauern
aufopferungsvoll befolgt. Dank der spontanen Hilfe der Zivilbevölkerung kann das Leben im
freien Warschau rasch reorganisiert werden. Es entstehen Krankenhäuser, Abteilungen der
Flugabwehr, der Druck und Vertrieb der Presse wird wieder aktiviert und zwei AufstandsRundfunksender in zügigem Tempo instand gesetzt. Ganz Warschau steht zusammen im
Kampf für die Freiheit.
Plänen der Heimatarmee-Führung zufolge soll der Aufstand in Warschau nicht länger als
einige Tage dauern, bis die Einheiten der Roten Armee die Stadt erreicht haben. Nach
zahlreichen Offensiven beherrschen die Aufständischen am 4. August drei Stadtregionen: die
Innenstadt und einen Teil Wolas, die Altstadt und Powiśle, Dolny Mokotów sowie Żoliborz –
insgesamt fast drei Viertel des Stadtgebiets. Die Sowjets unterbrechen ihre Offensive jedoch
und denken nicht daran, den Aufständischen zuhilfe zu kommen, die nun aus Mangel an
Waffen und Munition und angesichts der wachsenden deutschen Übermacht ihre Angriffe
einstellen und sich in die Verteidigung zurückziehen müssen. Es beginnt das Warten auf eine
Offensive vom gegenüberliegenden Weichselufer.
14. Der Fahrstuhl
Wenn Sie mit dem Fahrstuhl ins Zwischengeschoß des Museums fahren, können Sie das
berühmte Lied der Aufständischen Hej chłopcy, bagnet na broń (Hej, Jungs, pflanzt das
Bayonett auf) von Krystyna Krahelska hören, die der Bildhauerin Ludwika Nitschowa 1936
Modell stand für ihre Arbeit am Denkmal der Warschauer Sirene an der Weichsel. Eine Kopie
der Sirene präsentieren wir Ihnen im Zwischengeschoß.
Entlang der Fahrstuhlsscheiben können Sie durch eine Glaswand hindurch alle originalen
Armbinden aus dem Aufstand betrachten, die sich gegenwärtig im Museum befinden,
darunter die mit der Nummer 1 versehene Binde des Kommandeurs General Antoni „Monter”
Chruściel.
15. Die Kämpfe im August
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Wir befinden uns hier zwischen den Schaukästen mit Uniformen und Waffen aus dem
Aufstand. Fast während der gesamten Besatzungszeit werden die Heimatarmee-Soldaten im
Untergrund mit Waffen versorgt. Die Zahl der seit September 1939 gelagerten Waffen ist
entschieden zu niedrig, also müssen weitere käuflich erworben oder dem Feind abgenommen
werden. Versorgungsquellen finden die Soldaten in Flugzeugabwürfen der Alliierten, ferner
konstruieren sie in Untergrund-Werkstätten die Maschinenpistole „Błyskawica” und stellen
Granaten her. Daher rührt auch die uneinheitliche Bewaffnung der verschiedenen AufstandsGruppierungen. Die Ausstellung zeigt die interessantesten und in jenen Tagen
charakteristischsten Exponate, unter ihnen auch eines der besten Maschinengewehre des
Zweiten Weltkriegs – die deutsche MG 42 sowie die in den Untergrund-Werkstätten
angefertigten polnischen „Sten” und „Błyskawica”. Hochinteressant in Aussehen und ihrer
Konstruktion sind auch die im Aufstand gebastelten Granaten Filipinka, Sidolówka und
Karbidówka.
Zur Zerschlagung des Aufstands stellt das deutsche Kommando eine aus verschiedenen
Kampfeinheiten gebildete Korpsgruppe unter der Führung des SS-Generals Erich von dem
Bach auf. Am 5. August unternehmen die deutschen Verbände einen Gegenschlag von
Westen und greifen die Stadtteile Ochota und Wola an, mit dem Ziel, zwei von West nach Ost
führende Hauptverkehrswege Warschaus unter ihre Gewalt zu bringen. Ferner wollen sie eine
Verbindung zur im Stadtzentrum abgeschnittenen Gruppe von General Reiner Stahel
freikämpfen.
Nach erbitterten Kämpfen gegen die Aufständischen nehmen die russisch-ukrainischen
Einheiten RONA am 11. August Ochota ein. Zu demselben Zeitpunkt fällt Wola in die Hände
der Deutschen, die bis zur stark befestigten Altstadt, eine Bastion der Aufständischen,
vordringen. Indem sie Hitlers verbrecherischen Befehl ausführen, jeden Warschauer
Bewohner zu töten, begehen die zur Befriedung Ochotas eingesetzten deutschen Verbände
zahlreiche Verbrechen an der Zivilbevölkerung. In Wola hingegen führen sie eine planmäßige
Vernichtungs-Aktion durch.
Da es ihnen nicht gelingt, die Altstadt in einem Schlag einzunehmen, beginnen die
Deutschen mit der systematischen Zerstörung der Häuser. Die polnischen Positionen werden
mit schweren Geschützen beschossen, unterstützt von Bombardierungen aus der Luft. Nach
mehrtägigem Artilleriebeschuß holt der Feind am 19. August zum Sturm auf die belagerte
Altstadt aus. Wiederholte Versuche der anderen Aufstands-Gruppen, dem umzingelten
Stadtteil zur Hilfe zu kommen, enden in einem Fiasko. Nach langen und erbitterten Kämpfen
nehmen die Deutschen schließlich am 2. September die letzte polnische Bastion in der
Altstadt ein.
Mit der neu angewandten Defensivtaktik haben die Aufständischen nur in der Innenstadt
Erfolg. Am 11. August erobern sie den Staszic-Palast, am 20. August das gewaltige PASTGebäude in der Zielna-Straße und am 23. August die Heilige-Kreuz-Kirche und die PolizeiKommandantur in der Krakowskie Przedmieście-Straße. Die geringe Truppenstärke der
Aufstands-Kämpfer in den übrigen Stadtvierteln macht es den Polen schwer, die Verteidigung
zu verstärken und die effektive Zufuhr von Nachschub sicherzustellen.
Die Aufständischen unternehmen zwei große Offensiv-Aktionen in Żoliborz: zwei
Angriffe auf den Danziger Bahnhof in der Nacht vom 20. auf den 21. August und am 22.
August sowie den Versuch, mit einem Durchbruch eine Verbindung von der Altstadt in die
Innenstadt herzustellen (am 31. August). Die Aktionen scheitern, und die Aufständischen
erleiden herbe Verluste. Als die blutigsten Kämpfe des Aufstands gehen diese drei Gefechte
in die Geschichte ein.
16. Verwaltung
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Der Aufstand bedeutet nicht nur die Chance zum offenen bewaffneten Kampf gegen den
Okkupanten; auch der rechtmäßige Polnische Staat kann nach fast fünf Jahren Konspiration
endlich öffentlich agieren. Mehr als zwei Monate lang arbeiten auf der viele Quadratkilometer
großen Fläche der Hauptstadt die Institutionen einer freien und demokratischen Republik,
eine freie Presse wird herausgegeben, die politischen Parteien nehmen ihre Arbeit auf und die
zivile Verwaltung kann ihren Dienst tun. Die weiß-roten Flaggen mit dem gekrönten Adler –
Symbole der polnischen Souveränität, die während der Okkupation verboten waren –
kommen bereits in den ersten Augusttagen wieder zum Vorschein und lösen allgemeine
Begeisterung aus. Unabhängig von Alter und Geschlecht schließen sich die Einwohner
Warschaus mit großem Engagement der gemeinsamen Sache an. Jeder hilft mit, soweit er
kann. Vom ersten Augenblick an melden sich die Warschauer in großen Massen zum
Arbeitseinsatz, errichten aus eigener Initiative Barrikaden, versorgen die Kämpfer mit
Lebensmitteln und betreuen Verwundete und Flüchtlinge aus anderen Stadtteilen. Tag für Tag
treffen diese Hilfsbedürftigen im befreiten Teil Warschaus ein.
Am 5. August übernimmt der Bezirks-Bevollmächtigte der polnischen Regierung für
Warschau, Marceli „Sowa” Porowski, die vollständige Amtsgewalt über die Stadt. Dies
bedeutet, dass alle Angelegenheiten, die nichts mit den Kampfhandlungen zu tun haben, ab
sofort von der sich schnell entwickelnden Verwaltung beschlossen und beaufsichtigt werden.
In nur wenigen Tagen organisiert sie die Betreuung für die Bevölkerung: Es werden
Amtsstellen eingerichtet, die für die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und Wasser
sowie für die Bereitstellung von Wohnraum verantwortlich sind. Sie koordinieren auch die
Evakuierung von Zivilisten aus besonders gefährlichen Stadtvierteln.
17. Lebensmittel und Wasser
Mit der Einquartierung und Ernährung der Zivilbevölkerung befassen sich die örtlichen
Kommandanturen sowie der Fürsorge-Hauptrat (RGO), der eine sehr effektive Arbeit leistet.
Anfangs können sich die Menschen in den zahlreichen Bäckereien und Feldküchen versorgen.
Auch in ihren Häusern horten sie reichlich Lebensmittel- und Wasservorräte, die jedoch im
Lauf der Zeit versiegen. Daraufhin ordnen die Behörden die genaue Registrierung und eine
allgemeine Beschlagnahme aller Lebensmittelvorräte an, die sich in den Bezirken des
Aufstands im Handel befinden. Als Hauptversorgungsquelle der Innenstadt dienen die
Getreidevorräte aus den Lagerhallen der Brauerei „Haberbusch und Schiele” in der CegielnaStraße, die den Deutschen entrissen werden konnten. Umso mehr, als die
Lebensmittelrationen von Tag zu Tag zusammenschrumpfen. Um den Bewohnern wenigstens
eine warme Mahlzeit täglich zu sichern, bereiten die Aufstandsküchen die einfachsten
Gerichte zu, zum Beispiel die populäre aus Gerste gekochte sogenannte „Spuck-Suppe”, in
der noch die Getreidehülsen schwimmen, die beim Verzehr wieder ausgespuckt werden
müssen.
Ein weiteres Problem der kämpfenden Stadt ist der Wassermangel. Das Versorgungsnetz
bricht bald zusammen, so dass vielerorts Brunnen gegraben werden, aus denen das Wasser
fortan geschöpft wird, was mit einem hohen Risiko verbunden ist, denn die Schlangen
wartender Menschen werden von den Deutschen oft bombardiert oder beschossen.
18. Religiöses Leben
Der Glaube spielt in Warschau während des Aufstands eine ungeheuer wichtige Rolle. Das
religiöse Leben der Stadt offenbart sich vor allem im riesigen Zulauf zu den heiligen Messen.
Die Menschenmassen versammeln sich nicht nur in den von den Bombenangriffen verschont
gebliebenen Kirchen, sondern auch in Feldkapellen, Krankenhäusern, Kellern oder vor den
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kleinen Hinterhof-Kapellen. Die Menschen beten und singen das Lied „Boże coś Polskę...”.
Priester spielen in diesen Tagen eine herausragende Rolle. Eine Erlaubnis des Papstes stellt
jedem Kaplan frei, an einem Tag nicht nur eine, sondern drei Messen zu feiern. Der Geistliche
ist während des Aufstands täglich auf Beerdigungen von Gefallenen und Getöteten zugegen,
über die er eine Liste führt; er nimmt Beichten ab, und hin und wieder kommt auch eine Taufe
oder eine Hochzeit hinzu. Im Alltag der kämpfenden Stadt ist die Religion die Quelle
geistlicher Stärke, die vielen Menschen hilft, die Tragödie zu ertragen, die sich tagtäglich vor
ihren Augen abspielt.
