Rattenfraß Es war einer der letzten Frühlingstage. Anfang Juni und das Wetter zeigte sich nach tagelangem Hochsommerwetter wieder als unbeständig und regnerisch. Feiner, dünner Nieselregen fiel. Die Straßen schienen kaum nass zu werden, aber das täuschte. Meine Freizeitjacke, ein Blouson aus leichtem Seidenstoff war in der letzten halben Stunde, die ich hier in dem Torbogen gegenüber dem Lagerhaus stand, vollständig durchgeweicht. Die Kälte des Torpfeilers, gegen den ich lehnte, drang in meinen Rücken und mich fröstelte. Ich stand erst seit dreißig Minuten hier, aber wenn es schlecht lief, musste ich noch weiterhin Stunde um Stunde hier verbringen. Meine Laune sank auf den Nullpunkt. Ich fluchte innerlich vor mich hin. Wie schon häufig in der letzten Zeit. Anstatt meinem erlernten Beruf nachzugehen, drückte ich mich tage- und nächtelang in zugigen, nassen und schmutzigen Torbogen herum, um die vermuteten Drogenund Menschenhändleraktivitäten eines Baukonzerns, oder besser gesagt, die illegalen Tätigkeiten eines derer Manager zu beweisen. Ich fluchte weiter, und malte mir die Konstruktion eines ganz neuen Schiffes aus, das ich stattdessen lieber hätte bauen sollen. Meine Fantasien, von der Zeichnung der Pläne bis zum endgültigen Bau, waren innerhalb der nächsten Stunden meine einzige Beschäftigung. Während ich immer nasser wurde, und meine Laune immer schlechter, hatte sich gegenüber, weder vor dem Lagerhaus, noch darin, soweit ich es beobachten konnte, noch sonst irgendwo in meinem Gesichtsfeld etwas gerührt. Wenn man von dem Rattenpärchen auf der anderen Straßenseite absah, das unter der Rampenzufahrt zu dem Lagerhaus rege hin- und herhuschte und immer wieder zu Paarungsversuchen ansetzte, absah. Aber das Rattenweibchen hatte offensichtlich Migräne und verbat sich die Annährung des Männchens mit heftigen Bissen. Sie verschwanden immer wieder um die Ecke des 5 Hauses, wo sich die Laderampe fortsetzte. Erst als ich bemerkte, dass das Rattenpärchen dort nicht allein war, sondern dass geradezu eine Rattenversammlung dort stattfand, wurde ich neugierig. Ich musste über die Straße durch den Lichtschein der nächsten Straßenlaterne, die in etwa hundert Metern Entfernung am nächsten Lagerhaus befestigt war. Die Einfahrt zwischen den beiden Lagerhäusern lag damit in trüben, gelblichen Licht, das sich auf den regennassen Basaltsteinen der Pflasterung spiegelte. Ich musste meine Deckung, die ich so mühsam gefunden hatte, aufgeben. Aber wenn ich den Grund der Rattenansammlung erforschen wollte, hatte ich keine andere Wahl. Ich wusste, dass ich die ganze Mission gefährden könnte, wenn ich jetzt entdeckt werden würde, aber meine Neugierde war stärker. Ich huschte über die Straße und bückte mich an der Ecke des Lagerhauses unter die Laderampe. Die Ratten hatten sich gestört gefühlt und waren auseinander gestoben als ich mich näherte. Ich ließ meine Taschenlampe kurz aufblitzen um sehen zu können, warum sich die Viecher hier herumgetrieben hatten und die Lampe wäre fast meinen Händen entglitten, als ich den Grund der Rattenaktivitäten erspähte. Direkt an der Hauswand, am äußeren Ende der Laderampe lag ein Bündel oder auch möglicherweise zwei. Das konnte ich so schnell nicht feststellen. Erst als ich die Lampe auf Dauerbetrieb schaltete und tief gebückt halb unter die Rampe kroch, konnte ich es erkennen: Zwei, inzwischen angenagte Leichen lagen übereinander in der Ecke und schrecklicher Gestank schlug mir entgegen. Den hatte ich vorher bei der Annäherung nicht bemerkt, denn der Wind wehte durch die Stichstraße in meinem Rücken von mir weg in Richtung Hafenbecken, das ungefähr siebzig Meter von dem Rampenende anfing. Ich war zurückgeschreckt, hatte mich wieder aufgerichtet und nach meinem Handy gegriffen. Ich rief die Mordkommission über die direkte Durchwahlnummer an und hatte das Glück sofort den 6 Einsatzleiter ans Telefon zu bekommen. Sie hatten am heutigen Abend schon einen Einsatz im Bahnhofsviertel gehabt, weil ein betrunkener Mann mit einem Messer auf eine Prostituierte losgegangen war und sie erheblich verletzt hatte. Kommissar Waldtmann sagte zu, sofort ein Team zu schicken und ließ mich den Fundort nochmals genau beschreiben, bevor er auflegte. Bis die Herrschaften kamen, musste ich mir noch eine glaubwürdige Ausrede einfallen lassen, warum ich mich hier in der Gegend herumgetrieben hatte, ohne ihnen meinen Auftrag zu verraten. Wenn sie dahinter kommen würden, in welcher Sache wir ermittelten, dann hätte es großen Ärger mit ihnen gegeben, denn wir hätten sie in unsere Ermittlungen einschalten müssen und nicht versuchen dürfen, unsere Anfangsverdachte selbst zu untersuchen. Ich konnte ganz schön in Bedrängnis kommen. Was macht ein Ermittler am späten Abend im Hafengebiet, und dass er sich dort schon länger aufgehalten haben musste, war unschwer an der völlig durchnässten Kleidung zu erkennen. Ich konnte nur eine Geschichte mit harmlosem, nicht polizeirelevantem Hintergrund erfinden. Wie etwa Handel mit Raubkopien von Software oder Filmkopien, die hier in der Gegend zwischengelagert werden sollten. Wir wären da einem Tipp nachgegangen, hätten aber bisher nichts ermitteln können. Ich war noch am überlegen, wie ich die Geschichte glaubhaft vortragen könnte, als die ersten Blaulichter die Straße herunter kamen. Ich stellte mich mitten auf die Straße und winkte mit meiner Taschenlampe. Es war ein Streifenwagen, der als erstes zum Einsatzort gekommen war, und die beiden Insassen waren noch schlechter gelaunt, als ich es schon war. Der Fahrer, ein großer vierschrötiger, zur Fettleibigkeit neigender Endvierziger, raunzte mich sofort nach Verlassen des Wagens an: „Was zum Teufel haben Sie zu dieser Zeit hier auf dem Gelände zu suchen?“ 7 Der zweite Mann des Wagens klärte seinen Kollegen auf, bevor ich den Mund aufmachte: „Das ist Waldemar Teufel. War mal ein Ass hier auf der Werft. Treibt sich oft hier rum und träumt von seinen Schiffen, die hier nicht mehr gebaut werden.“ Ich rief ihnen nur zu: „Fahrt mal hier um die Ecke und dreht Eure Scheinwerfer auf die Rampe dort, dann wisst Ihr, warum ich Euch gerufen habe.“ Ohne Widerworte setzte sich der Dicke wieder ans Steuer und fuhr den Wagen an die Stelle, wohin ich ihn lotste. Er hatte wohl gedacht er könnte beim Regen im Wagen sitzen bleiben, aber sein Partner winkte ihn heraus und meinte nur: „Schau dir diesen Mist an. Das gibt jede Menge Ärger. Fordere noch mehr Verstärkung an. Wir müssen sehr viel absperren. Und ein fettes Beleuchterteam brauchen wir auch. Mach schon, Kumpel, komm in die Gänge:“ Der Dicke beugte sich durchs Fahrerfenster um nach dem Funkgerät zu greifen und hatte wegen seiner Leibesfülle Schwierigkeiten und er fing an laut zu fluchen. „Mensch mach doch die Tür auf und lang dann rein, “ rief sein Kollege Das Fluchen wurde noch intensiver und klang jetzt äußerst bedrohlich. Der zweite Mann war inzwischen zu mir gekommen und hatte in nicht unfreundlichem Ton gefragt: „Teufel, was treibt dich her und warum krauchst du unter Laderampen herum. Du bist doch sonst immer nur am Wasser. Woll’ste da rein um `ne Kiste Schnaps zu klauen? Oder was treibt dich hier zum Lagerhaus?“ „Da sind doch sowieso nur Baumaschinen drin. Nee, ich wollt zum Wasser, aber da haben mich die Ratten angelockt. Hier hat’s vorhin nur so gewimmelt von den Viechern, darum hab ich geleuchtet und das dort gefunden. Jede Menge Rattenfutter. Müssen da schon `ne Weile liegen. Müsste schon früher den Arbeitern hier aufgefallen sein. Vor Allem der Gestank.“ 8 „Wer arbeitet schon hier an den Schuppen? Hier kommt doch wochenlang keiner mehr her. Doch nur wenn’ se die Maschinen dort brauchen, welche bringen oder holen. Auch die Nachbarschuppen sind doch nur mit Müll vollgestopft. Die warten doch alle nur auf die Abrissgenehmigungen und das Verfüllen der alten Hafenbecken, damit sie hier „Lofts“ bauen können mit ganz viel Parkraum. Hier kommt die „Schickimicki-Siedlung“ mit Nobelwohnungen, Rechtsanwaltsbüros, Werbe-Leuten und solch Kram her. Du kannst dann noch nicht Mal mehr vom Pier pinkeln. Du solltest umsiedeln auf die andere Seite des Flusses, dann kannste vielleicht ab und zu mal ein Containerschiff sehen. Aber Hafen ist doch überflüssig.“ Es klang bitter, wie er es sagte. Auch seine Söhne waren ehemals auf der Werft nebenan beschäftigt gewesen und lungerten jetzt als Arbeitslose in der Stadt herum und er hatte mit ihnen mehr auf den Innenstadtrevieren und am Bahnhof zu tun, als bei sich zu Hause. Dem Dicken schien es jetzt gelungen Verstärkung anzufordern und er hatte sich wieder hinter das Steuer gesetzt und hatte die Scheinwerfer ausgeschaltet. Die ersten Ratten hatten sich an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt und huschten schon wieder unter die Rampe. Ich drehte mich weg und sagte nur: „Ihr braucht mich jetzt wohl nicht mehr. Wenn ihr mich doch noch braucht, ich bin drüben bei „Frieda“. „Frieda“ ist eine alte Kneipe, in der sich früher die Werftarbeiter nach der Schicht schnell noch ein Bier gönnten, bevor sie sich auf den Heimweg machten. Jetzt war es zu einer Spelunke verfallen, wo sich Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und abgetakelte Nutten trafen, um sich den Frust weg zu trinken. Man ließ mich gehen und ich brauchte keine großartigen Erklärungen abzugeben, warum ich dort so spät am Abend 9 noch herumgelungert hatte. Ich musste als Erstes meine Auftraggeber benachrichtigen und dann weiter herum horchen. Und bei „Frieda“ trafen sich so viele alte Hafenbewohner, die auch immer wieder über das Gelände liefen. Aus Heimweh, aus Gewohnheit, oder weil sie sowieso nicht Besseres zu tun hatten, oder weil „Frieda“ noch nicht geöffnet hatte. Da konnte es schon sein, das Jemand etwas Ungewöhnliches beobachtet hatte. Waldtmann von der Mordkommission würde mir morgen noch früh genug die Hölle heißmachen. Der wusste, dass ich eine Privatdetektivlizenz besaß. Wir hatten schon ein paar Mal zusammengearbeitet; aber er war immer noch schlecht auf private Ermittler zu sprechen, obwohl ich ihm zweimal den Ruhm des erfolgreichen Ermittlers überlassen hatte. Dadurch war er erst die Karriereleiter nach oben gefallen. Er war sich nur nicht sicher, ob ich auch weiterhin dichthalten würde. Und das machte ihm Sorgen. Als ich bei „Frieda“ die Tür öffnete, schlug mir fast ein schlimmerer Gestank entgegen, als ich ihn heute schon wahrgenommen hatte. Bis zur Bar konnte man kaum blicken, soviel Rauch von Zigarren, Zigaretten und auch Pfeifen war in diesem Raum. Vervollständigt wurde der Gestank durch verschüttetes schales Bier und billigem Parfüm der Nutten, die hier heute in größerer Anzahl versammelt waren. Man konnte sie verstehen, denn bei diesem Wetter mochte niemand draußen auf der Straße stehen und erst recht nicht im Hafen. Außerdem hofften sie hier noch ein paar Scheine von den betrunkenen Gästen erobern zu können. Ich ging an die Bar und bestellte mir einen doppelten „Klaren“ und ein großes Bier. „Kannst mir auch einen bestellen“, nuschelte Elsa, die dienstälteste der „Freischaffenden“, die neben mir an der Bar hockte. Ich machte Frieda hinter der Bar ein Zeichen des Einverständnisses und sie schenkte zwei Schnaps ein, während mein Bier im Glas wuchs. 10 „Was wollten die Bullen denn? Haste was gesehen? Du warst doch drüben im Hafen, als die mit Großaufgebot angerauscht sind, so nass wie du bist?“ Ich antwortete nicht, weil die Getränke kamen. Elsa wartete mein Prost gar nicht erst ab, sondern stürzte den Schnaps auf einen Schluck hinunter, dann schüttelte sie sich und schaute mich jetzt direkt fragend an. Ich trank nach dem Schnaps noch einem Schluck Bier, bevor ich ihr sagte: „Ich glaub, die haben `nen paar Leichen gefunden, drüben bei dem Baumaschinenschuppen. Ist doch eigentlich deine Gegend. Hast was gesehen in den letzten Tagen?“ „Nee, ich war dort zuletzt am Mittwoch, als die Russen da geliefert haben. Einer von denen hat mich dann da abgeschleppt und wir sind hierher. Haben ganz schön gebechert und er hat gut gezahlt. Auch für die ganze Zeit, wo wir hier rum gehangen haben. Nachher sind wir dann rüber zum Laster. Der stand ganz draußen auf dem großen Parkplatz. Wir haben ganz schön was da hingeschleppt, vier Flaschen Wodka und zwei Sechserpacks. Bin dann bis heute morgen geblieben. Ist schon `nen toller Laster. Hat hinter der Schlafkabine für den Fahrer noch so´n Raum, mit vielen Matratzen. Da gab´s sogar `nen richtiges Klo, so´n Chemisches. War ne tolle Party. Ganz schön wild, weil die anderen Fahrer von den zwei weiteren Lastern, die auch da standen, mit dabei war´n. Die haben auch immer neuen Stoff rangeholt“, meinte sie schwärmerisch. „Sind die heut erst wieder weg?“ „Nee, die sollten immer noch da sein, weil die an dem einen Truck ´nen Fehler oder Schaden hatten. Da sollen morgen die Monteure kommen, wegen der Klimaanlage.“ „Morgen ist Sonntag, da kommt kein Monteur.“ „Doch die sollten heut schon da sein. Kommen extra aus Russland, oder so. Hatten aber Verspätung, weil die so´n paar Teile nicht kriegen konnten.“ 11 „Und warum bist du dann heut morgen schon wieder weg?“ „Die wollten mich nicht mehr. Müssten noch sauber machen, und außerdem ging denen die Kohle aus und zu trinken gab´s auch nichts mehr. Da bin ich nach Hause, hab mich erstmal in die Badewanne geworfen, ich stank ja schon wie ´nen ganzer Ziegenstall. So hat´s da aber schon vorher gestunken, als wir da rein sind. Aber was macht man nicht alles für Geld und Schnaps?“ Dabei hatte sie mich grinsend angesehen. Ich gab ihr noch einen Schnaps aus und gönnte mir selbst auch noch einen. Ich ging schnell zur Toilette, denn ich musste dringend telefonieren. Ich benachrichtigte meine Auftraggeber, dass wahrscheinlich in einem Anbau hinter den Fahrerkabinen der Laster Menschen transportiert wurden und ob ich die Polizei von diesen Erkenntnissen etwas mitteilen sollte. Man forderte mich auf, die Trucks in Augenschein zu nehmen, aber die Polizei noch nicht zu unterrichten. Wir wollten erst mit Sicherheit sagen können, dass hier tatsächlich auf diese Weise illegale Einwanderer nach Deutschland geschleust wurden. Ich war nicht sehr erbaut darüber, denn jetzt hätte die Polizei vielleicht noch Spuren der Toten unter der Laderampe in den Lastzügen sicherstellen können, aber Elsa hatte ja schon gesagt, dass die Russen den heutigen Tag zum Großreinmachen benutzen wollten. Also wären die Spuren wahrscheinlich sowieso vernichtet gewesen und man hätte nur Spuren von den Orgien mit Elsa feststellen können. Weiterhelfen würde uns das nicht. Ich ging also wieder zurück an den Tresen, und zurück zu Elsa, die ihr Glas schon wieder geleert hatte. Sie unterhielt sich jetzt mit einem neuen Gast, der hereingekommen war und erbettelte sich den nächsten Schnaps. Der Gast erzählte gerade, was er dort draußen mitbekommen hatte. Den ganzen Hafen hätte man abgeriegelt. Da käme jetzt keiner mehr rein und keiner mehr raus. Ich rief Frieda, weil ich in der Küche, wie sie es nannte, 12 aber eher eine Rumpelkammer war, gerne an ihr Radio wollte. Ich wusste, sie konnte den Polizeifunk abhören, was nützlich war, wenn mal wieder Großrazzien in der Gegend stattfinden sollten. Sie konnte dann immer ihre Gäste warnen, und jeder, der sich besser im Untergrund hielt oder illegale Waren bei sich hatte, konnte noch rechtzeitig verschwinden. Ich wollte nur ein wenig mehr über den Einsatz im Hafen erfahren, damit ich mich nicht direkt mit Waldtmann auseinandersetzen musste. Ich durfte mein Bier mit in die Küche nehmen und die Schnapsflasche hatte sie mir auch gleich mitgegeben, damit ich nachfüllen könne, wenn ich es brauchte. Die Nachrichten, die ich jetzt mitbekam, waren aber wenig informativ, denn bis auf die bestehende Abriegelung des Hafengebietes schien nichts weiter zu laufen. Ich musste also doch noch wieder raus, wenn ich Näheres erfahren wollte. Wäre auch zu schön gewesen, wenn die Polizei mal meine Aufgaben übernommen hätte. Ich verabschiedete mich von Elsa und sagte ihr, dass ich noch mal weg müsse, aber dass sie auf mich warten solle, egal wie spät es würde. Ich hatte dabei mit einem Schein gewedelt und ihr versprochen, dass sie ihn bekommen würde, wenn sie auf mich warten würde. Wenn die Polizei glaubte, alle Eingänge zum Hafengebiet abriegeln zu können, dann war sie schwer auf dem Holzweg. Autos würden nicht mehr bewegt werden können, aber für Fußgänger und Radfahrer war es keine Schwierigkeit hinein und auch wieder hinaus zu kommen. Es gab inzwischen derart viele Zugänge in der Zaunanlage, die von Hafenarbeitern und auch von den ehemaligen Werftarbeitern benutzt worden waren, um ihre Wege abzukürzen, wenn sie zu Arbeit wollten, dass es auch mit mehreren Hundertschaften unmöglich war alle Löcher zu bewachen. Ich hatte mir ein Damenfahrrad, das vor dem Lokal gestanden hatte geliehen und war durch eines dieser Löcher auf das Hafengebiet vorgedrungen. Ich war 13 runter bis zur Pier und dann unter den vor sich hinrostenden Krananlagen bis zur äußersten Spitze zum großen Parkplatz geradelt. Immer schön die tiefen Schatten der Schuppenanlagen ausnutzend. Hier brannten sowieso die wenigsten Straßenlaternen und ich wurde nicht entdeckt. Auf dem Parkplatz standen nur fünf LKW`s. Drei waren relativ nahe zusammen abgestellt und trugen an den Seiten die gleiche Aufschrift und stammten aus der Ukraine. Das mussten die „Russen“ sein. Vor der Ausfahrt zur Verbindungsstraße stand ein Streifenwagen quer auf der Straße und einige Beamte waren mit den Fahrern, die sie aus den Kojen geholt hatten, im Gespräch. Ich war zu weit entfernt, als dass ich Worte verstehen konnte; nur als einer der Fahrer laut schrie: „Wir wollen doch sowieso nicht weg. Wir müssen doch noch bis morgen Abend hier stehen bleiben. Wir haben nichts gesehen. Wir haben geschlafen. Also lassen Sie uns jetzt weiter schlafen. Wenn wir am Morgen zum Bäcker wollen, oder sonst was zu Essen kaufen, können wir uns ja bei Ihnen melden.“ Die Beamten kehrten zu ihrem Streifenwagen zurück und die Männer kletterten zurück in ihre Trucks. Die Russen blieben zusammen vor dem mittleren Truck stehen und diskutierten heftig. Ich versuchte näher heranzukommen, um eventuell etwas mitzubekommen, aber dazu hätte ich die schützende Dunkelheit verlassen müssen. Erfreulicherweise hatte der Regen nachgelassen und ich wurde wenigstens nicht mehr nass. Die Männer standen immer noch vor dem Fahrzeug und machten keine Anstalten dort wieder einzusteigen. So entschloss ich mich anders an die Fahrzeuge heranzukommen. Ich stieg wieder auf mein geklautes Fahrrad, hatte den Dynamo aber jetzt angelegt und fuhr im Zickzack und flackernden Licht auf die Trucks zu. So, als wäre ich schwer betrunken. Kurz vor den Trucks schien ich ausweichen zu wollen, machte das aber so ungeschickt, dass ich dabei vom Fahrrad fiel. Die Männer lachten und witzelten 14 über den Trunkenbold. Ich rappelte mich wieder auf, um gleich darauf wieder umzuknicken und wieder lang aufs Pflaster zu schlagen. Keine leichte Übung, zu fallen, als sei man betrunken, aber sich nicht wirklich dabei zu verletzen. Ich war jetzt schon ganz nahe bei den Fahrern, hatte mein Fahrrad wieder aufgerichtet und in den Satteltaschen nachgesehen. Da war zum Glück tatsächlich eine angebrochene Flasche Schnaps und da sie auf der richtigen Seite untergebracht gewesen war, nicht zerbrochen bei dem Sturz. Ich nahm einen tiefen Schluck und hielt sie den Männern einladend hin. Dabei hatte ich genuschelt: „Wollt ihr auch einen?“ Der deutsch sprechende Fahrer kam einen Schritt auf mich zu und sagte: „Wie bist du den hier reingekommen? Die Polizei hat doch alles abgeriegelt?“ „Die Pol-Polizei?“ stotterte ich. „Ja, die Polizei, die war gerade doch noch hier, hast du die nicht gesehen?“ „Nee, hab ich –Hick – nich. Und die mich –Hick- auch nich – Hihi“, mit diesem Kichern nahm ich wieder einen Schluck aus der Flasche. Der Mann nahm mir die Flasche aus der Hand und trank selbst einen kräftigen Schluck. „Wie bist du denn hier rein?“ „Mittem Rad, da vorne durch`en Zaun, Hick, damit se mich nich anhalten aufe Straße.“ Jetzt wurde mein Schluckauf stärker. Ich musste ihn noch nicht einmal mehr spielen, denn wie der mich anguckte, da kam der von ganz allein. „Oh, ich muss mal pieseln.“ Ich ließ mein Fahrrad einfach fallen und bewegte mich auf den Schatten des Trucks zu. Der Mann war sofort hinter mir und fasste an meine Schulter und zischte mir zu: „Komm mit, wir wollen hier kein Aufsehen, kannst bei uns auf die Toilette; aber dann zeigst du mir, wie ich hier heute noch rauskommen kann.“ Ich ließ mich nur zu willig zur Toilette im Wagen bringen. Es war höchst interessant. Hinter der Fahrerkabine war, wie 15 von Elsa beschrieben, ein weiterer Raum, etwa 2 Meter tief und über die ganze Breite des Wagens. Auf dem Boden lagen Matratzen und in der Ecke war eine chemische Toilette, die ich benutzte. Wie sie hier allerdings Luft hineinbekamen war mir schleierhaft, denn ich konnte noch nicht einmal Lüftungsschlitze entdecken. Dafür war aber die Wandung zur Fahrerkabine dicker, als ich erwartet hatte. Der Durchgang aus der Höhe der unteren Schlafkoje der Fahrer war mit Gummidichtungen versehen und ich konnte mir vorstellen, dass bei normaler Taschenlampenbeleuchtung, wie sie bei flüchtigen Kontrollen an den Grenzen benutzt wurden, der Eingang überhaupt nicht zu entdecken war. Ich wurde wieder hinausgeleitet und zwei Mann saßen jetzt im Fahrerhaus und der Mann dem ich die Schnapsflasche überlassen hatte, fragte mich jetzt: „So, wie komm ich jetzt hier ungesehen raus. Ich will noch mal in die Stadt. Ich will noch mal“, und dabei machte er eine eindeutige Handbewegung, was er sich noch vorstellte. „Aber nicht soweit da vorne raus, gibt es hier hinten auch noch einen Ausgang?“ „Klar, da wollt ich doch auch raus, damit se mich nich sehen, wenn ich auf der Straße fahre.“ Mein Schluckauf hatte sich wieder gebessert, aber mich fröstelte, wenn ich den Mann ansah. Ob er mich wohl ziehen lassen würde, wenn ich ihm den Weg in die Stadt gezeigt hatte? Wir brachen auf, und ich schob mein Rad, nachdem er den Dynamo vom Reifen gezogen hatte. Die Schnapsflasche war jetzt leer und er hatte sie mir auf meine Bitte hin wieder in die Satteltasche gelegt. Wer weiß, was er glaubte, was ich mit der Flasche noch anfangen wollte. Ich zeigte ihm jedenfalls den Ausgang, ganz nahe der Brummis und wir hasteten durch die dunkle Nebenstraße. Erst als er merkte, dass er wirklich das Hafengebiet hinter sich hatte, wollte er eiligst ein Taxi rufen. An der Ecke zur Hauptstraße fanden wir dann noch ein 16 Lokal, wo noch Licht brannte. Es waren noch einige Gäste im Gastraum und er konnte telefonieren während wir ein Bier zusammen tranken. Ich versuchte ihn möglichst unauffällig auszuhorchen, woher er denn käme und wo er so gut deutsch gelernt hätte. Er hatte nur gesagt: „Sauf, und lass mich zufrieden. Ich hab´s jetzt eilig.“ Er war aufgestanden, hatte einen Schein auf den Tresen geworfen und hatte vor der Tür gewartet, bis das Taxi kam. Als es vorfuhr huschte ich zum Eingang und er hatte dem Fahrer schon in der Tür eine Adresse zugerufen, dann war er in der Tür verschwunden und der Wagen war losgefahren. Die Adresse, die er angegeben hatte, war keineswegs ein Bordell. Es war das Villenviertel der Stadt. Ich klemmte mich wieder auf das Fahrrad und fuhr zurück zu „Frieda“. Hier hatte in der Zwischenzeit noch keiner ein Rad vermisst und der Laden war immer noch gut gefüllt. Nur Elsa war jetzt auch gut abgefüllt und es würde schwierig sein, noch weitere Informationen von ihr zu bekommen. Ich drückte ihr den Schein in die Hand, den ich ihr versprochen hatte, und sagte ihr, dass ich morgen früh zu ihr kommen würde. Ich fragte Frieda nach der Adresse der Nutte, die sie mir mit vernichtendem Blick gab. So hatte sie mich denn doch wohl nicht eingeschätzt. Gleich um die Ecke war ein Taxenstand und hier hatte ich Glück: Ein Wagen stand bereit. Der ein wenig verschlafen wirkende Fahrer fuhr mich nach Hause. Obwohl es inzwischen zwei Uhr morgens war, stellte ich mich an den Zeichentisch und versuchte den Aufriss des Sonderraumes des Lastzuges als Zeichnung zu Papier zu bringen. Ich war auf die Idee gekommen, dass sich die verdickte Zwischenwand sowohl zur Schalldämmung als auch zum Transport von Rauschmittel dienen konnte. Ich wollte nur noch in ein paar Stunden durch Befragung nach ihren Beobachtungen Elsa aushorchen um danach endgültig die Polizei zu benachrichtigen. Die von mir gezeichneten Pläne 17 verkleinerte ich und sandte sie mit meinen Bemerkungen und Vermutungen versehen per Fax an meine Auftraggeber. Erst nachdem all diese Dinge erledigt waren, kroch in mein Bett. Das Frühstück schenkte ich mir und ließ mich mit einem Taxi in die Nähe der Wohnung von Elsa fahren. Hier kaufte ich bei einem Bäcker, der sonntags geöffnet hatte, Brötchen und andere Teigwaren, ein wenig Butter und ein Glas Marmelade und ging mit der Einkaufstüte zum Haus in dem Elsa wohnte. Ein Zweifamilienhaus mit einem kleinen Vorgarten und einem Gang zur Rückseite des Hauses. Frieda hatte mir gesagt, dass Elsa in der Parterrewohnung wohnte und ich nahm die untere Klingel. Eine Beschriftung gab es nicht. Nichts rührte sich. Auch nach meinem zweiten, längeren Klingeln passierte überhaupt nichts. Jetzt drückte ich den Daumen auf die Klingel bis er langsam abstarb. Es blieb immer noch ruhig. Elsa hatte zwar gestern, als sie nach Hause wankte, einen gewaltigen Rausch; aber da ich die Klingel im Hause rasseln hörte, musste es Elsa auch aus dem Trunkenheitsschlaf reißen; aber nichts rührte sich in der Wohnung. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass Elsa jetzt um 10 Uhr schon aufgestanden war um in die Kirche zu laufen um zu beichten. Da war etwas nicht in Ordnung. Ich ging auf dem Gang hinter das Haus und entdeckte die hintere Eingangstür, die scheinbar zur Küche führte. Ich ging auf dem gepflasterten Gang weiter bis zur Tür und spähte vorsichtig durch die verschmutzen Scheiben. Außer einer unaufgeräumten Küche, mit schmutzigem Geschirr auf dem Spülbrett und einigen Flaschen und Gläsern auf dem Tisch, konnte ich nichts Außergewöhnliches entdecken. Ich griff zum Türknauf und zog daran. Die Tür ging mühelos auf. Ich rief nach Elsa, aber bekam keine Antwort. Ich verharrte einen kleinen Moment in der Tür und rief erneut und als ich immer noch keine Antwort bekam ging ich durch die Küche und landete in einem kleinen Korridor von dem aus die Haustür zu sehen war und drei geschlossene Türen. 18 Die Tür linker Hand führte scheinbar zu einem Badezimmer, mir gegenüber vermutete ich das Schlafzimmer und weiter vorn, das Wohnzimmer. Ich klopfte an die Schlafzimmertür und als niemand antwortete, öffnete ich die Tür. Das Bett war zerwühlt, Kleidungsstücke lagen überall auf dem Boden verstreut herum und eine Kleiderschranktür war geöffnet. Von Elsa keine Spur. Es gab eine Verbindungstür zum vorderen Zimmer, gleich neben einer Kommode, deren Schubladen herausgezogen waren. Ich öffnete die Tür zum anderen Zimmer und hier war wie vermutet, das Wohnzimmer. Es war im Gegensatz zu den übrigen Zimmern ordentlich aufgeräumt; aber Elsa war auch hier nicht anwesend. Ich verließ den Raum aus der anderen Tür und wollte nur um ganz sicher zu gehen, dass ich nichts übersehen hatte, auch noch einen Blick ins Badezimmer werfen. Hier fand ich sie. Zusammengekrümmt lag sie im Nachthemd bekleidet, zwischen der Außenwand und der Toilette, direkt unter dem Milchglasfenster. Ihr Gesicht, oder besser, was davon übriggeblieben war, lag seitlich zum Toilettenbecken gewandt, halb verborgen durch das strähnige blonde Haar. Ihre Handgelenke zeigten Spuren von Fesseln, dunkelblaue Flecken auf den Oberarmen zeugten von heftiger Gewaltanwendung. Das wenige, was ich von ihrem Gesicht sehen konnte, war zerschunden, als wenn man ihr Sandpapier über die Haut gezogen hätte. Wenn die Spuren der Fesselung an ihren Handgelenken nicht gewesen wären, konnte man auf die Idee kommen, dass sie beim Gang auf die Toilette gestürzt sei, ihr Gesicht an der Wand aufgeschrammt und sich das Genick beim Sturz gebrochen hätte. Wenn da nicht die Spuren gewesen wären. Ich telefonierte über Handy sofort mit meinen Auftraggebern und ich bekam grünes Licht für die Benachrichtigung der Polizei. Ich ging zurück ins Wohnzimmer, wo ich ein Telefon gesehen hatte und rief über den allgemeinen Notruf die Polizei ohne meinen Namen zu 19 nennen. Den Telefonhörer wischte ich nicht ab. Ich holte nur meine Brötchentüte aus der Küche und verließ das Haus wieder durch den rückwärtigen Ausgang und marschierte unbehelligt in Richtung Hafen. Ich war schon bei „Frieda“ um die Ecke gebogen, als ich in der Ferne die Sirenen der Polizeifahrzeuge hörte. Die Absperrung des Hafengebietes war wieder aufgehoben und ich konnte weiterhin unbehelligt zu meinem Wagen kommen, den ich gestern etwa dreihundert Meter von dem Lagerhaus in einer Seitenstraße abgestellt hatte. Ich wendete und fuhr zum großen Parkplatz. Ich hatte richtig vermutet. Es standen nur noch zwei ukrainische Laster dort. Der dritte, der in der Mitte gestanden hatte und in dem ich gewesen war, war vom Hof verschwunden. Ich fuhr jetzt schnell zur nächsten Ausfahrt und dann zu „Frieda“. Hier parkte ich auf der Einfahrt zum Nebengrundstück und hämmerte gegen die Kneipentür. Ich wusste, dass Frieda über der Kneipe in einer kleinen Wohnung wohnte und von dem Krach aufgescheucht werden würde. Es dauerte auch nicht lange, bis sich über der Kneipe ein Fenster öffnete und eine wild zerzauste Gestalt herausbeugte und schrie: „Wir haben geschlossen, du Arschloch, merk´ste das denn nicht? Gib Ruhe, oder ich ruf die Polizei.“ „Mach das, die kommt sowieso gleich hier vorbei. Die hab ich schon gerufen. Mach auf, ich muss mit dir reden. Bevor die kommen, also mach auf, beweg dich.“ Ein Schwall übler Schimpfworte ergoss sich über mich und das Fenster wurde mit Wucht zugeschlagen. Aber wenig später wurde die Kneipentür aufgeschlossen und aufgerissen. Mir gegenüber stand Frieda. Sie hatte einen verschlissenen Morgenrock über ihr Nachthemd geworfen und er klaffte über ihren großen Brüsten auseinander und jedes Mal wenn sie tief Luft holte, und das tat sie beständig, hatte ich Angst, die weiße, wabbelige Fleischmasse würde über 20 den Nachthemdrand hinüberwogen und sich an der ganzen Frau herunter ausbreiten. Sie setzte gerade an weiter zu keifen, als ich sie unterbrach. „Halt die Schnauze. Elsa ist ermordet worden, und der oder die Mörder könnten auch hierher kommen, um dich zu murksen. Da waren doch die Woche ein oder mehrere Russen hier, die auch Elsa mitgenommen haben, kannst du dich an die erinnern?“ „Was Elsa …“ „Ja, Elsa ist tot.“ „Aber die ist doch gestern, nee heute morgen um halb zwei oder so hier noch weg. Ganz schön voll, aber das war ja nichts Neues. Und wieso ermordet, und woher weißt du das?“ „Ich hab sie gefunden. Mausetot. Mit Spuren von Fesseln an ihren Händen. Ich die „Grünen“ gerufen und bin ab. Du hast mir doch heute Morgen noch die Adresse von Elsa gegeben, weil ich sie was im Zusammenhang mit eben diesen Russen fragen wollte. Du hast mich noch so verächtlich angesehen, weil du glaubtest ich wollt mit ihr in die Falle hüpfen. Nein, ich wollt was raus finden; aber sie konnt mir nichts mehr erzählen. Die Bullen wissen, dass Elsa immer hier verkehrte, darum werden sie auch gleich hier aufkreuzen. Die Russen, die noch nicht abgehauen sind, wissen auch wo sie noch Spuren beseitigen müssen, also werden sie auch hierher kommen. Einer von denen ist sowieso schon weg. Ich mach mir jetzt nen Bier und du saust nach oben und ziehst was an. Bis dahin kann ich die Bude hier verteidigen. Die Tür hast du ja selbst schon abgeschlossen und wenn du was Klirren hörst, guck nicht erst nach, sondern ruf gleich die Polizei.“ Es war erstaunlich, wie schnell sie handelte. Sie drehte sich um und war schon auf der Treppe verschwunden, bevor ich hinter den Tresen gehen konnte. Ich zapfte mir ein Bier und hatte in ein Brötchen gebissen, als sie schon wieder erschien. Die Haarbürste, mit der sie versuchte ihre Mähne in Ordnung zu bringen noch in der Hand. 21 „Waldi, ich kenn dich schon lange, aber dass du ne Idiotenstory erzählst um auf „Nass“ zu saufen, kannte ich von dir bisher nicht. Also was ist los mit Elsa, bist du gestern nicht hinterher?“ „Nee, ich bin mit einem Taxi nach Hause und wollt erst heute Vormittag mit ihr reden, weil sie, so voll wie sie war, sowieso nichts Brauchbares mehr hätte erzählen können. Ich musste aber von ihr ein paar Sachen wissen, die sie beobachtet haben könnte, als sie ihre wilde Party da an Bord des russischen Trucks gefeiert hat. Weil sie da etwas gesehen haben könnte, ist sie dann wahrscheinlich auch ermordet worden. Ich hätte daran denken müssen, dann wär das nicht passiert. Ich hätt sie einfach zu mir mitschleppen sollen, damit sie ihren Rausch ausschläft. Wenn ich nur wüsste woher die Russen wussten, wo Elsa wohnte?“ Plötzlich wurde Frieda blass und sah mehr als ängstlich aus. Sie fing regelrecht an zu Bibbern und zitterte am ganzen Körper. Der Anblick war erschreckend. Alles an ihr wogte, ihre ganze Oberfläche bebte, wie in schwerem Erdbeben. Sie stotterte und stammelte: „Und du hast mir keine Geschichte erzählt um schon Bier saufen zu können? Das stimmt alles, was du gesagt hast? Nichts gelogen?“ „Nein, Frieda, noch mal, Elsa ist umgebracht worden, weil sie vielleicht zu viel wusste. Weißt du woher die Russen die Adresse hatten?“ Jetzt stammelte sie noch mehr: „Von mir. Der eine, der ganz gut deutsch konnte, kam mit so einer Plastiktüte hier so gegen drei Uhr rein und sagte, die hätte Elsa bei ihm vergessen. Er wollt sie noch schnell vorbeibringen bevor er weiter müsse. Ich hab ihm gesagt, dass er die Tüte hier lassen könnte, weil Elsa heute bestimmt wieder hierher kommen würde, aber darauf wollte er sich nicht einlassen. Da hab ich ihm ihre Adresse gegeben. Und jetzt ist sie tot?“ 22 „Ja, Frieda und wir haben sie beide auf dem Gewissen. Ich, weil ich so blöd war nicht daran zu denken, dass so etwas passieren könnte und sie daher nicht zu ihrem Schutz mit nach Hause genommen habe, und du, weil du dann nicht nur mir, sondern auch dem Heini die Adresse gegeben hast.“ Sie schwieg fassungslos und ich trank noch einen Schluck Bier und biss noch mal von dem Brötchen ab. Dann fiel mir mein Auto auf der Auffahrt nebenan wieder ein und ich sagte zu Frieda, dass ich ihn nur eben um die Ecke zum Parken fahren wolle und eilte hinaus und fuhr den Wagen um die Ecke in die nächste Parklücke und verschloss das Auto sorgfältig. Als ich wieder in die Kneipe kam, war Frieda nicht zu sehen. Ich ging hinüber zur Bar und schenkte mir über den Tresen gebeugt ein weiteres Bier ein, als ich sie dort liegen sah. Weit aufgerissene Augen starrten mich an und aus ihrer Brust quoll neben dem dort steckenden Messer Blut wie aus einer Quelle. Dann war da ein Geräusch und in meinem Kopf explodierte etwas. Es war plötzlich Dunkelheit um mich herum. Die Dunkelheit wich den roten Schleiern. Ich konnte den Beton erkennen, der wenige Zentimeter von meinen Augen entfernt war. Darüber war etwas Hellrotes, Verschwommenes und darin bewegte sich etwas. Viele kleine Gestalten. Sie huschten hin und her und ich wusste bevor es endgültig Nacht um mich wurde; ich war nur noch Rattenfraß. 23 Teufel in der Hölle Ich konnte es wunderbar sehen. Den schnittige Rumpf, die hohen schlanken Flanken, die windschnittigen Aufbauten, sich wiegend in der Dünung. Aber warum konnte ich das Glas nicht scharf stellen und warum konnte ich den Rotfilter nicht von den Okularen nehmen. Ich spürte die Dünung, gleichmäßig rollend und ein wenig seitlich kabbelnd. Ich hörte die Winschen kreischen und quietschen. Die Dünung verlor sich, wir waren in ruhiges Gewässer gelaufen und die Fahrt erhöhte sich. Wir glitten dahin, wir stoppten. Warum explodierte mein schönes Schiff mit einem Mal und wer stülpte mir jetzt die Schutzhüllen über die Okulare. Es wurde dunkel und wir glitten wieder dahin. Ich fühlte mich schwebend, nur vom Wind gezerrt und in der Ferne hörte ich Stimmen, flüsternde Stimmen. Ein merkwürdiger Singsang, auf- und abschwellend setzte ein und die Dünung wurde wieder stärker. Jetzt gab es schon die ersten Stöße, das Schiff rollte und stampfte, aber der Singsang war noch da. Ein Nebelhorn ertönte ganz in der Nähe, aber ich konnte in der Dunkelheit nichts sehen. Dann wieder das Geklapper der sich öffnenden Ladeluken, das Kreischen der Winden. Von Ferne tönten weitere Nebelhörner und die rollende, stampfende Bewegung des Schiffes setzte wieder ein. Plötzlich hörte ich die Stimme des Kapitäns, in der Tonlage, wie immer Waldtmann mit mir sprach: „Wird er durchkommen?“ Ich wollte ihm zurufen: „Mein Schiff kommt überall durch, es wird jedem Sturm trotzen“, aber ich wurde zu müde und Jemand nahm mir das Glas von den Augen und ich sackte weg in den Schlaf. Wieder spürte ich den Sturm, der mir in die Augen blies. Ich konnte die Augen nicht öffnen, so stark war der Wind. 24 Trotz meiner Sturmmaske, die sich eng an mein Gesicht presste, aber an meinem Hinterkopf viel zu eng war. Trotz der Sauerstoffmaske, die über meinem Mund lag konnte ich nur schwer atmen und die Augen wollten sich nicht öffnen lassen. Ich blinzelte immer wieder, aber außer den roten Schleiern und den Umrissen von Mastaufbauten konnte ich nichts erkennen. Es war schon richtig, dass ich mich an den Mast geschnallt hatte, bei diesem Sturm. Ich wäre sonst bestimmt weggeweht. Ich fühlte wie das Schiff sich hob und senkte. Es war schwere See. Die Peilanlage über mir piepte bei jeder Umdrehung. „Piep – Piep – Piep“, völlig gleichmäßig, wie mein Herzschlag. Ich lauschte auf die Töne, sie waren lauter als das Sturmgebraus und sie gaben mir die Sicherheit, dass wir aus diesem Sturm herauskommen würden. Wenn nur der Sturm etwas nachlassen würde und ich die Augen mehr aufbekommen könnte und diese roten Schleier durchdringen, dann könnte ich vielleicht das Ruder wieder in die Hand nehmen. Die Schleier wurden lichter und dann sah ich wieder die Schatten, die hin- und herhuschten. Die näher kamen und wieder verschwanden. Ich war auf keinem Schiff, sie hatten mich gefesselt und die Ratten kamen und wollten mich auffressen. Ich hörte sie Quietschen und ein langer Schwanz bewegte sich vor meinen Augen und dann wurde wieder alles dunkel. Es war wieder das gleichmäßige Piepen, das mich aus der Dunkelheit riss. Erst kamen wieder die roten Schleier und dann die grauen bis es langsam heller wurde und die Schatten wurden zu Konturen. Die Ratten hatten es geschafft. Ich war in der Hölle. Aber dass es so schlimm sein würde, hatte ich in meinem Leben nicht gedacht. Hier gab es Engel, sogar ganz blonde, und ganz in weiß gekleidet. Und mittendrin der schwarze Teufel, der mich grimmig anstarrte. Der Teufel war Waldtmann! 25 Ich schloss schnell wieder die Augen; aber ich konnte ihn hören. Seine tiefe Stimme drang zu mir und es war, als wenn mich Messer zerschnitten. „Waldemar Teufel, du verdammter Narr, du hast mindestens zwei Menschen auf dem Gewissen. Auch wenn du sie nicht getötet hast, du bist schuld an ihrem Tod. Du wirst dafür schmoren, das verspreche ich dir.“ Dann folgte Getuschel. Es war, als ob der Engelschor, der um Waldtmann herum versammelt gewesen war, zu einer Lobeshymne anhob um dem Meister Waldtmann zuzustimmen. Dann waren da Geräusche, als würden schwere Gegenstände über den Boden geschoben. Ich wusste, sie würden mich jetzt foltern, vierteilen, mit Öl begießen und mich langsam und qualvoll auf kleiner Flamme rösten. Auf dem Strecktisch war ich ja schon angeschnallt. Die Schmerzen wurden stärker, und mein Kopf lag schon im Feuer. Die Flammen loderten schon um mich herum. Ich sah sie, spürte sie, wie sie langsam von meinem Hinterkopf über das Gesicht bis zu meiner Nase fraßen. Dann wurde wieder alles dunkel und ich fiel in einen unendlichen Abgrund. Die Schwärze vor meinen Augen wich erneut. Aber ich lag in einem dunklen Verließ. Nur in der Ferne schimmerten ein paar undeutliche Lichter. Man hatte mich wieder gefesselt und ich musste tief gefallen sein, denn mein Körper schmerzte überall, besonders mein Hinterkopf. Wieder hörte ich nur das gleichmäßige Piepen und es schien mich zu beruhigen, dass ich es im Einklang mit meinem Herzschlag hörte. Warum hatte man mich gefesselt, wenn ich hier doch mit zerschmetterten Gliedern in einem dunklen Abgrund lag? Und warum hatte man mir eine Sturmmaske verpasst, die viel zu eng war? Warum hatte man mir das Sauerstoffgerät gegeben, das sich über meinen Mund presste? Sollte ich den noch mehr gequält werden, von diesem Oberteufel Waldtmann? 26 Wellen des Schmerzes überfluteten meinen Körper. Sie kamen in regelmäßigen Abständen, mit jedem Atemzug rasten sie über meinen Körper hinweg und endeten mit einer kleinen Explosion in meinem Hinterkopf. Ich wusste nicht, wie lange ich so gelegen hatte und den Schmerzwellen ausgesetzt gewesen war; aber es schien mir eine unendlich lange Zeit gewesen zu sein. Dann kamen Geräusche und ich öffnete die Augen um zu sehen, welch Qualen sie mir jetzt bereiten wollten. Es blitze um mich herum und plötzlich war es taghell und meine Augen brannten und ich war geblendet von der Helligkeit. Wieder erschienen die weißen Engel mit den strengen Gesichtern und starrten auf mich herab. Nur der Oberteufel ließ sich nicht blicken. Zwei der Engel beugten sich jetzt über mich. Der eine griff zu meinem Gesicht und fasste an mein linkes Auge und dann explodierte ein weiterer Blitz und leuchtete direkt in mein Auge. Dann wieder Dunkelheit, aber schon wiederholte sich das Ganze an meinem rechten Auge. Jedes mal hatte ich das Gefühl, der Lichtblitz sauste direkt durch meinen Kopf und hinten mit einer Explosion wieder hinaus. Diese Teufelsgehilfen hatten Erfahrung im Quälen, daran gab es keine Zweifel. Der Oberteufel Waldtmann würde es bestimmt aus guter Entfernung mit Genugtuung beobachten. Dann sprach der blonde Engel mit der Brille und dem komischen Ordenszeichen am Band vor der Brust: „Er scheint wieder da zu sein. Die Reaktionen sind sehr langsam, aber vorhanden. Die Pupille reagiert auf Lichtreflex und dem Zusammenziehen des Gesamtauges deutet auf normale Schmerzempfindung hin. Ich glaube wir sollten vorsichtshalber die Dosis der Schmerzhemmer erhöhen.“ Dann sprach die Stimme direkt zu mir: „Herr Teufel, wenn Sie mich hören können und verstehen, was ich sage, blinzeln Sie bitte.“ Ich musste bei der Helligkeit sowieso Blinzeln. Der Engel nickte, dann fragte er weiter: 27 „Haben Sie große Schmerzen?“ Ich musste heftig geblinzelt haben, denn der Engel fuhr fort: „Ist in Ordnung, wir geben Ihnen gleich eine erhöhte Dosis und ein weiteres Schlafmittel, damit Sie schlafen können.“ Dann hantierten sie an einem Gestell, das ich aus den Augenwinkeln wahrnehmen konnte und ich verspürte einen kurzen Schmerz an meinem linken Arm. Dann schwebten die Engel wieder davon und es wurde wie im Kino langsam dunkel. Als die Dämmerung wieder dem Tageslicht wich, spürte ich, dass ich immer noch die Sturmmaske trug, aber man mir die Sauerstoffzufuhr abgenommen hatte. Ich fuhr mit meiner Zunge über meine rauen Lippen und plötzlich verspürte ich Durst. Über mir piepte es immer noch und nun konnte ich auch etwas mehr von meinem Verließ erkennen. Es schien wie ein Krankenzimmer eingerichtet. Schlagartig wurde mir klar: Ich war weder tot, noch in der Hölle, sondern lag auf der Intensivstation eines Krankenhauses. Das gleichmäßige Piepen war wirklich nichts anderes als mein Herzschlag, gemessen von Instrumenten und akustisch wiedergegeben, um eine ständige Kontrolle zu haben. Die „Sturmmaske“ war nichts anderes als eng sitzende Verbände, die mein Gesicht und meinen gesamten Kopf umgaben. Ich war nicht gefesselt, sondern an mein Bett geschnallt. Die Engel waren Ärzte und Schwestern gewesen und Waldtmann hatte versucht mich zu vernehmen. Ich versuchte zu sprechen. Außer einem Krächzen brachte ich nichts zustande. Ich versuchte Spucke in meinem Mund zu sammeln, um meine Lippen mit der Zunge zu befeuchten. Nach drei Versuchen hatte ich endlich soviel Spucke gesammelt, dass es klappte. Ich krächzte wieder, diesmal schien es mir lauter. Ich weiß nicht ob man mich gehört hatte, oder ob es Zufall war, dass man auf mich aufmerksam wurde. Ich konnte „Durst“ herauswürgen, und 28 dann verschwand das Wesen, das erschienen war und wenig später beugte sich ein weiterer Mensch über mich und strich mit einem nassen Lappen über meine Lippen. Ich schnappte mit den Zähnen danach und sog daran. Ich glaube, ich habe gelächelt, als ich die Schwester überlistet habe. Dann war ich wieder weg. Abgetaucht in die wohltuende Dunkelheit. Als ich das nächste Mal wieder zu mir kam, hatte man mich wohl umgebettet. Es war heller hier und ich konnte jetzt deutlich den Galgenarm des Infusionshalters sehen und die Leitung die hinunter zu meinem Arm ging. Ich war auch nicht mehr an das Bett geschnallt und ich bewegte vorsichtig meinen Arm. Es funktionierte, wenngleich auch eine Schmerzwelle über mich hinwegraste. Durch diesen Schmerz wurde mir aber auch klar, was passiert war. Ich sah wieder die Einzelheiten. Als ich mich zum Bierzapfen über den Tresen gebeugt hatte, hatte ich die blutende, wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt schon tote Frieda hinter dem Bartresen liegen gesehen und hatte noch eine Bewegung hinter mir wahrgenommen, bevor ich umgefallen war. Der Schmerz an meinem Hinterkopf rührte also von einem Schlag her, die Schmerzen im Brustraum und am Arm mussten von Verletzungen herrühren, die mir erst später beigebracht worden waren. Warum mein Gesicht völlig eingebunden war, konnte ich mir auch nicht vorstellen, aber auch hier waren Schmerzen vorhanden. Ich versuchte meine Beine ein wenig zu bewegen; aber ich konnte nicht feststellen, ob sich etwas bewegte oder nicht, denn bei jedem Versuch, war der Schmerz in der Bauchgegend zu groß um Empfindungen aus den Beinen an mein Hirn weiterzuleiten. Mein Denken schien ebenfalls nur im Zeitlupentempo vor sich zu gehen, alles schien wie in Watte verpackt und musste erst an die Oberfläche gezogen werden. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Was war passiert bei Frieda und danach? 29 Und plötzlich kam die schreckliche Erinnerung: Ich lag auf Betonboden und im roten Nebel kamen die Ratten. Ich hörte sie Quieken und Zischen, ich fühlte wieder die huschenden Füße auf meinem Körper, meinem Gesicht. Die Vorstellung war so schrecklich, dass ich geschrieen haben muss, denn sofort stand eine weiß gekleidete Gestalt neben meinem Bett und sah mich sorgenvoll an. „Haben Sie Schmerzen?“ „Das auch, aber ich hatte eben eine fürchterliche Erinnerung, das war der Grund. Bitte besorgen Sie mir etwas zu trinken und kann ein Arzt kommen, um mir meinen Zustand zu erklären?“ „Ich hole Dr. Flanders“, und schon war sie verschwunden. Noch bevor ich einen weiteren klaren Gedanken fassen konnte, standen gleich drei Männer und eine Frau um mein Bett herum und außerdem kam die Schwester mit einer Schnabeltasse in der Hand zurückgeeilt. „Geben Sie ihm ein paar Schlucke, aber langsam und nicht zuviel“, sagte der älteste Mann, den ich für Dr. Flanders hielt. Dann wurde mir die Schnabeltasse an die Lippen gehalten und ich trank gierig. Ein süßliches, breiiges Getränk. Kaltes klares Wasser wäre mir lieber gewesen. Noch besser ein schönes frisches Bier. Als die Schwester die Tasse wieder absetzte, sagte ich das auch dem Arzt. Ich glaube, ich habe noch nie in entsetztere Augen gesehen. Im Hintergrund hörte ich Kichern. „Mensch, Teufel, was sind Sie bloß für ein Mensch. Tagelang ringen wir um Ihr Überleben, und das Erste was Sie äußern, ist der Wunsch nach einem Bier. Ich kann es nicht fassen.“ „Doktor, regen Sie sich nicht auf. So bin ich nun Mal. Man nennt mich schon dort unten am Hafen, den versoffenen Teufel; aber bitte erzählen Sie mir jetzt, wie es um mich steht und woher die Schmerzen im Einzelnen kommen. Das Letzte woran ich mich erinnern kann ist der Fund einer stark 30 blutenden Frau und später an Ratten, die über mich hinwegtobten.“ „Sie haben die verschiedensten Wunden und Knochenbrüche. Eine Schädelfraktur im Hinterkopfbereich, Tierbisswunden an Ohren und Nase und an den Wundrändern am Hinterkopf. Rippenbrüche, der linke Arm ist ebenfalls in Höhe des Unterarms gebrochen, Schürfwunden am ganzen Körper, einschließlich der Beine, starke Prellungen in der unteren Bauchregion und im Schambereich. Wahrscheinlich hat man sinnlos auf sie eingetreten, als Sie schon am Boden lagen und später im Hafengebiet hat man Sie wahrscheinlich einfach wie einen Kohlensack hinter sich hergeschleift, was aus Ihrer Kleidung und den Schürfwunden hervorgeht. Aufgrund der Entzündungen der Wunden mussten wir Ihnen starke Antibiotika verabreichen und wir hoffen, dass Sie keine allergischen Reaktionen darauf zeigen werden. Mit den Schmerzen werden Sie jetzt zurechtkommen müssen, da die Morphine, die wir Ihnen bisher verabreicht haben, wegen der Unverträglichkeit mit den Antibiotika abgesetzt werden mussten. Können Sie es einigermaßen aushalten? Wir haben Kommissar Waldtmann von Ihrem Erwachen aus der Bewusstlosigkeit informiert und er wird in Kürze zu einem Verhör hier erscheinen. Der wird Ihnen auch nähere Einzelheiten über Ihren Fundort, Zeit usw. berichten können. Wir werden zusehen, dass er Sie nicht zu lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Dann werden wir Sie wieder in Tiefschlaf versetzten.“ „Wie lange bin ich schon hier, Doktor?“ „Es ist jetzt Dienstagvormittag. Sie wurden am Sonntag gegen 15 Uhr hier eingeliefert.“ „Bitte können Sie eine Freundin von mir unter der Rufnummer 06172-441327 benachrichtigen, dass ich hier eingeliefert wurde und dass sie sich um mich kümmern soll?“ „Wie heißt die Dame?“ 31 „Diana Hünfeld. Es ist ihre Geschäftsnummer.“ „Schwester Miranda wird das für Sie erledigen.“ „Danke.“ Ich merkte, dass dieses Gespräch mich sehr angestrengt hatte und ich schloss die Augen und hörte noch wie Dr. Flanders seinen Kollegen sagte: „Kommen Sie, wir können im Moment nichts weiter für ihn tun. Sagen Sie mir bescheid, wenn der Kommissar im Hause ist. Ich will nicht, dass der ihn überansprucht.“ Dann waren nur noch die sich entfernenden Schritte zu hören und ich versank in leichten Halbschlaf. Die Bilder des vergangenen Wochenendes mischten sich mit Bildern längst vergangener Zeiten auf der Brücke schnittiger Motoryachten. Immer wieder tauchten rattenübersäte Menschenbündel, die Gestalt der wie achtlos in die Ecke geworfenen Elsa und die weit geöffneten Augen und die sprudelnde Quelle aus Blut in der Brust von Frieda auf. Und nicht zuletzt, die Ratten, die über meinen Körper huschten. Ich war schon fast dankbar, als ich von Waldtmann angesprochen wurde und langsam in die schmerzliche Wirklichkeit zurückkehrte. Er hatte sich einen Stuhl an meine rechte Seite gerückt und sah in dem umgehängten, grünen Besucherkittel der Intensivstation nicht so bedrohlich aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte, und wie er in meinen Fieberträume des vergangenen Tages aufgetaucht war. Auch seine Stimme war leise und wohl moduliert, als er sagte: „Teufel, man hat Sie übel zugerichtet. Elsa und Frieda sind tot. Zwei junge Frauen lagen tot und angefressen unter der Laderampe im Hafen. Was können Sie mir darüber berichten?“ Er war näher gerückt, da meine Stimme doch noch sehr schwach war und er mich besser verstehen wollte. „Besorgen Sie mir erst einmal ein wenig Wasser zum trinken, sonst bekomme ich keinen Ton heraus.“ 32 Er kümmerte sich darum und die Schwester kam mit einer Wasserflasche mit einem Strohhalm. Ich trank ausgiebig und dann fühlte ich mich besser. Ich hatte schon vorher, als ich Unterstützung von Diana anforderte, beschlossen die Geschichte ein wenig zu verändern, Waldtmann aber genügend Informationen zur Fahndung nach den Russen zu geben. Von meinem eigentlichen Auftrag wollte ich nichts erzählen. „Ich habe wie häufig meine Runde im Hafen gedreht und als ich die Ratten dort gesehen habe, bin ich stutzig geworden und habe mit der Taschenlampe nachgesehen was dort wohl so Leckeres für Ratten zu holen war. Ich habe Sie dann sofort angerufen, wie Sie ja wissen.“ Er unterbrach mich: „Wieso sind nicht am Fundort geblieben, als die Streifenbeamten gekommen waren und haben auf uns gewartet?“ „Bei dem Wetter im zugigen Hafen untätig stehen zu müssen ist nicht mein Hobby. Ich bin einfach rüber zur Frieda um auf den Schrecken ein Bier und `nen Schnaps zu trinken. Ich hab ein wenig mit Elsa getratscht, die sonst in der Nähe des Schuppens ihren Standplatz hatte und hab sie gefragt, ob sie was Außergewöhnliches beobachtet hätte, während der letzten Tage. Hatte sie aber nicht, weil sie einen Dauerfreund für drei Tage gefunden hatte. Da hatten am Mittwoch vergangener Woche ein paar Russen Maschinen angeliefert und hatten Elsa aufgegabelt und waren mit ihr erst zum Bechern zu Frieda und hinterher zu ihrem Truck hinten auf dem großen Parkplatz gezogen. Da war dann bis zum Sonnabendmorgen eine Party, wo es hoch her ging. Die Russen mussten solange bleiben, weil wohl einer der Wagen einen Schaden hatte und sie Ersatzteile aus der Ukraine angefordert hatten.“ „Gab es denn hier keine Werkstatt, die das erledigen konnte?“ 33 „Das war es, was mich auch stutzig machte und eine weitere Bemerkung die Elsa gemacht hatte. Sie sprach von einem Extraraum hinter der Fahrerkabine, mit Matratzen drin und einem eigenem Klo. Das wollt ich mir selbst ansehen.“ „Und? Haben Sie es gesehen? Und wann war das denn?“ „Sie hatten schon den ganzen Hafen absperren lassen, darum hab ich mir ein Fahrrad, das vor der Tür von „Frieda“ stand geschnappt und bin durch den Zaun zum Parkplatz.“ „Warum durch den Zaun und nicht an unseren Wachen vorbei und uns benachrichtigt? Wir hätten die Wagen genauso gut untersuchen können.“ „Ja, aber Sie wissen doch, was Elsa so manches Mal in ihrem Suff von sich gegeben hat. Sie hatten genug andere Dinge zu tun, als sich um das Geschwätz einer Betrunkenen zu kümmern. Sie hätten mich hochkantig aus dem Hafen gescheucht, wenn ich mit solch einer Meldung zu Ihnen gekommen wäre. Also hab ich es allein versucht und bin auch rangekommen. Ich hab den Raum wirklich gesehen. Der Eingang war gut getarnt hinter der unteren Fahrerkabine. Ich hab den einen Fahrer dann noch mit herausgenommen, weil er noch in einen Puff in der Innenstadt wollte. Wir haben oben in der Kneipe am Westplatz noch ein Bier zusammen getrunken und er hat sich ein Taxi gerufen und ich bin wieder zu Frieda zurück. Ich wollte noch ein wenig mehr von Elsa dazu hören, aber die war schon zu weit in ihrem Suff. Also hab ich mir von Frieda die Adresse von Elsa geben lasen und hab Elsa gesagt, dass ich morgens bei ihr vorbei kommen wolle. Ob sie das noch geschnallt hat oder nicht, weiß ich nicht. Ich bin dann jedenfalls auch nach Haus und habe noch eine Zeichnung von dem komischen Raum angefertigt.“ „Die haben wir schon gefunden, konnten uns aber keinen Reim daraus machen. Die Bemerkungen am Rand waren aber etwas merkwürdig, darum haben wir sie mitgenommen. Warum haben Sie das eigentlich nach Bad Homburg gefaxt“, fragte er mich scheinbar harmlos. 34 „Da sind ein paar Freunde von mir, die schon Mal Ermittlungen wegen Drogen gemacht haben. Die sollten sich das ansehen und mir bescheid geben, damit ich später eventuell was für Sie hätte. Jedenfalls bin ich dann so gegen zehn Uhr bei Elsa aufgekreuzt und hab sogar Frühstück mitgenommen. Aber Elsa hatte nicht aufgemacht und ich bin hintenrum rein und hab sie gefunden. Dann hab ich Sie gleich über den Notruf angerufen und bin weiter zu Frieda. Ich wollt wissen mit wem sie denn in der Nacht vorher abgehauen sei und ob die Russen vielleicht noch da waren und mit ihr nach Hause sind. Aber Elsa war allein nach Hause. Nur der eine Russe war gegen drei Uhr nachts noch mal da gewesen und hatte nach der Adresse von Elsa gefragt, weil sie eine Plastiktüte im Auto vergessen hatte. Frieda hat noch gesagt, die könne er ruhig bei ihr deponieren, weil Elsa ja am nächsten Tag bestimmt wieder kommen würde, aber er wollte ihr die Sachen noch vorbeibringen, bevor sie wieder weg müssten. Und da hat sie ihm die Adresse verraten. Ich bin fast ausgerastet, als ich das gehört hab. Bin nur schnell zu meinem Auto um mein Handy zu holen und als ich wieder kam, war Frieda nicht da. Ich dachte sie wäre noch mal kurz nach oben und ich hab mich dann über die Theke gebeugt um mir von dort aus ein Bier einzuschenken. Da hab ich sie dort liegen gesehen. Und dann war etwas hinter mir und dann war gar nichts mehr, bis ich hier aufgewacht bin. Wie bin ich denn hier überhaupt hergekommen?“ „Das Sie überhaupt noch leben und nicht von den Ratten aufgefressen wurden, verdanken Sie nur meiner Wut, Sie Neunmalkluger Wichtigtuer mit Lizenz zum Töten aus Dummheit. Als Sie wieder nicht am Fundort der Leiche anzutreffen waren bin ich mit zwei Leuten rauf zur „Frieda“, weil ich vermutete, dass Sie da gemütlich Ihren Frühschoppen saufen würden, anstatt uns sachdienliche Hinweise auf zwei, was sage ich, drei Mordfälle zu geben. Und dass, obwohl Sie 35 dazu schon aufgrund Ihrer Lizenz verpflichtet wären. Als wir dann auch noch Frieda dort tot gefunden haben, habe ich Sie für einen Amokläufer gehalten. Aber als wir dann Schleifspuren mit Blutspuren vermischt aus der Bar über die Straße hinweg gefunden haben, die darauf deuteten, dass Jemand in ein Auto auf der anderen Straßenseite gezerrt worden sein musste, war mir klar, das waren Sie, den man dort unsanft transportiert hatte. Nachbarn hatte auch gesehen, wie man Sie, scheinbar volltrunken wie so häufig, über die Straße in einen LKW geschafft hatte, der dann in Richtung Hafen losgefahren war. Ich hab zwei und zwei zusammengezählt und dann sind wir sofort an das Lagerhaus, wo die anderen Leichen gelegen hatten. Und siehe da, auch der Herr Privatdetektiv Teufel hatte sich zu den Ratten verkrochen, wo er hingehört. Nur dass die Ratten nicht mit Ihnen fröhlich zusammen saßen und Morde am laufenden Band feierten, sondern an Ihnen herum fraßen. Das hat mich veranlasst, Sie da rausziehen zu lassen.“ Seine Stimme war jetzt wieder in normaler Lautstärke, wie ich es von ihm gewohnt war. Der Ton kam mir auch wesentlich bekannter vor und sein Gesicht war nur noch eine grimmige Grimasse. „Das wird noch ein böses Nachspiel haben, Ihre Lizenz können Sie abschreiben und wenn ich noch etwas mehr Beweise zusammentragen kann, schick ich Sie wegen Beihilfe für lange Zeit in den Bau. Da können Sie sicher sein. Sie, Sie…“ Er schnappte nach Luft und ihm fielen keine passenden Beleidigungen oder weitere Vorwürfe ein. „Dann verdanke ich Ihrem Scharfsinn und der schnellen Handlungsweise mein Leben Herr Waldtmann. Ich danke Ihnen und werde es Ihnen mein Leben lang nicht vergessen“, säuselte ich, so gut ich es mit meiner geschundenen Stimme konnte und schloss die Augen, damit ich sein vor Wut verzerrtes Gesicht nicht mehr sehen musste. 36 Die Schwester kam mir zu Hilfe. Sie schnauzte Waldtmann an: „Sehen Sie denn nicht, dass Sie den Patienten mit Ihrem Verhör überfordern. Ich muss Sie jetzt bitten, den Raum zu verlassen. Sie sind sowieso schon viel zu lange hier.“ „Ich habe aber noch viele Fragen, die Mordfälle aufklären könnten.“ „Die Opfer sind eh schon tot, denen können Sie nicht mehr helfen.“ „Aber der oder die Mörder laufen immer noch frei rum, und könnten morgen Sie umbringen. Das müssen und wollen wir verhindern.“ Ich hatte inzwischen die Augen wieder geöffnet und der Schwester, die nahe dem Bett stand und mich sorgenvoll betrachtete, durch Blinzeln zu verstehen gegeben, dass er ruhig weiter machen könne. „Waldtmann, die Russen LKW trugen alle das Firmenlogo „Kiew – TransEx“, wenn Sie die Fahndung schnell genug hinaus bekommen und die Zusammenarbeit mit Polen, Tschechien, Slowakei, Österreich und den anderen osteuropäischen Staaten hinbekommen, dann erwischen Sie die noch. Außerdem suchen Sie nach einem Fahrrad. Einem roten Damenfahrrad mit ebenfalls roten Satteltaschen, das zuletzt vor der Kneipe „Frieda“ gestanden hatte. In der linken Satteltasche befindet sich eine Schnapsflasche, auf der auch die Fingerabdrücke von dem deutsch sprechenden Fahrer zu finden sein müssen. Vielleicht finden Sie die gleichen „unbekannten“ Abdrücke in Elsas Wohnung. Und wenn Sie die Wagen finden dann untersuchen Sie die nach dem Sonderraum und diesen nach Spuren, die vielleicht zu den Toten unter der Rampe führen könnten. Dieser Sonderraum muss nicht in jedem dieser Trucks gewesen sein. Vielleicht haben sie nur einen damit ausgestattet, also brauchen Sie alle drei Wagen. Zugelassen waren sie alle in der Ukraine, aber Kennzeichen lassen sich schnell auswechseln. Es waren auf jeden Fall moderne „DAF-Trucks“, keine so alten 37 Seelenverkäufer, die sonst von denen da unten gefahren werden. Wenn Sie Unterstützung von den Behörden dort unten bekommen können, dann sollte es keine Schwierigkeit sein, heraus zu finden, welche Firma über einen derartigen Fuhrpark verfügt, denn die Beschriftungen an den Außenwänden könnten Augenwischerei gewesen sein. Und jetzt geben Sie mir noch etwas zu trinken und dann muss ich wieder schlafen.“ Waldtmann hatte merkwürdigerweise nichts weiter gesagt, sondern mir nur die Flasche zum trinken hingehalten und war danach aus dem Zimmer gegangen. Ich spürte noch die Spritze in den Arm und dann war ich wieder in Tiefschlaf gesunken. Ein zartes „Waldi“ weckte mich und ich starrte in das verzogene Gesicht von Waldtmann und daneben das Gesicht von Diana. Waldtmann hatte offensichtlich das Gesicht verzogen, weil Diana mich so geweckt hatte, wie er am liebsten von seiner Frau gerufen wurde. Waldtmann war jedenfalls auf Nummer sicher gegangen und war mit Diana hier erschienen, um zu sehen und zu hören, was ich denn ihr vielleicht noch mehr zu berichten hatte, denn er hatte sich bestimmt über die Homburger Firma erkundigt und ahnte, dass ich ihm noch einige Dinge verschwiegen hatte. Diana machte das gut. Sie hatte ganz als treusorgende Freundin meine Hand ergriffen und kurz eine der nicht verbundenen Hautpartien meines Gesichts gestreichelt und dabei gesagt: „Waldi, du machst aber auch wieder Sachen.“ Waldtmann schaltete sich ein: „Gnädige Frau, wir müssen zunächst noch ein paar Sachen von ihm wissen. Sie können nachher mit ihm noch herzen. Teufel, was haben Sie von den Trucks erzählt? Das da russische waren?“ „Ja. Große DAF-Trucks mit Metallaufbauten und der Beschriftung „Kiew-Trans-Ex“. Warum fragen Sie?