Wozu brauchen wir Parteien

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Ziegler Max, Präsident SG Buochs
Wozu brauchen wir Parteien?"
Wir könnten viel, wenn wir zusammen stünden!
Der historische Ursprung der Parteien ist für die Politologen rund um den Globus unzweifelhaft
festgestellt. Er geht zurück auf das Gespräch eines Herrn Stauffacher mit einem gewissen Tell,
Willhelm Tell.
Dieses lautete gemäss Aufzeichnungen des Reporters Friedrich Schiller folgendermassen:
Stauffacher: Wir könnten viel, wenn wir zusammen stünden
Tell:
Beim Schiffbruch hilft der Einzelne sich leichter
Stauffacher: So kalt verlässt ihr die gemeine Sache?
Tell:
Ein Jeder zählt nur sicher auf sich selbst
Stauffacher: Verbunden werden auch die Schwachen mächtig
Tell:
Der Starke ist am mächtigsten allein.
Wir wissen: Tell hat sich dann doch noch in die gemeinsame Sache einspannen lassen, als er mit
seiner Armbrust einen Österreicher erschoss. So ist alles gut gekommen, mindestens für die
Eidgenossen.
Dennoch fasziniert die Idee, dass jeder für sich selber der Stärkste sei, die Schweizerinnen und
Schweizer immer noch. Sie wollen nicht in die EU und der grosse Teil von ihnen ist nicht
Parteimitglied. Die Wählerschaft einer Partei ist bei uns sehr viel grösser als die Mitgliedschaft.
Die Überzeugung, selber den Schlüssel für die Probleme dieser Welt zu besitzen, äussert sich dann
etwa in Bürgerbriefen oder Blogbeiträgen:
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Vor kurzem schrieb ein Blogger: "Es wäre doch so einfach. Besteuern Sie, Herr Bundesrat,
das Benzin und alle anderen nicht CO2-neutralen Treibstoffe so hoch, dass Sie damit die
erneuerbaren Energien konkurrenzfähig machen. Wieso machen Sie das nicht einfach?"
Auch zum Problem der Ferienstaus am Gotthard habe ich in einem Bürgerbrief einen
interessanten Lösungsvorschlag erhalten: "Wir kennen in der Schweiz Bergstrassen, welche
nur zu geraden oder ungeraden Stunden befahrbar sind. Und das hat sich ganz gut etabliert.
Man stellt sich darauf ein und wartet in einem Café oder im Auto ganz gelassen, bis man
starten kann, weil man weiss, wann die Strasse geöffnet wird. Weshalb, Herr Bundesrat,
macht man dies nicht auch am Gotthard und dies gerade jetzt in der Klimadiskussion und dem
Klima zuliebe? Meinen Sie nicht auch, dass diese Idee bestechend sei?"
Ziegler Max, Buochs Juni 07
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Sich für eigene Interessen zusammentun
Ideen sind oft bestechend. Ich schlage deshalb jetzt dem österreichischen Verkehrsminister vor, in
den geraden Stunden den Gotthard zu öffnen und in den Ungeraden den Brenner.
Die Umsetzung solcher Ideen gelingt jedoch meist nicht auf Anhieb. Jedenfalls nicht, wenn es einer im
Alleingang versucht - sei er Politiker oder Bürger. Wer etwas erreichen will, braucht Verbündete.
Menschen schliessen sich mit anderen zusammen, weil sie so ihre Interessen besser vertreten
und durchsetzen können.
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Das kann eine Vereinigung von Ladenbesitzern sein, die das Stadtzentrum attraktiv
gestaltet und so gegen Einkaufszentren in der Peripherie antritt. Da ist das gemeinsame Ziel
klar.
Schliessen sich Arbeitgeber oder Arbeitnehmer zu einem Verband oder einer Gewerkschaft
zusammen, ist das Ziel schon weniger eindeutig.