19. Das Kulturleben
Trotz täglicher Greueltaten und Gewalt geht das kulturelle Leben in der aufständischen
Stadt weiter. Die Massenpresse informiert nicht nur über die täglichen Ereignisse, sondern
veröffentlicht auch Gedichte, die den Aufstand zum Thema haben. Viele berühmte
Persönlichkeiten aus dem Kulturleben der Vorkriegszeit schreiben Beiträge für die Zeitungen,
darunter die Märchenschriftstellerin Maria Kownacka sowie die Dichter der jungen
Generation: Tadeusz Gajcy, Zdzisław Stroiński und Józef Szczepański. In den von den
Soldaten besuchten Wirtshäusern werden Theaterstücke und Konzerte dargeboten. In Powiśle
führt das Puppentheater „Marionetten auf den Barrikaden” seine Stücke auf. Seine
Nachbildung konnten Sie im Saal des Kindersoldaten sehen. Außerdem gehen in der zweiten
Augustwoche die beiden Aufstands-Rundfunksender „Błyskawica” und „Polskie Radio” auf
Sendung, die mit ihrem Programm dazu beitragen, Kampfgeist und Gefechtsbereitschaft
aufrechtzuerhalten.
20. Das Gemetzel von Wola
Auf die ersten Nachrichten vom Ausbruch des Warschauer Aufstands reagiert die
Führungsspitze des Dritten Reiches mit Wut und Rücksichtslosigkeit. Bei der Übergabe von
Hitlers Befehl zur Vernichtung der Stadt fügt Reichsführer SS Heinrich Himmler hinzu:
„Jeder Einwohner ist zu töten, es dürfen keine Gefangenen gemacht werden. Warschau soll
dem Erdboden gleich gemacht werden, als abschreckendes Beispiel für ganz Europa.” Dieser
Befehl wird von den Deutschen schon in den ersten Augusttagen überaus penibel umgesetzt...
Die Offensive, mit der die Deutschen die Rückeroberung zweier Warschauer
Hauptdurchgangsstraßen erreichen wollen, beginnt am 5. August. Diese Militäroperation führt
eine Gruppe unter dem Befehl von SS-Gruppenführer und Polizeigeneral Heinrich Reinefarth
aus. Ihr gehören insbesondere Verbände der russisch-ukrainischen Brigade RONA von
Waffen-Brigadeführer Bronisław Kamiński an sowie aus Kriminellen rekrutierte
Truppeneinheiten, die von SS-Standartenführer Oskar Dirlewanger befehligt werden.
Die Massenexekutionen in Wola und Ochota – eines der größten deutschen Verbrechen im
Zweiten Weltkrieg – kommen einem Völkermord an der Warschauer Zivilbevölkerung gleich.
Seit den ersten Momenten des Aufstands werden die in den verschiedenen Stadtteilen
gefangen genommenen Heimatarmee-Soldaten und nach dem Zufallsprinzip ausgewählte
Zivilisten gleichermaßen hingerichtet. Die planmäßige Vernichtung der polnischen
Bevölkerung beginnt am 5. August, dem sogenannten schwarzen Samstag, dem Tag, an dem
die Deutschen nach Vergewaltigungen und beispiellosen Häuserplünderungen einen
systematischen Massenmord an den Einwohnern Wolas begehen. Schätzungen zufolge
kommen in diesem einen Stadtteil über 40000 Männer, Frauen und Kinder durch deutsche
Hände ums Leben. Die Exekutionen weiten sich aus auf Krankenhäuser, Fabriken und
Hinterhöfe von Wohnhäusern. Schon bald geht den Deutschen die Munition aus. Während
eines Gesprächs am Abend stellt General Reinefarth dem Befehlshaber der 9. Armee, General
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Nicolaus von Vormann, die Frage: „Was soll ich mit den vielen Festgenommenen machen?
Ich habe mehr Häftlinge als Munition.”
Der Massenmord an Zivilisten setzt sich noch einige Tage fort, nur ein wenig vermindert
durch den Plan, die festgenommenen Menschen zur Zwangsarbeit einzusetzen. Dennoch
gehen die Massenexekutionen in den von den Deutschen besetzten Warschauer AufstandsLazaretten bis zum Ende der Kämpfe weiter. Mehrfach kommen auch Zivilisten, insbesondere
Frauen, ums Leben, indem sie von der SS als lebende Schutzschilder vor den Panzern
hergetrieben werden, während sie auf die Barrikaden der Aufständischen zusteuern. Die
festgenommenen Aufstands-Soldaten werden jedoch in der Regel an Ort und Stelle von den
Deutschen erschossen.
Die Verlautbarung Großbritanniens und der Vereinigten Staaten vom 29. August, in der
die Heimatarmee zu einem Bestandteil der alliierten Streitkräfte erklärt und ihren Soldaten
Kombatanten-Status zugesprochen wird, verbessert die Lage der polnischen Gefangenen nur
unwesentlich.
Nach dem Krieg werden die sterblichen Überreste der über 100000 Warschauer Bewohner,
die vor allem während der Befriedung des Stadtteils Wola ermordet wurden, ebendort in
einem Sammelgrab bestattet. Bis heute erinnert das Denkmal der „Unbezwungenen
Gefallenen” an diesen Ort. Während der Wiederausgrabung der hingerichteten Menschen
werden spezielle Protokolle mit den persönlichen Daten der Exhumierten erstellt, die zum
Beispiel Auskunft über deren Bekleidung oder die erlittenen Verletzungen geben. Wie Sie
sehen, sind diese Informationen in den meisten Fällen sehr bescheiden – Opfer von
Völkermord bleiben für immer anonym...
21. Abwürfe aus dem Flugzeug
Unmittelbar nach dem Ausbruch des Warschauer Aufstands beginnt die polnische
Exilregierung, Hilfe für die kämpfende Stadt zu organisieren und fordert allem voran den
sofortigen Einsatz von Hilfsflügen. Über Warschau sollen Waffen, Munition, Lebensmittel
und Verbandsmaterial abgeworfen werden. Die polnische Regierung bittet die Alliierten auch
um Unterstützung für die Soldaten der polnischen Fallschirmspringer-Brigade unter General
Stanisław Sosabowski und schlägt den Kampinoski-Wald als Ort für eine Truppenlandung
vor. Zudem ersucht sie die Alliierten, mit der Bombardierung festgelegter Ziele zu beginnen.
Auf Drängen der polnischen Seite gibt der britische Premier Winston Churchill am 3. August
die Anweisung, die Hilfsgüter-Abwürfe für Warschau einzuleiten.
Erheblich erschwert wird die Hilfe aus der Luft durch Stalin, der die Landung alliierter
Flugzeuge auf sowjetischen Flugplätzen zum Ziel von Hilfsflügen nicht genehmigt. Die
Flugstrecke von Italien beträgt etwa 1500 Kilometer, der Rückflug muss also noch an
demselben Tag angetreten werden, denn im Luftraum über Ungarn und Jugoslawien
patrouillieren deutsche Jagdflugzeuge. Nachtflüge über Warschau sind genauso gefährlich,
weil ein Großteil der Trasse über vom Feind besetzte Gebiete führt. Die starke deutsche
Luftabwehr funktionierte schon damals radargestützt, wodurch auch nachts zielgenau
geschossen und Jagdflugzeuge auf die alliierten Maschinen angesetzt werden konnten.
Trotz der Vorbehalte der britischen Führung starten in der Nacht vom 4. auf den 5. August
in Brindisi die ersten Flugzeuge mit Hilfslieferungen für Warschau. Die Flüge gehen jedoch
mit hohen Verlusten einher. Von den italienischen Stützpunkten aus fliegen nicht nur
polnische Piloten in Richtung Warschau, sondern auch Britisch-Kanadier, Südafrikaner und
Neuseeländer. Vom 4. August bis 21. September brachen insgesamt 196 Flugzeuge zu
Hilfsflügen auf.
Stalins Nein zur Landung auf der sowjetischen Frontseite machte Flüge des
amerikanischen Flugzeugtyps B-17, den sogenannten fliegenden Festungen, unmöglich. Erst
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am 18. September, nachdem Stalin endlich seine Landeplätze freigibt, können sie Warschau
anfliegen. 110 riesige Flugzeuge starten von vier Flughäfen in Großbritannien aus und
nehmen Kurs auf Warschau. Der Anflug eines derart mächtigen Geschwaders über der Stadt –
und das auch noch zur Mittagszeit – löst sowohl bei den Aufständischen als auch bei der
Zivilbevölkerung einen Enthusiasmus aus, der nur schwer zu beschreiben ist. Leider schlug
die große Freude schnell in eine tiefe Verzweiflung um, denn die überwiegende Mehrzahl der
abgeworfenen Behältnisse gingen außerhalb der aufständischen Stellungen zu Boden: von
insgesamt 1284 konnten die Polen gerade einmal 228 bergen. So endet die erste und letzte
amerikanische Flugmission nach Warschau.
In der Endphase des Aufstands, vom 13. September bis 1. Oktober, kommen auch
sowjetische Flugzeuge der kämpfenden Stadt zur Hilfe. Die Sowjets werfen ihre Hilfsfracht
aus geringer Höhe ohne Fallschirme ab. Das von den Aufständischen so dringend benötigte
Gerät wird dadurch entweder völlig zerstört oder kommt teilweise zu Schaden und ist somit
nicht mehr zu gebrauchen. Es ist nur eine Hilfe zum Schein, die erst deshalb zu so einem
späten Zeitpunkt geleistet wird, um die eigenen Verluste so gering wie möglich zu halten.
Dieses Kalkül legt die politischen Gründe der langen sowjetischen „Neutralität” deutlich
offen.
22. Das Lazarett der Aufständischen
Der Warschauer Aufstand soll aller Voraussicht nach nur wenige Tagen dauern. Die
Ereignisse der ersten Tage bestätigen allerdings die Vorahnung der polnischen Führung. Die
Kämpfe ziehen sich in die Länge und die Zahl der verletzten Aufständischen und Zivilisten
steigt von Tag zu Tag. In dieser Situation müssen unbedingt neue medizinische NothilfeStationen und Lazarette für die verwundeten Aufstands-Kämpfer hergerichtet werden. Eine
große Bedeutung kommt in diesen Tagen den Stadtbewohnern zu. Die Warschauer stiften
Medikamente, Verbandsmaterial, Betten, Lebensmittel und helfen im Rahmen ihrer
Möglichkeiten.
Die Polen müssen in den Aufstands-Lazaretten einen heldenhaften Kampf um ihr Leben
führen, während der Feind dort grausamste Kriegsverbrechen verübt. Ein Beispiel ist die
Geschichte des Krankenhauses der Elisabeth-Schwestern in Mokotów, das am 29. August
nach zweistündigem Artilleriebeschuß und Bombenangriffen vollständig zerstört wird, wobei
die Mehrheit des Pflegepersonals und der Patienten mit in den Tod gerissen werden. An
jedem Tag des Aufstands ist das Krankenhaus deutlich sichtbar mit Flaggen des Roten
Kreuzes gekennzeichnet...
Die Deutschen erobern die Aufstands-Lazarette zumeist im direkten Angriff. Ihr Geschrei
und der laute Hall ihrer Schritte werden nur noch von den Schußserien aus ihren
Maschinengewehren übertönt – es sterben Patienten und Krankenschwestern – weit nach vorn
übergeneigt bleiben sie tot auf den Verwundeten liegen. Warschau weiß von den Verbrechen,
doch trotz der drohenden Gefahr verharren Ärzte und Krankenschwestern bis zum Schluß auf
ihrem Posten und widmen sich hingebungsvoll ihren Patienten.
Noch auf dem Schlachtfeld oder in seiner unmittelbaren Nähe leisten die Sanitäterinnen
der verschiedenen Kampfgruppen erste Hilfe – vom Gegner unter Feuer genommen versorgen
sie die Verwundeten, die sie mit ihrem eigenen Körper schützen und dadurch nicht selten zum
Ziel der Kugeln werden. Sie geleiten die Schwerverletzten zur nächste Nothilfe-Station oder
ins Lazarett, und bisweilen müssen sie selbst die schweren Tragen heben. Dort werden die
Kriegsopfer von Ärzten operiert, oft unter unwahrscheinlich schweren Bedingungen und nicht
selten – unter Beschuß.
Es wird geschätzt, dass während der zweimonatigen Kämpfe über 10000 Personen in den
Aufstands-Lazaretten stationär behandelt wurden, noch mehr Patienten erhielten dort
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medizinische Soforthilfe. In den Versorgungs-Stützpunkten und Lazaretten arbeiten mit
größtem Einsatz über 500 Ärzte, denen ein Heer von Krankenschwestern und Sanitäterinnen
zur Seite steht. Dass Warschau vor Epidemien verschont bleibt, ist nicht zuletzt ihrer Arbeit
zu verdanken. Ihr Kampf an einer der schwersten Fronten gilt aber vor allem der Rettung von
Menschenleben.