“ 38 „Zeugen haben gesehen, wie Sie in einen holländischen LKW geschleppt worden sind, mit Zeltaufbauten. Wäre so ein holländischer Bananenimporteur gewesen.“ Ich muss ein wenig verwirrt ausgesehen haben, aber dann kam mir die Erleuchtung. „Nicht schlecht die Herrschaften. Der Wagen ist mir auch nicht aufgefallen, aber er war da. Gegenüber von „Frieda“, als ich zurückkam von meinem Auto. Es müsste immer noch um die Ecke in der Sylter Straße stehen, gleich rechts in der ersten Parkbucht. Es ist ganz einfach. Die haben nur Planen über die Aufbauten gehängt und sind als Holländer abgedampft. Da können Sie lange nach ukrainischen LKWs forschen, die gibt es im Moment gar nicht mehr. Sauber geplant.“ Waldtmann schien wieder explodieren zu wollen über mein „sauber geplant“; aber er sah wohl ein, dass es zwecklos sein würde. „Haben Sie schon nachgeforscht, ob es überhaupt einen holländischen Bananenimporteur mit der Firmenbezeichnung gibt und ob eine ukrainische Firma namens „Kiew-Trans-Ex“ existiert?“ „Beide Firmen gibt es wirklich. Aber die haben beide keine „DAF“ Fahrzeuge im Einsatz. Und die Wagen sind auch am Sonntag an keiner Grenze aufgefallen, weil sie ja die Sonderfahrerlaubnis hätten vorweisen müssen. Weder nach Westen noch an den Ostgrenzen sind sie gesichtet worden.“ „Nach Holland und Belgien, und weiter südlich nach Frankreich gibt es soviel kleine Straßenübergänge, die nicht überwacht werden, dass es keine Schwierigkeit geben sollte, da raus zu kommen. Wenn sie nicht als Konvoi gefahren sind, wird es noch schwieriger. Wenn sie nur wenige Kilometer bis zur nächsten Rastanlage für LKWs gefahren sind und erst nach 22:00 Uhr weiter gefahren sind, etwa nach Dänemark, dann wären sie wohl auch jetzt endgültig verschwunden. Auch die Fährverbindungen nach England sollten Sie unter die Lupe nehmen.“ 39 Daran schien er offensichtlich nicht gedacht zu haben, denn er verließ schnell das Zimmer. Scheinbar wollte er draußen telefonieren. Während wir allein waren sagte ich hastig zu Diana: „Überprüfe unauffällig, wer in der Marcus Allee 47 wohnt, da wollte der eine Russe am Samstagabend um Mitternacht noch mit einem Taxi hin. Nur herausfinden wer da wohnt. Könnte die Bezugsperson sein. Keine Pferde scheu machen, sonst sind alle in der Deckung verschwunden. Und nehmt Euch sämtliche Bordellbetriebe in der ganzen näheren und weiteren Umgebung der Stadt hier unter die Lupe, wo Neuzugänge sind. Ich nehme an, dass neben den Toten unter der Rampe, noch weitere Mädels hierher gebracht worden sind. Die müssten ganz schön unter Schock stehen. Eine Liste der ganzen Puffs und deren Mitarbeiter findest du auf meinem Computer unter [Spiele, Bewegung, Spielstätten]. Jede Spielstätte ist ein Betriebsordner unter dem du das Unterverzeichnis [Spieler] findest. Hoffentlich haben die nicht meinen ganzen Computer eingezogen. Gib mir bitte etwas zu trinken, ich hör Waldtmann schon.“ „Ich habe eine Fahndung nach den Lastern nach ihren Angaben rausgeschickt. Hoffentlich werden wir dort fündig.“ „Sie sollten sich über CB-Funk über die gebräuchlichste Frequenz an alle Brummifahrer wenden, die Sonntagabend in dieser Gegen losgefahren sind. Vielleicht ist denen was aufgefallen. Sagen Sie einfach, Sie suchten die LKWs um Zeugenaussagen zu erhalten. Vielleicht mobilisieren Sie damit die Brummifahrergilde, weil Sie dann glauben den Bullen Mal in einer Sache helfen zu können, die nicht nur gegen die Sünder unter ihnen gerichtet ist, dass sie etwas tun können, um ihr geschädigtes Image bei den Ordnungshütern aufzupolieren.“ Waldtmann sah mich nachdenklich an und entschied, dass es vielleicht eine Chance hätte, und stolzierte wieder aus dem Zimmer. 40 „Und ihr solltet Euch schnell um die großen Werkstätten hier in der Umgebung kümmern, die Beschriftungen an LKWs innerhalb kurzer Zeit überarbeiten können. Die Planen haben die doch bestimmt bald wieder runter gerissen. Die fallen jeder Polizeistreife sofort auf, weil sie flattern.“ Sie flüsterte mir nur noch schnell zu: „Klaus ist auch dabei. Wir werden die Werkstätten und die Bordelle überprüfen und in deiner Wohnung Stellung beziehen. Ich sollte nur deine Hausschlüssel noch bekommen. Ich hau dann gleich wieder ab. Wir sehen uns morgen früh.“ „Scheint keine so schlechte Idee mit dem CB-Funk, da kamen gleich die ersten Meldungen rein“, meinte Waldtmann, als er zurückkam. „Ich hätte aber gerne von Ihnen noch Personenbeschreibungen von den Fahrern, meinen Sie, dass Sie schon wieder so fit sind, dass Sie unserem Zeichner helfen könnten?“ fragte er aufgeräumter, als ich ihn in den letzten Begegnungen in Erinnerung hatte. „Wir haben das Fahrrad mit der Schnapsflasche tatsächlich noch vor der Kneipe gefunden. Die Spurensicherung ist dabei die Fingerabdrücke darauf mit denen in der Wohnung zu vergleichen. Ihre haben wir schon identifiziert, sowohl auf der Flasche, als auch auf dem Telefon in Elsas Wohnung.“ Diana hauchte mir noch ein Küsschen auf den Mundwinkel und verabschiedete sich dann. Ich sagte Waldtmann zu, dass ich dem Zeichner helfen würde und fragte, noch während Diana noch im Raum war:“ Können Sie mir etwas über die Toten unter der Rampe sagen? Das waren doch bestimmt keine Penner, die dort Unterschlupf gesucht hatten?“ Diana lauschte, das wusste ich. „Nein, das waren ganz junge Mädchen. Nach den ersten Untersuchungen zu urteilen aus dem fernöstlichen Raum. Beide waren an Kohlenmonoxydvergiftungen gestorben; aber die wären ohnehin draufgegangen, denn beide hatten jede Menge Kondome, gefüllt mit Kokain bester Sorte, in ihren 41 Bäuchen. Jeweils einer war geplatzt, und sie wären an der Überdosis gestorben. Beide schienen auch sexuell missbraucht worden zu sein und zwar heftig. Vaginal- und Analbereich waren schwer verletzt. Arme Schweine, wurden als Drogenkuriere eingesetzt. Kamen scheinbar aus Holland, denn die Kondome waren dort her. Wie die in den Hafen gekommen waren, wissen wir noch nicht. Könnte sogar sein, dass Sie vollgestopft mit dem Gift unter der Rampe Schutz gesucht hatten und dort die Ladung Auspuffgase abbekommen haben, von den davor stehenden Lastern. Wirklich schlimm.“ An diese Theorie mochte ich nicht glauben; aber das verriet ich Waldtmann nicht. Diana war jetzt leise verschwunden und wenige Minuten später kam der Polizeizeichner. Während der nächsten zwei Stunden waren wir beschäftigt, und dann verließen mich die Kräfte. Die Bilder waren recht gut geworden, und sie wollten zunächst die Gesamtdatei der Polizeidienststellen in Deutschland damit füttern. Vielleicht waren die Herrschaften ja schon früher aufgefallen. Zwischendurch hatte mir die Schwester eine weitere Schnabeltasse mit Brei gereicht und mir eine weitere Spritze verpasst. Als es draußen dunkel wurde schloss ich ermattet die Augen und fiel in tiefen, traumlosen Schlaf. Es war schwer aus diesem Schlaf wieder an die Oberfläche zu kommen, aber ich wurde am Arm gerüttelt und die Schmerzwelle, die durch meinen Körper raste, bewirkte es dann doch. Vor mir sah ich das Gesicht von Klaus und im Hintergrund war auch Diana. Ein Arzt und zwei Schwestern waren auch im Raum. Ich bemerkte, wie man die Anschlüsse an den ich gehangen hatte entfernte, und dann wurde ich mit vereinten Kräften aus dem Raum geschoben. Im Vorbeifahren bemerkte ich, dass auf dem Flur ein weiteres Bett aufgebaut war. Man hastete und keiner sprach einen Ton. Erst als wir in 42 einem anderen Zimmer angelangt waren, wurde mir gesagt warum man mich verlegt hatte. Klaus sagte: „Waldi, wir müssen davon ausgehen, dass die Leute, die meinten dich umgebracht zu haben, wieder versuchen werden ihr Werk zu vollenden; denn die Zeitungen waren heute voll von den Leichenfunden und von deinem Überleben. Man hatte sehr genau beschrieben wie man dich gefunden hatte und dass du schon auf dem Wege der Besserung seiest und bald den Polizeibehörden berichten könntest, was du gesehen und herausgefunden hast. Die werden versuchen, dich am Sprechen zu hindern. Lars und Wiesel sind heute Nachmittag hier eingetroffen und haben sich mit Waldtmann in Verbindung gesetzt. Er war zwar erst nicht einverstanden, dass wir hier ein „gesundes“ Opfer stationieren wollen um einen möglichen Mörder zu fangen, aber Wiesel hat ihn überreden können, wenn wir die Aktion durchführen und als seine Idee hinstellen. Den Ruhm soll er kriegen, wenn wir Erfolg haben, dafür ist außer ihm auch kein Mensch im Präsidium eingeweiht. Hier im Krankenhaus, weiß es auch nur Chefarzt Flanders und eine gut ausgebildete Schwester. Flanders war einverstanden, weil du nicht mehr in Lebensgefahr schwebst, und daher aus der Intensivstation entlassen werden konntest. Du musst nur jetzt viel schlafen, damit du wieder zu Kräften kommst.“ „Die sollen mich nur nicht weiter mit Barbituraten voll stopfen, sondern mir ein vernünftiges Bier geben, dann schlaf ich wie ein Baby. Besorg mir eins.“ „Später, aber jetzt bleib erst ruhig liegen. Deine Stationsschwester ist Diana. Sie ist im Raum gegenüber. Deine Klingel ist hier, und benutze sie nur, wenn es dringend notwendig ist. Für ´nen Plausch oder ´ne Flasche Bier kommt sie nicht. Sie hat noch ein paar andere Aufgaben. Also penn jetzt.“ Schon war er wieder verschwunden und die Tür hatte er zugezogen. Wenn ich richtig gehört hatte, ließ sie sich nur mit 43 Schlüsseln öffnen. Ich fiel tatsächlich wieder in unruhigen Halbschlaf. Immer wenn ich an die Oberfläche kam, lauschte ich auf die Geräusche außerhalb des Raumes; aber ich konnte nichts vernehmen. Als die Schüsse fielen, war ich allerdings sofort mit einem Ruck hochgeschossen und fast augenblicklich wieder aufs Bett zurückgesunken. Der Schmerz war zu groß gewesen. Auf dem Gang war unentwegtes Fußgetrappel, Rufe wurden laut, Türen wurden geknallt und dann schallte die tiefe Stimme Waldtmanns durch die Gänge: „Bitte beruhigen Sie sich Alle. Es hat hier eine kleine Explosion gegeben. Keiner von Ihnen ist gefährdet. Bleiben Sie in Ihren Zimmern. Für mich konnte das ja wohl nicht gelten. Obwohl ich vor Schmerz hätte schreien können, und ich ein paar Mal fast das Bewusstsein verlor, kam ich aus dem Bett und tastete mich, weil ich keinen Lichtschalter finden konnte, im Dunkeln zur Tür und öffnete sie. Sie war doch nicht abgeschlossen gewesen. Am anderen Ende des Ganges herrschte allgemeine Aufregung und Ärzte und Schwestern wuselten durcheinander. Diana stand teilnahmslos mit dem Rücken zu mir an die Wand gelehnt und schien das Geschehen zu filmen. Eine Gestalt, ähnlich wie ich, unter Verbänden verhüllt, bemühte sich gemeinsam mit den Ärzten um eine Gestalt, die im Gang lag. Waldtmann stand breitbeinig und vorgebeugt am hinteren Ende des Ganges und verfolgte die Bemühungen. Einer der Ärzte schüttelte bestimmt den Kopf und stand auf. Der Mensch am Boden war anscheinend nicht mehr zu retten. Weiter vorn, in Höhe des Schwesternzimmers saß ein junger Mann zusammengesunken auf einem Schemel und hatte die Hände vors Gesicht gepresst. Seine Schultern zuckten. Ich hatte mich ihm barfuss, mit dem Krankenhausnachthemd gekleidet, genähert und ihm meine gesunde Hand auf die Schulter gelegt. Er fuhr heftig herum und hätte mich beinahe zu Fall gebracht. Sein Gesicht war verheult und er murmelte vor sich 44 hin: „Ich habe ihn erschossen, wie schrecklich; aber er hatte doch eine Pistole in der Hand, was sollte ich denn machen?“ Diana hatte sich herumgedreht und hatte mich bei dem jungen Mann stehen sehen. Sie kam wie eine Furie auf mich zugeschossen und schnauzte mich an: „Kranke haben hier nichts zu suchen. Machen Sie, dass Sie in ihr Bett kommen!“ Dann hatte sie mich erst erkannt und ihre Augen weiteten sich: „Du?“ „Ja, ich, wer liegt da?“ „Der Beschreibung nach dein russischer Fahrerfreund. Schade, nun kann er nichts mehr aussagen. Komm mit und identifiziere ihn.“ Sie schleppte mich zu dem Liegenden und ich stellte sofort fest: Es war der Russe, der mit dem Taxi in die Stadt gefahren war. Der ganze Aufwand war wohl doch etwas zuviel für mich gewesen, und ich merkte nur noch, dass ich in mir zusammensackte. Ich bekam nicht mehr mit, dass Waldtmann und Diana mich auffingen. Als ich wieder aufwachte, war ich wieder in einem Zimmer der Intensivstation und neben mir stand wieder ein Infusionshalter und ich war wieder an Schläuche angeschlossen. Von den Schmerzen spürte ich im Moment nichts. Es war heller Tag und ich hatte schrecklichen Durst. Ich fand die Klingel und wenig später kam die Schwester herein. Sie lächelte mich an und das tat mir gut. Es war das erste Lächeln, das ich mit vollem Bewusstsein hier in diesem Krankenhaus wahrnahm. Als Klaus dann auch noch in den Raum trat und in der Hand eine Flasche Bier hielt, aus der ein Strohhalm herausragte, wusste ich endgültig – ich war auf dem Wege aus der Hölle. Die Schwester hatte nur ganz kurz die Anschlüsse überprüft und den Kopfteil des Bettes etwas höher gestellt und war dann wieder verschwunden. Klaus hatte für sich und Diana, die auch hereinkam, Stühle herangezogen und Klaus berichtete, während ich mein Bier nuckelte. 45 „Wir hatten mit Hilfe von Dr. Flanders und der Schwester alles vorbereitet. Man hatte mir ebenfalls ähnliche Verbände wie dir angelegt und ich hatte mich auf dein Bett gelegt. Im Schwesternzimmer war ein junger Beamter aus Waldtmanns Truppe versteckt und Diana konnte aus ihrem Zimmer den Hinteraufgang beobachten und mit einer Infrarotkamera filmen. Der Täter kam aber als Sanni verkleidet über die Haupttreppe. Er kam von oben. Wie er da hingekommen war ist inzwischen auch klar. Er war von der Tiefgarage aus einen Stock höher gefahren und dann die Treppe hinunter gestiegen. Dadurch war er auch keinem Menschen am Empfang aufgefallen. Da saß nämlich noch ein Beamter von Waldtmann. Als der vermeintliche Sannitäter an dem Schwesternzimmer dort vorne vorbei ist, hat sich der junge Mann nichts dabei gedacht. Er ist direkt hier rein und hatte eine Spritze dabei. Ich muss auch wohl ein wenig eingedöst sein, denn ich habe ihn erst bemerkt, als er schon direkt vor meinem Bett stand und nach meinem Arm fassen wollte. Als ich ruckartig hochkam, wollte er mich zurückdrücken aber ich habe mich natürlich gewehrt. Damit hatte er nicht gerechnet und hatte beim Kampf die Spritze verloren. Als er merkte, das nicht du, sondern ein anderer in dem Bett lag ist er geflüchtet und hat eine Pistole gezogen und wollte auf mich schießen. Da kam aber schon der junge Beamte angelaufen und er hat sich dorthin gewandt und hat geschossen. Der junge Mann hat sofort zurück geschossen und hat ihn erwischt. Mich hätte er beinahe auch noch erwischt als ich hinter dem Russen raus bin, aber dann hat Gott sei Dank der Schock bei ihm eingesetzt und der Schuss ging daneben und dann hat er die Pistole einfach fallen lassen. Für den Russen kam jede Rettung zu spät. Anhand der Fingerabdrücke ist aber inzwischen erwiesen, dass er zumindest Elsa auf dem Gewissen hat. Du weißt schon: Waldtmann hat seinen Mörder, er ist der Held und ein toller Fuchs, weil er hier die Falle gestellt hat. Die Wagen hat man 46 nicht gefunden, und man wird das auch nicht weiter verfolgen. Du solltest nur zusehen, dass du bald wieder auf die Beine kommst. Wir brauchen dich dringender als vorher, weil du den Sumpf hier am besten kennst. Wenn du wieder soweit bist, werden Werner und ich dich unterstützen, vielleicht kommt Diana auch noch dazu und dann kommen wir hoffentlich endlich weiter. Die Adresse in der Marcus Allee scheint auch noch ein sehr guter Tipp gewesen zu sein. Wiesel und Lars sind da jetzt dran.“ „Und was ist mit dem jungen Helden?“ „Den haben sie gestern gleich hier behalten. Schock. Der liegt im Nebenzimmer. Vielleicht kannst du ja mit ihn die Kiste Bier teilen, die ich bei den Schwestern deponiert habe, dann kommt der vielleicht genauso schnell wieder auf die Beine wie du und dann hast du vielleicht wenigstens einen Freund in der Mordkommission“, meinte Klaus feixend. Dann legte er den Arm um Diana und meinte, dass sie nun gehen müssten. Ich könnt mich ja melden, wenn ich wieder fit wäre. „Die Hausschlüssel haben wir wieder abgegeben und die Daten haben wir auf den Zentralcomputer nach Bad Homburg übertragen.“ „Und was passiert mit meiner Lizenz?“ „Die darfst du behalten. Das haben Wiesel und Lars mit Waldtmann abgeklärt. Aber du solltest Waldtmann in der nächsten Zeit ziemlich weiträumig aus dem Wege gehen. Der kann dich wirklich nicht leiden.“ Sie gingen und ich machte mich von meinen Versorgungsschläuchen los, kam stöhnend von meinem Bett hoch und kroch hinaus. Ich suchte mir die Toilette und dann ging ich mir noch zwei Flaschen Bier holen. Die Schwester fiel zwar fast in Ohnmacht als ich ihr mit meinem „hinten offen“ Nachthemd beim Hinausgehen mein Hinterteil präsentierte, aber sie ließ mich zufrieden als ich in den Raum neben meinem Zimmer marschierte um meinem Leibwächter ein Bier auszugeben. 47 Teuflische Erinnerungen Ich hätte eigentlich zufrieden sein können: Ich lebte, und hatte mein Bier. Waldtmann würde mich in der nächsten Zeit zufrieden lassen, der Mörder Elsas war identifiziert und tot. Ich hätte doch zufrieden sein können; aber in mir tobte etwas, dass ich nicht beschreiben konnte. Ich konnte noch nicht einmal den jungen Mann, der in Panik den Mörder erschossen hatte, trösten. Er war völlig teilnahmslos und sah mich verachtungsvoll an, als ich mit meiner Bierflasche bewaffnet zu ihm kam um ihm zu danken; denn er hatte verhindert, dass ein Freund von mir verletzt oder sogar getötet wurde. Er konnte und wollte diesen Dank nicht annehmen, dazu stand er noch zu sehr unter dem Schock einen Menschen getötet zu haben. Ich kannte dies Gefühl; aber das wollte ich ihm nicht erklären. Auch heute noch stehe ich unter diesem Schock, obwohl das Ereignis schon so scheinbar unendlich lange zurückliegt. Ich konnte ihm nicht sagen, um wie viel schlimmer es einen Menschen treffen kann, wenn man den Menschen tötet, den man heiß und innig geliebt hat, der einem mehr bedeutet, als sein eigenes Leben. Den man getötet hat aus einem Reflex heraus; denn jede andere Reaktion hätte den eigenen Tod bedeutet. Wenn ich damals die Situation mit meinem Herzen und nicht mit meinem Verstand und meiner Reaktion beurteilt hätte, dann wäre ich tot, und nicht meine Geliebte Vanessa. Ich hätte dann damals überhaupt nicht reagiert und wäre gerne statt ihrer gestorben. Als er mein ihm angebotenes Bier abgelehnt hatte; mich geradezu entgeistert über das Ansinnen, überhaupt etwas zu trinken, angesehen hatte, und mich harsch aufgefordert hatte sein Krankenzimmer zu verlassen, war ich in einer sehr bedrückten Stimmung in mein Zimmer zurückgekehrt. Ich hatte die Qual in seinem Gesicht ablesen können, und er hatte 48 sofort die alten Schuldgefühle in mir wachgerüttelt. Ich war schuldig am Tod eines Menschen. Ich hatte während meiner ganzen Exkursion über den Flur, den Gang ins Nebenzimmer trotz aller Verbände, die ich noch trug, keine Schmerzen empfunden. Als ich mich auf dem Bettrand meines Bettes niederließ, in jeder Hand eine Bierflasche, kamen die Schmerzen meiner Wunden mit aller Gewalt zurück. Ich hätte Schreien können. Es schien als ob die gesamte Hautoberfläche in Flammen stand. Mein Gesicht, besonders Nase, Ohren und in erster Linie mein Hinterkopf strahlten geradezu brüllende Schmerzen aus. Meine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, ich sah meine Umwelt nur noch durch Schleier. Und es waren nicht die körperlichen Schmerzen, die das bewirkten. Es waren die Erinnerungen, die ich jeden Tag durch meine Lebenswandel, durch meine scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber meinen Mitmenschen, durch mein Saufen in den Kneipen des Hafens, in den Bordellen der Stadt und des Umlandes, zu kompensieren suchte. Die tägliche Hektik, die ständige Bewegung im Handeln, Denken und Tun, waren nichts weiter als der Versuch diesen Erinnerungen zu entfliehen. Ständig wechselnde Kontakte, jede engere Beziehung zu einem einzelnen Menschen meidend, waren das Ergebnis meiner Flucht vor mir selbst. Erst Wilhelm Starck, genannt das „Wiesel“ hatte mir vor ein paar Jahren einen Weg gezeigt, wie ich besser mit den Dingen zurechtkommen konnte. Er hatte mich wieder vor sinnvolle Aufgaben gestellt, hatte von mir Leistungen verlangt und an mein Ehrgefühl appelliert, mich nicht hängen zu lassen, sondern meine mir inzwischen angeeigneten Fähigkeiten konstruktiv zu nutzen. Er war es gewesen, der mir gezeigt hatte, dass jeder Mensch; egal wie weit gefallen, die Chance hätte, sinnvolles zu tun in diesem Leben. Er hatte mich soweit wieder aufgerichtet, dass ich zumindest wieder fähig war, Beobachtungen anzustellen, klare Schlüsse daraus zu ziehen und in Berichtform weiterzugeben. 49 Er hatte es geschafft, dass ich nach verschiedensten Lehrgängen und Prüfungen eine Lizenz als Privatdetektiv bekam. Ich war zwar damals, nach meinem Verfall in der glückliche Lage gewesen über ein gewisses Vermögen zu verfügen, das es mir ermöglichte ohne meine geliebte Arbeit als Schiffbauingenieur überleben zu können, und das obwohl ich das Geld täglich in die Kneipen trug. Erst als ich mein ererbtes Haus schon verkauft hatte, als meine Reserven sich bedenklich aufgelöst hatten, war Wiesel in mein Leben getreten, und hatte dafür gesorgt, dass ich heute wieder in so genannt „geordneten“ Verhältnissen lebte. Er hatte es auch verstanden, mich nicht von sich abhängig zu machen, sondern hatte dafür gesorgt, dass ich meine Agentur selbstständig führen musste, und damit auch wieder Verantwortung zu tragen hatte. Die meisten Aufträge kamen nicht von ihm, sondern von hiesigen Versicherungen, den Versorgungsbetrieben und sogar von der Stadtverwaltung, wenn sie nicht die offiziellen Behörden einschalten konnten. Da ich ein alter „Hafenbewohner“ war, schaltete mich besonders die Hafenbehörde in Zusammenarbeit mir der Zollbehörde ein. Durch Mundpropaganda der Leiter der Dienststellen, die mir eine absolute Unbestechlichkeit bescheinigten, hatte ich auch Zugang zu mehreren großen Firmen gefunden, die mich in Unterschlagungs- und Betrugsfällen einschalteten und in einigen Fällen hatte man mich auch seitens der Firmenmanager in für mich außerordentlich unerfreuliche Nachforschungen über das Intimleben von Ehepartnern und Kindern eingeschaltet. Dies wiederum hatte häufig schon zu Auftragserteilung von besagten Ehefrauen gegen ihre „vielbeschäftigten“ Ehemänner geführt. In mehreren Fällen war es auch zu Ermittlungen gekommen, die in Todesfällen die Mordkommission der Stadt beschäftigt hatte, und hierbei war 50 es dann zu den Kontakten, meist sehr konträren, zu Kommissar Waldtmann gekommen. Ich persönlich schätzte Waldtmann als einen routinierten, erfahrenen, sehr korrekten Beamten, der leider mehr Verfahrensvorschriften im Kopf behalten musste, als dass er sich auf seine sicherlich vorhandene Intuition stützen durfte, und danach handeln zu können. Wir waren uns mehrfach nur deswegen in die Quere gekommen, weil ich unkonventionell handeln konnte, während er durch Vorschriften behindert war. Aber er hatte mir auch nicht vergessen, dass ich eine Frau – auch wenn das Gericht gesagt hatte, aus Notwehr – erschossen hatte. Er hatte auch nicht vergessen, dass er diese Frau zwar angebetet hatte, aber sie mit mir lebte. Was er nicht erfassen konnte, war meine persönliche Qual, die sich daraus ergeben hatte, dass ich Vanessa als die Spionin entlarvt hatte, die jahrelang nicht nur mein Vertrauen missbraucht, sondern auch die wichtigsten Geheimnisse, die es im deutschen Schiffbau und Verteidigungsministerium gegeben hatte, an den Osten verraten hatte. Man wollte mir später vorwerfen, dass ich ihre Tötung, wie sie sich ausdrückten „billigend in Kauf genommen hätte“, weil ich hinter ihr Verhältnis mit dem Staatsekretär des Bonner Ministeriums gekommen sei, aber da war es erstaunlicherweise Waldtmann gewesen, der nachweisen konnte, dass ich davon nichts hatte mitbekommen können. Er konnte nachweisen, dass Vanessa so raffiniert gewesen war, dass ich wirklich ahnungslos sein musste. Meine Aussage damals zur Tötung in Notwehr, hätte arg in Bedrängnis kommen können, wenn man mir das Wissen von Verhältnis meiner Geliebten zu dem Staatssekretär hätte nachweisen können. Dann wäre ein Urteil wegen Totschlags im Affekt für mich dabei heraus gekommen; obwohl auch der dümmste Beobachter des Prozesses die Fakten der tödlichen Schüsse als Notwehrreaktion hätte erkennen können. 51 Und wieder rannten die Schauer des Entsetzens über mich. Wieder gefror mir das Blut in meinen Adern, wie immer wenn ich an diesen verhängnisvollen Abend dachte: Ich war aus dem Konstruktionsbüro der Werft, wie schon so häufig erst in letzter Minute weggekommen, um an dem so wichtigen Termin der Schiffsübergabe des ersten raketenunterstützten Schnellbootes an die Regierung des arabischen Staates teilnehmen zu können. Ich hatte gerade noch Zeit gefunden mich in den Smoking zu werfen und hatte dann die vollständigen Pläne des Raketensystems, das ich seit zwei Tagen für diesen Termin in meinem privaten Tresor verwahrte, an mich nehmen zu wollen, als ich feststellen musste, sie waren nicht mehr da. Jemand hatte sie genommen. Vanessa kannte, so glaubte ich zumindest, nicht die Kombination. Ich war in heller Aufregung. Ich eilte dennoch hinüber zur Halle der Übergabe und hier hatte ich beobachtet, dass Vanessa die Pläne, die ich auch unter wesentlich schlechteren Umständen sofort als meine erkannt hätte, einem mir unbekannten Mann übergab. Es waren zu diesem Zeitpunkt sehr viele Menschen in dem Vorraum zum Vortragssaal und als ich auf Vanessa zustürzte und nach den Plänen griff, die der Mann noch in den Händen hatte, konnte ich sie ihm zwar entreißen aber nicht verhindern, dass Vanessa aus ihre Handtasche eine großkalibrige Pistole zog und auf mich zielte. Ich hatte nie überlegt, ich war nur auf sie zugestürzt und nach der Waffe gegriffen. Kurze Zeit rangelten wir um die Waffe. Ich drückte sie mit meinem Körper gegen ihren Körper. Ich griff von unten danach. Ich bekam sie zu fassen. Sie lag plötzlich in meiner Hand. Sie schlug danach und dann löste sich der Schuss. Aus den Augenwinkeln hatte ich den Mann gesehen, der die Plänen in Empfang genommen und wieder verloren hatte. Er hatte, woher auch immer, eine weitere Pistole gezogen und ich schwenkte herum und drückte ab. Der Mann wurde zurückgeworfen, als wäre er gegen eine Gummiwand gelaufen und dann sackte er zusammen. 52 Während er zusammenbrach, löste sich eine ganze Serie von Schüssen, die aber niemanden verletzten. Ich stand mit der Pistole in der Hand im Vorraum eines großen Saales, zwei Menschen um mich herum sanken in sich zusammen und ich stand da. Die ersten hysterischen Schreie brachte wieder Belebung in die von den Schüssen erstarrte Menschenmenge. In der Nähe stehende Polizisten in Zivil, unter Ihnen Waldtmann, nahmen mich, entwaffneten mich und führten mich ab. Viel später erst wurden die Sachverhalte aufgeklärt und ich nicht als Amokläufer, sondern als Retter der Nation anerkannt. Diese Anerkennung erhielt ich allerdings erst vor Gericht, nach der Aussage von Waldtmann, der während der Schüsse in unmittelbarer Nähe gestanden hatte und somit alles genau beobachten konnte. Waldtmann war allerdings einer der Beamten, die immer wieder mit uns als Werft Kontakt hatten, und bei dieser Gelegenheit war ihm Vanessa aufgefallen und er war ihr ob ihrer Schönheit verfallen, ohne jemals näher an sie heranzukommen, als bei diesem Empfang zur Übergabe des Schiffes. Es zeugte von seinem Charakter, dass er dennoch bei der Verhandlung vor Gericht für mich aussagte; obwohl es so vielen Andere gegeben hatte, die alles ganz anders gesehen haben wollten. Auch die Rolle Vanessas wurde erst kurz vor der Gerichtsverhandlung aufgeklärt. Ich aber musste damit leben, einen Menschen getötet zu haben, den ich über alles geliebt hatte. Für den ich lieber gestorben wäre, als dass ich ihr etwas antat. Und das quälte mich immer noch – schlimmer als jeder körperliche Schmerz, der jetzt wieder mehr als reichlich durch meinen Körper strömte. Mein Kopf drohte zu zerspringen, auch noch als ich mich wieder auf dem Bett ausstreckte. Die Bierflaschen hatte ich unausgetrunken auf den Nachttisch gestellt. Der Schlaf kam; aber auch in meinen Träumen standen die großen, grauen, 53 anklagenden Augen der Frau, deren Leben ich ausgelöscht hatte. Nach dem Tod Vanessas hatte ich angefangen zu Saufen. Ich wurde natürlich viele Sicherheitsstufen zurückgenommen; aber das war mir egal. Meine Aufgaben auf der Werft wurden immer anspruchsloser; aber ich hatte auch nicht den Antrieb mich wieder nach oben zu arbeiten. Die ersten Abmahnungen wurden mir überreicht, nachdem ich tagelang nicht zur Arbeit erschienen war, weil ich im Vollrausch in meinem Haus gelegen hatte. Als ich dann nach einer Rauferei in einer der Hafenkneipen in der Ausnüchterungszelle aufwachte und mir ein Prozess wegen Körperverletzung angehängt werden sollte, war es endgültig vorbei mit meiner Anstellung. Der Anklage konnte ich damals zwar entgehen, weil ich meinem Kontrahenten außergerichtlich einen hübschen Abfindungsbetrag gezahlt hatte, und er auf die Weiterverfolgung verzichtete und später bei der Polizei zu Protokoll gab, dass er gar nicht ernsthaft verletzt worden war; aber ich war arbeitslos und meine Reserven schrumpften. Ich verkaufte das Haus und lebte etwas eingeschränkter. Die Miete für die kleine Wohnung die ich mir abseits des Hafenviertels gemietet hatte, wurde von mir für einen Zeitraum von zwei Jahren im Voraus bezahlt und ich zog durch andere Kneipen in der Stadt, den Hafen vermeidend. Doch die Sehnsucht nach dem Wasser war größer. Ich trieb mich dann doch wieder fast jeden Tag im Hafen herum; aber meinen Alkoholkonsum schränkte ich wesentlich ein. Nur wenn im Traum die Augen wieder erschienen, kam es vor, dass ich schweißnass aus dem Bett kroch, mich anzog und mich in eine der Kneipen, die vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet waren verzog. Hier versuchte ich dann den anklagenden Blicken, die in meinem Kopf spukten, durch Exzesse zu entgehen. Mein Auto habe ich während der meisten Zeit nicht gesehen; entweder hatte ich es in der 54 Garage stehen, oder vor einer der Kneipen. Wenn ich mich dann daran erinnerte, holte ich es nüchtern geworden wieder ab, und ließ es dann wieder in der Garage schmoren. Hin- und wieder bemühte ich mich um Gelegenheitsjobs im Hafen, als Gabelstapelfahrer, als Packer und als Hallenaufseher. Wenn ich nur lange genug nüchtern blieb, war ich auch für die Lagerhausgesellschaft ein brauchbarer Mitarbeiter. Als nach einer langen Serie von Diebstählen die Sicherheitsvorkehrungen erhöht wurden und eine eigene Wachmannschaft von der Firmenleitung zusammengestellt wurde, hatte ich gerade eine Phase in der ich mich zurückhielt und dem Alkohol aus dem Wege ging. Man berücksichtigte meine Bewerbung und ich trug die schwarze Uniform des Wachdienstes. Meine Beobachtungen, die ich auch nach Dienstschluss machte, weil ich danach nicht mit den Kameraden in die nächste Kneipe zog, führten dann auch zur Entlarvung der Hintermänner der Diebstahlsserie. Es war raffiniert aufgezogen gewesen und man erkannte, dass nach ähnlichem Muster auch weiterhin die Lagerhallen ziemlich unbemerkt ausgeräumt werden konnten. Das war der Moment in dem sich die Firmenleitung entschloss, den Bad Homburger Spezialisten für Sicherheitsvorkehrungen zu engagieren. Da ich die Sicherheitslücken aufgedeckt hatte, wurde ich beauftragt, dem Fachmann die speziellen Gegebenheiten eines Hafenbetriebes näher zu bringen, um ein Konzept zur Sicherung, möglichst ohne große Lücken, installieren zu können. Die Zusammenarbeit mit Wiesel machte mir Spaß und mit seiner unnachahmlichen Art, ruhig zuzuhören, sein Gegenüber ausreden zu lassen, auch wenn es manchmal wirr erschien, nahm mich sofort ein. Ich war begeistert von seiner Art, die Dinge im Anschluss an eine solche Besprechung treffend zusammen zu fassen und logische Schlüsse zu ziehen. Dennoch konnte diese fruchtbare Zusammenarbeit nicht verhindern, dass ich eines Abends wieder in das große 55 schwarze Loch fiel. Wir hatten sehr intensiv diskutiert und ich hatte ein paar technische Vorschläge gemacht, die Wiesel gut gefunden hatte. Er bat mich doch ein paar Zeichnungen davon anzufertigen, nachdem er meine Skizzen begutachtet hatte. Er wusste, dass ich das konnte. Er machte mich darauf aufmerksam, dass es sich natürlich um ganz geheime Planungen handelte und ich damit sehr vertraulich umgehen solle. Das war der Auslöser, denn auch damals waren es geheime Pläne gewesen, die mir gestohlen worden waren und die letztendlich zu dem Drama geführt hatten. Als ich dann in meiner Wohnung vor dem Zeichenbrett stand und in die Zeichnungen vertieft war, kam die Keule der Erinnerung. Ich versuchte es mit einer Flasche Schnaps, die ich mir von einem Kiosk geholt hatte. Ich trank, während ich zeichnete direkt aus der Flasche. Als die Flasche leer war, verließ ich meine Wohnung, die Pläne auf dem Zeichenbrett, die Notizen wild auf dem Tisch verstreut. Ich torkelte in die nächste offene Kneipe, trank weiter Schnaps und Bier bis man mich hinaus warf. Mit einem Taxi fuhr ich dann in eine der immer geöffneten Kneipen im Bordellviertel. Hier trank ich immer noch weiter und ließ mich von einer der Liebesdienerinnen in ihr Zimmer bugsieren. Als ich den nackten Leib der sicherlich nicht unattraktiven Frau dann vor mir sah, wurde alles nur noch schlimmer und ich rannte hinaus, warf einen Schein auf den Bartresen und suchte mir eine andere Kneipe, in der ich weiter Schnaps und Bier in mich hineinschüttete. Ich bekam nicht mit, dass die Tageszeiten wechselten, ich trank nur. Mit meiner Bankkarte hatte die Bedienung zwischendurch immer die Zwischenrechnungen direkt von meinem Konto abgebucht. Irgendwann hatte ich dann die Kneipe verlassen und mit einem Vorrat von weiteren Schnapsflaschen meine Wohnung erreicht. Hier hatte ich weiter gesoffen, bis ich ohnmächtig vor meinem Zeichenbrett zusammenbrach. So hatte mich Wiesel nach drei Tagen in meiner Wohnung gefunden, nachdem er sich Sorgen gemacht hatte über mein 56 Verschwinden. Er hatte es leicht gehabt in die Wohnung zu kommen, denn die Tür war nur angelehnt gewesen. Er war es dann auch, der mich in mein Bett geschleppt hatte und abends wiedergekommen war und neben meinem Bett saß, als ich erwachte. Er hatte mir eine starke Fleischbrühe einverleibt, so lange bis er sicher war, dass ich nicht wieder zusammenbrechen würde. Dann hatte er mich ins Bad gescheucht, damit ich mich duschen und rasieren konnte, weil er meinte, ich würde stinken wie eine Mülltonne, die tagelang in sengender Sonne gestanden hätte. Als ich ihm dann später, frisch gewaschen und rasiert im Anzug gegenüber saß – er hatte darauf bestanden, dass ich mich „ordentlich“ anzuziehen hätte, wenn wir zusammen reden würden – hatte er aus einer Papptragetasche eine Flasche Rotwein und zwei Gläser hervorgeholt und die Flasche aufgezogen und eingeschenkt. Mir drehte sich zwar der Magen um, als ich den Alkohol sah, aber er hatte darauf bestanden, dass wir zusammen diesen Wein genießen sollten. Ich trank nur zögerlich und beobachtete den Mann, der ohne mir Vorwürfe zu machen dort saß und genüsslich an seinen Rotweinglas nippte, den Wein über die Zunge rollen ließ und sichtlich das Vergnügen des Geschmacks genoss. Ich versuchte es ihm nach zu tun, und war verwundert, dass Wein so gut schmecken konnte. Nach einer ganzen Weile des Schweigens brachen bei mir alle Dämme und ich wurde zum ersten Mal los, was mich so lange schon belastete. Ich sprach von der Liebe, von der unendlichen Glückseligkeit der Zeit, die ich mit Vanessa empfunden hatte, bevor ich sie entlarvte. Ich sprach von der Faszination der Berührungen ihres Körpers, ihrer Art mich immer wieder zu erregen, meine geheimsten Wünsche zu befriedigen, immer vorausahnend wann ich in welcher Stimmung war. Ich sprach von der Harmonie der geistigen und körperlichen Beziehung, die vorhanden gewesen war und von der tiefsten Enttäuschung, die ich hatte erfahren müssen. 57 Und ich sprach von der immer wieder kehrenden Qual zu wissen, sie getötet zu haben, von den mir immer wieder erscheinenden anklagenden Augen und der tiefen Verzweiflung, die mich jedes Mal ergriff. Von meinen untauglichen Versuchen aus diesem Dilemma heraus zu kommen, meinen Gefühlen der Schuld, die mich nicht mehr loslassen wollten. Er hatte mich nicht einmal unterbrochen, sondern hatte mir schweigend und aufmerksam zugehört und dabei hin- und wieder an seinem Glas Rotwein genippt. Ich war nach diesem Gefühlsausbruch in mich zusammengefallen und hatte gerade nach dem Glas gegriffen um es mit einem Schluck zu leeren, als er mich scharf stoppte. „Waldemar Teufel, Sie tun sich, mir, und der ganzen Umwelt, auch nicht der Toten einen Gefallen, wenn Sie sich nicht sofort umbringen, sondern es auf Raten versuchen, indem Sie untaugliche Mittel einsetzen. Sie können sich zwar mit Alkohol umbringen, aber benutzen Sie bitte, wenn Sie schon kein geeigneteres Mittel finden, wenigstens nicht meinen hervorragenden Rotwein.“ Ich weiß bis heute nicht, warum ich das Glas nicht an den Mund führte und aussoff. Ich erstarrte mitten in der Bewegung und Wilhelm Starck nahm mir das Glas aus der Hand und stellte es sanft auf den Tisch zurück. „Teufel, es ist kein leichtes Schicksal, das Sie zu tragen haben; aber es ist ein tragbares. Die Wellen des Selbstmitleides sollten Sie nicht überschwemmen, sondern Sie sollten sich dagegen stellen. Wenn Sie schon nicht stark genug sind, sich umzubringen, sollten Sie wenigstens so stark sein, zu leben. Und zwar so, dass es sinnvoll ist, dass Sie Ihre Fähigkeiten einsetzen Unrecht und daraus entstehenden Kummer zu bekämpfen. Nur dann werden Sie eines Tages mit ihren Schuldgefühlen ins Reine kommen. Wenn ich es kann, will ich Ihnen dabei gerne helfen und dazu gehört als erstes Ihnen beizubringen, dass auch ein alkoholisches Getränk dem 58 Genuss dienen kann, und nicht nur der Betäubung, die noch nicht einmal eine ist. Und wenn Sie Kleinigkeiten dieses Lebens wieder genießen können, dann sind Sie auf dem besten Wege, das Leben insgesamt wieder zu genießen. Sehr zum Wohle.“ Wir hatten uns zugetrunken und die Ruhe die er ausstrahlte, hatte auf mich gewirkt. Die unerträgliche Spannung in mir war gewichen und wir hatten in Eintracht zusammengesessen und waren später zu einem Essen in einem guten Restaurant der Stadt gefahren. Er hatte von seinem Beruf erzählt, von den unterschiedlichsten Aufgaben, die seiner Firma immer wieder gestellt wurden. Er hatte mir mitgeteilt, dass die Lagerhausgesellschaft mich gefeuert hätte, aber er hatte mich gebeten die angefangenen Pläne für ihn auszuarbeiten. Er würde mich auf freiberuflicher Basis entlohnen. Und er hatte mir in Aussicht gestellt, dass er sich mit ähnlichen Aufgaben wieder an mich wenden würde. Ich solle mir doch Gedanken darüber machen, ähnlich wie er, ganz in dieser Branche zu arbeiten und mir versprochen mich bei meinen Bemühungen zu unterstützen, das Ziel der eigenen Agentur zu erreichen. Mit seiner Fürsprache bekam ich die Chance in einer internationalen Wirtschaftsdetektei arbeiten zu können und den Beruf zu erlernen. Es war eine außerordentlich vielseitige Ausbildung bei der ich auch im Ausland eingesetzt wurde. Vor drei Jahren hatte ich mich dann hier in meiner Heimatstadt selbstständig gemacht. Die ersten Aufträge waren unspektakuläre Nachforschungen nach gestohlenen Firmenunterlagen, die zwar keinerlei geldlichen Werte darstellten, wohl aber beim Fehlen von dem Finanzamt angefordert werden konnten und Schwierigkeiten mit diesen Behörden vorprogrammiert wären. Die Aufklärung des Falles war dann umso überraschender gewesen. Ein männlicher Auszubildender, der mit der Ablage 59 dieser Abteilung beauftragt war, hatte keine Lust gehabt die Aufgabe zu erfüllen und hatte die Sachen einfach mit nach Hause genommen um sie dort sukzessiv in die Mülltonne zu werfen. Aber da er auch hier zu faul gewesen war, konnten die meisten Unterlagen wieder sichergestellt werden. Auch die nächsten Fälle waren wirtschaftlicher Art gewesen und von mir restlos aufgeklärt worden. Lediglich ein Fall eines Versicherungsbetruges hatte nur zu einem Vergleich führen können, da ich nicht zwingend beweisen konnte, dass der gemeldete Schaden vorsätzlich herbeigeführt worden war. 60 Teufel in der Kirche Wie nahe ich an einem schlimmen Schicksal vorbeigeschrammt war, begriff ich erst, als ich zum ersten Mal in das Einzimmerloch im zehnten Stock der Hochhaussiedlung am Rande der Stadt getreten war. Schon der Eingang dieses Hauses mit den Schmierereien an der Eingangstür, den Wänden des Eingangsflures, den zerbrochenen Scheiben des Hofausganges, die überquellenden Papierkörben unterhalb der Briefkastenanlage, waren schockierend. Die Jungens, die vor der Tür Ball gespielt hatten, in ihren hochmodernen Turnschuhen, den mit Logos von Popgruppen voll geknallten Seidenblousons hatten der jungen Frau neben mir ungeniert nachgepfiffen. Die etwas älteren unter ihnen, die an der Wand gelümmelt, mit Tarnjacken und Springerhosen und Schuhen angetan, meist kahlgeschorenen Köpfen und Bierdosen in den Händen, hatten ihr nachgerufen: „Na, Eva, wo haste den denn aufgegriffen. Der hat ja nen richtigen Anzug an. Schnelle Nummer für ne Pulle Schnaps, oder gibt’s richtig Bares auf die Kralle. Ich hol Dir dann den Schnaps, gegen gutes Trinkgeld.“ Einer, der sich als ihr Anführer aufspielte, war heran gekommen, hatte seine Hand nach mir ausgestreckt und meinte: „Die Scheine kannst mir gleich geben, nun mach schon.“ Er hatte sich scheinbar in meiner Größe geirrt, denn mein rechter Arm war vorgeschossen, hatte seine Jacke gegriffen und ihn an mich heran gerissen. Ich hievte ihn kurz an, dann stieß ich ihm mit Kraft in die Gruppe der anderen. Er flog gegen drei seiner Kumpel und riss sie dabei um. Bier spritzte aus den Dosen. „Verschwindet, aber schleunigst, sonst nuckelt ihr das Bier nur noch mit Strohhalm.“ 61 Ich hatte mich weggedreht und wollte Eva folgen, aber ich hatte nicht mit der Zähigkeit und der Hinterlist des Anführers gerechnet. Außerdem musste er sich vor seinen Kumpels wohl beweisen. Ich hörte ihn nur hinter mir und als ich mich blitzschnell drehte, blitzte das große Springmesser schon in seiner Hand. Er wollte sich auf mich stürzen und das Messer von unten nach oben in meinen Körper ziehen. Einem Ungeübten wäre eine Verletzung nicht erspart geblieben. Aber ich hatte Übung. Ich drehte meinen Körper aus der Angriffslinie, hebelte den Messerarm von unten und schlug mit der flachen Hand mit meiner Rechten auf sein Handgelenk. Es brach mit hässlichem Geräusch. Ich störte mich nicht an seinem Geschrei, sondern folgte Eva, die mich aus verängstigten Augen ansah. Ich folgte ihr zum Aufzug. Das Blech der Kabine war mit obszönen Sprüchen und Zeichen mit Farbe besprüht oder direkt in das Blech gekratzt, verziert: Hier konnte man schon etwas lernen. Mich wunderte, dass die Kabine sich überhaupt in Gang setzte und im zehnten Stock sich wieder die Türen öffneten. Über eine Balustrade, die scheinbar um das ganze Haus lief, und von der die einzelnen Wohnungen abgingen gelangten wir zu ihrer Wohnungstür. Die Ansammlung von Mülltüten im Eingangsflur war sehenswert, denn überall ragten nur leere oder auch noch verschimmelte halbvolle Pizzaschachteln und vor allem leere Flaschen. Es war kaum Platz für einen Durchgang. Die Ansammlung von Müll setzte sich auch im angrenzenden Zimmer, einer Kombination aus WohnSchlafzimmer und Küche, fort. Überall lagen und standen auf dem Fußboden und dem Tisch leere Flaschen und überquellende Aschenbecher. Es stank erbärmlich. Auf dem Spülbrett türmte sich wahrscheinlich ihre gesamte Habe an Geschirr – dreckig und zum Teil vor sich hinschimmelnd. Eva hatte beim Eintritt eine einladende Handbewegung gemacht, aber sie konnte nur gemeint haben, dass ich aus dem Fenster 62 springen sollte, denn hier gab es nichts, was zum Verweilen einlud. Eva war auf den einzigen freien Sessel gesunken und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie heulte. Ich schaute mich um. So sieht es also bei einer ehemaligen Fremdsprachensekretärin aus, die an den Suff gekommen ist. Ich hätte auch anfangen können zu heulen und mir wurde bewusst, wie mich damals Wiesel gefunden haben musste. Viel besser hatte es bei mir sicherlich nicht ausgesehen. Ich zog mein Jackett aus und warf es mit zu dem Kleiderhaufen auf ihrem Bett und krempelte dann wortlos die Hemdsärmel auf. Ich schnappte mir vier Müllsäcke aus dem Eingangsbereich, die Wohnungsschlüssel, die sie von innen gesteckt hatte und fuhr mit meiner Last wieder hinunter und suchte die Mülltonnen. Die Jungens, die vor der Tür gespielt hatten, waren jetzt verschwunden und ich kam ungehindert zu der Mülltonnenanlage, wo ich die ersten Teile des Gerümpels in die Tonnen warf, die, obwohl sie gestern erst geleert worden waren, wie ich wusste, schon wieder fast gefüllt waren. Die ersten der Mitbewohner hatten es schon nicht mehr für nötig gehalten, die Deckel der Tonnen anzuheben. Sie hatten ihre Müllsäcke gleich vor die Anlage geworfen. Ich musste noch viermal fahren um den gröbsten Dreck aus der Wohnung zu schaffen. Dann gingen die Tüten aus. Als ich das erste Mal wieder nach oben gekommen war, hatte Eva immer noch heulend auf dem Sessel gehockt und ich hatte sie angeschrienen, dass sie endlich anfangen solle das Geschirr abzuwaschen. Jetzt war sie dabei. Ich half ihr beim Abtrocknen und sie sagte mir wohin mit dem Geschirr. Dann hatte ich die Müllkippe „Badezimmer“ besichtigt. Ich hatte ihr den Auftrag gegeben die Wanne und das Waschbecken zu säubern und sich dann in die Wanne zu begeben, damit auch der Gestank, den sie verströmte, verschwinden konnte. 63 Während sie im Badezimmer herumfuhrwerkte, ging ich wieder hinaus und klingelte an der nächsten Wohnungstür, um mir noch ein paar Tüten für den restlichen Müll zu besorgen. Die Tür wurde erst nach dreimaligen Klingeln geöffnet, obwohl ich drinnen den Fernseher brüllen hörte. Ein dicker Mann, dessen Bauch nur von einem Unterhemd bedeckt war und über den Hosenrand schwabbelte, machte unwillig auf und wollte mich gerade anschnauzen, als ich ihm mit einem fröhlichen „Guten Tag, können Sie mir bitte helfen?“ den Wind aus den Segeln genommen hatte. Er schaute nur noch verdutzt, denn höflich angeredet worden war er scheinbar in der letzten Zeit noch nie. „Was wollen Sie? Ich kauf nix.“ „Haben Sie bitte ein paar leere Einkaufstüten, die ich als Müllsäcke verwenden kann? Ich wäre Ihnen dankbar.“ Er sah mich an, als ob ich ihn auf Chinesisch angesprochen hätte und erst als ich meine Bitte wiederholte schaltete er und ging zwei Schritte zurück und langte in den Nebenraum und brachte eine Handvoll leerer Tüten zum Vorschein und drückte sie mir in die Hand. Dann griff er zur Eingangstür und verschloss sie vor meiner Nase mit einem Ruck. Ich hatte, was ich wollte und marschierte zurück in Evas Wohnung und räumte weiter Müll ein. Dann holte ich mir aus der Küche aus einem Schrank einen Staubsauger und fing an den Boden zu bearbeiten. Eva war immer noch im Bad, als ich fertig gesaugt, den Sauger wieder zurückgestellt, meine Jacke übergezogen, und den Restmüll in den Tüten verpackt hatte und die Wohnungstür von außen verschloss. Ich wollte uns etwas zu Essen und zu Trinken besorgen. Außerdem hatte ich eine Verabredung mit dem Mann, der mich als Putzmann und Bewacher für Eva eingestellt hatte. Der Stundenlohn betrug immerhin 90 DM. Der Kiosk war nicht weit entfernt. Hier standen Trauben von Männern und Frauen mit verschiedenen Flaschen in den Händen. Die Frauen tranken meistens aus den kleinen 64 Flachmännern, die Männer aus Bierflaschen oder Dosen. Als ich herankam, wurde ich neugierig begutachtet. Ein Mann im Anzug, war hier wohl schon länger nicht gesehen worden. Ich fragte nach Brot, Tütensuppen, und bekam obendrein noch einen Ring Hartwurst. Sogar Butter und Käse konnte ich kaufen. Zwei Flaschen Rotwein und eine Flasche Weinbrand vervollständigte meinen Einkauf. Vier Zehnmarkscheine legte ich auf den Tresen und zählte das Kleingeld umständlich aus meiner Tasche ab. Es schien, als wenn mir noch gerade ein paar Münzen übrig blieben und ich wollte mich auf den Heimweg machen, als mich einer der Männer ansprach. Er hatte eine sehr unangenehme Alkoholfahne und blutunterlaufenen Augen und fuchtelte mit seiner angetrunkenen Flasche Bier vor meinem Gesicht. „Bist du der Neue, der mit Eva gekommen ist und meinem Jungen den Arm gebrochen hat?“ „Ja, ich bin mit Eva gekommen, aber wessen Balg das war, der mit ´nem Messer auf mich losgegangen ist, weiß ich nicht.“ Der Mann knallte seine Bierflasche derart heftig auf den Verkaufstresen, dass Bier oben herausspritzte, dann wandte er sich mir zu und brüllte: „Das war meiner und ich hau dir welche auf die Schnauze. Kannst dich Mal mit ´nem richtigen Mann prügeln und nicht nur an Jungens vergreifen, die sich noch nicht richtig wehren können.“ Mit diesem Gebrüll wollte er sich auf mich stürzen. Ich hatte vorsichtshalber meine Einkaufstüte abgesetzt, als am Straßenrand ein Auto stoppte und sich ein Riese aus dem Kleinwagen schälte und schon vom Straßenrand brüllte: „Teufel – Kommen Sie sofort hierher!“ Der angreifende Mann und ich erstarrten durch das Gebrüll des riesenhaften Mannes am Straßenrand, der weiterbrüllte: „Wenn Sie auch nur gegen eine der Auflagen des Gerichtes verstoßen, schick ich sofort zurück in den Bau. Verschwinden Sie von hier; aber schleunigst.“ 65 Ich bückte mich nach meinen Einkaufstüten und der Riese brüllte weiter: „Kommen Sie sofort hier rüber. Sie wissen, dass Sie von unserem Geld keinen Alkohol kaufen dürfen. Geben Sie her.“ Ich ging brav zu ihm, und händigte ihm die Tüte mit den Flaschen aus. „Das gilt auch für Euch. Verschwindet hier. Und Sie kommen erst Mal mit mir“, dabei deutete er mit seinem dicken Zeigefinger auf mich. Bei den Anderen setzte wütendes Gemurmel ein; aber sie verzogen sich seitlich hinter den Kiosk. Mich schickte er in die andere Richtung, hatte mir aber unauffällig die Flaschen zurückgegeben, dann war er auf den Kiosk zugegangen und ich hörte noch, wie er lautstark auf den Kioskbesitzer einsprach. Dann wurde es leiser und ich entfernte mich aus der Sichtweite. Ich sah nur noch, dass die Menge sich wieder zurück an den Kiosk bewegte und mit dem Riesen in eine Diskussion verwickelt war. Ich versteckte meine Einkäufe gleich neben den Mülltonnen und ging anders herum zurück zum Kiosk. Der Riese war verschwunden und die Zecher standen wieder beisammen, wie vorher. Es wurde scheinbar nur schneller getrunken. Ich meldete mich wieder beim Kioskbesitzer und verlangte nach einem Six-Pack Bier; aber gekühlt. Ich riss sofort eine Dose auf und trank gierig. Dabei floss mir nicht wenig über meinen Kragen und tropfte auf mein Anzugrevers. Der Mann, dessen Sohn ich verletzt hatte, kam wieder auf mich zu, nur diesmal wollte er sich nicht gleich auf mich stürzen. Ich hielt ihn trotzdem mit den Worten zurück: „Okay, wenn Wedemeier Euch schon erzählt hat, was für ´ne Type ich bin, dann kannst du gewiss sein, dass ich, bevor ich zurück in den Bau gehe, denjenigen Alle mache, der versuchen sollte mich fertig zu machen.“ 66 „Ist schon gut, wir wollen dir ja gar nichts. Und wenn mein Sohn meinte, er müsse auf dich losgehen, dann soll er erst Mal lernen, die Leute richtig anzusehen. Wir dachten nur, du bist so´n Neunmalkluger, den die Eva als Betreuer bekommen hat und der uns hier ausspionieren will. Wir konnten ja nicht wissen, dass du auch auf Wedemeiers Abschussliste stehst. Als wenn’s sein Geld wäre, was er da verteilt. Als wenn man uns vorschreiben müsste, wofür wir unser Geld ausgeben. Nichts für Ungut, wir wollen hier nur Frieden und keine Kontrolle durch das Amt.“ Ich bot ihm eine Dose Bier an, riss meine zweite Dose auf und trank ihm zu. Wir waren plötzlich Freunde. Die anderen schwatzten auch alle durcheinander auf mich ein, aber ich sagte ihnen, dass ich bald besser Zeit hätte und wir dann schwätzen könnten. Damit verdrückte ich mich wieder, holte meine Sachen von den Mülltonnen und kehrte in Evas Wohnung zurück. Mein ganzer Ausflug hatte entweder kürzer gedauert, als ich selbst gedacht hatte, oder Eva war plötzlich dem Reinlichkeitswahn erlegen, denn als ich die Tür aufschloss, war von ihr nichts zu sehen. Sie hatte aber in der Zwischenzeit die ganzen Kleidungsstücke vom Bett entfernt und hatte das Bett scheinbar auch neu bezogen. Es sah jetzt schon wesentlich ordentlicher in der Wohnung aus. Die Tür zum Badezimmer öffnete sich und im Rahmen stand die splitterfasernackte Eva. Sie hatte ihr Haar in einen Handtuchturban gewickelt und sah sehr mager aus. Die Rippenbögen standen unterhalb eines schönen Busens, der noch keinerlei Anzeichen des Hängens zeigte, obwohl sie Mitte dreißig war, krass hervor. Die Hüftknochen stachen wie Hungerhaken hervor. Sie jammerte: „Was soll ich denn nur anziehen? Es ist alles dreckig.“ „Das am wenigsten verschmutzte, und morgen wird gewaschen. Mein Anzug ist auch nicht mehr das Beste, 67 vielleicht können wir morgen auch für uns beide etwas organisieren.“ Sie eilte zurück ins Bad, ließ aber die Tür offen stehen. Ob sie erhoffte, dass ich nachkommen würde um ihren nackten Körper zu liebkosen, ob sie solange gewartet hatte um sich dergestalt zu präsentieren? Ich wusste es nicht. Ich fing jedenfalls an aus den Tütensuppen eine starke Brühe zu kochen und stellte Brot, Butter und Käse auf den Tisch. Die Flaschen hatte ich wohlweislich in den Kühlschrank gestellt, denn ich wollte ihr keinen Alkohol geben, bevor sie nicht vernünftig gegessen hatte. Ich hatte lediglich für mich eine Dose Bier neben meinen Teller gestellt. Als sie dann endgültig fertig war und aus dem Bad kam, sah sie mit dem frisch gekämmten Haar, einer hellen Bluse und einem roten Rock ganz ansehnlich aus. Es war kein Vergleich zu der Erscheinung, mit der ich heute Mittag hierher gekommen war. Als ich sie heute Vormittag kennen lernte, war alles an ihr stumpf gewesen. Ihr Haar, ihre Augen, ihre Haut und ihre Kleidung, jetzt hatte sogar das Haar im Licht der untergehenden Sonne, die zum Fenster herein schien, wieder Glanz. Ich sagte es ihr und der Glanz kam jetzt bei ihr auch von innen. Ihre Augen glitten während des Essens immer wieder zu der Bierdose. Die Gier nach einem Schluck Alkohol war ihr anzusehen. Ihre Hände waren zitterig als sie die Tasse mit der Brühe anhob um zu trinken. Sie aß mehr als ich erwartet hatte, aber die immer größer werdende Unruhe verriet, dass es nur eine Ersatzhandlung für den Alkoholentzug war. Nachdem die Sonne untergegangen war, kramte sie aus einem Schrank eine Kerze und entzündete sie und wir saßen noch zwei Stunden beim Kerzenschein und unterhielten uns über längst vergangene Zeiten. Dann erst bot ich ihr ein Glas 68 Rotwein an und es kostete sie sehr viel Kraft langsam zu trinken. Später weinte sie sich bei mir aus. Ich saß neben ihr auf der zerschlissenen Couch, hatte einen Arm um sie gelegt und ihren Kopf an meiner Schulter gebettet. Ich brachte sie ins Bett, als ihr Körper anfing zu zucken. Ich lag die ganze Nacht neben ihr, den sich windenden Körper beschützend festhaltend. Gegen Morgen war sie dann eingeschlafen. Als sie noch schlief hatte ich mich ins Badezimmer geschlichen und hatte geduscht und mich anschließend für den heutigen Tag zurechtgemacht. Die Rasur hatte ich bewusst vergessen. Wir hatten viel vor heute; denn ich war hier nicht eingesetzt um eine Alkoholikerin zu heilen, sondern um im Sozialempfängermilieu Missbrauch zu ermitteln. Um eine glaubhafte Figur abzugeben und selbst als Empfänger zu gelten, hatten Lars Wedemeier, der Riese aus dem Sozialamt und ich eine Legende geschaffen, wonach ich ein unter Bewährung stehender entlassener Schwerverbrecher war. Lars, den ich aus ganz alten Zeiten kannte, als er vielen Menschen nach dem Zusammenbruch der Werft geholfen hatte, war mir zufällig in der Innenstadt über den Weg gelaufen und wir hatten uns in einer gutbürgerlichen Kneipe zu einem gemeinsamen Essen zusammengesetzt. Ich hatte ihm von meinem damaligen Absturz und meiner späten Karriere als Privatermittler erzählt. Ich hatte ihm auch gesagt, dass ich gerade eine eigene Agentur hier in der Stadt eröffnet hatte. Er war zunächst sehr skeptisch zu meinen Berufsaussichten; aber als ich ihm von verschiedenen Einsätzen in anderen Städten und Ländern erzählt hatte, war sein Interesse gewachsen und er hatte mir von seinen Sorgen erzählt. Er hatte von der schlechten Organisation seines Amtes und den schreienden Ungerechtigkeiten, die für ihn als Kassierer und damit „Auszahler“ der Leistungen so häufig zu erkennen waren. Wenn auf der einen Seite ältere Menschen, die ohne durch 69 nähere Verwandte versorgt zu werden, an sich und eigenem Komfort sparten und dennoch gespartes Heizungsgeld zurückzahlen mussten und wenn diesen Menschen, denen der Gang zum Amt schon als Bettelei vorkam, lieber noch weniger aßen und nicht das Kleidungsgeld einforderten. Auf der anderen Seite wurden an durch bestens beratene Ausländer Unsummen ausgegeben. Wenn diese Menschen, nicht nur Ausländer, sondern auch, wie er sich ausdrückte, ausgebuffte Arbeitsscheue, nicht erst persönlich vorbei kämen, sondern sich durch darauf spezialisierte Anwälte oder Organisationen vertreten ließen; dann empfand er die Ungerechtigkeiten des Systems. Wenn diese Menschen zwar zu unangemessen hohen Zuwendungen des Staates kamen; aber auf der anderen Seite damit die Anwälte und Organisationen bezahlten. Er war sich sicher, dass verschiedene Organisationen nicht nur die Ärmsten der Armen ausbeuteten, sondern, dass von dieser Seite auch noch Betrug begangen wurde. Er drückte sich ein wenig mehr im Amtsdeutsch aus und sprach von aktiver Anstiftung zum Leistungsmissbrauch. Ich hatte ein wenig gelächelt und ihn nach den Maßnahmen gefragt, die gegen diese Machenschaften ergriffen worden seien. Er hatte die Schultern gezuckt und gesagt: „Waldi, dass ist das Schlimme. Nichts, gar nichts. Wir im Amt kommen noch nicht einmal nach, die Anträge ordentlich zu bearbeiten. Die Polizei kann nur eingreifen, wenn offensichtlich Betrug erwiesen ist, die Staatsanwaltschaft greift nicht ein, weil kein Ruhm und keine Ehre einzuheimsen ist, und wer sollte sonst etwas unternehmen?“ Er hatte sich mächtig aufgeregt und mir gesagt, wir würden später noch in eine ganz bestimmte Gegenden der Stadt fahren, da könnte ich mich von dem „Leistungsmissbrauch“ direkt und vor Ort überzeugen. Und das taten wir dann auch. Wir waren mit seinem Wagen, einem Kleinwagen in den er nur mit größter Mühe einsteigen konnte, denn immerhin ist 70 Lars Zwei Meter Fünf groß und wog etwas über zweieinhalb Zentner, in ein so genanntes soziales Randgebiet gefahren und waren dort in eine Kneipe gegangen. Er hatte mich gebeten, sowohl meine Krawatte, als auch mein Jackett gut im Kofferraum zu verstauen. In der Kneipe war mir sofort klar, warum er das verlangt hatte. Denn in meinem Anzug wären wir noch nicht einmal zur Tür hereingekommen und ich wäre verprügelt worden, ob nun so ein Bär neben mir war, oder nicht. Wir hatten uns am Rande der Bar auf Hockern niedergelassen und hatten Bier bestellt und den hitzigen Diskussionen über die Ungerechtigkeiten dieses Sozialstaates gelauscht. Dass diese miesen Ausländer, vor Allem diese „Scheiß-Asylanten“ dafür sorgten, dass sie hier noch nicht einmal genügend Geld zur Verfügung hätten, um einen ganzen Monat hier zu trinken. Alle bekämen Urlaubsgeld, nur sie bekämen nichts, und wenn man Mal einen kurzen Job bekam, dann wären die sowieso schon da, und machten einem den Prozess wegen Schwarzarbeit. Die Schwarzarbeit war ein ganz heißes Thema an diesem Abend, denn man hatte wieder einige der Thekenmannschaft auf einer nahe gelegenen Baustelle erwischt. Dann öffnete sich die Tür und zwei Kameraden, die höchst angetrunken schienen, riefen nur zum Wirt, er möge doch das Taxi bezahlen, weil sie nur großes Geld bei sich hätten. Dann reihten sie sich in die Thekenmannschaft und bestellten Bier und Schnaps. Erst als die Männer anfingen zu knobeln, wurde das Thema Schwarzarbeit fallengelassen. Die beiden Spätankömmlinge hatten dann was zu Meckern und wollten weiter. Der Wirt musste ein weiteres Taxi bestellen um sie in die nächste Kneipe zu bringen. Taxen schienen die einzigen Transportmöglichkeiten der Leute in dieser Kneipe zu sein. Es wäre gut so gewesen, denn keiner hätte sich noch ans Steuer eines Autos setzen dürfen; aber Lars machte mich 71 darauf aufmerksam, dass alle versammelten Männer und Frauen hier in der Kneipe Sozialhilfeempfänger seien. Als derjenige, der die meisten Knobelrunden verloren hatte, dann dem Wirt seine Autoschlüssel zur Aufbewahrung über den Tresen reichte und meinte er solle gut auf seinen Schlitten aufpassen bis zum nächsten Tag, wurde ich neugierig auf sein Fahrzeug. Lars zeigte es mir: Ein Mercedes neuester Bauart. C-Klassen Fahrzeug, das hier vor der Tür im Halteverbot stand. Ich konnte nicht anders: Ich rief die Polizei über mein Handy und bat um den Abschleppdienst, weil eine Ausfahrt versperrt sei. Wir hatten uns wieder an die Bar gesetzt und ich beobachtete weiter das muntere Treiben. Die Umsätze in dieser Kneipe waren mehr als gut. Als zehn Minuten später der Abschleppwagen kam und die Besatzung eines Streifenwagens nachfragte, wem das vor der Tür geparkte Auto gehöre, war die Aufregung groß. Man fragte sich, welcher Idiot die Polizei gerufen hätte. Der Wagenbesitzer nahm die kostenpflichtige Verwarnung an und musste auch noch die Anfahrt des Abschleppwagens zahlen, was er mit großspuriger Geste tat. Der Wirt erklärte, nachdem er für den Wagenbesitzer ausgesagt hatte, dass der schon den Wagenschlüssel abgegeben habe, und er, der Wirt nur noch nicht dazu gekommen sei, ihn auf den Hof zu fahren. Die jetzt einsetzende Diskussion über die weiteren Ungerechtigkeiten der Staatsbediensteten wurde uns zuviel und wir gingen, nachdem wir jeder zwei kleine Bier bezahlt hatten. Als wir wieder in seinem Kleinwagen unterwegs waren, klärte er mich über den Wagenbesitzer auf. Er war ebenfalls ein Sozialhilfeempfänger und arbeitete unentgeltlich für eine christliche Sekte und betreute dort die Armen. Sie hatten gerade in der Gegend, wo wir herkamen, eine Suppenküche für Obdachlose und andere Sozialhilfeempfänger aufgemacht. Sie wurden großzügig von den Einzelhandelsfirmen und Einkaufsmärkten dieses Viertels unterstützt, die der Küche 72 ablaufende Lebensmittel und andere nicht mehr zu verkaufenden Dinge für diesen Zweck zur Verfügung stellten. In anderen Stadtteilen, gerade in den Hochhaussiedlungen nordöstlich der Stadt, die fast ausschließlich nur noch von Sozialhilfeempfängern bewohnt wurden, war diese Einrichtung schon seit mehreren Jahren mit Erfolg eingeführt worden. Der Hauptsitz der christlichen Gemeinde sei dort angesiedelt. Ich war beeindruckt, denn es schien mir endlich eine Einrichtung, die nicht am Ziel vorbei, den wirklich Bedürftigen zu Gute kam. Als ich dies ausdrückte, lachte Lars nur bitter und sagte: „Wenn es so wäre, wie es aussieht, dann wäre es gut. Aber es ist doch ganz anders. Die Stadt unterstützt diese Einrichtungen mit direkten Zahlungen, wir geben Essensgutscheine für die Hilfsempfänger aus, die dort eingelöst werden, 3 Mark fünfzig pro Essen und die Hilfsempfänger, die dort Essen bekommen, müssen als freiwillige Helfer dort die Drecksarbeiten machen. Die Kochen und Putzen, teilen aus und sammeln auch noch die Gaben bei den Händlern ein. Wie die steuerliche Unterstützung dieser tollen Einrichtung ist, weiß ich nicht. Und die Läden haben Zulauf, das kannst du dir nicht vorstellen. Es können ja auch sonstige Bürger dort ihr Essen bekommen – das kostet dann aber mindestens 7 Mark. Die meisten Essensmarken werden aber nicht für Essen sondern für Schnaps eingetauscht. Ich vermute, dass einige „freiwillige Mitarbeiter“ nebenher noch Großmarktkunden sind und dort Alkoholika einkaufen und gegen Essenmarken tauschen. Wir wissen auch von einigen Kiosken, dass man dort Essenmarken in Zahlung geben kann, für Zigaretten und Schnaps. Die werden dann gegen Abschlag en gros wieder bei den „Christen“ eingetauscht.