Ein Verband "der Wirtschaft" hat noch mehr Mühe, das gemeinsame Ziel zu finden, denn die
Interessen von Export und Import divergieren, die Ziele von weltweit tätigen
Handelsunternehmen und KMU widersprechen sich oft.
Sich für ein ideelles Anliegen zusammentun,
- um das öffentliche Gewissen zu schärfen
Es gibt Gemeinschaften, die nicht nur ihre Partikulärinteressen vertreten, sondern für ein Ideal
kämpfen. Umweltverbände prangern weltweit die Umweltverschmutzung an.
Menschenrechtsorganisationen kämpfen gegen Armut und Diskriminierung.
Solche Bewegungen haben zwar ein ideelles, aber doch immer nur ein einziges Ziel vor Augen. Sie
wollen auf ihr Anliegen aufmerksam machen und es propagieren.
Sie pflegen ihre Gesinnung, beharren auf ihrem Ziel und überlassen jedoch die Umsetzung den
Verantwortlichen in Parlament und Regierung. Sie können einzig ihre Gesinnung öffentlich
hochhalten, weil sie sich weder um die Durchsetzbarkeit, noch um Kleinigkeiten wie die Finanzierung
oder die Rechtslage kümmern.
Um es nicht bei der reinen Gesinnungspflege bewenden zu lassen, engagieren sich auch ideell
motivierte Gruppierungen in der Verantwortung. Das kann die Arbeit eines Hilfswerkes, einer Mission,
eines WWF's mit konkreten Projekten sein. Diese Arbeit hat auch als Einzelhilfe grosse
gesellschaftliche Bedeutung und ist daher in einem weiteren Sinne auch politisch, jedoch nicht
Parteiarbeit.
Monothematische Parteien
Gewissermassen als Interessenverbände, die ihre eigenen Anliegen auch im Parlament umsetzen
wollen, gibt es monothematische Parteien, die sich nur für ein Thema engagieren:
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In Zürich existiert eine Hundepartei, die sich im Gemeinderat gegen den Leinenzwang und
dafür einsetzen will, dass der Hundekot nicht in Plastiksäckchen eingesammelt werden muss.
Auf nationaler Ebene hat die Autopartei mit dem Slogan "Freiheit" einst Fraktionsstärke
erreicht. Sie kämpfte für die Emanzipation des Automobils. Im Laufe der Arbeit im Parlament
musste sie erkennen, dass das Auto doch auch auf weitere Rahmenbedingungen angewiesen
ist, um sich frei zu entfalten. Deswegen ist sie dann von der Schweizerischen Volkspartei
resorbiert worden.
Ziegler Max, Buochs Juni 07
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Die Haschischpartei hatte als einziges Ziel die Legalisierung von Cannabis. Das hat sie nicht
erreicht und sich deshalb in einer süsslichen Wolke aufgelöst.
Ist die grüne Partei auch monothematisch?
Franz Josef Strauss hat die Bayern seinerzeit gewarnt: "Die Grünen sind wie Tomaten: Zuerst sind sie
grün, dann werden sie rot." Er hatte insofern Recht, als die Übernahme von Verantwortung
tatsächlich die Farbe verändern kann. Aber nicht alle Grünen werden rot. In der Schweiz wurden die
Grünen in den letzten Jahren von einer oppositionellen Umweltschutzbewegung zur Partei, die ihre
Überzeugung umsetzen und im Parlament mitwirken will.
Bei dieser Arbeit entdeckten viele Umweltidealisten kompliziertere gesellschaftliche Zusammenhänge.
Vom reinen Umweltschutz gelangten sie langsam hin zur Nachhaltigkeit, das heisst, sie waren
gezwungen, die Zielkonflikte Umweltschutz, Sozialverträglichkeit und Wirtschaftsverträglichkeit in ihrer
Komplexität anzugehen. I
n einigen Kantonen nehmen die Grünen heute Regierungsverantwortung wahr, weswegen auch die
Parteibasis mit gesellschaftlichen Problemen aus anderen Bereichen konfrontiert wurde. Das hat
prompt zu einer Spaltung in die eher marktwirtschaftlich orientierten Grünliberalen und die eher
linkssozial ausgerichteten Grünen geführt. Beide sind sie heute plurithematische Parteien mit dem
Umweltschutz als ideellem Hintergrund.