23. Das Kino „Palladium”
Wir befinden uns in der Złota-Straße 7/9, im Kino „Palladium”. Auf Initiative des Büros
für Information und Propaganda werden dort während es Aufstands drei Filmchroniken mit
dem Übertitel „Warschau kämpft” ausgestrahlt. Bevor wir uns Ausschnitte der Chroniken
ansehen, noch ein paar Worte zur Geschichte ihrer Entstehung.
Im Frühjahr 1940 wird innerhalb der Vereinigung des Bewaffneten Kampfes, der
Vorgängerorganisation der Heimatarmee, das Büro für Information und Propaganda ins Leben
gerufen. Zu seinen Aufgaben gehört es, die polnischen Gesellschaft über die Tätigkeit der
Regierung und des Polnischen Untergrundstaates zu unterrichten und sie über die tatsächliche
Lage an den Fronten aufzuklären. Außerdem soll es den Willen zu Widerstand und Kampf
gegen den Aggressor aufrecht erhalten. Die polnische Führung ist sich darüber im klaren,
welch ungeheuer wichtige Rolle das Büro als Dokumentationszentrum spielt. Sie ahnt, dass
das vom Polnischen Untergrundstaat gesammelte Material nach dem Krieg als Beweismittel
für die Verbrechen der Besatzer von großer Bedeutung sein wird. 1942 wird im Büro für
Information und Propaganda eine Abteilung mit dem Decknamen „Rój” eingerichtet, die den
Aufstand dokumentarisch und propagandistisch unterstützen soll. Filmteams, Fotoreporter,
Radioredakteure, Journalisten, Schriftsteller und sogar Künstler werden von „Rój”
ausgebildet, das zudem über die nötigen Ausrüstungen und Materialien verfügt. Dank der
guten Vorbereitung ziehen am 1. August 1944 viele für die Arbeit unter Kampfbedingungen
geschulte Kriegsberichterstatter und Kameraleute mit an die Front.
Die Filmer stellen den Warschauer Aufstand auf 30000 Metern Filmband dar, aus dem
Wacław Kaźmierczak und seine beiden Regisseuren Antoni „Wiktor” Bohdziewicz und Jerzy
„Pik” Zarzycki einige Chroniken zusammenschneiden. Am Abend des 15. August findet im
Kino „Palladium” die erste öffentliche Filmvorführung statt. Der Saal ist randvoll gefüllt –
sowohl mit Militärs als auch mit den Bewohnern der umliegenden Häuser. Vertreter der
Aufstandspresse sind ebenfalls anwesend. Die zweite und dritte Chronik werden am 21
August bzw. am 2. September gezeigt.
Nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands gelingt es dem legendären Kurier
Jan Nowak-Jeziorański, einen Großteil der Filmbänder aus Warschau herauszuschmuggeln,
die in den vierziger Jahren für den Film Last days of Warsaw verwendet wurden, der später in
den Kinos der USA und anderen westlichen Ländern lief. 1946 kann ein zweiter Fund mit
Filmmaterial geborgen werden, das während des Aufstands in einem zugelöteten Kanalrohr
versteckt wurde.
Aus den erhaltenen gebliebenen Filmen entstand eine kurze Chronik aus jenen Tagen, die
wir Ihnen gerne zeigen möchten.
24. Die Altstadt
Nach Verlassen des Kinosaals gelangen wir direkt in die von Bränden erfasste Altstadt.
Nach mehreren Tagen ständigen Beschusses, Bombardierungen und hartnäckigen
Sturmangriffen des Gegners gibt es in der Altstadt kein einziges unzerstörtes Haus mehr. Die
Lage der Aufständischen verschlechtert sich von Tag zu Tag. Der Versuch eines Durchbruchs
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durch die deutschen Absperrungen bleibt erfolglos. Es gibt nur einen Ausweg aus der
Umzingelung: den unterirdischen.
Die Evakuierung erfolgt über zwei Kanäle: einen Hauptkanal mit Zugang vom
Krasińskich-Platz und einen Nebenkanal, in den man in der Daniłowiczowskiej-Straße
hinabsteigen kann. Die meisten Aufständischen arbeiten sich bis in die Innenstadt vor,
mehrere Hundert entsteigen dem Kanal in Żoliborz. Innerhalb von zwei Tagen entkommen
über 5000 Heimatarmee-Soldaten der Umzingelung durch die Kanäle.
25. Der Kanal
Wie die Aufständischen vom 1. und 2. September folgen wir dem Kanalweg in die
Innenstadt, der 1944 mit annähernd 2 Kilometern unvergleichlich länger war als heute. Für
den Durchgang benötigt man etwa 4 Stunden. Die unterirdische Reise vollzieht sich unter
entsetzlichen Bedingungen – die Kanalschächte sind wesentlich niedriger als unsere
Nachbildung hier im Museum, die Aufständischen müssen durch giftigen Schmutz waten, es
ist dunkel und die Angst geht um, von den Deutschen, die an den Einstiegsluken lauern,
aufgespürt zu werden. Trotz aller Hindernisse gelingt die Räumung der Altstadt.
Ein tragisches Schicksal ereilt jedoch die Soldaten von Oberstleutnant Józef „Karol”
Rokicki am 26. September bei ihrem Versuch, Mokotów zu verlassen. Widersprüchliche
Befehle, giftige Abwässer und deutsche Angriffe von oben bringen vielen Soldaten aus
Mokotów während der Kanal-Durchquerung den Tod. Nur 800 Aufständische erreichen
restlos erschöpft das Ziel.
26. Die Kanalmündung
Nie zuvor wurde in kriegerischen Auseinandersetzungen eine städtische Kanalisation in
ihrer Funktion als Ausweg so ausgiebig genutzt wie im Warschauer Aufstand. Das im 19.
Jahrhundert nach einem Projekt des englischen Ingenieurs William Lindley geschaffene
Warschauer Abwassersystem unterläuft fast die ganze Stadt. Mit ihrer Durchquerung des
Abschnitts von der Innenstadt nach Mokotów in der Nacht vom 5. auf den 6. August stellt
Elżbieta „Ela” Ostrowska eine feste Verbindung aller Stadtteile an das Kanalnetz her. Mittels
dieser unterirdischen Korridore werden Verbindungen zwischen den einzelnen Kampfherden
geschaffen, außerdem dienen sie als Transportwege zur Belieferung der Munitions- und
Lebensmitteldepots und als Trasse für die Evakuierung der vom Feind abgeschnittenen
Kampfeinheiten, Zivilisten und Verletzten. Rasch statten die Aufständischen die wichtigsten
Streckenabschnitte für den unterirdischen Transportverkehr aus, – vielerorts verlegen sie den
Boden mit Brettern, spannen Seile an die Wände und markieren den Weg mit Lichtzeichen,
um die Marschroute anzuzeigen. Für den reibungslosen Verkehr in den Kanälen sind speziell
ausgebildete Gruppen von Meldegängerinnen, die „Kanalfrauen”, verantwortlich oder auch
junge Buben, zum Beispiel der Trupp der „Kanalratten”. Solange der Feind nicht weiß, welch
lebendiger Verkehr auf den unterirdischen Trassen herrscht, sind die Kanäle der sicherste
Weg. Mitte August jedoch beginnen die Deutschen mit ihrer Zerstörung. Sie blockieren die
Durchgänge mit Eisensperren, mauern die Tunneleingänge zu, fluten die Kanäle oder leiten
Gas hinein. Manche Kanalläufe werden mit sprengstoffbelandenen Fahrzeugen, den
sogenannten Taifunen, zum Einsturz gebracht.
27. Die Cafeteria
In unserer Cafeteria können Sie sich ausruhen, begleitet von Liedern aus der damaligen
Zeit eine Stärkung zu sich nehmen und sich dabei in die Lektüre der Aufstands-Presse oder
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aktueller Tageszeitungen vertiefen, unter den Blicken bekannter Schauspieler von damals,
deren Fotografien die Wände bedecken. Der gesamte Innenraum wurde dem Caféhaus „Pół
Czarnej” („Halbschwarz”) in der Kredytowa-Str. 6 nachempfunden, das im Dezember 1939
seine Pforten öffnete und während der Okkupation als beliebter Künstler-Treffpunkt bakannt
war.
An vielen Punkten der Hauptstadt, hauptsächlich in der Innenstadt, richten die sogenannten
„Peżetki”, Ausbilderinnen von der Vereinigung „Soldatenhilfe”, provisorische Gasthäuser
und Küchen sowie Gemeinschaftsstuben für Soldaten her. Jede dieser Einrichtungen wird von
etwa 6 bis 9 „Peżetki” betrieben, die den Kämpfenden Mahlzeiten zubereiten und versuchen,
ihnen etwas Kultur und Erholung zu bieten. Hier gibt es Rundfunkempfänger und
Grammophone mit Schallplatten und die neuesten Aufstands-Zeitungen. Diese von den
„Peżetki” betriebenen Lokale erfreuen sich hoher Beliebtheit, gewähren sie doch den
Heimatarmee-Soldaten aus vorderster Front für wenige Augenblicke Ruhe und das Gefühl
eines normalen Lebens. Fast während der ganzen Kampfphase verbringen die Aufständler
ihre freie Zeit in den Gasthäusern, spielen Schach oder Dame, singen oder improvisieren am
Klavier.
Unter der Schirmherrschaft des Büros für Information und Propaganda finden im
kämpfenden Warschau regelmäßig Konzerte statt, die große Popularität genießen und fast
allerorten zur Aufführungen kommen: auf Hinterhöfen, in Kellern, Lazaretten und in den
soldatischen Gemeinschaftsräumen. Viele bekannte Namen der Vorkriegsbühnen, wie Mira
Zimińska, Adam Brodzisz oder Hanna Brzezińska bieten ihren Zuschauern während des
Aufstands Unterhaltung und Ablenkung und ziehen damit riesige Publikumsscharen an. Einer
der seinerzeit bekanntesten Künstler, Mieczysław Fogg, erinnert sich an seine Auftritte: „Der
Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt mit Jungen und Mädchen. Die jungen Männer
präsentierten ihre Gewehre oder Maschinenpistolen, und an ihren Gürteln hingen Granaten.
Wieviele Sänger auf der Welt haben schon so ein Publikum?”
28. Das Lubliner Polen
Als in Warschau der Aufstand losbricht, beginnt in Lublin die Regierungszeit des
Polnischen Komitees zur Nationalen Befreiung (PKWN). Diese von den Sowjets abhängige,
illegale kommunistische Quasi-Regierung führt ihre Geschäfte von Juli bis Dezember 1944
auf dem Territorium der Wojewodschaften Lublin, Białystok und Rzeszów sowie in einem
Teil des Warschauer Gebiets. Die Haltung der thronräuberischen Machthaber gegenüber den
Kämpfen in der Hauptstadt ist eindeutig. Am 20. August lassen sie verlauten: „In der wahren
Absicht seiner Urheber sollte sich der Warschauer Aufstand nicht gegen die Deutschen,
sondern gegen das PKWN, gegen die polnische Demokratie richten, mit dem Ziel, in
Warschau eine Regierung der polnischen Reaktion einzusetzen und diese zur Regierung der
ganzen Nation zu ernennen.”
Diese Resolution bestätigt nicht nur die bisherige Vorgehensweise des PKWN, sondern
zeichnet auch deutlich die Linie des künftigen brutalen Kampfes der Kommunisten vor –
gegen die Ideale des Warschauer Aufstands ebenso wie gegen den Polnischen
Untergrundstaat.
Unter dem Diktat der Sowjetunion betreibt das PKWN mit seinem Vorsitzenden Edward
Osóbka-Morawski vom ersten Regierungstag an eine gegen das demokratische Polen
gerichtete Politik. Am 26. Juli, fünf Tage nach der Einberufung des PKWN, wird in Moskau
ein Abkommen unterzeichnet, dem gemäß sich die polnischen Bürger „in einer Zone
kriegerischer Auseinandersetzungen” befänden und somit der Rechtssprechung der
sowjetischen Militärregierung unterlägen!