“ 73 „Und warum hat man dagegen noch nichts unternommen?“ Wenn es so klar auf der Hand liegt, dann müsste es doch ein leichtes sein, das zu beweisen.“ „Ist es aber nicht. Immer wenn wir mal kontrolliert haben, stimmten die Anzahl der gekochten Essen mit den eingenommenen Marken überein. Drei überraschende Razzien haben wir bisher gefahren, immer mit dem gleichen Ergebnis. Da geht jetzt kein Staatsanwalt oder Richter mehr dran, denn es hat natürlich seitens der Gemeinde massenweise Beschwerden gegeben. Die größte Frechheit war allerdings, dass sie uns angeboten haben, einen ständigen Kontrolleur dort einzustellen, damit wir auch alles genauestens überwachen könnten. Mit Gewichtskontrollen und so. Die wissen ganz genau, dass wir keinen aus unserem Amt dafür abstellen können. Die haben uns, die Staatsanwaltschaft und die Kontrolleure einfach lächerlich gemacht – und das ärgert mich besonders.“ „Und wenn doch alles mit rechten Dingen zugehen sollte?“ „Ach Waldi, ich glaub es nicht – ein paar von meinen Vorgesetzten glauben es auch nicht, aber ein paar ganz oben aus dem Amt, die sich bei jeder Einweihungsfeier die Bäuche mit den echt guten Zutaten voll schlagen und sich in die Blitzlichtgewitter der Presse stellen können, sind natürlich von den Ideen der Macher begeistert. Die sind so begeistert, dass so genannte „Nachahmer“, wie ein Frauenverein im Arbeiterviertel, keine Chance bekommen ein solches Projekt ebenfalls aufzuziehen. Man wolle die Kräfte nicht zersplittern, heißt da die Begründung.“ Seine Verbitterung war immer noch deutlich zu spüren, als wir uns bei meinem Auto verabschiedeten und uns gegenseitig versprachen in Kontakt zu bleiben. Ich hörte etwa zwei Monate nichts von ihm und ich hatte inzwischen eine Bestechungsaffäre in der Baubranche aufklären können. Die Versuche, diese Affäre intern in der Stadtverwaltung zu vertuschen, waren an meiner Hartnäckigkeit gescheitert und 74 an der Einsicht eines fähigen jungen Staatsanwaltes. Mit ihm hatte ich einen Deal aushandeln können, der mich als Ermittler völlig draußen ließ, er aber dafür meine ganzen Akten zur Verfügung hatte. Mein Auftraggeber, eine Konkurrenzfirma der unlauteren Baufirma war mit diesem Deal einverstanden gewesen und hoffte nun wieder auf die faire Zuteilung und Zuschläge bei öffentlichen Baumaßnahmen. Aber ganz so geheim wurden die Details über die Nachforschungen, dann doch wohl nicht gehalten, denn Lars rief mich eines Abends an und bat mich, ihn und einen weiteren Mitarbeiter des Sozialamtes außerhalb der Stadt zu treffen. Das machte mich wegen des Treffpunktes stutzig, aber ich sagte zu. Wir trafen uns vor einem ländlichen Lokal, etwa siebzig Kilometer von der Stadt entfernt und Lars stellte mir seinen Begleiter als einen Herrn Meier vor. Das Lokal war hervorragend für konspirative Treffen dieser Art geeignet, denn man saß in durch Fachwerk abgetrennten Kojen, die nur vom Kellner bei Servieren eingesehen werden konnten. Obwohl der Raum offen war, konnte die Intimität gewahrt bleiben. Und wir hatten die letzte Eckbox im großen Saal. Wer allerdings am Nebentisch eine Abhöreinrichtung bediente, wäre mehr als fündig geworden. Ich hatte Lars und Herrn Meier freundlich angelächelt und war dann zum Kellner gegangen und hatte die Box neben uns für meine weiteren Gäste reservieren lassen. Dies war keine Schwierigkeit gewesen, denn das Lokal war an diesem Abend nur schwach besucht, was ich angesichts der Preise in der Karte dann etwas später sehr gut verstand. Meier und Lars hatte nichts mitbekommen von meiner Vorsichtsmaßnahme, denn ich hatte schon im ersten Moment als mich Lars vorstellte, gesehen wer Herr Meier in Wirklichkeit war: Winfried Lehmkuhl, der Minister für Soziales der Stadt. Da ich mich natürlich nach meinem Gespräch mit Lars über die Zustände auf dem Sozialsektor beschäftigt hatte, war mir sein 75 Bild nicht unbekannt. Ich machte, nachdem ich zurück war auch sofort reinen Tisch indem ich sagte: „Ich weiß Ihren Willen zu schätzen nicht erkannt zu werden und werde Sie beim angegebenen Namen nennen. Ich habe mir erlaubt, den Nebentisch zu reservieren um keine unerwünschten Mithörer zu haben. Was kann ich für Sie tun?“ Er war sichtlich überrascht. Er warf Lars einen fragenden Blick zu aber dieser versicherte ihm, dass ich nichts hätte ahnen können, denn er hätte nichts verlauten lassen. Der Minister schien ihm zu glauben und er blickte mich anerkennend an. „So stelle ich mir einen erfolgreichen Ermittler vor. Sie sind entweder verdammt gut, oder Sie haben sehr gute Fürsprecher in unserer Stadt und in Bad Homburg. Ein gewisser John Bradley aus London war sogar der Meinung, dass ich keinen Besseren finden könnte. Ich habe mir die Akten über die Baudeputation genau angesehen und meine, dass Sie gute Arbeit geleistet haben. Aber wer hat sie damals auf die Idee gebracht, dass da etwas faul sei?“ „Herr Meier, den Auftrag zu den Nachforschungen“, ich sah wie seine Mundwinkel sich geringschätzig nach unten verzogen, „bekam ich von Herrn Müller, der uns dort drüben“, ich deutete auf den gegenüberliegenden Teil des Saales, „gegenübersitzt. Mit dieser Auskunft müssen Sie sich zufrieden geben. Wenn Sie nähere Einzelheiten wissen möchten, unterhalten Sie sich direkt mit ihm.“ „Aber da sitzt niemand“, sagte er verwundert. „Sehen Sie, das ist das Geheimnis. Wenn ich mich hier umsehe, kann ich nur meinen alten Freund Lars entdecken und sonst niemanden. Wenn Sie das ändern möchten, sagen Sie es und die Presse wird sich begierig darauf stürzen, zu erfahren, was eine Persönlichkeit wie Sie, mit einem Privatermittler, wie mir, zu tun haben könnte.“ Jetzt hatte er begriffen. Ich würde einen Auftraggeber nicht preisgeben, weder um einen neuen Auftrag zu erlangen noch 76 um mich einfach nur wichtig zu machen. Seine Mundwinkel gingen wieder nach oben und er schaute mir direkt in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick, bis er nicht mehr konnte und nach der Speisekarte griff. Lars war bei dem kurzen Disput unruhig auf seinem Stuhl hin- und hergerutscht. „Bitte lassen Sie uns zunächst wählen, wir können dann später über die Angelegenheit sprechen.“ Wir hatte schnell gewählt und unsere Bestellung aufgegeben und nachdem die Getränke serviert waren sagte ich: „Wir sollten Ihre Wünsche so schnell wie möglich behandeln, denn ich weiß nicht wie viele Gäste später hier noch herkommen. Ich denke es geht Ihnen um ganz besondere Geheimhaltung, und daher sollten wir es möglichst bald hinter uns bringen.“ Ohne zu Zögern begann Meier: „Die Zustände in der Stadt und im Amt sind Ihnen von Herrn Wedemeier schon geschildert und zum Teil vorgeführt worden. Wir gehen inzwischen davon aus, dass weitergehender Missbrauch durch die Christliche Gemeinde betrieben wird. Ich kann die Staatsanwaltschaft nicht wieder einschalten, weil wir uns zu viele blaue Flecke geholt haben und mehrfach geradezu vorgeführt wurden. Da ich davon ausgehe, dass dieser Missbrauch über die Grenzen verschiedener Bundesländer betrieben wird, habe ich mit meinen Kollegen der Anrainerstaaten absprechen können, auf einen internen Fond zurückgreifen zu können. Die Herrschaften sind nicht darüber informiert, was ich vorhabe und wogegen sich eine Aktion meinerseits richtet. Sie waren nur bereit, mich zu unterstützen. Ich hatte noch keinen festen Plan als ich um die Unterstützung bat, aber als vor zwei Wochen der direkte Vorgesetzte von Herrn Wedemeier zu mir kam und über weitere Beobachtungen, die Herr Wedemeier angestellt hatte, berichtete, und er auch noch von den Kontakten zwischen Ihnen beiden erzählte, wurde mein Plan konkreter. Ich stellte Nachforschungen über Sie an.“ 77 Er unterbrach sich, weil der erste Gang aufgetragen wurde. Erst nachdem die Kellner nachgeschenkt hatten und wieder aus dem Blick- und Hörfeld verschwunden waren, sagte ich: „Sie stellten, oder ließen stellen?“ „Ich hatte ein vertrauliches Gespräch mit Herrn Staatsanwalt Schmücker, der mir die Referenzadressen zur Verfügung stellte. Dort habe ich dann persönlich nachgehakt. Ich hatte lange Gespräche mit Herrn Starck und Herrn Bradley und nach meinem heutigen Eindruck hier, glaube ich, den richtigen Mann für eine derartige Aufgabe gefunden zu haben.“ Wir aßen schweigend weiter und ich wartete auf die Erklärung seines Planes. Er ließ sich Zeit und erst als der erste Gang abgeräumt war, kam er darauf zurück. „Gemeinsam mit Schmücker und Wedemeier, möchte ich Sie in diese Organisation einschleusen, damit Sie die Beweise für die Betrügereien erbringen können. Wir vier werden die Einzigen sein, die von diesen Ermittlungen wissen. Falls Schmücker Hilfe zu Ihrer Tarnung braucht, wird er sie nicht bei uns im Lande finden, sondern von außerhalb holen müssen. Er meinte aber, dass er schon Ideen dazu hätte. Sie werden mich ebenfalls nicht wieder zu sehen bekommen, denn nach dem heutigen Abend wird alles nur noch zwischen Schmücker, Ihnen und Wedemeier laufen. Ihre Planungen sollten bei Ihnen zu Hause gemacht werden. Wedemeier kann als Freund sowieso bei Ihnen ein und ausgehen, Schmücker könnte immer noch Fragen im alten Fall an Sie haben.“ Der Hauptgang unterbrach unsere Überlegungen abermals. Auch hier fuhren wir erst fort, als wieder abgetragen war. Ich hatte die ganze Zeit überlegt, wie man am besten ansetzten könnte und als die Gesprächsrunde wieder bereit war sagte ich: „Wir sollten auf jeden Fall die Kontakte zwischen Lars und mir, als auch zwischen Schmücker und mir nicht in der Stadt stattfinden lassen. Ich werde eine detaillierte Planung erstellen und Sie dann per SMS auf Ihr privates Handy bitten, 78 Schmücker und Lars zu einem Seminar nach Berlin oder Frankfurt zu senden. Eine vorzeitige zufällige Aufdeckung meiner freundschaftlichen Beziehungen zu Lars könnte seine spätere Rolle als meinen zuständigen Sozialamtsbetreuer gefährden. Jeder Kontakt zur Staatsanwaltschaft, ob zufällig entdeckt, oder durch mögliche Spitzel verraten, könnte meine Identität frühzeitig auffliegen lassen. Und Spitzel dort können Sie nicht ausschließen, denn bei früheren Razzien wurden die Leute scheinbar vorab gewarnt und alles stimmte. Mein Honorar beträgt DM 1000 pro Tag, plus Spesen, bei längerem Einsatz als 20 Tage wird ein Erfolgshonorar von DM 50.000 vereinbart, egal wie lange ich für die Ermittlungen brauche. Das Honorar ist dann nur zu zahlen, wenn es zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommt. Sind Sie damit einverstanden?“ Er hatte nur sehr kurz für seine Überlegungen gebraucht, dann hatte er mir die Hand über den Tisch gestreckt und ich hatte eingeschlagen. Er hatte aus der Innentasche seines Jacketts einen Briefumschlag entnommen und mir neben mein Weinglas gelegt. „Bitte zählen Sie nach, und quittieren Sie.“ Im Umschlag befanden sich zehn Eintausendmarkscheine eine Quittung über den Betrag und eine Auftragsvollmacht über meinen Auftrag. Sie bestätigte mir, dass ich als Hilfsbeamter des Sozialministeriums zu Nachforschungen berechtigt sei und einen Honorarvertrag nachzureichen hätte. Sie war von ihm persönlich unterschrieben. Ich musste laut auflachen, denn so dumm konnte nur ein echter Bürokrat sein. Ein solches Dokument in seiner Kanzlei konnte nur den Untergang meines Auftrags bedeuten. Er hätte ebenso gut in den Gazetten des Landes verbreiten können: Vorsicht, der Privatdetektiv Waldemar Teufel jagt jetzt die Sozialhilfesünder! 79 Ich sagte es ihm genauso direkt. Er war beleidigt; denn er müsse sich doch auch absichern. Und dieses Dokument sei nur auf seinem häuslichen Rechner gespeichert. „Wie sicher?“ „An den Computer kann nur ich. Kein Mensch sonst!“ Er war sichtlich verärgert und verließ uns umgehend. Seinen Nachtisch teilten Lars und ich uns. Die Rechnung beglich ich und ließ mir eine Spesenrechnung ausstellen, mit Mehrwertsteuer und Trinkgeld. Als erste Spesenquittung im Fall Sozialamt. Ich setzte Lars in der Innenstadt in der Nähe des Parkhauses ab, wo er seinen Wagen stehen lassen hatte, als er mit Lehmkuhl losgefahren war. In den nächsten drei Tagen besorgte ich mir alle greifbaren Informationen über die christliche Gemeinde und derer sozialen Aktivitäten. Es war weitaus mehr als ich erwartet hatte. Meinen Plan für das Eintauchen in die Sozialhilfeszene und meine Kontaktaufnahme zu den Christen erarbeitete ich in den weiteren zwei Tagen und dann sandte ich Meier am Mittwoch, wie ich ihn immer noch nannte, die SMS: „Fortbildung Soziales und Missbrauchabwehr Berlin Beginn Freitag 10 Uhr Hotel „Excelsior“ Berlin“. In Berlin sollte tatsächlich am Freitag ein Seminar stattfinden und ich hatte über meine Beziehungen noch drei Zimmer, Anreise Donnerstag, reservieren können. Ich war mittags mit dem Zug nach Berlin gekommen und hatte richtig kalkuliert. Lars und Schmücker erschienen gemeinsam um 18 Uhr in der Eingangshalle und fragten nach ihren Zimmern. Sie waren tatsächlich für den morgigen Tag noch angemeldet worden. Ich hatte sie in Freizeitkleidung am Counter abgepasst und sie gebeten sich ebenfalls leger zu kleiden. Wir verschwanden, nachdem sie sich kurz auf den Zimmern frisch gemacht hatten, aus dem Hotel und fuhren zu einem Lokal im Herzen von Kreuzberg. In diesem Lokal, in einer Markthalle gelegen, bekamen wir einen großen Ecktisch 80 an dem wir ungestört unsere Pläne entwickeln konnten. Ich hatte mir das folgende Szenario ausgedacht: Schmücker sollte dafür sorgen, dass ich als auf Bewährung entlassener Straftäter in meine Heimatstadt abgeschoben wurde, nachdem ich meine Strafe bis dorthin in Hessen abgesessen hatte. Ich sollte einem Bewährungshelfer, einen Schmücker unterstellten Beamten, unterstellt werden und Lars sollte mein Sozialhelfer werden, bei dem ich auch meine Zahlungen bekommen würde. Anträge für die Gewährung der Beihilfen sollten sie ausarbeiten. Gleichzeitig sollte Lars arrangieren, dass ich im Amt eine fleißige Helferin der Christen Gemeinde kennenlernen sollte, damit ich unauffällig in deren Nähe kam. Als Kommunikationsmittel hatte ich Handys vorgesehen, die ich auch schon besorgt hatte. Wir tüftelten an diesem Abend noch die verschiedensten Möglichkeiten aus, mich auch unter den übrigen Sozialhilfeempfängern möglichst rasch als einer von ihnen einzuführen. Es entstand schon der Plan für den Auftritt von Lars vor dem Kiosk. Mein Bewährungshelfer sollte nur soweit informiert werden, als dass ich als Informant in einer ganz anderen laufenden Sache der Staatsanwaltschaft einen gewissen Schutz genoss. Trotzdem sollte ich meine Bewährungsauflagen so gut wie möglich erfüllen. An den nächsten beiden Abenden, jeweils nach Abschluss der Seminarveranstaltungen, feilten wir an den Plänen. Schmücker hatte sich sofort am ersten Abend noch telefonisch mit einem alten Studienkollegen in Frankfurt gewandt und von ihm volle Unterstützung zugesagt bekommen. Die Originalüberstellungspapiere sollte ich per Post am Montag in meine Wohnung gesandt bekommen. Damit sollte ich dann noch Montagnachmittag bei meinem Bewährungshelfer erscheinen und würde dort die Sozialunterlagen erhalten. Dann sollte ich mir in einer schäbigen Pension in der Nähe der Hochhaussiedlung, die Lars zu betreuen hatte, ein Zimmer nehmen. Wenn der einen passenden Partner für den Kontakt zu den Christen gefunden 81 hätte, würde er mich per Handy informieren. Solange sollte ich mich schon in der Gegend herumtreiben und auffallen, nur nicht so sehr, dass ich unglaubwürdig würde. Ich hatte am Montag meine Aufgaben erfüllt, hatte dem Bewährungshelfer meine Adresse in der Bruchbude am Rande der Siedlung mitgeteilt und hatte abends in einer Kneipe in der Nähe gesessen und dumpf vor mich hingebrütet und hatte scheinbar gesoffen. Einer der Blumenstöcke, die dort auf dem Fensterbrett gestanden hatten, wird wahrscheinlich an Alkoholvergiftung eingegangen sein, denn er musste meine ganzen Schnäpse aufnehmen. Kontakt hatte ich keinen gesucht und keinen gefunden. Die Typen an der Bar hatten mich zunächst misstrauisch beäugt, aber nach einer Weile war ihr Interesse geschwunden und sie hatten nur bemerken können, dass der Wirt häufig mit Bier und Schnaps an meinen Tisch kommen musste. Am Dienstagmorgen hatte dann mein Handy geklingelt und Lars hatte mir gesagt, ich solle schnell vorbei kommen. Er würde die Zielperson solange bei sich festhalten. Er hatte mir außerdem gesagt, dass ich mich anmaßend und frech und einigermaßen selbstbewusst auftreten solle, damit die Person mich interessant finden würde. Als mir Lars dann die graue, verschluderte Maus gezeigt hatte, mir kurz ihr menschliches Profil geschildert hatte wollte ich ablehnen. Wie sollte eine Volleule wie sie, mir bei den Kontakten zu den Christen helfen. Er war aber überzeugt gewesen, wenn ich mit ihr in engeren Kontakt käme und sie einigermaßen nüchtern, dann wäre sie hundertprozentig die richtige Person. Ich könnte bestimmt sofort bei ihr einziehen, und eine bessere Tarnung würde es nicht geben. Ich hatte weiter gezweifelt und gefragt: „Andere Drogen, Aids, oder sonstige Überraschungen?“ „Nichts, sie säuft nur. Das aber heftig und dann geht sie schon Mal für ne Flasche Weinbrand mit einem ins Bett. Aber krank ist sie nicht und eigentlich auch nicht doof. Also jetzt 82 raus mit Dir und mime den großen Macker. Ich hol Euch dann versehentlich gemeinsam noch einmal hierher. Und dann muss der Fisch aber schon an der Angel sein.“ Als ich wieder aus dem Zimmer kam, saß sie auf der Bank und heulte still vor sich hin. Ich schimpfte lauthals über die Ungerechtigkeiten und den Typen da drin überhaupt und fragte sie: „Und was ist mit Dir? Was wollen die von Dir?“ Sie hatte gestammelt, dass man ihr schon wieder eine Kürzung angedroht hatte und sie nicht mehr wüsste, wie sie die Wohnung dann bezahlen sollte. Ich hatte mich weiterhin fürchterlich aufgeregt und ihr versprochen, dass ich das schon regeln würde, notfalls würde ich bei ihr einziehen und mich an den Kosten beteiligen. Als ich ihren hündischen Blick, so von unten nach oben sah, hätte ich vor mir selbst ausspucken können. Als Lars uns dann „versehentlich“ gemeinsam ins Besprechungszimmer rief, waren wir uns schon einig. Ich würde bei ihr einziehen. Lars teilte ihr mit, dass sie heute noch den alten Betrag ausbezahlt bekommen würde, aber das Amt mit dem Vermieter noch neu verhandeln wollten, wegen der fehlenden drei vorangegangenen Mieten. Ich bekam auch DM 280,00 ausgezahlt und wir durften gehen. Das war gestern gewesen. Heute Morgen hatte ich nach meinem Bad Kaffee gekocht und der frische würzige Duft hatte sie ebenfalls erwachen lassen. Sie hatte sich aufgerichtet und mich unsicher angelächelt. Die Bettdecke war verrutscht und hatte ihren Busen freigegeben und als sie es bemerkte, hatte sie scheu die Hände darüber gelegt. Es war eine anrührende Geste. Ich rief ihr zu: „Guten Morgen und ab ins Bad, wir haben viel zu tun. Ich hatte mir eine Scheibe Graubrot auf der Herdplatte geröstet und mit Butter bestrichen und hatte den Rotwein und den Weinbrand, den sie gestern erfreulicherweise nicht gesehen hatte, schnell verschwinden lassen. Den Weinbrand 83 unter der Couch und den Rotwein neben dem hintersten Bettpfosten und als sie aus dem Bad kam, hatte sie sich ein Handtuch umgewickelt. Sie wirkte sehr verschüchtert. Ich mimte weiter den harten Burschen: „Stell dich nicht so an, du hast die ganze Nacht nackt neben mir gelegen, jetzt brauchst du dich auch nicht zu verstecken.“ Ich nahm ihr einfach das Handtuch weg, hielt sie auf Armeslänge von mir weg und meine dann: „Frisch gewaschen und bei Tageslicht, bist du ganz hübsch. Zieh dich jetzt an und dann wollen wir los. Willst du auch eine Scheibe Brot?“ Sie schien sich eher zu ekeln, aber dann willigte sie doch ein und ich bereitete ihr auch eine Scheibe gerösteten Brotes. Sie trank auch eine Tasse Kaffee und dann scheuchte ich sie, ihre Sachen zusammen zu suchen, die gewaschen werden müsste und ein weiteres Bündel für die Reinigung. Es ging jetzt schnell. Man merkte ihr an, dass sie hier heraus wollte, zurück zum Kirchenclan, denn dort würde sie auch wieder Alkohol bekommen. In der Reinigungsannahme an der nächsten Straßenecke gaben wir ihre Sachen ab und ich sagte der jungen Frau hinter dem Tresen, dass sie die Wäsche in dem anderen Korb für uns vorne im Waschsalon waschen sollte und versprach ihr ein gutes Trinkgeld. Sie versprach´s, die Wäsche bis zum Nachmittag fertig zu haben. Dann tippelten wir zu meiner kleinen Pension. Ich holte Unterzeug und ein schwarzes T-Shirt aus meinem Koffer und zog mich ungeniert vor ihr um. Eva wusste scheinbar nicht wohin sie gucken sollte. Sie fühlte sich sichtlich unwohl mit mir in diesem Absteigezimmer. Ich hatte sie sehen lassen, dass ich meine Pistole in den hinteren Hosenbund steckte und sie wurde immer erschrockener. Meine schwarzen Treter wechselte ich gegen Turnschuhe und ich packte die restlichen Sachen, auch aus dem Badezimmer in meinen Koffer und ich bezahlte unten bei der Pensionswirtin. Sie nahm das Geld wortlos in Empfang. Es war jetzt schon nach 9 Uhr und Eva wurde immer unruhiger, sagte aber immer noch nichts. Auch nicht, 84 als ich sie in den nächsten kleinen Modeladen schleppte und ihr zwei T-Shirts in die Hand drückte und befahl: „Anprobieren.“ Ich sagte der Verkäuferin, dass sie ihr noch eine passende Stretch-Hose hineinreichen solle und ging hinüber zur Unterwäsche. Die Verkäuferin suchte inzwischen bei den Kindergrößen nach einer passenden Hose für Eva und nachdem sie diese hineingereicht hatte, winkte ich sie her und gab ihr Anweisung, noch die passende Unterwäsche hineinzureichen. Ich hatte eine Spitzengarnitur vom Ständer genommen und die Verkäuferin hatte mich angelächelt und mir gesagt: „Sie kennen sie noch nicht lange, oder? Das ist viel zu groß, zumindest die Höschen.“ Sie hatte schnell zwei weitere Garnituren, ebenfalls aus weißer Spitze mit Tanga-Höschen vom Ständer genommen und war in Richtung Umkleidekabine verschwunden. Es dauerte einen kleinen Augenblick, dann schob sie den Vorhang beiseite, da kein anderer Kunde im Laden war und sagte: „Schauen Sie, haben Sie das für Ihre Frau gemeint?“ Ich konnte nur Starren. Mein mickriges Evchen, war plötzlich eine aufreizende junge Frau. „Ja, so etwas habe ich gemeint, haben sie das vielleicht auch noch in schwarz?“ Jetzt kam Eva aus der Kabine gestürzt, mit glücklich glänzenden Augen und fiel mir um den Hals. „Und das alles soll für mich sein?“ „Klar, und nun die anderen Klamotten drüber und dann müssen wir weiter.“ „Lass mich auch noch das schwarze probieren, bitte.“ Die Verkäuferin war inzwischen auch mit der schwarzen Garnitur gekommen und plötzlich hatte Eva keine Scheu mehr, sich vor mir umzuziehen und mir den Hauch von schwarz vorzuführen. Sie drehte sich und wendete sich und wollte sich dringend in dem großen Spiegel bewundern. Wenn jetzt ein Kunde hereingekommen wäre, hatte er geglaubt in eine Piep-Show zu kommen. Dann hatte sie endlich ein 85 türkisfarbenes T-Shirt und eine hell-sandfarbene lange Hose an, unter der sich das Tangahöschen abzeichnete. Sie konnte sich an sich selbst kaum satt sehen. Sie war einen Moment so glücklich, dass sie jeden Alkohol vergessen hatte. Das war doch schon Mal etwas. Es war nun auch ein netter, adretter Anblick in der Morgensonne. Ich hatte alles bar bezahlt und ich wusste, dass Eva die Summe mitbekommen haben musste, aber sie schien sich nicht zu wundern, dass ich trotz Sozialhilfeunterstützung über derartig viel Bargeld verfügte. Im Gemeindezentrum, nur drei Hochhausblocks von unserem entfernt, wurden wir von zwei bärbeißigen Männern empfangen, wobei der eine streng zu Eva sagte: „Wieso kommst du heute so spät? Die Touren sind schon raus, also mach dich an die Arbeit. Und wer ist dieser Knilch hier?“ „Er ist ein Freund von mir. Er ist auch Stützeempfänger und wohnt bei mir. Er könnte hier mithelfen.“ „Das entscheiden nicht wir, das weißt du doch.“ „Okay, dann will ich zu den Machern von dem Laden hier“, und stolzierte los in Richtung Eingang. Vier Arme griffen gleichzeitig nach mir und wollten mich festhalten. Ich ließ einfach meinen Koffer fallen, den ich links getragen hatte, und holte zu einem Rundumschlag aus. Den ersten erwischte ich voll am Kinn und der ging zu Boden, der zweite war etwas ausgewichen und ging auf mich los. Ich sah gerade noch rechtzeitig, dass er sich für die Attacke einen Schlagring übergestreift hatte. Ich stolperte leicht über meinen Koffer und das war mein Glück, denn der Schlag streifte nur meine Schulter und das tat weh genug. Als er nachsetzten wollte hatte ich ihn aber erwischt und mit einem Judogriff über die Schulter geworfen. Ein schneller Schritt auf ihn zu, ein Tritt unter das Kinn und dann lagen beide bewusstlos im Eingangsbereich. Ein weiterer Typ kam angerast und schrie: „Was ist hier den los?“ 86 Es war mein Mercedes-Freund, dessen Wagen ich hatte abschleppen lassen wollen. „Die Typen wollten einem wehrlosen Sozialhilfeempfänger den Eingang zum Heiligtum hier verwehren und scheinen in ihrem Übereifer über meinen Koffer gestürzt zu sein. Tut mir leid, hatte ich wahrscheinlich ungeschickt abgestellt.“ Er herrschte Eva an: „Wieso kommst du zu spät und was soll dieser Typ hier?“ „Er ist kein Typ, sondern mein Freund, den ich hier heute vorstellen wollte. Er wohnt bei mir und braucht Arbeit. Wenn ich es gestern im Amt richtig mitbekommen habe, dann steht er unter Bewährungsauflagen und braucht unsere Unterstützung“, sagte sie mit erhobenem Haupt. Sie schien stolz auf mich zu sein, dass ich die unfreundlichen Typen umgehauen hatte. Die berappelten sich so langsam wieder und schienen nochmals auf mich losgehen zu wollen, als mein Mercedesfreund sie stoppte. „Ist schon gut, ich kümmere mich selbst darum.“ Er gab mir einem Wink ihm zu folgen. Murrend zogen sie ab. Er nahm mich mit in ein Büro und schickte Eva an ihre Arbeitsstätte, die weiter hinten den Gang hinunter zu sein schien, denn sie trippelte ihn ganz bis zum Ende. Mehr konnte ich nicht sehen, denn der Mercedes-Heini hatte mich fast in den Raum geschoben. Er wies auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch, der ziemlich in der Mitte des Raumes stand und setzte sich selbst auf einen thronähnlichen Stuhl hinter der Arbeitsfläche. „Sie brauchen also Hilfe?“ „Mein Bewährungshelfer und Herr Wedemeier vom Sozialamt, und neuerdings Eva scheinen das zu meinen, aber ich komme ganz gut alleine klar.“ „Das habe ich eben gesehen, und allein dafür könnte ich Sie zurück in den Bau schicken, wenn Evas Geschichte stimmt. Stimmt sie“, herrschte er mich an. 87 Trotzig antwortete ich: „Den Papieren, die ich bei mir trage nach ja; aber versuchen Sie es doch Mal, mich zurückzubringen.“ Meine letzten Worte waren ein einziges Knurren gewesen und er schaute etwas bedröppelt von der Schreibtischfläche auf. „Zeigen Sie die Papiere her.“ Ich holte die unordentlich gefalteten Papiere aus meiner Jacketttasche und reichte sie ihm. „Und Ihr Geld!“ „Hab keins.“ „Sie haben doch gestern DM 280,00 bekommen, wo ist das?“ „Wir haben Klamotten für Eva dafür gekauft. Ihre alten sind hier im Koffer.“ „Alles Geld weg?“ „Ja.“ „Und wovon wollen Sie bis zur nächsten Woche leben?“ „Vielleicht bekomm ich hier ja ´ne warme Mahlzeit. Ein wenig Brot ist auch noch zu Hause und für den Rest werd ich schon sorgen.“ Er sah mich eine Weile abschätzend an, dann sagte er: „Sie bleiben jetzt erstmal hier. Ich werde etwas checken. Wenn es okay ist, hab ich vielleicht einen Nebenjob für Sie und Sie können sich hier wenigstens Ihr Essen verdienen.“ „Okay.“ Er verließ den Raum und ich wartete. Er ließ mich ungefähr zwei Stunden schmoren. Ich wartete wie man es von Häftlingen gewohnt ist. Still und aufrecht sitzend auf meinem Stuhl. Besonders bequem war das nicht, aber Aufstehen wollte ich auch nicht, denn ich wusste nicht, ob ich nicht beobachtet würde. Dann kam er in Begleitung eines Älteren zurück und ich wurde beglotzt, wie ein Stück Vieh, bevor der Ältere sagte: „Herr Teufel, Sie haben sich bei uns nicht besonders gut eingeführt. Wir wollen Ihnen dennoch eine Chance geben, aber nutzen Sie sie auch. Können Sie Kochen?“ 88 „Hab´s schon Mal gemacht.“ Seine bis dahin wohltönende Stimme brach etwas als er mich anschnauzte:“ Ich will wissen, ob Sie kochen können oder nur Suppe umrühren?“ „Ich kann Kochen, Reicht vielleicht nicht für drei MichelinSterne, für zwei aber bestimmt.“ „Okay, ist gut. Wir brauchen einen Rotisseur, kommen Sie mit. Ihren Koffer können Sie hier lassen.“ „Damit er durchwühlt werden kann“, dachte ich bei mir und folgte den Männern. Wir waren um die Ecke gebogen und eine Rampe zu dem Tiefgeschoss hinunter gestiegen. Er stieß eine Edelstahlschwingtür auf und wir gelangten in eine große Küche. Hier waren mindestens zwanzig Personen am Werkeln. Es roch nicht besonders appetitlich, was sie da zusammenkochten. Wir durchquerten eine weiteren Raum in dem Waren gelagert waren und kamen an eine scheinbar glatte, gekachelte Wand. Auf unsichtbaren Knopfdruck fuhr die Wand beiseite und gab eine weitere Großküche frei. Hier roch es ganz anders und das Wasser lief mir automatisch im Mund zusammen. Köstlicher Essensduft und das um ca. 14:30 Uhr und ich hatte meine eine Scheibe geröstetes Brot vor acht Uhr gegessen. Der Ältere, den ich inzwischen für den Oberfuzzy von diesem Laden hielt, stellte mich kurz einem Koch mit Kochmütze vor, wobei ich den Namen des Mannes nicht verstand, aber ich war sicher, dass es ein ausländischer Name gewesen war. Der Mann befahl mir, in einen Nebenraum zu gehen und mir dort eine Kochkleidung zu suchen, die mir passte. Bei meiner Größe kein so einfaches Unterfangen, aber es gab wirklich jede Größe in diesem Raum und ich wurde sehr bald fündig. In einem Spind am Ende des Raumes, konnte ich meinen Anzug und mein T-Shirt aufhängen. Passende Kochschuhe wurden auch für mich gefunden. Die Auswahl der mir passenden Messer war dann schon etwas schwieriger, denn mein Vorgänger schien 89 Linkshänder gewesen zu sein, und der Schnitt seiner Messergarnitur passte mir überhaupt nicht. Wir fanden noch eine weiter Garnitur, aber sie leider ausgeschlagen und ich wusste, wenn ich sie gut benutzen wollte, musste ich jede Menge Schleifarbeit hineinstecken. Ob man mir die Zeit lassen würde, wusste ich nicht. Dann führte mich der Oberkoch an die Geräte. Es waren gute, bestens gepflegte Geräte, und hier würde ein angenehmes Arbeiten sein. Auf der einen Seite des Raumes waren Kochgeräte. In der Mitte die Friteusen, Soßenwarmhaltegeräte, Gemüsewärmer im Wasserbad. Auf der anderen Seite waren die Abfüllanlagen für Leichtstyroporbehälter mit verschiedenen Kammern, die mit den einzelnen Zutaten aufgefüllt wurden und dann mit Aluminiumfolien abgedeckt, mechanisch zugedrückt und dann über ein Laufband in einem weiteren Nebenraum, der durch eine Schleusenanlage abgedeckt war, verbracht wurden. Dies war eine Anlage zur Herstellung von Feinschmeckermenüs. Und wenn mich nicht alles täuschte, durch kein Amt geprüft wurde. Die guten Zutaten aus den Spenden wurden hier verarbeitet, die miserablen in der Großküche. Diese Räume waren vom Durchgang her sehr gut getarnt und wenn Kontrolleure vor der Tür standen, wurden vorne bessere Zutaten verwendet und der Zugang zu dieser Küche nicht freigegeben. Ich durfte an diesem Nachmittag noch dreiunddreißig Gyrosspieße aufziehen und kurz anbraten. Dann verschwanden sie als Vakupack im Nebenraum. Pünktlich um 17 Uhr war Feierabend. Noch während wir uns umzogen, war eine Putzkolonne erschien und wienerte die Küche. Wir verließen die Räumlichkeiten durch einen weiteren Ausgang des Umkleideraumes und kamen über eine unscheinbare Feuertür in das Treppenhaus und später in die Tiefgarage des Hauses. Die Feuertür war als Spritzenraum gekennzeichnet. Mir wurde nur noch mitgeteilt, dass ich morgens um Acht vor 90 dieser Tür zu erscheinen hätte. Ich ging wieder vorne herum zum Haupteingang des Gemeindezentrums, weil ich meinen Koffer abholen wollte. Die bärbeißigen Typen standen immer noch da, wollten aber offensichtlich keinen weiteren Ärger mit mir riskieren und ich holte den Koffer beim Mercedes-Heini ab und sah mich nach Eva um. Sie kam, besser gesagt, torkelte wenig später auf mich zu. Sie war sturzbetrunken, und ich hatte alle Mühe sie drei Blocks weiter zu schleifen. Ich brachte sie unbehelligt nach oben und zog ihr sofort die neuen Sachen aus. Sie ließ mich gewähren und lächelte mich trunken und einladend an, als ich sie nackend aufs Bett legte. Sie war schon eingeschlafen, bevor ich sie zudecken konnte. Ich schrieb ihr einen großen Zettel auf, dass ich noch etwas erledigen müsse, damit sie nicht erschrak wenn sie wider meinen Erwartungen aufwachen sollte und hinaus wollte. Ich hatte sie eingeschlossen, da wir ja nur ein Paar Schlüssel hatten. Ich holte die Wäsche ab, ließ mir bei einem Schlüsseldienst einen Satz Schlüssel anfertigen und kaufte Dinge, wie Weißbrot, weitere Butter, Marmelade und Honig ein. Ein Glas mit kräftiger Rinderbrühe und ein Dutzend Eier und Frühstücksspeck vervollständigten meine Einkäufe. Obwohl ich in der Küche immer wieder genascht hatte, war mein Hunger immer noch groß, und ich beschloss im Einkaufszentrum noch eine Kleinigkeit zu Essen. Ich bestellte mir ein Bier dazu. Ich saß noch vor meinem leeren Teller und nuckelte an meinem Glas Bier, als neben mir einer der Fieslinge vom Gemeindeeingang auftauchte. „Ich denk du hast kein Geld, du Sack. Ich werd´s dem Meister melden.“ „Gut so; mein Bester“, mit diesen Worten war ich aufgestanden und hatte mich voll auf einen seiner Füße gestellt und blitzschnell meine Pistole aus dem Gürtel gezogen und ihm unsichtbar für andere in die Rippen gehalten. „Setz dich, mach kein Wehgeschrei und bestell uns ganz schnell noch zwei Bier. Vielleicht möchtest du auch noch ein 91 Schnäpschen dazu. Ich möchte wohl einen. Und denk daran, die Puste ist unter dem Tisch genau auf deine Eier gerichtet. Bestell doch bitte jetzt.“ Wir beide hatten gesehen, dass die Bedienung herübergesehen hatte, als wir beide stehend neben dem Tisch waren. Sie hatte sicherlich Angst, dass ich ohne zu zahlen verschwand. Sie kam herüber und Fiesling bestellte zwei weitere Bier und Schnaps. Als die Bedienung sich entfernte, zischte ich ihm nur zu: „Das war schon ganz gut und wenn sie gleich mit den Getränken kommt, bittest du um die Gesamtrechnung und bezahlst. Einverstanden“? fragte ich ihn scheinheilig. Er nickte nur und tat wie ihm geheißen. Als die Bedienung abdrehte sagte ich ihm nur: „Sag dem Oberfuzzy, dass Eva noch Geld hatte. Prost, mein lieber Kollege.“ Ich hatte mit jeder Hand ein Glas ergriffen, in der einen den Schnaps in der anderen das Bier und trank ihm zu. Ich hatte die Getränke schon fast ausgetrunken, bis er bemerkte, dass ich gar keine Waffe auf ihn gerichtet haben konnte. Ihm fiel die Kinnlade herunter und er verschluckte sich an seinem Bier. Ich war aufgestanden, hatte ihm auf den Rücken geklopft, wie man es bei Freunden tut, die sich verschluckt haben, hatte meine Sachen gepackt und war vom Tisch gegangen. Ich habe ihn an diesem Abend nicht wieder gesehen. Auf dem Rückweg dachte ich über meine Situation nach. Ich war zwar heute dahinter gekommen, dass es zwei Küchen gab, war angestellt worden, aber wusste weder wie der Mercedes-Heini, noch der Oberfuzzy, oder die Fieslinge hießen. Ich wusste noch nicht einmal wie Eva mit Familienname hieß. Ich wollte auf das Klingelschild schauen. Ich benutzte mein neues Schlüsselbund und war richtig froh, dass es passte. Die Wäsche und die Einkäufe stellte ich weg und dann legte ich mich neben die leicht schnarchende Eva. Ich hatte wieder vergessen auf das Klingelschild zu 92 achten. Im Einschlafen spürte ich noch wie sich ihr warmer Körper an mich schmiegte und dann war ich weg. Um sieben Uhr klingelte ein Wecker und ich überlegte, wo er stand. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals einen gesehen zu haben, geschweige denn einen gestellt zu haben. Gestern hatte ich auch keinen vernommen. Ich schälte mich sanft aus der Umarmung in der ich mich befand. Im Einschlafen hatte ich noch bemerkt, dass sich Eva an mich gekuschelt hatte, aber jetzt war sie geradezu in meine Arme gekrochen. Sie musste auch schon lange so liegen, denn mein linker Arm war eingeschlafen. Ihr Kopf lag auf meinem Arm und ihr Oberkörper war halb auf meinen Brustkorb. Ihr rechtes Bein war halb über mein linkes geschoben. Sie strömte Hitze aus und murmelte undeutliche Laute, als ich mich von ihr befreite und ins Badezimmer ging. Die Kaffeemaschine hatte ich vorher in Gang gesetzt. Als ich nach dem Duschen wieder ins Zimmer kam, lag Eva aufgedeckt auf dem Bett und schaute zu mir herüber. Heute war sie ganz wach und machte auch nicht mehr den verschüchterten Eindruck wie gestern Morgen. Als ich meine Sachen zusammenklaubte und mich anziehen wollte, war sie aufgestanden und hatte sich kurz an mich geschmiegt und war mit ihren Fingernägeln über meinen Rücken gefahren. „Woher hast du nur all diese Narben“? und war dann im Badezimmer verschwunden. Sie hatte heute einen völlig klaren Eindruck erweckt und trug, als sie wieder hereinkam, die schwarze Unterwäsche, die wir gestern gekauft hatten und tänzelte kokett vor mir auf und ab, und wollte wissen, ob es mir gefiel. „Es gefällt mir sehr gut, was ich sehe. Wenn wir etwas mehr Zeit hätten, könntest du mich bestimmt verführen, aber wir müssen gleich los und dein Frühstück wartet schon auf dich. Zieh dich jetzt an.“ 93 Sie wählte das dunkelblaue T-Shirt und wieder die hellen Hosen und setzte sich zu mir an den Tisch und genoss es sichtlich am gedeckten Tisch ihr Frühstück einzunehmen. „So, Eva, wenn wir schon zusammen wohnen, dann sollte ich wenigstens wissen, wie du mit Nachnamen heißt. Ich weiß es immer noch nicht.“ „Eva Peters, geschieden, 37 Jahre alt und manchmal auch nüchtern“, sagte sie mit angedeuteter Verbeugung, „und du Großer? Wer bist du?“ „Waldemar, genannt „Waldi“ Teufel, Rumtreiber und Einzelgänger, Ex-Sträfling. Du hast mich da gestern mitgenommen zu dieser Gemeinde, was ist das für ein Verein. Sie haben mich zwar in der Küche angestellt, aber ich weiß noch nicht einmal was ich verdiene, und ich weiß nicht wie die Typen heißen, für die ich da arbeite. Das gefällt mir nicht.“ „Du verdienst gar nichts. Man gewährt dir freies Essen und Trinken, und du bist bei den Behörden als freiwilliger Helfer einer sozialen Einrichtung registriert. Das ist gut für Bewährungsauflagen! Die beiden Typen an der Tür sind Karl und Leo, wie sie weiterheißen, weiß ich auch nicht. Der Mann der dich dann in sein Büro geholt hat, war Möbius, der Verwalter. Ist der zweite Mann in der Gemeinde. Und dann ist da noch Pater Lewinski, der Chef vom Ganzen. Ich weiß nicht ob du ihn kennengelernt hast; aber er organisiert alles und hält auch die Predigten. Er ist für Alle das große Vorbild. Er sorgt für uns und die Armen, die kein Essen haben und keine Kleidung und manchmal sorgt er auch für Unterkunft. Ein großer Mann“, sagte sie fast schwärmerisch. „Bist du auch in der Küche“, fragte ich sie harmlos. „Nein, ich bin in der Buchhaltung und organisiere die Fahrten und mache die Abrechnungen, aber das kann ich dir später erzählen. Wir müssen los.“ Ich räumte nur noch das Geschirr weg, während sie sich die Haare machte und dann gingen wir gemeinsam die drei 94 Hochhausblocks weiter. Sie ging zum Haupteingang und ich ging hinten herum zum Spritzenraum-Eingang. Wir waren pünktlich, und bei den Köchen war merkliche Hektik als wir eintraten. Der Mercedes-Heini Möbius rief verschiedene Namen auf, auch meinen, und wir mussten uns aufreihen. Die anderen Aufgerufenen wussten scheinbar worum es ging und Möbius nahm mich und noch ein kleines Kerlchen, das ich gestern bei den Soßen gesehen hatte, zur Seite und teilte uns mit: „Sie haben heute einen freien Tag und werden zu einer Bustour eingeladen. Nehmen Sie diese Unterlagen und geben Sie den obersten Gutschein beim Sozialamt in Rotenburg ab und kassieren Sie die Gelder. Danach können Sie die Hälfte einstecken, die andere Hälfte geben Sie mit den Unterlagen dem Busfahrer. Danach haben Sie bis 16 Uhr Freizeit. Danach bringt der Bus Sie hierher zurück. Sie haben jetzt jeden Donnerstag den freien Tag in Rotenburg; aber besaufen Sie sich nicht zu sehr. Wir wollen keine Scherereien mit der Polizei oder so etwas. Verstanden?“ Wir nickten und Möbius nahm mich noch etwas mehr zur Seite und sagte leise zu mir: „Teufel, für Sie gilt das besonders. Keine Auffälligkeiten und keine Auseinandersetzungen mit Leo oder Karl in der Zukunft. Wir sorgen hier für Sie und geben Ihnen einen zuverlässigen Hintergrund. Ihr Bewährungshelfer wird es zu schätzen wissen.“ Dann ließ er uns stehen und wir schlossen uns einer Gruppe an, die ziemlich aufgeregt in die Tiefgarage eilte. Hier standen verschiedene Busse mit Pappschildern im Fahrerfenster. Wir gingen zu dem Bus mit der Beschriftung Rotenburg. Der Bus war voll und wir zuckelten los. Am Busbahnhof der kleinen Stadt wurden wir ausgeladen und der Fahrer sagte, dass wir nicht im Pulk auftreten sollten, sondern schön in Gruppen von maximal drei Leuten dort im Sozialamt auftreten sollten. Ich schloss mich gleich der ersten Gruppe an. Zwei Burschen, die ich gestern nicht in der Küche gesehen hatte. Wir hatten alle ungefähr die gleiche Größe und unsere 95 Kleidung war nicht übermäßig auffällig. Ich fiel nur etwas auf, weil mein Anzug zwar nicht neu, aber immerhin ein Anzug war, unter dem ich das schwarze T-Shirt trug. Die anderen hatten Sweatshirts oder leichte Freizeitjacken über ziemlich ungebügelten Hosen an. Ich stellte mich zusammen mit meinen Begleitern in der Schlange an, nachdem wir uns Nummern gezogen hatten. Über eine Anzeigentafel wurden wir nacheinander in verschiedene Zimmer gerufen, deren Nummer jeweils auf der Anzeigentafel erschien. Als ich an der Reihe war, legte ich der jungen, verdrießlich blickenden Frau hinter der Scheibe, meine Unterlagen in das Drehbrett und sie zählte mir Geld vor. DM 560,00 und sie sagte: „Das ist für eine Woche und das Übergangsgeld. Hier ist noch ein Warengutschein über DM 200,00 für Kleidung.“ Meine Unterlagen und das Geld und der Gutschein kamen wieder über das Drehbrett zurück und ich sammelte alles ein. Damit war ich für heute entlassen. Es ging ganz einfach. Vorgestern hatte ich zu Hause DM 280,00 bei Lars kassiert, heute gleich DM 560,00 und einen Gutschein für Kleidung. Ich steckte DM 140,00 in die Tüte mit den Unterlagen und brachte sie dem Busfahrer. Den Rest hatte ich eingesteckt. Ich wollte mir dringend eine Freizeitjacke zulegen und noch ein, zwei T-Shirts. Ich beobachtete meine Mitfahrer, die ihre Unterlagen zurückbrachten und sich dann in den Kneipen rings um den Busbahnhof versammelten. Ich würde später dazu stoßen. Ich machte meine Einkäufe in einem Warenhaus in der Innenstadt und hatte in der Technikabteilung des Hauses die Reklame für Handys, die kostenlos zusammen mit einer Telefonkarte abgegeben wurden, gesehen und stellte mich an den Tresen und ließ mir eins zeigen. Wir wurden uns sehr bald handelseinig und wir füllten den Vertrag aus. Es wurde kein Personalausweis verlangt, ich musste nur meine Eintragungen machen und bekam das Handy ausgehändigt. 96 Der Akku sei schon aufgeladen hatte man mir versichert. Nach Freischaltung innerhalb der nächsten Stunde könne ich es benutzen. Das brachte mich auf eine andere Idee und ich fragte den Verkäufer, ob ich auch eines für meine Freundin kaufen könne, es wäre doch bestimmt ein wunderbares Geschenk. Er stimmte dem zu und ich brauchte nur einen zweiten Vertrag auf ihren Namen auszufüllen, zu unterschreiben und schon war ich Besitzer eines weiteren Telefons. Auch dieses ließ ich mir gleich Freischalten. Da schönes, sonniges Wetter war, setzte ich mich auf die Terrasse eines Lokals und bestellte mir etwas zu Essen und ein kleines Bier und machte mich während ich auf das Essen wartete mit dem Telefon vertraut. Ich programmierte fest die PIN-Nummer und die jeweils andere Telefonnummer des Telefons mit der Kurzwahltaste 1. Eva und ich brauchten jetzt das Gerät nur noch einzuschalten, die Kurzwahl zu drücken und wären miteinander verbunden. Ich ließ mir Zeit mit dem Essen und nach einer Verdauungszigarette machte ich den ersten Versuch. Ich schaltete beide Geräte ein und drückte bei meinem die 1. Wenig später klingelte Evas Telefon. Der umgekehrte Versuch war ebenso erfolgreich. Dann sandte ich von Evas Telefon eine SMS an das Privathandy von Schmücker: „Bin dran Teu“ und schlenderte zurück ins Kaufhaus. Hier klaute ich einen kleinen billigen Goldring. Gegen 15 Uhr gesellte ich mich zu den anderen Mitfahrern, die in der Kneipe gegenüber dem Busbahnhof saßen und eifrig gezecht hatten. Sie waren alle angetrunken und guter Laune. Ich tat ebenfalls so, als ob ich schon etliches getrunken hätte, nuschelte ein wenig als ich ein weiteres Bier bestellte und fragte meinen Nebenmann: „Geht ihr immer hierher?“ Er starrte mich mit schwiemeligen Augen an, und meinte: „Nee, meistens gehen wir noch vorher in den Puff in der Pfingststraße. Die wissen schon, dass wir Donnertags unterwegs sind. Ganz schön heiße Mäuse. Ich hab da eine 97 getroffen, die war früher auch Mal bei uns. Jetzt ist sie immer da. Die Rosi hat vielleicht Tüten!“ Mein Bier kam und ich setzte mich zu einer Runde anderer Mitfahrer. Die lachten trunken und erzählten von ihren wunderbaren Abenteuern mit den Mädchen aus der Pfingststraße. Auch hier wurde mir bestätigt, dass viele von den Mädchen auch schon in der Gemeinde gewesen waren, jetzt aber richtig gut anschafften. In meinem Oberstübchen klingelte es gewaltig. Ich glaube ich musste auch dringend eine Spritztour abends nach Rotenburg unternehmen. Setzte man neben Sozialamtsbetrug und Betrug an Spendern und staatlichen Stellen auch noch auf Prostitution? Zwang man möglicherweise die Mädels, die man in der Gemeinde aufgefangen hatte dazu, auch noch als Prostituierte zu arbeiten und sahnte noch zweimal ab? Bei den Mädchen und den Freiern, die gerade ihr Geld erschlichen hatten mit falschen Unterlagen? Hui, was für ein komplexes Gebilde, die Christengemeinde. Ich trank mein Bier und zahlte an der Theke, bevor wir wieder Richtung Heimat fuhren. Es war auffallend, dass in diesem Bus nur Männer befördert wurden. Wie wurde mit den Frauen verfahren? Es gab ganz schön viel Fragen und ich tat, als wenn ich döste, wie die meisten in dem Bus. Meine Einkaufstüte lag auf meinem Schoß. Wir waren pünktlich zum Feierabend der anderen „Helfer“ wieder zurück und ich wartete vor dem Haupteingang auf Eva. Als sie kam, sah sie noch betrunkener aus, als am Tag vorher und ich stützte sie auf dem Heimweg. Ich fühlte mich ein wenig enttäuscht, denn am Morgen war sie so herrlich nüchtern gewesen und ich hatte geglaubt, ihr heute Abend ein paar Fragen stellen zu können. Im Fahrstuhl hatte sie dann an mir gehangen, der Blick verschleiert und sie verströmte eine üble Fahne. Das änderte sich schlagartig, als ich die Wohnungstür hinter uns geschlossen hatte. Sie raste sofort ins 98 Badezimmer und ich hörte sie würgen. Dann gurgelte sie und zwei Minuten später, war sie wieder bei mir und fiel mir um den Hals. Sie hatte keine Fahne mehr und ihre Augen glänzten. Sie hatte sich einfach mit beiden Armen um meinen Hals an mich gehängt und mir einen dicken Kuss gegeben. In meiner Verblüffung hatte ich sie zurückgeküsst. „Die sollten nur alle glauben, ich wäre wieder hinüber. Ich will jetzt nüchtern sein und ich freue mich, dass du nicht mit im Puff warst.“ Nachdem ich meinen Unterkiefer wieder in Normalstellung gebracht hatte, denn auf diesen Schreck der Verwandlung, war mir der Mund offen stehen geblieben, fragte ich:“ Woher, willst du das denn wissen?“ „Erzähl ich dir später. Zeig mir lieber, was du für dich eingekauft hast.“ Ich zeigte ihr meine Windjacke und meine T-Shirts. Zuletzt schenkte ich ihr das Handy. Sie freute sich wie ein kleines Kind und musste es gleich ausprobieren. Am liebsten hatte sie mit mir die nächste Zeit nur noch über das Telefon gesprochen, aber ich drückte sie einfach weg. Denn ich musste vorher noch Telefonkarten besorgen, damit die Dinger auch wirklich immer einsatzbereit sein würden. Als ich ihr wenig später auch noch den gestohlenen Ring aufsetzte kannte ihre Freude keine Grenzen mehr. Ich wurde geradezu erdrückt. Wir beschlossen mit dem Bus in die Stadt zu fahren und dort in einem guten Restaurant zu Essen. Ich musste außerdem an meinen Wagen kommen, damit ich spätestens morgen Abend den Mädels von Rotenburg einen Besuch abstatten konnte. Ich hatte mir ein weißes Oberhemd und eine Krawatte aus dem Koffer genommen und angezogen. Sie hatte eine der gewaschenen Blusen schnell aufgebügelt und trug sie zu der hellen Hose. Wir gingen hinunter zur Busstation und gingen ganz schnell noch in den Modeladen, der immer noch geöffnet war. Ich kaufte ihr ein Clubjackett und sie sah richtig 99 gut in der sportlichen Kleidung aus. Während der Busfahrt hatte sie mir von der komplizierten Buchhaltung der Gemeinde erzählt. Nichts genaues, aber langsam formte sich mir ein Bild über die Organisation. Sie war simpel, aber effektiv aufgebaut. Wir stiegen etwas früher aus, als eigentlich geplant und ich setzte sie in einem Cafe ab und bat sie zu warten, ich würde bald eine weitere Überraschung für sie haben. An der nächsten Ecke griff ich mir ein Taxi und ließ mich zu meinem Büro fahren. Aus der Garage holte ich den Wagen, einen unauffälligen Audi, der unter der Motorhaube allerdings einen A8 Motor hatte. Wenig später war ich dann vor dem Cafe vorgefahren und hatte sie abgeholt. Sie staunte nicht schlecht. Sie glaubte ich hätte das Auto gestohlen, und ich ließ sie in dem Glauben. Wir fuhren wieder aus der Stadt in ländliche Umgebung. Hier wusste ich ein Schlemmerlokal, und danach war mir heute. Ich hatte sie während der Fahrt beobachtet und später beim Essen. Welch ein immenser Unterschied – die nüchterne, zur betrunkenen Eva. Es war auch erstaunlich wie viel sie noch von den Dingen mitbekam, die sie täglich um Vollrausch erledigte. Ich hatte nicht schlecht gestaunt, als sie mir die Ziele der organisierten Fahrten zu den Sozialämtern der Umgebung angab. Demnach hatte die Gemeinde eine eigene Busflotte, die über einen normalen Transportunternehmer angemeldet war. Der Besitzer war aber kein anderer als Pater Lewinski. Die Bordelle in den einzelnen Gemeinde, die angefahren wurden hingen alle in dem Ring der Gemeinde. Es war tatsächlich so, dass ehemalige Sozialhilfeempfängerinnen, und auch Frauen, die heute noch Bezieherinnen von Leistungen waren, dort ihren „Dienst“ versahen. Die Hälfte des „Liebeslohnes“ wurde zwischen Lewinski und dem jeweiligen Betreiber, meistens auch ehemalige Hilfskräfte der Gemeinde, aufgeteilt. Die Einnahmen wurden als Spenden an die Kirche getarnt und wurden von den „Spendern“ regelmäßig auch noch von 100 der Steuer abgesetzt. Die Küche lief wirklich auf zwei verschiedenen Ebenen. Während ich in der Feinkostküche beschäftigt war, wo nur die besten eingesammelten Spenden verwertet wurden und nur selten Nachkäufe vorgenommen werden mussten, stammten die Zutaten der zweiten Küche, für die Armen, meistens aus Gaben schon längst abgelaufener Lebensmittel, die von weiteren Sozialhilfeempfängern eingesammelt wurden. Insgesamt ein außerordentlich florierender Betrieb. Die geordneten Einkünfte aus den Doppelbezügen der Hilfsempfänger an verschiedenen Orten, wurden von den Empfängern mit Lewinski geteilt. Der sorgte für ordentliche Papiere, die Empfänger konnten doppelt kassieren. Beide Seiten waren glücklich. Ein ganzes Netz von Kioskbetreibern nahm ausgegebene Essensmarken zum halben Preis gegen Abgabe von Spirituosen in Empfang. Dieser Schnaps wurde den Kioskbesitzern über eine Großhandelsfirma der Gemeinde angeliefert, so dass diese Bestände auch nie bei den Kiosken in den Büchern standen. Der Großhandel verbuchte es als Exporte. Als wir uns nach einem hervorragendem Essen und einer Flasche ebenso guten Rotweins uns auf den Heimweg machten, fiel Eva auf, dass der Wagen gar nicht kurzgeschlossen, sondern mit Schlüssel gefahren wurde. Ich lächelte sie an, fuhr auf einen Parkplatz und meinte dann zu ihr: „Mein Schatz, es ist manchmal einfacher den Schlüssel zu benutzen, als mit Brachialgewalt einen Eingang zu suchen.“ Dann nahm ich mein eigentliches Handy aus dem Handschuhfach und wählte eine Nummer. Jetzt, kurz vor Mitternacht, meldete sich Schmücker mit leicht verschlafener Stimme, nur mit einem Hallo. Ich erkannte die Stimme trotzdem und erstattete Bericht. Ich konnte hören, wie er eifrig mitschrieb, mich manchmal kurz unterbrach um mitzukommen und dann weitere Details hören wollte. Seine kurze Zusammenfassung lautete: „Also sind 101 sämtliche Unterlagen in dem Büro, das an das eigentliche Gemeindzentrum im Keller angrenzt. Ich werde sofort mit meinen Kollegen in Wiesbaden Kontakt aufnehmen und den Zugriff durch das BKA in sechs Stunden veranlassen. Hier in der Stadt wird keine Dienststelle benachrichtigt. Der Zugriff erfolgt in vier Bundesländern ist somit Bundesangelegenheit. Bringen Sie ihre junge Dame in Sicherheit und bleiben Sie auf Tauchstation, bis Sie von mir über dieses Handy hören. Gehen Sie nicht zurück in die Wohnung der Eva Peters und nicht zu sich nach Hause. Bei dem Spesensatz können Sie sich ein hervorragendes Hotel leisten. Wäre das „Maritim Travemünde“ angenehm?“ „Wenn Sie es arrangieren können.“ Eva hatte mich während des Telefonats fast panisch angesehen. „Wer war das? Hast Du mich jetzt verraten? Ich kann niemals zurück, die bringen mich um, wie damals die Virginia, meine Vorgängerin. Sie ist niemals wieder aufgetaucht.“ Ich hatte den Wagen wieder gestartet und gesagt: „Beruhige Dich, wir gehen jetzt erst einmal schön Baden.“ Schon nach wenigen Kilometern hatten wir die Autobahn erreicht und ich fuhr den Wagen voll aus. Geschwindigkeitsbegrenzungen störten mich an diesem Abend überhaupt nicht. Eva war auf dem Beifahrersitz immer kleiner geworden und ich fragte sie: „Angst?“ „Schrecklich, müssen wir so rasen?“ „Ist doch fast so schön wie fliegen, entspann dich und genieße die Fahrt. Wir brauchten etwas über eine Stunde, dann hielt ich den Wagen vor dem Maritim und übergab den Schlüssel dem Portier und ging hinüber zum Empfang und nannte meinen Namen. „Oh, selbstverständlich Herr Teufel. Man sagte mir Sie benötigten die Hochzeitssuite, das war doch richtig?“ „Ja. Ist der Champagner schon gekühlt?“ 102 „Selbstverständlich, Wir kümmern uns um Ihr Gepäck. Man wird Sie schon zum Zimmer geleiten.“ Ich hatte sie breit angelächelt. „Mein Gepäck trage ich selbst“, und hatte Eva auf die Arme genommen und war vor dem verdutzten Hausboy auf den Lift zugegangen. Ich hatte sie auch noch über die Schwelle getragen und sie hatte während der ganzen Zeit die Augen geschlossen gehalten. Als der Boy, ein etwa Vierzigjähriger, den Raum verlassen hatte, setzte ich Eva sanft auf dem Bett ab. Sie öffnete die Augen und stammelte unter Tränen: „Mein lieber Großer, mein großer Teufel, du spinnst einfach.“ Dann hatte ich sie herumgeführt, die Flasche Champagner geöffnet und uns eingeschenkt. Als ich ihr den Whirlpool zeigte mit der Unterwasserbeleuchtung und dem sprudelnden Wasser, hatte sie ihr Glas auf den Wannenrand gestellt und sich in Windeseile entkleidet. Ich tat es ihr nach und wir genossen die Entspannung. Ich nahm sie auf meinen Schoß und küsste sie sanft auf den Mund und streichelte ihren Hals, ihre Schultern, ihren schönen Busen. Dann streichelte mein Mund dort wo eben noch meine Hände gelegen hatten und wir spürten, wie wir ineinander wuchsen. Wir hielten uns umschlungen, ohne uns zu bewegen und die Vereinigung wurde immer intensiver bis zur gemeinsamen Explosion. Wir hielten uns weiter und streichelten den Körper des Partners und genossen das sprudelnde Wasser um uns herum. Als wir fast gleichzeitig zu unseren Champagnergläsern griffen, stellten wir fest, er war warm geworden und schütteten ihn einfach über uns. Noch nass trug ich sie hinüber zum Bett und küsste jeden Tropfen von ihrem Körper. Sie stand mir nicht nach und trocknete auch meinen Körper. Wir tranken Champagner von der Haut des anderen, fanden uns, vereinigten uns und 103 schwebten immer wieder davon. Der Himmel war schon taghell, als wir eng umschlungen einschliefen. Mit dem Aufwachen liebten wir uns erneut und fielen in den zweiten Schlummer, bis mein Handy mich aus der Seligkeit erweckte. „Wir haben alles sicherstellen können. Lewinski ist auf der Flucht. Aber wir haben ihn geortet. Wir werden Straßensperren auf der Autobahn A45 errichten. Dort ist er in Richtung Süden unterwegs. Er scheint in die Schweiz zu wollen. Sie hören von mir.“ Eva hatte mich fragend angesehen, denn ich hatte keinen Ton gesagt und wieder aufgelegt. „Ist jetzt alles aus?“ „Mit der Gemeinde wohl ja, aber nicht mit mir“, und hatte wieder nach ihr gegriffen, aber sie hatte sich mir entzogen und gesagt, „ich habe jetzt Hunger, Frühstückshunger, und dann können wir weiter Appetit haben“, damit war sie im Badezimmer verschwunden und ich hatte den Service angerufen. Um elf Uhr kam es in den Nachrichten. Die Polizei hatte den flüchtenden Wagen von Lewinski auf der Autobahn gestellt, nachdem er eine Straßensperre durchbrochen hatte. Gezielte Schüsse hatten die Vorderreifen zerfetzt und das Auto war durch ein Brückengeländer gerast und 35 Meter in die Tiefe gestürzt. Der Wagen war beim Aufprall sofort explodiert und Lewinski war im Autowrack verbrannt. Der Kirchenfürst war zur Hölle gefahren. Dort würde ich ihm später bei einem Wiedersehen mächtig einheizen. Das gebot schon die Ehre meines Namens. Wie durch ein Wunder war bei dem Sturz in die Tiefe kein weiterer Mensch verletzt worden, obwohl die Straße, auf die der Wagen gestürzt war, sonst rege befahren war. Vielleicht 104 hatten andere Menschen Schutzengel, die ein Pater gesandt hatte. Wir hatten ausführlich gefrühstückt und hatten beide den Champagner, der zu diesem Frühstück ebenfalls serviert wurde, verschmäht. An weiteren Liebesaktionen wurden wir durch die jetzt immer schneller ankommenden Telefonanrufe von Schmücker und zuletzt auch Lehmkuhl gehindert. Wir wurden zurück in die Stadt beordert, um unsere gemeinsamen Aussagen zu machen. Ich beglich die Hotelrechnung mit Kreditkarte und ließ mir eine ordentliche Spesenrechnung aushändigen. Die Rückfahrt ging dann wesentlich langsamer vonstatten, denn ich wollte mir auch Zeit lassen um die Gemeinsamkeit mit Eva zu genießen. Unsere wunderbare Stimmung wurde allerdings nach Eintreffen im Polizeipräsidium unsanft zerrissen. In einem vertraulichen Gespräch mit dem Herrn Minister wurde mir mitgeteilt, dass ich zwar mein Honorar für die vier Tage meines Einsatzes, plus der entstandenen Spesen erhalten würde, aber ein Erfolgshonorar nicht gezahlt werden könne, da es ja zu keinen offiziellen Anklagen und damit auch zu keinen Verurteilungen kommen würde. Meine Bezüge, die ich aus Staatsmitteln von den Sozialämtern ausgezahlt bekommen hätte, würden verrechnet, da sie ja erschlichenen Leistungen gewesen seien. Man würde auch die Rolle Eva´s genauer untersuchen müssen, da sie ein derartiges Wissen viel früher an die Behörden hätte weitergeben müssen. Die gefundenen Listen der Zahlungen an Beamte des Sozialdienstes und anderer hoher Verwaltungsmitglieder zeigte keine verwertbaren Hinweise, um hier Bestechungsvorwürfe konstruieren zu können. Die „Armenküchen“ würden geschlossen um einen weiteren Missbrauch zu verhindern. Die Ausgabe von Essensgutscheinen seitens des Sozialamts würde eingestellt werden. Die angelegten Kleiderkammern, aus denen die 105 Gemeinde Bedürftige eingekleidet hatte, würden aufgelöst, und die gesammelten Kleidungsstücke würden anderen sozialen Kleidersammlungen zugeführt. Aus dem Verkauf des Inventars der Gemeindeeinrichtungen sollten die Erlöse dem Sozialfonds der Stadt zugeführt werden, um wenigsten einen kleinen Teil der Schädigungen, die der Staatskasse zugefügt worden war, auszugleichen. Der Fuhrpark der Gemeinde, wozu auch der Mercedes meines „Freundes“ Möbius gehörte, wurde eingezogen und dem Staat zur Verfügung gestellt. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich dann auch, dass Möbius entkommen war, und da er als nicht so wichtig angesehen wurde, war noch nicht einmal eine ordentliche Fahndung nach ihm ausgeschrieben. Erst auf mein ausdrückliches Verlangen hin, wurde die Fahndung dann eingeleitet. Ich hatte nicht vergessen, dass Eva mir gesagt hatte, dass sie Möbius sogar für das Verschwinden ihrer ehemaligen Kollegin Virginia verantwortlich machte. Über den Verbleib des Vermögens der Gemeinde herrschte Unklarheit, denn auf den offiziellen Konten waren nur unbedeutende Beträge sichergestellt worden. Man ging davon aus, das Lewinski die übrigen Gelder sicher in der Schweiz auf Nummernkonten eingezahlt hatte. Da keine Unterlagen über derartige Konten gefunden wurden, ging man davon aus, dass die Unterlagen entweder mit im Wagen verbrannt waren, oder nur im Kopf des Mannes vorhanden gewesen waren, und somit unrettbar verloren. Als Eva und ich dann weit nach Mitternacht aus dem Polizeigebäude wegfuhren kochte ich vor Wut. Der Schlag, den die Behörden geführt hatten, war ein Schlag ins Wasser gewesen. Die Verantwortlichen waren entweder tot, oder aber verschwunden. Die Listen der geschmierten Beamten, seinen zu unvollständig, um gegen sie vorgehen zu können, war der für mich unbefriedigenste Teil, dieser Aktion. Geschädigt waren nur Menschen, die nun noch nicht einmal mehr schlechte Mahlzeiten serviert bekamen und kleine Mitläufer. 