Die Volksparteien mit einer Weltanschauung
Auch die heutigen grossen Volksparteien entstanden aus einer ideellen Grundhaltung. Zwei
Wesensmerkmale prägen sie:
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Sie setzen ihre Vorstellungen konkret um und übernehmen dazu Verantwortung in Parlament
und Regierung.
Volksparteien wollen die Gesellschaft gestalten und in allen gesellschaftlichen Bereichen
Einfluss nehmen.
Beides führt automatisch zu Zielkonflikten, Volksparteien müssen zwangsläufig den Ausgleich
zwischen mehreren Zielen suchen, mit anderen Worten, sie pflegen den ethischen Diskurs. Es sind
Parteien, die einer "Weltanschauung" verpflichtet sind, der Aufklärung, der christlichen Moral, dem
Liberalismus, der gesellschaftlichen Solidarität.
Der Ausdruck "Weltanschauung" sagt es schon: Es geht um eine ganzheitliche Anschauung darüber,
welche Stellung der Mensch "in der Welt" hat. Sie machen Vorschläge zur Höhe der Steuerbelastung
ebenso wie zur Frage, welche Investitionen zu finanzieren sind, äussern sich zur Höhe der Renten,
zum Bau von Strassen und zur Deckung der Krankenkosten, zur Gentechnologie, zur Atomkraft und,
was von ebenso grosser Sprengkraft sein kann, zur Länge des Elternurlaubs.
Der zweite Konfliktherd ergibt sich aus dem Willen zur Umsetzung oder aus der Verantwortungsethik.
Zwei Aufgaben sind nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen:
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Die Parteien müssen einerseits "Parteilichkeit" pflegen, also öffentlich kundtun, was ihre
Grundhaltung ist und wie sie diese verwirklichen möchten.
Sie müssen aber auch zum Kompromiss bereit sein, um ihre ideale Vorstellung so gut wie
möglich umzusetzen. Sie gehen eine Koalition ein oder schmieden im Einzelfall eine Lösung
mit Verhandlungspartnern.
Diese beiden Grundaufgaben führen die Parteien zuweilen in grösste Spannungen. In unserer SP
jedenfalls wird stets wieder über den Ausstieg aus der Regierungsverantwortung diskutiert, sobald der
Basis ein Kompromiss zu weit gegangen ist.
Diese Spannungen kennen die NGO nicht.
Ziegler Max, Buochs Juni 07
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Die "Zivilgesellschaft" und die Demokratie
Öffentlichkeit ist nicht identisch mit Politik. Religiöse Gemeinschaften treten in der Öffentlichkeit auf,
Schriftsteller und Künstlerinnen wenden sich an die Öffentlichkeit, karitative Vereinigungen und
Umweltverbände, die ganze Palette der NGO, der Nicht-Regierungs-Organisationen, wirkt öffentlich.
Um diesen Bereich der Öffentlichkeit zu bezeichnen, benützen sie gern den Begriff der
Zivilgesellschaft.
Für eine freiheitliche Gesellschaft ist wichtig, dass sich der Bereich der Öffentlichkeit und der Bereich
der Politik nicht decken. Dazu müssen die Parteien auf Bewegungen hören, welche Anliegen der
Gleichstellung, des Umweltschutzes, der Friedensarbeit, der Grundrechte, usw. aufnehmen. Die
ideellen Verbände nehmen gerade wegen ihrer Monothematik Entwicklungen wahr und machen auf
ein Problem, eine Ungerechtigkeit oder auf einen Skandal aufmerksam, einseitig und unausgewogen
zwar, aber eben doch sensibel. Oder sie haben als Erste eine gute Idee für die Lösung eines
Problems, wie die Alpeninitiative mit der Alpentransitbörse. Das ist die nötige Funktion von NGO.