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Die Resultate lassen nicht lange auf sich warten: Bald darauf werden Tausende Soldaten
und Funktionsträger des Polnischen Untergrundstaates verhaftet und in die Sowjetunion nach
Ostaschkow, Borowitsche und Rjasan deportiert. Dabei stützen sich die Sowjets auf Listen,
die zuvor von ihrem Geheimdienst angelegt wurden.
Einen Tag nach der Verabschiedung des Abkommens über die gegenseitigen Beziehungen
unterzeichnet die PKWN-Führung ebenfalls in Moskau mit der Sowjetregierung eine geheime
Übereinkunft zum Verlauf der polnisch-sowjetischen Staatsgrenze in Anlehnung an die
sogenannte Curzon-Linie. Ohne jegliche gesellschaftliche Befugnis bestätigt die
selbsternannte Regierung somit den Ribbentrop-Molotow-Pakt und tritt den Sowjets die
Hälfte des Gebiets ab, das vor dem Krieg zu Polen gehörte!
Parallel zu ihrer gegen die polnische Nation gerichtete Politik beginnt die PKWN-Führung
mit Hilfe von NKWD und SMIERSZ die „Volksherrschaft” in den besetzten Gebieten zu
konsolidieren. Nach dem Einmarsch der Roten Armee behalten viele Orte aus der deutschen
Besatzungszeit, an denen polnische Bürger gefoltert wurden, ihre bisherige Funktion. Das
Lubliner Schloß, bis Juli 1944 ein Gefängnis für verschärfte Haft unter deutscher Aufsicht, ist
dafür ein markantes Beispiel. Im August wechseln nur die Henker, das Schloß hingegen bleibt
eine Haftanstalt – von jetzt an eine kommunistische. Selbst die Gefangenen bleiben dieselben:
Bis April 1945 sterben hier über 100 Offiziere und Soldaten der Heimatarmee aus dem Raum
Lublin. Trotz ihrer breit angelegten Verschleppungs- und Verfolgungsaktionen bauen die
Machtaneigner ihren Propaganda-Apparat weiter aus. Zum wichtigsten Sprachrohr des
PKWN wird die von Jerzy Borejsza zum Zweck der Agitation für Partei und System
gegründete Tageszeitung „Rzeczpospolita”. Zur gleichen Zeit erscheinen an den
Häuserwänden Botschaften ans Volk sowie Plakate, auf denen ein „Riese und der bespuckte
Zwerg der Heimatarmee-Reaktionäre” abgebildet sind, wobei den Riesen ein
kommunistischer Soldat der polnischen Armee darstellt. Ein weiteres Plakat lautet:
„Heimatarmee – Brudermörder”.
Die kommunistischen Abtrünnigen versuchen, Normalität vorzutäuschen – sie eröffnen
Eisenbahnlinien, feiern den Beginn des neuen Schuljahres und erteilen sogar der Katholischen
Universität Lublin die Erlaubnis, ihren Lehrbetrieb wieder aufzunehmen, als „Gegengewicht”
zur „linientreuen” Maria Curie-Skłodowska-Universität, einer neuen Hochschule, die erst
kürzlich auf Betreiben des PKWN in der vorläufigen Hauptstadt gegründet wurde.
Bis 1989 werden die Tatsachen über die Arbeit des PKWN ebenso eifrig verfälscht wie die
Wahrheit über den Warschauer Aufstand und die Schicksale Hunderttausender ehrbarer
Polen. Als außerordentlich wirksame Waffe der kommunistischen Propaganda erweist sich
die in den sechziger Jahren nach einem Drehbuch von Janusz Przymanowski – dem Literaten
in Uniform – gedrehte Fernsehserie „Czterej pancerni i pies” („Vier Panzerfahrer und ein
Hund”), die das historische Bewußtsein der jungen Generationen in den Folgejahrzehnten
entscheidend prägt. Die Serie zeigt eine präparierte kommunistische Geschichtsversion des
Zweiten Weltkriegs, beschränkt auf die Kämpfe der Berling-Armee und der „Volksmacht” an
der Seite gutwilliger Soldaten (Sołdat lautet auch die verächtliche Bezeichnung für den
sowjetischen Soldaten). Der Autor lässt in seinem Drehbuch den Polnischen Untergrundstaat,
die Heimatarmee und die polnische Exilregierung außer Acht und benennt nicht die
Hintergründe für die hohe Anzahl von Polen in den Tiefen Russlands. Er verschweigt auch
die besonderen Umstände, unter denen sich das Drama am linken Weichselufer Warschaus
zugetragen hat.
29. Die Berling-Truppen
Im Mai 1943 formiert sich in der Sowjetunion auf Initiative Stalins die 1. TadeuszKościuszko-Infanteriedivision unter dem Befehl von Oberst Zygmunt Berling, der später zum
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Brigadegeneral aufsteigt. Die Nachricht von der Aufstellung einer polnischen Einheit zieht
von überallher Freiwillige an. Dabei handelt es sich vorwiegend um Polen, die von 1939-41
aus den polnischen Ostgebieten in die Sowjetunion verschleppt und dort in Gefängnisse und
Lager gesperrt wurden. Die neue Armee ist für sie praktisch die einzige Chance, der
sowjetischen Hölle zu entkommen und zurück in die Heimat zu gelangen. Die Soldaten der
Berling-Division tragen polnische Uniformen und Kokarden in Form des polnischen Adlers.
Hier gibt es sogar einen polnischen Seelsorger – Franciszek Kubsz – der von einer
sowjetischen Partisanin entführt und über verschlungene Wege nach Sielc verbracht wurde.
Leider besteht der gesamte Offiziersstab nur aus sowjetischen Offizieren.
Ihre Feuertaufe erlebt die Division mit hohen Verlusten am 12. und 13. Oktober 1943 in
der Schlacht bei Lenino. Ein knappes Jahr darauf stehen ihre polnischen Soldaten aus der 1.
Armee der Polnischen Streitkräfte schon an der Weichsel.
Der Ausbruch der Kämpfe in Warschau im August 1944 beunruhigt Stalin. Es ist dem
sowjetischen Diktator klar, dass der Aufstand nicht nur der politischen Absicht dient, die
Stärke der Heimatarmee zu demonstrieren, sondern zum Ziel hat, aus eigener Kraft die
polnische Hauptstadt freizukämpfen und die Macht im vom Okkupanten befreiten Land zu
übernehmen. Aller Wahrscheinlichkeit nach beschließt er, es nicht dazu kommen zu lassen. Er
läßt die Offensive im Westen stoppen und dafür verstärkt den Balkan angreifen. Am 8.
August lehnt er einen von Militärs ausgearbeiteten Plan zur Einnahme Warschaus ab und
wartet stattdessen 5 Wochen auf den Zusammenbruch der Stadt. Die anfangs vermutete
schnelle Niederlage der Aufständischen bewahrheitet sich jedoch nicht – die Kämpfe in
Warschau dauern an. Es kann nur angenommen werden, dass sich Stalin nicht des Vorwurfs
der Tatenlosigkeit aussetzen wollte, als er Anfang September eine begenzte Offensive gegen
Warschau befiehlt. Der Angriff wird ausgeführt von Truppenteilen der 1. Weissrussischen
Front.
Die Kämpfe um Praga, den Stadtteil rechtsseits der Weichsel, beginnen am 10. September.
Trotz des verbissenen Widerstands der Deutschen ist Praga am 15. September befreit. Es gibt
nun kein Hindernis mehr, den aufständischen Einheiten auf direktem Wege zu helfen.
General Berling weiß, dass seine Truppen nicht in der Lage sind, selbständig auf das linke
Weichselufer überzusetzen. Dennoch gibt er den Befehl, weiter vorzurücken – allerdings mit
Hilfe der Warschauer Kämpfer. Als Strafe für diese Entscheidung wird ihm bald darauf die
Truppenführung entzogen.
In den Tagen der Flußüberquerung errichten die polnischen Truppen drei Brückenköpfe
am linken Weichselufer: in Czerniaków, Żoliborz und zwischen der Poniatowski- und
Średnicowy-Brücke. Am längsten dauern die Kämpfe am Czerniakowski-Brückenkopf, wo
sich zwei Bataillone der 3. Infanterie-Division mit den Verbänden der Aufständischen
zusammenschließen. Die Deutschen werfen ihnen gewaltige Kräfte entgegen. Ohne ArtillerieUnterstützung ist die Zerschlagung der polnischen Verbände nur noch eine Frage der Zeit.
30. 108 Gesegnete
Für die Aufständler und Warschauer Zivilisten stellen die Tage des Kampfes manchmal
eine besondere Prüfung dar – ins heldenhafte Aufbegehren schleichen sich auch Augenblicke
des Zweifels, des Entsetzens und der Ratlosigkeit. Dem Grauen des Krieges, der Hilflosigkeit
des Geistes und dem Leid stellen sich die Geistlichen entgegen, die die Kämpfer seit den
ersten Aufstandstagen als Kaplane begleiten und den Zivilisten mit beispiellosem Mut Schutz
gewähren. In Powiśle bleibt der Dominikaner-Priester Jan Czartoryski, genannt „Vater
Michał”, als Kaplan der Gruppierung „Konrad” bis zum Schluß in der Nähe der Verletzten,
die alle zusammen am 6. September während des deutschen Überfalls auf das Krankenhaus
erschossen werden. Der Kaplan der Gruppierung „Kryska”, Józef „Rudy” Stanek, muss
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seinen Verhandlungsversuch mit dem Ziel, die in Czerniaków überlebenden Zivilisten und
Aufständischen zu retten, mit dem Leben bezahlen. Er wird von deutschen Soldaten ermordet.
Beide Priester werden 1999 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen und finden Einzug in
den Kreis der geistlichen Märtyrer Polens – 108 Gesegnete, die von den Gläubigen verehrt
werden. Seit 2004 ist Priester Stanek der Schutzheilige der Kapelle des Museums des
Warschauer Aufstands.
31. Kampffahrzeuge im Aufstand
Der Mangel an Waffen ist seit den ersten Momenten des Aufstands das größte Problem der
polnischen Verbände. Einige können dem Feind abgenommen werden, andere wurden im
Rahmen der Hilfsflüge über Warschau abgeworfen. Die meisten jedoch stellen die
Aufständischen in ihren eigenen Werkstätten her, wo sie ihre konspirative Arbeit fortsetzen,
die sie schon während der Okkupation begonnen haben. Zum Waffenaufgebot der
Aufständischen gehören auch Kampffahrzeuge – erbeutete oder selbst hergestellte. Auf dem
Hof des Postgebäudes reparieren sie einen „Chwat” („Draufgänger”) genannten Panzerwagen.
Zwei von den Soldaten des Bataillons „Zośka” erbeutete Panzer des Typs „Panther” kommen
in einigen Kampfaktionen zum Einsatz. Während zweier Angriffe auf die Universität finden
die Aufständischen Deckung im „Szary Wilk” („Grauen Wolf”), einem zuvor „Jaś” genannten
gepanzerten Transporter, den Soldaten der Heimatarmee-Gruppierung „Krybar” dem Feind
entreissen konnten. In dieser Aktion kommt auch der mit Stahlplatten verkleidete
Kampfwagen „Kubuś” zur Anwendung, den eine Gruppe von „Krybar” -Technikern auf das
Fahrgestell eines Lastwagens der Marke Chevrolet montierten. Der in Powiśle geborgene
„Kubuś” ist im Muzeum Wojska Polskiego (Polnischen Militärmuseum) ausgestellt, für das
Museum des Warschauer Aufstands wurde jedoch eine Nachbildung konstruiert.
32. Stalin, Wasilewska, Mikołajczyk
Am 30. Juli 1944 reist der Premierminister der polnischen Exilregierung, Stanisław
Mikołajczyk, nach Moskau. In einer Unterredung im Kreml am 3. August informiert er Stalin
in über den Beginn des Warschauer Aufstands und bittet um Hilfe. Stalin legt sich auf keinen
eindeutigen Standpunkt fest und wirft der Heimatarmee vor, sich im bisherigen Kampf gegen
die Deutschen nicht genügend eingesetzt zu haben. In einem zweiten Gespräch am 9. August
bittet der polnische Premier Stalin, die Aufständischen unverzüglich mit Waffen zu beliefern.