106 Immer wenn wir an roten Ampeln anhalten mussten, schlug ich mit flachen Händen auf das Steuerrad, und fuhr mit viel zuviel Gas an, wenn es weiter ging. Eva hatte sich wie gestern auf der Schnellfahrt über die Autobahn, ganz klein in die Ecke ihres Beifahrersitzes verkrochen. Sie war wieder verängstigt. In meiner Wohnung wollte sie mich dann auf andere Gedanken bringen aber ihre Verführungsversuche misslangen, weil ich Angst hatte, meine Wut an ihr auszulassen. Ich hatte sie auf meinen Schoß genommen und versuchte es ihr zu erklären; aber ich merkte, es machte sie traurig. Sie brauchte nach dem Abenteuer des Behördendschungels Bestätigung und ich konnte sie ihr in meiner ohnmächtigen Wut nicht geben. Wir saßen dann schweigend auf der Couch, jeder mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt, als sie mich plötzlich mit wieder fester Stimme fragte: „Warum bringst du mich nicht in meine Wohnung, dann kann ich wenigstens die Flasche Weinbrand unter der Couch aussaufen? Aber hier herumhängen und Trübsal zu blasen, ist schlimmer als der Rausch, den ich dann bekommen würde.“ Dadurch wurde ich aus meinen trübseligen Gedankengängen gerissen, und es war, als ob ein Lichtschalter in meinem Kopf gedreht worden sei. Es wurde hell in meinen Gedanken. Sie hatte bemerkt, wo ich die Flasche versteckt hatte und hatte dennoch nicht davon getrunken. Sie war standhaft geblieben und ich fragte mich, was sie sonst noch beobachtet haben könnte, bei ihrer Arbeit, was uns jetzt beiden nützlich sein könnte. Ich sprang auf und vollführte einen Freudentanz, riss die Arme immer wieder nach oben und schrie: „Ja, Ja, und nochmals ja.“ Sie sah mich an, als ob ich jetzt total den Verstand verloren hätte, und war noch verdutzter als ich auf sie zuschoss, sie von der Couch hob und sie herumwirbelte. Ich tanzte mit ihr durchs ganze Zimmer, bevor sie anfing sich zu wehren und versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien und 107 schrie:“ Was soll das Teufel? Was ist in dich gefahren? Du tust mir weh.“ Ich ließ sie nicht los, sondern hob sie nur ein wenig höher und küsste sie. Sie strampelte, aber ich ließ sie nicht los. Wenig später erwiderte sie meinen Kuss und als wir uns atemlos voneinander trennten, fragte sie nur: „Teufel, durch welche Höllen du mich auch immer schleifst, wenn sie so sind wie diese, bin ich gerne bereit, mitzuziehen“, und plötzlich kullerten ihr dicke Tränen über die Wangen, „ich lieb dich doch so sehr.“ Ich setzte sie ganz sanft wieder auf die Couch und kniete mich neben sie. „Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist, ich weiß nur, dass ich dich auch liebe. Ich weiß nicht, was ich angestellt habe, aber wenn du schon herausfindest, wo ich den Schnaps versteckt habe und du ihn trotzdem nicht anrührst, dann ist das für mich der größte Beweis deiner Liebe zu mir. Aber du solltest wissen, dass du den Belzebub mit dem Teufel vertrieben hast“, sagte ich ganz zärtlich, „und ich will dich.“ Sie hatte die Arme wieder um meinen Hals geschlungen und flüsterte mir ins Ohr: „Ich will vom Teufel besessen sein, bitte fick mich, jetzt und hier.“ Der Satz hatte kein wenig obszön geklungen. Wir fielen übereinander her, wie Verhungernde über eine Scheibe Brot, die am Wegesrand liegt. Nach langer Zeit lagen wir immer noch halb angekleidet, völlig erschöpft, aber glücklich, eng umschlungen auf dem Fußboden und ich streichelte ihr Gesicht. Ihre Augen glänzten, Schweiß stand auf ihrer Stirn, die Wangen gerötet und schwer atmend und sie sagte: „Solange ich vom Teufel besessen bin, solange wird der Teufel Alkohol nicht in meine Nähe kommen können“, und sie küsste mich zärtlich. Wir befreiten uns von den restlichen Kleidungsstücken und ich holte aus der Küche zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. Wir tranken nackend direkt aus der Flasche und 108 ich ergänzte die Idee: „Dem soll nicht entgegen stehen, dass wir gelegentlich dem Gott Bacchus huldigen, und wenn es mit einem kalten Bier ist.“ „Mir ist jetzt kalt“, sagte sie einen kleinen Augenblick später und wir gingen gemeinsam ins Schlafzimmer. Wir saßen im Bett, die Decke über unsere Körper gezogen und genossen das kalte Bier aus der Flasche, als sie mich fragte: „Meinst du, die haben auch die Unterlagen aus dem geheimen Tresor unter dem Altar des Kirchenraumes schon ausgewertet?“ Ich war aus meinem schläfrigen Wohlbehagen sofort wieder hellwach geworden, als sie von einem geheimen Tresor gesprochen hatte. „Geheimer Tresor?“ „Ich weiß nicht wie geheim er war. Lewinski hat mich einige Male mit Listen dort hin beordert, die er dann dort hineingelegt hat. Da waren wir dann immer allein gewesen.“ Sie schauderte bei dem Gedanken und ich hakte sofort nach. „Allein mit ihm, dem großen Meister? Auch kein Möbius als Aufpasser für dich dabei?“ Jetzt bibberte Eva, die Gedanken an die vergangenen Momente schienen viel schlimmer zu sein als ich ahnte, aber sie setzte trotzdem an zu sprechen, wenn auch stockend: „Ja, er war dann immer allein, das war meistens am Freitag nach der Messe. Er hat mich dann immer erst noch ins Büro geschickt und dann musste ich Listen bringen, die Möbius am Tag fertig gestellt hatte und die in einem Stahlschrank in unserem Büro gelegt wurden. Nur Möbius und Lewinski hatten Schlüssel zu dem Stahlschrank. Lewinski gab ihn mir dann jedes Mal und ich musste den Schrank auch hinterher immer wieder abschließen, wenn ich die Listen raus genommen hatte. Und wenn ich ihm die Listen dann brachte stand er schon am Altar und hatte seinen Hosenstall offen und sein Glied hing heraus. Ich musste ihn dann erregen und ihm meine Brust zeigen. Erst musste ich ihn nur mit der Hand erregen und dann“, sie stockte immer mehr, und Schauder schüttelten ihren Körper, „und dann musste ich ihn mit dem 109 Mund befriedigen und alles runterschlucken.“ Sie verzog ihr Gesicht angewidert und voller Ekel. „Er hat dann immer gesagt: „Kind, trink den Nektar deines Herrn“, und hat darauf geachtet, dass ich auch alles, bis auf den letzten Tropfen wirklich runterschluckte, danach hat er mir einen der Kelche gegeben, die auf dem Altar standen und ich musste ihn austrinken. Da war aber kein Wein drin, sondern Schnaps, ich glaube Wodka, und der Kelch war wirklich fast voll. Aber den brauchte ich dann auch, so widerlich war das alles. Darum war ich freitags dann immer noch voller als an den anderen Tagen. Ich bin dann hin und habe mir am Kiosk meistens noch weiteren Schnaps gekauft um am Wochenende weiter saufen zu können.“ Ich schwieg zunächst. Erst als sie sich an mich schmiegte fing ich an weiterzufragen: „Hast du jemals mitbekommen, wie er das Versteck öffnete? Hat er einen Schlüssel benutzt, oder gab es da ein Zahlenkombinationsfeld?“ „Nein, das war noch einfacher. Er drückte auf eine der Verzierungen des Altars und dann ging die Tür von allein auf.“ Ich überlegte, ob wohl die Polizei dieses Versteck gefunden hatte oder nicht. Erwähnt hatten sie es mit keinem Wort. Außerdem überlegte ich, ob Möbius von diesem Versteck gewusst haben könnte, und dort schon gewesen war, um die Akten, oder was sonst darin lagerte an sich zu bringen. Als ich mein Bier ausgetrunken hatte, sagte ich Eva, was wir tun müssten. Sie sah sofort wieder ängstlich aus, und meinte nur, ob es nicht reichen würde, wenn wir der Polizei von dem Versteck erzählen würden. Sie hatte mir ins Gesicht gesehen und meine Reaktion beobachtet. Sie hatte gesehen, dass ich nichts mehr mit diesen Behörden zu tun haben wollte und die Entschlossenheit die Angelegenheit auf meine Art zu beenden. 110 Ich war aus dem Bett aufgestanden und hatte Eva aufgefordert es mir gleich zu tun, weil in dieser Nacht noch jede Menge Arbeit auf uns wartete. Ich zog mir schnell einen dunklen Rollkragenpullover und schwarze Jeans und schwarze Turnschuhe an, steckte mir Latexhandschuhe in die Taschen der Jeans und nahm mein Spezialschlüsselbund und eine kleine Stablampe und sagte Eva, die sich ebenfalls wieder angezogen hatte, dass wir bei ihr zu Hause vorbeifahren wollten, damit sie auch dunkle Kleidung anziehen könne. Ich fragte sie ob sie auch dunkle Schuhe hätte, und sie sagte ja, ein paar alte Ballettschuhe. Wir machten uns auf den Weg zu ihr, und sie zog sich um. Wie wir in den Kirchenraum gelangen konnten ohne von den eventuell vorhandenen Wachmannschaften bemerkt zu werden, hatte sie mir schon erklärt. An den Freitagen hatte Lewinski sie nicht aus dem Haupteingang entlassen, sondern war über eine getarnte Tür über ein weiteres Treppenhaus des Blocks nach draußen geleitet worden. Sie war sicher, dass sie dieses Treppenhaus wieder finden könnte. Ich hatte den Wagen auf eine Parkfläche an dem Wohnblock, gleich neben der ebenerdigen Garagenanlage abgestellt. Der Tiefgarageneingang war wirklich durch einen Polizisten gesichert. Beim Heranfahren hatte ich auch den parkenden Wagen gegenüber des Haupteinganges der Gemeinde bemerkt. Ob in den Räumen der Gemeinde weitere Posten stationiert waren, konnte ich nicht beurteilen. Sie warteten scheinbar auf das Erscheinen von Möbius; aber ich war ziemlich sicher, dass er längst über alle Berge war und sich hier nie wieder sehen lassen würde. Eva meinte auf Anhieb, den richtigen Eingang gefunden zu haben. Es war auch keine Schwierigkeit mit meinem Spezialschlüsselbund hier Einlass zu bekommen, aber dann wurde es schwierig. Wir konnten im Treppenhaus kein Licht machen, weil das von dem Wachtposten vor der Tiefgarage bemerkt werden würde. Aber eine getarnte Tür in einem 111 stockdunklen Treppenhaus zu finden, ist auch so eine Sache. Ich fragte Eva flüsternd: „Wenn ihr aus der Tür gekommen seid, musste ihr Stufen nach oben oder nach unten nehmen?“ „Wir sind nach unten.“ Ich versuchte mir den Gesamtbau dieses Komplexes vorzustellen und auf welchen Ebenen alles gebaut war. Da der vordere Teil des Hauses etwa zwei Meter höher lag, als die Rückseite, wo wir jetzt waren, konnte es nur eine Tür im Hochparterre sein. Ich ließ hier in diesem Flur, wenn ich einen Eingang fühlte die Taschenlampe kurz aufblitzen um nach einem Türschild, oder einem Klingelknopf zu suchen. Denn wenn es sich um eine Wohnung handelte, dann war ich falsch. Es konnte nur eine Tür sein, ähnlich der, die in dem anderen Aufgang als „Sprinklerraum“ gekennzeichnet war. Ich fragte Eva noch, ob sie sich über eine größere Strecke auf dem Flur bewegt hatten, aber sie konnte sich daran nicht erinnern. Ich untersuchte den Flur bis zum Ende, wo die Mauer des nächsten Aufganges ihn begrenzte, aber konnte nichts finden. Ich fragte, ob sie sich sicher sei, dass sie den richtigen Eingang erwischt hatte, und sie antwortete mit Bestimmtheit, dass wir hier richtig seien. Ich fing von neuem an und ging in umgekehrter Reihenfolge vor. Als ich die Tür dann fand, war ich erstaunt wie einfach es gewesen war. Der Eingang zur Eckwohnung, war etwas zurückgesetzt in einer Nische, und hier war eine schmale Tür eingelassen und mit dem Blitzzeichen versehen. „Elektrikraum“ war die Beschriftung. Sie ließ sich mit einem Vierkantschlüssel öffnen und es war stockdunkel in dem Raum, der sich tiefer in das Gebäude schnitt, als ich erwartet hatte. Es war eigentlich ein langer Flur. Wir schlossen die Tür wieder von innen und ich ließ die Taschenlampe im abgedunkelten Modus aufleuchten. Glatte Wände mit dicken Kabelsträngen auf Stahlträgern führten in die Tiefe des Hauses. Der Gang führte in einen quadratischen Raum. Hier standen überall Stromzähler und Verteilerkästen. Zwischen zwei Zählerschränken befand sich 112 eine Feuertür, die nicht abgeschlossen war. Als ich sie öffnete konnte ich den schwachen Duft von Weihrauch vernehmen. Wir waren schon auf Kirchengelände. Es war ein Gang hinter der Altaranlage und als ich um die Ecke lugte, konnte ich am anderen Ende des Raumes Licht durch die weit oben angebrachten Fenster fallen sehen. Ich lauschte und hielt Eva zurück, die in den Raum treten wollte. Wir lauschten vielleicht eine volle Minute, bevor wir in den Raum schlichen. Durch die seitlich, ebenfalls sehr hoch angebrachten Fenster mit Mosaikverglasung, fiel ein wenig Licht von den Straßenlaternen herein. Sie gaben genug Helligkeit um die Umrisse des Altars zu erkennen. Eva ging zielstrebig auf den linken Säulenträger zu und tastete am oberen Rand an den Verzierungen. Ich war froh, dass wir umsichtig genug gewesen waren, auch Eva mit Latexhandschuhen zu versehen. Es dauerte nicht lange, als die Säule aufschwang und sich ein dunkler Innenraum auftat. Ich leuchtet kurz und dann griff ich hinein und holte ein Bündel Akten nach dem anderen heraus, die wir in einer von mir mitgeführten Leinentasche verstauten. Neben den Akten fanden wir auch diverse Geldbündel und zwei Goldbarren. Wir räumten den ganzen Raum aus und ich leuchtete zum Schluss noch einmal hinein und fand das Wichtigste. Einen Tresorschlüssel. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass wir nichts zurückgelassen hatten, drückte ich die Tür wieder zu und machte Eva ein Zeichen, dass wir verschwinden sollten. Sie hatte sich vor dem Altar gekniet und verloren vor sich hingestarrt. Als sie auf mein Zeichen nicht reagierte richte ich kurz den Strahl der Lampe auf ihr Gesicht. Sie schien die Qual der Erniedrigungen, die ihr an dieser Stelle zugefügt worden waren, nochmals zu durchleben und ich musste sie hochziehen und fast hinter mir herschleppen um aus dem Raum zu kommen. Wir kamen ohne weitere Schwierigkeiten zum Auto und ich fuhr los. Evas Gesicht war immer noch versteinert. Wir fuhren wieder zu ihr und ich bat sie die 113 Sachen mitzunehmen, die sie in der nächsten Zeit brauchen würde. Da die meisten ihrer Kleidungsstücke noch in der Reinigung waren, brauchte sie nur kurze Zeit, um zu packen. Wir fuhren wieder los, diesmal in meine Wohnung. Die Leinentasche hatte ich einfach auf den Küchentisch gestellt und ihren Koffer ins Schlafzimmer getragen. Hier räumte ich ein paar Fächer meines Kleiderschrankes um, und räumte ihre Habseligkeiten ein. Sie saß immer noch mit völlig abwesendem Blick auf der Couch und als ich mich zu ihr beugte sagte sie mit fast mechanischer Stimme, die wie die Blechstimme einer Puppe klang: „Teufel, heil mich, bitte heil mich. Ich will es wiederholen. Ich will so tun, als ob ich von dem verhassten Gottesmann den verheißenden Nektar empfange; aber es soll der Nektar des Teufels sein und ich werde wieder rein sein. Heil mich. Heil mich bitte.“ Sie war vor mir niedergekniet und knöpfte meine Hose auf. Ich schaute angestrengt gegen die Wand und dicke Tränen rollten über mein Gesicht, während ihr Kopf auf und nieder fuhr. Als sie endlich ins Badezimmer ging und ich sie gurgeln hörte, war in mir ein der endgültige Bruch mit der Kirche geschehen. 114 Des Teufels Achterbahn Kapitel 1 – Anfahrt Ich hatte es nicht vergessen. Es hatte einen Menschen in meinem Leben gegeben, dem ich blind vertraut hatte, den ich über alle Maßen geliebt hatte und der mich dennoch so schmählich verraten hatte. Das ich letztendlich auch den Tod dieses Menschen verursacht hatte, nagte immer noch an mir und ich war häufiger als mir lieb war von Alpträumen geschüttelt, schweißnass in meinem Bett aufgewacht. Zuerst hatte ich versucht, diese Zustände mit Alkohol zu betäuben, dann war ich durch einen Menschen, den ich heute sehr schätze und damals nur kurz kannte, aus diesem eigenen Teufelskreis herausgetreten und war zu dem geworden, was ich heute bin. Ein privater Ermittler, der in den Abgründen der Mitmenschen herumstochert und versucht Ungerechtigkeiten auszugleichen, die von skrupellosen, geldgierigen, und machthungrigen Mitmenschen begangen werden. Ich versuchte sie den staatlichen Behörden auszuliefern um sie der gerechten Strafe zuzuführen. Aber mir wurde leider auch zu häufig klargemacht, dass ich keine Gerechtigkeit, jedenfalls keine irdische Gerechtigkeit, herbeiführen kann. Wie kann man einen Toten strafen, der andere Menschen durch seine Taten in den Suff, ins Elend des Wahnsinns oder sogar in den Tod getrieben hat? Und wie kann man diejenigen strafen, mit deren Wissen und Duldung, mitunter der aktiven Mithilfe, dieser Tote seine Untaten begangen hat? Das waren die Fragen, die mich nach der Höllenfahrt des Paters Lewinski, der in seinem zerschmetterten Auto verbrannt war, immer wieder beschäftigten, besonders wenn ich mich um meine zweite große Liebe kümmerte; Eva, die Frau, die ich bei meinen Nachforschungen über die Sozialhilfebetrügereinen einer christlichen Gemeinde, kennengelernt hatte. Sie war Alkoholikerin gewesen als ich sie kennen lernte, war von 115 diesem Pater im Vollrausch regelmäßig missbraucht worden. Sie litt trotzdem größte Qualen, weil sie sich vorwarf, sowohl an seinem Tod mitverantwortlich zu sein, als auch an dem noch größeren Elend ihrer ehemaligen Leidensgenossen, denen von den Sozialämtern auferlegt worden war, dass sie von ihren mickrigen Leistungen, die sie empfingen, noch wieder Rückzahlungen zu leisten hatten, weil sie unter Anleitung des großen Meisters zusätzliche Leistungen erschlichen hatten. Die Härte der Gesetzgebung konnte nicht mehr denjenigen treffen, der es angezettelt hatte, sondern traf nur die Ärmsten der Armen. Eva hatte eine ganz kurze Phase des Glücks miterleben können, als sie den Entschluss fasste, dem Alkohol zu entsagen und in meinen Armen das Glück einer Liebe zu erfahren. Dann wurde sie vor Gericht gezerrt und man warf ihr vor, fahrlässig mitgeholfen zu haben, dass der Staat um viele Millionen betrogen worden war. Ihre Rolle als Informantin wurde zwar gewürdigt, und die Strafe, die man ihr auferlegte zur Bewährung ausgesetzt; aber sie wurde für schuldig befunden und verurteilt. Die wüsten Beschimpfungen der Leidensgenossen und Nachbarn, die sie ertragen musste, als wir ihre Sachen aus ihrer ehemaligen Wohnung holten und sie bei mir einzog, gaben ihrem labilen Zustand den Rest. Sie fing erneut an zu trinken und diesmal reichten auch meine Kraft und meine Liebe nicht aus, sie vor dem endgültigen Untergang zu bewahren. Nach einigen sehr unangenehmen Zwischenfällen, die zur sofortigen Inhaftierung aus der Bewährungsstrafe geführt hätten, ließ man mir nur noch die Wahl: Entweder Gefängnis oder Einweisung in die Psychiatrie. Ich hatte letzterem zugestimmt, nachdem ich vorher durchsetzen konnte, dass sie mich heiraten durfte. Jetzt fuhr ich, wenn es eben ging, zweimal wöchentlich in die Klinik und besuchte sie. Wir durften dann bei schönem Wetter gemeinsam im Park auf einer Bank sitzen und Hände halten. Sie lächelte mich dann wie von ganz ferne 116 an und schien glücklich. Auch die Ärzte wussten nicht, ob sie mich erkannte oder nicht. Ihnen war nur aufgefallen, dass dieses Lächeln nur erschien, wenn ich ihre Hand hielt. Wenn eine Schwester oder ein Arzt ihre Hand ergriff schaute sie nur blicklos durch diese Person. Das Leben schien aus ihr gewichen und unter dem Einfluss der Medikamente, die man ihr verabreichte, war sie eine friedliche, willenlose, mechanische Puppe, die man füttern, ankleiden, auskleiden, waschen, kämmen und ins Bett legen konnte. Unsere Liebe hatte als eine Notgemeinschaft begonnen in der ich auserkoren war, sich ihr zu nähern, ihren Alkoholismus ausnutzend, über ihre Beziehungen in den inneren Kreis der Gemeinde zu kommen. Das war mir gelungen. Gleichzeitig war aus einem anfänglichen Beschützerinstinkt, den ich vom ersten Augenblick an für sie empfunden hatte, eine tiefe Liebe entstanden, die uns in den ersten Wochen in einen Sinnesrausch versetzte. Sie schien sogar die sexuelle Demütigung, die ihr Pater Lewinski zugefügt hatte, überwunden zu haben. Unsere körperlichen Vereinigungen waren ohne jede Scheu und Zurückhaltungen. Jeder schien immer zu ahnen, wie des Anderen Verlangen gerade war, und wir liebten uns, wann immer wir Gelegenheit dazu fanden. Besonders in der Zeit als wir gemeinsam die Nachforschungen nach ihrer verschwundenen Vorgängerin Virginia und nach dem flüchtigen ehemaligen Verwalter der Gemeinde, Möbius anstellten. Hierzu waren wir mit Genehmigung der Behörden viel auf Reisen, die ich auch zu meinen anderen privaten Ermittlungen nutzte. Da man mir mein zugesichertes Honorar verweigerte, ein hoher Staatsdiener sein Wort brach und auch keine Aussicht darauf bestand, dass andere „geschmierten“ hohen Beamte des öffentlichen Dienstes verfolgt würden, hatte ich beschlossen, die Angelegenheit auf meine Weise zu bereinigen. Ich verschwieg den Inhalt des von uns geräumten Kirchentresors. Die offiziellen Ermittler hatten noch nicht einmal zur 117 Kenntnis genommen, dass ein derartiger Aufbewahrungsort überhaupt vorhanden gewesen war. Selbst beim Abbau des Altarraums der Gemeinde und der Verwertung der Gegenstände, war man nicht über den Hohlraum in der linken Standsäule des Altars gefallen. Das vorgefundene Bargeld und die beiden Goldbarren wurden von uns als Erfolgshonorar betrachtet und hatten uns mehr als entschädigt. Wenn wir es zurückgegeben hätten, wäre uns bestimmt kein Finderlohn gezahlt worden. Die dort vorgefundenen Akten waren allerdings von derartiger Brisanz, dass sie zwar gerichtlich nicht verwertbar gewesen wären, mir aber die Möglichkeit zu meinem privaten Rachefeldzug gaben. Anhand dieser Akten war es uns auch gelungen den flüchtigen Möbius aufzufinden. Lewinski hatte ganze Arbeit geleistet und hatte sowohl über viele Politiker, als auch über einige wichtige Mitarbeiter akribisch deren meist schlechten Angewohnheiten durch umfangreiches Beweismaterial dokumentiert. Einige Politiker waren zur Zusammenarbeit erpresst worden, andere wiederum wurden erpressbar, nachdem sie Zahlungen oder andere Dienstleistungen des Kirchenfürsten in Empfang genommen hatten. Viele Akten waren aus Vorsorge für eventuellen späteren Gebrauch gefertigt, andere wiesen klare Mitverantwortlichkeit für die Missstände der Verwaltung und Duldung der Machenschaften der Gemeinde aus. Einige, wenn auch wenige, zeigten die direkte Zusammenarbeit von Staatsdienern und Lewinski auf. Diese Politiker hatten sicherlich in den ersten Tagen nach dem Tod Lewinskis nächtliche Alpträume. Sie hatten mehr als Angst, dass Akten gefunden werden könnten, die sie belasteten und es mit ihrem schönen Leben vorbei sein könnte, aber als nach zwei Wochen die Staatsanwaltschaft immer noch nicht bei ihnen anklopfte, gingen sie davon aus, das alles Material, von dem sie wussten, das Lewinski es besessen hatte, im Auto ebenfalls mit verbrannt war. Sie waren es, die am lautesten in der Öffentlichkeit über die Schluderigkeiten der unteren 118 Behörden schimpften und harte Strafen für die Sünder forderten. Meine Wut über die Verlogenheit wuchs ins grenzenlose, aber meine Vorsicht gebot mir, die mir bekannten Tatsachen noch nicht an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben. Ich traute Schmücker zwar den Schneid zu, auch gegen hohe Tiere zu ermitteln, war mir aber nicht sicher, ob von oberer Seite nicht Riegel vorgeschoben werden konnten und die Vorwürfe dann nicht weiterverfolgt würden. Schon am nächsten Morgen nach unserem Fund der Akten hatte ich die Leinentasche in der ich sie transportiert hatte ohne das Wissen meines Freundes Lars, des Sozialamtsmitarbeiters, auf dessen Schrebergartengelände in einem Geräteschuppen versteckt. Diese Vorsichtsmaßnahme hatte sich als sehr richtig erwiesen, denn die Staatsanwaltschaft hatte die Durchsuchung sowohl Evas als auch meiner Wohnung, bzw. meines Büros angeordnet, weil man vermutete, dass hier weitere Unterlagen aufbewahrt wurden. Gerade weil man eine Mitschuld Evas vermutete. Schmücker, der von meinem verdeckten Einsatz gewusst hatte, war machtlos gewesen und wollte und konnte meine Ermittlungen nicht aufdecken. So war ich in dieser Angelegenheit auch nicht als offizielle Beauftragter des Sozialministers bekannt und wurde auch später nicht als Zeuge gehört. Diese Schritte der Staatsanwaltschaft hatten mir aber auch gezeigt, wie wenig der junge Staatsanwalt Schmücker ausrichten konnte. Er konnte aber zumindest erreichen, dass wir nach der erfolglosen Hausdurchsuchung keinen weiteren behindernden Auflagen ausgesetzt waren und er unterstützte uns in soweit, dass wir unerlaubterweise Akteneinsicht erhielten, damit wir die Nachforschungen nach der verschwundenen Virginia einleiten konnten. Virginia war eine junge Frau gewesen, die schon mit fünfzehn Jahren als Drogenkonsumentin aktenkundig geworden war. Mehrere Entzugsmaßnahmen wurden angeordnet und jedes Mal von ihr abgebrochen, bis zur ersten 119 Haftstrafe zu der sie mit zwanzig Jahren hatte antreten müssen. Die Haftstrafe hatte sie nicht wegen ihrer Drogensucht antreten müssen, sondern wegen Beischlafdiebstahls, als sie einem Freier zu dem sie ins Auto gestiegen war, die prall gefüllte Brieftasche geklaut hatte. Der Bestohlene, ein Jugendrichter, wollte zwar auf eine Anzeige verzichten, weil er die Konsequenzen fürchtete die entstehen würden, weil er auf dem Babystrich eine zwar nicht mehr Minderjährige, aber überhaupt eine Prostituierte aufgegriffen und benutzt hatte. Aber er hatte sich überaus dumm angestellt als er, nachdem er bemerkte, dass er bestohlen worden war, mit seinem Auto gegen die Einbahnstraßenregelung der kleinen Anliegerstraße die Verfolgung der jungen Frau aufgenommen hatte, und dabei aus dem geöffnetem Fahrerfenster Passanten mit dem Ruf: „Haltet die Diebin“ aufmerksam gemacht hatte. Diese Passanten hatten Virginia auch festhalten können und eine Polizeistreife, denen der falschfahrende Wagen aufgefallen war, hatten sowohl sein, als auch Virginias Schicksal besiegelt. Virginia wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und der Richter geschieden. Er war dann aus der Stadt verschwunden. Während der Haftstrafe, war es scheinbar gelungen, Virginia von ihrer Sucht zu befreien und sie wurde durch einen ehrenamtlichen Helfer der Christen Gemeinde nach ihrer Entlassung betreut und bekam Sozialhilfe. Der Betreuer war Möbius gewesen, der sie dann auch in die Gemeinde brachte, wo sie als Vorgängerin von Eva bis zu ihrem plötzlichen Verschwinden in der Buchhaltung gearbeitet hatte. Eva war damals als Schwerstalkoholikerin ebenfalls mit kleinen Aufgaben hier beschäftigt worden. Sie hatte damals schon mitbekommen, dass die junge Frau regelmäßig sowohl von Möbius, als auch von Lewinski sexuell missbraucht wurde. Da die beiden Frauenschänder davon ausgingen, dass Eva in ihren Vollrauschzuständen keine Notiz von den Vorfällen nehmen würde, oder sich sonst auch nicht an diese Dinge erinnern 120 könnte, hatten sie Virginia häufig in Anwesenheit von ihr in der Abteilung vergewaltigt. Einzeln und auch gemeinsam. Zweimal hatte auch Eva an diesen Orgien teilnehmen müssen. Bei diesen Begegnungen war wahrscheinlich die Begierde Lewinskis nach Eva entfacht worden. Eva hatte mir berichtet, dass Virginia häufig nach den Attacken der Männer davon gesprochen hatte, dass sie sich rächen würde und nur noch wenige Zeit brauchen würde, um die Machenschaften der Männer aufzudecken. Nach einer wüsten Orgie, bei der auch noch weitere Männer anwesend gewesen sein sollten, und die in den Privatgemächern unter Beteiligung weiterer Frauen aus den Bordellen der angeschlossenen „Unternehmen“ abgelaufen war, hatte Virginia am nächsten Tag Eva hasserfüllt mitgeteilt, dass es jetzt genug sei. Virginia wäre mit Wunden am ganzen Körper übersäht gewesen. Brandwunden, wo die Männer ihre Zigaretten in den Brüsten der Frau ausgedrückt hatten, Striemen von Peitschenhieben auf dem Rücken. Außerdem hätte sie kaum laufen können, weil ihr harte, große Gegenstände sowohl in den Genital- als auch Analbereich gerammt worden seien. Sie hatte die Verletzungen der entsetzten Eva auf der Toilette gezeigt und wilde Rache geschworen. Später war sie dann mit Möbius aus dem Haus gegangen, und Eva hatte geglaubt sie sei zu einem Arzt gebracht worden. Danach war sie nieder wieder aufgetaucht. In der ersten Zeit hätte Möbius sich um die laufende Buchhaltung gekümmert und dann hatte man Eva immer mehr eingearbeitet und sie hatte alle Aufgaben von Virginia übernommen. Weitere Hilfskräfte waren eingespannt worden, aber es kam nicht zu weiteren Belästigungen innerhalb dieser Abteilung durch Möbius. Lediglich Lewinski hatte sich nach den Messen am Freitagabend von Eva vor dem Altar befriedigen lassen. Ich hatte versucht heraus zu finden, wann der Zeitpunkt des Verschwindens exakt gewesen war. Eva konnte sich nur 121 vage erinnern, aber es musste schon über ein Jahr vergangen sein. Später erinnerte sie sich noch, dass es wohl im Sommer des letzten Jahres gewesen sein musste, denn Virginia hatte ein leichtes, tief ausgeschnittenes Kleid getragen. Daher hatte sie auch die Brandmale ohne Schwierigkeiten vorzeigen können. Es musste also warm gewesen sein. Ich versuchte über Lars herauszufinden, wann die letzte Zahlung an Virginia von seinem Amt geleistet worden war. Lars konnte sich auch gut an die Frau erinnern, denn sie war eine auffallende Schönheit gewesen, mit ihrem langen schwarzen Haar, dem südländischen dunklen Teint und den schwarzen Augen. Die letzte Zahlung war am Anfang Juli des letzten Jahres erfolgt. Das deckte sich mit Evas Vermutungen über den Zeitpunkt des Verschwindens. Aus den Polizeiakten besorgte ich mir ein Foto. Hier war von der beschriebenen Schönheit der jungen Frau allerdings nichts zu entdecken. Erst bei der Passbehörde konnte ich ein neueres Foto von ihr auftreiben, auf dem ihre Schönheit besser herauskam. Aber es war eben nur ein Passfoto aus einem Automaten und entsprechend verunstaltend. Eva und ich klapperten alle Bordellbetriebe in naher und weiterer Umgebung ab, von denen bekannt war, dass sie mit Lewinski zusammengearbeitet hatten. In zwei Betrieben konnte ich die Betreiber nur nach tätlichen Auseinandersetzungen davon überzeugen, dass sie mir Auskunft geben müssten. Aber wir hatten keinen Erfolg. Virginia war nicht in eines dieser Bordelle abgeschoben worden. In der offiziellen Wohnung von Möbius, die man nach Einleitung der Fahndung nach ihm, auseinander nahm, waren auch keine Anhaltspunkte gefunden worden. Ich hatte mir sämtliche Unterlagen, die dort sichergestellt worden waren, ansehen dürfen und mich wunderte nur, dass hierbei keinerlei Hinweise auf seine Tätigkeiten innerhalb der Gemeinde vorhanden waren. Er hatte nicht zu Hause gearbeitet, denn es 122 gab weder Akten noch Hinweise auf dem Computer. Der Schriftverkehr, der dort gespeichert war und die anderen Unterlagen, die gefunden wurden, zeigten nur Möbius Neigungen zum Glücksspiel und eine lange Liste von illegalen Spielclubs. Die wurden jetzt von den Behörden überprüft. Ich kam auf die Idee, dass diese Wohnung zwar als sein offizieller Wohnsitz genutzt worden war, dass er aber woanders noch einen Unterschlupf haben müsse, wo er Unterlagen über die Gemeinde aufbewahrte. Erst als ich Lars nochmals aufgesucht hatte, weil Möbius dort auch Leistungen empfangen hatte, kam mir die Idee. Wir hatten Möbius doch an dem Abend, als wir das erste Mal über die Probleme des Sozialamtes gesprochen hatten und er mir vorgeführt hatte, welch Missbrauch getrieben wurde, Möbius in einer Kneipe getroffen, die am ganz anderen Ende der Stadt gelegen war. Noch am gleichen Abend machte ich mich als „harter Macker“ verkleidet auf, trug Lederjacke und dunkles T-Shirt zu dunkler Hose und Stiefeln, und hatte meinen Wagen ein ganzes Stück von der Kneipe entfernt geparkt. Aus der Entfernung hatte ich den Eingang beobachtet und festgestellt, dass auch heute Abend wieder reger Ansturm auf diese Kneipe war. Für einen Mittwochabend sogar sehr viel für meine Begriffe. Als ich hineinkam, war der Laden noch verräucherter, als ich ihn schon in Erinnerung hatte und oben an der Wand brüllte ein Fernseher. Es wurde ein Champions-League-Spiel zwischen dem russischen Meister und Bayern München übertragen. Die Stimmung im Raum war gereizt, denn Bayern lag hinten, und man schimpfte über die Russen. Man wollte sie abschießen und einige waren lautstark der Meinung, dass man früher nur versäumt hatte, noch mehr umzubringen. Obwohl viele Männer und Frauen hier um die Theke versammelt waren und dem Fußball huldigten, war ich der Meinung, dass wesentlich mehr Männer hier herein gegangen waren, als jetzt in diesem Schankraum versammelt waren. 123 Eine Bedienung, die eifrig Bier zapfte, nahm meine Bestellung: ein Bier und einen Schnaps entgegen und ich sah mich nach dem Wirt um. Der kam wenig später aus einem Nebenraum mit einem Tablett leerer Gläser, das er sofort hinter der Theke wieder mit den inzwischen gezapften Bieren füllte und damit wieder verschwand. Als ich ihm folgen wollte, schrie die Bedienung hinterher, dass die Toiletten auf der anderen Seite seien. Ich ließ mich nicht beirren und folgte dem Wirt in den Nebenraum. Hier saßen mindestens zwanzig Männer um einen runden Tisch und es war offensichtlich, hier wurde gepokert und der Geldhaufen in der Mitte des Tisches ließ auf eine hohe Pokerrunde schließen. Der Wirt hatte sich herumgedreht und mich angeschrieen: „Raus hier, ist ´ne geschlossene Gesellschaft. Raus.“ Dann war er auf mich zugeschossen gekommen und hatte sehr wütend ausgesehen. Ich hatte nur sein Hemdenrevers gegriffen, ein wenig zugedreht und ihm zugezischt: „Mich interessiert dein Spielkreis nicht. Ist Möbius da?“ Zwei hinter den Spieler postierte Typen kamen um den Tisch auf uns zu; und ich rief ihnen nur zu: „Ich will nur wissen, ob Möbius hier ist, oder war, oder erwartet wird. Sonst nichts!“ Der Wirt rief ihnen zu, sie sollten sich zurückhalten und sein Gesicht lief etwas an und Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Mein Griff war wohl etwas zu hart. Zu mir keuchte er herüber: „Der war die letzte Zeit nicht hier, und hat sich auch heute nicht blicken lassen. Und jetzt raus hier.“ Ich drehte sein Hemd ein wenig mehr zu und zog ihn weiter heran. „Komm mit, du willst hier doch auch keinen Aufstand, oder?“ Ich schob ihn einfach zur Tür hinaus und wir blieben in der Ecke zum Schankraum stehen. Er war kein kleiner Mann, aber ich hatte ihn fest im Griff und als ich ihn fragte, wo die 124 verdammte Wohnung von dem Idioten Möbius wäre, war er sofort bereit es mir zu sagen. „Da vorne ist Maria, die war ein paar Mal mit ihm da, die kann sie dir zeigen, aber lass mich jetzt los.“ Ich tat ihm den Gefallen und ging hinüber zur Theke und griff meinen Schnaps und mein Bier. Beides leerte ich in einem Zug, sagte der Bedienung, dass ich noch eine Lage haben möchte und wandte mich der Frau zu, die der Wirt als Maria bezeichnet hatte. Sie hatte mein Intermezzo mit dem Wirt verfolgt und sah mir entgegen. Sie schien keine Furcht vor großen Männern, die sich rüpelhaft benahmen zu kennen. Sie hatte mich abschätzend und kalt gemustert als ich auf sie zukam und sie fragte: „Auch was zu trinken?“ „Ouso, aber´n Großen, Was willst´e denn? Bumsen?“ „Nee, Möbius! Oder, wo seine Wohnung ist.“ „Was willst´e denn von ihm?“ Ich machte nur die berühmte reibende Bewegung von Daumen und Zeigefinger und sagte: „Moneten, Flocken, Piepen oder wie du es nennen willst, aber Bares.“ „Da wirst´e wohl ne ganze Weile hinterher rennen müssen, der ist abgetaucht.“ „Dann schau ich mir eben an, was man aus seiner Bude gebrauchen kann.“ Die Getränke kamen und wir tranken uns zu. Ich hatte dabei die Frau mit den kalten Augen betrachtet. Mitte dreißig, kräftige, aber nicht fette Figur, auffallend starker Busen und keine schlechte Taille. Sie trug einen kurzen Rock, aber keinen Supermini und die Beine, die sie auf dem Barhocker übereinander geschlagen hatte, waren ansehnlich. Sie hatte meinen Blick beobachtet und fragte ganz beiläufig: „Jetzt doch vielleicht Bumsen?“ „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Kannst du mir die Wohnung zeigen?“ „Wie sagst du so schön? Gegen Moneten, Flocken, Piepen aber Bares, ja, sonst leck mich.“ 125 „Hinterher vielleicht.“ Ich hatte einen Hunderter aus meiner Jacke gefischt und wir waren aufgestanden. Um die hinter uns her keifende Bedienung kümmerten wir uns nicht. Wir gingen etwa 500 Meter und um zwei Ecken, als sie vor einem kleineren Reihenhaus in der stillen Straße stehen blieb und sagte: „Hier ist es, und hinten auf dem Hof steht noch ein größerer Schuppen. Das war sein Partyschuppen und da wurde auch ganz schön hoch gespielt. Ist nicht schlecht eingerichtet. Soll ich mitkommen?“ „Besser nicht.“ „Ich bin noch ´ne Weile in der Kneipe, wenn du es dir noch anders überlegst. Ich könnt sogar meine Tarife überarbeiten“, meinte sie lockend und trollte sich. Es war für mich keine Schwierigkeit ins Haus zu kommen. Es war ein einfaches Schloss gewesen. Ich hatte meine Handschuhe übergestreift, hatte mein Spezialbesteck zum Einsatz gebracht und hatte schon beim Eintreten festgestellt, auch hier war er nach seinem Untertauchen scheinbar nicht mehr gewesen, und wenn, dann nur in den allerersten Stunden. Es war alles aufgeräumt. Ich ging durch das Erdgeschoss und konnte durch eine Tür in der Küche, die ehemals wohl auf den Hof geführt hatte, direkt in den Schuppen, oder besser gesagt Anbau gelangen. Es waren keine Fenster vorhanden; aber der Raum schien über eine Lüftungsanlage zu verfügen und ich schaltete das Licht ein. Es stank zwar immer noch nach abgestandenem Rauch, aber nicht besonders stark. Ich schaute mich um. Ein bemerkenswerter Raum. Die Tür hinter mir war gepolstert, und die Wände schienen ebenfalls über Schallschutz zu verfügen. Gleich neben mir befand sich eine Baranlage, mit einer erstaunlichen Auswahl an Spirituosen. Davor war ein sechseckiger Spieltisch mit grünem Filzbelag und gemütlichen Stühlen aufgestellt. Hier konnte man sicherlich lange Nächte 126 am Tisch verbringen. Über dem Tisch war eine tiefhängende Lampe angebracht, die ihren Lichtschein nur direkt auf den Tisch warf. Etwa einen Meter fünfzig hinter den letzten Stühlen war seitlich an den Wänden ein Vorhang aus schwerem Stoff angebracht. Es sah so aus, als ob man den insgesamt etwa 70 qm großen Raum damit abteilen konnte. An der rechten Seite des Raumes, gleich hinter der Vorhangvorrichtung war ein Schreibtisch mit einer modernen Computeranlage aufgebaut. Der hintere Teil des Raumes wurde von einem Metallbett und ganz an der hinteren Wand einer Hintergrundleinwand beherrscht. Auf einem stabilen Stativ, das mit Laufrollen versehen war, konnte ich eine teure Kamera sehen. Von der Decke hingen verschiedene Scheinwerfer und einige Weichzeichnerscheinwerfer mit Stofffiltern davor standen auf der linken Seite des Raumes. Ein komplettes Foto- oder Filmstudio. Ich sah mich nach einer Dunkelkammereinrichtung um und konnte sie zunächst nicht entdecken. Erst als ich mitten in den Raum getreten war, konnte ich eine Tür entdecken, die links aus dem Raum führte und mit einer Lampe über der Tür signalisieren konnte, ob dort drinnen gearbeitet wurde oder nicht. Momentan brannte kein Licht. Ich öffnete die Tür und schaltete die Beleuchtung an. Der Raum war größer, als ich gedacht hatte und hier war ein perfektes Fotolabor eingerichtet. Gleichzeitig diente der Raum zur Aufbewahrung von Fotos in einer an der Wand angebrachten Metallschrankanlage. Hier gab es eine Vielzahl von Schubläden. Flache zur Lagerung von Großformataufnahmen, tiefere für Hängeregisteraufbewahrung. Die Hängeregister waren ordentlich beschriftet mit Namen und Nummer versehen. Die Nummernfolge ließ auf chronologische Datumsablage schließen, die Enzahlen sagten die Jahreszahl aus. Oberhalb der Schränke waren Metallregale angebracht, die mit Videobändern in Plastikboxen gefüllt waren. Auch hier herrschte pedantische Ordnung. So hatte ich den Spieler und 127 Trunkenbold Möbius gar nicht eingeschätzt. Die Bänder schienen auch nach Daten sortiert aufbewahrt zu werden. Unter der Datumsnummer waren jeweils Initialen angebracht. Ich suchte nach einem Datum Anfang Juli letzten Jahres mit den Buchstaben V. Ich wurde auch fündig. Jeweils ein Band mit der Bezeichnung EP und MU nahm ich ebenfalls aus dem Regal und sah mich nach einem Abspielgerät um. In der Dunkelkammer fand ich keins. Ich verließ die Dunkelkammer wieder und schloss die Tür ab. Den Schlüssel steckte ich mir ein. Ich ging hinüber zum Schreibtisch, aber hier war auch kein Videorecorder. Erst hinter dem Bartresen fand ich, was ich suchte. Unter einer großen Schalttafel mit einer verwirrenden Anzahl von Dreh- und Kippschaltern fand ich ein Gerät. Die Versuche an den Schaltern ergaben, von hier aus wurden die Scheinwerfer und anderen Beleuchtungseinrichtungen des Fotostudios geschaltet. Es schien mir nahe liegend, dass von hier aus auch die Videoanlage geschaltet wurde. Ich fand nur keinen Fernseher auf dem die Bilder erscheinen könnten. Ich versuchte es trotzdem und lud die Kassette mit der Beschriftung VV und startete den Recorder. Dann schaltete ich an den einzelnen Knöpfen der Anlage. Immer wenn ein Scheinwerfer aufflammte schaltete ich sofort zurück und nachdem ich die oberer Reihe der Schalter durchprobiert hatte, ohne ein Bild zu bekommen, wollte ich schon aufgeben und die Filme zu mir nach Hause mitnehmen. Ich versuchte dann aber doch noch die untere Reihe. Ebenfalls ohne Erfolg, bis ich dann direkt neben dem Recorder einen Schalter umlegte, der separat auf einem Metallkasten montiert war. Auch hier war keinerlei Beschriftung auf der Metallblende angebracht. Im ersten Moment passierte nichts und ich wollte den Schalter schon wieder in Ausgangsstellung bringen als plötzlich auf der großen Rückleinwand, die ich nur für die Staffage zu den Fotoaufnahmen gehalten hatte ein riesiges, glasklares Bild erschien. Der Raum füllte sich mit dem lauten 128 Stöhnen einer Frau und auf der Leinwand flogen die langen schwarzen Haare der Virginia im Rhythmus des Stöhnens auf und nieder. Mit dem Drehregler neben dem Kippschalter auf dem separaten Metallgehäuse regulierte ich die Lautstärke und als ich Flüsterlautstärke eingestellt hatte schaute ich wieder auf die Leinwand. Unzweifelhaft ritt Virginia in ekstatischer Weise auf einem Männerkörper, von dem nur der behaarte Bauchensatz und zwischen den Stößen Teile seines Penis zu sehen war, mit hüpfenden Brüsten und fliegenden Haaren. Wenn Teile ihres Gesichtes im Blickfeld auftauchten, sah man ihren geöffneten Mund, stöhnend verzogen. Ich betätigte den Schnellvorlauf. Im Schnelldurchgang sah ich der Orgie zu, die in den privaten Räumen Levinskis stattgefunden haben musste. Es tauchten einige bekannte Gesichter auf. Sowohl einige weibliche Darsteller, als auch männliche, die samt und sonders in den oberen Etagen der Stadtverwaltung angesiedelt waren. Zuletzt kamen die Szenen in denen Virginia gequält wurde. Männlein wie Weiblein beteiligten sich an diesen widerlichen Ritualen, während Virginia immer laut aufschrie, wenn wieder Zigaretten auf ihrem Busen ausgedrückt wurden. Ihre Augen waren glasig und als einer der Männer ihr einen Riesendildo in die Scheide trieb und sich ein anderer mit einem Besenstiel ihrem After näherte schaltete ich ab. Das Gesicht dieser Männer hatte ich mir besonders gut gemerkt. Ich hatte meine Fäuste geballt und die Knöchel traten weiß hervor. Meine Befürchtung, dass auch Eva auf diesen Videos auftauchen könnte, bewahrheitete sich schon beim zweiten Band, das ich einlegte. Es zeigte Virginia und Eva bei einem heißen lesbischen Sexspiel. Ich stoppte das Band nach wenigen Minuten. Auch Maria, die Frau mit den kalten Augen und dem großen Busen war auf den Bändern zu finden. Auf dem dritten Band war sie als Domina mit sichtlicher Freude bei der Arbeit und versohlte einem Politiker den Hintern. Die Aufnahmen schienen hier im Studio entstanden zu sein. Auch 129 hier schaltete ich schnell wieder aus, um mich dem Computer zu widmen. Es war sehr interessant welch Daten Möbius hier zusammengetragen hatte. Komplette Lieferlisten der Küche waren ebenso vorhanden, wie die akribische Zusammenstellung der Puffbesuche, der Hilfsempfänger bei den Überlandfahrten. Auch meine Einstellung als Bratenkoch in der Feinschmeckerküche war schon vermerkt. Hier fand ich auch eine komplette Datenbank der so genannten Hilfskräfte der Gemeinde in der man nach den unterschiedlichsten Suchkriterien die Stärken und Schwächen der Einzelnen abrufen konnte. Unter meinem Namen fand ich die Zusätze: Gefährlicher Einzelgänger, Gewaltbereit, für spätere Aktiveinsätze vorgesehen. Wie die ausgesehen hätten, konnte ich mir vorstellen. Andere Leute einschüchtern, wenn sie aufzumucken wagten. Ich war sehr froh, dass der Computer über einen CD-Brenner verfügte, damit ich mir die gesamten Daten, außer den Grundprogrammen als Datensicherungsdateien herunter ziehen konnte, da ich den Computer und auch die anderen Gegenstände an Ort und Stelle belassen wollte. Ich hatte auch noch nicht vor, die Polizei von meinen Erkenntnissen zu informieren. Da es schon nach Mitternacht war, als ich die CDs einsteckte und das Haus wieder verließ, rief ich über das Handy bei Eva an, um ihr mitzuteilen, dass meine Mission uns einen Schritt weitergebracht hatte, aber das erste Mal nach vierzehn Tagen meldete sie sich scheinbar mehr als angetrunken. Ich sagte nichts weiter und informierte sie nur, dass ich jetzt gleich nach Hause kommen würde. Als ich kam, lag sie halb über den Tisch und schlief. Eine leere Flasche Whisky und eine angetrunkene Flasche Weinbrand lagen auf dem Fußboden neben der Couch. Weinbrand war aus der Flasche gelaufen und es stank in der ganzen Wohnung. Ich trug sie hinüber ins Schlafzimmer und entkleidete sie. Als ich sie endlich nackt ausgezogen hatte, wollte sie in ihrer 130 Trunkenheit Sex mit mir, aber ich war nach den Videoaufnahmen und beim Anblick der volltrunkenen Frau nicht in Stimmung und drehte mich von ihr weg und schlief sofort ein. Als ich während der Nacht wach wurde, lag sie weinend und masturbierend neben mir. Ich versuchte sie zu trösten und half ihr manuell zu einem Orgasmus zu kommen. Danach war sie sofort eingeschlafen und nun lag ich grübelnd und hellwach neben ihr. War ich nicht stark genug, sie vom Alkohol fernzuhalten? Konnte ich ihr nicht genügend Gefühl zeigen um sie dem Teufelskreis zu entziehen. Hatte ich sie zu lange allein gelassen und hatte ich ihr zuwenig Sex gegeben? Meine Gedanken in dieser Nacht waren voller Selbstvorwürfe und ich wäre am liebsten aufgestanden und hätte die restlichen Bestände an Alkoholika in mich hineingeschüttet. Mein letztes bisschen Verstand hielt mich davon ab. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es noch viele Nächte dieser Art geben würde. Der nächste Morgen war ein Desaster. Eva zerrann in Selbstvorwürfen und ich wurde unausgeschlafen, wie ich war mit meinen eigenen Vorwürfen nicht klar. Wie konnte ich sie gerade in dieser wichtigen Phase so lange allein lassen. Es endete, wie es kommen musste, wir landeten im Bett. Keiner von uns fand auch nur annähernd eine Befriedigung, wir quälten uns, nicht im Sinne der körperlichen Qualen, sondern im Sinne der geistigen Qual. Jeder wollte dem Anderen Geben und keiner konnte, weil er zu sehr damit beschäftig war nur auf ihn zu achten. Als wir endlich aufgaben, waren wichtige Stunden vertan, in der wir unsere Nachforschungen hätten vorantreiben können. Ich hatte schließlich die CDs auf meinen Computer überspielt und fragte Eva, ob sie mir bei der Auswertung der Datenbanken helfen könne. Sie hatte nur geantwortet, nach dem Essen und wir hatten gemeinsam gegessen. Es hatte nach nichts geschmeckt und Eva wusste dies. Sie schluckte die Enttäuschung und versuchte mir zu helfen, aber ich merkte, dass sie zu keinem klaren Gedanken 131 fähig war und keine zusammenhängenden Schlüsse zu den aufgeführten Personen geben konnte. Aus purer Verzweiflung holte ich uns ein Bier. Wir tranken zusammen und versuchten weiter Schlüsse aus den Daten zu ziehen. Wir holten noch mehr Bier und langsam kamen Erinnerungen und damit auch Kreuzverbindungen zwischen den Personen. Erst nachdem Eva festgestellt hatte, dass wir kein Bier mehr im Hause hätten, kamen die Schlussfolgerungen klar und unmissverständlich. Ich machte Notizen, versuchte Reihen aufzustellen, verwarf sie auf ihre Vorschläge hin wieder, begann neu. Eva hatte inzwischen die halbgetrunkenen Flasche Weinbrand gefunden und schenkte sich ein. Ich hatte schon vor dem Austrinken des letzten Bieres aufgegeben. Als auch der Weinbrand ausgetrunken war, beschlossen wir in die nächste Kneipe zu ziehen und hier gaben wir uns den Rest. Volltrunken torkelten wir heimwärts, als der Wirt uns zu verstehen gegeben hatte, dass auch er seinen Schlaf bräuchte, waren ins Bett gesunken und waren wie im Rausch über uns hergefallen. Es war schon hell, als wir einschliefen, und in meinem Kopf war es düster als ich wieder erwachte. Mein Kater war schlimmer als ich jemals vorher einen hatte. Ich wankte nur ins Badezimmer, erbrach mich, zog mich an und holte vom Kiosk einen Sechserpack Bier. Nach der ersten Dose Bier erbrach ich mich wieder und war endgültig geheilt und kochte einen starken Kaffee. Eva schlief immer noch. Nach der zweiten Tasse Kaffee und zwei Buttertoast war ich dann soweit, dass ich wieder an den Rechner konnte. Diesmal sah ich die Zusammenhänge zwischen Personen, Orten und anderen Verknüpfungen sofort. Aus diesen Erkenntnissen erstellte ich eine neue Datenbank und wusste wo ich zu weiteren Ermittlungen ansetzen musste. Einen Ansatzpunkt, wo ich Möbius finden könnte und warum er sich schon so lange nicht mehr um sein Haus und seine Daten gekümmert hatte, konnte ich aber immer noch nicht sehen. 132 Am Spätnachmittag hatte ich den Rechner stehen lassen und hatte aus den Resten der vorhandenen Lebensmittel ein Essen gekocht und hatte Eva aus dem Bett geworfen. Sie war mit strahlendem Lächeln erwacht, hatte mich geküsst und war glücklich gewesen, dass ich schon ein Essen bereitet hatte. Sie war wieder ein fröhlicher, scheinbar ausgeglichener Mensch und schwatzte während des Essens munter drauf los, als hätte es die vergangenen Tage nicht gegeben. Wir beschlossen bei Tageslicht das Haus von Möbius zu besichtigen. Diesmal schaute ich das ganze Haus an. Es war tadellos in Ordnung, und jeder Besucher des Vorderhauses wäre dem Eindruck erlegen, dass hier wahrscheinlich ein Junggeselle wohnte, aber ein außerordentlich pedantischer, mit dem Hang zur perfekten Ordnung. Grünpflanzen, die während der jetzt über vierzehntägigen Abwesenheit verdorrt sein müssten, gab es nicht, nur Kakteen, denen der Wassermangel nicht geschadet hatte. Ganz im Gegenteil, zwei Königinnen der Nacht setzten zur Blüte an. Es gab selbst im Kühlschrank nichts, was verdorben war. Hier war neben einer Butterterrine, vakuumverpackter Wurst und Käse und einem verschlossenen Honigglas auch nichts gelagert. Die Butter mochte inzwischen ranzig sein. Wir probierten sie jedenfalls nicht. Das Wohnzimmer war aufgeräumt und auch im Schlafzimmer lag keine Schmutzwäsche und die Betten waren gemacht. Ich fragte mich nur, warum hier ein Ehebett stand, denn Möbius war meinem Wissen nach Junggeselle. Auch Eva wusste nichts anderes. Erst als ich in der Diele auf der Garderobenablage einen Stapel Post sah, ging mir ein Licht auf. Möbius beschäftigte eine Aufwartefrau. Wir inspizierten nochmals das Fotostudio und als Eva den Raum betrat blieb sie sinnend stehen und sah sich nochmals um. Sie runzelte die Stirn, sagte aber immer noch nichts. Erst als ich aus der Dunkelkammer ein weiteres Videoband geholt, eingelegt und gestartet hatte, ging ein Zeichen des Erkennens über ihr Gesicht. Als der Film anlief und sie sich selbst auf der 133 Riesenleinwand sah, war es ihr endlich wirklich klar: Sie war hier schon gewesen. Das war umso eindeutiger, als dass sie auf dem Metallbett liegend, das heute noch in dem Raum stand, in eindeutiger Umarmung mit Virginia auf der Leinwand zu betrachten war. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen genoss sie die Liebkosungen und Küsse der anderen Frau. In dieser Filmeinstellung machte sie auch keinen volltrunkenen Eindruck. Ich mochte nicht mehr und schaltete den Film ab. Ich ließ ihn im Player und forderte Eva auf, mich aus dem Haus zu begleiten, denn ich wollte nicht als Einbrecher hier erwischt werden. Eva ging scheinbar widerwillig aus den Räumen und ich hatte ihre gierigen Blicke auf das Flaschenarsenal hinter der Bar registriert. Sie hatte aber nichts gesagt. Sie hatte sich schon ins Auto gesetzt, als ich nochmals umkehrte und am Nachbarhaus klingelte. Eine ältere Frau öffnete die Tür und ich fragte sie höflich, ob sie wüsste, wann die Aufwartefrau von Herrn Möbius wieder kommen würde. Sie fragte verwundert: „Möbius?“ „Ja, ich meine ihren Nachbarn, hier im Haus links von Ihnen.“ Sie lächelte mich jetzt an und sagte: „Dort wohnt Herr Dr. Keller. Sie können sich auf dem Namensschild davon überzeugen. Einen Herrn Möbius kenne ich nicht. Und die junge Frau, die dort saubermacht, kommt jeden Morgen um 8 Uhr. Und sie ist immer pünktlich. Das weiß ich, denn sie bringt uns immer die Brötchen mit vom Bäcker aus der Nebenstraße. Die Frau Winter, so heißt die Frau, ist eine sehr Zuverlässige. Wenn ich sie bezahlen könnte, würde ich sie bitten, auch einmal in der Woche zu uns zu kommen, aber mit unserer kleinen Rente können wir uns das leider nicht erlauben. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, junger Mann?“ 134 „Nein danke, gnädige Frau, dann werde ich morgenfrüh um acht noch einmal vorbeischauen. Vielen Dank.“ Die Frau war wieder im Haus verschwunden und ich war nochmals zurück und hatte das Klingelschild studiert. Hier stand tatsächlich: Dr. Keller. Ich würde dringend beim Einwohnermeldeamt Nachforschungen über Dr. Keller anstellen müssen. Eva hatte schon ungeduldig auf mich gewartet und verständnislos meinem Plausch mit der Nachbarin zugesehen. Ich erklärte ihr, was ich erfahren hatte und wo ich morgenfrüh ansetzen musste und wir fuhren zu einem Italiener um noch eine Kleinigkeit zu Essen. Ich hatte Wasser getrunken und Eva hatte eine ganze Flasche Rotwein verdrückt. Als sie eine zweite bestellen wollte, hatte ich sie gestoppt und sie hatte nur schmollend darauf verzichtet. Nach einer weiteren Liebesnacht schlief ich fest ein und wachte erst nach acht Uhr vormittags auf. Ich schalt mich, weil ich zu diesem Zeitpunkt schon vor dem Haus, des Dr. Keller gewesen sein wollte. Ich eilte mich, schrieb Eva, die noch schlief einen Zettel und raste zum Haus von Möbius/Keller in der Hoffnung noch Jemanden anzutreffen. Ich hatte Glück. Auf mein Klingeln öffnete mir eine junge Frau und fragte mich nach meinen Begehr und sagte mir, auf meine Bitte Herrn Dr. Keller sprechen zu wollen, dass er momentan für eine längere Vortragsreise verreist sei. Ich bedauerte dies, weil ich in einer dringenden persönlichen Angelegenheit mit ihm zu sprechen hätte und ob sie wüsste, wo ich ihn zu Zeit erreichen könne. Sie sagte mir: „Das ist kein Problem wenn Sie es ihm auch schriftlich mitteilen können, ich habe heute neue Anweisungen bekommen wohin ich ihm die Post nachsenden soll. Ich will den dicken Umschlag gleich noch zur Post bringen. Er ist leider schon verklebt, aber wenn Sie die Adresse abschreiben wollen, kommen Sie doch herein. Aber bitte beeilen Sie sich, ich bin 135 heute hier schon fertig und brauche nur noch den Brief zur Post zu bringen.“ „Wenn das alles ist, ich fahr gleich an der Post vorbei, dann kann ich dort die Adresse abschreiben und ihm von dort aus gleich meine Mitteilung machen. Dann hat er mein Anliegen auch gleich vorliegen. Kommen Sie, ich fahr Sie eben zur Post.“ Sie war einverstanden und holte nur noch den Umschlag und ihr Schlüsselbund, schloss die Haustür ab und stieg mit mir ins Auto und ich fuhr los. Während ich in dem Einbahnstraßengewirr den Weg zur Post suchte, fragte ich Sie: „Sind Sie schon lange bei Herrn Dr. Keller?“ „Schon drei Jahre, sonst würde er mir bestimmt nicht so vertrauen. Er hat mir gesagt, dass er diesmal bestimmt über drei Monate nicht nach Hause kommen kann und ob ich dafür sorgen könnte, dass er immer seine Post bekommt und das Haus in Ordnung wäre. Ich bin ganz stolz, denn ich habe nicht viel zu tun und bekomme trotzdem mein volles Gehalt. Ich habe jetzt richtig Zeit für meinen Jungen und das ist schön“, plapperte sie munter drauf los. „Dann ist er bestimmt ein guter Chef?“ Jetzt zögerte sie einen kleinen Augenblick, aber dann sagte sie: „Ja, er ist ein guter Chef.“ Ich lächelte sie beim Fahren von der Seite an. „Wie jeder, der sich eine gute Aufwartefrau leisten kann. Wenn seine Mucken und Macken nicht zu groß sind, geht’s eigentlich.“ „Wenn er nicht die Finger nach mir ausstreckt ist er prima – und meistens ist er ja schon unterwegs, wenn ich komme. Aber einmal, als ich schon mittags fast fertig war, ist er nach Hause gekommen und hat mich angetatscht. Da hab ich richtig Angst bekommen und ich bin schnell raus. Das war richtig unangenehm. Aber das ist dann auch nicht wieder vorgekommen. Aber nett zu seinen Freundinnen ist er bestimmt nicht. Jedes Mal wenn er eine im Haus hat, dann hör ich sie wimmern und manchmal auch schreien. Besonders 136 schlimm war das einmal im letzten Jahr, da war eine ganz hübsche Schwarzhaarige für über eine Woche da im Anbau, wo ich nicht rein darf. Sie ist da nackend in die Küche, als ich den Abwasch gemacht hab und er hat sie zurückgerissen und dann hab ich sie schreien gehört. Später ist er zu mir gekommen und hat sich entschuldigt und hat gesagt, dass man es manchmal nicht einfach hat mit den verrückten Schauspielern, die immer nur probten. Am nächsten Tag ist er dann verreist und sie ist auch nicht wieder gekommen. Aber ich hab mich gefragt, wie schlimm solche Proben sein müssen, denn sie war auch geschminkt und hatte ganz viele Striemen auf dem Rücken. Sah richtig echt blutig aus.“ Sie schlug sich die Hand auf den Mund und meinte nur: „Man soll nicht über seine Dienstherren sprechen.“ „Das stimmt, aber manchmal haben die Menschen eigentümliche Berufe und dann müssen sie auch noch so viel auf Reisen sein. Und immer so weit. Ich weiß nicht ob das was für mich wäre.“ „Och, so weit fährt er meistens gar nicht. Meistens muss ich ihm die Post nur nach Belgien senden. Damals auch“, sagte sie versonnen. Wir waren inzwischen vor der Post angekommen und ich sagte ihr: „Geben Sie her, ich schreib mir drinnen kurz die Adresse auf, werfe ihn ein, und kann Sie dann schnell nach Hause fahren.“ „Das wäre lieb, dann wäre ich schneller bei meinem Jungen.“ Sie gab mir den Briefumschlag und ich hastete in die Post. Ich schrieb die Adresse auf und steckte den Umschlag in meinen rückwärtigen Gürtel. Den Umschlag, auf dem ich die Adresse geschrieben hatte hielt ich in der Hand als ich zurückkam und warf ihn auf die Ablage auf dem Armaturenbrett. Sie konnte sehen, dass ich die Adresse genau abgeschrieben hatte. 137 Ich fuhr sie nach Hause und merkte mir in welches Haus sie ging. Es war ein Vierfamilienhaus und ich würde sie wieder finden können, wenn es notwendig war. Danach fuhr ich schnell zu mir nach Hause und öffnete den dicken Umschlag. Eva war nicht anwesend. Das erste was mir aus dem Umschlag entgegen flatterte, als ich kunstvoll die Gummierung gelöst hatte, war ein handschriftlicher Zettel. Darauf stand: „So ein großer harter Typ, Marke Schuldeneintreiber, sucht dich. Wenn du Probleme hast, lass es mich wissen, vielleicht kann man ihn besänftigen. Gruß Maria.“ Die anderen Briefe waren Rechnungen und Reklame. Keine Privatbriefe. Einen Reklamebrief ohne Werbeaufdruck, aber mit Luxemburger Poststempel, öffnete ich vorsichtig. Siehe da: Ein Konto und Depotauszug. Ansehnlicher Betrag. Ich fotokopierte beides. Auszug und Briefumschlag. Dann klebte ich das Original wieder zu, packte die übrigen Briefe zurück in den großen Umschlag, verschloss ihn wieder und brachte ihn zur Post. Den handschriftlichen Zettel von Maria behielt ich. Als ich von der Post zurückkam war Eva immer noch nicht zurück und ich fing an sie zu suchen. Ich war schon zu verschiedenen Plätzen gefahren, wo ich sie vermutete, hatte aber keinen Erfolg gehabt. Dann fiel mir unser schönes Handy ein. Ich kramte meins hervor und stellte fest, es war ausgeschaltet. Ich fluchte, denn was nützt das beste Handy, wenn es ausgeschaltet ist. Dann drückte ich die Kurzwahl 1 und schon nach dem ersten Klingeln meldete Eva sich mit munterer Stimme. „Was ist denn mit deinem Telefon? Ich versuche seit zwei Stunden dich zu erreichen, aber immer bekomme ich keinen Anschluss. Ich sitze hier mir Herrn Wedemeier im Café und wir warten dringend auf dich. Komm doch bitte sofort hier ins „Fürstenau“, sonst futtere ich noch drei Stücke Kuchen und platze auseinander.