Was aber ist die Funktion der so genannten Zivilgesellschaft?
Kofi Annan sagte sinngemäss:
"…Informationstechnologien haben es der Zivilgesellschaft ermöglicht, auf der ganzen Welt die wahre
Hüterin der Demokratie zu sein. Unterdrücker können sich nicht mehr hinter ihren Staatsgrenzen
verschanzen. Eine starke Zivilgesellschaft, die über alle Grenzen hinweg mit modernen
Kommunikationsmitteln verbunden ist, wird das nicht mehr zulassen."
Damit wird der Zivilgesellschaft eine politische Funktion zuerkannt: Sie überwache den schon
erreichten politischen Status quo und solle gesellschaftliche Konflikte unter Kontrolle haben. Die
Macht der Zivilgesellschaft sei eine Kontrollmacht, sie sei der Wachtturm für die Demokratie und zwar
auf der globalen Ebene. Aus der Sicht der europäischen Demokratien muss ich dieser Funktion der
Zivilgesellschaft widersprechen, vorab aus zwei Gründen:
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Wohl bezeichnen sich die NGO in ihrer Gesamtheit als Zivilgesellschaft. Doch es formiert und
formuliert sich die Gesamtheit der "Zivilgesellschaft" in Tat und Wahrheit gar nie. Es ist immer
ein einziger Verband (allenfalls mehrere gleich gesinnte Verbände, wenn es um ein
bestimmtes Thema geht), der sich flugs zu "der Zivilgesellschaft" erklärt. Die Diskussion um
die Konflikte zwischen den oft widersprüchlichen gesellschaftlichen Zielen findet also in dieser
"Zivilgesellschaft" gar nicht erst statt.
Zum Zweiten beschränkt sich diese "Zivilgesellschaft", so sie denn überhaupt existiert, auf die
Pflege der Gesinnung, nimmt jedoch keine Umsetzungsverantwortung wahr. Das ist ein
grosser Unterschied zur Gesellschaft der Citoyennes und Citoyens, wie sie die Aufklärung als
gestaltende Bürgerschaft versteht.
Daran ändert auch der Einfluss, den NGO auf das politische Geschehen pflegen, nichts. Parlament
und Parteien durch öffentliche Positionsbezüge und Lobbying zu beeinflussen, ist etwas anderes, als
die Verantwortung der Umsetzung auch tatsächlich selber wahrzunehmen. Vertreter von NGO
drängen zwar darauf, an UNO-Umweltkongressen in die offiziellen Delegationen aufgenommen zu
werden und an deren Sitzungen teil zu nehmen. Dennoch lassen sie sich in die dort erarbeiteten
Beschlüsse später nicht einbinden.
Der Umstand, von der Umsetzungsverantwortung entbunden zu sein oder sich mit ihr gar nicht erst
näher einzulassen, führt dann zur Vermessenheit, Politik im Allgemeinen und die Parteien im
Speziellen als Parteifilz mit faulen Kompromissen, mit Mauschelei, ja mit Korruption und Bestechung
gleichzusetzen, womit man sich nicht beschmutzen will.