Daraufhin kündigt Stalin Hilfe an, was sich jedoch bald darauf als leeres Versprechen erweist.
Beifall für seine Haltung erhält Stalin von den restlichen ihm zu Diensten stehenden
polnischen Kommunisten, die sich im Schutz sowjetischer Bajonette bereitmachen, die Macht
in den von der Roten Armee besetzten polnischen Gebieten zu übernehmen. Die
Repräsentantin dieser Gruppe, Wanda Wasilewska, behauptet in ihrem Gespräch mit Premier
Mikołajczyk, dass es in Warschau überhaupt keine Kämpfe gäbe. Diese Unterredung erfolgt
am 6. August 1944, als sich der Großteil der Stadt mit seinem höchsten Gebäude, dem
Prudential sowie dem Kraftwerk und der Hauptpost bereits seit einigen Tagen in der Hand der
Aufständischen befindet. Der polnische Radiosender „Burza” strahlt täglich seine Meldungen
aus und die Pfadfinder-Feldpost hat auch schon ihren Betrieb aufgenommen.
33. Nachrichtenübermittlung
Während der Vorbereitungen auf den Aufstand wird besondern Wert auf die Herstellung
einer leistungfähigen Nachrichtenübermittlung gelegt. Fernmelde-Fachleute werden
ausgebildet, die Technik herangeschafft und detaillierte Pläne entwickelt. Die ersten
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Kampftage zeigen jedoch bereits, wie verschwindend gering die Erfolge der
Nachrichtenabteilungen sind, gemessen am riesigen Aufwand der Vorbereitung. Teilweise
versagen die Geräte, außerdem zerstören die deutschen Verbände viele Nachrichtenbunker
und Schaltstellen. In dieser Situation kann die Verbindung in fast ganz Warschau nur durch
den opfervollen Einsatz der jungen Boten und Meldegängerinnen aufrecht erhalten werden,
die durch die schützenden Wände der Barrikaden hindurchschlüpfen oder sich durch die
Kanäle zwängen, um die von der Frontlinie abgeschnittenen Stadtteilen zu erreichen.
Den Kontakt innerhalb der einzelnen Kampfgebiete sichern das fortlaufend reparierte
Telefonnetz, Radiosender, Boten und manchmal spezielle Offiziers-Wachtrupps. Das
sicherste Verbindungsmedium zwischen den Aufstandsverbänden untereinander ist allerdings
der Rundfunk, der über eine Relaisstation in Großbritannien aufrechterhalten wird. Auf dem
Höhepunkt seiner Nutzung werden auf diesem Wege hundert und mehr Meldungen am Tag
gesendet.
34. Der Rundfunksender
Die Rundfunkstation des Büros für Information und Propaganda „Błyskawica” soll
planmäßig mit Beginn der Kämpfe in Dienst gestellt werden. Leider erreichen die Kisten mit
den Geräten nach dem Transport durchnässt ihren Bestimmungsort, wodurch sich die
Inbetriebnahme des Senders verzögert. Da mit einer raschen Reparatur nicht zu rechnen ist,
richten die „Błyskawica”-Fernmeldetechniker eilig einen Ersatzsender ein. Nach der
Eroberung des Hauptpostgebäudes am 3. August geht die 18-Watt-Rundfunkstation „Burza”
ans Netz, die von Włodzimierz Markowski, einem passionierten Funkamateur, in nur knapp
einem Tag konstruiert wurde. In seiner ersten 20minütigen Sendung versorgt „Burza” London
mit Informationen über den Ausbruch des Aufstands in der polnischen Hauptstadt und gibt
Hilfsappelle und ausgewählte Beiträge aus dem „Biuletyn Informacyjny” des Büros für
Information und Propaganda an seine Hörer weiter. Nach vielen Jahren wird „Burza” von
seinem Erfinder und einer Gruppe Konstrukteure für das Museum des Warschauer Aufstands
nachgebaut.
Wenn wir das Fernmeldezimmer betreten, können wir den Sender „Burza” – gesichert in
einem Schaukasten – bewundern. Auf dem Tisch wiederum steht der berühmteste
Aufstandssender „Błyskawica”. Antoni „Biegły” Zębik, einer der Konstrukteure des Senders,
begann im Februar 2004 nach fast sechzig Jahren gemeinsam mit seiner Technikergruppe mit
dem Bau einer Nachbildung. Zum 60. Jahrestag der Inbetriebnahme des Originals strahlt
„Błyskawica” wieder Meldungen aus dem Aufstand aus.
Während des Warschauer Aufstands sendet „Błyskawica” erstmals am 8. August aus dem
PKO-Gebäude im Stadtzentrum. Der eine Raum beherbergt Radiostation und Verstärker, im
anderen ist das mit Teppichen ausgelegte Studio untergebracht. Der geringe Widerhall und
eine gute Isolation gegen den Lärm von draußen ermöglichen gute Sendebedingungen.
Programme werden vom 8. August bis 4. Oktober fast täglich ausgestrahlt, die Sendedauer
hängt immer vom Umfang des vorbereiteten Materials ab. Die ausführlichsten Programme
laufen im August. Auf dem Sendeplan stehen aktuelle Tagesmeldungen mit Nachrichten aus
der Welt, aus Polen und aus der kämpfenden Stadt, eine Presseschau und ein Kulturprogramm
mit Musik und Gedichten aus dem Aufstand. Ab 9. August wird „Błyskawica” auch vom
staatlichen polnischen Rundfunk genutzt. „Błyskawica” wechselt oft den Sendeort, zu ersehen
auf dem Stadtplan am Eingang.
Die letzte Sendung während des Aufstands schickt der technische Leiter, Jan
„Grzegorzewicz” Georgica am 4. Oktober um 19.20 Uhr in den Äther. 10 Minuten dauert der
Beitrag, an dem „Grzegorzewicz” unter anderem über die Tätigkeit der Rundfunkstation
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berichtet. Zum Abschluß lässt er noch einmal die Warschauer Hymne, die „Warszawianka”
erklingen, dann zerstört er die Station.
35. Feldpost
Wir befinden uns hier in einem Raum, der der Feldpost gewidmet ist, einer enorm
wichtigen Einrichtung während des Warschauer Aufstands. Unter den Ausstellungsstücken
finden Sie originale Briefmarken, Stempel und Armbinden der Pfadfinderpost sowie einen
von zwei in Polen erhalten gebliebenen Aufstands-Briefkästen, den ein Kampfteilnehmer dem
Museum gestiftet hat. Noch heute kann man Schußspuren auf dem Kasten erkennen.
In den ersten Augusttagen schaffen es die Aufständischen kaum, befestigte feindliche
Stellungen zurückzuerobern. Den dort postierten deutschen Wachtrupps gelingt es, die
Kommunikation zwischen den aufständischen Enklaven ebenso wirksam zu behindern, wie
die Nachrichtenübermittlung zwischen den über die ganze Stadt verstreuten Familien. Bald
jedoch stellt ein Heer von Boten und Meldegängern des Pfadfinderverbands „Graue Reihen”
und Pfadfinderinnen der „Pfadfinder-Bereitschaft” eine sichere Verbindung her.
Die Pfadfinder-Feldpost nimmt am 4. August ihren Dienst auf. Die Hauptpost liegt in der
Świętokrzyska-Straße, direkt am Hauptquartier der „Grauen Reihen”, dem „Bienenstock”
(„Pasieka”). Schon bald hat fast die ganze Stadt eine funktionstüchtige Post. Es werden noch
acht weitere Postämter eingerichtet und 40 Briefkästen aufgestellt. Die durch die Pfadfinder
zugestellten Briefe dürfen nicht mehr als 25 Wörter enthalten. Alle Briefe werden zensiert,
damit keine kriegswichtigen Informationen durchsickern, für den Fall, dass die Post in die
Hände des Gegners gerät. Die Zustellung erfolgt kostenlos, aber freiwillige Spenden in Form
von Büchern, Verbandsmaterial und Lebensmitteln für die verletzten Aufständischen sind
gern gesehen. Täglich werden drei- bis sechstausend Briefsendungen zugestellt. Unter dem
Einsatz seines Lebens befördert jeder junge Postbote Tag für Tag mehrere Dutzend Briefe.
Mancher findet dabei den Tod, obwohl ihre Vorgesetzten um jeden Preis versuchen, sie vor
dem Schlimmsten zu bewahren. Als Symbol für die Opferbereitschaft dieser jüngsten
Soldaten gilt der sechzehnjährige Kamerad Zbigniew „Banan” Banaś, der am 17. August
beim Austragen von Post in Powiśle von einer Kugel tödlich getroffen wurde.
Die Feldpost erfüllt eine ungeheuer wichtige gesellschaftliche Funktion: Durch sie können
sich die voneinander getrennten Menschen verständigen, Informationen zukommen lassen
und sich dadurch auch gegenseitig beruhigen. Die Post aus den Händen der jungen Briefträger
muntert viele Menschen auf und hilft ihnen dabei, die schwersten Momente zu überstehen.
36. Die Kämpfe im September
Nach dem Fall der Altstadt und der Evakuierung der Gruppierung „Północ” können die
Aufständischen ihre Stellungen in der Innenstadt, in Powiśle, Czerniaków, Mokotów,
Żoliborz und im westlich von Warschau gelegenen Kampinoska-Wald halten. Dabei
verteidigen sie vor allem die strategisch wichtigen Punkte an der Weichsel. Die Deutschen
befürchten eine sowjetische Offensive vom gegenüberliegenden Flußufer, weshalb sie
versuchen, in die an der Weichsel gelegenen Stadtteile Powiśle und Czerniaków vorzustoßen.
Die Polen zählen weiter auf eine Unterstützung aus dem Osten, und obwohl sie wesentlich
schlechter bewaffnet sind, bemühen sie sich, ihre Positionen um jeden Preis zu halten.
Sinnbildlich für das Verharren an einer Stellung ist die sogenannte verhärtete Front, eine
Linie polnischer Befestigungen in der nördlichen Innenstadt, die sich vom Postbahnhof in der
Żelazna-Straße über den Gleisen der Durchgangsbahn über die Towarowa- und Grzybowskabis hin zur Królewska-Straße zieht. Am 9. September heißt es im „Biuletyn Informacyjny”,
einer der Aufstands-Zeitungen: „Die Soldaten dieses Abschnitts erweisen der kämpfenden
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Hauptstadt mit ihrer heldenhaften Haltung einen sehr bedeutenden Dienst: Indem sie die
intensivsten Schläge des Gegners auf ihrer Brust vereinen, kommen sie einem Schutzschild
für die übrigen Stadtteile gleich, sogar für die abgelegenen, weit außerhalb ihrer Positionen.”
Trotz der gewaltigen Entschlossenheit der Verteidiger zerschlagen die Deutschen mit ihrer
erdrückenden Übermacht systematisch die Punkte des polnischen Widerstands. Am Abend
des 5. September müssen die Aufständischen nach Ausschöpfung sämtlicher
Munitionsbestände das Kraftwerks-Gebäude räumen, das schon am Tag darauf nach einem
Massen-Bombardement keine Energie mehr liefert. Durch den Stromausfall verschlechtert
sich die Situation der Stadtbewohner und der Heimatarmee-Soldaten dramatisch. Bereits am
6. September fällt Powiśle, so dass die feindlichen Truppen die Macht im nördlichen Teil der
Innenstadt übernehmen können. Ohne Aussicht auf Hilfe von außen und angesichts der
katastrophalen Lage seiner Kämpfer bevollmächtigt das Aufstands-Kommando das Polnische
Rote Kreuz, Verhandlungen über die teilweise Evakuierung der Bevölkerung aus der
Innenstadt aufzunehmen. Daraufhin können am 8. und 9. September während eines
Waffenstillstands etwa 8000 Menschen die Stadt verlassen. Zur gleichen Zeit kommt es am 9.