“ 138 „Ich komme“, murmelte ich und legte das Telefon schnell wieder weg. Meine Ängste waren vergeblich gewesen, Eva hatte gut geklungen und schien keinen Alkohol getrunken zu haben. Ich gab Gas und fuhr in die Innenstadt, wo sie auf der Terrasse des Cafés saßen. Sie hatten mich noch nicht bemerkt und ich sah, dass sie sich angeregt unterhielten. Ich hoffte nur, dass sie nichts von dem Tresor erzählte. Als ich an den Tisch getreten war, Eva geküsst und Lars die Hand gegeben hatte, wollte Eva natürlich wissen, wo ich den Morgen verbracht hatte und warum mein Telefon abgestellt gewesen war. Nicht zu Unrecht bemängelte sie, dass wir die Telefone extra angeschafft hätten um ständig Kontakt halten zu können, aber nicht um sie ausgeschaltet mit sich rum zutragen. Sie hatte Lars schon von unseren Nachforschungen nach Möbius erzählt und das wir glaubten einen zweiten Wohnsitz von ihm entdeckt zu haben. Ich konnte berichten, dass ich heute von der Aufwartefrau zumindest die Postadresse von ihm in Belgien erfahren hatte und ich auch über seine luxemburgischen Kontoverbindungen informiert sei. Als Lars meinte ich solle Schmücker sofort hinzuziehen, winkte ich ab und erklärte ihm, dass wir dieses besser unterlassen sollten, denn wir hätten in der Vergangenheit schon erleben müssen, dass er ausgebremst wurde von seinen Vorgesetzten, die aus welch Gründen auch immer, scheinbar nicht daran interessiert seien, dass Möbius gefasst würde. Da Eva auch noch nichts über unseren Einbruch erzählt hatte klärte ich Lars ebenfalls nicht über den Fund von unschätzbar wichtigen Beweismitteln in der Dunkelkammer dort auf. Stattdessen bat ich ihn mir zu helfen indem er bei dem Einwohnermeldeamt versuchen sollte Passfotos von Möbius und auch von einem Dr. Keller, und ich nannte ihm die Adresse dazu, besorgen könne. Es wäre eilig und ob er nicht dort direkt mit mir gemeinsam vorbeigehen und ich sie gleich mitnehmen könne. Er maulte zwar, aber da das Zentralregister ganz in der Nähe 139 war, erklärte er sich bereit. Er schimpfte zwar, dass ich ihm die Mittagspause vermiesen würde, die er lieber weiter mit Eva verbracht hätte aber wir stiefelten gemeinsam zu dritt los. Es wäre doch verwunderlich, wenn die Passbilder beider Namen identisch sein würden. Wir erlebten allerdings eine Überraschung, denn die Bilder waren keineswegs identisch. Keller war ein Mann Mitte sechzig, weißhaarig und mit starkem Bauch; Möbius etwa 40 Jahre, dunkelhaarig, schlank. Eine verwandtschaftliche Ähnlichkeit bestand nicht. Es konnte also fast ausgeschlossen werden, dass Möbius sein Sohn war, jedenfalls dem äußeren Anschein nach. Ich fragte mich automatisch, wie Material, wie es nur Möbius hatte zusammentragen können, in das Haus eines scheinbar völlig fremden Mannes gelangen konnte. Ich fragte Lars, ob in seinen Akten, die für Möbius bei ihm vorlagen, Hinweise auf einen Dr. Keller zu finden seien, und wenn, um was es sich dabei handeln würde. Eva und ich machten uns, nachdem Lars versprochen hatte nachzusehen und uns später anzurufen, auf den Weg zum Haus von Dr. Keller. Ich hatte neben unseren Gesprächen die ganze Zeit überlegt, wie wir auf der einen Seite zumindest Kopien der Beweismittel erhalten könnten und auf der anderen Seite die Beweise an Ort und Stelle lassen zu können, damit sie von den Behörden auch verwertet werden könnten, wenn es erforderlich wäre. Ich hatte noch keine Idee und wir fuhren zunächst zu der Aufwartefrau. Frau Winter war zwar sehr erstaunt, als sie mich heute zum zweiten Mal sah, bat uns aber herein. Ein etwa fünfjähriger Junge begrüßte uns artig und verschwand dann in einem weitern Zimmer. Ich sagte: „Frau Winter, es ist mir peinlich, aber meine Gesellschaft ist der Meinung, dass wir ganz sicher sein müssten, dass die Identität des Herrn Dr. Keller festgestellt ist, bevor wir ihm eine schriftliche Mitteilung machen können. Jetzt hat man uns beauftragt bei Ihnen nachzufragen, ob der Abgebildete Ihr 140 Dienstherr ist, den Sie als Dr. Keller kennen. Könnten Sie so freundlich sein einen Blick auf das Foto zu werfen?“ Ich hatte Eva ein Zeichen gegeben, dass sie beide Bilder herausholen sollte. Das machte sie auch. Scheinbar ungeschickt hatte sie die Bilder aus der Handtasche genommen und Frau Winter hatte sofort auf das Bild von Möbius getippt und bestätigt, das wäre Dr. Keller. „Und wer ist der andere Herr?“ „Verzeihung, meine Sekretärin hat versehentlich zwei verschiedene Fälle durcheinander gebracht. Das Bild hat mit Herrn Dr. Keller nichts zu tun“, während ich „meine Sekretärin“ mit einem bösen Blick bedachte, sagte ich beiläufig, zu Frau Winter: „Na, hoffentlich, kennen Sie den Anderen nicht auch noch zufällig, das wäre mir dann sehr peinlich, wenn wir vor Fremden Identitätsprüfungen durcheinander brächten.“ Frau Winter lachte und sagte: „Die Peinlichkeit kann ich Ihnen nicht ersparen. Aber der ältere Mann auf dem anderen Foto ist Herr Möbius. Der wohnt direkt auf der Rückseite unseres Hauses in der Parallelstraße. Dr. Keller und Herr Möbius kennen sich und sprechen mitunter über den Gartenzaun miteinander. Ich habe ihn zwar in den letzten Tagen nicht gesehen, aber das will nichts heißen, der ist auch immer viel unterwegs.“ Ich tat schockiert und schnauzte Frau Peters an: „Das wird Konsequenzen haben Frau Peters. Sie wissen doch, unser Auftrag ist von größter Diskretion.“ Zu Frau Winter gewandt, meinte ich: „Ich bitte den Vorfall zu entschuldigen. Dürfte ich Sie bitten nicht mit Herrn Möbius darüber zu reden. Das könnte für Frau Peters einen Rauswurf bedeuten und auch ich hätte bestimmt mit Konsequenzen zu rechnen.“ „Das geht schon in Ordnung, ich bin ja keine Tratsche. Aber für was für eine Gesellschaft arbeiten Sie denn, wo derart strenge Vorschriften herrschen?“ 141 „Für eine Versicherungsgesellschaft. Tut mir leid, aber wir müssen jetzt ganz schnell weiter und vielen Dank noch mal, für Ihre Hilfe“, und leiser und verschwörerisch fügte ich hinzu, „und Ihr Schweigen.“ Dann waren wir wieder draußen und ich schaute Frau Peters immer noch böse an, denn ich wusste, Frau Winter stand hinter den Gardinen und sah uns nach. Erst als wir abgefahren waren und um die Ecke gebogen, fuhr ich den Wagen wieder an den Straßenrand, langte hinüber zu Eva, nahm sie in den Arm und küsste sie. „Das hast du toll gemacht. Als wenn wir schon jahrelang im Team arbeiten würden. Die hat keinen Verdacht geschöpft. Jetzt wollen wir doch Mal sehen, was es mit dem Identitätstausch auf sich hat. Was kann den Dr. Keller dazu veranlasst haben dem Möbius zu gestatten seinen Namen und seinen Titel zu führen?“ „Du schließt verwandtschaftliche Beziehungen aus?“ „Nicht völlig; aber nach Vater und Sohn sehen sie nach den Bildern nicht aus.“ „Vielleicht sollte wir vorher herausbekommen, welch einen Doktor, dieser Keller überhaupt hat und außerdem scheint doch die tolle Lola, von der Kneipe, von der du mir vorhin erzählt hast, doch auch zu wissen, dass Möbius sich als Dr. Keller ausgibt, denn sie hat ihm doch scheinbar den Zettel über deine Nachforschungen in den Briefkasten geworfen.“ Wir fuhren an dem Haus vom angeblichen Möbius vorbei und stellten fest, dass es wirklich verlassen wirkte. Im Erdgeschoss waren die Rollläden heruntergelassen und der Briefkasten quoll über. Frau Winter hatte recht gehabt, wenn sie sagte, dass sie Möbius die letzte Zeit nicht gesehen hätte. Er schien nicht zu Hause zu sein. Ich beschloss am Abend einen weiteren Einbruch zu begehen. Wir fuhren weiter bis zum Amtsgericht, weil ich hier versuchen wollte auch in diesen Nachmittagsstunden noch eine milde Seele im Grundbuchamt aufzutreiben, die mir Einblick ins Grundbuch verschaffen könnte. Ich erklärte Eva meinen Plan. Sie sollte 142 den Pförtner ablenken und nach dem Grundbuchamt fragen und dahin wollen, sie wüsste zwar, dass keine Sprechzeiten mehr wären, aber da sie von außerhalb angereist gekommen war und im Stau gesteckt hätte, wolle sie versuchen auf dem inoffiziellen Weg nur schnell einen Gesprächspartner dort zu finden. Währenddessen wollte ich schon vorbei huschen und versuchen den Angestellten dort mit der gleichen Geschichte Einblick in die Akten zu erschleichen. Es klappte viel besser als ich gedacht hatte. Der Pförtner war ein sehr umgänglicher Mann und sehr zuvorkommend. Er hatte nicht nur auf Eva, sondern auch auf mich geachtet und ich wäre nicht ungesehen an ihm vorbei. Aber der hübschen Sekretärin eines auswärtigen Anwalts, wollte er doch gerne behilflich sein. Er sprühte nur so vor Charme, als er uns in den zweiten Stock des Gebäudes führte. Hier wurden wir dann aber von einer sehr frostig blickenden Dame hinter Bergen von Akten empfangen, die die hübsche Eva scheinbar auf Anhieb nicht leiden konnte. Daher sagte ich in Befehlston: „Frau Peters gehen Sie bitte schon mit der Bank telefonieren und avisieren unsere verspätete Ankunft. Ich versuche die Dinge hier noch mit Hilfe der netten Dame zu klären.“ Eva verließ wortlos den Raum und ich wandte mich mit strahlendem Lächeln der jetzt schon nicht ganz mehr so frostigen Dame zu. „Tut mir leid, wenn ich außerhalb der Sprechzeiten hier so hereinplatze, aber wir kommen aus Köln und sind im Stau stecken geblieben. Ich brauche auch nur für unsere Gespräche hier mit der Bank nur klitzekleine Auskünfte über die Liegenschaften – und dann nannte ich beide Adressen. Könnten Sie mir dabei ausnahmsweise auf unbürokratischem Wege helfen?“ Ich hatte meinen bettelnden Hundblick aufgesetzt und sie angestrahlt als sei sie mein vergöttertes Schönheitsideal. Ich hatte Erfolg: Beide Grundstücke waren auf den Namen Dr. Keller, Kunsthistoriker eingetragen. Vor vier Jahren waren 143 seine bis dahin sehr hohen Hypotheken gelöscht und ein Vorkaufsrecht für einen Walter Schiewerski eingetragen worden. Der Wohnort des Schiewerskis war ein Ort an der deutsch-belgischen Grenze. Ich bedanke mich überschwänglich bei der Dame und fragte sie, ob es eine Kaffeekasse gebe, ich würde mich gerne erkenntlich zeigen. Sie meinte zwar, dass dies doch nicht nötig sei, nahm aber dankbar meinen Zwanzigmarkschein an. Dann war ich schnell gegangen. Eva hatte solange bei Pförtner gestanden und er schien bester Laune und ich hatte das Kichern von Eva schon auf der Treppe gehört. Ansonsten hatten wir keinen Menschen in diesem großen Gebäude zu sehen bekommen und ich verstand, dass es für den Pförtner eine mehr als willkommene Abwechslung gewesen war mit Eva zu Plauschen. Sie winkte ihm noch zu als sie hinter mir hereilte. „Und was hast du herausfinden können?“ „Noch einen Namen und einen Ort an der deutschbelgischen Grenze. Aber hier könnte es sein, dass Möbius und der Schiewerski, ein und dieselbe Person sind. Der Vorname ist in beiden Fällen Walter. Und der Doktor ist Kunsthistoriker.“ „Und wie finden wir über den Typen etwas raus?“ „Als erstes fahren wir zu einem alten Freund, der sich mit Kunst und solchen Dingen auskennt, und dann werden wir uns das Haus von dem Knaben später etwas genauer ansehen müssen. Vielleicht finden wir dort Hinweise. Er scheint ja abwesend zu sein, also eher keine Schwierigkeit.“ „Willst du schon wieder einbrechen?“ „Ja, scheint notwendig“, sagte ich einsilbig, weil in meinem Kopf die wildesten Vermutungen durcheinander wirbelten. Es wollte nur nichts Vernünftiges dabei herauskommen. Wir fuhren zusammen in das Viertel, wo betuchte Mitbürger viel Geld für alten Plunder ausgeben und hinterher stolz auf Schränke und Kommoden sind, in denen seit 144 Generationen die Holzwürmer lebten. Aufpoliert und herausgeputzt nennen sie es Antiquitäten. Hier hatte ich einen sehr alten Klienten, dem ich als meinen ersten Fall als selbständiger Ermittler geholfen hatte ein paar ihm gestohlene Dinge wieder zu besorgen. Es waren keine sehr wertvollen Dinge gewesen, aber es waren Familienstücke, die er in Kommission genommen hatte und es wäre mehr als schlecht für ihn gewesen, wenn sie bei ihm weggekommen wären. Dass es die Verkäufer waren, die sich unerlaubt die Sachen zurückgeholt hatten, um einen Versicherungsbetrug daraus zu konstruieren, war die überraschende Wendung in dem Fall gewesen. Der alte Mann konnte mir damals praktisch kein Honorar zahlen aber er hatte mir inzwischen einige lukrativere Aufträge vermittelt und das war für mich ein guter Start gewesen. Er würde mir helfen, wenn er könnte, das wusste ich. Der alte Mann freute sich mich zu sehen, und war noch erfreuter als er die Frau an meiner Seite sah. „Junge, endlich zeigst du guten Geschmack. Kommt mit nach hinten, da hab ich einen feinen Mokka, und einen guten alten Cognac, den sollten wir trinken.“ Eva lehnte Mokka und Cognac ab und bat um ein Wasser. Ich war stolz auf sie, denn sie lechzte inzwischen bestimmt nach Alkohol. „Was führt euch zu mir? Du kommst doch nicht nur um mich zu besuchen. Ist eigentlich schade.“ „Kennst du einen Kunsthistoriker Dr. Keller, oder kanntest du ihn?“ „Meinst du den versoffenen Spinner, der sein ganzes ererbtes Geld versoffen, verhurt und verspielt hat? Der Pornografie nicht von edler Kunst unterscheiden kann? Den sie hier aus der Kunsthalle gefeuert haben, weil er simple Fälschungen nicht erkennen konnte? Fragst du nach Dr. Martin Keller?“ 145 „Ich weiß noch nicht einmal, dass er Martin heißt, aber das übrige scheint ins Bild zu passen. Was hat er nach seinem Rausschmiss gemacht?“ „Er erstellt immer noch Expertisen, aber nur für ganz Blöde. Wenn hier einer zu mir kommt mit solch einem Wisch, den schick ich sofort wieder weg, dann hat er ne echte Fälschung am Hals. Aber ich hab schon lange nichts mehr von ihm gehört oder gesehen. Lebt der überhaupt noch?“ „Ich hoffe, ich hätte nämlich ein paar Fragen an ihn?“ „Hoffentlich nicht über Kunst.“ „Nein keine Bange, ich möchte nur von ihm wissen, warum er seinen Namen einem anderen Menschen leiht.“ „Kann man das?“ „Es sieht so aus. Nach deiner Meinung könnte er in permanenter Geldnot sein, oder steckt im Kunstfälschungshandel oder so was?“ „Ja, ich sagte ja schon: Spieler, Hurenbock und immer besoffen.“ „Könnte es da an der deutsch-belgischen Grenze, oder runter an die luxemburger Grenze so Kunstdiebstahls oder Fälschungsnetz geben, in das er eingespannt ist oder war?“ „Früher galt er als Experte für frühe belgische und holländische Malerei und der schwunghafteste Handel wurde dort unten im Dreiländereck Holland, Belgien, Deutschland abgewickelt, aber das ist eigentlich lange vorbei.“ „Nun gut, das hat erst schon geholfen, wenn ich noch Fragen hab, komme ich wieder.“ „Schick mir lieber die junge hübsche Dame, die sieht viel besser aus als du“, sagte er grinsend als wir uns dankend verabschiedeten. Eva sagte nur als wir in den Wagen stiegen: „Du kennst Leute! Wenn du jetzt auch noch einen guten Koch kennst, der mir was zu Essen gibt, dann wäre ich fast glücklich.“ „Fast?“ 146 „Ja, es fehlt dann nur noch eine Kleinigkeit“, dabei hatte sie mir bezeichnend die Hand auf den Oberschenkel gelegt, was meinen Fahrstil nicht sonderlich gut beeinflusste. Wir kehrten bei dem Griechen bei mir um die Ecke ein und tranken beide nur Wasser und lehnten auch den Ouso zur Begrüßung ab. Gut gesättigt gingen wir dann vergnügt nach Hause. Wir liebten uns lange und zärtlich und kurz vor Mitternacht brach ich zum meinem erneuten Einbruch auf. Wir hatten abgemacht, dass ich mein Telefon nur auf Vibration stellen wollte und sie ihrs hier auch angeschaltet lassen sollte, damit ich sie notfalls erreichen konnte. Meine Klingeltöne hatte ich abgestellt, damit ich nicht plötzlich mit klingelndem Telefon vor einem möglichen Bewohner des Hauses stehen wollte. Ich kam ungesehen in das Haus, durchsuchte alles sehr gründlich, konnte aber keine Unterlagen finden, die mir weitergeholfen hätten. Insgesamt machten die Wohnräume einen liederlichen Eindruck, waren aber nicht vermüllt. Lediglich einige zerrissenen Schuldscheine von Spielhöllen fand ich im Papierkorb. Sie schienen vor nicht allzu langer Zeit bezahlt und zurückgegeben worden sein. Hatte Möbius seinem Namensgeber nach seiner Flucht noch Geld gegeben? Ich hatte mir die Clubnamen gemerkt. Da musste ich auch noch nachforschen. Die einzige wirkliche Überraschung fand ich auf dem Hof zwischen den Häusern. Es gab auch von dieser Seite einen Eingang zu dem Studio, bzw. zu der Dunkelkammer. Ansonsten war der Garten dieses Hofes ziemlich verwildert. Einige hohe Büsche standen zu den Nachbargrundstücken, so dass der Einblick zu dem Grundstück zumindest im Sommer verwehrt blieb. Jetzt schütze es mich vor Entdeckungen. Auch mein zweiter Rundgang brachte keine Erkenntnisse und ich verließ das Haus wieder und nahm die Post, die im Briefkasten steckte mit. Ich wollte sie mir später zu Hause ansehen. 147 Ich rief Eva an; die sich schlaftrunken meldete und sagte ihr, dass alles in Ordnung sei, ich aber nichts Wesentliches gefunden hatte. Auf dem Heimweg machte ich mir Gedanken darüber, wie ich die Beweismittel aus Möbius Studio sicherstellen könnte, ohne die Behörden vorzeitig auf den Plan zu rufen. Ich musste auch noch Gelegenheit finden die Unterlagen des Tresors durchzuarbeiten und dies konnte ich nicht bei mir zu Hause. Ich beschloss zunächst meine Nachforschungen auf den deutsch-belgischen Raum zu konzentrieren. Die Unterlagen wollte ich mitnehmen und notfalls später in Bad Homburg lagern und gemeinsam mit Wiesel und seinen Mitarbeitern aufarbeiten. Hierbei beschäftigte mich natürlich auch der Tresorschlüssel, den ich gefunden hatte aber noch nicht wusste in welcher Bank dieser Tresor war. Es war mir klar, dass wir erst am Anfang unserer Ermittlungen waren. Denn ich musste ja da ansetzen, wo die Behörden scheinbar bewusst nicht nachhaken wollten. 148 Des Teufels Achterbahn Kapitel 2 – Schwindelnde Höhe Ich erwachte vom Duft frisch gebrühten Kaffees. Ein sehr ungewöhnliches Erlebnis in den letzten Jahren. Wann war ich das letzte Mal erwacht und es roch so köstlich? Ich wusste es nicht mehr. Nachdem ich endgültig registriert hatte, dass es nicht ein Traum war, sondern Realität, wurde ich auch noch mit dem Anblick einer nackten Nymphe konfrontiert, die mit einem Tablett ans Bett kam. „Ich kann nicht im Bett frühstücken“, protestierte ich und war mit einem Ruck aus dem Bett. Sie lachte, als sie mich ebenfalls nackt ins Badezimmer verschwinden sah und trug aber brav das Tablett zurück in die Küche. Wenig später saßen wir uns im Adamskostüm gegenüber und ich genoss den Kaffee und den Toast den sie ebenfalls bereitet hatte. Erst als ich meine erste Zigarette geraucht und ausgedrückt hatte, stand sie auf, nach mich an der Hand und sagte: „So, nun solltest du soweit gestärkt sein, dass du das nachholst, wovon ich die letzte Nacht nur träumen konnte“, und zog mich zurück ins Schlafzimmer. Wie sollte ich ihr widerstehen können? Es war ein zärtlicher Tagesbeginn und wir lagen noch lange nach Befriedigung unserer Sinne aneinander gekuschelt und streichelten uns gegenseitig. Das anschließende gemeinsame Duschen geriet beinahe zu einem weiteren Vorspiel, bis mir die Probleme unsere Nachforschungen in den Kopf schossen. Wir rubbelten uns zwar noch gegenseitig ab, aber dann beeilte ich mich in meine Kleidungsstücke zu kommen. Schon während ich mich anzog, hatte ich Eva mein weiteres Vorhaben erklärt und stürzte zum Telefon um Lars mit einigen Nachforschungen zu beauftragen. Er sollte bei den Meldebehörden, und danach in den Polizeiakten nach Schiewerski und nach Auskünften über diese Person suchen. Wenn er Glück hatte, würden ihm diese Informationen auf 149 dem kleinen Dienstweg erteilt. Er sagte mir seine Unterstützung zu, ohne nachzufragen, wieso ich diese Auskünfte brauchte. Während des Telefonats hatte ich schon meinen Computer hochgefahren und eine Telefonauskunfts-CD eingelegt. Hier suchte ich unter dem Ort Monschau nach eben diesem Mann. Ich fand vier Adresseinträge. Dann schrieb ich die die Adressen der Spielclubs auf, von denen ich gestern die zerrissenen Schuldscheine gefunden hatte. Es wäre vielleicht besser gewesen sie mit zu nehmen und dort zu präsentieren um weitere Nachforschungen anstellen zu können, aber damit hätte ich eindeutig Beweismittel unterschlagen, die auch für die Polizei noch wichtig werden könnten. Ich musste mir bei den Besuchen dieser Clubs also etwas einfallen lassen. Die Ausstellungsdaten dieser Schuldscheine lagen nicht länger als zwei Monate zurück und ich hoffte darauf, dass sich Jemand in diesen Clubs daran erinnern könnte. Dann bat ich Eva zwei Koffer mit den gebräuchlichsten Kleidungsstücken zu packen und ich packte einen Spezialrucksack mit Dingen, die mich in einer Polizeikontrolle sicherlich auffallen lassen würde. Diverse Einbruchwerkzeuge nebst meiner Pistole waren darin verstaut. Lars hatte noch nicht zurückgerufen und ich stellte den Ruf meines Telefons auf mein Handy um und wir verstauten unsere Reiseutensilien im Wagen und fuhren los. Zunächst nur bis zum Kleingartengebiet, wo der Kleingarten von Lars war. Ich konnte nur hoffen, dass kein neugieriger Nachbar darüber fiel, dass ich eine Leinentasche aus dem Geräteschuppen holte. Da es schon nach 11 Uhr war und das Wetter strahlend, war es ganz natürlich, dass die Nachbarn auf den jeweiligen Nebengrundstücken am Wirken waren. Ich hatte den Rucksack aus dem Wagen dabei, als ich das Tor, das in eine 150 Ligusterhecke eingelassen war, aufschloss. Ich winkte den Nachbarn und sie winkten mir ebenfalls zu. Eva ging etwas verschüchtert hinter mir, winkte dann aber auch freundschaftlich und wir schlossen das kleine Holzhäuschen auf und holten uns Stühle heraus und setzten uns in die Sonne. Ich ging nach kurzer Zeit zum Geräteschuppen und holte zwei Gießkannen hervor, die ich an der Pumpe hinter dem Holzhaus füllte. Dann begann ich die verschiedenen Rabatten zu gießen. Eva hatte begriffen und goss auf der anderen Seite. Das rechte Nachbarsehepaar rief uns zu, dass wir doch hinüber kommen sollten um mit ihnen vom Grill zu Essen. Ich bedauerte sehr und rief zurück: „Schade, wir wären gerne geblieben; aber wir gießen nur schnell und müssen dann weiter. Wir müssen noch nach auswärts, haben aber Lars versprochen noch für die Pflanzen zu sorgen. Er wusste noch nicht, ob er es in den nächsten Tagen schafft hierher zu kommen. Aber vielen Dank für die Einladung.“ Wir machten jetzt schnell unsere Arbeit fertig, dann holte ich die Tuchtasche und trug sie gemeinsam mit meinem Rucksack vom Grundstück. Eva hatte inzwischen die Stühle zurückgestellt und alles wieder verschlossen. „Wieso waren die nicht misstrauisch? Völlig Fremde auf dem Grundstück, und dann laden sie uns auch noch ein?“ „Ich bin hier nicht ganz unbekannt. Ich bin schon einige Male mit Lars hier gewesen und wir haben zusammen mit den Nachbarn schon ein paar Bier getrunken. Aber Lars muss nicht wissen, dass ich die Tasche auf seinem Grundstück deponiert hatte, denn was er nicht weiß, kann er auch den Polizisten nicht mitteilen. Er würde sonst in unsere nicht ganz legalen Unternehmungen hineingezogen, und das möchte ich nicht.“ Als wir beim Wagen ankamen, klingelte mein Handy. Es war Lars, der mir meine Informationen geben konnte. Ich sagte ihm nur:“ Wart einen kleinen Moment, damit ich in den 151 Wagen kriechen kann, um zu notieren, was du herausgefunden hast. Wir kommen gerade von deinem Schrebergarten, da ist es jetzt richtig schön. Wir haben schon alles gegossen, du brauchst heute nicht extra mehr hinfahren.“ „Was machst du in meinem Schrebergarten“, fragte er verdutzt. „Es ist so schönes Wetter, und Eva kann ruhig etwas Sonne vertragen und auch die ländliche Ruhe tut ihr gut. Du hattest doch nichts dagegen?“ „Warum sollte ich, dafür hab ich dir damals die Schlüssel gegeben und dass ich heute nicht mehr raus muss, passt mir auch ganz gut, bist du soweit Notizen machen zu können?“ „Ja, schieß los.“ Nach seinen Unterlagen war Schiewerski ein 35 jähriger Mann, unverheiratet, der ein kleines Transportunternehmen in Monschau besaß. Nichts großes, aber ein Unternehmen, das schon lange bestand. Er hatte es scheinbar von seinem Vater übernommen. Ein Bild gebe es leider nicht. Er teilte mir noch die genaue Adresse mit und ich bedankte mich und sagte ihm, dass er mich in der nächsten Zeit nur über Handy in der Gegend von Frankfurt am Main erreichen könne. „War das schon alles?“ „Ja, leider gibt es noch nicht mehr. Hast du was über die Nachforschungen nach diesem Möbius gehört?“ „Nein, man hat mir auch keine Auskünfte erteilen können, obwohl ich danach gefragt habe. Es scheint Mal wieder keiner zuständig zu sein. Du weißt doch, Sozialversicherungsbetrug ist ein Kavaliersdelikt! Ich möchte kotzen.“ „Den kriegen schon noch. Die wollen ja auch noch ein paar andere Dinge von ihm wissen. Also, ich melde mich erstmal ab und du hörst wieder von mir. Danke für die Hilfe.“ „Teufel, du führst doch schon wieder was im Schilde. Du bist doch sonst nicht so höflich.“ 152 „Ich besser mich gerade. Ist eine gute Übung. Schöne Grüße auch von Eva“, und damit legte ich auf, damit er nicht noch misstrauischer wurde. Ich fuhr aus der Stadt und auf der Autobahn hielt ich mittlere Geschwindigkeit und Eva genoss die Fahrt sichtlich. Sie saß völlig entspannt neben mir und summte die Melodien, die leise aus dem Autoradio kamen mit. Wenn der Verkehr es zuließ hielten wir Händchen. Nach zwei Stunden Fahrt verließ ich die Autobahn und wir fuhren durch kleine Orte und fanden schließlich ein Hinweisschild auf ein Waldcafé. Hier machte wir Rast, tranken Kaffee und aßen Kuchen, der frisch von der Inhaberin gebacken war. Warmer Apfelkuchen. Er schmeckte uns köstlich. Von hier aus telefonierte ich auch mit dem Büro Starck und ich kündigte unser Erscheinen an. Wilhelm Starck war zwar im Moment nicht anwesend, aber er würde später wieder erscheinen. Wir sollten nach Möglichkeit vor 17 Uhr eintreffen, weil man nicht wüsste, ob er abends das Haus nochmals verlassen würde und wenn wir das nicht schaffen könnten, ob man mich zurückrufen könne? Ich hinterließ meine Handynummer. Danach hatte ich es dann eiliger und fuhr zurück auf die Autobahn und zeigte Eva im Vorüberfahren die Stelle wo Lewinski durch die Leitplanke und das Brückengeländer in den Abgrund gerast war. Das Geländer war nur provisorisch ausgebessert worden und die Leitplanke war immer noch zerfetzt. Eva schauderte neben mir. Schon vor Gießen hörten wir die Stauwarnungen, dass sämtliche Autobahnen rund um Frankfurt verstopft seien und kurz vor Gießen setzte dann der erste Stau ein und ich entschloss mich über die Landstraßen weiter zu fahren. Hier war zwar auch dichter Verkehr, aber wir kamen über Butzbach und Friedrichdorf recht gut voran und waren kurz vor 17 Uhr am Ziel und ich fuhr auf den Hof der alten Villa 153 an der Parkpromenade. Eva war beeindruckt von diesem Haus. Sie war noch mehr beeindruckt, als wir ins Innere kamen und uns Starck mit seiner mir bekannten Herzlichkeit begrüßte. Wir setzten uns in die Besucherecke seines Privatbüros und er entschuldigte sich für einen kleinen Moment und gab über eine Sprechanlage diverse Befehle an seine Mannschaft in den anderen Büros weiter. Dann telefonierte er leise, legte auf und kam mit strahlendem Lächeln zu uns herüber. Er hatte sofort eine neue Verehrerin: Eva. Wenig später öffnete sich die Tür und Frau Starck, eine für ihr Alter sehr attraktive, modisch gekleidete Frau. Starck stellte Eva seiner Frau vor und wir wurden mit Handschlag begrüßt. Die fragte mich lächelnd: „Waldi, gibst du jetzt endlich dein ruheloses Junggesellendasein auf und willst uns die Braut vorstellen, oder seit ihr schon auf Hochzeitsreise? Ihr seht zumindest so glücklich aus.“ Sie hatte mir ein Stichwort gegeben, von dem sie nichts ahnen konnte; aber ich nutzte es sofort: „Ja, ich will meine Eva heiraten, aber erst müssen wir noch einige Dinge bereinigen und darum bitte ich um eure Mithilfe. Wenn ihr mich schnell unter die Haube bringen wollt, solltet ihr mir ganz heftig helfen, sonst müsst ihr auf die Feier noch ein wenig warten.“ Eva schien wie vom Schlag getroffen, und stammelte unter Schluchzern: „Waldi Teufel, du willst mich wirklich heiraten? Mich? Wenn das alles vorbei ist, willst du mich wirklich?“ „Ja, ich will wirklich.“ Eva war fassungslos und die Tränen rollten aus ihren Augen und sie war nicht fähig ein Wort herauszubekommen. Frau Starck hatte zunächst ebenfalls verblüfft geschaut aber dann hatte sie angefangen schallend zu lachen und sprudelte prustend heraus: „Waldemar Teufel, was bist du nur für eine Type? Traust dich nicht einen Heiratsantrag in trauter 154 Zweisamkeit auszusprechen, sondern brauchst Verstärkung von Freunden. Wenn das gleichzeitig die Aufforderung an uns gewesen sein soll, Trauzeuge zu sein, auch das ist angenommen. Und jetzt will ich, obwohl es altmodisch ist, mit euch Verlobung feiern. Teufel ab jetzt kannst du nicht mehr zurück!“ Sie war aufgestanden und hatte sich zu der rückwärtigen Büroschrankwand bewegt und hatte eine der Türen geöffnet. Dahinter verbarg sich eine Bar mit blitzenden Kristallgläsern und einer stattlichen Anzahl von Flaschen. In einem weiteren Fach war ein Kühlschrank. Hieraus entnahm sie eine Flasche Champagner und drückte sie ihrem Mann in die Hand, während sie schon zurückeilte um Gläser zu bringen. Starck hatte die Flasche entkorkt und schenkte ein und verteilte die Gläser. Sie prosteten der immer noch schluchzenden Eva zu. Ich hatte endlich meinen Arm um sie gelegt und drückte sie ganz fest an mich und fragte sie: „Du willst mich doch, deinen chaotischen Teufel? Oder?“ Jetzt fing sich Eva langsam wieder und antwortete sehr fest: „Und ob.“ Wir hatten die Gläser nur angetrunken als ich auf mein Anliegen, dass mich eigentlich hierher geführt hatte zu sprechen kam. Frau Starck hörte nur einen kleinen Augenblick zu, dann ergriff sie Evas Arm und sagte: „Kommen Sie Kind, das ist reine Männersache. Die Beiden sollen Pläne schmieden, während wir uns angenehmeren Dingen widmen“, und zu uns gewandt, „wenn ihr mit dem Thema durch seid, dann möchte ich in zwei Stunden mit euch in der Ente in Wiesbaden tafeln. Wir bestellen einen Tisch und während des Essens keine weiteren Diskussionen. Einverstanden?“ Wir nickten nur zustimmend, und mir kam nur ganz kurz in den Sinn, dass Eva sicherlich keine passende Kleidung für den Rahmen der Ente eingepackt hatte. Aber der Gedanke kam mir nur ganz kurz und ich schilderte Wiesel die bisherigen Vorkommnisse, meine „Fundunterschlagung“ und meine 155 Pläne und meine bisherige Suche nach einem der Hauptverantwortlichen und einer verschwundenen ehemaligen Mitarbeiterin der Gemeinde. Ich fasste all meine bisherigen Erkenntnisse zusammen und Wiesel hatte mich kaum einmal unterbrochen um kurze Fragen zu stellen. Nach etwa einer Stunde hatte ich meinen Bericht beendet und er entschied: „Genug für heute. Wir werden morgen früh um acht Uhr anfangen sämtliche Originalunterlagen, die du angeschleppt hast Stück für Stück zu fotokopieren. Nach Fertigstellung der Kopien werden wir gemeinsam mit einem Notar die Originale versiegeln und du wirst an Eidesstatt erklären, dass du weder Papiere entfernt, noch dazugefügt hast und den Fundort dieser Akten exakt beschreiben. Des Weiteren wirst du ebenfalls unter Eid die Begründung zur Sicherstellung dieser Akten abgeben, dass nämlich zu diesem Zeitpunkt immer noch Gefahr bestand, dass Lewinski oder auch Möbius zurückkehren könnten um diese Akten zu vernichten. Die Akten werden dann versiegelt in einem Banktresor, am besten später, wenn du wieder daheim bist, bei einer dortigen Bank hinterlegt. Von Geldbeständen, Goldbarren und einem Tresorschlüssel habe ich nichts gehört und auch nichts gesehen. Nach der Versiegelung wirst du deine Nachforschungen in Monschau und in Belgien und Holland beginnen, während ich hier das Beweismaterial gegen die weiteren Mitwisser, Helfershelfer und Hintermänner durcharbeite. Wenn wir auf begangene Straftaten stoßen sollten, die über das Maß von Bestechung oder ähnlicher Delikte hinausgehen, werden wir sofort die Polizei einschalten. In den anderen Fällen, überlegen wir uns, wie wir die Unterlagen besser verwerten können. Und ich denke da keineswegs an Erpressung. Wenn du jemals daran gedacht haben solltest, sind wir geschiedene Leute. Und jetzt lass uns gehen, wir sollten die Damen nicht enttäuschen.“ 156 Er hatte mein Einverständnis zu den Maßnahmen einfach vorausgesetzt und die Tuchtasche verschwand in seinem Tresor und wir verließen das Büro und gingen in die Privatgemächer der Eheleute Starck. Hier erwartete mich eine umwerfende Überraschung. In der Diele empfing uns Frau Starck und sandte uns direkt in ein Ankleidezimmer und hier hingen neben den Sachen für Wiesel, Oberhemd, Krawatte und ein dunkelblauer Anzug mit Weste für mich bereit. Ein Paar auf Hochglanz polierter Schuhe fehlte ebenfalls nicht. Alles passte hervorragend. Wie Frau Starck es geschafft hatte, diese Dinge, und das noch passend, zu beschaffen, war mir unerklärlich. Als wir dann ins Wohnzimmer traten, fielen mir die Augen fast aus dem Kopf. Eva in einem „Kleinen Schwarzen“. Ganz schlicht gehalten, mit Spagettiträgern und ganz dezentem Paillettenbesatz um den tiefen Ausschnitt. Als sie sich umdrehte um vor uns hergehend Frau Starck zum Ausgang zu folgen, gewahrte ich einen atemberaubenden Rückenausschnitt, der knapp oberhalb des Poansatzes endete. Auch die Schuhe waren neu und höher, als sie sonst trug. Das betonte ihre schön geformten Beine. Ich war entzückt. Wir gingen zu einer Langlimousine deren Türen von einem uniformierten Chauffeur aufgehalten wurden. Wir saßen uns gegenüber. Die Damen in Fahrtrichtung, die Herren entgegen. Die Türen hatten sich kaum geschlossen als ich herausplatzte: „Wie hast du das geschafft? Für Eva und für mich diese tolle Kleidung passend zu beschaffen, und das in dieser kurzen Zeit.?“ „Das war gar nicht so schwer. Deine Maße waren mir immer noch bekannt, denn es ist nicht solange her, dass ich dich einkleiden musste. Zu der Zeit warst du nicht gerade sehr selbstständig. Und als ich heute gesehen habe, dass du dich seit unserem letzten Treffen nicht allzu sehr verändert hast, konnte ich einfach einen Anzug herauskramen, den du nicht mehr bekommen hast, weil du schon wieder auf Wanderschaft 157 warst, als er endlich fertig war. Die Anproben hattest du damals aber noch alle über dich ergehen lassen. Für Eva, war es auch nicht so schwierig. Wir sind einfach direkt aus dem Haus und sind in die edelste Boutique, die hier beheimatet ist. Das ist dabei herausgekommen. Und es schickt sich nicht, eine Dame derart unverschämt anzustarren, auch wenn man mit ihr verlobt ist. Da mir klar war, dass du keinen Ring tragen wirst, haben wir für deine Braut aber schon mal gesorgt. Zufällig ist direkt neben der Boutique ein Juwelier. Eva zeig doch Mal deinen Ring.“ Zögerlich und schüchtern streckte Eva ihre linke Hand in meine Richtung. Trotz des gedämpften Lichts hinter den getönten Scheiben der Limousine konnte ich das Gefunkel vor dem schmalen Goldreif erkennen. Ich hielt Evas Hand, die sich dazu vorbeugen musste, und wusste nicht wohin ich zuerst schauen sollte, auf die Hand mit dem Ring oder in ihr aufregendes Dekolletee. „Teufel, benimm Dich“, ertönte wieder die ruhige Stimme, der älteren Frau, „der Ring ist unser Geschenk zu eurer Verlobung. Er soll nicht nur euch, sondern uns alle verbinden.“ Ich musste mich räuspern bis ich etwas herausbringen konnte. Es wurde nur ein gestammeltes: „Danke“, und die Wellen des Glücks überschwemmten mich. Mein Herz raste als würde es Loopings drehen und ich fühlte mich glücklicher, als jemals zuvor in meinem Leben. Diese Stimmung hielt auch während des Essens an. Köstliche Gänge und köstliche Weine wurden serviert. Es war ein Fest der Sinne. Ein Rausch der Glückseligkeit, der auch nicht endete als ich Eva später im Hotelzimmer aus dem aufregenden Kleid befreite und dem Hauch von Dessous und jeden Millimeter ihres Körpers mit Küssen bedeckte und die Wogen der Sinnlichkeit über uns hinwegrauschten. Selbst das Erwachen war ein einziger Rausch. Wir waren immer noch vereinigt und es fiel uns schwer uns zu trennen. Eva hatte schlaftrunken gemurmelt: „So möchte ich eines 158 Tages sterben. Eins mit Dir, mein geliebter Mann“, dann hatte sie sich sanft von mir heruntergerollt. Wenn wir unsere Verabredung einhalten wollten, mussten wir uns beeilen. Ich hatte beobachtet, wie sie, während wir uns im Badezimmer ausgehfertig machten, immer wieder ungläubig ihren Ring betrachtete. Ich hatte sie noch nie so strahlend und jugendlich erlebt. Ohne zu frühstücken eilten wir zu Starcks Villa und fingen an die Unterlagen zu fotokopieren. Wir benutzten zwei Kopiergeräte und arbeiteten in zwei Teams. Wiesel mit seiner Frau und Eva und ich. Nach zwei Stunden intensiver Arbeit hatten wir alles geschafft. Die Originalunterlagen waren wieder in den Heftern in der Reihenfolge wie wir sie vorgefunden hatten abgeheftet und Stöße von Papier der Kopien stapelten sich auf einem Schreibtisch. Jeder Fall war durch verschiedene Papierlagen getrennt. Wir hatten von jedem Vorgang jeweils drei Kopien angefertigt. Es gab Kontoauszüge; Berichte von Ermittlern unterstützt von Fotos. Bei der Arbeit war mir auch aufgefallen, dass manche Akten besondere Vermerke trugen, die auf bestimmte VideoKassetten oder Tonträger hinwiesen, die nicht im Tresor vorhanden gewesen waren. Ich schloss daraus, dass damit nur Dinge gemeint sein konnten, die im Studio des Herrn Dr. Keller lagerten. Es war wichtig, dass wir diese Unterlagen ebenfalls sicherstellen konnten. Wiesel und ich diskutierten darüber, auf welche Art wir uns in den Besitz dieser Unterlagen bringen könnten, kamen aber zunächst noch zu keinem festen Plan. Dann erschien der Notar und es wurde sehr förmlich. Erst nachdem er aus den Originalunterlagen ein versiegeltes Packet geschnürt hatte und sämtliche Formalitäten erledigt waren, kamen zwei Mitarbeiterinnen des Notars gemeinsam mit einem Fahrer, die dieses Packet bei einer Großbankfiliale in Bad Homburg in 159 einem Tresorfach hinterlegen sollten. Der Notar fuhr zur Überwachung der Hinterlegung und zur Erstellung eines Protokolls mit. Unsere Diskussion über die Möglichkeiten der Beschaffung des Video- und Bildmaterials setzten wir nach dem Verschwinden des Notars fort und wir wurden uns einig, dass es nur mit Wissen und Genehmigung der Aufwartefrau geschehen konnte. Wiesel versprach einen seiner Leute darauf anzusetzen, mögliche Schwachpunkte dieser Frau Winter herauszufinden um sie zu einer Mitarbeit und zum Schweigen verpflichten zu können. Er instruierte sofort einen Mann, gab ihm die Adresse der Frau und machte ihm die Bedeutung und Wichtigkeit des Falles klar. Der Mann verschwand mit dem Hinweis, dass er täglich berichten würde. Nach einem schnellen Mittagessen in der Kantine des Starck-Büros schickte Wiesel Eva und mich zurück ins Hotel, damit wir dort unsere Sachen packen könnten um Richtung Aachen aufzubrechen. Hier sollten wir uns dann später bei einem ihm befreundeten Autohändler melden, der uns ein unauffälliges Auto mit belgischer Zulassung überlassen würde. Unseren Wagen sollten wir bei dem Händler bis Beendigung unserer Nachforschungen unterstellen. Zum Abschied gab er mir noch eine schmale Mappe mit Informationen, die er inzwischen über Schiewerski besorgt hatte. Wir packten unsere Sachen und als ich an der Rezeption zahlen wollte, sagte man mir, dass alles schon beglichen sei. Ich hatte die Akte im Rucksack verstaut und nicht hineingesehen, Da wir erst nach Feierabend in der KfzWerkstatt in Aachen erscheinen sollten, nahm ich die landschaftlich schönere Strecke durch den Taunus und fuhren gemächlich bis Bad Camberg und wechselte dann erst auf die Autobahn. Da Stauwarnungen für den Großraum Köln über den Verkehrsfunk gemeldet wurden, wechselte ich von der A3 160 bei Koblenz auf die A61 und umging die Staus. Dadurch waren wir viel zu früh in Aachen und wir beschlossen durch die Altstadt zu Bummeln. Das Wetter hatte gehalten und wir setzten uns in ein Straßencafé und tranken Kaffee und Eva wollte ein großes Stück Kuchen. Wir saßen dort und genossen unsere Zweisamkeit, das Wetter und Eva den Kuchen. Wir betrachteten die vorüber schlendernden Menschen und machten unsere Kommentare. Wir lästerten über die Mode der Jugendlichen, die Haarmoden und erheiterten uns über zu dicke Frauen, die in völlig unpassenden Kleidungsstücken einher liefen. Wir waren glücklich miteinander. Kurz nach 18 Uhr gingen wir zurück zur Parkgarage, in der wir unseren Wagen abgestellt hatten und fuhren zur etwas auswärts liegenden Werkstatt. Der Meister hatte uns schon erwartet und hatte es scheinbar eilig, denn er forderte uns nur auf, unsere Sachen in einen Pajero mit belgischem Kennzeichen umzuladen und händigte uns die Papiere aus. Ich übergab ihm dafür meinen Autoschlüssel. Er machte uns noch eine Wegbeschreibung, wie wir am besten nach Monschau kommen würden und verabschiedete sich dann. Ich begutachte die Wagenpapiere und fand heraus, dass der Wagen auf einen Herrn Brijon in Antwerpen zugelassen war. Da aber sämtliche Papiere, einschließlich des Kraftfahrzeugbriefes vorhanden waren, würde ich sicherlich keine Schwierigkeiten bekommen. In einer Wechselstube an dem Autobahnübergang nach Belgien besorgte ich mir einen guten Betrag an Belgischen Franc und fuhr nach Belgien hinein. Wir folgten den Hinweisschildern nach Eupen, um dann endgültig auf einer mittleren Landesstraße Richtung Monschau zu einem weiteren Übergang nach Deutschland zu fahren. Hier gab es nirgendwo Kontrollen und wir suchten uns in Monschau ein größeres Hotel. Wir mieteten uns gleich für eine ganze Woche ein. Im Zimmer packten wir unsere Sachen aus und ich verstaute den Rucksack im Kleiderschrank. Dabei fiel mir der 161 Aktenordner, den Wiesel mir gegeben hatte wieder ein. Eva war im Badezimmer verschwunden und ich hörte sie unter der Dusche trällern. Sie schien glücklich. Ich schlug die Akte auf und ein Bild in DIN A4 Größe erregte sofort meine Aufmerksamkeit. Dieses Bild war zwar per Fax übermittelt worden und nicht besonders detailreich, aber der Mann war gut zu erkennen. Walter Schiewerski war kein anderer, als Walter Möbius. Ich sann einen kleinen Augenblick darüber nach, wie es wohl angehen konnte, dass der eine Möbius in Monschau ein Transportunternehmen leitete und der andere Möbius in der Kirchengemeinde in Norddeutschland als Verwalter tätig war. Von seinen übrigen Aktivitäten und dem Namenstausch mit Dr. Keller ganz abgesehen. Irgendetwas passte ganz und gar nicht. Ich starrte das Bild immer weiter an; aber mir kam keine Erleuchtung. Aus den Unterlagen ging ferner hervor, dass Schiewerski direkt auf dem Gelände seines Unternehmens wohnte. Ich hatte mir an der Rezeption eine Straßenkarte vom Ort geben lassen, aber ich konnte die Adresse auf dem Plan nicht finden. Woran lag das nun schon wieder? Ich war derart in meinen Gedanken versunken, dass ich Eva überhört, und wie sie sich ausdrückte, was viel schlimmer war, übersehen hatte. Dabei stand sie als Aphrodite vor mir – wahrlich dem Schaum entstiegen – und wollte frottiert werden. Es war ihr anzusehen, dass dies nicht ihr einziges Begehr war. Der Anblick machte mich schwach, und stark zugleich. Ich vergaß die Probleme um Schiewerski und ließ die Papiere einfach auf den Fußboden fallen und griff nach ihr. Sie hatte breitbeinig vor mir gestanden und ich hatte nach ihren Brüsten gegriffen. Sie leitete meine eine Hand an ihren Schoß und flüsterte: „Bitte gib mir die Zärtlichkeit deiner Hände“. Ich streichelte sie, wie sie es von mir erwartete und sie kam erstaunlich schnell zu einem gewaltigen Höhepunkt. Ihr Körper straffte sich gegen meine Hände, ihre Muskeln 162 strafften sich und zuckten und dann sank sie zusammen und auf die Knie. „Ich danke dir Liebster“, hauchte sie und fiel noch ein wenig mehr in sich zusammen. Ich war gebannt. Noch nie hatte mir eine Frau für einen Liebesakt gedankt. Es war für mich etwas ganz Neues. Ich war aufgewühlt und erschrak als ich den Schreckenslaut aus Evas Mund hörte: „Das ist ja Möbius“, quiekte sie geradezu, und deutete auf das Bild auf dem Fußboden. Schlagartig waren die Gefühle, die eben noch auf dem Höhenflug gewesen waren, zerstört. Wir starrten jeder auf das Bild. Ich war schlagartig wieder in der Wirklichkeit und Evas Reaktion war geradezu panisch. „Ich will nicht, dass er mir schon wieder zuschaut. Ich will das nicht!“ Sie war aufgesprungen und zurück ins Bad gerannt. Dort hörte ich sie laut schluchzen. Ich ging hinter ihr her und nahm sie in den Arm. Sie wollte mich abschütteln, aber ich hielt sie fest. „Es war doch nur ein Bild, mein Schatz. Nur ein Bild“, versuchte ich sie zu trösten. Sie schluchzte immer weiter nur: „Nein, nein, nein, ich will es nicht.“ Sie weinte fast eine halbe Stunde, dann hatte ich sie soweit beruhigt, dass ich sie aus dem Bad führen konnte, an dem jetzt umgedrehten Bild vorbei zum Bett. Ich forderte sie auf sich anzuziehen, weil wir noch etwas Essen wollten. Sie gehorchte fast mechanisch, immer einen großen Bogen um die Papiere auf dem Boden machend. Ich packte endlich die Papiere zusammen und verstaute sie im Rucksack im Kleiderschrank. Dennoch brauchte Eva noch eine Weile bis sie sich im Badezimmer soweit restauriert hatte, dass wir das Zimmer verlassen konnten. Wir fanden noch ein Wirtshaus, das auf der Karte „gutbürgerliche Küche“ anbot und die Karte war umfangreicher als ich erwartet hatte. Die Bedienung hatte nur gebeten, dass wir schnell wählen sollten, da ansonsten die Küche geschlossen würde. 163 Eva behauptete zwar, dass sie keinen Hunger hätte, aber ich bestellte zwei Rumpsteaks mit Champignons und Bratkartoffeln und zwei kleine Bier. Als wir das kalte Bier antranken, konnte ich Eva die Überwindung ansehen, die es sie kostete, das Bier nicht auf einen Zug herunterzukippen. Als das Essen serviert wurde, bestellte ich weitere Biere, diesmal große. Eva lächelte mich dankbar an und aß dann doch mehr, als ich erwartet hatte. Wir schafften beide unsere Portion, obwohl sie sehr üppig war. Als wir nach dem Essen bei einem weiteren großen Bier und einem doppelten Schnaps saßen, beide eine Zigarette angezündet hatte, war die Spannung von Eva gewichen und sie hatte meine Hand ergriffen und sagte: „Danke Großer, danke für Alles, und ich hoffe, dass ich nicht wieder so idiotisch reagieren.“ Dann hatte sie mir tief in die Augen gesehen und ein ganz entferntes Lächeln hatte ihr Gesicht überzogen. Sie war ganz in sich versunken und sie lächelte mich dabei an. Später auf dem Heimweg hatte sie sich bei mir untergehakt und war immer wieder stehen geblieben um mir flüchtige Küsse zu geben. Kurz vor dem Hoteleingang hatte sie mich in den Schatten eines Torbogens gezogen und hatte mich leidenschaftlich geküsst und hatte gesagt: Waldemar Teufel, ich liebe dich unendlich. Ich liebe dich über alles. Und jetzt bin ich todmüde.“ Sie hatte sich hastig entkleidet, als wir im Zimmer angekommen waren und war sofort ins Bett gekrochen. Als ich nach dem Duschen aus dem Bad kam, schlief sie schon. Sie schlief auch noch friedlich, als ich um 7 Uhr wieder erwachte, mich leise anzog und nach unten in die Lobby ging. Ich hatte ihr eine kleine Notiz geschrieben, dass ich die ersten Erkundigungen einziehen wollte und sie mich später im 164 Frühstückszimmer finden könnte. Mein Handy hatte ich mitgenommen. Warum ich meine Pistole im Schulterhalfter angelegt hatte, wusste ich später nicht mehr zu sagen. Ich ging hinüber zur Rezeption und wollte nach der Wegbeschreibung zum Anwesen des Walter Schiewerski fragen, da es auf dem Stadtplan nicht zu finden war. Die Frau die lächelnd aus dem Hinterraum der Rezeption auf mich zutrat und mich nach meinen Wünschen fragte, war mir sofort bekannt. Es war die freundliche Bedienung aus dem Restaurant, wo wir unser gestriges spätes Nachtmahl eingenommen hatten. Ich staunte nicht schlecht. „Sie sind doch die Bedienung, die uns gestern Abend noch spät etwas zu Essen serviert hat? Mussten Sie zur Frühschicht schon wieder hier antreten? Gehören das Lokal und das Hotel einem Betreiber?“ „Nein, die Betreiber sind verschieden und ich bin hier nicht zur Frühschicht, sondern habe den Nachtdienst gemacht. Aber gleich darf ich Feierabend machen. Und Sie sind der Gast, der gestern noch spät mit einer ziemlich verweinten Frau in ein Lokal kam, um etwas zu Essen. Hatten Sie sich gestritten?“ „Eigentlich nicht, aber manchmal müssen Frauen weinen, wenn sie mit unangenehmen Dingen konfrontiert sind.“ Sie hatte ein wissendes Lächeln aufgesetzt und fragte weiter: „Sie hatten eigentlich nicht wie Abtreibungstouristen ausgesehen. Sie wollen sicher die Adresse von einem Arzt auf der anderen Seite der Grenzen und einen ortskundigen Führer, um die Angelegenheit diskret erledigen zu können?“ Ich hatte die Frau verblüfft angesehen: „ Das gibt es noch immer hier in der Gegend? Ist das denn noch nötig?“ „Solange Männer Politik betreiben und Pfaffen dahinterstecken, werden die Frauen mit ihren Nöten auf dieser Seite der Grenze immer in Stich gelassen“, sagte sie ernsthaft und ein wenig bedauernd lächelnd, „wie kann ich Ihnen denn helfen?“ 165 „Ich suche wirklich eine Adresse; aber ein ganz anderer Art. Meine Frau und ich haben ganz andere Sorgen, nur nicht eine ungewollte Schwangerschaft. Vielleicht können Sie uns helfen, denn auf dem Stadtplan, den ich habe, kann ich sie nicht finden.“ Da ich die Adresse von Schiewerski nicht im Kopf hatte, zog ich den Zettel mit der Adresse heraus und las sie ab. Das Gesicht der Frau veränderte sich plötzlich und alle Freundlichkeit war verschwunden. „Was wollen Sie von dem Mann? Sie werden ihn nicht erreichen.“ „Woher wollen Sie das wissen?“ „Er ist schließlich mein Mann. Und ich werde es nicht zulassen, dass sich wieder ein verrückter Schnüffler in unsere Angelegenheiten mischt. Was wollen Sie von ihm? Und erzählen Sie mir ja keine Märchen.“ Ich schaute die Frau an und sah ihre ehrliche Empörung. „Gnädige Frau, ich möchte Ihren Mann nur in einer etwas ungewöhnlichen Grundbuchangelegenheit befragen. Ich habe dort einen Eintrag gefunden, der diese Fragen aufwirft und die zu klären sind. Wenn Sie gleich Feierabend haben, dann kann ich Sie nach Hause fahren und Ihr Mann wird mir diese Fragen ganz schnell beantworten können.“ „Eine Grundbucheintragung?“ „Ja, ein Vorkaufsrecht. Scheinbar hat ihr Mann schon eine größer Summe zur Ablösung alter Hypotheken für dieses Recht einbezahlt.“ „Wir sollen eine größere Summe gezahlt haben? Das ich nicht lache. Unser Geschäft geht so schlecht, dass ich in zwei Schichten dazuverdienen muss, und dann sollen wir Geld für eine Immobilie gezahlt haben? Sie müssen sich schon andere Märchen einfallen lassen, wenn Sie mit meinem Mann sprechen wollen. Da steckt doch bestimmt wieder sein verbrecherischer Bruder dahinter, und mit dem wollen wir nichts zu tun haben.“ 166 Sie wollte auf dem Absatz kehrt machen und mich einfach stehen lassen. Ich rief ihr nach: „Bleiben sie bitte. Vielleicht hilft mir schon der Hinweis auf ihren Schwager.“ Sie drehte sich wütend wieder herum: „Ich habe keinen Schwager. Ich weiß nur von einem Schweinehund, der das Leben meines Mannes zerstört hat. Lassen Sie uns zufrieden.“ In diesem Moment erschien am Ende des Counters geschäftig ein Mann in dunklem Anzug und rief: „ Frau Schiewerski, gibt es Probleme?“ Die Frau drehte sich sofort wieder zu mir und rief über die Schulter zu dem Mann, der offensichtlich ihr Vorgesetzter war: „Nein, nein, Herr Camenotti, wir kommen schon klar.“ Und mir zischte sie zu: „Wir treffen uns in fünf Minuten auf dem Parkplatz; aber jetzt verschwinden Sie unauffällig. Ich will nicht auch noch Ärger mit meinem Chef.“ Ich sagte laut, so dass der Mann am anderen Ende des Counters es gut verstehen konnte: „Vielen Dank für Ihre Hilfe, Gnädige Frau. Jetzt werde ich den Weg bestimmt gut finden. Vielen Dank und einen schönen Tag noch.“ Den Mann mit eine strahlenden Lächeln grüßend verließ ich die Rezeption und verschwand in Richtung Toiletten. Hier wusch ich mir unnötigerweise die Hände und ließ mir Zeit an der Handtrocknungsmaschine. Dann spazierte ich vor mich hinlächelnd durch die Lobby zum Ausgang. Der Mann stand mit Frau Schiewerski im Gespräch vertieft hinter dem Schalter und schien ihr Vorhaltungen zu machen. Ich schlenderte zu unserem Geländewagen und setzte mich hinein. Es dauerte dann noch ungefähr zehn Minuten, bis die Frau aus dem Eingang trat und sich in entgegengesetzter Richtung zu Fuß entfernte. Ich fuhr an und hinter der Frau her. An der nächsten Straßenecke holte ich sie ein und wollte gerade die Beifahrertür öffnen, als sie mir unauffällig mit der Hand ein Zeichen machte weiter zu fahren. Ich fuhr langsam 167 an ihr vorbei in die Richtung in die sie schaute. An der nächsten Straßenecke fuhr ich rechts um die Ecke und hielt an. Frau Schiewerski kam mit wütendem Gesicht ebenfalls um die Ecke und stieg in die geöffnete Seitentür. „Da sehen Sie es wieder. Immer haben wir nur Ärger, wenn sich Jemand nach meinem Mann erkundigt. Mein Chef hat mir mit Kündigung gedroht, wenn ich weiterhin so unfreundlich zu Gästen sein sollte. Er hat die ganze Zeit hinter mir hergesehen, darum konnte ich nicht auf den Parkplatz kommen und darum sollten Sie weiterfahren. Er würde mich sofort rausschmeißen, wenn er sehen würde, dass ich mich jetzt auch noch mit Gästen einlasse. Fahren Sie schon los, immer geradeaus. Ich will so schnell wie möglich hier weg. Ich sage Ihnen dann schon wie Sie weiterfahren müssen.“ Sie nestelte an ihrer Handtasche und brachte ein zerdrücktes Päckchen Zigaretten zum Vorschein und zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Nachdem sie tief inhaliert hatte, fragte sie mit etwas normalerer Stimme: „Was wollen Sie also von uns? Die Geschichte mit dem Grundbuch war doch eine Lüge?“ „Nein, das war keine Lüge, sonst wäre ich auf Ihre Adresse gar nicht gestoßen. Aber es scheint eine weitere Unklarheit in einem Netz von Lügengespinsten zu sein und die will ich erhellen. Sie sagten etwas von einem Bruder Ihres Mannes, der Sie immer wieder in Schwierigkeiten bringt?“ „Ja, sein Zwillingsbruder Viktor“, sagte sie einsilbig und gab mir Fahranweisungen. Wenig später fuhren wir gleich außerhalb der Stadtgrenze auf eine Hofeinfahrt, die zu einem ländlichen Anwesen gehörte. Über dem Tor befand sich ein Metallschild, dessen Farbe abblätterte und größere Rostflecke aufwies, mit der Aufschrift: „Schiewerski Transporte und Autoreparatur, Alle Marken.“ Auf dem Hof sah es chaotisch aus, eher wie ein Autofriedhof, oder eine Altwagenentsorgung. Überall lagerten 168 Autowracks, Autoteile und anderes Gerümpel. Am einen Ende des großen Hofes gab es sogar einen kleinen vor sich hinrostenden Kran. Neben einem kleinen Häuschen waren zwei Hallen angebaut. Das erste Hallentor stand offen. Dahinter konnte man eine Werkstatt erkennen, mit Hebebühne und verschiedenen Werkzeugleisten an den Wänden. Das zweite Tor war geschlossen und ich vermutete eine Garage mit einem kleineren LKW darin. Wir fanden Schiewerski in der Werkstatt und seine Frau sagte ihm, wir hätten was zu besprechen und gingen durch einen Seiteneingang in das kleine Häuschen direkt in die Küche. Der Frühstückstisch war noch gedeckt und Frau Schiewerski hatte ihre Tasche auf der Spüle abgestellt und ihr Mann hatte sich auf einem Stuhl an den Küchentisch gesetzt und mich mit einer Handbewegung aufgefordert mich ebenfalls zu setzen. Die Frau blieb im Hintergrund stehen. Schiewerski war etwa einen Meter fünfundsiebzig groß, etwas untersetzter als Möbius und sah ihm bis auf die Augenklappe über seinem linken Auge täuschend ähnlich. Die nackten Arme, die aus seinem blauen Overall herauskamen, schienen mir wesentlich muskulöser, als ich bei Möbius vermutet hätte. Seine Hände waren schwielige Arbeiterhände, die im Moment schon ölverschmiert waren. Er hatte mich die ganze Zeit misstrauisch angesehen und seine Stimme war rauh als er mich ansprach: „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“ Ich ging auf seine Frage nicht ein, sondern holte die Bilder von Möbius, Keller und Virginia und sein eigenes ohne Augenklappe aus meiner Jacke und warf sie auf den Küchentisch. „Kennen Sie die?“ Er wurde weiß im Gesicht. Dann kam er hoch stützte sich auf den Tisch, funkelte mich mit seinem einen Auge an und griff nach dem großen Brotmesser, das auf dem Tisch gelegen hatte. Ich hatte blitzschnell mein Pistole gezogen und ihn angeschrieen: „Finger weg, und hinsetzen!“ 169 Er versuchte weiter nach dem Messer zu greifen und ich schoss das Messer vom Tisch. Es war ein ohrenbetäubender Knall, das Messer flog gegen eine Tasse, die zerschmettert, gemeinsam mit dem Messer seitlich vom Tisch fiel. Schiewerski und seine Frau waren erstarrt stehen geblieben und dann ließ er sich langsam auf seinen Stuhl zurücksinken. Die Frau blieb weiterhin erstarrt und starrte mit weit aufgerissenem Mund auf die Szene. Ich erwartete einen panischen Schrei, aber der blieb aus. „Holen Sie sich einen Stuhl und setzen sie sich neben Ihren Mann und dann erzählen Sie, warum Sie so panisch reagieren.“ Jetzt war es die Frau die mich mit Worten attackierte: „Was wollen Sie von uns? Ist es nicht genug, dass mein Mann sein Augenlicht verlor, als er sich seinem Bruder widersetzte? Wer schickt Sie und warum wollen Sie uns noch weiter ins Unglück stürzen?“ „Erklären Sie mir erst, was Sie beim Anblick dieser Bilder derart in Panik versetzt. Wer sind die Personen und was haben Sie damit zu schaffen? Das große Schwarzweißbild in schlechter Qualität sind offensichtlich Sie, Herr Walter Schiewerski. Wer sind die anderen Personen?“ „Das wissen Sie doch, Sie Teufel. Sie wollen uns nur aushorchen und herausfinden ob wir das Maul halten oder nicht. Meine Frau weiß sowieso nichts und mich können Sie ruhig erschießen. Das ist vielleicht das Beste. Machen Sie schon, dann haben Sie ihren Auftrag erfüllt und ich kann nichts mehr ausplaudern. Ich hab gewusst, dass Viktor keine Ruhe geben würde, dass er mich töten muss, damit ich nichts verraten kann. Aber lassen Sie meine Frau aus dem Spiel.“ Ich sah in nachdenklich an. Wahrscheinlich wusste seine Frau wirklich nichts und er hatte mit seinem Leben abgeschlossen. Offensichtlich wusste er etwas Belastendes über die Anderen und fürchtete nun, dass er liquidiert werden würde, ob er nun redete oder nicht. Ich fixierte Beide mit 170 meinen Blicken und versuchte so furchterweckend auszusehen, wie ich es nur darstellen konnte. Zwischendurch sah ich auf meine Uhr. Es war schon nach 9 Uhr und Eva machte sich bestimmt schon Sorgen, wo ich wohl abgeblieben war. Ich nahm mein Handy heraus und drückte die „1“ und hielt mit der einen Hand das Telefon an mein Ohr und in der anderen Hand die auf Schiewerski gerichtete Pistole. Etwas außer Atem meldete sich Eva und schimpfte sofort los: „Wo treibst du dich rum? Ich mache mir Sorgen. Ich wollte gerade Herrn Starck anrufen und dich suchen lassen.“ „Soweit in Ordnung. Ich sitze hier bei den Schiewerskis. Die hören mir jetzt zu. Besorge dir ein Taxi und lass dich hier raus fahren. Die Taxifahrer müssten die Adresse kennen. Geh durch das offenstehende Werkstatttor und gleich links geht es ins Haus, direkt in die Küche. Da sind wir versammelt. Sie zu, dass du schnell kommen kannst“, und ohne auf ihre Fragen, die schon in mein Ohr prasselten, einzugehen hatte ich aufgelegt. Während des Gespräches hatte Frau Schiewerski ihre Sitzposition verlagert und hatte sich fluchtbereit auf die Kante ihres Stuhles bewegt. Ich beorderte sie zurück und sagte ihr, dass sie die Hände ganz ruhig gefaltet auf den Tisch legen sollte. „Das Gleiche gilt für Sie, Schiewerski, und dann fangen wir von vorn an. Wer sind die anderen Personen?“ „Das wissen Sie doch, warum wollen Sie es nochmals von mir hören“, antwortete er trotzig. „Weil ich wissen möchte, unter welchen Namen Sie diese Personen kennen, und ob Sie außer dem Typen, der Ihnen ähnlich sieht, und der scheinbar Ihr Bruder ist, die anderen überhaupt kennen?“ Viel zu hastig antwortete er: „Ja, das ist mein Bruder, aber die Frau und den anderen Mann kenne ich nicht.“ 171 Während er sprach hatte ich Frau Schiewerski beobachtet. Sie zuckte kurz, dann schien sie zu begreifen, welch ein Spiel ihr Mann spielen wollte. „Ja, das ist mein Bruder, ich hasse ihn. Er hat genug Unglück über unser Leben gebracht. Die anderen kenn ich nicht“, heuchelte er. Ich tat, als ob ich nichts merkte und fragte Frau Schiewerski: „Und Sie? Kennen Sie die Frau und den Mann?“ Als sie zum Sprechen ansetzte war ich aufgesprungen und hatte ihr die Pistolenmündung direkt vor die Stirn gedrückt und sie dabei angeschrieen: „Jetzt ist genug gelogen worden. Sagen Sie endlich die Wahrheit Schiewerski, oder ich schieße Ihrer Frau den Schädel weg.“ Angstgeweitete Augen schauten schielend neben dem Pistolenlauf auf mein Gesicht. Schiewerski sackte neben ihr in sich zusammen und murmelte tonlos: „Ja, ich kenn sie. Meine Frau hat sie zwar gesehen, aber weiß nicht wer sie sind. Lassen Sie sie zufrieden, bitte. Sie weiß wirklich nichts und hat nichts gesehen.“ „Erzählen Sie“, forderte ich ihn auf, ohne die Pistole zurückzuziehen. „Bitte nehmen Sie die Pistole weg. Ich werde alles erzählen, aber nur Ihnen. Sie soll alles niemals erfahren. Wenn Sie der Killer im Auftrag meines Bruders sind, dann müssten Sie sie hinterher auch erschießen, wenn Sie etwas anderes sind, würde sie von meinen Taten wissen.“ Ich nahm jetzt endgültig die Pistole zurück und setzte mich wieder auf meinen Stuhl. „Ich handele nicht im Auftrag Ihres Bruders. Ich jage ihn. Und wenn Sie etwas Schlimmes getan haben, dann sollte Ihre Frau das wissen und nicht nur ahnen. Kommen Sie endlich heraus mit der Sprache.“ In dem Augenblick hörten wir ein Auto vorfahren. Ich war blitzschnell um den Tisch herum und hinter Frau Schiewerski getreten und hatte sie einen Schritt hinter ihren Mann gerissen 172 und bedrohte sie mit der Pistole. Ich sagte leise: „Wenn es ein Kunde ist, schicken Sie ihn weg, oder ich blase Ihrer Frau das Leben weg.“ Dann hörten wir aber die Stimme von Eva, die dem Taxifahrer dankte und sich verabschiedete. Der Wagen fuhr weg und ich entspannte mich. „Setzen Sie sich wieder hin, und rühren sich nicht“, gab ich Anweisung. Als Eva durch die Küchentür kam, blieb sie wie angewurzelt stehen und zog die Augenbrauen fragend hoch. Ich wandte ihr den Kopf zu und sagte im Befehlston zu ihr: „Fessel die Frau am besten mit Klebeband von nebenan und bring sie ins Schlafzimmer und bewach sie. Wenn sie Mucken macht, mach sie alle. Mach schon“, spielte ich weiter den Hartgesottenen. Ich hatte ihr dabei mit einem Auge zugezwinkert, damit sie sehen konnte, es handelte sich um eine Show, die aber nur so ablaufen konnte. Sie hatte sofort geschaltet und holte aus dem Nebenraum eine Rolle Klebeband und fesselte nach meinen Anweisungen der Frau die Hände auf dem Rücken. Sie stellte sich dabei sehr geschickt an. Dann schubste Eva die Frau voran und gab ihr Anweisung ihr zu zeigen wo sie hingehen sollten. Als sie verschwunden waren raunzte ich Schiewerski an: „Also los. Die ganze Geschichte.