Diese Einstellung ist zumindest in einer Demokratie unakzeptabel. Die Zivilgesellschaft, die als
mahnendes Gewissen auftritt, sich jedoch nicht praktisch an der Umsetzung beteiligen will,
widerspricht dem Grundgedanken der Demokratie, wonach jeder verpflichtet ist, sich an den
Geschäften des Staates zu beteiligen und Mitverantwortung zu tragen. Wir binden ja die einzelnen
NGO auch ein, indem wir sie konsultieren oder ihnen wie im Umweltbereich ein Beschwerderecht
einräumen. Sich als Inkarnation der lauteren Wahrheit zu verstehen, die im Gegensatz zu allen
Ziegler Max, Buochs Juni 07
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Parlamenten und Regierungen nicht die Flecken des Kompromisses, die Verwerflichkeit der Macht
und damit, so wird ja suggeriert, die Schuld der Korruption trägt, mag in Diktaturen seine Berechtigung
haben. Die Ethik der Demokratie gebietet hingegen den Einsatz aller Bürgerinnen und Bürger und
entbindet sie nicht von der Verantwortung. Sie können sich nicht auf dem Plüschsofa der Gesinnung
räkeln und sich die Hände in Unschuld waschen. Der Ausdruck Zivilgesellschaft hat in der Demokratie
schlicht und einfach keinen Platz, denn die Demokratie will die Zivilgesellschaft sein. Allerdings keine
Zivilgesellschaft der besseren Gesinnung, sondern eine Gesellschaft der Verantwortung.
Warum es politische Parteien braucht
Politische Parteien haben nicht nur die Funktion, die Gemeinschaft mit zu organisieren, also die Politik
im engeren Sinne zu gestalten. Sie nehmen all die öffentlichen Funktionen der NGO ebenso wahr und
sie haben auch weitere gesellschaftliche Bedeutung.
Motive, in eine Partei einzutreten
Wir treten einer Partei nicht nur bei, um ein Anliegen effizient umsetzen zu können, sondern auch, weil
wir mit Gleichgesinnten zusammen sein wollen. Wir pflegen das Zusammengehörigkeitsgefühl,
suchen Freundschaften, manche streben sogar einen Familienersatz an. Deswegen kennen Parteien
auch Familiendramen. In Frankreich kam es zur Scheidung eines Paares, das nicht einmal verheiratet
war. Was bei religiösen oder sportlichen Vereinen ein Motiv ist, ist auch bei Parteien ein Beitrittsgrund.
Deswegen führen Parteien gesellige Anlässe durch, die SVP organisiert Puurezmorge (Frühstücke
nach Bauernart) und die Gartenpartei lädt zu garden partys ein.
Die Mitarbeit in einer Partei schafft ein Wir-Gefühl und stiftet Identität. Es heisst nicht vergeblich: Die
Menschen wollen Partei ergreifen, was soviel heisst, wie, zu etwas stehen, sich zu anderen
Mitmenschen oder zu einer Überzeugung bekennen. Das führt automatisch auch zu Abgrenzungen
gegenüber "den anderen". Die Roten gegen die Blauen, die Gelben gegen die Schwarzen. Es gab
früher ganze Täler in der Schweiz, wo es nur eine Partei gab. Sofort bildeten sich Untergruppen, die
sich untereinander erbittert bekämpften. Abgrenzung gehört zur Identität. Parteien sind also auch
dazu da, die Parteilichkeit zu pflegen, sich unter einer gemeinsamen Farbe zu finden. Als meine
Schwiegermutter ihrer Familie in der Steiermark meine Heirat verkündete, hat sie meine
hervorragenden Eigenschaften als Ehemann mit einem kurzen Satz angepriesen: " Es ist ein Roter."
Ihre Schwester ist allerdings eine "Schwarze", hat mich aber dennoch mit der Antwort akzeptiert: "Bei
einem Schweizer ist das nicht so schlimm."
Die Farbenlehre der politischen Parteien führt zu Glaubensbekenntnissen und birgt die Gefahr, nur
den Glauben an die eigene Idee gelten zu lassen. Nur wer den echten "Glauben" hat, ist ein echtes
Parteimitglied. Abweichler werden als Abtrünnige exkommuniziert. Vor kurzem schlossen die
französischen Sozialisten den jetzigen Aussenminister Kouchner aus, weil er in der Regierung
Sarkozy Verantwortung übernehmen will.