September zu ersten Kontakten zwischen Abgesandten des Heimatarmee-Hauptquartiers und
der deutschen Seite, die den Beginn von Kapitulationsgesprächen vorschlägt. In Anbetracht
der Entwicklungen auf der rechten Weichselseite – die Truppen der 1. Weissrussischen Front
starten ihre Operation im Stadtteil Praga – versucht die Heimatarmee-Führung die
Verhandlungen zu verschleppen. Am 11. September bringt sie die Gespräche schließlich ganz
zum Abbruch. Die Deutschen konzentrieren sich nunmehr darauf, eine Front am westlichen
Weichselufer aufzubauen. Am 21. September bringt die Truppenlandung der 1. Armee der
Polnischen Streitkräfte auf der Kępa Potocka die deutsche Offensive zum Stehen. Am 23.
September fällt der Czerniakowski-Brückenkopf. Der Feind beginnt daraufhin, den Ring um
die drei noch kämpfenden aufständischen Hochburgen enger zusammenzuziehen: Żoliborz
aus Richtung Norden, die Innenstadt und Czerniaków von Süden her. Nach der Einnahme von
Czerniaków wird Mokotów zum Hauptziel der Angriffe. Von Tag zu Tag müssen die
Aufständischen weitere Teile des Stadtgebiets preisgeben. Am 26. September beginnt die
dramatische Evakuierung der Aufstands-Verbände aus dem Stadtteil Mokotów, der
schließlich am 27. September gegen Mittag kapituliert. An demselben Tag startet der Feind
nach knapp einwöchiger Vorbereitung seine Operation „Sternschnuppe” zur Liquidierung der
Gruppierung „Kampinos”. Zwei Tage später zerschlagen die Deutschen die „Kampinos”Verbände in der Schlacht bei Jaktorów. Żoliborz kapituliert am 30. September – bloß die
Innenstadt wehrt sich noch gegen die Angreifer...
37. Die Gedenkstätte
Im Verlauf der Tage wird das aufständische Warschau zu einer Stadt der Gräber. Anfangs
nehmen die Bürger feierlich von den Gefallenen Abschied und begraben sie in Parks,
Hinterhöfen, Vorgärten oder in Nähe der kleinen Kapellen. Die Kampfentwicklung bringt es
mit sich, dass die Straßen, Plätze, Gehwege und sogar die Trümmer der zerbombten Häuser
bald mit Kreuzen übersät sind. Der Tod ist immer öfter ein anonymer, zumal die Leichen zur
Vermeidung von Seuchen schnell begraben werden. Nur in den Krankenhausfriedhöfen findet
noch eine Registrierung der Getöteten statt. Die Toten werden in Bettlaken gewickelt, bevor
eine dicht verschlossene Flasche mit den persönlichen Daten an eine ihrer Gliedmaßen
gebunden wird. Historiker schätzen die Zahl der während der zweimonatigen Kämpfe
getöteten und vermissten polnischen Soldaten auf etwa 18000, circa 25000 werden verletzt.
Zu den Opfern gehören auch etwa 180000 Zivilisten, die während der Kämpfe fielen oder
ermordet wurden.
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An dieser symbolischen Gedenkstätte sehen Sie die Gesichter von 100 Aufständischen, die
beim Kampf um Warschau fielen. Strahlende, lebensfrohe Menschen – eine der besten
Generationen der polnischen Geschichte. Tausende von ihnen hat der Krieg für immer
verschluckt...
Das Andenken an diejenigen, die während der Kämpfe in den Straßen Warschaus gefallen
sind, ist bis zum heutigen Tag lebendig. Auf zahlreichen Warschauer Hinterhöfen stehen
kleine Kapellen. Hier trafen sich die Menschen während des Aufstands zum Feiern der
Heiligen Messe und zum gemeinsamen Gebet. An rund 400 Hinrichtungsstätten erinnern
Gedenktafeln an die Ermordeten. Dutzende Tafeln und Denkmäler geben Hinweise auf die
Stadtbezirke, in denen die aufständischen Gruppierungen und Verbände ihre Kämpfe
austrugen – Orte der Huldigung, an denen die Menschen alljährlich am 1. August – dem Tag,
an dem der Aufstand losbrach – Blumen niederlegen und Grablichter aufstellen. Pfadfinder
und Militär halten Ehrenwachen.
38. Die Deutschen
Der Kampfauftakt im August 1944 in der polnischen Hauptstadt bedeutet nicht nur eine
enorme Bedrohung für die deutsche 9. Armee, die gegen die Rote Armee um den mittleren
Weichselabschnitt kämpft, über den der kürzeste Weg nach Berlin führt; er bedroht auch die
Stabilität der gesamten Ostfront. Warschau ist in diesen Tagen der wichtigste
Verkehrsknotenpunkt, in dem Tag und Nacht Tonnen von Versorgungsgütern und Nachschub
für die Ostfront umgeschlagen werden. Die Warschauer Garnison zählt nicht mehr als 20000
Soldaten und ist damit nicht groß genug, um den Aufstand wirksam zu befrieden. Die
Deutschen brauchen Hilfe von außen, um „mit Warschau fertig zu werden, bevor die
Bolschewiken kommen.”
Die ersten deutschen Verbände treffen schon am 3. und 4. August in der Stadt ein und
verstärken nach und nach die Einheiten der Korpsgruppe von General Erich von dem Bach, in
der auf ihrem Gipfelpunkt fast 50000 Soldaten dienen. Die Wehrmacht wird unterstützt von
Polizeikräften, der SS und Kollaborationstruppen bestehend aus Russen, Ukrainern, Letten,
Litauern, Aserbaidschanern und Ungarn. Letztere standen den Aufständischen durchaus
wohlwollend gegenüber. Der deutsche Stab wirft alle möglichen kriegstechnischen Mittel in
den Kampf, z. B. moderne 380-mm-Mörserraketen, Abschußrampen für mit Brand- und
Sprengbomben bestückte Raketen, die von den Warschauern wegen ihrer Laute „Kühe” oder
auch „Schränke” genannt werden. Mit über 1400 Kampfeinsätzen in zwei Monaten hatte die
deutsche Luftwaffe sowohl an der Bekämpfung der Aufstandstruppen als auch an der
Zerstörung Warschaus wesentlichen Anteil. Die machtvollste Waffe zur Zerschlagung des
polnischen Widerstands ist jedoch der 600-kalibrige von den Polen „Ziu” genannte
selbstfahrende Granatenwerfer Karl Mörser 040, dessen Geschosse problemlos einen
mehrstöckigen Wohnblock zerstören. Aufständische und Zivilisten werden ohne Unterschied
äußerst effektiv von den „Taubenzüchter” genannten deutschen Scharfschützen terrorisiert,
die mit zielgenauen Karabinern wie diesem hier im Schaukasten das Leben auf den
Warschauer Straßen auslöschen.
Trotz der riesigen feindlichen Übermacht leisten die Aufständischen über 63 Tage lang
heldenhaften Widerstand, in denen sie den Deutschen hohe Verluste zufügen. Wenn man die
Kämpfe in Warschau mit anderen Schlachten des Zweiten Weltkriegs vergleicht, so fällt auf,
dass sich die schlecht bewaffneten Aufständler fast doppelt solange halten konnten, wie die
perfekt ausgerüsteten französischen Truppen 1940 in der Champagne. Kriegshistoriker
vergleichen den Warschauer Aufstand mit den Kämpfen um Stalingrad oder Berlin, denn die
deutschen Verluste im Jahr 1944 in der polnischen Hauptstadt belaufen sich nach einem
Rapport von Erich von dem Bach auf 10000 Getötete und 7000 Vermisste. 15000 Soldaten
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erlitten Verletzungen. Höhere Opferzahlen haben die Deutschen nur noch an der Ostfront zu
beklagen...
An einem zentralen Punkt des Saales haben wir ein ungewöhnliches Dokument jener Tage
ausgestellt: ein Tagebuch, das der damals achtjährige Jerzy Arct während des Aufstands
schrieb. Es dokumentiert in vollem Umfang das tägliche Leben eines Kindes im
Schußwechsel der Kriegsgegner. Die letzten schon nach Kriegsende verfassten Worte: „Aber
die Barbarei der Deutschen dürfen wir nicht vergessen. Niemals! Niemals!” sind eine
bewegende Mahnung für die kommenden Generationen...
Bevor wir den Weg durch unsere Ausstellung fortsetzen, möchten wir Sie noch gerne auf
die deutschen Kriegsabzeichen aufmerksam machen, die wir Ihnen ebenfalls in diesem Raum
zeigen. Sie wurden deutschen Soldaten verliehen, die sich beim Überfall auf Polen im
September 1939 besonders verdient gemacht haben. Das von einem Durchschuß beschädigte
bronzene Kreuz mit Schwertern – dem Museum von einem früheren Aufständischen zur
Verfügung gestellt – trug zuvor stolz ein SS-Mann, bevor er Jahre später während des
Kampfes um das PAST-Gebäude von einer Kugel tödlich getroffen wird. Die Geschichte
zieht ihre Kreise...
39. Ausländer im Aufstand
Schulter an Schulter mit den Polen beteiligen sich Kämpfer zahlreicher anderer Nationen
am Warschauer Aufstand. Unter dem Motto „für Eure und unsere Freiheit” schließen sie sich
mit Beginn der Rebellion den polnischen Kampfgruppen an – Ausländer, die vor dem Krieg
in Warschau gewohnt haben, aus den Gefangenenlagern entflohene Soldaten, geflohene
Zwangsarbeiter aus dem Reichsgebiet ebenso wie deutsche Deserteure und Soldaten der
Roten Armee. Die meisten auf polnischer Seite kämpfenden Ausländer stammen aus der
Slowakei, aus Ungarn und Frankreich. Auch einige wenige belgische, niederländische,
griechische, britische und italienische Waffenbrüder sowie ein Rumäne und ein Australier
unterstützen den Freiheitskampf in Warschau.
Kontakte zwischen den Slowaken und dem polnischen Untergund werden recht früh –
schon während der Okkupation – hergestellt und durch den späteren Anführer des Aufstands,
Leutnant Mirosław „Stanko” Iringh, aufrechterhalten. Die ständige Zusammenarbeit der
Slowaken mit dem Polnischen Untergrundstaat beginnt Mitte des Jahres 1942, als in
Warschau das konspirative Slowakische Nationale Komitee gegründet wurde. Ein Jahr später
stellt die Komiteeleitung eine militärische Teileinheit auf, die formal der Heimatarmee
untersteht und mit ihr durch ein Gelöbnis bis zum Ende des Kriegs gegen Deutschland
verbunden ist. Der 535. Selbständige Slowakische Zug, in dem auch Georgier, Armenier,
Aserbaidschaner, Tschechen und Ukrainer kämpfen, wird den Einheiten des 5. Bezirks der
Heimatarmee zugeteilt. Der Zug ist unter anderem an den Angriffen auf die Belvedere, die
Landeswirtschaftsbank und auf die Kirche an der Łazienkowska-Straße beteiligt und
verteidigt als Teil der Gruppierung „Kryska” Stellungen in Czerniaków.
Die Slowaken dürfen als die einzigen im Aufstand kämpfenden Ausländer ihr eigenes
Banner und Armbinden in ihren Nationalfarben tragen. Das dreifarbige Banner des
slowakischen Zugs ist eine der wenigen erhalten gebliebenen Originalfahnen aus dem
Aufstand.
Auch die Mehrheit der 348 Juden aus dem deutschen Konzentrationslager in der GęsiaStraße schließen sich dem Aufstand an, nachdem sie vom Bataillon „Zośka” befreit wurden.
50 der überwiegend aus Griechenland, den Niederlanden, Deutschland und Ungarn
stammenden jüdischen Häftlinge werden in die Verbände der Gruppierung „Radosław”
eingegliedert, die übrigen treten den Hilfstruppen bei, die für den Transport von
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Verwundeten, Feuerlöscharbeiten und für die Herstellung bzw. die Beförderung von Waffen
verantwortlich ist.
Ein deutliches Wohlwollen gegenüber den Aufständischen lassen die ungarischen
Einheiten erkennen, die von den Deutschen zur Niederwerfung des Aufstands herbeigeholt
wurden. Die Ungarn beabsichtigen jedoch nicht, gegen die Aufständischen zu kämpfen. In der
zweiten Augusthälfte alarmiert einer der Offiziere aus dem ungarischen Regiment, der zur
Befriedung des Kampinoska-Waldes ausgesandt wurde, das polnische Kommando: „Sie
schicken uns, also müssen wir gehen, aber schlagen wollen wir uns mit den Polen nicht. Wir
gehen nur durch den Wald hindurch, und wenn sie uns nicht herausfordern, dann wollen wir
nichts gesehen haben.”