“ Schiewerski räusperte sich zweimal, bevor er monoton anfing zu reden: „ Viktor, der Mann auf dem Farbfoto da ist mein Zwillingsbruder. Obwohl wir genau gleich aussahen, waren wir von klein auf unterschiedlicher Natur. Ich habe meinem Vater immer gerne bei der Arbeit hier im Laden und der Werkstatt geholfen nach der Schule und an den Wochenenden und Viktor hat schon ganz früh rumgemacht mit den Weibern. Wir haben uns immer gefragt woher er schon als Schüler immer die teueren Klamotten herbekommen hat. So richtige Anzüge und so. Immer wenn er an den Wochenenden verschwunden war, meistens rüber 173 nach Belgien, kam er mit neuen Klamotten wieder. In der Schule haben wir immer die Lehrer genarrt und er hat mich immer gezwungen seine Arbeiten als meine auszugeben. Seine waren immer ganz schlecht und als ich eines Tages nicht mehr mitmachen wollte, hat er mich verprügelt und in einer alten Scheune, die früher noch ganz hinten auf dem Hof stand festgebunden. Er hat dann meine Lieblingskatze vor meinen Augen erwürgt und hat sie dann mit dem Messer aufgeschnitten und das ganze Blut ist über mein Zeug und auch die Eingeweide. Dann hat er mich K.O. geschlagen und hat mich losgebunden. Dann ist er nach Haus gelaufen und hat geschrieen ich sei ein Katzenmörder und er hätte versucht das Viech noch zu retten, aber er wäre zu spät gekommen. Als mein Vater und meine Mutter dann herüber gelaufen sind, kam ich ihnen noch ganz bedudelt vom K.O. -Schlag blutverschmiert entgegen und beide haben mich noch mal schrecklich verhauen. Ich habe tagelang nicht richtig sitzen können. Auf dem Schulweg hat er mir dann gesagt, dass dies nur der Anfang wäre, wenn ich nicht so spurte wie er wolle. Und dann hat er mir aufgezählt, was er alles noch anstellen würde und wo ich immer die Schuld hätte. Ich solle nur für ihn so weiter arbeiten, dann würde mir auch nichts passieren. Jedes Mal wenn ich wieder Mut geschöpft hatte die Verhältnisse zu ändern, ließ er sich etwas Neues einfallen. Immer hatte ich die Schuld, immer war er der Liebe und ich der Böse. Die ganze Klasse fing an auf mir herum zu hacken, während er zum Schulsprecher gewählt wurde. Als ich aus Trotz selbst nur noch schlechte Arbeiten schrieb, hat er gedroht er würde Mutter umbringen und es so aussehen lassen, als wenn ich es gewesen wäre. Bis er dann endgültig aus dem Ort verschwand war ich schon zu zwei Jugendstrafen verurteilt worden; aber ich hatte nie etwas angestellt. Meine Mutter ist aus Gram gestorben, dass ihr lieber Junge weggegangen war und nur noch dieser Unmensch von Sohn in ihrem Hause lebte. Mein Vater starb ein Jahr später und 174 Viktor ließ sich noch nicht einmal auf der Beerdigung sehen. Er hatte über einen Anwalt auf sein Erbe verzichtet und ich hatte die Schulden und den Betrieb am Hals. Die Schulden habe ich langsam abgearbeitet und dann kam er eines Tages mit dem anderen alten Knaben hier an. Sie zwangen mich bei ihren Fahrten mit zu machen. Sie schmuggelten alte Gemälde und ich glaube auch Rauschgift mit meinem Transporter aus Holland und Belgien hierher. Und von hier aus haben sie immer junge Mädchen, manchmal glaube ich sogar minderjährige Mädchen nach Belgien geschmuggelt. Die Scheune, wo er mich damals gefesselt hatte wurde ausgebaut und da wurde das Gut gelagert. Dort haben sie sich dann auch mit den Mädchen vergnügt. Sie haben sie vergewaltigt, wenn sie nicht wollten. Ich habe sie häufig schreien gehört und habe mir die Ohren zugestopft um es nicht hören zu müssen.“ Er hatte angefangen hemmungslos zu weinen. Seine Worte kamen nur noch stockend und meine Züge waren nur noch eine starre Maske. Das wusste ich, denn meine Backenknochen hatten sich verkrampft. Ich hatte die Pistole längst wieder eingesteckt und lauschte den grauenhaften Geschichten des weinenden Mannes. Ich war aufgestanden und hatte im Kühlschrank eine Flasche Genever entdeckt und hatte uns in zwei Wassergläser, die auf der Spüle gestanden hatten, eingeschenkt. Er war verblüfft gewesen, als ich ihm ein Glas vor ihm hingestellt hatte, aber er hatte angesetzt und es mit einem Ruck ausgetrunken. Ich hatte nur einen kleinen Schluck genommen und lauschte weiter. „Eines Tages ist es mir endgültig zu viel geworden, und ich habe die Scheune, als sie wieder auf Tour durch Belgien und gerade keine Mädchen darin waren, angezündet und bin hinunter in den Ort, wo ich mich betrunken habe. Man hat mir Brandstiftung vorgeworfen, weil ich die Versicherungssumme kassieren wollte, aber man hat mir es nicht lückenlos beweisen können. Nur die Versicherung hat nicht gezahlt; aber das Geld wollte ich sowieso nicht. Als sie 175 von dem Brand hörten, kamen sie nur noch einmal, um sicher zu stellen, dass ich nichts verraten würde, was in der Scheune gelagert hatte. Danach waren sie ein paar Jahre nicht mehr da. Ich lernte meine Frau kennen und wir heirateten und unser Geschäft ging immer schlechter. Sie hat dann angefangen zu Arbeiten, erst nur in der Kneipe und dann auch noch im Hotel. Sie wusste zwar, dass ich ein schweres Los mit meinem Bruder gehabt hatte, aber sie hat nie versucht die Hintergründe wirklich zu erforschen. Ich war ihr dafür dankbar.“ Er hatte sich aus der Geneverflasche, die ich gleich mit auf den Tisch gestellt hatte, erneut bedient und ein weiteres Glas auf einen Zug ausgetrunken. „Dann, vor etwas mehr als einem Jahr standen Sie wieder hier auf dem Hof. Meine Frau wollte gerade zur Arbeit gehen als sie auftauchten. Sie war sehr erschrocken als sie Viktor dort stehen gesehen hat. Es war ja ich, der in Anzug und Krawatte ihr auf dem Hof entgegentrat. Sie hat ihn hereingeführt und den Möbius, wie er sich nannte, und das hübsche Mädchen. Die war aber gar nicht richtig bei sich. Hatte glasige Augen und schien betrunken oder bekifft. Sie hat teilnahmslos vor sich hingestiert, als sie auf dem Stuhl saß, auf dem Sie jetzt sitzen.“ Als er wieder zur Geneverflasche greifen wollte, um sich nachzu- schenken, stoppte ich ihn: „Erzählen Sie erst zu Ende, dann können Sie weiter trinken. Ich glaube dann brauchen Sie ihn dringender.“ „Meine Frau wollte schon ihren Dienst absagen und den Gästen ein Abendessen bereiten, aber Viktor sagte ihr, das solle sie ruhig lassen, denn sie wären nur auf der Durchreise. Sie wären sowieso in der nächsten Stunde schon nicht mehr da. Er war ganz der charmante, selbstsichere Mann und betörte meine Frau sofort. Ich kann heute noch die Blicke sehen, wie sie uns verglich. Mich in meinem schäbigen Overall und ihn in seinem feinen Anzug. Ich sollte nur solch einen 176 Papierkram unterschreiben, was ich dann auch gemacht habe. Da stand was von einer Immobilie drauf aber sie haben mir auch keine Zeit gelassen es wirklich zu lesen. Meine Frau ging dann nur sehr zögernd. Aber kaum als sie weg war, haben die Kerle die junge Frau in die Werkstatt geschleift und ihr sämtliche Kleidungstücke vom Körper gerissen. Sie haben sie auf der Werkbank festgebunden und als ich ihr beistehen wollte, hat Viktor mit einem Brecheisen nach mir geschlagen. Ich war eine zeitlang bewusstlos und als ich wieder zu mir kam, habe ich gesehen, wie die Beiden das Mädchen gequält haben und immer wieder etwas fragten. Nach Unterlagen, die sie kopiert hätte. Sie wurde immer wieder ohnmächtig und dann haben die beiden sie vergewaltigt. Da bin ich wieder ohnmächtig geworden. Als ich dann wieder wach geworden bin, hab ich nur gesehen, wie Viktor sie gewürgt hat und der andere über ihrem Gesicht masturbiert hat. Die Zunge des Mädchens kam schon ganz blau aus ihrem Mund und das Schwein hat dort hineingespritzt. Da bin ich hoch und habe mich auf sie gestürzt mit einem Reifenspanner in der Hand. Ich habe den Möbius am Kopf getroffen aber dann hat mich Viktor mit etwas erwischt hier am Auge. Und ich war wieder hinüber. Am nächsten Morgen bin ich dann wieder hoch. Viktor kam wieder. Allein. Er hatte meinen Transporter benutzt und hat sich dann zu mir gehockt, immer noch in der Werkstatt. Er hat mir gesagt: „Wenn du jemals ein einziges Wort von dem was du gesehen hast, zu irgendeinem Menschen sagst, dann geht es deiner Frau wie der Schlampe auf der Werkbank. Wenn Sie deinen Transporter untersuchen werden sie Spuren genug finden, dass du die Schlampe umgebracht hast. Du würdest der ideale Täter für die Bullen sein. Daran denk immer. Er hat mich dann ins Krankenhaus gebracht und behauptet es wäre ein Unfall in meiner Garage gewesen. Das Auge war nicht mehr zu retten. Ich schlafe seitdem keine Nacht mehr richtig und ich habe Angst, dass er zurückkommt 177 und meinem Liebling etwas antut. Ich habe schreckliche Angst.“ Er bebte am ganzen Körper und die Tränen flossen unaufhaltsam. Ich schenkte ihm einen weiteren Schnaps ein und diesmal trank auch ich meinen Rest in einem Zug. Ich wusste, es würde nur eine kurze Zeitspanne dauern und die Angst und die Ohnmacht würden wieder kommen. Auch ich musste mich räuspern bevor ich die nächsten Sätze herausbekam: „Walter Schiewerski, ich verspreche Ihnen, dass dieser Schweinehund in dieser Familie keine weiteren Untaten begehen wird, so wahr ich Teufel heiße. Ich werde ihn fassen und ich werde ihn vernichten“, fügte ich leise und grollend hinzu. „Reißen Sie sich jetzt zusammen. Ich werde gleich die Frauen holen und wir werden ihr folgende Geschichte erzählen: Eva und ich verfolgen Ihren Bruder Viktor weil er der Kirchengemeinde und dem Staat viele Dinge gestohlen hat. Außerdem hat er unzählige Frauen in die Prostitution getrieben und wir sind davon ausgegangen, dass er die Frauen über Sie ins Ausland bringt. Daher bin ich derart mit Ihnen beiden umgesprungen, weil ich sie als Mitwisser verdächtigt habe. Ich werde mich bei Ihrer Frau entschuldigen und ihr einige Fälle schildern, die meine Wut und Entschlossenheit gegen Ihren Bruder untermauern. Das wird sie daran hindern, weiterhin ihm gegenüber Sympathien zu entwickeln. Sie wird in ihm, ebenso wie wir alle, das Scheusal sehen, das zu bekämpfen ist. Ihre Geschichte wird nicht erwähnt, auch nicht meiner Begleiterin gegenüber. Sie werden Ihre Aussage vor weiteren Zeugen und einem Notar zu einem späteren Zeitpunkt niederlegen, damit in einem eventuellen Prozess Ihre Aussage schon vorliegt und sie nicht als Mitwisser angeklagt werden können. Einverstanden?“ Seine Augen zeigten den Anflug von Trunkenheit und neben den Tränen auch das Aufglimmen von Hoffnung und Dankbarkeit. Er war einverstanden. Bevor ich die Frauen rief, 178 hatte ich aber noch eine Frage an ihn: „Wissen Sie, wohin der Transporter gefahren wurde, um die Frau und eventuell den Mann loszuwerden?“ „Ja, ich war neugierig. Aber ich hatte Angst und daher habe ich die Aufschüttung nicht näher untersucht. Er hat sie kurz hinter der Grenze im Naturpark verscharrt. Es ist ein Platz, wo wir als Kinder mit dem Fahrrad immer hingefahren sind.“ „Können Sie mir den Ort zeigen?“ „Ja, es ist nicht sehr weit von hier.“ „Sie werden mir den Ort später zeigen. Holen Sie jetzt die Frauen. Ich werde Jemanden anrufen.“ Er erhob sich unsicher während ich mein Handy heraus nahm und wählte. Ich rief Wiesel an und berichtete ihm die Aussagen. Ich wollte seinen Rat; denn spätestens jetzt hätte ich die Polizei einschalten müssen, aber ich fragte mich, ob wir genügend Beweismaterial in Händen hätten, um Möbius / Schiewerski /Keller festsetzen zu können. Selbst wenn wir das Grab finden sollten, würden die Beweise nicht ausreichen, sondern eher Walter Schiewerski belasten, genau wie sein Bruder es voraus gesagt hatte. Wiesel war der gleichen Meinung und berichtete mir, dass Ansatzpunkte zur Zusammenarbeit mit der Aufwartefrau bestünden und dass wir berechtigte Hoffnungen hätten, die Videos und Bilder als Beweise sichern zu können. Er hatte mir nicht mitgeteilt warum dies so war und wir beschlossen, die Polizei solange noch aus dem Spiel zu halten bis wir alle Beweise hatten. Eva hatte Frau Schiewerski die Fesseln wieder abgenommen und ich entschuldigte mich bei ihr mit der Erklärung, dass wir bis dahin davon ausgehen mussten, dass sie Mitwisser oder Mittäter gewesen seien. Ich wusste nicht, dass Eva während ihres Aufenthaltes mit Frau Schiewerski im Schlafzimmer von den Gräueltaten des Schwagers hinreichend berichtet hatte. Als ich anfing von diesen Dingen zu berichten, sagte Frau Schiewerski: „Sie brauchen mir nichts 179 weiter zu sagen, ich bin schon unterrichtet. Glauben Sie, das Sie meinen Mann da heraushalten können?“ „Ich hoffe. Wenn Sie uns helfen, Viktor zu finden und unschädlich zu machen.“ Aus der Frage als solcher und im Ton, wie sie gestellt wurde, schloss ich, dass sie weit mehr wusste oder ahnte, als Walter Schiewerski annahm. Sie versicherte mir, dass sie alles tun würde, um den Mann zu fassen. Wir beschlossen, dass Eva und ich zunächst ins Hotel zurückkehren würden um meinen Rucksack zu holen und dann zur vermeintlichen Grabstätte zu fahren. Wir wollten sie markieren und ich wollte Fotos von der Stelle machen. Eva war auf der Rückfahrt zum Hotel sehr still und ich merkte, wie deprimiert sie wirkte. Aus unserem kurzen Gespräch, das Schiewerski und ich führten nachdem die Frauen wieder in der Küche waren, hatte sie folgerichtig geschlossen, dass es sich bei der Grabstelle um das Grab von Virginia handeln müsse. Im Hotelzimmer nahm ich sie in die Arme aber auch das konnte sie nicht aufmuntern und sie bat mich allein zu fahren. „Ich habe Kopfschmerzen und fühl mich nicht gut. Ich möchte mich hinlegen, vielleicht können wir etwas Essen gehen, wenn du zurück bist.“ Sie hatte mich bei ihren Worten fast flehentlich angesehen, und ich verstand, dass sie nicht mit zu der Stelle fahren wollte, an der ihre Freundin wahrscheinlich verscharrt worden war. Ich nahm den Rucksack und fuhr zu den Schiewerskis zurück. Frau Schiewerski bereitete sich schon auf ihren neuen Arbeitstag vor und so fuhren Walter Schiewerski und ich mit dem Pajero weiter. Er lotste mich über einen Feldweg, der die Grenze nach Belgien überquerte durch ein Waldstück an einen kleinen Weiher. Hier stand zwischen dem Bäumen etwa 50 Meter vom Ufer eine halbverfallene Holzhütte. Wir hatten den Wagen auf dem Weg der an der anderen Seite des Weihers entlang geführt hatte, stehen lassen und waren durch 180 das Unterholz des Waldes bis hierher vorgedrungen. Einen wirklichen Weg hatte es nicht gegeben. Auch das hohe Gras vor der Hütte bis hinunter zum Wasser schien unberührt. Es wogte leicht im Wind. Alles war verlassen und es gab keine Spuren von menschlicher Aktivität in der letzten Zeit. „Hier sind wir als Jungens immer mit dem Fahrrad hergefahren und haben dort vorne geangelt. Später hat Viktor immer seine Freundinnen hierher gebracht. Ich hab sie manchmal belauscht und ihn beneidet und einmal hat er mich erwischt und mich verhauen. Und als ich auf dem Boden lag hat er dem Mädchen gesagt, sie soll mir die Hose aufmachen und mich mit der Hand befriedigen. Sie hatte angefangen und als ich erregt war, hat er mir in die Hoden getreten und hat gelacht und mich nach Hause gescheucht. Danach war ich nie wieder hinter ihm her und hab ihn nie wieder belauscht, obwohl ich wusste, wohin er die Mädchen immer brachte. Als er mir damals sagte, dass er die Schwarzhaarige mit dem Transporter weggebracht hätte, wusste ich wohin. Und gleich hier neben der alten Hütte habe ich dann den frischen Hügel gefunden. Sehen Sie hier“, und er deutete auf eine kleine Erhöhung neben der Hütte. Hier wucherte inzwischen wieder Gras und Unkraut, wie sonst überall neben der Hütte. Nur nicht ganz so dicht und hoch. Wir markierten die Stelle mit einigen Holzlatten, die ich aus der Hütte geholt hatte und fotografierte. Ich bat Schiewerski neben dem Hügel mit den Holzlatten Stellung zu beziehen und fotografierte erneut. Ich machte weiter Fotos von der Hütte und der Umgebung und achtete darauf, die Unberührtheit der Wiese vor der Hütte darzustellen. Diese Dokumentation sollte festhalten, dass hier seit langer Zeit kein menschliches Wesen gewesen war. Im Wagen fragte ich Walter Schiewerski weiter nach den Gewohnheiten seines Bruders aus und wollte von ihm vor Allem die Adressen der Clubs und anderen Anlaufstellen auf deutscher, als auch auf belgischer und holländischer Seite wissen. Ich ließ ihn diese Angaben auf mein Diktiergerät 181 machen. Es war eine lange Sammlung von Adressen. Die Clubs lagen sowohl in größeren Städten, als auch in kleinsten Orten, wo ich nie Bordelle oder Sex- und Swingerclubs erwartet hätte. Über die Spielleidenschaft seines Bruders konnte oder wollte Walter Schiewerski sich nicht auslassen. Über den ihm nur unter dem Namen Möbius bekannten Mann konnte er auch nur wenige Angaben machen, außer, dass er wohl der Kunstexperte gewesen sei und immer einen ausgeprägt geilen Eindruck gemacht hätte. Er hätte die Finger nie von den Mädchen lassen können, die Viktor über die Grenze geschafft hatte. Ich setzte ihn wieder an seinem Haus ab und fuhr zurück ins Hotel. Es irritierte mich ein wenig, dass Eva nicht im Zimmer war. Ich erledigte zunächst einen Anruf mit Wiesel, dem ich das Band mit den Aussagen Schiewerskis senden wollte, damit eine ortsbezogene Liste der Clubs angefertigt werden könnte. Dann wollte ich versuchen, die Clubs zu besuchen und dort meine Nachforschungen anstellen. Ich fragte auch, ob er die Möglichkeiten hätte mit der örtlichen Polizei oder den Gerichten hier in der Gegend Hintergründe zu den Brüdern und der Ehefrau heraus zu finden. Er glaubte Informationen zusammentragen zu können. Ich solle ihm nur zwei Tage Zeit geben und er würde mir die Ergebnisse faxen. Dann machte ich mich auf die Suche nach Eva. Am Empfang sagte man mir, dass sie sich Geld hatte auszahlen lassen und nach Modegeschäften gefragt hatte, weil sie noch einige Kleidungsstücke einkaufen wollte. Man hatte ihr 400 Euro ausgehändigt, und fragte mich: „Das war doch in Ordnung, oder?“ „Selbstverständlich, sagen Sie mir bloß in welcher Richtung die Geschäfte liegen, vielleicht kann ich ihr beim tragen helfen und noch in einem Café einkehren. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“ Ich schlenderte in die mir angegebene Richtung durch die engen Gassen und entdeckte Eva in einem Straßencafé an 182 einem Tisch mir drei Männern im Gespräch vertieft. Sie konnte mich sehen als ich näher kam. Sie gab mir halb unter dem Tisch verborgen Zeichen, dass ich nicht dazukommen sollte. Ich suchte mir daraufhin einen freien Platz von wo aus ich Eva gut beobachten konnte. Das Pärchen, das noch mit an meinem Tisch saß, war derart mit sich selbst beschäftigt, dass ihnen meine unverhohlene Neugier am Geschehen des weiter entfernten Tisches nicht auffiel. Eva trank einen CampariSoda, die Herren tranken Bier und sie waren in lebhafter Diskussion. Leider war ich zu weit entfernt, um zu verstehen, was dort gesprochen wurde, aber an der Gestik Evas konnte ich erkennen, dass sie sehr interessierte Fragen gestellt haben musste. Die drei Männer waren gut gekleidet und trugen bis auf den Jüngsten Krawatten. Alle drei trugen dunkle Anzüge, und der Älteste von ihnen, ein Mann mit kräftiger Statur und größeren Geheimratsecken schwitzte und hatte schon mehrfach mit einem Taschentuch seine hohe Stirn abgewischt. Sein Blick richtete sich immer wieder auf Evas Busen, der mit einem neuen Seiden-Top mit tiefem Ausschnitt, verführerisch dargeboten wurde. An das Tischbein gelehnt standen weitere Einkaufstüten. Der Redner der Gruppe schien aber der Mann zu sein, der mit dem Rücken zu mir saß und von dem ich nur erkennen konnte, dass er Brillenträger war und mit den Händen seine Worte unterstützte. Diese Hände schienen bei jedem Wort in Bewegung. Ich hatte mir auch ein Bier bestellt und hatte es langsam getrunken. Meine Neugierde wurde immer größer, aber Eva hatte während der ganzen Zeit vermieden in meine Richtung zu sehen. Ich stand auf, als wäre ich auf der Suche nach einer Toilette und ging direkt an dem Tisch vorbei, um in das Café zu gelangen. Dabei hörte ich, dass am Tisch französisch gesprochen wurde. Als ich wieder aus dem Lokal trat waren die Herren gerade dabei sich zu verabschieden. Ich konnte den Dritten jetzt das erste Mal von vorne betrachten. Ein 183 schlanker Bankertyp mit randloser Brille. Der junge Mann mit dem offenen Hemd und den modisch gestylten Haaren hob nur zum Gruß die Hand, während der Kräftige es sich nicht nehmen ließ, Eva an sich heran zu ziehen und ihr Küsschen auf die Wangen zu drücken. Dann eilten sie davon. Eva gab mir mit der Hand nochmals Zeichen mich nicht zu ihr zu setzen und ich ging zurück an meinen Tisch und verlangte die Rechnung, da die Bedienung gerade in der Nähe war. Eva hatte sich ganz entspannt wieder auf ihren Platz gesetzt und orderte einen weiteren Campari-Soda. Ich trank weiter an meinem Bier. Erst nach fünf Minuten gab Eva mir das Zeichen, dass ich herüber kommen könnte. Sie grinste mich an, als ich mich setzte. Richtig schön frech und sagte nur mit gedämpfter Stimme: „Ich mache Fortschritte, Herr Detektivkollege. Die drei ehrenwerten Herren aus Brüssel suchen ebenfalls einen gewissen Dr. Keller. Er scheint etwas größere Schulden bei ihnen zu haben. Ich habe mit Ihnen ein Arrangement getroffen. Bevor ich ihn den deutschen Behörden ausliefere sollten sie Gelegenheit bekommen sich mit ihm zu beschäftigen.“ „Suchen die Dr. Keller oder Möbius?“ „Die suchen den Kunstexperten. Er hat sie wohl hervorragend angeschmiert. Er hat wohl in einem Nobelbordell und gleichzeitig Spielclub in Brüssel seine Schulden mit gefälschten „wertvollen“ Bildern bezahlt. Sie sind stinkesauer. Aber sie haben seine Spuren auch bis hierher verfolgt und sind sicher, dass er immer noch in der Nähe ist.“ „Und wie bist du überhaupt an diese Typen geraten?“ „Erfreulicher Zufall“, sie lächelte schelmisch, „ich wollte etwas ganz Besonderes für heute Abend einkaufen und bin in den einzigen Laden hier für Lingerie. Das ist für solch einen Ort, wie diesen hier, wirklich ein Laden der Sonderklasse. Die haben ein besseres Angebot als in manchen Großstädten. Hier scheint sich das ganze Gewerbe aus dem nördlichen 184 Eiffelkreis einschließlich Belgiens und der Niederlande einzudecken. Reizwäsche der feinsten Art.“ Sie lächelte noch aufreizender, bevor sie fortfuhr: „Du wirst schon sehen“, meine sie triumphierend. „Zumindest hat dein Top, den Älteren ganz schön verwirrt. Bei jedem Blick auf deinen Busen hatte er einen neuen Schweißausbruch.“ „Eifersüchtig?“, neckte sie mich. Ich ging nicht darauf ein, sondern fragte nur: „Und wie ging es dann weiter?“ „Ich war gerade in der Umkleidekabine und habe etwas besonders pikantes probiert, als die da in den Laden kamen. Der Mann mit der Brille spricht auch ganz gut deutsch und der hat sich bei der Besitzerin nach Keller erkundigt. Untereinander haben sie sich auf Französisch unterhalten. Sie müssen der Frau auch ein Bild von Keller gezeigt haben, denn es war einen kleinen Augenblick ruhig, bis die Frau sagte, dass sie den Mann zwar schon im Laden gesehen hätte, aber nicht wüsste wie er hieß. Und sie sagte, dass er erst vor fünf oder sechs Tagen wieder einmal im Laden gewesen sei, aber sie nicht wüsste, wo er wohnt oder lebt. Ich hatte mich ganz schnell wieder angezogen und bin raus und habe mich einfach auf französisch mit den Männern bekannt gemacht und behauptet, dass ich eine Privatdetektivin sei, die ebenfalls hinter dem Mann her sei. Sie haben zwar gestaunt, aber dann waren sie bereit, sich mit mir hier zu unterhalten. Ich hab schnell noch meine Einkäufe bezahlt“, jetzt lächelte sie sehr entschuldigend, „und dann sind wir hierher. Als du kamst, musste ich doch fernhalten, denn sonst wäre meine Story doch sofort geplatzt.“ „Und wie seid ihr verblieben?“ „Wir haben unsere Handynummern ausgetauscht und jeder will jeden über seine Fahndungserfolge unterrichten. Wir wollen auch die Gebiete in denen wir nachforschen wollen aufteilen, damit wir größere Chancen haben. Und ich habe 185 ihnen versprochen, dass ich ihn ihnen überlassen würde, wenn ich ihn finde. Ich wollte nur vorher Auskünfte über einen anderen Mann, der mit ihm zusammenarbeitet, bekommen. Möbius/Schiewerski/Keller war ihnen aber nicht bekannt. Weder unter einem dieser Namen noch als ich ihnen ein Bild zeigte.“ „Wieso hast du überhaupt Bilder?“ „Ich war so frei, mich ebenfalls zu versorgen, als ihr sie in Bad Homburg vervielfältigt habt. Ich weiß doch nicht, was mit dir passieren könnte. Und ich will sie haben, darauf kannst du dich verlassen. Ich will diese Schweine.“ Ihre Stimme war bei den letzten Worten fast zu einem grollenden Knurren geworden, wie ich es sonst nur von Hunden kannte, die zum Biss ansetzen. Ich muss erschrocken gewirkt haben, denn sie fuhr sofort mit normaler Stimme fort: „Du weißt, wie wichtig das für mich ist und was die mir angetan haben“, und leiser fügte sie hinzu, „und Virginia.“ Wir zahlten und gingen zurück ins Hotel. Sie wollte mir zwar sofort ihre Einkäufe vorführen, aber ich hatte Hunger und wir gingen sofort wieder und suchten uns ein Restaurant. Wir mussten nicht sehr weit und fanden ein uriges Weinlokal mit hervorragender Küche. Bei Kerzenbeleuchtung genossen wir ein festliches Menü. Eva trank Wein und ich hatte belgisches Bier. Wir nahmen zum Abschluss noch einen Espresso und einen reichlich bemessenen Digestif, Eva einen Calvados und ich einen uralten Armagnac. Als ich die Rechnung bekam, war ich angenehm überrascht. Trotz hervorragender Leistung, und dies in einem Touristengebiet, war der Betrag nicht annähernd so hoch, wie ich erwartet hatte. Als ich bar bezahlte, fiel mir etwas Wesentliches ein. Ich sollte auch Eva mit genügend Bargeld ausstatten, dass sie sich nicht an der Hotelrezeption etwas auszahlen lassen musste. Ich gab ihr DM und auch belgische Franc, damit sie notfalls unabhängig von mir etwas unternehmen konnte. Die 186 gedrückte Stimmung in der ich Eva heute Nachmittag verlassen hatte, war längst verflogen. Ihre persönlichen Erfolge bei der Suche nach den zwei Männern, die romantische Stimmung bei unserem Essen, der Kerzenschein und unsere ungezwungene Unterhaltung, die sich nicht mit dem Fall beschäftigt hatte, trug dazu bei, dass wir in Hochstimmung ins Hotel zurückkehrten. Es hätte nicht der raffinierten Dessous bedurft, die sie heute Nachmittag eingekauft hatte, um mich zu verführen. Es wurde die Liebesnacht der Superlative. Ich hatte gar nicht gewusst, welch körperlichen Reserven in mir steckten. Es dämmerte schon, als wir endlich einschlummerten. Als ich erwachte schlief Eva noch fest. Ich betrachte minutenlang ihre gelösten Gesichtszüge. Die Bettdecke war verrutscht und ihr Busen war entblößt. Sie lächelte im Schlaf und sie strahlte eine unendlich feminine Schönheit, aber gleichzeitig Verletzlichkeit aus, dass ich mich abwenden musste, weil es mich so stark berührte. Mein Verlangen war groß, mein Bedürfnis sie zu beschützen noch größer. Ich machte mich im Bad leise Ausgehfertig und schlich mich aus dem Zimmer an die Rezeption. Hier erkundigte ich mich, wo ich Generalstabskarten der Umgebung finden könnte und war sehr erstaunt, dass mir der Hotelmanager, der schon so früh seinen Dienst versah und gleich hinter dem Counter in einem Büro gesessen hatte, helfen konnte. Er war Mitglied der örtlichen Gemeindeverwaltung, die auch die Wanderwege ausarbeiteten und hatte deswegen Karten dieser Art zur Verfügung. Er bat mich in sein Büro und wir gingen die Karten durch. Ich empfand es als sehr angenehm, dass er mich nicht fragte, warum ich derart detaillierte Informationen, auch über die vielen Grenzübergänge an der grünen Grenze haben wollte. Auf einem großen Fotokopiergerät verkleinerten wir die Karten und ich durfte sie mitnehmen. Ich dankte ihm. 187 Mit den Karten in Händen kehrte ich in unser Zimmer zurück. Eva war schon aufgestanden und kam gerade aus dem Bad. Sie hatte Teile ihrer gestrigen Einkäufe angelegt, und ich reagierte prompt. Wer wen verführte und zurück ins Bett bugsierte, weiß ich nicht mehr, ich erinnere mich nur, dass wir gemeinsamen in einsamen Höhen kreisten. Schwindelnden Höhen. Wir waren unersättlich, kreisten, schwebten, wurden durch Eruptionen wieder hochgepeitscht, fielen herab, um wieder im Taumel der Sinne zu kreisen, um neue Höhen zu erklimmen. Wir nahmen nicht wahr, dass ein Zimmermädchen nach Anklopfen ins Zimmer kam, um die Betten zu machen, uns sah und erschrocken wieder flüchtete. Wir nahmen nicht wahr, dass mehrfach das Telefon geklingelt hatte. Wir nahmen nur uns, unsere Körper, unsere Sinne, unsere Ausdünstung, unseren Geschmack wahr. Wir waren die glücklichsten Menschen auf dieser Erde und erreichten gemeinsam immer wieder schwindelnde Höhen. Als wir erschöpft, aber glücklich, voneinander ließen, hatten wir nicht nur das Frühstück sondern auch das Mittagessen verpasst. Wir beschlossen im Bett zu bleiben, kuschelten uns aneinander und schliefen bis 19 Uhr. 188 Teufels Achterbahn Kapitel 3 - Abwärts In den vergangenen Jahren, die ich nun im Ermittlergewerbe tätig war, hatte ich eigentlich nie eine Waffe getragen. Aus welchen Gründen ich in den letzten Tagen immer wieder meine Pistole trug, kann ich nicht nachvollziehen. Ob es aus vorausschauender Vorsicht; weil eine plötzliche Endeckung von Möbius/Schiewerski/Keller möglich war, oder ob ich gewisse Vorahnungen hatten, dass ich sie zu meinem und zu Evas Schutz gebrauchen würde, kann ich nicht sagen. Ich hatte mich auf jeden Fall bewaffnet, als wir zum Abendessen aufbrechen wollten. Zuvor hatte ich mit Bad Homburg telefoniert und man wollte mir die Liste mir den Clubs, die ich besuchen wollte, per Fax übermitteln. Ich sollte nur in die Hotelrezeption gehen, damit ich beim Empfang der Unterlagen anwesend sein würde. Die Unterlagen waren zu vertraulich. Außerdem hatten wir vereinbart, dass ich später am Abend nochmals mit Wiesel telefonieren wollte, damit er mich über die Sicherstellung der Videos und Bilder aus dem Studio von Möbius unterrichten könne. Er sagte mir nur, dass sein Team mit der Bergung der Beweise begonnen hätte. Eva und ich waren gemeinsam nach unten in die Lobby gefahren und während ich zur Rezeption eilte, um das Fax in Empfang nehmen zu können, wollte Eva schon zum Auto vorausgehen, weil wir uns vorgenommen hatten auf der anderen Seite der Grenze zum Essen zu fahren. Die Faxnachricht war immerhin drei Seiten lang und ich sah auf einen Blick, dass Wiesels Leute die Standorte der einzelnen Clubs hervorragend recheriert, und derart geordnet hatten, dass es mir möglich sein würde, mehrere Clubs an einem Tag zu besuchen. Ich faltete die Seiten zusammen und deponierte sie in einem Umschlag im Schlüsselfach. 189 Als ich auf den Parkplatz trat, sah ich sofort eine verschreckte Eva an einem Kastenwagen gelehnt. Der Bankertyp des gestrigen Trios stand mit dem Rücken zu mir und schien sie mit etwas zu bedrohen. Ich konnte nicht sehen, ob er eine Pistole auf Eva gerichtet hatte, oder warum Eva so verschreckt an den Wagen gedrängt stand. Ich schlängelte mich zwischen geparkten Wagen hindurch direkt hinter den Mann. Ob er etwas gehört hatte oder durch die schreckgeweiteten Augen Evas gewarnt wurde, weiß ich nicht. Er reagierte unheimlich schnell, aber drehte sich zur falschen Seite. Er hatte scheinbar einen Angreifer von links hinten erwartet, aber ich kam von rechts hinten und schlug mit aller Kraft mit der Handkante gegen seinen Hals. Er brach zusammen und verlor dabei wirklich eine Pistole, die ich einsteckte. „Was sollte das? Wollte er dich entführen? Oder warum hat er dich mit der Pistole bedroht?“ „Ja ich sollte mitgenommen werden, aber er wollte noch auf die anderen warten, die müssen hier auch in der Nähe sein.“ Jetzt war es an mir schnell zu handeln. Ich lud mir den bewusstlosen Mann über die Schulter und wir hasteten zu unserem Wagen, der nicht weit entfernt auf einem Eckplatz des Parkplatzes abgestellt war. Mit Isolierband, das ich im Kofferraum gefunden hatte, fesselte ich ihn an Händen und Füßen. Seine Krawatte benutzte ich als Knebel. Ich hatte ihn auf die Rücksitze des Pajero gelegt und darauf geachtet, dass er nicht ersticken würde. Dann fragte ich Eva: „Weißt du mit welchem Auto die gekommen waren?“ „Ich glaube mit dem Kastenwagen, wo du uns gefunden hast.“ „Okay, mach dich jetzt ganz klein hier in dem Wagen und ich werde versuchen die anderen Beiden zu orten und ebenfalls unschädlich zu machen. Wir wollen doch Mal sehen, was sie von dir wollten. Eine Entführung würde doch allein 190 keinen Sinn machen. Sie müssen erfahren haben, dass du nicht Detektivin bist und dich daher ausschalten wollen.“ Ich schlängelte mich wieder zwischen den Autos hindurch und sah sie aus dem Eingang des Hotels kommen. Der Ältere, kräftig gebaute Mann, machte scheinbar dem Typen mit dem offenen Hemd Vorhaltungen. Er redete mit Händen und Füßen und schien sehr aufgebracht. Als sie um die Ecke bogen, um zum Wagen zu gelangen, trat ich hinter dem Auto hervor, hinter dem ich mich verborgen hatte, als sie sich näherten. Sie hatten mir den Gefallen getan und kamen nebeneinander in die Lücke. So stand ich ihnen direkt gegenüber und sie konnten nicht seitlich ausbrechen. Ich bedrohte beide mit den Pistolen und befahl ihnen sich gegen den Kastenwagen zu lehnen. Weit abgestützt mit den Händen an dem Wagen und gespreizten Beinen soweit zurück, dass sie hinfallen würden, wenn sie die Hände vom Wagen nahmen. Ich klopfte sie auf Waffen ab. Der Jüngere trug einen Revolver im Gürtel, der Ältere war nicht bewaffnet. Da ich allein war, und sie nicht fesseln konnte machte ich kurzen Prozess. Mit dem Kolben der Waffe schlug ich sie nieder. In den Taschen des Jüngeren fand ich die Wagenschlüssel und verstaute die Bewusstlosen ungefesselt im Gepäckraum und verschloss das Auto wieder. Dann hastete ich zurück zu unserem Wagen und holte Eva und den Bankertyp, der inzwischen wieder bei Bewusstsein war. Was er von sich gab, ließ sich nicht ermitteln, denn durch den Knebel kamen nur undeutliche Laute. Ich befreite ihn von den Fußfesseln und schob ihn vor mir her. Eva folgte uns. Auch er wurde im Laderaum des Kastenwagens untergebracht und mit dem mitgeführten Isolierband wurden auch seine Komplizen gefesselt. Der Kräftige bekam ebenfalls seine Krawatte als Knebel verpasst und der Krawattenlose wurde mit einem Seidenschal von Eva versorgt. Dann fuhren ich den Kastenwagen vom Parkplatz und folgte den Wegen, die ich 191 mit Schiewerski gefahren war und gelangte unbehelligt in die Nähe des Weihers. Wie durch ein Wunder waren wir auf dem Parkplatz nicht von anderen Autofahrern oder an- und abfahrenden Gästen des Hotels entdeckt worden. Scheinbar hatte auch kein gelangweilter Hotelgast aus dem Fenster gesehen und hatte die Entführung der drei Männer durch eine blonde Frau und einem großen, dunkel gekleideten Mann der Polizei gemeldet. Hätte uns eine Menge Scherereien einbringen können. Auf dem Feldweg zum See parkte ich den Wagen und öffnete die Hecktür. Ich hatte dabei vorsichtshalber die Pistole gezogen; aber die drei lagen friedlich auf der Ladefläche. Die beiden Männer, die ich mit dem Pistolenkolben niedergeschlagen hatte, waren auch wieder bei Bewusstsein und ich setzte sie gegen die Wand des Lasters gelehnt nebeneinander in Reihe und herrschte sie an: „Sprechen Sie deutsch? Wenn ja, nicken Sie einfach.“ Alle drei nickten. Dann entfernte ich dem Bankertyp, den ich für den Sprecher der drei hielt, den Knebel. Er beschimpfte mich wüst und ich hörte interessiert zu. Manche Beschimpfungen waren in ihrer Wortwahl interessant. Als er dann Luft holen musste stoppte ich seinen Redefluss indem ich ihm seine eigene Pistole an die Stirn setzte. „Und jetzt ganz von vorn. Warum wollten Sie die Frau entführen?“ Er antwortete nicht. Ich wechselte die Pistole von der rechten in die linke Hand und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige mit gewölbter Handfläche direkt aufs Ohr. Ich nahm in Kauf, dass sein Trommelfell dabei wegflog, denn meine Geduld war nun endgültig zu Ende. Er flog mit seinem Kopf gegen seinen Komplizen und seine Brille zerschepperte im Wagen. Plötzlich machte er einen sehr weinerlichen Eindruck und der Ältere regte sich und gab mir Handzeichen zu verstehen, dass er reden wolle. Ich riss ihm die Krawatte aus dem Mund und erwartete schon halbwegs, dass seine Zähne 192 mitfliegen würden. Er sprudelte sofort auf Französisch los; aber ich verstand nichts. Ich fragte Eva: „Was meint er?“ Er sagt, dass alles ein Missverständnis sei und sie mich nur zu einer Spazierfahrt mitnehmen wollten. Ich trat ihm gegen sein Schienbein und er jaulte. Der Bankerheini heulte jetzt wirklich und auch der junge Mann, der immer noch geknebelt war, starrte mich mit entsetzten Augen an. „Eva suche doch schon trockenes Holz und schichte es unter dem Wagen. Wenn sie schon nicht mit uns kooperieren wollen, sollen sie es ein wenig heißer bekommen. Wir werden sie einfach hier in der Kiste grillen.“ Sie hatte mein zorniges Gesicht gesehen und reagierte sofort. Sie stieg von der Ladefläche und verschwand seitlich aus dem Gesichtsfeld. Der Ältere und der Bankertyp kreischten jetzt wild durcheinander. Jetzt sogar in Deutsch. „Wer von Ihnen will das sprechen übernehmen? Einer reicht, und wenn ich Fragen habe, kann ich immer noch den anderen fragen. Aber sie sollten jetzt schnell antworten. Eva liebt Grillpartys und sie wird bestimmt genügend Holz finden.“ „Wir haben glaube ich den Komplizen von dem Mann gefunden, der uns betrogen hat. Aber wir sind nicht sicher. Und wir waren erst recht nicht sicher, ob die Eva nicht eine weitere Komplizin der Leute ist. Darum wollten wir sie mit Gewalt dorthin bringen, wo wir den Mann haben. Wir wollten an der Reaktion der beiden sehen, ob sie sich kennen oder nicht. Eva ist jedenfalls keine Privatdetektivin, dass haben wir schon festgestellt. Und so wie Sie mit uns umgehen, bin ich davon überzeugt, dass Sie alle unter der Decke mit dem Kunstfälscher oder Händler stecken. Fahren Sie uns dorthin, wo wir den anderen Mann gefangen halten. Wir machen einen Austausch, Sie bekommen ihren Mann wieder und Sie lassen uns laufen. Wir werden auch nicht weiter nach diesem Möbius suchen. Das versprechen wir Ihnen.“ 193 Ich ging nicht auf die Worte ein, sondern fragte nur weiter: „Woher kommen Sie, und wer ist Ihr Auftraggeber?“ „Ich leite in Brüssel einen exklusiven Club. Dort gibt es jede Spielart von Sex und dort wird sehr hoch gespielt. Die beiden neben mir sind meine Angestellten. Raul neben mir sorgt dafür, dass keine ungebeten Gäste in unseren Räumen sind. Jerome sorgt für den Zahlungsablauf und treibt notfalls Gelder ein.“ Der eher schmächtige Bankertyp sollte ein Eintreiber sein? Das konnte ich mir nur schlecht vorstellen; aber vielleicht hatte er andere wirksame Methoden und gebrauchte keine körperliche Stärke. Jetzt sah er eher wie ein verheulter Schüler aus, den man bei einem üblen Streich erwischt hatte. Eva rumorte draußen und alle konnten hören, dass sie tatsächlich Äste unter dem Wagen anhäufte. Raul und Jerome wurde noch eine Spur blasser als sie die Geräusche hörten und auch der Ältere beeilte sich jetzt mit seinen Erklärungen auf meine Frage, seit wann sie hinter „Möbius“ her wären. Wir suchen ihn jetzt seit fast drei Monaten. Wir haben Spuren gefunden die nach Norddeutschland führten; aber da war er schon seit einiger Zeit nicht mehr. Dann haben wir Spuren in Holland gefunden und die führten hierher. Er scheint in der letzten Zeit sehr viel gependelt zu haben, zwischen Holland, Belgien, Luxemburg und hier. Er hat scheinbar eine ganze Menge Helfer, denn bis gestern hatten wir ihn immer wieder verloren. Gestern Abend haben wir dann sein Lager entdeckt. Es ist in Verviers. Da haben wir auch seinen Komplizen gefangen genommen.“ „Na prima, dann sagen Sie mir jetzt nur noch wo wir das Lager finden, dann brauchen wir Sie nicht mehr.“ Jerome und der Ältere schrieen beide gleichzeitig und auch Raul machte sich durch den Knebel hindurch bemerkbar. Sie hatten offensichtlich Angst, dass wir sie hier im Wagen verbrennen würden, weil sie „unser“ Lager gefunden hatten 194 und einen von uns gefangen hatten. Jerome schrie: „Der Mann ist nicht im Lager gefangen. Wir haben ihn an einen sicheren Ort gebracht. Wenn Sie den wieder sehen wollen, dann müssen Sie schon mit uns dahin und uns dann freilassen.“ Ich sah ihn drohend an. „Wir machen etwas ganz anderes. Wenn Sie nicht Ihre Krawatte fressen wollen, werden sie hübsch ruhig hier sitzen bleiben. Ihr Chef wird mit mir nach vorne kommen und mich zum Lager dirigieren“, und zum Älteren gewandt, „wie heißen Sie eigentlich und sind Sie dazu bereit?“ „Jan Rujselveld, und ich führe Sie.“ „Dann befehlen Sie Ihren Leuten, dass sie sich während der Fahrt und auch später in Verviers ruhig verhalten sollen. Jede Aufmerksamkeit, die Ihre Leute verursachen sollten, führt zu Ihrem plötzlichen Ableben. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?“ „Ja“, und dann bellte er auf Französisch sehr schnell Befehle. Die anderen nickten zustimmend. Ich rief Eva zu, dass sie aufhören könne und half Rujselveld auf die Beine und schob ihn vor mir her von der Ladefläche. Ich zerschnitt die Fußfesseln und rechnete schon mit einem Tritt, aber er verhielt sich friedlich. Als wir um das Auto gingen, musste ich lachen. Eva stand gemütlich gegen das Fahrerhaus gelehnt und hatte einen größeren Ast in der einen Hand und in der anderen hatte sie eine Zigarette. Alle drei Minuten hatte sie das Metall des Kastenaufbaues mit dem Ast berührt und so den Eindruck erweckt, als würde sie viel Holz darunter ansammeln. Selbst Rujselveld musste über den Trick grinsen. Er schien dadurch zugänglicher und nachdem Eva die Heckklappe geschlossen hatte, fuhren wir über weitere kleine Waldwege bis zur Hauptstraße und erreichten ohne Zwischenfälle Verviers. Als wir den Ort schon fast durchfahren hatten, lotste mich Rujselveld in ein 195 Industriegebiet und zeigte uns ein kleineres Lagerhaus mit der Beschriftung „Oostman – Handel S.A.“ „Hier lagern die falschen Bilder und jede Menge Filme. Wir hatten noch keine Zeit uns welche anzusehen, aber ich nehme an, dass es sich um pornografische Werke handelt. Die Aufkleber auf den Filmrollen weisen darauf hin.“ Das passte zu unseren eigenen Ermittlungen. Keller und Möbius hatten sich scheinbar darauf spezialisiert. Ich fragte ihn neutraler als vorher: „Haben Sie außerdem eventuell auch Rauschmittel entdeckt?“ Er schreckte ein wenig auf; aber er verneinte sofort. Wenn sie etwas gefunden hatten, dann würde er es uns verschweigen und den Fund als Gegenwert seines Schadens ansehen. „Lassen Sie uns einen Blick hineinwerfen. Eva, du bewachst die Knaben auf dem Hinterdeck. Wenn sie sich mucksen sollten, erschieß sie. Hier hört das sowieso keiner.“ Ich gab ihr eine der Pistolen. Rujselveld ging vor mir her mit seinen immer noch gefesselten Armen. Der Türeingang war neben einem Rolltor und war nicht verschlossen. Ich schob den Mann vor mir her durch die Tür und suchte den Lichtschalter. Lediglich zwei Lampen gingen an und im schummrigen Licht konnte ich die Regale sehen, in denen eine Vielzahl in Holzkisten verpackter Bilder lagerten. Aus den Formaten nahm ich an, dass es sich um Bilder handelte. Rechteckige Holzkisten mit wenig Tiefe. In einem anderen Regal lagerten unzählige Filmrollen. „Wenn Sie sicher sind, dass diese Waren dem Mann gehören, der Sie betrogen hat, warum lassen Sie nicht den ganzen Plunder pfänden und verwerten? Was wollten Sie dann noch von uns?“ Er schnaubte verächtlich: „Pfänden? Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich juristische Unterstützung bekommen würde, um Spielschulden einzutreiben. Wir können es nur auf die Art machen, wie es die Gauner selbst machen. Es ihnen wegnehmen. Und da wir davon ausgingen, dass Sie bzw. die 196 Frau zu den Betrügern gehören, mussten wir Sie zunächst ausschalten.“ „Umbringen?“ „Nein nur solange außer Gefecht setzen, bis wir dies hier zu Geld gemacht hätten.“ „Aber einen Aufenthaltsort des Betrügers kennen Sie auch nicht?“ „Nein, aber er soll vorgestern hier noch gewesen sein und einige Dinge aus dem Lager hier geholt haben. Er ist sicherlich in der Nähe.“ „Und woher haben Sie davon Kenntnis erhalten?“ „Der Komplize hat geplaudert.“ „Derjenige, den Sie noch in Ihrer Gewalt haben?“ „Ja, er machte hier so eine Art Verwalter.“ „Dann sollten Sie ihn hier schleunigst wieder herbringen. Gut bewacht. Damit er anwesend ist, wenn der Vogel wieder kommt. Dann können Sie ihn festsetzen und das Lager danach ausräumen.“ „Das wollten wir ja, aber dann war da die Frau und schnüffelte rum. Was wollen Sie? Hat er auch bei Ihnen Schulden?“ Ich antwortete darauf nicht, sondern schob in wieder zur Tür heraus. Der Kastenwagen stand immer noch ganz ruhig vor der Tür. Ich schnitt ihm die Fesseln durch und sagte ihm: „Vielleicht sollten wir uns jetzt wie vernünftige Menschen weiter unterhalten. Wir sind an dem Lager und seinem Inhalt nicht interessiert. Das können Sie ausräumen soviel Sie wollen. Wir wollen den oder die Kerle. Dazu brauchen wir den Verwalter von dem Laden hier. Fahren wir zu seinem Versteck.“ „Aber…“, weiter kam er nicht, denn ich unterbrach ihn sofort. „Wir haben keine Interessen an den Gegenständen, wir haben Hunger und Durst und wir wollen den Drahtzieher. Also lassen Sie uns keine weitere Zeit verplempern. Wenn Sie 197 Ihre Leute dazu überreden können uns als Partner anzusehen, die nicht an den Werten da drinnen interessiert sind, dann könnten wir jetzt gemeinsam etwas Essen gehen, Sie überlassen mir den gefangenen Mann und Sie räumen aus.“ Er wollte weitere Einwände erheben, aber ich schnitt ihm wieder den Redefluss ab und sagte: „Kommen wir in die Gänge, Sie bekommen die Waren, ich bekomme den Mann; aber erst gehen wir was Essen!“ Schließlich war er einverstanden und er sprach mit seinen Leuten. Eva hatte genau aufgepasst was gesprochen wurde, denn Rujselveld hatte seine Anweisungen wieder französisch erteilt. Wir waren handelseinig und fanden ein Lokal in dem wir ein sehr gutes Essen bekamen. Ich machte die Männer nur noch darauf aufmerksam, dass sie vorsichtig mit Keller oder Möbius sein sollten, denn sie wären gefährliche Verbrecher, die auch vor Mord nicht zurückschreckten. Das wäre der Grund warum wir hinter ihnen her seien. Danach brachen wir auf und die Männer hatten ein sehr sinniges Versteck für ihren Gefangenen gefunden. Sie hatten ihn in einem Sexclub in der Innenstadt in einem der Freierzimmer auf einem Bett festgeschnallt. Der Raum diente sonst scheinbar Sadopraktiken und war für den Zweck hervorragend geeignet. Selbst wenn er hier schrie, würde es nicht auffallen. Die Wände waren zudem mit Schallschutz versehen und die Tür gepolstert. Selbst bei einer überraschenden Razzia würde nur ein weiterer Freier gefunden werden, der den Wunsch nach einer Domina verspürt hatte. Der Gefangene war kein anderer als der uns bisher nur von Bildern bekannte Dr. Keller, der Kunsthistoriker. Er hatte scheinbar sehr viel Gewicht verloren. Sein weißes Haar war stumpf und glanzlos. Und er schien unter heftigen Entzugserscheinungen zu leiden. Sein ganzer Körper wand sich trotz der Fesseln in Krämpfen. Es war ein jämmerlicher Anblick. Ich hatte das Zimmer sofort wieder verlassen und 198 sagte auch Eva zunächst nichts von der Entdeckung. Rujselveld schien ebenfalls nicht bemerkt zu haben, dass ich eine für uns bedeutsame Entdeckung gemacht hatte. Keller konnte uns sicherlich entscheidende Hinweise auf den Verbleib von Möbius machen und uns über die Hintergründe der Namenswechsel informieren. In seinem jetzigen Zustand würde er leicht zu verhören sein. Wir gingen zurück an die Bar, wo Eva und die beiden Männer mit dem Besitzer des Clubs sprachen. Sie hatten große Drinks serviert bekommen. Ich bestellte mir ein kaltes Bier und sagte zu Rujselveld: „Wenn Sie es mit dem Besitzer hier arrangieren können, dass ich den Mann ungestört verhören kann und er unsere Rückfahrt ins Hotel in Monschau organisieren kann, dann können Sie mit Ihren Männern das Lager ausräumen. Von jedem Film benötige ich eine Kopie für spätere Beweise. Ich nehme an, dass Sie die ganze Ware nach Brüssel transportieren wollen. Sehen Sie zu, dass jeweils eine Kopie der Filme auch dort aufbewahrt wird. Geht das in Ordnung?“ Er nahm den Besitzer des Clubs beiseite und sie sprachen etwa zehn Minuten miteinander, dann gab mir Rujselveld mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich hinzukommen sollte. Wir stellten uns nicht vor, aber der Mann streckte mir die Hand entgegen und begrüßte mich mit einem harten Händedruck, so als wolle er testen, ob ich hartem Druck widerstehen könnte. Er war es dann, der seine Hand zurückzog. Er sagte knapp: „Sie können den Mann hier verhören. Aber nicht länger als zwei Tage, dann muss er von hier verschwinden. Und Sie müssen mir garantieren, dass es hier zu keinen Schwierigkeiten mit den Behörden kommt. Brauchen Sie irgendetwas für Ihr Verhör? Ich fahre Sie nachher zurück.“ „Haben Sie eine Videokamera dort eingebaut?“ Er sah mich misstrauisch an. 199 „Wenn nicht, müssten wir extra eine einbauen, also ja oder nein?“ „Es gibt eine.“ „Gut dann lassen Sie mich das Testbild sehen. Damit ich weiß, wie sie funktioniert und was ich aufs Bild bekomme. Das Band brauche ich später als Beweismittel. Ich muss dabei nicht angeben, wo die Aufnahmen gemacht wurden.“ „Bestimmt nicht?“ „Ganz bestimmt nicht!“ „Kommen Sie mit.“ Ich folgte ihm zu einem kleinen Gemach hinter seinem Büro. Hier waren verschiedene Bildschirme über den Aufnahmegeräten angebracht und zeigten die Aktivitäten in den einzelnen Zimmern. Mich interessierte nur der Monitor des Gefangenenzimmers. Die Kamera war scheinbar weit oben oberhalb des Fußendes des Bettes angebracht und zeigte den zuckenden, ans Bett gefesselten Mann. Wenn ich das Verhör machte, würde ich selbst immer mit im Bild sein. Das war nicht in meinem Interesse und ich fragte ihn, ob wir die Kameraeinstellung verändern könnten. Er lächelte sein undurchsichtiges Lächeln und machte sich an einem Mischpult zu schaffen. Hier stellte er den Kamerawinkel so ein, dass nur das Gesicht des Mannes auf dem Bildschirm zu sehen war. „Entspricht das mehr Ihren Vorstellungen“? fragte er mich scheinheilig. Er hatte sofort begriffen, dass ich nicht ins Bild kommen wollte. Ich nickte nur und fragte: „Läuft die Aufzeichnung schon?“ „Nein; aber ich kann jetzt einschalten. „In Ordnung, und dann können Sie uns rüber nach Monschau bringen. Ich komme dann mit eigenem Wagen hierher wieder zurück. Wenn er mir dann meine Fragen lückenlos beantwortet hat, werde ich ihn von hier entfernen und vergessen, wo ich gewesen bin.“ Wir gingen zurück zu den Anderen. Rujselveld gab mir seine Geschäftskarte damit ich ihn in Brüssel erreichen könnte 200 und verabschiedete sich mit seinen Männern von uns. Eva hatte an der Bar gehörig gebechert und war enttäuscht, dass wir schon gehen wollten. Noch enttäuschter war sie, als ich ihr klarmachte, dass ich allein zurückkehren würde und vielleicht mehrere Tage bleiben müsse. Auf der ganzen Fahrt schmollte sie. Ich hatte mir nur eine kleine Sporttasche mit Unterzeug zum Wechseln gepackt und ihr gesagt, dass sie ihr Handy eingeschaltet lassen solle. Dann hatte ich schnell Wiesel informiert und ihm gesagt, dass ich mich schnellsten wieder bei ihm melden würde und mich dann im eigenen Auto auf den Weg gemacht. Der Clubbesitzer hatte mir beim Verlassen des Clubs gezeigt, wo ich später parken könne, ohne Gefahr zu laufen, abgeschleppt zu werden. Es war schon nach Mitternacht als ich zurück in den Club kam. Hier herrschte immer noch reger Betrieb und der Besitzer gab mir schnell den Schlüssel zu dem Dominazimmer und ich ging hinein, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass keines der Mädchen oder ein Freier auf dem Gang war. Ich hatte mir beim Eintreten in den Raum eine Sturmmaske übergezogen, damit einerseits mein Gesicht für die Kamera unkenntlich wäre, wenn der Clubbesitzer die Kameraeinstellung nachträglich wieder auf Gesamtbild eingestellt haben sollte und anderseits Dr. Keller noch mehr zu verängstigen. Er reagierte prompt auf meinen Anblick. Er schrie als er ein maskiertes, ganz in schwarz gekleidetes Ungeheuer auf das Bett zukommen sah. Ich zog vor seinen Augen meine Latexhandschuhe langsam über die Hände, als ob ich eine schwierige Operation vornehmen wollte. Er schrie und zuckte und ruckelte an seinen Ketten bis ich ihn anschrie: „Ruhe, du feiges Aas!“ Er verstummte augenblicklich. „Erinnerst du dich noch an die hübsche, schwarzhaarige Virginia? Hast mächtig viel Spaß mit ihr auf der Werkbank gehabt. Das wird aber die letzte Erinnerung sein, die du haben 201 wirst. Du wirst immer wenn du dich von den Schmerzen erholt hast, die ich dir zufügen werde, ihren geöffneten Mund sehen, aus dem eine schon blau angeschwollene Zunge heraus quillt. Du wirst lauter schreien, als sie es je konnte. Die Schmerzen werden ungeheuerlich sein und jedes Mal, wenn du ohnmächtig wirst, werde ich dich wieder wecken und du wirst weiter leiden.“ Ich hatte mich im Zimmer umgesehen und holte nun eine furchteregend aussehende Zange von der Wand. Er wimmerte. „Ich werde dir die Hoden zerquetschen, ganz langsam. Du wirst ganz langsam sterben, viel langsamer als meine Schwester, du elendes Schwein.“ Ich gab mich bewusst als Bruder der Ermordeten aus, der nur Rache und ihn langsam Stück für Stück auseinander reißen wollte. Wenn er vorher schon Angst gehabt hatte, jetzt war es nur noch Panik. Er zerrte an seinen Ketten, und die Handschellen drohten ihm die Handgelenke zu zerschneiden. Er machte aus Angst unter sich und schrie: „Ich hab sie nicht umgebracht, das war Viktor. Der hat mich doch gezwungen, die Leiche voll zu spritzen. Er hat mich immer zu allem gezwungen. Er hat mich auch gezwungen sie zu verscharren. Er hat mit der Pistole daneben gestanden und hat gesagt, wenn ich nicht ganz schnell machte, könnte ich mich gleich daneben legen.“ Er wand sich immer noch in seinen Fesseln und schrie immer wieder: „Ich war´s doch nicht. Ich hab sie nicht umgebracht. Und bei Simone, dem kleinen belgischen Mädchen, da war es ein Unfall. Ganz bestimmt. Ein Unfall, ich hab sie zwar unter Wasser gedrückt, aber sie ist mir entflutscht und als sie hoch ist aus der Wanne, ist sie ausgerutscht und ist mit dem Hinterkopf auf den Wannenrand geknallt und hat sich das Genick gebrochen. Damals in meinem Haus. Das war wirklich so und Virginia hat er erdrosselt weil sie ihm nicht sagen wollte, wo sie die Papiere, 202 die sie heimlich fotokopiert hatte, versteckt hat. Er war so wütend, dass er sie einfach erdrosselt hat. Ich hab nichts gemacht. Ich nicht.“ Ich knurrte ihn nur an: „Du feiges, widerliches Schwein, du hast sie mit ihm zusammen immer wieder vergewaltigt, bevor ihr sie umgebracht habt. Aber jetzt bist du dran.“ Ich hatte die Zange gehoben und richtete sie auf seine Geschlechtsteile. Er schrie noch lauter. Er heulte wie eine Sirene als das Metall seine Haut berührte. Ich ließ die Zange fallen und ohrfeigte ihn links und rechts und brüllte ihn an: „Ruhe jetzt, ertrage deine Qualen, wie ein Mann. Und erzähl mir die ganze Geschichte von und mit dem Viktor von ganz vorn. Ich will alles wissen. Und wenn du mir die volle Wahrheit sagst, kannst du mich vielleicht überreden, dass ich dich schnell, und nicht qualvoll langsam sterben lasse.“ „Aber ich habe doch gar nichts gemacht! Warum wollen Sie mich umbringen?“ „Du weißt warum. Kinderschänder, Vergewaltiger, Mörder und wenn du nicht sofort alles erzählst, fange ich mit der Zange an. Wie war das, wann hat alles angefangen, diese Beziehung zu Viktor?“ „Vor achtzehn Jahren habe ich hier gute Geschäfte mit alter holländischer Kunst, vor Allem Gemälden, gemacht. Ich habe sie in Holland und Belgien aufgekauft und habe sie nach Deutschland gebracht. Ich hatte mir einen guten Namen aufgebaut. In Maastricht habe ich dann eines Abends in einem Privatclub gespielt und hoch verloren. Da war auch Viktor, der mir von seinem gewonnenen Geld immer wieder etwas geliehen hat, damit ich weiter spielen konnte. Nach drei Tagen hatte ich bei Viktor dreihunderttausend Mark Schulden. Er hat mir vierzehn Tage Zeit gegeben das Geld zu besorgen. Ich konnte es nicht auftreiben und er hat mir gedroht, dass professionelle Eintreiber kommen würden. Zwei Tage später kamen dann zwei Kerle und haben mir den linken Arm gebrochen und mir gesagt, dass ich nach weiteren zehn Tagen 203 ein Auge verlieren würde, wenn ich nicht zahlen könnte. Ich bin von Bank zu Bank gelaufen und habe versucht das Geld aufzutreiben, aber ich hatte schon zu hohe Hypotheken auf meinen Häusern, die ich geerbt hatte. Nach acht Tagen ist dann Viktor selbst zu mir gekommen und hat mir den Geschäftsvorschlag gemacht. Ich sollte für gefälschte Bilder Echtheitszertifikate ausstellen. Er versprach mir dafür, dass die Eintreiber nicht wiederkommen würden. Nachdem ich etwa zwanzig Gutachten geschrieben, und er die Bilder wohl gut verkauft hatte, nahm er mich hier in Belgien mit auf eine Party. Da habe ich das erste Mal Kokain angeboten bekommen und es waren viele Mädchen da. Junge Mädchen. Ich wusste nicht, dass viele noch minderjährig waren. Später waren dann auch Kinder dabei; aber in meinem Alkohol und Kokainrausch habe ich das gar nicht mehr wahrgenommen. Erst als mich Viktor vier Tage später mit Bildern konfrontierte, die mich bei sexuellen Handlungen an einem kleinen Mädchen, von bestimmt nicht älter als acht Jahren zeigte, ist mir klar geworden, was da wirklich abgelaufen war. Ich war ein Kinderschänder und davon gab es auch noch Fotomaterial. Jetzt erpresste er mich richtig, und ich musste ihm mit meinen Kontakten zu Kunsthändlern und Kunstsammlern helfen, immer mehr gefälschte Bilder in Umlauf zu bringen. Als dann einige meiner Gutachten angezweifelt wurden, ging es mit meinem guten Ruf sehr schnell zu Ende. Ich musste meine eigene Kunsthandlung schließen und ich war nicht mehr als vereidigter Schätzer zugelassen.“ Er hatte alles ohne Punkt und Komma heruntergerasselt und nur bei der Schilderung der Partybilder kurz gestottert. Meine Haltung muss mich verraten haben, denn sein Gesicht wurde wieder ängstlicher. Ich hob die Zange wieder höher und sein Redefluss startete erneut und seine Stimme wurde wieder schriller. 204 „Er hat mich dann gezwungen weiterhin falsche Bilder zu zertifizieren und nach Deutschland zu schaffen. Dabei hat ihm sein Bruder mit seinem Transportunternehmen helfen müssen. Der wusste aber nicht, dass er in den Transportbehältern für die Bilder immer auch große Mengen an Heroin und Kokain befördert hat. Er ist bei keinem Transport von „wertvollen“ Bildern, die zum Teil als von Museum zu Museum deklariert waren, aufgefallen. Auf dem Rückweg musste er junge Mädchen aus den Ostblockstaaten transportieren. Die hatten Viktor schon immer in seinem Foto- und Filmstudio, das er zwischen meinen Häusern eingerichtet hatte, als Darstellerinnen für Pornofilme gedient. Die Mädchen wurden regelrecht gefangen gehalten in meinen Häusern und ich konnte nichts dagegen machen. Es waren ja meine Häuser in denen das geschah. Er war da ja nicht angemeldet. Später hat er sich dann häufig sogar mit meinem Namen ausgegeben und tut das heute noch. Die Produktionen der Filme hat er dann nach Essen verlegt und hier in der Nähe ist ein weiteres Studio. Es liegt nördlich von hier schon in Holland. Früher hat er die Frauen den Zuhältern aus Tschechien, Ungarn und Polen abgekauft, aber als die große Öffnung nach Westen erfolgte, hat er unschuldige Mädchen aus den Discotheken in Weißrussland, der Ukraine und den baltischen Staaten mit Helfershelfern erst nach Norddeutschland geschleust und hat sie später hierher verkauft. Wie er die Mädchen nach Deutschland geholt hat, weiß ich nicht. Es muss aber eine richtige Organisation sein. Die kamen mit Besuchervisa und sollten in Hotels arbeiten oder in Restaurants. Wenn sie widerspenstig wurden, ist von ihm oder seinen Leuten Gewalt angewandt worden. Die Mädchen wurden so lange vergewaltigt, bis ihr Widerstand gebrochen war.“ „Und Dr. Keller immer als hilfsbereiter Einreiter mit dabei“, sagte ich sarkastisch und schlug ihm quer über das Gesicht. Sein Kopf flog in Schlagrichtung und seine Nase 205 blutete. Ich hatte mich einfach nicht bremsen können. Ich hob die Zange wieder und er schrillte weiter: „Nein, nein, ich war nur ganz selten dabei und dann auch immer nur im Rausch. Dann hatte er eine neue Idee. Mit einem Typen in einer Kirchengemeinde hat er gekungelt. Da holte er sich die Sozialhilfeempfängerinnen und hat sie meistens mit Rauschgift gefügig gemacht, für seine Filme und Fotos.“ Ich unterbrach ihn. „Wie kam er zu dem Namen Möbius? Und warum Walter Möbius?“ „Früher hat er sich häufig für seinen Bruder Walter ausgegeben, aber die Behörden, vor Allem die Finanzbehörden aus den Ländern Holland und Belgien waren hinter den Schiewerskis her. Als er den wirklichen Walter Möbius, der ihm ein wenig ähnlich sah, bei seinen Streifzügen durch das Sozialamt kennen lernte, hat er ihn mit zu sich nach Hause genommen und hat ihn dort im Filmstudio erschossen. Ich musste ihm helfen die Leiche zu vergraben. Auf meinem Grundstück. Da steht ein riesiger Busch, da kann keiner der Nachbarn etwas sehen. Dann hat er als Walter Möbius seine Papiere als gestohlen gemeldet und hat mit seinen Passbildern neue Unterlagen erhalten. Pass, Führerschein usw. Nebenher hat er als Sozialhilfeempfänger für die Kirche als Verwalter gearbeitet.“ „Und wieso konnte er sich in deinem Haus als Dr. Keller ausgeben und du musstest als Möbius in das Haus in der anderen Straße ziehen?“ „Die Häuser waren in der Zeit als ich noch meinen Laden hatte, vermietet. Ich wohnte ja über meinem Laden in viel besserer Lage. Die Nachbarn dort kannten mich nicht und als das eine Haus da frei wurde, ist er auf die Idee gekommen, dass er dort als Eigentümer Dr. Keller einziehen würde. Als ich den Laden aufgeben musste, zog ich als sein Untermieter erst mit in das Haus, bis auch das zweite frei wurde. Dann musste ich dort einziehen, erst hatte ich das Namensschild 206 Franzius dran und dann Möbius. Aber ich war dort nie unter diesen Namen gemeldet. Als Dr. Keller hat er dann häufig die Prominenten der Stadt, Politiker und hohe Mitarbeiter der verschiedensten Ämter eingeladen und immer zusammen mit dem Lewinski Partys veranstaltet. Da hat er dann immer Erpresserfotos gemacht. Oder sie haben um viel Geld oder Verträge gespielt. So ist er dann auch an einen richtigen Pass mit meinem Namen gekommen. Da gibt es jetzt im Amt Unterlagen über einen alten Dr. Keller und einen Junior. Es muss da einen hohen Beamten geben, der das eingefädelt hat. Ich weiß aber nicht wer es ist.“ „Du musstest also immer wieder als Möbius hier mit ihm auf Reisen gehen und hast auch in den Spielclubs, wo du Schulden machtest, unter diesem Namen gespielt und die Schuldscheine unterschrieben? Wer hat den Letztens deine Schulden bezahlt und wofür hast du das Geld erhalten?“ „Er konnte doch nicht an die Konten in Luxemburg heran. Die hatte ich damals einrichten müssen. Auf meinen Namen und mit geheimer Unterschrift. Die kannte er nicht, darum bin ich wohl nur noch am Leben. Wenn er an sein Geld wollte, dann musste ich dabei sein, darum musste er erst meine Schulden bezahlen, bevor ich mit ihm dahin bin. Aber ich kann jetzt noch an die Gelder, das weiß er aber nicht.“ „Wieso?“ „Ich kenne den Kontonamen und kenne seine Unterschrift“, jetzt grinste er mich fast an, denn er witterte eine Chance. Wenn ich an das Geld wollte, brauchte ich ihn lebend, genau wie Viktor Schiewerski. Diesmal packte ich mit der Zange seine Hoden und drückte zu. Er schrie wie am Spieß und ich herrschte ihn an: „Mich interessiert das Geld nicht, ich will Rache. Rache an dir miesem Stück Dreck. Was war mit dem kleinen belgischen Mädchen, Simone?