Motive, eine Partei zu wählen
Verbände, die den richtigen Glauben pflegen, sind in der Tat Orientierungshilfen, Fixsterne für
Menschen, die auf komplizierte politische Fragen nicht selber eine Antwort finden. Sie sind im Sinne
des Wortes Parteianhänger. Dabei orientieren wir uns aber keineswegs immer am Parteiprogramm.
Das Motiv kann ganz generell eine Opposition gegen die "Regierenden" sein. Das kann dazu führen,
prinzipiell der Opposition die Stimme zu geben. Das geschieht oft vollkommen unabhängig davon,
welche Inhalte eine Partei tatsächlich vertritt, einzig aus einem Gefühl der Benachteiligung: Wir da
unten gegen die da oben. In der Schweiz stimmten die Arbeiter solange für die Sozialdemokraten, wie
diese klar in der Opposition waren. Als sie den Marsch durch die Institutionen geschafft hatten und
genau das, was sie versprachen, umzusetzen begannen, wechselten viele zur rechtskonservativen
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Volkspartei, weil diese - obwohl sie auch in der Regierung vertreten ist - am lautesten gegen die
"classe politique" wetterte. Verbindender als die Inhalte ist oft die gesellschaftliche Position.
Es gibt auch das Gegenteil: Bei Wählern, die sich nicht als benachteiligt sehen wollen (selbst wenn sie
es sind), ist zu beobachten: Sie wählen die Siegerpartei, sie schliessen sich den Erfolgreichen an.
In der Schweiz wird heute bei Wahlen zunehmend panachiert, d.h. es wird nicht eine vollständige
Parteiliste in die Urne gelegt, sondern wild unter den Kandidaten der verschiedenen Parteien
kombiniert. Wählerinnen und Wähler bilden sich ihre eigene Meinung über die Kandidierenden und
folgen bei der Stimmabgabe nicht mehr einer Partei.
Ganz allgemein nehmen Parteibindungen ab. Vor wenigen Wochen entschied sich der Kanton Glarus,
Österreich zu folgen. Die Stimmberechtigten haben an einer öffentlichen Versammlung das
Stimmrechtsalter von 18 auf 16 herabgesetzt. Es ist kein Zufall, dass ein solcher Entscheid an einer
Landsgemeinde fiel, wo jeder sein Anliegen den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern direkt darlegen
kann. Da spielte es keine Rolle, dass der Anstoss von den Jungsozialisten kam, auch wenn die
Mehrheit der Stimmenden in diesem Bergkanton nicht jung und schon gar nicht sozialistisch ist. Was
zählte, war die Kraft der Überzeugung und die Bereitschaft, einen Vorschlag unabhängig von
Parteibindungen zu überdenken.
Politikern und damit auch den Parteien wird heute wenig Glaubwürdigkeit attestiert, noch weniger
haben nur Journalisten.
Stattdessen orientieren sich Menschen an Idolen, mit denen sie sich identifizieren. Das sind
gelegentlich Schauspieler, Showmaster oder Fernsehsprecher, die als Meinungsmacher auftreten
können. Die amerikanische Talkmasterin Oprah Winfrey ist nicht nur die reichste Frau der USA, es
wird ihr auch der grösste gesellschaftliche Einfluss auf die Nation zugeschrieben.
Kleine helvetische Nabelschau
Besonderheiten der Parteien in einem Land mit verschiedenen Sprachen und Kulturen
Man spricht nicht vergebens von einer Parteienlandschaft. Die Geographie, die sozialen, sprachlichen
und kulturellen Eigenheiten eines Landes prägen die Parteien mehr, als dass die Parteien die Länder
und ihre Menschen prägen würden.
Sprachliche und kulturelle Elemente, die Zugehörigkeit zu einem urbanen oder ländlichen Umfeld
spielen in vielen politischen Fragen eine mindestens ebenso grosse Rolle wie die Parteizugehörigkeit.