40. Die „Großen Drei”
Ab 1943, nach den Siegen bei Stalingrad und Kursk, drängt die Rote Armee gen Westen.
Mit jedem Tag kann die Sowjetunion ihre Position auf der internationalen Bühne immer mehr
festigen. Ende November/Anfang Dezember 1943 treffen sich die Oberhäupter der drei
Großmächte – Winston Churchill, Franklin Delano Roosevelt und Josef Stalin – in Teheran.
Entgegen den Vereinbarungen der zwei Jahre zuvor unterzeichneten Atlantischen Charta
beschließen die sogenannten „Großen Drei” ohne das Wissen der anderen Nationen,
Gespräche über eine neue Weltordnung aufzunehmen. Weil die Amerikaner und Briten ihr
Versprechen, eine Westfront zu bilden, nicht einlösen können, sind sie zu weit gehenden
Zugeständnissen bereit. Stalin ist sich der schwierigen Lage seiner Verbündeten bewußt und
nutzt sie gekonnt aus. Er zwingt sie dazu, die polnisch-sowjetische Grenze entlang der
veränderten „Curzon-Linie” anzuerkennen und lässt sich damit die territorialen Eroberungen
ab dem 17. September 1939 nach dem gewaltsamen Einmarsch der Roten Armee in Polen
bestätigen. Die polnische Exilregierung ist weder auf der Konferenz vertreten, noch wird sie
über die Vereinbarungen informiert, die die polnischen Angelegenheiten betreffen. Die
„Großen Drei” verabreden Stillschweigen über ihre Beschlüsse, was sowohl für das Schicksal
des Warschauer Aufstands als auch für die Nachkriegsgeschichte Polens nicht ohne Folgen
bleibt...
Knapp ein Jahr nach der Konferenz der „Großen Drei” brechen in Warschau die Kämpfe
aus. Die polnische Regierung kennt die Teheraner Abmachungen nicht, mit denen Polen de
facto in den sowjetischen Einflußbereich gedrängt wird, deshalb rechnet sie mit einer starken
Unterstützung des Westens. Obwohl sie weiß, dass Stalin kein Anhänger eines freien Polens
ist, geht sie davon aus, unter dem Druck seiner Verbündeten würde er es sich nicht erlauben,
Warschau seinem Schicksal zu überlassen. Diese Rechnung geht jedoch nicht auf. Am
zwölften Kampftag erklärt Stalin, der Warschauer Aufstand sei ein unvernünftiger,
schrecklicher Krawall, den die Sowjetunion kategorisch ablehne. Von dieser Zeit an
erscheinen in den sowjetischen Medien Beiträge, die den Kampfeinsatz der Heimatarmee in
Warschau verurteilen und das polnische Kommando verleumden.
Den Westalliierten fehlt der politische Wille, von den Sowjets Hilfe für den Aufstand zu
verlangen. Vorrang für die westlichen Diplomaten hat die Unterhaltung guter Beziehungen zu
Stalin um beinahe jeden Preis. In ihren Bemühungen, die Verbündeten zu einem wirksamen
Vorgehen aufzufordern, bleibt die polnische Regierung erfolglos. Zwar versucht Churchill,
Roosevelt dazu zu bewegen, den Sowjets ein wenig entschlossener entgegenzutreten; der
amerikanische Präsident ignoriert jedoch dieses Ansinnen, und Churchills Position selbst ist
zu schwach.
Auch die westlichen Gesellschaften lassen eine entschlossene Unterstützung für die
polnische Sache vermissen. Zwar spart die englische und amerikanische Presse nicht mit Lob
für die Tapferkeit der Polen, geht aber heiklen Fragen aus dem Weg. Die linke Presse geht mit
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den Aufständischen sogar kritisch ins Gericht: Die Blätter „Daily Herald” und „Daily
Worker” bedienen sich der sowjetischen Rhetorik, indem sie über einen von „Faschisten” und
„Reaktionären” gelenkten „Warschauer Krawall” schreiben. Kaum jemand im Westen kennt
die tatsächlichen Gründe für Warschaus tragische Lage. Es gibt nur wenige Stimmen wie die
George Orwells in einem Beitrag für die „Tribune” aus Anlass des 5. Jahrestag des
Kriegsausbruchs, in dem er mutig mit der Feigheit der westlichen Öffentlichkeit, Medien und
Regierenden ins Gericht geht.
41. Der Tod einer Stadt
Viermal wurde Warschau im Zweiten Weltkrieg zerstört. Das erste Mal in den Tagen der
deutschen Belagerung während der Septemberaktion 1939, als Bombenangriffe viele Gebäude
erheblich beschädigten. Ein zweites Mal nach der Niederschlagung des Aufstands im Getto,
das die Deutschen nach seiner Liquidierung abreißen und somit das gesamte bisherige
jüdische Stadtviertel vernichten. Das dritte Mal durch schweren Artillerie-Beschuß und
Bombenangriffe auf die polnischen Stellungen während des Warschauer Aufstands und
schließlich das vierte Mal, als die Deutschen die polnische Hauptstadt nach dem gescheiterten
Aufstand planmäßig dem Erdboden gleichmachen. Etwa 83 Prozent der städtischen
Bebauung, fast das gesamte kulturelle Erbe der Hauptstadt – der intellektuelle Mittelpunkt
Polens – fällt den deutschen Zerstörungen zum Opfer.
Seit den ersten Aufstandstagen wüten in Warschau Brände, die sich rasch ausbreiten. Der
Einsatz zehntausender Menschen kann nicht verhindern, dass Haus für Haus als rauchendes
Trümmerfeld endet. Systematischer deutscher Artilleriebeschuß und Fliegerbomben legen
weitere Häuser in Schutt und Asche, viele historische Kirchen und Klöster der Hauptstadt
werden stark zerstört. Kleine Schlösser verwandeln sich in Ruinen: der Krasiński-,
Ossoliński-, Kazimierzowski- und Czartoryski-Palast sowie viele andere. Zu Schaden
kommen vor allem die Baudenkmäler der Altstadt, die von den eingeschlossenen
Aufständischen der Gruppe „Północ” unter dem Befehl von Oberst Karol „Wachnowski”
Ziemski fast 3 Wochen hartnäckig verteidigt wird. Der altstädtische Marktplatz ist fast restlos
abgebrannt, die Mauern des Königsschlosses und der Heiligen Johannes-Kathedrale stehen
nicht mehr. Nicht wieder gutzumachende Schäden entstehen in den Warschauer Archiven und
Bibliotheken. In manchen Archiven gehen 70 bis 100 Prozent der Bestände in Flammen auf.
Nach der Kapitulation der Aufständischen ist Warschau selbst nach Einstellung der
Kämpfe und der Vertreibung der Zivilbevölkerung noch immer erfüllt vom Gedröhn der
Explosionen und dem erschauernden Krachen einstürzender Häuserwände. Die Deutschen
plündern, wo sie können; innerhalb weniger Monate verlassen etwa 45000 Eisenbahnwagen
voll beladen mit Materialgütern die Stadt in Richtung Deutsches Reich. Nicht nur Maschinen
und Möbel werden abgefahren, sondern auch Laternen, Kabel, Bordsteine – alles, was
irgendwie zu gebrauchen ist. Nur das, was sich nicht fortschaffen lässt, zerstören die
Deutschen penibel und planmäßig: stehen gebliebene oder bereits beschädigte Bauwerke –
Haus für Haus, Kirchen, Paläste, öffentliche Gebäude, Fabriken, Gleisanlagen, Straßen,
Überführungen und Bahnhöfe. Langsam stirbt die Stadt. Sogar der Herbstregen und der rauhe
Winter vermögen die brennenden Trümmer nicht zu löschen. Skrupellos verfolgen die
Deutschen ihr Ziel – die polnische Kultur nicht nur zu zerstören, sondern auch jede ihrer
Spuren zu verwischen.
Die am gegenüberliegenden Weichselufer stationierten Sowjettruppen unternehmen nichts,
um die Deutschen an ihrem Zerstörungswerk zu hindern. Was die Politik gegenüber Polen
betrifft, so stimmen die Ziele der beiden Todfeinde – Hitler und Stalin – zum wiederholten
Mal überein. Dem sowjetischen Diktator kommt die Auslöschung der „bourgeoisen”
nationalen Elite und die Tilgung aller Spuren des Vorkriegs-Warschau sehr gelegen. Denn
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jetzt kann er die polnische Hauptstadt nach seinen eigenen realsozialistischen städtebaulichen
Visionen wiedererrichten, die in seinem „Geschenk” an das polnische Volk im Stadtzentrum
zum Ausdruck kommen: dem Kulturpalast, dem Symbol der sowjetischen Vorherrschaft.
Das Ausmaß der Zerstörung Warschaus veranschaulichen die Arbeitsergebnisse einer im
Jahr 2004 vom Warschauer Stadtpräsidenten Lech Kaczyński beauftragten Kommission unter
dem Vorsitz von Prof. Wojciech Fałkowski zur Errechnung der Kriegsverluste. Erste
Gutachten beziffern die materiellen Verluste Warschaus auf 45 Milliarden 300 Millionen USDollar.
42. Die Kapitulation
Nachdem sich Mokotów am 27. und Żoliborz am 30. September ergeben hatten,
entschließt sich das Hauptkommando der Heimatarmee in Absprache mit dem
Bevollmächtigten der polnischen Regierung für das besetzte Land, Vizepremier Jan Stanisław
„Sobol” Jankowski, angesichts der hoffnungslosen Lage zu Kapitulationsgesprächen. Am 1.
Oktober schreibt General Tadeusz „Bor” Komorowski in einer Depesche an die polnische
Exilregierung in London: „Eine Fortsetzung des Kampfes in Warschau hat keinen Sinn mehr.
Ich habe beschlossen, ihn zu beenden. Die Kapitulationsbedingungen garantieren den
Soldaten ihre vollständige kriegsrechtliche Anerkennung und der Zivilbevölkerung eine
humanitäre Behandlung”.
Am 2. Oktober unterzeichnen die Vertreter des Heimatarmee-Hauptkommandos Oberst
Kazimierz „Heller” Iranek-Osmecki und Oberstleutnant Zygmunt „Zyndram” Dobrowolski
im Quartier von General Erich von dem Bach in Ożarów bei Warschau einen Vertrag über die
Einstellung der Kriegshandlungen. Demzufolge müssen die Aufständischen die Waffen
niederlegen und sich in geschlossenen Mannschaften, gemeinsam mit ihren Anführern, aus
Warschau fortbegeben. Auch die gesamte Zivilbevölkerung muss die Stadt verlassen.
43. Exodus
Die ersten Tage im Oktober 1944 stehen unter dem Zeichen des Massenexodus der
Warschauer Zivilbevölkerung. Die Deutschen bringen die Vertriebenen in sogenannten
Durchgangslagern unter. Das größte von ihnen ist das „Dulag 121” in Pruszków, das bereits
in der ersten Augustwoche entstand. Bis 10. Oktober durchlaufen es nahezu 550000
Warschauer Bürgerinnen und Bürger und etwa 100000 Einwohner der Warschauer Vororte.
Der Lageraufenthalt dauert in der Regel nicht länger als eine Woche, während derer die
Deutschen „Selektionen” durchführen, die über das weitere Schicksal der festgehaltenen
Menschen entscheiden – den Abtransport ins Generalgouvernement oder ins Reichsgebiet zur
Zwangsarbeit und im schlimmsten Fall die Deportation in eines der Konzentrationslager.
Aus der Innenstadt, die sich in den schweren Kämpfen bis zum Schluß standhaft werte,
begeben sich die ersten Verbände der Aufständischen am 4. Oktober in Gefangenschaft. Am
Tag darauf machen sich die letzten polnischen Einheiten und die Stäbe des Hauptkommandos,
des Abschnittskommandos und des Warschauer Korps der Heimatarmee bereit zum
Abmarsch. Es herrscht bedrückendes Schweigen. Einsam am Straßenrand stehend erweist der
Anführer der Heimatarmee, General Tadeusz „Bor” Komorowski weiteren Verbänden, die die
Gefangenschaft antreten, die Ehre, bevor er sich ihnen in Begleitung des deutschen Majors
Kurt Fischer anschließt, entschlossen, seine Soldaten nicht zu verlassen.