“ 207 Er jammerte: „Das war ein Unfall. Glauben Sie mir. Victor hatte sie mitgebracht, weil er mit einem Beamten, so ein hohes Tier aus der Justizverwaltung einen Vertrag machen wollte. Der stand auf so jungen Mädchen. Sie musste noch Jungfrau sein, das war die Bedingung. Der hat sie dann im Studio vernascht und sie hat fürchterlich geschrieen. Aber er hat sich nicht darum gekümmert. Als er dann mit ihr fertig war, hab ich sie da raus ins Badezimmer und hab sie in die Badewanne gesteckt und eingeseift. Ich bin gleich mit in die Wanne. Und als ich sie mit der Seife eingerieben habe, da hat sie wieder geschrieen wie verrückt. Da hab ich sie gepackt und unter Wasser gehalten. Sie sollte doch ruhig sein, denn sonst hätten die Nachbarn was hören können. Und dann ist sie mir aus den Händen geglitten und sie ist auf, und ist ausgerutscht und ist hintenüber gefallen. Und dann war sie tot. Ich hab Viktor gerufen und der hat fürchterlichen Krach gemacht und dann haben wir sie dort verscharrt wo auch Möbius schon lag. Unter dem Busch.“ „Gibt es verwertbare Beweise gegen Viktor?“ „Ich weiß es nicht; aber er hat Mal geprahlt, dass er den Tod von Möbius gefilmt hätte. Er hätte sich selbst gefilmt als er den Mann erschossen hat. Aber gesehen habe ich den Film, oder das Video nie. Der wird wohl mit den anderen Erpressungsunterlagen in dem Banksafe von Lewinski liegen. Denn irgendwie muss Lewinski Viktor erpresst haben, denn Viktor war ja deswegen so scharf auf die Unterlagen von der Virginia, weil er wusste, damit könnte er Lewinski richtig erpressen. Dann könnte er das Material wiederbekommen, welches ihn belastete. Er wollte ihm einen einfachen Tausch vorschlagen.“ „Weißt du bei welcher Bank Lewinski seinen Safe hatte?“ „Ja, bei einer Filiale einer Schweizer Großbank in Frankfurt. Ich weiß aber nicht bei welcher.“ „Dann muss Viktor ja jetzt zittern, denn wenn der Tresor entdeckt wird, dann ist er dran.“ 208 „Der doch nicht. Der hat schon vorgesorgt. Der wird ganz schnell wieder Schiewerski und zahlt brav seine Steuern in Holland und Belgien und ist nie Möbius oder Dr. Keller junior gewesen. Darum hat er ja auch das Vorkaufsrecht zum Kauf meiner Häuser eintragen lassen. Und die Häuser fallen ihm im Falle meines Todes sowieso zu, denn er hat mich ein Testament machen lassen, in dem ich Viktor Schiewerski alles vermache. Ich habe sonst keine Erben. Walter kauft sie ihm zu einem Spottpreis ab, und er braucht keine Erbschaftssteuer zu zahlen. Hinterher wird er seinen Bruder umbringen und wieder einmal Walter Schiewerski sein. So einfach ist das.“ „Dann wird er sich ja richtig freuen, wenn er demnächst deine Leiche im Lagerhaus findet. Aber nicht sehr lange, dann werde ich ihn auch erledigen.“ Ich hatte mich einfach umgedreht und war zur Tür gegangen. Beim Hinausgehen streifte ich die Sturmmaske ab und ging in die Bar. Hier waren immer noch Gäste anwesend und ich gab dem Besitzer ein Zeichen. Wir gingen in sein Büro und ich sagte zu ihm, dass er die Aufzeichnung beenden könne. Mit einem Blick auf den Monitor hatte ich festgestellt, dass immer noch die Einstellung, lediglich den Kopf von Keller zu zeigen, eingestellt war. Ich bat um das Videoband. „Ich brauche einen K.o.-Drink, der den Mann sofort in Tiefschlaf versetzt aber nicht länger als vier Stunden wirkt. Und ich brauche eine Portion Kokain, damit er morgen fit ist. Und eine weitere Portion K.o.-Tropfen. Können Sie das organisieren? Dann sind Sie mich und den Patienten für immer los.“ „Das kostet Sie aber eine Stange Geld. Sagen wir zehntausend Mark!“ „Vorkasse ist nicht drin. Wohin wollen Sie Ihr Geld überwiesen haben? Anweisung erfolgt heute noch.“ Er sagte mir ein Konto bei einer Luxemburger Bank. Und ich notierte mir die Kontonummer auf der Videohülle, die er mir aushändigte. 209 „Warten Sie hier. Ich bringe Ihnen die Sachen, die Sie wünschen, sonst noch etwas?“ „Ja, kann eines der Mädel den Drink verabreichen und den Mann wieder anziehen, wenn er eingeschlafen ist? Ich hole dann schon den Wagen und es sieht so aus, als würde ich einen schwer Betrunkenen hier abholen. Das fällt am wenigsten auf, selbst wenn ein Polizeiwagen direkt hinter uns halten würde.“ „Geht in Ordnung, seien Sie in fünf Minuten vor der Tür.“ Ich verabschiedete mich mit Handschlag und einem „Danke“ und er zischte mir zu: „Wenn Sie nicht zahlen, finde ich Sie“, und drehte sich um und verschwand in einem Gang. Ich eilte zum Ausgang. Draußen war es schon hell und ich ging schnell zu dem Wagen. Ich musste einmal um den Block fahren, und hielt direkt vor dem Club. Ich hatte kaum angehalten, als die Tür sich öffnete und der Besitzer den Bewusstlosen zum Wagen schleppte. Wir verfrachteten ihn liegend auf den Rücksitzen. Der Clubbesitzer war schon wieder in der Bar verschwunden, als ich die Wagentür zuschlug. Kurz vor der Ortsausfahrt hatte ich mir die Straßenkarte hervor genommen und meine weitere Route geplant. Ich fuhr weiter durch einen kleinen Ort namens Pepinster und über die N661 bis nach Louveignè, um dann bei Bamrè auf die A26 zu wechseln. Auf dem nächsten Rastplatz verließ ich kurz den Wagen und kaufte zwei Flaschen Wasser, eine große Flasche Cola und ein paar Müsliriegel. Dann versuchte ich Eva anzurufen. Der Ruf ging zwar hinaus, aber Eva meldete sich nicht. Es war jetzt kurz vor sieben Uhr und ich nahm an, dass sie noch fest schlief. Ich versuchte es bei Wiesel. Den erreichte ich schon und ich konnte ihm berichten, was ich inzwischen erfahren hatte und dass ich vorhatte, die Konten von Viktor Schiewerski zu plündern, um seine Bewegungsfreiheit entscheidend zu beschneiden. Einige Äußerungen von Dr. Keller bei seiner gestrigen Aussage 210 hatten mich stutzig gemacht und ich fand es an der Zeit, dass ich auch über Eva und ihre Vergangenheit einiges wissen musste. Ich fragte ihn, ob er mir helfen würde, die Vergangenheit von Eva auszuforschen. Er war davon nicht sehr angetan. Ich flehte ihn als Freund an, mir zu helfen, damit ich in der Behandlung Evas in der Zukunft keine Fehler machen würde. Erst da versprach er mir, sich darum zu kümmern und warnte mich eindringlich, dass es vielleicht nicht gut wäre, wenn ich zuviel von ihrer Vergangenheit wüsste. Es könne meine Liebe zu ihr gefährden. Ich sagte ihm, dass ich erwarten würde, dass etliche dunkle Stellen in ihrem Leben auftauchen würden, weil sie sonst wohl kaum so weit gefallen wäre, wie ich sie bei unserem Kennenlernen vorgefunden hätte. Es war mir klar, dass sie kein unbeschriebenes Blatt sein konnte. Allein der kurze Videoausschnitt, den ich im Studio gesehen hatte und ihre Alkoholexzesse während unserer jetzt erst kurzen Gemeinsamkeit hatten mich das gelehrt. Dann sprach ich ihn auch noch auf einen möglichen Safe in einer Filiale einer schweizerischen Bank in Frankfurt an und fragte ihn, ob er mit dem Tresorschlüssel, den ich bei ihm deponiert hatte, herausfinden könne, bei welcher Bank sich dieser Safe befand. Er meinte, dass würde keine so große Schwierigkeit sein. Ob wir dann allerdings daran könnten, läge sicherlich nur daran, wie gut seine Verbindungen zu dem jeweiligen Bankmanager sein würden. Ich bedankte mich und legte auf und versuchte erneut Eva ans Telefon zu bekommen. Sie antwortete auch diesmal nicht, obwohl ihr Telefon eingeschaltet war und klingelte. Ich stärkte mich mit den Müsliriegeln und der Cola und fuhr weiter. Ich fuhr innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzungen, denn ich hatte viel Zeit. Vor neun Uhr würde erstens mein Mitfahrer nicht wieder zu sich kommen, und zweitens noch keine Bank geöffnet haben. 211 Als wir dann kurz vor neun Uhr in der Innenstadt von Luxemburg in der Nähe des Bahnhofs eintrafen, regte sich Keller auf dem Rücksitz. Auf einem Parkplatz hinter dem Bahnhof legte ich ihm Handschellen an und gab ihm Wasser zu trinken. Er glotzte mich mit glasigen Augen verständnislos an. Es brauchte seine Zeit, dass er registrierte, dass er immer noch nicht tot war und in einem Auto saß. Erst als ich ihm die Pistole in die Seite drückte, begriff er. Ich erklärte ihm die Situation: „Wir sind hier in Luxemburg. Den Rachengel sind wir losgeworden und mich interessiert das Geld auf dem Konto hier.“ Es war offensichtlich, dass er mich nicht als seinen Peiniger von gestern wiedererkannte, denn er fragte:“ Was ist mit dem schwarzen Monster?“ „Ist ausgeschaltet. Und wenn du uns bei dieser Kontensache unterstützt, bringen wir dich auch vor Victor in Sicherheit“, log ich ihn an. Hoffnung glimmte in seinen Augen, aus denen er mich aber immer noch verängstigt und misstrauisch beobachtete als er fragte: „Und was sollen dann die Handschellen und die Pistole?“ „Zur Sicherheit und damit du siehst, wir machen auch ernst. Wenn du kooperierst, werde ich dich losmachen und wir werden hier in einem Hotelzimmer versuchen dich soweit zu restaurieren, dass du wieder wie ein Mensch aussiehst und auch so riechst. So wie du momentan aussiehst, lassen die dich in keine Bank, noch nicht Mal auf eine Parkbank. Ich mache dich gleich los, dann gehen wir dort hinüber zu dem Hotel und wir mieten uns dort ein. Es wird so aussehen, als kämen wir gerade nach langer Fahrt mit dem Zug hier an. Während du badest und dich rasierst, werde ich uns Frühstück auf das Zimmer bestellen. Danach gehen wir zur Bank. Falls du versuchen solltest Tricks anzuwenden, oder zu Flüchten, werde ich dich auf der Stelle erschießen. Ich kenn mich darin 212 aus. Das ist schon lange mein Job, und ich bin gut darin. Hast du verstanden?“ Er sah mich an, und fragte dann: „Und wie soll es danach weitergehen?“ „Wir werden zu dir nach Hause fahren und du zeigst mir das Studio wo Beweise gegen Victor lagern und gegen andere hohe Herrschaften aus deiner Stadtregierung. Die werden wir uns unter den Nagel reißen und dann werde ich dich in Sicherheit bringen. Ich glaube nicht, dass Viktor Verbindungen nach Afrika hat. Da kannst du dir dann ´nen schönen Lebensabend machen. Die kleinen schwarzen Mädchen werden dich begeistern.“ „Und warum macht ihr das und woher weißt du von meinem Zuhause?“ „Wir haben noch eine uralte Rechnung mit Viktor offen und haben die Aufzeichnungen von deinem Verhör von gestern. Also los, gehen wir. Und denk dran, du bist schneller weg vom Fenster, als du nur an Flucht denken kannst.“ Ich schloss die Handfesseln auf und stupste ihn aus dem Wagen. Er war zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, aber wir kamen in das Hotel. Meine Leinentasche war unser Gepäck und man vermietete uns ein Doppelzimmer, welches ich mit Frühstück für zwei Tage mietete. Ich bezahlte im Voraus in bar. Nachdem Keller rasiert war und geduscht hatte, sah er einigermaßen manierlich aus und wir frühstückten. Als er zappelig wurde, weil ihm Rauschgift fehlte, gab ich ihm eine kleine Portion, die er sofort schniefte. In der Bank lief alles reibungslos. Bis auf einen Betrag von weniger als Fünftausend DM hoben wir alles ab. Ich hatte die Zahlungsanweisung auf das Konto des Clubbesitzers in Verviers ausgestellt und den Rest hatten wir mit einer fadenscheinigen Begründung, es nur kurzfristig bar zu gebrauchen, um es in ein paar Tagen vermehrt wieder einzuzahlen, ausgehändigt bekommen. Wir mussten nur etwa eine Stunde warten, bis man die über drei Millionen in großen 213 Scheinen besorgt hatte. Man stellte uns sogar einen Aluminiumkoffer für den Transport zur Verfügung. Auf dem Rückweg ins Hotel hatte Keller immer wieder den Koffer gierig angesehen. Er machte sicherlich Pläne, wie er daran kommen könnte. In einem Spirituosenladen nicht weit vom Hotel entfernt, kaufte ich eine Flasche Wodka und ließ sie ihn tragen. Im Hotel holte ich schnell die Zahnputzgläser aus dem Bad, ließ den Koffer dort zurück und mixte uns einen gewaltigen Drink. Er hatte nicht mitbekommen, dass ich das kleine Fläschchen mit den K.o.-Tropfen dort hinein geleert hatte. Er hatte den Drink auf einen Zug geleert und war wie ein Klotz umgefallen. Ich konnte ihn gerade noch auffangen und auf das Bett legen. Danach machte ich mit dem Koffer wieder auf den Weg. Diesmal zu einer anderen Bank. Dort eröffnete ich ein Konto und zahlte den fast vollen Betrag wieder ein. Ich wechselte noch einiges Geld in belgische Franc und holländische Gulden und US-Dollar und verließ die Bank. Die Kontoeröffnungsunterlagen verstaute ich in einem Briefumschlag, den ich an Wiesel adressierte und um Übersendung dorthin bat. In einem Fischspezialitätenrestaurant am Place d’armes aß ich im Freien sitzend exotisch zubereitete Riesengarnelen und war mit den Ergebnissen des heutigen Tages zufrieden. Es beunruhigte mich allerdings ein wenig, dass ich Eva nicht erreichen konnte. Sie hatte das Telefon jetzt scheinbar ausgeschaltet. Ich ging langsam, die warme Sonne des Tages genießend, über die Talbrücke zurück zu meinem Wagen und fuhr ihn direkt vor das Hotel. Hier nahm ich den schlafenden Keller, so als ob ich einen Kranken oder Betrunkenen stützte, und beförderte ihn zum Wagen. Ich setzte ihn gegen die Tür der Beifahrerseite gelehnt angeschnallt auf den Vordersitz und fuhr über die Autobahn Trier nach Bonn und Köln. An einer Raststätte bei Leverkusen tankte ich und fuhr auf der A1 bis zum Haus von Keller. Er hatte die ganze Zeit geschlafen und 214 wurde noch nicht einmal wach, als ich ihn in sein Haus schleifte. Im Badezimmer fesselte ich ihn mit den Handschellen an den Heizkörper und legte im Wohnzimmer das Video und die Schlüssel für die Handschellen auf den Tisch. Danach ging ich über den Hof von hinten ins Filmstudio und sah mich um. Hier waren keine Hinweise mehr zu finden. Sämtliche Videos und Fotos waren verschwunden. Ich überprüfte noch den Player und stellte fest, dass Wiesels Leute vergessen hatten, die letzte Kassette zu entfernen. Es war die Kassette gewesen, auf der Virginia und Eva beim Liebesspiel zu sehen waren. Ich steckte sie ein und ging durch die Haustür des „Möbiushauses“ zu meinem Wagen und fuhr wieder los. Ich war schon wieder auf der Autobahn in Richtung Monschau, als ich die Mordkommission der Stadt anrief, um ihnen mitzuteilen, dass sie einen gewissen Dr. Keller im Badezimmer gefesselt unter der Adresse die ich ihnen nannte, finden konnten. Die Beweise würden auf dem Wohnzimmertisch liegen und die Knochenreste des ermordeten Mädchens unter dem Busch auf dem Hof. Ich hatte mit einem gewissen Kommissar Waldtmann gesprochen und meinen Namen verschwiegen. Während der Fahrt hatte ich immer wieder versucht Eva zu erreichen. Es war vergeblich. Meine Beunruhigung wuchs und ich rief Wiesel an, ob er eine Nachricht von Eva erhalten hatte. Er hatte auch nichts gehört. Schließlich rief ich das Hotel an und fragte nach Eva. Man bestätigte, dass sie im Moment an der Bar sei. Ich konnte das Naserümpfen der Rezeptionistin durch das Telefon sehen. Sie sagte spitz: „Aber sie ist wohl zu betrunken, um noch ans Telefon gerufen werden zu können“, und hatte aufgelegt. Mir dämmerte, dass Eva, allein gelassen, wieder den Hang zur Flasche entdeckt hatte. Ich fuhr so schnell ich konnte. Es war trotzdem schon zwei Uhr morgens, als ich im Hotel ankam. Nach den kurzen Schlafintervallen der vorletzten 215 Nacht, der durchwachten vergangenen Nacht und über 1400 Kilometer Fahrt, war ich hundemüde. Eva lag angezogen, leicht schnarchend auf dem Bett. Ich zog sie aus und legte sie ordentlich ins Bett und nahm mir noch eine Flasche Bier aus der Minibar. Ich trank nur die Hälfte der Flasche, bevor ich endgültig in bleischweren Schlaf fiel. Der nächste Morgen war eine mittlere Katastrophe. Ich erwachte gegen acht Uhr und Eva schlief immer noch neben mir. Auch nachdem ich mich geduscht und angezogen hatte, war sie noch nicht ansprechbar. Ich bestellte das Frühstück aufs Zimmer. Kurz nachdem das Frühstück gebracht worden war, kam der Anruf des Direktors. Man bat mich höflich, aber entschieden, das Zimmer bis 10 Uhr zu räumen. Die Aufführung meiner Gattin am gestrigen Abend würde nicht mit den Prinzipien des Hauses einhergehen und daher möchten wir uns ein anderes Domizil suchen. Als er ansetzte mir lang und breit erklären zu wollen, was einzeln vorgefallen war, unterbrach ich ihn nur und fragte ihn, ob materieller Schaden entstanden sei und wenn, solle er es auf die Rechnung setzen. Ich sagte ihm unsere Abreise zu, bat aber um weitere zwei Stunden, so dass wir erst um 12 Uhr das Hotel verlassen müssten. Dann versuchte ich Eva wach zu bekommen. Sie war noch im Halbschlaf als ich sie unter die Dusche in der Wanne bugsiert hatte und begann Wechselduschen über sie laufen zu lassen. Erst als ich das Wasser eiskalt eingestellt hatte, fing sie an sich zu wehren. Als ich sie dann endgültig wach hatte, war ich ebenso nass, wie sie selbst. Ich konnte meine Kleidung auswringen und das Badezimmer war eine einzige Überschwemmung. Ich war stinkewütend. Ich packte meine nassen Sachen in einen Plastikbeutel, der für Schmutzwäsche vorgesehen war, trank noch eine Tasse Kaffee und fing an die Koffer zu packen. Eva saß geistesabwesend in einem Sessel. Wenigstens hatte sie sich schon angezogen. Ich forderte sie 216 auf, ebenfalls Kaffee zu trinken und mir danach beim packen zu helfen, aber sie reagierte erst nachdem ich ihr die Kaffeetasse an den Mund gehalten hatte. „Schütt wenigstens einen Cognac da rein, damit mein Kreislauf wieder in Gang kommt“, bat sie mich. Ich sah in die Minibar und stellte fest, es gab keine „harten“ Sachen mehr. Das war mir gestern bei meiner Ankunft nicht aufgefallen, als ich mir noch das Bier herausgenommen hatte. Wahrscheinlich hatte Eva gestern erst die Minibar geleert und war dann erst nach unten gegangen. Um 11 Uhr waren wir dann endlich soweit. Ich bat Eva sofort ins Auto zu gehen und dort auf mich zu warten, während ich die Rechnung beglich. Der Herr Direktor bediente mich persönlich. Mit eisigem Gesicht verkündete er mir nicht nur die Rechnungshöhe, sondern auch, dass ich doch bitte nicht wieder hier einkehren sollte. Die Rechnung war gesalzen. Eva musste ziemlich in der Bar gewütet haben. Ich trug die letzten Sachen zum Auto und glaubte meinen Augen nicht trauen zu können. Eva war nicht im Auto. die Tür des Wagens stand offen und ich entdeckte sie auf der anderen Straßenseite an einem Kiosk und sah zu, wie sie einen Flachmann Schnaps ansetzte und auf einen Zug austrank. Ich holte sie zurück, und der Griff, mit dem ich sie am Arm festhielt, war nicht gerade zärtlich. Sie beklagte sich auch prompt. Dies war ein neues Kapitel in unserer Geschichte. Bisher hatte ich sie nur apathisch oder heulend erlebt, wenn sie betrunken war, aber jetzt wurde sie auch noch renitent. Sie beschimpfte mich auf den nächsten Kilometern die ich fuhr. Ich schwieg, um ihr zunächst Gelegenheit zu geben, Dampf abzulassen. Als sie dann etwas ruhiger war, schlug ich den Weg zu den Schiewerskis ein. Ich musste sie dringend vor dem Bruder warnen; denn ich nahm an, dass er sich sofort dorthin wenden würde, wenn er merkte, dass sein Geld verschwunden war, sein Lager in Verviers ausgeräumt und seine Identität als Dr. Keller durch die Verhaftung des 217 wirklichen Dr. Kellers aufgeflogen war. Die Gefahr, dass er in die Rolle seines Bruders Walter schlüpfen würde, war für mich vorstellbar. Und eine Augenklappe über einem gesunden Auge zu tragen, ist auch kein unüberwindliches Hindernis. Eva war endlich neben mir ruhig, als wir auf den Hof fuhren. Walter Schiewerski war mit seinem Transporter unterwegs, aber wir konnten Frau Schiewerski warnen. Ich fragte sie, ob sie über ein Handy verfügte, was sie bestätigte. Wir programmierten meine Handynummer unter der Kurzwahl 1, wie ich es schon auf unseren Handys, die Eva und ich benutzten, getan hatte, und bat sie die Kurzwahl sofort zu betätigen, wenn Viktor auftauchen sollte. Ich würde dann die Polizei benachrichtigen. Sie bedankte sich und als ich kurz die Toilette im Hause benutzte, hatte Eva die Gelegenheit wahrgenommen und hatte von Frau Schiewerski einen großen Schnaps in einem Wasserglas erbettelt. Sie stürzte den Inhalt hinunter als sie mich erscheinen sah. Mir wurde klar, dass ich bei den nächsten Nachforschungen ein nicht zu übersehendes Problem hatte. Ich rief über das Telefon der Schiewerskis bei der Mordkommission an und bat mit Kommissar Waldtmann sprechen zu dürfen. Er war mit einem Team schon wieder im Hause des Möbius und überwachte die Ausgrabungen auf dem Hof. Man verband mich mit einer Kommissarin namens Amelungen, die natürlich wissen wollte, mit wem sie sprach, als ich sie nach den Fortschritten ihrer gestrigen Verhaftung befragte. Ich sagte ihr, wer ich sei und dass ich als Privatermittler noch den Hauptschuldigen Schiewerski alias Möbius alias Dr. Keller im belgisch, holländischen Raumes verfolgte und daher keine Zeit für lange Befragungen hätte. Sie sagte mir, dass ihr Chef mich dringend sehen wolle und dass er getobt hätte, dass ich den jetzigen Gefangenen dort allein zurückgelassen hätte. Ich hätte dringend dort bleiben müssen und sie befahl mir sofort zurück zu kommen um weitere Erklärungen abgeben zu können. So wie es aussehen 218 würde, wäre das Mädchen nicht etwa durch Genickbruch gestorben, sondern mit einem Hammer oder einem ähnlichen Gegenstand erschlagen worden. Das hätte zumindest der Pathologe gemeint, als er den Schädel des Kindes am Fundort gesehen hätte. Das hatte ihr Waldtmann telefonisch schon mitgeteilt. Gemeinsam mit dem Geständnis, das sie gefunden hatten, würde es ausreichen Keller den Prozess zu machen, aber es seien noch unendlich viele Fragen offen. Ich sagte ihr, dass ich versuchen würde weitere Beweise zu finden und vor allen Dingen den Haupttäter herbei zu schaffen. Sie machte mich sehr kühl darauf aufmerksam, dass dies die Aufgabe der Polizei sei, und nicht einem privaten Ermittler übertragen werden könne. „Ich melde mich wieder, sobald ich mehr weiß“, sagte ich nur und legte auf. Wir verabschiedeten uns von Frau Schiewerski und ich warnte sie nochmals, denn ich rechnete damit, dass Viktor wie ein waidgeschossener Bär in der nächsten Zeit auftauchen und unberechenbar sein würde. Ich hatte mitbekommen, dass Eva während meines Telefonats ein weiteres Glas Schnaps getrunken hatte. Ich nahm sie wortlos am Arm und führte sie zum Auto. Sie machte jetzt wieder einen ganz normalen Eindruck, auch wenn sie schläfrig wurde. Ich fuhr nach Aachen um den Wagen wieder auszutauschen und während der Werkstattbesitzer und Eva das Gepäck umluden, hatte ich Wiesel angerufen und ihm die Schwierigkeiten mit Eva geschildert. Er hatte nur gesagt: „Gib ihr soviel zu trinken wie sie verlangt und komm hierher. Meine Frau und ein befreundeter Arzt werden sich in den nächsten Tagen um sie kümmern. Die Nachforschungen über Eva haben schon so etwas angedeutet. Sie braucht jetzt professionelle Hilfe und du kannst in Ruhe weiter ermitteln.“ Trotz des wesentlich schnelleren Wagens kamen wir erst gegen 20 Uhr bei den Starcks an, denn ich hatte mehrfach halten müssen, um für Eva Schnaps zu besorgen. Mir zerriss 219 es fast das Herz, zusehen zu müssen, wie sie sich systematisch betrank. Eine Unterhaltung hatte nicht eigentlich stattgefunden während unserer Fahrt. Sie hatte nur hin und wieder trunken vor sich hingekichert und zweimal versucht mir an die Hose zu greifen und mir versichert, dass sie es mir besonders schön besorgen würde, bei Tempo zweihundert, aber ich hatte sie einfach zurück in ihre Ecke gedrängt. Sie hatte dann schmollend von mir gelassen und bald um Nachschub an Schnaps gebeten. Ich war mehr als besorgt und Frau Starck hatte Eva liebevoll in den Arm genommen, als sie auf dem Hof torkelnd ausgestiegen war. Die beiden Frauen hatten sich sofort entfernt und Wiesel hatte mich in die Küche gebeten, wo ein ordentliches Abendbrot für mich bereit stand. Während ich aß, hatte mir Wiesel von seinen Nachforschungen nach dem Banksafe erzählt. Es war ihm gelungen den Bankdirektor zu überzeugen, dass wir unter Umgehung der Schweigepflicht, den Tresor leeren durften und in einem neuen Fach, dass wir unter meinem Namen dort anmieten sollten, unterbringen konnten. Die Unterlagen über die Kontoeröffnung des Lewinskis würden vernichtet werden. Lewinski hätte demnach nie dort ein Konto und auch kein Safe unterhalten. Wiesel hatte ihm gedroht in eine Staatsaffäre hineingezogen zu werden, die dem Ansehen seiner Bank außerordentlich schaden könne. Wir wollten die Unterlagen morgen früh sofort sicherstellen. Ich hoffte auch darauf, dass wir ein Videoband mit der Erschießung des wirklichen Möbius finden würden. Ich hatte nicht mitbekommen, dass, während wir uns in der Küche unterhielten, ein Arzt gekommen war und als wenig später ein Krankenwagen vorfuhr, war ich sehr erstaunt. Der Arzt hatte Eva eine Beruhigungsspritze verabreicht und sie wurde in eine geschlossene Abteilung des Krankenhauses gebracht. Hier wollte man in den nächsten Tagen versuchen eine Entgiftung vorzunehmen und dann mit einer Entzugstherapie beginnen. Ich wurde aufgefordert zu bleiben 220 wo ich war, denn helfen könne ich im Moment nicht. Es wäre eher die Gefahr, dass sich der Zustand der Patientin bei meinem Anblick verschlechtern könne. Der Arzt befragte mich lediglich noch nach der Menge Alkohol, die Eva heute zu sich genommen hatte und bedankte sich bei Wiesel für die Überlassung der Unterlagen. Ich sagte dem Arzt, dass Eva heute nahezu drei Flaschen Wodka getrunken hätte und ich über den gestrigen Verbrauch nichts wüsste, aber davon ausging, dass es möglicherweise noch mehr gewesen sei. Als er gegangen war sah ich Wiesel fragend an: „Unterlagen?“ „Ja, Unterlagen über den Verfall deiner Angebeteten. Danach hat Eva schon drei erfolglose Entzugstherapien hinter sich. Die ersten beiden erfolgten auf eigenen Wunsch, die dritte wurde vom Gericht angeordnet. Danach schien sie soweit in Ordnung und als sie dann in der Kirchengemeinde aufgenommen wurde und im Sozialplan der Stadt schien alles geregelt. Nach diesen Unterlagen kann sich der Arzt die Krankenblätter aus den verschiedenen Krankenhäusern kommen lassen und darauf aufbauend die Behandlung ansetzen.“ Er bot mir an, die Unterlagen einzusehen, obwohl sie noch nicht vollständig waren. Ich war aber derart deprimiert, dass ich darauf verzichtete und sagte ihm, dass ich ins Hotel wolle um mich gründlich auszuschlafen, damit wir morgen den Banksafe umräumen könnten. Er sah mir an, was in mir vorging und klopfte mir aufmunternd auf den Rücken als ich zum Wagen ging. Es war ein Zimmer frei und ich schaffte die Koffer hinauf. Den Rucksack ließ ich im Wagen und nahm nur das Videoband aus Bremen mit nach oben. Ich legte mich angezogen aufs Bett, legte den Film in das Abspielgerät und sah mir den ganzen Streifen an. Es war ein hervorragend fotografierter Pornofilm, der sogar eine gewisse Regie erkennen ließ. Scheinbar war das Werk auch nicht an einem Tag entstanden, sondern aus mehreren Episoden zusammen 221 geschnitten worden. Aber immer waren es Eva und die Virginia die in den Hauptparts sich zunächst lesbisch betätigten und später kamen dann männliche Partner hinzu. Zwei der Darsteller kannte ich. Möbius und den Justizsenator. Jetzt wusste ich wenigstens warum man Waldtmann derartig viel Druck von oben machte, um mich aus dem Verkehr zu ziehen. Der Geschmack, den ich im Mund hatte, wurde immer bitterer, gallenbitter. Nach der etwa einstündigen Vorführung war ich frustriert, deprimiert und wütend. Ich zog mir eine Jacke über, packte das Video wieder in seine Verpackung und nahm es mit hinunter zum Wagen und verstaute es wieder im Rucksack. Ich suchte mir eine kleine örtliche Kneipe, setzte mich an die Bar und trank Bier und Rakki. Das war der einzige Schnaps den sie gekühlt hatten. Der Wirt war ein freundlicher Türke und es schienen eine ganze Anzahl der Anwesenden Stammgäste zu sein. Deutsche, die die Gastfreundschaft des Mannes genossen. Die an der Theke versammelten Männer und der Wirt bezogen mich sofort mit in die Gespräche ein und das lenkte mich ein wenig von meinen Sorgen ab. Als der Wirt die Kneipe schließen wollte, waren wir immer noch zu sechst und der Wirt reichte noch eine weitere Runde des AnisSchnapses, bevor er uns endgültig hinauskomplimentierte. Es war drei Uhr morgens. Trotz des Alkoholgenusses schlief ich schlecht und war um sieben wieder auf den Beinen. Nach Rasur und längerem Wechselduschen ging ich frühstücken und war um Halbneun Uhr wieder auf dem Hof der Firma Starck. Wiesel nahm sofort den Geruch wahr den ich verströmte. Er runzelte nur kurz die Stirn, sagte aber nichts. Er befahl nur, dass ich nicht fahren sollte und wir ließen uns von einem seiner Männer nach Frankfurt fahren. Das Schrankfach, welches uns gezeigt wurde, war eines der ganz großen, die direkt über dem Fußboden des Saferaumes angebracht waren. Hier hätte man auch Überseekoffer 222 deponieren können. Ähnlich einer Schließfachanlage eines Bahnhofs oder Flughafens waren die Fächer nach oben hin kleiner. Die Stahlkassette fuhr auf Schienen heraus und die Flut der darin lagernden Akten und Gegenstände überraschte uns doch. Es waren noch wesentlich mehr, als ich schon im Kirchentresor gefunden hatte. Es waren auch drei Videokassetten vorhanden. Es waren auch dicke Bündel von Wertpapieren, diverse Goldbarren und eine hohe Summe von Bargeld vorhanden und jede Menge Akten. Der Inhalt der ersten Akte, die ich Aufschlug, war eindeutig. Ich blätterte oberflächlich weitere Akten durch. Fotos mit eindeutigen Sexszenen waren abgeheftet, dahinter waren Computerausdrucke mit Daten und Fakten. Dann waren dort Zahlungsbelege abgeheftet. Entweder Zahlungen, die von den Erpressten gezahlt worden waren, oder von Zahlungen die an die Männer oder Frauen die Lewinski mit Bestechungsgeldern versorgt hatte. Es war sehr ordentlich aufgeführt, auf welche Konten die Gelder überwiesen worden waren und welche Gegenleistungen dafür erbracht worden waren. Der Bankmanager und seine Leute hatte ganze Arbeit geleistet. Die Unterlagen über Lewinski waren vernichtet worden und das Fach wurde an uns gemeinschaftlich, unter dem ursprünglichen Datum vermietet. Wiesel und ich waren einzeln bevollmächtigt an das Fach zu gehen. Das Konto, das für Lewinski ehemals eingerichtet worden war, wurde auf meinen Namen übertragen, nachdem sie festgestellt hatten, dass niemals Überweisungen von diesem Konto an irgendwelche Personen ausgeführt worden waren. Auch hatte es keine Beträge gegeben, die hierher überwiesen worden waren. Der Bestand auf dem Konto war nur durch Bareinzahlungen entstanden. Es waren immerhin über zwei Millionen Mark. Wiesel grinste mich an und meinte trocken: „Gelder, die du dem Finanzamt lieber verschweigst!“ Für den Notfall erteilte ich Wilhelm Starck Vollmacht über dieses Konto. 223 Ich sagte dem Manager nur noch als Warnung: Sie sollten in ihrem Filialnetz und Ihrer Zentrale nachforschen lassen, ob dort weitere Konten des Lewinskis existiert haben. Er solle mich benachrichtigen wenn er einen derartigen Tatbestand entdecken würde. Ich würde dann auch in einem solchen Fall helfend einspringen. Er versprach es mir und wir gingen nur mit den Videobändern im Gepäck zurück zu unserem Wagen. Der Fahrer brachte uns zurück nach Bad Homburg. Die Fahrt verlief schweigend. Ich bat den Fahrer bei der Klinik vorbei zu fahren, damit ich mit dem Arzt sprechen konnte. Wiesel hatte das Telefon benutzt und sich erkundigt, ob der Arzt überhaupt Zeit für uns hätte. Er würde haben. Das Gespräch mit ihm war dann allerdings nur kurz. Er unterrichtete uns über die Behandlungsmethode und sagte uns, dass er Eva bis zum endgültigen Alkoholabbau im Körper in eine Art Tiefschlaf versetzt hätte und sie künstlich ernähren würde. Sie lag auf der Intensivstation und schlief jetzt tief. Ich durfte sie für einige Minuten besuchen. Sie war ein jämmerlicher Anblick. Klein und zart lag sie unter den Laken und war an verschieden Schläuche angeschlossen. Ich drückte ihr einen innigen Kuss auf die Stirn und verließ traurig das Krankenzimmer. Wir fuhren zurück in die Villa, nachdem mir der Arzt nochmals versichert hatte, dass ich im Moment nichts weiter für die Patientin tun könne. Man würde uns benachrichtigen, wenn unser Erscheinen erwünscht wäre. Wiesel und ich machten Pläne zu meinem weiteren Vorgehen. Jetzt erfolgte auch die ernst gemeinte Rüge zu meinem gestrigen Alkoholkonsum. Er sagte nur: „Waldi, du weißt, dass du ähnlich gefährdet bist, wie Eva. Ich möchte Euch nicht verlieren. Pass auf dich auf.“ Ich versprach es ihm. Nachdem wir unsere Pläne geschmiedet hatten, versuchte ich Walter Schiewerski oder seine Frau zu erreichen. Ich erreichte sie, und sie schien ein wenig beunruhigt, denn ihr Mann war zwar während ihrer nächtlichen Abwesenheit zu Hause gewesen, war aber schon 224 wieder unterwegs ohne ihr zu hinterlassen, wohin er gefahren war. In den Unterlagen hatte sie auch keine Hinweise auf seine Aufträge feststellen können und da er sich bisher nicht gemeldet hatte, war sie beunruhigt. Sie wolle jetzt gleich zur Arbeit aufbrechen und wollte ihm einen Zettel hinlegen, dass er sie anrufen solle, wenn wer zurück sei. Ich fragte sie nur, ob ich für meine Nachforschungen bei Ihnen wohnen könne und sie sagte mir zu. Bis Mitternacht sei sie in dem Speiselokal und danach wieder im Hotel. Da könne ich mir einen Schlüssel abholen. Etwas ängstlich fragte sie, ob ich meine Frau mitbringen würde. Ich beruhigte sie und sagte ihr, dass sie bei Freunde wäre und nicht wieder den ganzen Hotelbetrieb oder ihren Haushalt auf den Kopf stellen würde. Sie schien sichtlich erleichtert. Eva musste sich fürchterlich aufgeführt haben. Ich war noch auf der A3 kurz vor Köln, als mein Handy klingelte. Ich schaltete die Freisprecheinrichtung an und meldete mich nur mit: „Ja“, weil ich erwartete, dass es Frau Schiewerski war. Es war aber Wiesel, und er war aufgeregt: „Wo bist du?“ Ich sagte es ihm, und er sprudelte los:“ Fahr sofort nach Köln - Deutz, in die Benzstraße zur Firma „AutoKöhler“. Dort wechselst du wieder deinen Wagen und lässt deinen dort. Keller hat sich umgebracht und die Polizei suchen nicht nach Möbius, sondern nach dir. Sie gehen davon aus, dass du dich im Raum Aachen, Lüttich, Maastricht aufhältst. Meide Monschau und Verviers. Mit Hilfe der belgischen Kollegen haben sie das Lagerhaus in Verviers aufgefunden, aber es war komplett ausgeräumt. Sie haben dort nur Post gefunden, die an Dr. Keller gerichtet war und nachgeschickt worden ist. Sie machen Großjagd auf dich. Mein Mann aus Bremen berichtet mir, dass du auf der Fahndungsliste ganz oben stehst. Was man dir vorwirft, konnte er aber nicht herausfinden. Sie haben natürlich dein Autokennzeichen, also sehe zu, dass du bald ein neutrales Fahrzeug hast.“ 225 „Okay ich melde mich, wenn ich mich vernebelt habe. Bis dahin.“ In der angegebenen Werkstatt wurde ich schon empfangen, als ich auf den Hof fuhr. Man wies mich an, alle persönlichen Sachen aus meinem Auto zu entfernen und sagte mir, dass ein Mitarbeiter den Wagen in die Parkgarage des Flughafens Köln-Bonn stellen würde. Wenn man ihn dort entdeckte, könnte der Eindruck erweckt werden, dass ich von dort aus ins Ausland geflogen wäre. Ich bekam einen Firmenwagen des Autohändlers, einen 7er BMW mit Vollausstattung. Mein Handy hatte ich in meinem Wagen gelassen, denn ich wusste nicht, ob die Nummer nicht bei meinem Anruf in der Polizeizentrale, als ich den Aufenthaltsort von Dr. Keller durchgegeben hatte, registriert worden war. Von einer Telefonzelle aus rief ich das Handy von Frau Schiewerski an und sagte ihr nur: „Können Sie Ihr Handy Programmieren? Wenn ja, notieren Sie sich folgende Nummer unter der ich ab jetzt zu erreichen bin. Es ist die „0172-4333182“. Ich kann auch nicht nach Monschau kommen. Ich werde erst in Spanien auf die Jagd gehen müssen.“ „Ich hätte mich sicherer gefühlt, wenn Sie in der Nähe gewesen wären. Aber was nicht geht, geht nicht. Fangen Sie das Ungeheuer bitte. Ich habe solche Angst um Walter. Ich weiß immer noch nichts von ihm.“ „Er hat vielleicht endlich wieder einen größeren Auftrag und hatte nur keine Gelegenheit es Ihnen mitzuteilen“, sagte ich etwas lahm. „Er ruft mich doch sonst auch immer von zu seinen Touren an. Ich hab einfach Angst.“ „Ich versuche nebenher herauszufinden, was mit ihm ist. Ich werde einen Freund bitten, diesbezüglich tätig zu werden.“ Ich hatte ehrlich gesagt auch Angst, dass dem Einäugigen etwas passiert sein könnte. Ich rief nochmals Wiesel an und fragte ihn, ob er einen Mann auf das Schicksal von Walter 226 Schiewerski ansetzen könne. Er war nicht sehr erbaut, und sagte, dass er auch anderweitig viel zu tun hätte, aber er wolle versuchen, was er tun könne. „Und wenn es ein befreundetes Unternehmen aus dieser Gegend ist, bitte beauftrage es. Ich will gerne dafür bezahlen, denn Geld habe ich jetzt mehr, als jemals zuvor in meinem Leben.“ „Okay, ich sorge dafür. Bis später.“ Ich fuhr aus Deutz wieder heraus auf die A3 und fuhr bis Duisburg und wechselte auf die A40 in Richtung Venlo – Eindhoven. In einem der Vororte von Eindhoven, nahe der Autobahn, fand ich ein Motel in dem ich mich für die Nacht einmietete. Ich gab Wiesel kurz durch wo ich gelandet war und fragte ihn ob es Neuigkeiten aus der Fahndung nach mir gäbe und wie es Eva ginge. Er sagte nur, dass alles unverändert sei, er aber das Video mit dem Mord an Möbius gefunden hätte. Er ließ es gerade vervielfältigen. Er wollte eine Kopie anonym der Polizei zuspielen. In einem Steakhaus in der Nähe des Motels aß ich noch ein Steak und genehmigte mir zwei holländische Bier, bevor ich müde zurückkehrte und in mein Bett sank. Am nächsten Morgen ließ ich mir Zeit und frühstückte gemächlich in einem Drive-Inn amerikanischen Vorbilds nahe der Autobahn, bevor ich mich nach Maastricht aufmachte. Ich hatte mir durch Wiesel in einem Großhotel unter den Namen Dr. med. Engel eine Suite reservieren lassen. Er pruste vor Lachen, als ich ihm den Namensvorschlag machte. „Den Teufel als Engel ausgeben, das sieht dir ähnlich; aber dich als Mediziner auszugeben ist nicht schlecht. Wird erledigt.“ Ich fuhr direkt auf die Auffahrt des Hotels, händigte dem Portier meine Wagenschlüssel aus und befahl hochnäsig: „Fahren Sie den Wagen in die Garage und bringen Sie das Gepäck in meine Suite. Dr. Engel“, und drückte ihm einen Zehnguldenschein in die Hand und ging erhobenen Hauptes 227 durch die Lobby zur Rezeption. Der dunkelblaue Anzug, den ich trug, ließ mich sehr wichtig erscheinen. Die Anmeldung ging sehr schnell, als ich meinen Namen und meine Reservierungsnummer gesagt hatte und man geleitete mich zur Suite mit Ausblick auf die Maas. Ich war zufrieden und gab dem Boy ein mickriges Trinkgeld. Das Gepäck kam wenig später und der Hausdiener bekam auch nur zwei Gulden. Keiner hatte mich länger angesehen und angesichts der bescheidenen Trinkgelder wurde ich sicherlich nur als hochnäsiger deutscher Arzt eingeschätzt, der nicht weiter zu beachten war. Über das Handy, das ich aus dem Wagen mitgenommen hatte, meldete ich mich bei Wiesel und sagte ihm, dass ich unauffällig eingecheckt hätte. Walter Schiewerski hatte sich endlich gemeldet und seine Frau war wieder beruhigt. Er fuhr jeden Tag Touren zwischen Aachen und Frankreich und transportierte Chemikalien. Nicht ganz legal, aber gewinnbringend. Daher hatte er seine Frau auch nicht unterrichtet. Ich verwandelte mich inzwischen zu einem ewigen Ami-Studenten, mit Glasfensterbrille, verstrubbelten Haar und diversen Büchern unterm Arm. Typische Jeans, Turnschuhe und über der Hose getragenem Hemd. Ich sah sehr amerikanisch aus. Der Portier, der mir vorhin den Wagenschlüssel abgenommen hatte, nahm keinerlei Notiz von mir. Bei einem Autoverleih in einem nahe gelegenen Industriegebiet besorgte ich mir ein Auto. Ich legte dem Mann der Autovermietung einen amerikanischen Collegeausweis, den mir ein Freund einmal geschenkt hatte vor und zahlte mit US-Dollars bar im Voraus für eine Woche. Den Ausweis hatte er nur mit einem Blick gestreift, weil ich die Geldscheine schon in der Hand hielt. Ich krakelte nur noch eine unleserliche Unterschrift unter den Mietvertrag, den ich selbst ausgefüllt hatte, weil er telefonieren musste und bekam den Schlüssel ausgehändigt. Er war so freundlich mir einen Stadtplan mit den Sehenswürdigkeiten der Stadt 228 auszuhändigen. Ich war somit wieder zweifach mobil und konnte mich anhand der Karte in der Stadt orientieren. Ich fand das Filmstudio an diesem Abend nicht mehr, obwohl ich daran zweimal vorübergefahren war, wie ich am nächsten Morgen feststellte. Ich hatte mich später noch planlos in der Innenstadt, der Fußgängerzone herumgetrieben, hatte einige Clubs entdeckt, die auf meiner Liste standen, aber hatte sie nicht betreten. In einem kleinen urigen Studentenlokal hatte ich eine Kleinigkeit gegessen und ein paar Bier getrunken, bevor ich ins Hotel zurückkehrte. Den Wagen hatte ich etwas entfernt vom Hotel in einer Seitenstraße stehen lassen, wo das Parken erlaubt war. Ich ging schlafen. Am nächsten Morgen berichtete Wiesel mir, dass man meinen Wagen in der Parkgarage des Flughafens gefunden hätte und davon ausging, dass ich nach Spanien unterwegs war. Das konnten sie nur von Frau Schiewerski haben, denn sie war die Einzige, die ich auf diese Spur gesetzt hatte. Wiesel fragte mich dann nur, was für eine Telefonnummer ich denn Frau Schiewerskis gegeben hätte. Als er versucht hätte dort anzurufen, hätte sich ein völlig unbekannter Mann gemeldet. Ich grinste durch das Telefon: „Völlig frei erfunden. Sollte nur die Frau beruhigen und ablenken. Das es die Nummer wirklich gibt, habe ich nicht geahnt.“ Der Zustand von Eva schien sich ein wenig zu bessern. Sie brauchte weniger Beruhigungsmittel und hatte die erste feste Nahrung zu sich genommen. Frau Starck war jetzt häufig in ihrer Nähe und das schien sie aufzubauen. Ich dankte Wiesel und ließ seine Frau mit ganz vielen lieben Wünschen grüßen und dankte auch ihr. Dann machte ich mich wieder auf die Suche nach dem Filmstudio. Ich fand es auf Anhieb und hätte fast über meine Blindheit lachen können. Auch hier prangte das Schild „Oostman - Handel S.A“ über dem Rolltor. Ich wollte mir gerade einen geeigneten Platz zum Parken für das Auto suchen, um den Laden beobachten zu können, als ich 229 ihn sah. Er kam aus dem Lagerhaus und ging rasch zu einem Opel-Omega. Ich hatte Glück, denn er fuhr vor mir her in Richtung Innenstadt. Hier parkte er auf einem gebührenfreien Parkplatz in der Nähe der Fußgängerzone. Er hatte einen Packen Papiere bei sich und marschierte los. Ich hatte ebenfalls noch einen freien Platz bekommen und musste mich beeilen hinter ihm herzukommen. Er besuchte als erstes einen der Clubs, die auf meiner Liste standen, die ich aber gestern nicht betreten hatte. Ich sah wie er einem Mann ein Blatt Papier aus seinem Stapel reichte und auf ihn einredete. Dann verließ er das Lokal. Aus irgendeinem Grund, den ich später nie erklären konnte, ließ ich Viktor Möbius aus den Augen und er war verschwunden, ohne dass ich ihn wieder entdecken konnte. Ich ging zurück zu dem ersten Club, wo der Mann immer noch auf das Blatt Papier starrte, das ihm Möbius ausgehändigt hatte. Er war sehr erschrocken als ich mit einem Ruck die Tür geöffnet hatte und vor dem Tresen stand. Ich wusste auch warum. Vor ihm lag ein Bild von mir. Möbius suchte mich, wie ich ihn suchte! Das Bild konnte ihm nur durch den Justizsenator oder seinen Leuten zugespielt worden sein, denn es zeigte das Bild, was in meiner Privatdetektivlizenz eingeschweißt war. Der Mann hinter dem Tresen war bei meinem Anblick derart verängstigt, dass er sofort anfing um sein Leben zu flehen; auf Holländisch, aber das verstand auch ich. „Ganz ruhig, mein Lieber, können wir hier irgendwo nach hinten gehen? Ich möchte mit Ihnen reden, nichts weiter.“ Er stotterte: „Da, da lang“, und wies mir den Weg in den hinteren Teil des Lokals. „Bitte nach Ihnen“, sagte ich höflich. „Aber nicht erschießen. Von hinten erschießen“, jaulte er ängstlich. „Ich habe noch nicht einmal eine Pistole auf Sie gerichtet. Ich will mit Ihnen reden, sonst nichts.“ 230 Er blieb bibbernd vor mir im hinteren Teil des Lokales, von den Frontfenstern nicht mehr einsehbaren Teil stehen, und ich drückte seinen schmächtigen Körper auf einen Stuhl, angelte mir selbst einen und setzte mich rittlings darauf. Ich saß ihm direkt gegenüber. Er wusste nicht wohin er sehen sollte. Er schielte vor Angst. „Was hat er Ihnen gesagt, als er Ihnen das Bild gegeben hat?“ „Er hat gesagt, Sie suchen nach abtrünnigen Schafen, die noch nicht die neuen Schutzgebühren zahlen und er hat uns in der letzten Zeit immer noch die alten Gebühren zahlen lassen. Ich hätte ja bezahlt, aber das Geschäft geht so schlecht. Ich kann nicht noch mehr zahlen. Bitte tun Sie mir nichts, ich zahl ja schon Morgen wenn er wiederkommt die neuen Gebühren. Aber tun Sie mir nichts. Ich habe Familie, bitte.“ Er kniete vor mir und hatte mir die Hände gefaltet entgegengestreckt. Ich herrschte ihn an sich wieder hinzusetzen. „Und was sollen Sie tun, wenn ich auftauchen“, fragte ich ihn, obwohl ich die Antwort vorher wusste. „Ich soll ihn anrufen, er würde dann gleich kommen und Sie unschädlich machen. Wir würden dann einen fairen Preis ausmachen und ich könnte wieder in Ruhe leben.“ „Wo sollen Sie anrufen?“ „Auf einer Handynummer.“ Ich durfte jetzt keinen Fehler machen. Einerseits konnte ich nicht den Mann hier solange festsetzen, dass es auffiel, dass sein Lokal nicht geöffnet war, andererseits musste ich verhindern, dass er Möbius anrief während ich noch versuchte ihm eine Falle zu stellen. Mein Wagen stand zu weit weg, als dass ich Möbius ungesehen dorthin schleppen konnte. Mir musste etwas anderes einfallen, ohne dass ich selbst in einen Hinterhalt geriet. Zudem wusste ich nicht, mit welcher Verstärkung Möbius anrücken würde, wenn der Anruf kam. Der Mann deutet mein Schweigen falsch und jammerte sofort 231 wieder los: „Ich werde ja zahlen und für die letzten zwei Monate auch, aber lassen Sie mich. Ich gebe Ihnen das Geld sofort und rufe auch nicht an, aber gehen Sie bitte und lassen mich leben.“ „Seien Sie sofort ruhig“, sagte ich leise aber schneidend, „ich bin weder ein Killer der Organisation, die Sie hier um Schutzgelder erpresst, noch an Ihrem Geld interessiert.“ Er sah mich ungläubig an und ich fuhr genauso schneidend fort: „Ich bin hier, um Sie von den Schutzgelderpressern zu befreien. Der Mann hat Angst vor mir. Ich will ihn unschädlich machen und die ganze Organisation. Darum erzählt er Ihnen diese Märchen. Wissen Sie wer noch alles erpresst wird?“ „Die halbe Stadt mindestens. Und die Organisation ist mächtig. Wenn du nicht zahlst, brennt dein Laden, wenn du noch immer nicht zahlst, bist du tot, oder ein Familienmitglied. Sie sind schlimmer als jede asiatische Gang, die früher hier gehaust haben. Sie haben alles übernommen, die Chinesen sind tot. Auf offener Straße erschossen, und kein Polizist hat jemals etwas herausbekommen. Nein, erschießen Sie mich, es ist mir jetzt egal. Ich kann nicht mehr“, und fing an haltlos zu weinen, die Hände vors Gesicht geschlagen. Ich wusste nur zu gut wie Möbius seine Strukturen aufbaute. Mit Korruption oder Erpressung, aber es musste doch auch noch aufrechte Beamte geben, nur wie konnte ich sie finden und was machte ich mit dem Verängstigten hier? Ich entschied mich für die üble Tour. Ich zog meine Pistole unter dem Hemd aus dem Gürtel und wedelte kurz damit vor seinem Gesicht. „Okay, wenn du es nicht anderes willst, geh nach vorn und schließ die Tür ab. Wenn du versuchst abzuhauen, jage ich die eine Kugel ins Rückrat. Das tötet dich nicht, aber wird dich ein Leben lang zum Rollstuhlfahrer machen, also versuch es gar nicht erst. Dann zeigst du mir alle Räume. Alle, jeden noch so kleinen Winkel. Das wiederholen wir so lange bis ich sicher 232 bin, dass sich außer einer Kakerlake nichts mehr hier verstecken kann.“ Er wusste zwar nicht was ich damit bezweckte, aber er gehorchte und hatte auch aufgehört zu heulen. Wir machten eine Hausbesichtigung der gründlichen Art und wiederholten sie dreimal. Bis ich ganz sicher war, das Haus zu kennen, als wohne ich selber schon hundert Jahre darin. Danach befahl ich ihm ein Schild zu malen „Wegen Trauerfall geschlossen!“ Selbst wenn Möbius wieder an dem Laden vorbeikommen würde, würde er davon ausgehen, dass der Wirt geflohen war und sein Lokal aus Angst verlassen hatte. „Wo steht dein Auto?“ „Bei mir zuhause. Meine Frau bringt mich morgens und abends fahre ich mit einem Taxi.“ Ich gab mich damit zufrieden und befahl ihm mit mir zu meinem Auto zu gehen. Hier dirigierte ich ihn auf den Fahrersitz und orderte nach sich zuhause zu fahren. Ich benutzte dazu noch nicht einmal meine Pistole. Er fuhr vom Parkplatz in einen netten Vorort mit kleinen, von der Straße entfernt stehenden Häusern und bog auf eine der Auffahrten. Wir waren noch nicht einmal zehn Minuten gefahren. Wir parkten hinter einem kleinen Citroen. „Dein Auto?“ „Ja.“ Seine Frau öffnete die Haustür und war überrascht ihren Mann in Begleitung eines großen amerikanisch anmutenden Mannes zu sehen. Sie wollte sofort wissen, was los sei und sie verstummte, als ich ihr die Pistole vor die Nase hielt. „Setzen wir uns doch“, meinte ich und deutete auf die offene Küche, in der ich eine gemütliche Sitzecke sehen konnte. Sie zeterte nicht, sondern ging schweigend vor uns her und setzte sich. Ihr Mann setzte sich daneben. Sie funkelte mich schweigend aus dunklen Augen kampfeslustig an. Sie war aus ganz anderem Holz geschnitzt, wie ihr Mann. Das freute mich, denn ich brauchte jeden Kämpfer oder Verbündeten, der ein wenig Mumm in den Knochen hatte. 233 Und zu meiner Verbündeten wollte ich diese mutige Frau machen. „Sie werden zu Schutzgeldzahlungen erpresst und mit dem Tod bedroht, wenn Sie den Forderungen nicht nachkommen“, stellte ich so sachlich wie möglich fest. „Und Sie sollen uns jetzt liquidieren, weil wir in den letzten zwei Monaten nicht die volle Summe bezahlt haben“, erwiderte die Frau genauso fest. „Nein, ich will damit ein für alle Mal Schluss machen. Ich weiß, dass die Organisation durch korrupte Beamte innerhalb der Polizei immer wieder geschützt wird und daher kein echter Schutz seitens der Polizei erwartet werden kann. Einen der Hauptdrahtzieher, der auch mehrere Morde auf dem Gewissen hat und Spezialist für Erpressung von Staatsdienern ist, wird von mir verfolgt. Ich jage ihn und habe ihm in den letzten Tagen sehr schaden können. Darum wird dieser Mann immer gefährlicher. In die Enge getrieben, versucht er seit heute die Schauergeschichte zu verbreiten, dass ich ein bezahlter Killer bin, der säumige Zahler umbringt. Daher soll sofort Meldung gemacht werden wenn ich auftauche, damit er mich unschädlich machen kann und alle Erpressten von ihm alte Konditionen zugesichert bekommen würden. Dass eine solche Behauptung nur logisch sein kann, wenn er selbst der Drahtzieher ist, liegt wohl auf der Hand, denn wie könnte er gegen den Willen meiner scheinbaren Hintermänner so etwas garantieren. Wie ich ihn jage, so hat er jetzt seine Späher beauftragt, um mich zu finden, damit er der Schnellere ist. Wenn es umgekehrt mir gelingen sollte, den Kopf zu zermalmen bräuchten einige Mitglieder des Polizeicorps keine weiteren Erpressungen befürchten und andere bekämen auch keine Zuwendungen mehr, um den Rest der Truppe zu schützen. Der Mann, ich weiß nicht wie er sich hier nennt, rennt herum und verteilt Bilder von mir bei Ihnen den Erpressten, um Sie zu einer breiten Front der Jäger zu vereinen. Ihr Mann ist zu ängstlich etwas zu unternehmen und 234 ich hätte ihm Unrechtes antun müssen, um ihn daran zu hindern den Mann anzurufen. Wollen Sie mir helfen den Mann unschädlich zu machen?“ Die Frau hatte mich die ganze Zeit sehr intensiv beobachtet und ruhig zugehört. Ihr Mann hatte aufgehört zu Bibbern. Die Kraft und die ruhige Ausstrahlung der Frau schienen ihn zu beruhigen. Sie hatte auch längst bemerkt, dass ich die Pistole zwar immer noch in der Hand hatte, aber keinen direkt bedrohte. Sie fragte nur ganz ruhig: „Und wie können wir dabei helfen?“ „Es gibt verschieden Wege. Der erste wäre, dass Sie ihr Auto besteigen und ganz weit weg in Urlaub fahren und mir versichern, dass Sie den Mann nicht anrufen. Wie nennt er sich hier eigentlich“, fragte ich den Mann. „Walter Schiewerski“, sagte der Mann sofort. „Walter Schiewerski ist sein Zwillingsbruder und betreibt drüben in Monschau ein kleines Transportunternehmen. Der Mann hier ist Viktor Schiewerski und hat letztes Jahr seinem Bruder Walter ein Auge ausgeschlagen, nur weil der hilflos mit ansehen musste, wie er mit einem Komplizen zusammen eine Frau immer wieder vergewaltigt und schließlich erdrosselt hat. Walter ist auch mit einer netten kleinen Frau verheiratet, Ihrer Frau ganz ähnlich und Viktor hat gedroht, dass es ihr so ergehen wird wie dem Mädchen, wenn er jemals einen Ton sagen würde. Das nur zu Person des Mannes vor dem Sie nicht zu Unrecht Angst haben.“ Der Mann hatte wieder angefangen zu zittern. Die Frau stieß ihren Mann an und sagte mit ziemlich rauer Stimme: „Der Mann der mich vergewaltigt, muss noch geboren werden. Eher sterbe ich sofort, aber ich würde ihn bestimmt gehörig verletzen. Ich bin schließlich Vizeweltmeisterin bei den Judoka.“ Ich ließ sie in dem Glauben, sich verteidigen zu können. Aber gegen Profis, vor allem mit Pistolen, hat gemeinhin keine Sportlerin eine Chance. 235 „Und welches wären die anderen Alternativen“? fragte sie. „Da kommt es darauf an, ob Sie genügend Freunde in der Branche besitzen, die den gleichen Wunsch haben, sich von der Seuche der Schutzgelderpressung zu befreien. Oder ob Sie wirklich vertrauenswürdige Polizisten kennen.“ „Wie viele Freunde müssten es sein?“ „Drei, vier oder fünf, je mehr um so besser.“ Sie zählte ihre Freunde in der Branche an den Fingern zusammen. Sie kam immerhin auf fünf, von denen sie glaubte, dass sie aktiv mitmachen würden. „Wären diese Personen stark gefährdet?“ „Ungefährlich ist es nicht, denn wenn ich dabei verletzt oder getötet würde, wäre der Druck auf Sie und Ihre Freunde demnächst unerträglich hoch.“ Ich hatte meine Pistole längst wieder im Gürtel verstaut und sah die Frau weiterhin direkt an. Ihr Mann zitterte immer noch neben ihr. „Wie viele Eintreiber sind Ihnen vom Ansehen bekannt? Kommt Schiewerski allein wenn er Geld kassiert, oder tritt er mit Mannschaft an? Haben Sie eine Ahnung, wie groß die Gang ist, mit der er arbeitet? Und wo sollen Sie ihn benachrichtigen?“ „Er kommt meistens allein. Früher war auch immer ein älterer, weißhaariger Mann dabei, aber in der letzten Zeit nicht mehr. Den nannte er Möbius. Weitere Leute haben wir noch nie gesehen. Ich weiß es nicht“, sie sah dabei Ihren Mann dabei Hilfe suchend an. „Der Andere ist außer Gefecht. Den habe ich schon unschädlich gemacht. Habt Ihr einen Stadtplan von hier, in dem wir die Standorte Eurer Freunde einzeichnen könnt?“ Die Frau nickte und fragte mich ob ich etwas trinken möchte, Kaffee oder so etwas. Dem Mann war immer noch nicht geheuer aber jetzt schien er immerhin etwas zuversichtlicher als vorhin. „Mineralwasser aus der Flasche, Danke“, beantwortete ich Ihre Frage. Sie war aufgestanden 236 und eilte aus dem Zimmer. Sie hätte jetzt Gelegenheit gehabt, Viktor anzurufen, wenn sie es gewollt hätte. Sie kam aber sehr rasch wieder zurück, stellte eine Flasche Mineralwasser bereit und breitete den Innenstadtplan aus und fing an, die einzelnen Lokale einzuzeichnen. „Gibt es eine Möglichkeit meinen Wagen auf dem Grundstück Ihres Lokals zu parken, wo er nicht sofort auffällt“? fragte ich weiter. Jetzt sagte der Mann zum ersten Mal etwas: „Ja, auf dem Hof und ich soll eine Handynummer anrufen.“ Ich hatte in der Zwischenzeit meinen Plan zurecht gelegt, der darauf basierte, dass ich dem Ehepaar vertrauen musste. Ich begab mich in völlige Abhängigkeit von der Loyalität der Leute, aber dieses Risiko wollte ich eingehen. Außerdem wussten sie nicht, ob ich nicht weitere Helfer zur Verfügung haben würde. „Können die Lokale, die von Ihren Freunden betrieben werden schon um Mitternacht geschlossen werden? Ohne dass dieses Schiewerski auffallen würde, wenn er sich in der Stadt rumtreibt“? fragte ich, nachdem ich einen Blick auf den Plan geworfen hatte. „Nur dieser nicht“, sagte die Frau und deutete auf die Markierung, die dem eigenen Lokal am nächsten lag, „der ist normal am längsten geöffnet. Ist ein Sexclub.“ „Okay, dann müssen wir ohne den Auskommen“, entschied ich, „haben Sie eventuell weitere Freunde, die nur anwesend sein müssten, um zu signalisieren, dass noch Betrieb in Ihrem Lokal ist, wenn ich ihn dort hinlocken möchte?“ Jetzt grinste die Frau. „Wenn Sie ein gefülltes Lokal haben möchten, brauchen wir die Freunde aus der Branche nicht. Wie man seine Gäste im Lokal hält, weiß ich schon.“ „Nein, wir brauchen schon Ihre Freunde, denn ich möchte folgendermaßen vorgehen und dazu ist es wichtig, dass mir nicht durch einen dummen Zufall ein Unbeteiligter durch mein Schussfeld laufen kann, wenn es nötig sein würde von 237 der Pistole gebrauch zu machen. Es bedarf einer vorher genau festgelegten Regie, damit ich genau weiß, wer sich wann, wo, an welchem Platz aufhält. Die Gäste im vorderen Raum dürfen ab dem Zeitpunkt, ab dem mit dem Erscheinen Schiewerskis zu rechnen ist, auf keinen Fall in den hinteren Raum. Noch nicht einmal zur Toilette. Verstanden?“ „Ja, ist keine Schwierigkeit, denn wir haben die eine Toilettenanlage direkt vom Hauptraum vorne, und eine zweite für die Spieler hinten. Das kann ich arrangieren, dass hinten nur Eingeweihte sitzen. Als geschlossenen Gesellschaft so zu sagen. Wirteversammlung!“ „Ich werde mich in der Besenkammer links hinter der Wand im Hinterzimmer verbergen. Der Raum ist so tief wie die Thekenanlage im vorderen Raum, also müsste ich genügend Platz haben. Die Tür wird soweit offen stehen, dass er mich nicht sehen kann, wenn er in den hinteren Raum kommt. Das gibt mir die Gelegenheit ihn seitlich oder von hinten anzugreifen. Ihr Mann wird sich im Spielzimmer aufhalten. Die Tür wird nur soweit geöffnet sein, dass Schiewerski erkennen kann, dass er sich darin befindet. Er wird auf einen imaginären Besucher einsprechen. In deutscher Sprache. Das wird bei Schiewerski den Eindruck erwecken, dass er mich dort im Gespräch festhält. Sie haben ihm durch Zeichen oder durch kurzen Zuruf zu verstehen gegeben, dass ich mit Ihrem Mann hinten bin. Die Feuertür auf der Rückseite des Hauses, die zum Hof führt, muss verriegelt sein, damit er nicht von hinten kommen kann, wenn er sich das ausgedacht hat. Wenn Ihre Freunde, die Sie nachher noch anrufen müssen, versammelt sind und ich in Position gegangen bin, rufen Sie Schiewerski an und sagen nur, dass der Gesuchte bei Ihnen im Lokal ist und legen ganz schnell wieder auf. Wenn ich Schiewerski überrumpelt habe, werde ich ihn fesseln und in meinen Wagen bringen, den ich vorher im Hof versteckt habe. Dazu muss die Feuertür schnell wieder geöffnet werden und Jemand muss das Hoftor für mich 238 öffnen, damit ich sofort vom Grundstück fahren kann. Je weniger Aufmerksamkeit wir bei den übrigen Gästen erregen umso besser, denn ich brauche einen guten Vorsprung und kann keine Polizeiverfolgung gebrauchen. Wenn ich ihn nicht den deutschen Behörden ausliefern kann, weiß ich nicht wie er sich auf holländischer Seite herausreden könnte. Und seine Rache würde fürchterlich sein. Ist das soweit verständlich?“ Sie bejahten. Wir gingen das ganze Vorgehen noch drei Mal durch und dann machte ich mich auf den Weg, den Mietwagen wieder abzugeben, meine Sachen zu packen und aus dem Hotel mit meinem Kölner Wagen zu verschwinden. Auch dies musste möglichst unauffällig passieren, denn ich wusste nicht, ob er nicht auch dort bezahlte Spitzel hatte. Bisher war ich jedenfalls nicht aufgefallen, denn sonst hätte er mich bestimmt schon eliminiert. Es klappte an diesem Nachmittag alles, wie ich es mir vorgestellt hatte. Mein Gepäck hatte ich mit dem Fahrstuhl direkt in die Parkgarage des Hotels geschafft und hatte an der Rezeption nur ein Ausfahrticket verlangt, als wenn ich eine kurze Spritztour unternehmen wolle. Dann war ich hinausgefahren und hatte kurz vor dem Lokal die Inhaberin angerufen. Sie hatte mir bestätigt, dass bisher alles ruhig geblieben war, und dass Schiewerski bisher nicht wieder aufgetaucht sei. Ihre Freunde hatte sie benachrichtigt und die hatten zugesagt bis spätestens Mitternacht anwesend zu sein. Ihr Mann würde gleich die Hofeinfahrt öffnen und ich solle am besten rückwärts dort hineinfahren und durch die rückwärtige Tür hineinkommen. Wir könnten dann im Spielzimmer zusammensitzen. Ohne aufzufallen war ich vorgefahren und hatte von hinten das Lokal betreten und saß mit dem Mann hinten, trank Kaffee und hatte von der Frau etliche Waffeln bekommen, so dass auch mein Hunger gestillt war. Der Mann erzählte vom Anfang der Erpressungen und von der Brutalität mit der Schiewerski vorgegangen war, wenn sich Jemand weigerte zu 239 zahlen. Er hatte scheinbar nur um die asiatischen Lokale einen großen Bogen gemacht, denn dann hätte er sich mit den bestens organisierten Banden, die ihren Hauptsitz in Amsterdam und Rotterdam hatten, anlegen müssen. Es herrschte zwischen uns inzwischen eine fast entspannte Atmosphäre. Und dann kam alles anders als ich es geplant hatte. Zunächst kam ein junger Mann, den die Inhaberin freundlich hereinführte und nur sagte, dass er der Sohn einer ihrer Freunde wäre. Er war etwa Mitte zwanzig, groß und kräftig gebaut und machte einen fitten Eindruck. Nachdem er vollständig in den Plan eingeweiht war, war er begeistert, denn er hatte mit seinem Bruder schon mehrfach gegen Schiewerski vorgehen wollen, aber war immer wieder von seinen besorgten Eltern ausgebremst worden. Er wollte schon loslaufen, um aus seinem Sportclub noch Kameraden organisieren, die uns unterstützen sollten, aber diesmal bremste ich ihn. Ich wollte so wenig wie möglich mit meiner Aktion auffallen, denn ich plante immerhin eine Entführung, für die ich mich nicht vor holländischen Gerichten verantworten wollte. Von Amtsanmaßung einmal ganz abgesehen. Wir waren aus dem Spielzimmer in den hinteren Teil der Gaststätte getreten, wo ich dem jungen Mann meine Position erklärte und ihn bat auf der anderen Seite des Raumes später zu sitzen, damit er Schiewerski ebenfalls von hinten angreifen könne. Er wurde mit dem üblichen Schlagholz bewaffnet, das Wirte gerne gegen allzu renitente Gäste einsetzt, wenn sie partout nicht gehen wollen. Wir diskutierten noch leise in deutscher Sprache, als wir die Frau vorne aufschreien hörten. Dann die kurzen holländischen Worte: „Er ist da und du hast es nicht gemeldet. Das wirst du noch bereuen, du blöde Schlampe.