Darüber, welche Rolle dem Staat zukommt, scheiden sich die Geister entlang der Sprachgrenze,
unserem Röstigraben, mehr als entlang den Parteilinien. In der französischen Schweiz ist der Glaube
an einen starken Staat über die Parteigrenzen hinweg viel stärker verankert als in der
Deutschschweiz. Ebenso war die französische Schweiz praktisch geschlossen für den Beitritt zum
EWR, in der Deutschschweiz überwogen die Skeptiker.
In Belgien vertritt keine Partei alle Sprachgruppen, die Parteien sind entweder frankophon oder
flämisch. Anders in der Schweiz: alle grossen Parteien sind in allen Landesteilen vertreten. Keine
vertritt nur eine Sprachgruppe und damit eine einzige Kultur. Dies bedeutet, dass die Unterschiede
innerhalb der Parteien auszuhalten sind.
Besonderheiten der Parteien in einer direkten Demokratie
In der direkten Demokratie kann jedes Gesetz einer Volksabstimmung unterbreitet werden. Die
Stimmbürger können jederzeit die Oppositionsrolle selber übernehmen und die Notbremse
ziehen.
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Die Regierung kann laufend zurückgepfiffen werden; radikale Veränderungen bei den Wahlen
drängen sich da gar nicht auf.
Deswegen bemühen sich Regierung und Parlament, ein Gesetz "referendumstauglich"
auszugestalten, nämlich so, dass kein Referendum ergriffen wird oder, wenn das doch der Fall sein
sollte, das Gesetz in der Volksabstimmung Zustimmung findet.
Dies führt zu einem steten Schielen auf die Volksmeinung.
Wahlen in der Schweiz sind deshalb kaum Regierungswahlen.
Parteien müssen vor den Wahlen nicht ihre künftige Regierungspolitik darlegen. Sie können ihre
Idealpositionen definieren. Schweizerische Parteiprogramme tendieren deshalb zu viel radikaleren
Positionen als in unseren Nachbarländern. Noch heute hat die Sozialdemokratische Partei der
Schweiz "die Überwindung des Kapitalismus" im Parteiprogramm.
Weil sich in der Schweiz kein Mehrheits- und Oppositionssystem bilden kann, regieren die Parteien
nie allein. Die Parteien nutzen selber auch die Volksrechte. Sie lancieren Initiativen und Referenden
und positionieren sich bei jeder einzelnen Sachabstimmung. Sie wahren sich also jederzeit ihre
Unabhängigkeit von der Regierung, obwohl sie darin vertreten sind. Auch die NGO können das und
das dürfte der Grund sein, dass Greenpeace bei uns nicht dieselbe Rolle spielt wie in anderen
Ländern. Man sagt sich, die können ja ein Referendum ergreifen, statt sich immer nur anzuketten. Das
führt dazu, dass die vier Regierungsparteien auch keine Koalition bilden. Der Bundesrat wird vom
Parlament zwar nach einer Zauberformel gewählt.
Jede grössere Partei soll in der Regierung nach Massgabe ihrer parlamentarischen Sitzstärke
vertreten sein. Aber weder die Parteien noch die Regierungsmitglieder einigen sich auf ein
Regierungsprogramm. Dennoch vertreten die Mitglieder der Regierung die getroffenen Entscheide
nach aussen geschlossen, auch gegenüber ihren eigenen Parteien.
Ohne diese zumindest äusserliche Geschlossenheit liessen sich Volksabstimmungen kaum gewinnen.
Scharnierstelle zwischen den oft radikalen Parteipositionen und den tatsächlichen Beschlüssen in der
Regierung ist also das eigene Regierungsmitglied. An ihm liegt es, den Anliegen der eigenen Partei in
der Regierung Gehör zu verschaffen und gleichzeitig seiner Partei zu erklären, weshalb es einem
Kompromiss zugestimmt hat und ihn mitträgt.