Von Ożarów aus werden die Aufständischen am 6. Oktober in die Gefangenenlager
transportiert. Die zahlenmäßig größte Gruppe durchläuft das Stalag 334 in Lamsdorf bei
Oppeln, das älteste und größte Kriegsgefangenenlager auf dem Gebiet des Deutschen Reichs.
Hier erhalten die Aufständischen Insassen-Kennzeichen, bevor sie auf die Offiziers- und
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Strafgefangenenlager in ganz Deutschland verteilt werden. Die wichtigsten Lager sind auf
einer Landkarte hier in der Ausstellung eingetragen.
Die Aussiedlung der praktisch gesamten Stadtbevölkerung nach dem Aufstand ist ein in
der europäischen Geschichte noch nie dagewesener Vorgang. Man kann hier von einer
industriemäßig angelegten Operation totalitaristischer Machart im großen Maßstab sprechen.
Innerhalb weniger Monate hört eine stattliche Metropole, die Hauptstadt eines großen
europäischen Landes, praktisch auf zu existieren. Nach dem Krieg kehrt nur ein Teil der
Vorkriegsbewohner nach Warschau zurück. Viele lassen sich dort nieder, wo sie das
Schicksal des Kriegs hingeworfen hat, ebenso viele verbleiben in der Emigration.
44. Die Robinsons
Nicht alle jedoch ziehen fort aus der zerstörten Stadt. In den Trümmern bleiben diejenigen
zurück, die Warschau nicht verlassen können oder wollen – überwiegend Juden, die den
sicheren Tod in Kauf nehmen würden, wenn sie sich den deutschen Behörden zeigten. Auf
jedem Schritt droht ihnen tödliche Gefahr. Unter kaum erträglichen Bedingungen, ohne
Nahrung, mit der täglichen Angst, entdeckt zu werden, halten sie sich bis zum Eintreffen der
Roten Armee im Januar 1945 versteckt. Die Schicksale der „Warschauer Robinsons” schildert
überaus treffend der mit 3 Oskars ausgezeichnete Film Der Pianist von Roman Polanski. Er
handelt von dem polnischen Pianisten jüdischer Herkunft Władysław Szpilman, der sich nach
Ende des Warschauer Aufstands einsam in den Ruinen der Stadt verborgen hält.
45. Heiligabend im Lager
Der Transport in die Gefangenenlager vollzieht sich unter furchtbaren Bedingungen. Die in
Viehwaggons gepferchten Menschen fahren stundenlang ins Unbekannte und leiden ebenso
an Hunger und Durst wie unter der Kälte. Vor Ort werden die Polen wie „Untermenschen”
behandelt; schlechter gehen die Deutschen bloß noch mit den Russen um, die,
Zeitzeugenberichten zufolge, die Gefangenschaft unter geradezu unmenschlichen
Bedingungen durchstehen müssen. Trotzdem versuchen die aufständischen Soldaten
durchzuhalten, das baldige Kriegsende herbeihoffend. Kennzeichnend für die tragische
Situation der Polen ist ohne Zweifel der Heilige Abend des Jahres 1944. Es ist das einzige
Christfest, das Warschau in seiner langen Geschichte nicht feiern kann. Alle Vertriebenen
versuchen, diesen Tag gemeinsam zu verbringen, Weihnachtslieder zu singen und das Brot zu
teilen. Für sie ist es der traurigste Heiligabend, fern der Heimat, hinter dem Stacheldraht des
Lagers, ohne die Angehörigen und oftmals ohne eine Nachricht von ihnen. Lidia Wyleżyńska,
eine frühere Meldegängerin aus Żoliborz, inhaftiert im Strafgefangenenlager VI C
Oberlangen, erinnert sich: „Am 24. Dezember kommen wir in unserer Baracke an, und
obwohl die Pakete des Roten Kreuzes zusammen mit uns eintrafen, bekamen wir sie erst am
nächsten Tag. Ein trauriger, hungriger Heiligabend. Wir schlafen zu zweit auf einer Pritsche,
weil es so wärmer ist. Jeden Morgen ringe ich mich zu der heldenhaften Tat durch, in unseren
Baderaum ohne Fensterscheiben zu gehen und mich mit entsetzlich kaltem Wasser zu
waschen.”
Am Lager-Weihnachtstisch können Sie noch weitere Zeitzeugenberichte hören.
Trotz der unmenschlichen Haftbedingungen und der entwürdigenden Behandlung durch
die deutschen Funktionäre durchsteht die Mehrheit der polnischen Gefangenen die Zeit ihrer
Lagerhaft bis zum Tag ihrer Befreiung. Beim Vorrücken in Richtung Berlin öffnen die
alliierten Truppen nacheinander die Tore der auf ihrem Weg liegenden Gefangenenlager. Das
Lager in Oberlangen, in dem die Deutschen 1700 Aufstands-Teilnehmerinnen festhalten, wird
am 12. April 1945 von polnischen Soldaten der 1. Panzerdivision unter dem Befehl von
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General Stanisław Maczek befreit. Ein Teil der freigelassenen Aufständischen tauscht seine
Sträflingskleidung mit einer Uniform und setzt seinen Kampf bis zum Kriegsende fort, andere
lassen sich in einem der freigekämpften westlichen Länder nieder, die Mehrheit kehrt jedoch
nach Polen zurück.
46. Die Aufständischen in der Volksrepublik Polen
Mit offenen Armen empfängt die neue Regierung die Aufständischen in ihrer Heimat
nicht. Die Soldaten der Heimatarmee und die Warschauer Aufstandskämpfer werden im
kommunistisch regierten Polen als „vollgespuckte Zwerge der Reaktion” und Feinde des
„volkspolnischen Vaterlandes” bezeichnet. Dass sie im Kampf für Polen und Warschau ihr
Leben eingesetzt haben, gilt jetzt geradezu als Verbrechen. Es kommt vermehrt zu Schikanen,
Verfolgungen und Morden, gedeckt durch das kommunistische Recht. Über Leben und
Schicksal der Aufständischen entscheidet jetzt das allmächtige Sicherheitsamt. Es ist schwer,
ja fast unmöglich, zu einem normalen Leben zurückzufinden.
Nach Kriegsende, Mitte Juni 1945, findet in Moskau ein von Stalin inszenierter Prozess
gegen sechzehn Anführer des Polnischen Untergrunds statt, die im März desselben Jahres auf
hinterhältige Weise verhaftet wurden. Die Sowjetführung will mit dem „Prozess der
Sechzehn” Umstände herbeiführen, die die Bildung einer von den Sowjets abhängigen
Vorläufigen Regierung der Nationalen Einheit begünstigen, wie es auf der Konferenz der
„Großen Drei” in Jalta im Februar 1945 beschlossen wurde. Ziel der Gerichtsverhandlung ist
es, die Führung des Polnischen Untergrunds und mit ihr alle Polen, die sich der sowjetischen
Vorherrschaft widersetzen, vor den Augen der westlichen Regierungen und Gesellschaften zu
kompromittieren. Dies geschieht unter anderem mit Hilfe falscher Anschuldigungen, in denen
den Angeklagten Kooperation mit den Deutschen vorgeworfen wird...
Es beginnt eine Periode, in der ehemalige Heimatarmee-Soldaten, vor allem Teilnehmer
des Warschauer Aufstands, gebrandmarkt werden. Bei jeder Gelegenheit wettert die
kommunistische Propaganda: „Die Verräter um Sosnkowski und Bor haben Warschau ins
Feuer eines ziellosen Aufstands geworfen”. Bis Mitte der fünfziger Jahre werden die Soldaten
der Heimatarmee verfolgt, sie finden keine Arbeit. Es häufen sich Verhaftungen und
Anklagen wegen Vaterlandsverrat. Vor Gericht stehen viele Soldaten des Bataillons „Zośka”
und der Gruppierung „Radosław”, mit ihrem Anführer Jan Mazurkiewicz an der Spitze, der zu
einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wird. Zahlreiche Soldaten der Heimatarmee
kommen nicht wieder auf freien Fuß. Sie werden auf der Grundlage fingierter Beweise zum
Tode verurteilt oder kommen unter ungeklärten Umständen im Gefängnis ums Leben. So
ergeht es 1946 dem letzten Kommandanten der Heimatarmee, Leopold „Niedźwiadek”
Okulicki, einem Opfer der sowjetischen Gefängnishaft. Der Oberbefehlshaber der
Diversionstruppen des Hauptkommandos der Heimatarmee, General August „Nil” Fieldorf,
wird 1953 erhängt; der Bevollmächtigte der polnischen Regierung für das besetzte Land, Jan
Stanisław „Sobol” Jankowski, stirbt 1953 in einem sowjetischen Gefängnis, zwei Wochen vor
seiner Haftentlassung. Der am Heiligabend des Jahres 1948 verhaftete Jan „Anoda” Rodowicz
wird in der Untersuchungshaft zu Tode gequält, seine Henker bestehen darauf, er habe
Selbstmord begangen. Rittmeister Witold Pilecki „Witold”, als freiwilliger Häftling Initiator
und Organisator einer Widerstandsbewegung im Konzentrationslager Auschwitz, wird 1948
von den kommunistischen Behörden zum Tode durch Kopfschuss verurteilt.
Erst ab 1956 mit der Rückkehr Władysław Gomułkas an die Macht flaut die Kritik am
Aufstand allmählich ab. Nachrangige Teilnehmer, die keine Führungsposition während des
Aufstands innehatten, werden fortan nicht mehr behelligt. Die Regierenden erkennen nämlich,
dass solche Kritik ihrem eigenen Ansehen schaden könnte. Trotzdem geht der Staat weiterhin
argwöhnisch und feindselig mit den Aufständischen um. 1956 genehmigen die Behörden
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erstmals, den Jahrestag des Aufstands auf dem Powązkowski-Friedhof zu begehen, aber
Funktionäre der Staatssicherheit machen während der Feierlichkeiten Fotos, auf denen sie
diejenigen Personen kennzeichnen, die künftig im Mittelpunkt ihres Interesses stehen sollen.
Auf einer Welle der Hoffnung, verbunden mit Gomułkas Regierungsantritt, wendet sich
1957 der frühere Anführer des Warschauer Aufstands, General „Monter” Chruściel in einem
Brief an den polnischen Regierungschef. Darin ersucht er Gomułka, ihm wieder die polnische
Staatsbürgerschaft zuzuerkennen, die ihm die Kommunisten 1946 aberkannten und bittet ihn,
in sein Land zurückkehren zu dürfen. Chruściel erhält keine Antwort, nicht einmal eine
Abage.
47. Johannes Paul II.
Die große Wende, insbesondere im gesellschaftlichen Bewußtsein, vollzieht sich erst Ende
der siebziger/Anfang der achtziger Jahre. Diesen Prozess beschleunigt wesentlich die Wahl
des Polen Karol Wojtyła zum Papst im Jahr 1978. Seine erste Pilgerreise nach Polen wird
zum Impuls einer riesigen gesellschaftlichen Bewegung. Die im Juni 1979 in Warschau
verkündeten päpstlichen Worte „Fürchtet euch nicht” sowie „Dein Geist komme herab und
erneuere das Angesicht der Erde. Dieser Erde!” geben den Polen Kraft und einen ungeheuer
starken Glauben, der ihnen ein Jahr später dazu verhilft, mit der Gründung von „Solidarność”
eine starke Massenbewegung des Widerstands ins Leben zu rufen, die die ganze Gesellschaft
umfasst. Bald darauf entsteht die konspirative, von der staatlichen Zensur unabhängige
Verlagsbewegung des sogenannten „Zweiten Umlaufs”. Ihre im Untergrund gedruckten
Zeitungen informieren die Polen über die wahre Geschichte des Warschauer Aufstands, die
die staatlichen Organe bislang verschwiegen oder verfälschten. Eine Zeit der objektiven
Bewertung und der Wahrheit bricht heran. Die Zeit der nächsten Generation.
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