Wie herrlich muss demgegenüber die Regierungsarbeit in einer Koalition sein. Es gibt den
Koalitionsvertrag, auf den man verweisen kann, keinerlei Interpretationsschwierigkeiten, ein Leben in
Minne und Effizienz….
Im Vergleich zu Parteien in einer repräsentativen Demokratie
So wie in der direkten Demokratie auf die Referendumstauglichkeit einer Vorlage geschielt wird, so
schielen die Parteien in der repräsentativen Demokratie auf die Mitte.
In Europa teilen sich zunehmend zwei grosse Parteien die politische Macht. In der Regel stellt
diejenige Partei mit den meisten Stimmen den Präsidenten oder Kanzler (ausser in den USA). Wer die
Regierungsmacht erhält, entscheiden die Stimmen der Mitte. Um sie buhlen die Parteien in ihren
Programmen. Das kann im Wahlkampf zu einer Angleichung der Positionen führen, die die Parteien
nur noch in wenigen Grundsatzfragen unterscheidbar macht. Es führt auch oft zu Pattsituationen mit
zwei annähernd gleich starken Parteien. Und wenn sie sich dann zu einer grossen Koalition
zusammenschliessen, tun sie das als vormalige politische Gegner. Das Ringen um Lösungen findet in
der Öffentlichkeit statt und es ist nicht leicht, die gefundenen Kompromisse zu erklären. Aber es ist
eben die Folge der Verantwortung, einer Verantwortung, welche Parteien übernehmen und
übernehmen müssen.
Ziegler Max, Buochs Juni 07
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Die Kraft zu erneuern
Eine demokratische Gesellschaft braucht den Wettbewerb der Ideen darüber, wie wir sie gestalten
wollen. Dazu braucht es Menschen, die ihre Ideen aufgrund ihrer Weltanschauung formulieren, sie
entwickeln und sich dazu mit anderen zusammen tun.
Das führt zu Parteilichkeit, nämlich dazu, zur eigenen Überzeugung zu stehen und für sie zu kämpfen.
Diese Parteilichkeit nehmen freilich andere ebenso wahr und das ist gut so. Partei kommt von pars,
Teil. Keine Partei hat die alleinige Wahrheit für sich gepachtet. Ein Wettbewerb der "Teile", also der
Parteien und ihrer Ideen ist Voraussetzung für die Erneuerung in der Demokratie. Deswegen ist es
nicht begrüssenswert, wenn sich Parteien im Kampf um "die Mitte" einander bis zur Unkenntlichkeit
annähern. Eine Einheitspartei ist ein Widerspruch in sich selbst. Mit anderen Worten, eine Demokratie
braucht politische Vielfalt und den Wettstreit der Ideen.
Die Verantwortung wird erst wahrgenommen, wenn die Parteien versuchen, ihre Überzeugung auch
umzusetzen. Dazu sind sie in einer Demokratie auf den Kompromiss angewiesen. Der Kompromiss
und die Kompromissverhandlungen können gestalterisch genutzt werden, um wieder neue
Erkenntnisse zu gewinnen. Das gelingt nur, wenn beide Seiten bereit sind, sich mit neuen und
ungewohnten Ideen, mit fremden Erfahrungen, mit anderen Denkarten und Perspektiven
auseinanderzusetzen, sie aufzunehmen und für die Gemeinschaft fruchtbar zu machen, sie nicht in
einem Parteiapparat zu ersticken und ihnen den Zugang nicht mit parteichinesischer Besserwisserei
zu versperren .
Diese schwierige und anspruchsvolle Arbeit legt die vielfältigen Kräfte frei, die in einer Demokratie
schlummern.
Um sie zu wecken und für die öffentliche Sache zu nutzen, braucht es die Parteien .
Zusammenfassung aus einen Eingangsreferat vom Schweizer Referent zu einer Diskussion mit der
ÖVP in Wien, 25. Juni 2007
Ziegler Max,
6374 Buochs
Ziegler Max, Buochs Juni 07
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