“ Dann kam er auch schon durch den Torbogen gestürmt und hatte dabei eine Pistole herausgerissen und war auf dem Weg zum Spielzimmer. Unsere Schlagstöcke, die wir immer 240 noch in Händen gehalten hatten, sausten auf seinen Hinterkopf und er brach lautlos zusammen. Ich sammelte die Pistole ein, die ihm entglitten war, und zerrte ihn an den Beinen wie einen Kohlensack hinter mir her, ins Spielzimmer. Mit Kabelbinder, die ich mir am frühen Nachmittag noch in einem Baucenter besorgt hatte, fesselte ich seine Hände auf dem Rücken und auch seine Füße wurden verschnürt. Ich ging in den Gastraum und bestellte für alle Gäste sichtbar eine Runde Bier und Schnaps, bat die Wirtin um ein Geschirrtuch, das ich gleich mit nach hinten nahm. Hiermit knebelte ich Schiewerski. Als die Wirtin mit der Runde auf dem Tablett kam, fragte ich sie: „Ist was aufgefallen?“ „Nein die glauben sicherlich, dass der hereinstürmende Mann im Spielzimmer Krach machen wollte. So etwas passiert schon manchmal. Da kümmern sich die Typen da vorn nicht weiter drum. Ich ging in den Hof und rief Wiesel an und berichtete von dem Erfolg der Mission. Ich sagte ihm auch, dass ich auch Schiewerski nach Bremen bringen wolle, damit man ihm dort den Prozess wegen des Mordes an Möbius machen könne. „Ist gut, aber ob das der beste Ort für einen Prozess ist weiß ich nicht. Dr. Keller ist tot. Man hat ihn tot in seiner Zelle gefunden, berichtete mir mein Gewährsmann. Todesursache noch unbekannt. Dir wirft man Beseitigung von Spuren und Unterschlagung von Beweismitteln vor, aber sie müssen noch etwas gegen dich in der Hand haben, denn das allein würde nicht ausreichen, um dich ganz oben auf die Fahndungsliste zu bekommen. Wir konnten aber immer noch nicht feststellen, was es ist. Pass also auf dich auf. Eva macht weitere Fortschritte. Komm bald zurück.“ Zurück im Lokal sagte ich zu den Inhabern: „Sie sollten Ihre Versammlung um Mitternacht dennoch abhalten. Sie sollten beschließen, dass Sie endlich gemeinsam gegen die Erpresser vorgehen wollen und daher eine gemeinsame Anzeige bei der Polizei aufgeben. Sie haben endlich 241 herausgefunden, wo die Gang ihren Hauptsitz hat und die Polizei sollte dort eine Razzia veranstalten. Sie sichern der Polizei zu, alle als Zeugen zur Verfügung stehen.“ Ich deutete auf den jungen Mann, der mich so schlagkräftig unterstützt hatte, und bat ihn Schiewerskis Wagen vor der Adresse der „Oostman – Handels S.A.“ abzustellen. Ich gab ihm meine Latexhandschuhe und sagte ihm, dass er sie tragen solle, wenn er den Wagen dort hinfahren würde. Die Polizei dürfe keine Spuren vom ihm feststellen können, damit er nicht nachträglich hineingezogen werden könnte. Sie sollten aber erst nach einer gemeinsamen Sitzung nach Mitternacht die Anzeige aufgeben, damit ich genügend Zeit hätte mit dem Gefangenen außer Landes zu kommen. Sie versprachen es. Dann packte ich das Packet „Schiewerski“ in den Kofferraum, überzeugte mich, dass er Luft bekam und ging auf meine Reise nach Norddeutschland. Sie verlief ohne Zwischenfälle. Kurz hinter der Grenze hatte ich Schiewerski aus dem Kofferraum geholt und unter einer Decke auf dem Rücksitz deponiert. Bei Dortmund tankte ich nochmals und überzeugte mich dass Schiewerski noch lebte. Er war in der Zwischenzeit wieder zu sich gekommen und gab röchelnde Laute von sich und funkelte mich mit mörderischem Blick an. Ich zog einfach die Decke wieder über ihn und fuhr weiter. An der Autobahnraststätte hinter dem Ahlhorner Dreieck fuhr ich auf ein Raststättengelände und benutzte den letzten Parkplatz vor der Ausfahrt und schleifte Schiewerski in das dort wachsende Gesträuch. Der Krach der vorüberdonnernden Laster und Pkws würde das Stöhnen des Geknebelten übertönen und dies war auch kein Platz, den sich Liebespaare für ein schnelles Vergnügen suchen würden. Dann fuhr ich wieder auf die Autobahn über die nächste Abfahrt, die nur etwa Dreihundert Meter entfernt war, drehte fuhr wieder Richtung Osnabrück auf das Raststättengelände der Gegenüberliegenden Seite. Beide Raststätten waren mit einer Brücke direkt verbunden und ich ging zu Fuß darüber 242 und verkroch mich oberhalb des Ortes, wo ich Schiewerski abgelegt hatte und telefonierte mit der Mordkommission. Wieder hatte ich nur Frau Amelungen am Gerät. Ich beschrieb ihr, wo sie Schiewerski finden könne und legte auf. Dann wartete ich. Es dauerte über eine halbe Stunde, bis ich den Polizeiwagen herannahen hörte. Er fuhr aus Richtung Bremen kommend an der Abfahrt aus und tauchte wenig später auf der Brücke der Rastanlage wieder auf und raste schlingernd zum letzten Parkplatz. Ein großer, beleibter, uniformierter Polizist kam aus dem Wagen und bewegte sich zielsicher zu der Stelle, wo Schiewerski lag. Er hatte seine Dienstwaffe gezogen. Dann hörte ich das Knipsen einer Zange und die Worte: „ Lauf los, du Arschloch.“ Dann tauchte Schiewerski plötzlich auf der Ausfahrt auf und der Polizist brüllte: „Halt, stehen bleiben, oder ich schieße.“ Der Kollege des Polizisten war inzwischen ebenfalls aus dem Wagen gestiegen und hatte seine Pistole gezogen. Schiewerski rannte im Zickzack nahe den Büschen auf der Auffahrt in Richtung Autobahn und wollte wohl um den Brückenpfeiler rennen um außer Sichtweite der Polizisten zu kommen. Dann bellten die Schüsse. Beide Polizisten schossen. Schiewerski wurde in den Rücken getroffen und aus dem Gebüsch kam ein weiterer Schuss und der Kopf des Mörders zerbarst. Schiewerski fiel nach vorne und blieb leblos auf der Ausfahrt liegen. Der jüngere Polizist, der zuletzt ausgestiegen war, hielt immer noch die Waffe in seinen Händen, die er entsetzt vor sein Gesicht geschlagen hatte. Der Dicke war inzwischen wieder aus den Büschen hervorgetreten und ging mit auf ihn gerichteter Waffe auf den am Boden liegenden Mann zu. Beleuchtet wurde die ganze Szene, durch die Scheinwerfer des Streifenwagens und den rotierenden Blaulichtern auf dem Dach des Wagens. Aus der Raststätte strömten Menschen und wollten sehen, was passiert war. Ich hatte mehr als genug 243 gesehen und vor Allem gehört. Ich merkte mir das Gesicht des Dicken sehr genau. Zwei Minuten später rasten weitere Einsatzwagen auf das Gelände der Raststätte. Diesmal waren auch die grauen Limousinen der Mordkommission dabei. Aus einem Mannschaftswagen strömte eine Anzahl von Polizisten, die sofort mit Absperrmaßnahmen begannen. Ein großer Mann in dunklem Anzug und eine Frau in einem sportlichen Kostüm eilten hinüber zu dem am Boden Liegenden und die Frau kniete neben ihm und fühlte am Hals nach dem Puls. Sie schaute nach oben und schüttelte resignierend den Kopf. Das waren also Waldtmann und Amelungen. Wieso konnte der Streifenwagen aus Bremen mit dem mörderischen Beifahrer als Erste am Tatort sein? Warum waren nicht die Kollegen der Autobahnpolizei, die dreihundert Meter weiter ihren Standort hatten, angerückt? Sie hatten bei meiner Standortwahl, wo ich Schiewerski abgelegt hatte, eine entscheidende Rolle in meinen Überlegungen gespielt. Wenn sie eingeschaltet worden wären, hätte nicht ein derartiges Desaster passieren können. Dann wäre Schiewerski mit Sicherheit noch am Leben und hätte auch zu den Korruptionsfällen in der Stadt aussagen können. Gehörte die Mordkommission ebenfalls zu den korrupten Elementen innerhalb der Polizei? Ich prägte mir die Gesichter der Polizisten und von Waldtmann und der Frau tief ein und ließ mich von den absperrenden Beamten langsam zurückdrängen. Meine Niedergeschlagenheit kannte keine Grenzen. In welch einem Sumpf watete ich nur? Ich fuhr nicht in meine Wohnung, sondern direkt zu einem Club, außerhalb der Stadt, wo ich den Besitzer gut kannte. Hier betrank ich mich sinnlos und erwachte erst spät am nächsten Morgen auf einem Bett im Hinterzimmer wieder. Mit fürchterlichem Kater. Ich starrte mit glasigen Augen in 244 den blinden Spiegel und ich ekelte mich vor meinem eigenen Spiegelbild. Dann fuhr ich endlich nach Hause. In den Regionalnachrichten hatten sie die Ereignisse zu jeder vollen Stunde gebracht. Der mutmaßliche Mörder Viktor Schiewerski war an der Autobahnraststätte Wildeshausen gestellt, und nach heftigem Schusswechsel mit der Polizei erschossen worden. Die Ermittlungen gegen ihn, der unter den verschiedensten Tarnnahmen gelebt hatte, waren noch nicht abgeschlossen. Es gäbe Hinweise darauf, dass er im Südholländischen Raum sowohl einen Pornoring, als auch einen Ring zur Schutzgelderpressung geleitet hatte. Dort hatte er sich dem Zugriff der Polizei entziehen wollen und war auf dem Wege zurück in die Hansestadt gewesen, wo er unter der falschen Identität eines vor mehreren Tagen ebenfalls verhafteten Dr. Keller einen Unterschlupf gehabt hätte. Der eigentliche Dr. Keller, ein ehemals angesehener Kunsthistoriker hatte sich angesichts der gegen ihn gerichteten Anschuldigungen in der Untersuchungshaft selbst getötet. Ermittlungen über die Umstände des Freitodes und eventuellen Verwicklungen in die Geschäfte des gestern Erschossenen in Holland liefen auf Hochtouren. Von einem Privatermittler Teufel war nichts erwähnt worden. Ich hatte etwa zwei Stunden in der Badewanne verbracht aber fühlte mich immer noch schmutzig. Erst gegen 15 Uhr wagte ich es Wiesel anzurufen. Meine Stimme war immer noch kratzig als ich mich meldete. „Wo zum Teufel bist du, Teufel?“ „Zuhause. Ich habe mit ansehen müssen, wie man Viktor Schiewerski hingerichtet hat. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich ihm eine Pistole in die Hand gedrückt habe, um ihn auf Polizisten ballern zu lassen. Seine Hände waren noch mit Kabelbinder auf den Rücken gefesselt, als er los gelaufen ist. Die Fußfesseln hatte der Polizist zerschnitten damit er überhaupt wegrennen konnte. Man hat auch nicht die 245 Autobahnpolizei, die keine dreihundert Meter von dem Ort ihre Station hat, benachrichtigt. Man hat extra aus Bremen ein Kommando gesandt. Die Mordkommission ist erst zwei Minuten später eingetroffen. Ich habe es mit angesehen!“ „In Holland ist der ebenfalls die Hölle los. Ein ganzer Stadtteil hat scheinbar Anzeigen gegen Schiewerski und seine Helfer erhoben. Meine Informanten kommen nicht mehr nach, was da an Gerüchten und Meldungen durchkommt. Sie sollen sogar Belastungsmaterial gefunden haben, dass hohe Beamte der Stadtverwaltung Maastrichts an den Schutzgeldern mitverdient haben. Was hast du wieder für Lawinen losgetreten?“ „Ich muss wissen, was hier in Bremen los ist. Jagen Sie mich immer noch?“ „Du stehst immer noch auf der Fahndungsliste, wenn du das meinst; aber sie haben scheinbar im Moment andere Probleme. Ein Staatsanwalt Schmücker scheint viel Wirbel zu machen.“ „Ja, der ist wirklich in Ordnung; aber ob er sich gegen ganz oben durchsetzen kann, dürfte fraglich sein. Und es gibt Beweise, dass es bis in die oberste Spitze reicht.“ „Woher weißt du das?“ Es gibt ein hübsches Video, das den Justizsenator bei Liebesspielen mit Eva und Virginia zeigt“, sagte ich bitter. „Und das hast du?“ „Ja, leider.“ „Und was willst du damit machen?“ „Ich weiß es noch nicht. Ich werde es gleich mit der Post an dich aufgeben. Es muss auf jeden Fall hier aus dem Haus. Ich will versuchen, mich mit dem Waldtmann und der Amelungen zu arrangieren. Ich hoffe, dass die sauber sind. Ich versuche zunächst Informationen über sie zu bekommen. Vielleicht kann Schmücker mir dabei helfen. Ich kenne ihn.“ „Aber bitte besauf dich nich wieder. Mit Eva geht es jetzt schon wieder bergauf, also stürz du jetzt nicht ab. Lass dich 246 nicht von Rachegelüsten leiten und nicht von Selbstmitleid überrollen. Was du jetzt nicht erreicht hast, kannst du vielleicht in der nächsten Zeit aufarbeiten. Das geht aber nur mit kühlem Kopf. Überlege dir etwas.“ Ich bedanke mich für seinen Rat und hatte schon eine Idee. Ich brauchte dringend frische Luft und daher machte ich mich auf den Weg und fuhr erneut an die Raststätte an der Autobahn. Der Ort des Geschehens war nicht mehr abgesperrt, aber es standen viele Menschen in der Nähe, um einen echten Tatort zu bewundern. Allein das konnte mich schon wieder in Rage bringen. Ich war wieder über die Brücke gegangen und hatte wieder den Standort besucht, von wo aus ich gestern das Geschehen beobachten konnte. Ich rekonstruierte jede Sekunde des Geschehens und hatte immer wieder die Worte des dicken Polizisten nach dem Klicken der Zange im Ohr. Ich wusste, dass ich mich nicht getäuscht hatte, denn als ein Neugieriger dort unten eine Münze verlor, konnte ich das Geräusch des aufprallenden Geldstückes auf das Pflaster trotz des rauschenden Nachmittagsverkehrs deutlich wahrnehmen. Ich spazierte noch eine halbe Stunde durch den angrenzenden Wald, dann hatte ich genug frische Luft getankt und mein Plan stand. Zurück zum Auto rief ich Schmücker an, der gerade aus einer Krisensitzung gekommen war und einen äußerst angespannten Eindruck am Telefon machte. „Nennen Sie keinen Namen, sondern beantworten Sie meine Fragen nur mit ja oder nein. In Ordnung?“ „Ja.“ „Halten Sie Amelungen und Waldtmann für sauber?“ „Ja.“ Wollen Sie mehr Informationen über die tatsächlichen Ereignisse?“ „Ja.“ „Können Sie ein Treffen um 19 Uhr gemeinsam mit Amelungen und Waldtmann im „Alten Friederich“ 247 arrangieren? Ich würde dann dort hinkommen. Aber nur wir vier?“ „Ich müsste es versuchen.“ „Ja, oder nein.“ „Ja.“ „Wir sehen uns. Fragen Sie nach einem bestellten Tisch auf Ihren Namen.“, damit hatte ich aufgelegt. Ich hatte bewusst dieses alte Lokal unweit der Justizbehörden und des Polizeihauses gewählt, weil ich wusste, dass es ein Treffpunkt vieler alter Bremer Kaufmannssenioren und Leuten aus der nahe gelegenen Baumwollbörse war, aber dass keine Polizeibeamten dort verkehrten. Außerdem verfügten sie über einen winzigen Nebenraum, der lediglich Platz für sechs Personen bot, und den wollte ich mir reservieren. Ich ließ meinen Wagen jenseits des Flusses stehen und ging über die Brücke und tauchte in den ältesten Teil der Hansestadt ein. Ich bekam den Raum und setzte mich mit einem Schreibblock bewaffnet nieder, bestellte von der Tageskarte die Spezialität des Hauses und ein großes Bier und fing an, meine Gedanken, Beobachtungen, Ermittlungen und Beweise schriftlich niederzulegen. Ich unterbrach die Arbeit nur, als mein Essen kam, aß, und schrieb weiter. Als erste erschien Frau Amelungen und fragte nach der Reservierung für Herrn Schmücker und blieb abwartend, fragend im Torbogen stehen als sie mich am Tisch sitzen sah. „Kommen Sie näher Frau Amelungen, Sie sind hier richtig.“ Sie zuckte zurück, denn sie hatte meine Stimme sofort erkannt und wollte sich auf dem Absatz umdrehen, als ich sagte: „Nein, Sie sind hier bestimmt richtig. Schmücker und Waldtmann müssen auch jeden Augenblick hier sein. Und Sie wollen doch weitere Aufklärung, oder?“ „Teufel? Wir suchen Sie überall.“ 248 „Vielleicht versuchen Sie es Nächstens Mal bei mir zu Hause. Dort gibt es eine Klingel und außerdem verfüge ich über Telefon.“ Sie starrte mich mit offenem Mund an und meinte dann: „Sie waren zu Hause?“ Dann fing sie an zu Lachen und prustete: „Nicht zu fassen, wir machen die ganze Republik einschließlich der Nachbarstaaten Holland und Belgien mit unseren Fahndungsersuchen verrückt, und kein Mensch kommt auf die Idee, bei Ihnen zu Hause nachzuschauen.“ Sie setzte sich mir gegenüber, konnte nicht aufhören zu Lachen und streckte mir ihre Hand entgegen. Sie hatte einen guten, festen, warmen Händedruck. Wir schüttelten noch einander die Hände, als Waldmann und Schmücker auftauchten. Waldtmann knurrte beim Hereinkommen: „Händchenhalten mit einem Gesuchten, so geht das aber nicht Frau Kollegin.“ Schmücker streckte mir die Hand hin und entschärfte die Situation als er sagte: „Hallo, Teufel, schön Sie zu sehen. Zuverlässlich waren Sie schon immer. Danke für Ihr Kommen.“ Ich streckte auch meine Hand gen Waldtmann aus und er ergriff meine Hand fest und sagte: „Teufel, eigentlich sollte ich Sie sofort hier verhaften. Ich glaube wir haben sehr viel zu bereden.“ „Das ist der Grund unseres Treffens, aber wir sollten uns etwas zu Trinken bestellen, dass hat man hier im Hause lieber.“ Die Bedienung stand schon im Türrahmen und lächelte über meine Worte. Frau Amelungen bestellte einfach für uns Alle, indem sie sagte: „Eine Runde Bier und Schnaps, und bitte schnell, ich verdurste.“ Waldtmann bedachte sie wieder mit einem missbilligenden Blick, aber sie achtete nicht darauf und ich wandte mich an Schmücker und mein Ton fiel wesentlich schärfer aus, als ich 249 es gewollt hatte, und ließ dadurch alle Anwesenden zusammenfahren. „Schmücker, Sie wissen, dass es in Ihrer Behörde Sumpf ohne Ende gibt! Angefangen in der obersten Spitze bis hinunter zu Streifenwagenbesatzungen. Sie wissen es, aber es liegt nicht in Ihrer Macht, vernünftig dagegen anzugehen. Wenn jetzt aber noch von mir entlarvte Verbrecher, die Morde begangen haben, unter den Augen der Abteilung „Bedrohung gegen Leib und Leben“ aus dem Weg geräumt werden, weil Sie über die Schandtaten dieser Staatsdiener bescheid wussten und am Sprechen gehindert werden mussten, dann geht das endgültig zu weit. Wenn Sie sich nicht bis an Ihr Lebensende verarscht fühlen wollen, Frau Amelungen und Herr Waldtmann, dann ist es an der Zeit, den Sumpf trocken zu legen. Und ich habe jede Menge Beweise.“ Sie waren alle blass geworden. Die Bedienung, die mit den Getränken kann, verschaffte allen eine Verschnaufpause. Auch mir, denn ich war eigentlich über mein Ziel hinausgeschossen. Waldtmann war es, der mich über den Tisch hinweg anknurrte: „Teufel wir wissen, dass es gestern Abend nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann und auch der Todesfall von Dr. Keller gibt uns mächtige Rätsel auf, aber für Beschuldigungen, die Sie erheben, werden Sie keine Beweise erbringen können. Also, was soll der ganze Mist?“ „Erstmal Prost, und dann lassen Sie Herrn Teufel reden“, ließ sich Frau Amelungen vernehmen. Wir griffen nach unseren Gläsern und kippten den Schnaps, und auch die Biergläser wurden fast leer. „Bringen Sie noch eine Runde“, rief Frau Amelungen der vorbeieilenden Bedienung zu, um dann wieder voll konzentriert auf mich zu schauen. „Ich war gestern Abend Augenzeuge einer Hinrichtung. Der junge Beamte hat aus Angst ebenfalls gefeuert. Er hat Schiewerski in den Rücken getroffen. Der Ältere hatte vorher Schiewerski in dem Gebüsch, wo ich ihn deponiert hatte, die 250 Fußfesseln durchschnitten und im befohlen, ich wiederhole jetzt wortwörtlich „Lauf los, du Arschloch.“ Dann stürzte der immer noch mit Händen auf dem Rücken gefesselte Schiewerski los in Richtung Autobahn. Der Dicke rief ihm nach: „Stehen bleiben, oder ich schieße“. Eine ordentliche polizeiliche Aufforderung. Schiewerski taumelte aber weiter und der Dicke schoss. Nicht etwa Warnschüsse in die Luft, sondern gezielt in den Rücken. Erst als der junge Beamte auch schoss, setzte er zum finalen Schuss an, und der muss sehr genau auf den Kopf gerichtet gewesen sein, denn Schiewerski strauchelte schon, als dieser Schuss fiel. Man braucht große Erfahrungen um einen Kopfschuss anzusetzen, wenn das Opfer schon in der Vorwärtsbewegung stolpert. Das war kein Zufallstreffer und kein unglücklicher Treffer, das war eine Meisterleitung eines mit Sonderausbildung trainierten Kämpfers.“ Schmücker sah mich mit ohnmächtigen Grinsen an und sagte dann: „Waldtmann erklären Sie es ihm.“ „Teufel, wir sind weitaus intelligenter als wir aussehen. Genau die Vermutungen, dass das Geschehen so abgelaufen ist, wie Sie es gesehen haben wollen, habe ich auch aufgestellt. Aber Pustekuchen, der tödliche Kopfschuss stammt aus der Waffe des jungen Beamten. Die Waffe war auf seinen Namen an diesem Abend registriert. Er gab an, lediglich einmal geschossen zu haben, aber es fehlten zwei Kugeln. Der andere Beamte sagte aus, dass er ebenfalls nur einmal geschossen hätte und noch nicht einmal sicher sei, ob er überhaupt getroffen habe. Seine Sicht wäre noch durch das Gebüsch derart schlecht gewesen, das er nicht sicher sein könne. Sie haben eben selbst bestätigt, dass er noch aus den Büschen heraus gefeuert hätte. Die ballistischen Untersuchungen haben dies auch eindeutig bewiesen.“ Da war etwas falsch, das war klar. Aber was? Ich sagte das auch. „Der Kopfschuss kam aus dem Gebüsch, die Kugel muss auch von oben nach unten, von der rechten hinteren 251 Kopfseite eingedrungen sein, das müsste der Pathologe feststellen können. Das Gebüsch liegt an einer Böschung und liegt daher etwas höher als die leicht abfallende Ausfahrt. Ich habe mir den Ort vor einer Stunde noch betrachtet. Wie es zum Tausch der Pistolen kommen konnte, ist mir aber auch noch nicht klar.“ Waldtmann sah mich zweifelnd an. „Sie stellen damit die Behauptung auf, dass der Kollege, er nannte wohlweislich keinen Namen, ein Mörder ist. Ein sehr schwerer Vorwurf! Was wollen Sie damit bezwecken?“ „Ich bezwecke nichts! Ich stelle nur fest. Mir kann es nur Recht sein, wenn der Staat Steuergelder spart und ein Mörder seine gerechte Strafe erfährt; aber es passt mir nicht, dass ein Einzelner sich als Richter und Henker aufspielen kann. Außerdem ist so verhindert worden, dass Schiewerski aussagen konnte, wie er als Möbius oder Dr. Keller ungestraft durch Rückendeckung von hohen Beamten seine Untaten begehen konnte. Die Hintergründe des Menschenhandels, des Kindesmissbrauchs, der organisierten Prostitution, des Betrugs am Sozialsystem, all diese Dinge, werden jetzt nicht mehr aufgeklärt werden können. Und was ist mit Dr. Keller?“ „Der hat eine Zyankalikapsel dabei gehabt und sich vergiftet.“ „Wenn der eine derartige Kapsel besessen hätte, dann hätte er sie entweder früher benutzt oder sie wäre von Ihnen bei der Verhaftung gefunden worden. Sie sind sich doch bestimmt sicher, dass Sie nichts übersehen haben“, fragte ich kampflustig über den Tisch. Waldtmann wollte aufbrausen, aber Schmücker griff ein: „Die Verhaftung und die Untersuchung des Gefangenen haben nichts derartiges ergeben. Ich war selbst dabei.“ „Also muss ihm das Gift erst im Gefängnis verabreicht worden sein. Und er hat es nicht freiwillig geschluckt, dazu war er viel zu feige. Ich kann das beurteilen, ich habe ihn verfolgt, beobachtet und habe ihn verhört. Er war nichts 252 weiter als ein feiges, altes, verdorbenes Schwein, das vor Angst vor Schiewerski immer weiter in den Dreck geraten war. Immer bemüht, sich anzupassen, klein zu machen, zu kriechen, aber nicht, sich selbst umzubringen.“ Sie sahen mich alle Drei jetzt nachdenklich an und ich bohrte weiter: „Sie müssen nur nachforschen, wer nach Inhaftierung mit ihm Kontakt hatte. Die Vollzugsbeamten, die verhörenden Beamten, die Staatsanwälte bei den Verhören, oder weitere Personen die dabei waren. Eventuelle ärztliche Besuche oder Anwälte. Selbst Kalfaktoren im Gefängnis dürfen nicht vergessen werden.“ Schmücker und Waldtmann stöhnten gleichzeitig auf. „Haben Sie schon Mal versucht einen Todesfall im Gefängnis aufzuklären?“ „Nein, und ich beneide Sie auch nicht um die Aufgabe und ich weiß, dass es wahrscheinlich nicht möglich sein wird; aber versuchen Sie wenigstens den Verantwortlichen soviel Feuer unterm Hintern zu machen, dass sie unruhig werden. Vielleicht machen sie dann Fehler und entlarven sich selbst.“ Wütend schlug Schmücker mit der flachen Hand auf den Tisch. „Das ist ja die Schande. Es gibt nichts mehr zum Nachforschen. Der Todesfall wurde auf Befehl des Oberstaatsanwaltes zu den Akten gelegt. Waldtmann und ich haben einen Rüffel bekommen, weil wir die Giftkapsel nicht entdeckt hatten, und der untersuchende Amtsarzt, der Keller bei der Einlieferung untersuchte, ebenfalls. Der Fall ist kein Fall mehr Teufel. Aus und vorbei.“ Die Bedienung hatte erschrocken in den Raum geschaut und Frau Amelungen rettete die Situation indem sie eine weitere Runde Getränke bestellte. „Und warum stehe ich auf der Fahndungsliste?“ „Wir haben keinerlei Beweise, außer dem Video und Ihren Notizen im ganzen Haus gefunden. Sie müssen Beweise unterschlagen haben, darum suchen wir Sie. Wir haben außerdem noch ein paar zerrissene Schuldscheine in einem 253 Papierkorb gefunden, was haben Sie noch entfernt?“ fragte Schmücker mich, „und wie sind Sie auf Schiewerski gekommen?“ Keller hat uns jedenfalls nichts darüber gesagt. Er hat nur etwas von einem Konto in Luxemburg erzählt, dass Sie da Geld abgehoben hätten, er aber nicht wüsste wo der Geldkoffer geblieben ist.“ „Der spinnt doch, der Kerl. Wollte sich wohl an mir rächen“, log ich dreist, „auf Schiewerski bin ich über einen Grundbucheintrag gefallen. Ich hatte keine Ahnung, dass Möbius in Wirklichkeit ein Schiewerski ist. Ich gebe zu, dass ich einen Menschen widerrechtlich über Staatsgrenzen geschmuggelt habe und entführt habe, damit er hier den Gerichten ausgeliefert werden konnte. Aber ich habe weder Beweise unterschlagen, vernichtet, noch jemals gesehen. Wenn Sie mich verhaften wollen, stehe ich Ihnen zur Verfügung.“ Ich hielt Schmücker meine Arme über den Tisch. „Lassen Sie den Quatsch. Intern werden wir es so darstellen, dass es Kommissar Waldtmann und Frau Amelungen aufgrund eines anonymen Hinweises gelungen ist, Dr. Keller in seinem Haus zu verhaften und in der nachfolgenden Untersuchung auf die Zusammenhänge zu Schiewerski / Möbius gestoßen sind. Bei der Verfolgung von Schiewerski wurde er auf der Autobahnraststätte von einer Streifenwagenbesatzung gestellt und im folgenden Schusswechsel getötet. Der Übereifer des jungen, unerfahrenen Polizisten wurde mit der vorläufigen Suspendierung geahndet. Über ein internes Ermittlungsverfahren wird festgestellt, dass der tödliche Schuss einen Unglücksfall darstellt, weil der Flüchtende stolperte als auf seine Beine geschossen wurde. Er Beamte erhält einen Eintrag in seine Papiere. Damit sind die Fälle abgeschlossen. Die Vorwürfe gegen Sie werden eingestellt. Was unsere holländischen Kollegen noch über die Untaten Schiewerskis ausgraben, werden sie uns auf dem Dienstweg 254 mitteilen. Aber es scheint eine ganze Palette zu sein. Wissen Sie eigentlich, dass wir auf dem Gelände des Hauses neben dem Skelett des erschlagenen Kindes noch die Überreste eines Mannes gefunden haben, und wissen Sie vielleicht auch noch, wer das gewesen sein könnte“, fragte er mich scheinheilig. Ich antwortete ihm noch scheinheiliger: „Nein, noch eine Leiche? Das war ja ein richtiger Massenmörder. Nein, keine Ahnung.“ Wir diskutierten noch eine Weile, und man konnte die ohnmächtige Wut, die uns alle ergriffen hatte spüren. Keiner war mit den Ergebnissen zufrieden, aber Allen waren die Hände gebunden. Zum Abschied schenkte ich Schmücker noch eine Videokassette für seine private Sammlung, mit dem Hinweis, dass er ja Horrorfilme sammle. Er hatte mich verständnislos angesehen, aber war nicht weiter darauf eingegangen. Schmücker hatte die Gesamtrechnung beglichen und vor der Tür hatten wir uns getrennt und ich war in Gedanken versunken über die Brücke zurück zum Wagen gegangen. Meine Wut war derartig stark, dass ich die ganze Stadt in die Luft hätte sprengen können. Bei mir zuhause klingelte das Telefon als ich eintrat. Ich melde mich und es war Schmücker. „Das ist ja entsetzlich, Teufel, woher haben Sie das?“ „Was soll’s noch, die Fälle sind abgeschlossen. Hatte Schiewerski im Gepäck“, damit legte ich auf. In den nächsten Tagen arbeitete ich verschiedene Dinge auf, die in der letzten Zeit liegen geblieben waren und versuchte so wenig wie möglich an meine letzten Abenteuer zu denken. Wiesel und seine Frau klärten mich über die Fortschritte in der Genesung Evas auf und dies war der einzige Lichtblick in diesen Tagen. Am dritten Tag fuhr ich nach Köln und brachte den geliehenen BMW zurück. Die Freigabe meines Wagens war erfolgt und ich konnte meinen Wagen aus der Polizeigarage abholen und fuhr nach Bad Homburg. Ich durfte Eva besuchen und ich freute mich, über 255 die Fortschritte. Wir lachten zusammen und machten Pläne wann wir nach ihrer endgültigen Genesung heiraten wollten. Sie kuschelte sich im Besucherzimmer dicht an mich und schien glücklich. Sie sagte: „Ich weiß wofür und warum ich dieses hier alles mitmachen. Ich will gesund werden und mit dir glücklich sein.“ Beim Abschied weinte sie ein wenig und auch mir war schwer ums Herz; aber ich versprach sie bald wieder zu besuchen. Wiesel und zwei Mitarbeiter waren immer noch an der Auswertung der Akten aus dem Banksafe. Sie holten sich immer einen Stoß und katalogisierten die Akten und übertrugen die Fakten auf die Computer. Sie scannten alle Dokumente und meinten, dass es wohl noch mindestens drei Wochen Arbeit bedeutete, bis alles erfasst wäre. Zu dritt saßen wir dann am späten Abend zusammen und machten Pläne, wie das sichergestellte Vermögen am sinnvollsten angelegt werden könne. Wir beschlossen eine Stiftung zu gründen, aus denen Opfer von Verbrechen oder Hinterbliebene Leistungen beziehen konnten. Einen Teil des Geldes wollten wir direkt dem „Weißen Kreis“ zur Verfügung stellen. Anonym versteht sich. Ich fuhr noch in der gleichen Nacht zurück und legte mich um vier Uhr in der Frühe in mein Bett. Ich schlief schlecht und immer wieder tauchten das zerbrechliche Gesicht und die Tränen des Abschieds von Eva in meinem Halbschlaf auf. Vier Wochen später durfte ich Eva nach Hause abholen. Wir waren glücklich und unsere erste Nacht in den eigenen vier Wänden wurden die zärtlichsten Stunden, die wir jemals verbracht hatten. Eva seufzte und jubelte in meinen Armen und wir schliefen fest umschlungen ein. Wir waren noch im Morgenrock und Kimono bekleidet, als die Polizisten an meiner Tür klingelten. Eva wurde verhaftet. Meine Proteste halfen nichts, sie musste sich anziehen und wurde ins Gericht 256 geschleppt. Der eilig herbeigerufene Anwalt, ein Bekannter von mir, konnte nur die Rechtmäßigkeit der Maßnahme feststellen, denn auf die Ladung zur Verhandlung, die in Evas alte Wohnung zugestellt worden, hatte sie nicht reagiert. Wie sollte sie auch. Wir waren nicht wieder in der Wohnung gewesen, seit Lewinski damals geflohen war. Wie man festgestellt hatte, dass sie bei mir wohnte, war mir schleierhaft. Unsere Proteste hatten wenigstens den Erfolg, dass die Verhandlung vertagt wurde und der Anwalt sich in die Anklagepunkte einlesen konnte. Während der Verhandlungen vor dem Sozialgericht gegen eine Unzahl von Schuldigen waren in den letzten Wochen einhundertvierunddreißig Sozialhilfeempfänger, die über die Kirchengemeinde doppelt und dreifach Beiträge kassiert hatten, die Rückzahlungsansprüche verkündet worden. Hierbei war immer wieder der Name Eva Peters aus der Buchhaltung der Gemeinde aufgetaucht. Da man ihrer nicht habhaft werden konnte, weil sie zu dem Zeitpunkt noch in der Klinik in Bad Homburg war, hatte man sie zur Hauptschuldigen an den Betrügereien der Gemeinde gemacht und die Unterlagen den Strafgerichten zugeleitet. Der Verhandlungstermin wurde im Eilverfahren angeordnet und Eva wurde angeklagt, die Machenschaften der Gemeinde geleitet zu haben. Unsere Entlastungsbeweise, die wir innerhalb der nächsten drei Tage zusammenbekommen hatten, und Lars als Zeuge, konnten das Gericht nicht derart überzeugen, dass ein Freispruch erfolgte. Nein, Eva wurde wegen Mitwisserschaft am Betrug zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt und ihr wurde ein Bewährungshelfer zugewiesen. Als wir einige Tage später ihre alte Wohnung räumten, standen nicht nur die Jugendlichen vor der Haustür. Scheinbar hatte sich der ganze Block versammelt und wir wurden mit Schmährufen und Flüchen wegen Verrats überhäuft. Sie kochten vor Wut, weil sie jetzt weit weniger Geld zur Verfügung hatten und außerdem von 257 dem Wenigen auch noch Abzüge zur Begleichung ihrer Schulden hinnehmen mussten. Als die ersten tätlichen Übergriffe erfolgten, wir mit Steinen beworfen wurden, bespuckt, und getreten wurden, rief ich die Polizei. Nur unter deren Schutz konnten wir die letzten Möbel verladen. Es war sowieso nicht viel gewesen. Eva saß weinend die ganze Zeit in einem Polizeiauto. Eva war schon verschwunden als Lars und ich die letzten Sachen in meine Wohnung trugen. Als ich wenig später im Schlafzimmer nachschaute, während Lars in der Küche ein Glas Mineralwasser trank, sah ich das schrecklichste Bild, das ich mir vorstellen konnte. Eva hatte sich nicht etwa aufs Bett gelegt, sondern saß völlig zusammengekrümmt in der Ecke zwischen Kleiderschrank und Wand. Sie hatte sich regelrecht eingeigelt und wurde von wildem Schluchzern geschüttelt. Sie hatte sich in ihrem Leid buchstäblich ins Mauseloch verkrochen. Sie reagierte auf meine zärtliche Anrede überhaupt nicht und als ich ihr aus der Ecke helfen wollte, fuhr sie mich mit schriller Stimme an. Sie fauchte wie eine Katze: „Du denkst doch genauso. Du siehst in mir doch auch nur die billige Nutte, die Betrügerin, die Säuferin, die auch noch andere Menschen verrät, damit sie nicht in den Knast muss. Die mich bumst wann es dir passt, um mich dann wieder wegzuwerfen. Habt ihr es nicht so eingefädelt, dass du mich benutzt, um überhaupt in den Clan hineinzukommen? War ich nicht nur Mittel zum Zweck?“ „Komm hier erst Mal heraus“, und streckte ihr die Hand hin, um sie hochziehen zu können. Sie fauchte noch mehr, war blitzschnell auf den Beinen und an mir vorbei. Ich war so verdattert, dass ich mich erst rührte, als die Haustür zufiel. Bis ich ebenfalls auf der Straße war, konnte ich sie nicht mehr entdecken. Sie war verschwunden. Ich lief die Straße hinunter, lugte in die nächste Seitenstraße, aber sie war nirgends zu entdecken. Ich ging zurück und fand einen deprimierten Lars in der Küche sitzen. Er hatte ihre 258 Vorhaltungen mit angehört, und fühlte sich schuldig. Ja, wir hatten sie benutzt. Aber was ich heute für sie empfand, war doch ganz etwas anderes. Wir beschlossen sie zu suchen. Erst versuchten wir es zu Fuß und als wir sie nicht fanden, nahmen wir die Wagen und fuhren jeder in die entgegengesetzte Richtung. Ich durchfuhr jede Seitenstraße und kehrte nach einer Stunde vergeblichen Suchens wieder nach Hause zurück. Ich sagte einer Nachbarin bescheid, dass sie auf meine Tür achten solle, wenn sich dort etwas tat, denn während unserer Suche konnte Eva ja zurückkehren und hinein wollen. Dann versuchte ich es erneut und ging in jede Kneipe, weil ich Angst hatte, Eva würde sich dort irgendwo vollaufen lassen. Auch in der zwanzigsten Kneipe hatte ich sie noch nicht gefunden. Sie war nirgends auch nur für einen Moment gesehen worden. Ich fuhr wieder nach Hause und telefonierte mit allen Kneipen und Restaurants in denen wir jemals zusammen gewesen waren. Auch hier kein Erfolg. Sie war wie vom Erdboden verschwunden. In meiner Verzweiflung rief ich Wiesel an, der mir sofort Unterstützung zusagte. Er wolle alle seine Bekannten hier in Bremen mobilisieren um mich bei meiner Suche zu unterstützen. Ich bat die Nachbarin bei mir einzuhüten, damit jemand im Hause war, wenn sie zurückkam und ich sie weiterhin suchte. Ich war verzweifelt. Ich rief auch noch bei Waldtmann an, konnte ihn aber nicht erreichen. Schließlich erreichte ich Frau Amelungen und sie versprach mir, eine inoffizielle Suchaktion zu starten. Dann zog ich wieder los. Von Kneipe zu Kneipe, von Kiosk zu Kiosk. Ständig starrte ich mein Handy an, dass mir Jemand mitteilte, dass sie gesehen worden war. Ich weiß nicht, wie viele Kneipen ich in dieser Nacht besuchte; ich fand Eva nicht. Lars hatte sich gegen zwei Uhr morgens bei mir gemeldet und hatte mir gesagt, wo er überall gewesen war und ebenfalls nicht die geringste Spur von Eva entdeckt hatte. Er konnte nicht mehr und war nach Hause gefahren. Um fünf Uhr morgens war ich nach Hause gekommen und hatte mich 259 angezogen auf die Couch gelegt und zwei Stunden geschlafen. Die Nachbarin weckte mich und kochte mir einen Kaffee und um sieben Uhr machte ich mich wieder auf den Weg. Ich hatte schnell noch einen Ausdruck sämtlicher Kneipen der Stadt angefertigt, die 24 Stunden geöffnet hatten, und war wieder los. Jetzt klapperte ich sämtliche Kneipen und Kaschemmen im Kiezviertel durch, auch hier gab es keine Spur. Ich machte den ganzen Tag weiter. Frau Amelungen hatte ebenfalls keine Spuren finden können, obwohl viele Polizisten inzwischen nach Eva Ausschau hielten. Ich wagte mich sogar in die Nähe ihrer alten Wohnung aber außer höhnischen Bemerkungen und erneute Beschimpfungen konnte ich nichts in Erfahrung bringen. Wiesel und ich kamen zu der Überzeugung, dass sie per Anhalter die Stadt verlassen hatte und weit von Bremen entfernt untergetaucht sei. Ich suchte dennoch weiter. Zweimal sprach ich von hinten blonde Frauen an, von denen ich meinte, sie seien Eva. Am dritten Tag nach ihrem Verschwinden traf ich mich mit externen Mitarbeitern von Wiesel, die aber ebenfalls keine Spuren gefunden hatten. Eine offizielle Vermisstenanzeige wollte ich nicht aufgeben, denn dann wäre Eva als straffällig gesucht worden, weil sie sich sofort nach Verkündung des Urteils sich den Bewährungsauflagen entzogen hatte. An diesem Nachmittag hatte ich mich langsam in das Viertel vorgearbeitet, in dem Keller seine Häuser hatte. Auch hier in den Kneipen hatte ich keinen Erfolg. Sie war nirgends aufgetaucht. Ich weiß nicht was mich dazu trieb, in Kellers Haus einzudringen. Die Versiegelung war noch an der Haustür angebracht, aber nicht am Kellereingang. Ich benutze ihn und gelangte in den Innenhof der Häuser. Die Erdarbeiten der Polizei waren deutlich zu sehen und da entdeckte ich Abdrücke von Frauenschuhen, die in Richtung Hintereingang des Studios führten. Die Tür war aufgehebelt und nur angelehnt. Ich sah es sofort: Eva war hier gewesen. 260 Das Filmbett war zerwühlt und es stank nach Erbrochenem. Als ich um das Bett herumging sah ich den Grund. Hier hatte sich ein Mensch schrecklich übergeben. Mehrer leere Flaschen standen und lagen herum. Ich forschte weiter und fand die ehemals gut gefüllte Bar weitgehend geplündert. Aber Eva war nicht anwesend. Weder im angrenzenden Fotolabor, noch im Hause. Die Küche war immer noch penibel aufgeräumt und auch die übrigen Räume waren Tipp Topp in Ordnung. Man hatte seitens der Polizei scheinbar immer noch nicht festgestellt, dass beide Häuser zusammengehörten und hatte Frau Winter die Haushälterin in diesem Hause nicht vom Ableben ihres Auftraggebers informiert. Eva schien aber nicht in dem Haus gewesen zu sein, oder war wieder nüchtern geworden, hier nur aus der Haustür marschiert, denn die Spuren auf dem Nachbargrundstück hatten nur zu der Tür geführt und nicht zurück. Ich suchte mir aus dem Telefonbuch die Telefonnummer von der Winter und befragte sie, ob sie immer noch täglich in das Haus ginge. Sie war etwas pikiert; aber sagte ja, sie wäre immer noch dort und sehe nach dem Rechten. Da der Eigentümer aber jetzt solange schon nicht dort gewesen sei, und auch keine neue Nachsendeadresse mitgeteilt worden war, hatte sie nur wenig zu tun und hielt sich meistens nicht länger als eine Viertelstunde hier auf. Sie wollte wissen warum ich denn fragte, aber ich war nicht Willens sie heute aufzuklären. Ich benutzte eine Ausrede und hängte ein. An der Garderobe fand ich einen Schlüssel, den ich für den Hausschlüssel hielt und nahm in mit. Ich probierte und wusste, ich bräuchte in Zukunft nicht mehr einbrechen. Als ich gerade auf dem Weg zum Wagen war um meine Suche in den umliegenden Kneipen fortzusetzen kam der Anruf von Frau Amelungen. Man hatte Eva im Hauptbahnhof aufgegriffen. Volltrunken und anscheinend zudem voll gepumpt mit Heroin. Sie hatte einen älteren Herrn erst angebettelt und als er ihr kein Geld geben wollte, ihren 261 Busen entblößt und ihm angeboten mit ihm zu schlafen. Er hatte die Polizei gerufen. Ich solle ins Bahnhofsrevier kommen. Ich fuhr so schnell ich konnte hinüber zum Bahnhof. Obwohl ich sämtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen überschritt, brauchte ich neunzehn Minuten. Eva hatte bei ihrer Festnahme nicht nur einen Beamten fast ein Ohr abgebissen, sie hatte sich hier auf der Wache sämtliche Kleider vom Leib gerissen und die Beamten aufgefordert sie ordentlich durchzuorgeln. In der Ausnüchterungszelle hatte sie randaliert und der Arzt hatte ihr eine Beruhigungsspritze geben müssen. Jetzt schlief sie, und man hatte einen Krankenwagen zum Abtransport in eine Klinik bestellt. Als der Wagen kam, hatte ich einem der Beamten meine Wagenschlüssel in die Hand gedrückt und ihn gebeten ihn auf den großen Parkplatz bei der Stadthalle zu fahren, weil ich im absoluten Halteverbot stand. Er versprach meinen Wagen zu versorgen und ich fuhr mit in die Klinik. Ich erklärte dem Arzt die Krankengeschichte und den Aufenthalt in der Bad Homburger Klinik. Er machte ein sehr bedenkliches Gesicht und ich hielt mich stundenlang auf den Fluren und vor der Tür der Klinik auf, um zu rauchen und zu telefonieren. Wiesel hatte die Suchaktion abgebrochen und den Homburger Arzt verständigt, der sich wiederum mit dem Bremer Kollegen in Verbindung gesetzt hatte. Ich rief alle meine Freunde an, die sich an der Suchaktion beteiligt hatten und informierte sie. Schmücker rief mich an und eröffnete mir, was seine Kollegen gegen Eva planten. Sie müsse nach der nächsten Entgiftung ins Gefängnis. Als ich wieder zurück zur Intensivstation eilte, herrschte hier große Aufregung. Eva war trotz des starken Beruhigungsmittels aufgewacht und hatte randaliert. Es war ein beträchtlicher Schaden entstanden und man hatte ihr eine weitere hohe Dosis des Beruhigungsmittels gespritzt und jetzt versagte ihr Kreislauf. Die Ärzte bemühten sich und gegen zehn Uhr am nächsten Morgen war endlich 262 gewiss, dass sie überleben würde. Man sagte mir, dass ich sie frühestens nach drei Tagen besuchen dürfe. Ich fuhr mit einem Taxi nach Hause und warf mich angezogen aufs Bett und schlief fast 18 Stunden. Um acht Uhr des nächsten Tages war ich wieder einsatzfähig. Ich hatte schon um sieben Uhr in der Frühe mit Wiesel telefoniert. Er hatte gemeinsam mit seiner Frau und dem Arzt der Homburger Klinik Flüge nach Bremen gebucht und würde kurz nach zehn am Flughafen ankommen. Ich holte meine Wagenschlüssel und dankte den Beamten und fuhr raus zum Flughafen und von dort aus direkt in die Klinik. Während der Arzt mit dem behandelnden Arzt konferierte, hatten Frau Starck, Wiesel und ich in der Cafeteria gesessen und hatten beratschlagt. Ich hatte meinen Wunsch geäußert, dass ich Eva hier im Kranhaus heiraten wollte und ob sie meine Trauzeugen sein wollten. Ich hatte Wiesel auch gebeten, ob er mir bei der Beschleunigung der Verwaltungsprozeduren für eine derartige Amtshandlung helfen würde. Er hatte nur genickt und war aufgestanden und aus dem Raum gegangen. Frau Starck tröstete mich und meinte, dass schon alles gut gehen würde. Wiesel und der Arzt kamen gemeinsam zurück in die Cafeteria. Sie forderten uns auf mitzukommen. Wir gingen hinauf zum Ärztezimmer der Intensivstation, wo uns neben den Ärzten und einigen Schwestern ein schlanker, dunkelgekleideter Mann erwartete. Er verlangte meinen Personalausweis und trug einige Daten in ein Formular ein. Der Arzt bat uns jeweils einen grünen Kittel anzulegen und dann wurden wir aufgefordert dem Arzt zu folgen. Wir gingen in die Kabine, in der Eva mit vielen Leitungen und Schläuchen an diversen Apparaturen angeschlossen war. Eva lag klein, mit wächserner Haut in dem Bett. Sie schien geschrumpft, scheinbar nicht größer als ein Kind. Sie lag da wie ein kleiner Engel und ich konnte vor aufsteigenden Tränen kaum etwas erkennen. Ich küsste zart ihre Stirn und 263 ergriff ihre Hand. Der Mann in Schwarz ließ mich gewähren und orderte den Arzt an meine Seite und die Starcks auf die andere Seite des Bettes. Dann schlug er seine Mappe auf und vollzog die Trauungszeremonie, nachdem er die Zeugen Starck einzeln befragt hatte, ob sie den Willen der Bewusstlosen vertreten würden und von deren Absichten mich zu ehelichen vor der Bewusstlosigkeit informiert worden seien. Sie bejahten. Dann wurde ich gefragt, ob ich die Eva Peters zu meiner Gattin nehmen wolle. Ich antwortete mit einem klaren „Ja“. Ich hatte während der ganzen Zeit fasziniert das Gesicht Evas angesehen. Bei den Worten hatte sie die Augen geöffnet, ihr Blick schien klar in die Unendlichkeit zu gehen und ihr Mund verzog sich zu einem scheinbaren Lächeln. Diesen Blick und dieses Lächeln werde ich solange nicht vergessen, bis ich eines Tages in die Hölle fahre. Die Trauungszeremonie war damit abgeschlossen und wir wurden zurück ins Ärztezimmer gebeten, wo wir unsere Unterschriften zu leisten hatten. Eva und ich waren ein Ehepaar und mein Geschenk an sie war das Gelöbnis, diejenigen zu vernichten, die für ihren jetzigen Zustand verantwortlich waren. Die Talfahrt war beendet, die Wagen der Bahn, ausgebremst. 264 Teufels Geisterbahn - teuflische Rache – Es war die erste Hochzeitsfeier an der ich als Hauptbeteiligter teilnahm. Eine Hochzeitsfeier an der die Braut nicht beteiligt; aber auch die Gästeschar sehr eingeschränkt war. Neben den Trauzeugen, dem Ehepaar Starck, nahm nur noch der Arzt, dessen Namen ich nie erfahren hatte, am Essen teil. Lars kam später und zu meiner Verwunderung auch Schmücker. Wiesel hatte sich als erfolgreicher Organisator betätigt und hatte in einem Hotel, welches einen ausgezeichneten Ruf für seine Küche hatte, einen runden Tisch in einem Nebenraum gebucht. So blieb es mir erspart an der Tafel einen freien Platz neben mir zu haben. Frau Starck, als einzige Frau in dieser Runde, hatte das Kommando übernommen und ihr Toast auf die Gesundheit und das Glück des Hochzeitpaares wurden von mir nicht als Hohn empfunden. Sie war es auch, die es verstand, das Tischgespräch in neutrale Bahnen zu lenken und trotz der misslichen Umstände einen feierlichen Rahmen zu geben. Die anfangs eher gedrückte Stimmung wurde lockerer, und sie verstand es über die ganze Zeit des Mahles eine heimelige Atmosphäre zu schaffen. Sie verstand es sogar, uns von den aktuellen Sorgen und Empfindungen soweit abzulenken, dass wir nach dem Essen, beim Kaffee und Digestif ernsthaft über wirtschaftliche Themen diskutierten. Schmücker erwies sich als wunderbarer Erzähler von Geschichten aus dem Tanzsport und so erfuhr ich, dass er mit seiner Partnerin schon große Siege auf dem Parkett errungen hatte. Auch seine Anekdoten über Pannen während der Turniere, den Unzulänglichkeiten der Live-Bands, die auch schon mal das falsche Stück angespielt hatte, wenn es um Punkte und Ehren ging, und wie die konkurrierenden Paare geistesgegenwärtig eine Showeinlage aus der Panne der Band gemacht hatte. Zum Lachen brachte er uns dann mit der Anekdote des verlorenen 265 Slips einer jungen Tänzerin, die es dennoch geschafft hatte, diese Fußfessel mit elegantem Schwung und Kick auf den nächsten Gästetisch loszuwerden, ohne dass die Jury auf ihrem Podest etwas davon mitbekommen hatte. Ich fühlte mich entspannt und wusste nicht, dass der Arzt ein wenig nachgeholfen hatte. Er hatte mir eine Portion Psychopharmaka im Begrüßungstrunk verabreicht. Wiesel hatte auch für mich ein Zimmer im Hotel reservieren lassen, damit ich nicht noch nach Hause fahren musste. Als Standard des Hauses wurde mir sowohl ein Pyjama, als auch Rasierzeug gestellt. Wir hatten uns zum gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen verabredet. Im Einschlafen sah ich wieder den in die Ferne gerichteten Blick und das angedeutete Lächeln meiner Frau. Das Mittel, das mir verabreicht worden war, hielt auch am nächsten Morgen noch an und ich ging beschwingt die Treppe hinunter in den Frühstücksraum. Wiesel und seine Frau waren schon anwesend und winkten mich an den Tisch. Der Arzt kam wenig später und wir gingen gemeinsam zum Büfett, um uns zu versorgen. Sein prüfender und ein wenig sorgenvoller Blick war mir entgangen. Er fragte beiläufig wie ich geschlafen hätte und wie ich mich fühlte. Ich konnte ihm nur berichten, dass ich hervorragend durchgeschlafen hätte und mich ausgesprochen gut fühlte. Das Frühstück zog sich durch unser lebhaftes Gespräch recht lange hin und erst als die Serviererinnen anfingen das Büfett abzubauen, erhoben wir uns und die drei holten ihr Gepäck. Ich fuhr sie zurück zum Flughafen und winkte ihnen nach als sie durch die Sperren zum Abfluggate gingen. Der Schlag kam auf der Rückfahrt, und er kam umso heftiger. Schlagartig gingen mir die Bilder unserer Trauung, der Hilflosigkeit, der körperliche Verfall der kleinen zierlichen Gestalt, angeschlossen an Apparaturen durch den Kopf. Als wären Staudämme gebrochen, überfluteten mich die Hassgefühle. Wut und Enttäuschung 266 brodelten in mir hoch, als sei ein Vulkan in mir ausgebrochen und schleuderte die glühende Lava aus mir heraus. Ich wusste nicht, dass ich einen unmenschlichen Schrei ausgestoßen hatte. Das Dröhnen in meinen Ohren ließ mich wieder auf den Verkehr achten. Nur mit einer Vollbremsung gelang es mir, nicht auf das Heck meines Vordermannes zu rasen. Das Quietschen der Reifen und mein leicht ausbrechender Wagen brachten mich zurück in die Wirklichkeit. Ich suchte mir die nächste Parklücke und parkte vorsichtshalber ein und stieg aus dem Auto. Einige Passanten, die mein Bremsmanöver beobachtet hatten, waren stehen geblieben und starrten mich an, als ich aus dem Wagen stieg. Sie sahen so blass aus, wie ich mich fühlte. Ich ging schnell in Richtung nächste Straßenecke und verschwand aus ihrem Blickfeld. Mein Herz raste und ich machte Atemübungen um den Herzrhythmus wieder zu normalisieren. Erst als ich einen größeren Hauserblock umrundet hatte, ging es wieder mit mir. Ich zwang mich meine überschäumenden Gefühle zu dämpfen und wild durcheinander wirbelnde Rachegelüste zu kontrollieren. Ich setzte mich wieder in mein Auto und fuhr, konzentriert auf den Verkehr, nach Hause. Hier erledigte ich zunächst alle Arbeiten, die ich sonst hasste. Ich räumte gründlich auf, kramte all meine Schmutzwäsche zusammen, trennte nach den verschiedenen Waschgängen und füllte die erste Maschine und stellte sie an. Dann kontrollierte ich den Inhalt meines Kühlschrankes und warf noch einen Blick in mein Vorratsregal, setzte mich an den Küchentisch und schrieb eine lange Einkaufsliste. Als die erste Wäsche fertig war, füllte ich sie um in den Trockner und füllte die Waschmaschine erneut. Dann fuhr ich langsam in den Einkaufsmarkt und kam mit überquellendem Wagen zurück zu meinem Auto und fuhr wieder heim und verteilte hier die Waren. Ich hatte mich die ganze Zeit gezwungen systematisch vorzugehen, hatte jeden meiner Schritte geplant und meinen Plan eingehalten. Ich wusste, nur mit diesen kontrollierten Handlungen konnte ich 267 meine Ziele erreichen. Ich musste lernen meine Gefühle abzuschalten und nur noch rationell zu planen und zu handeln. Ich ging früh schlafen und hatte bewusst auf jede Fernsehund Radionachrichten verzichtet. Ich wollte trainieren sämtliche Emotionen abzuschalten. Als Mittel zum Einschlafen nutzte ich die Technik des autogenen Trainings. Den nächsten Morgen benutzte ich zunächst wieder zu Hausarbeiten und erst als ich fand, dass meine Wohnung blitzblank und äußerst aufgeräumt wirkte, machte ich mich fertig um einige Besuche in der Stadt zu machen. Ich kleidete mich sorgfältig. Vor dem Spiegel hatte ich dann aber den Eindruck ich sei zu konservativ gekleidet und beschloss den Tag mit Einkäufen zu verbringen. Es sollte der typische, modisch orientierte, erfolgreiche Jungunternehmer aus mir werden. Dazu benötigte ich Rat; denn mit diesem Thema hatte ich mich bisher nicht befasst. Der beste Herrenausstatter der Stadt sollte mir helfen und der Verkäufer – oder besser ausgedrückt, der Modeberater, ein Mann in meinem Alter wusste sofort, was ich im Auge hatte. Als schwierig erwies es sich dann aber, dass ich etwas zu lang und mein Oberkörper etwas zu muskulös war, um in die geführte Fertigware hineinzupassen. Aber er war geschickt und bastelte mir aus verschiedenen Größen und mit Hilfe des Hausschneiders zwei Anzüge und eine Kombination zusammen, die sowohl ihm, als auch mir gefielen. Passende Hemden, Unterwäsche – trendy, wie er sich ausdrückte -, Socken und selbst Schuhe konnte ich hier erstehen. Die dazugehörigen Krawatten waren teurer, als ich normalerweise für Anzug, Hemd, und Schuhe bezahlt hätte. Er riet mir auch zu einem neuen Haarschnitt und machte bei einem Freund von sich sofort einen Termin. Man zuckte mit keiner Wimper als ich mit einer Visitenkarte zahlte, die ich in einer Schnelldruckerei vor dem Besuch in dem Laden erstellen lassen hatte. Sie wies mich als W. Teufel, General Manager, Medien- und Unternehmensberatungen, 268 aus. Die Firma, die ich vertrat, hatte ich auf den Namen „Devils Hunting TV“ mit Sitz in Malibu, Cal. USA; CentralBranch Bremen, getauft. Als Adresse hatte ich den Sitz meines Freundes, dem Antiquitätenhändler, angegeben. Die Adresse lag nahe genug dem Amerika Haus, so dass sie glaubwürdig war. Ich musste ihn nur noch informieren, welch aufsteigendes Unternehmen beim ihm einquartiert war. Ich sah jetzt schon sein Grinsen und wie ich ihn kannte, würde er in Windeseile ein poliertes Messingschild an seiner Hauswand befestigen. Ich bat darum, die Sachen, nach den kleinen Änderungen, die noch vorgenommen werden mussten, an meine derzeitige Adresse im Nobelhotel der Stadt zu senden. Die Rechnung könne an meinen Firmensitz gehen. Sie würde selbstverständlich sofort unter Abzug von 3% Skonto beglichen. Die gerade erworbene Freizeitkleidung hatte ich schon im Laden anbehalten und meinen alten „guten“ Anzug dort gelassen. So marschierte ich zum Frisör, der mich ausgiebig behandelte. Die Maniküre, die meine Nägel bearbeitete, war wahrscheinlich die Einzige, die Zweifel an meinem Image hatte. Ich vertrieb die Zweifel mit einem Hundertmarkschein als Trinkgeld. Schon auf dem Frisörstuhl hatte ich über Handy Wiesel angerufen und hatte ihm im übelsten „Hoboken-Slang“ sehr schnell um Anweisung von Einhunderttausend Mark auf mein hiesiges Konto gebeten und um die Reservierung der nobelsten Suite im Hotel. Ich hoffte, dass sie frei war. „Bist du völlig durchgeknallt, oder besoffen“, tönte es mir aus dem Telefon entgegen. In der nächsten Minute gebrauchte ich das im amerikanischen übliche „fuckin´“ häufiger als jedes andere Wort und wurde auch noch laut dabei. Jetzt hatte Wiesel endlich begriffen, dass er Teil einer Show war, und sagte nur noch: „Okay“, und legte schnell auf. 269 Der Frisör und die Maniküre würden immer bestätigen können, dass dieser amerikanische Manager es seinen Untergebenen heftig am Telefon gegeben hätte. Ich wusste ja nicht, wie viel Englischkenntnisse beide besaßen, aber ich ging davon aus, dass sie außer „fuckin´“ nichts verstanden hatten. Dann marschierte ich fröhlich vor mich hin pfeifend zum Laden meines Antiquitätenfreundes. Der erkannte mich zunächst überhaupt nicht, so hatte mich der Frisör zugerichtet. Als ich ihm wortlos mit meinen manikürten und lackierten Fingernägeln die Visitenkarte überreichte, machte er sich fast vor Lachen in die Hose. „Was ist mit dir den los, Teufel? Ich glaub, ich seh nicht richtig, Waldemar Teufel als Yuppie verkleidet. Spinnst Du?“ Wichtigtuerisch sagte ich ihm von oben herab: „Ich glaube Sie vergreifen sich im Ton, werter Herr, wissen Sie nicht, mit wem Sie es zu tun haben?“ Und dann grinste ich ihn breit an: „Nee, die Masche werde ich in der nächsten Zeit gebrauchen. Mit Speck fängt man Mäuse, und mit „Mäusen“ fängt man Ratten!“ „Mir schwant Böses, worauf willst du dich diesmal einlassen?“ „Ein Rattennest zerschlagen und mit Schwefel ausräuchern. Hast du den Geruch in dieser Stadt noch nicht bemerkt? Es stinkt doch an allen Ecken und Kanten. Es muss sauber gemacht werden. Ich habe bei mir zu Hause schon Mal angefangen.“ Er starrte mich mehr als verständnislos an und dann fragte er mich etwas ganz anderes und meine Fassade bröckelte sofort. Er fragte: „Wie geht es deiner kleinen süßen Maus, mit der du das letzte Mal bei mir warst?“ Meine Augen fingen an zu brennen, und ich brauchte eine Weile bis ich antworten konnte. „Sie ist seit vorgestern meine Frau. Sie liegt auf der Intensivstation und ob sie jemals wieder das werden wird, was du kennengelernt hast, ist mehr als fraglich. Aber das ist der 270 Grund für meinen Mummenschanz. Ich hoffe, du wirst mitspielen.“ Er hatte in mein Gesicht gesehen und wir kannten uns zu lange, als dass er den Schmerz, die Wut und den Hass nicht gesehen hätte. Er sagte nur: „Wenn ich dir helfen kann.“ „Du hilfst mir schon, weil ich deine Adresse, als meine ausgebe. Schreib dir meine neue Handynummer auf und informiere mich jedes Mal, wenn hier Heinis auftauchen, die etwas über die Firma wissen wollen. Das ist die Aufgabe, die ich dir zugedacht habe.“ „Und was soll ich denen sagen?“ „Du warst schon immer ein guter Märchenerzähler. Tu unheimlich geheimnisvoll und lass nur durchblicken, dass es sich um eine richtig wichtige Mediengruppe handelt, die von hier aus den europäischen Markt erobern will. Dir fällt sicherlich was ein. Es kann auch jedes Mal was anderes sein. Das bringt nur noch mehr Verwirrung und Neugier. Und das bezwecke ich. Je weniger du über die wirklichen Hintergründe weißt, umso glaubhafter werden deine Märchen klingen. Du machst das schon.“ „Und wann bringt man mich um?“ „Gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich glaube aber eher gar nicht. Wenn sie hinter den Schwindel kommen, werden sie mich umbringen wollen, und du wirst vielleicht als Schwätzer und Märchenerzähler in die Stadtanalen eingehen, nach dem Motto, jeder kannte ihn, er kannte jeden, keiner glaubte ihm, aber seine Geschichten waren schön anzuhören“, grinste ich ihn an. Der alte Mann sah mich groß an, überlegte kurz, und meinte dann: „Teufel, du hast mal wieder teuflische Pläne, muss ich Angst um dich haben?“ „Nein, mein Alter, ich lade nur die Prominenz ein in die Geisterbahn zu kommen. Hier werden sie mit den Geistern ihrer Vorfahren und ihrer eigenen Untaten, konfrontiert. Sie sehen die Geister der noch Lebenden und die Geister der 271 Verstorbenen und sie werden es sein, die vor Angst bibbern. Ich nehme billigend in Kauf, dass manch einer vielleicht ein zu schwaches Herz hat und an dieser Angst krepiert, wie sie haben krepieren lassen“, sagte ich bitter und fuhr im Marktschreierton fort; „Kommen Sie herein, hier werden Sie beschissen, besser als Sie es je selbst konnten.“ Der alte Mann sah mich sehr bestürzt an und ich winkte ihm zum Abschied und sagte: „Sorge dafür, dass mein Firmenschild bald an deiner Fassade hängt, um den Rest kümmere ich mich schon“ Ich nahm ein Taxi, das mich zum Hotel brachte. Ich ließ es warten, als ich großspurig an die Rezeption ging und mich eincheckte. Ich sagte nur, dass mein Gepäck später angeliefert würde und dass der renommierte Herrenausstatter später eine Sendung liefern würde, die man quittieren solle. Ich bat darum dem Boten ein ordentliches Trinkgeld auszuhändigen. Meine Suite wollte ich noch gar nicht besichtigen, da ich davon ausginge, dass der gehobene Standard dieses Hauses dem Namen Ehre machte. Ich hätte es eilig und man möge mir nur den Schlüssel aushändigen, da ich nicht wüsste wie spät es würde. Dann rauschte ich wieder zu meinem Taxi und ließ mich in die Innenstadt fahren. Hier suchte ich mir ein Lederwarengeschäft, in dem ich diverse hochwertige Markenkoffer erstand, bezahlte bar, ließ mir ein Taxi vorfahren, und zu meiner Wohnung bringen. Der Fahrer half mir, die vielen Koffer hinein zu bringen. Ich suchte meine besten Kleidungsstücke zusammen und packte sie in zwei Koffer, den Rest der Koffer füllte ich mit Büchern und alten Klamotten und stellte die Zahlenschlösser so ein, dass das Hotelpersonal sie nicht öffnen konnten. Dann rief ich ein weiteres Taxi und bat den Fahrer die Koffer zu dem Hotel zu fahren und sie dort für meinen Namen abzuliefern. Ich zahlte großzügig für die Fahrt. Ich verabredete mich mit Lars bei einem Nobel-Italiener in der Innenstadt, sicherte ihm zu, dass ich die Rechnung begleichen 272 würde, und bat ihn die Reservierung in Namen der Leitung des Sozialamtes zu machen und vermerken zu lassen, dass ein besondere Gast, Mr. Teufel, vom amerikanischen TV besonders aufmerksam zu behandeln sei, wenn er, Lars, noch nicht da sei. Der einzige Kommentar war: „Gut ich mach´s; aber du spinnst. Bis nachher.“ Das nächste Taxi brachte mich in die Innenstadt und ich zog mir am Bankautomaten Geld; denn so langsam ging mir Bares aus. Ich hatte den Höchstbetrag für Auszahlungen eingegeben und konnte fast den erhobenen Zeigefinger hinter der Mattscheibe sehen, der mich mahnte, ja nicht zu überziehen. Die angeforderten Zweitausend Mark spuckte er dennoch aus. Sollten da wider Erwarten Eingänge aus früheren Ermittlungen zu verzeichnen sein? Ich glaube, ich müsste Mal wieder einen Blick auf meine Auszüge werfen. Außer dem beruhigenden Scheinen aus dem Automaten führte ich meine Restbestände an holländischen Gulden, belgischen Franc und US-Dollars bei mir. Zusammengerechnet ein nicht unerheblicher Betrag, aber wenn ich was gelten wollte, musste ich schon viel zeigen. Ich war für zwanzig Uhr mit Lars verabredet und ich erschien schon früher und fragte laut nach dem reservierten Tisch. Als ich mich als TV-Mensch zu erkennen gab, sah ich nur noch gebeugte Rücken und man entschuldigte sich, dass man uns nur einen Tisch in der Mitte des Raumes habe reservieren können. Einen typischen Platz, für eigentlich untergeordnete, vielleicht gerade noch dem mittleren Establishment zuzurechnenden Gästen vorgesehen. Für meine Zwecke allerdings der geeignete Platz. Das Restaurant war sehr gut besucht, wenn auch die besten Plätze mit dem Reserviertschild versehen, noch nicht besetzt waren. Hier speiste also die gehobene Gesellschaft. Als mein bestellter Martini kam, war die erste Szene meines Drehbuchs dran. Ich 273 fluchte laut auf Englisch, amerikanischen Slangs, dass ich mehr von einem Restaurant erwarten würde, als ein labberiges Getränk. Ob man in diesem Hause nicht wüsste, was ein richtiger amerikanischer Martini sei. Ein Wodka-Martini. Ich verkniff mir den Bond-Film-Gag, von wegen gerührt und nicht geschüttelt. Der Oberkellner beeilte sich meinen Wünschen nachzukommen. Dann erschien mein Riesenbaby Lars. Über zwei Meter lang und inzwischen fast zweieinhalb Zentner schwer in seiner üblichen Kluft, in der er den Sozialhilfeempfängern die Gelder auszahlte. Dabei hatte er sich für den Besuch hier in Schale geschmissen. Sein dunkelgrauer Anzug hatte ihm zuletzt vielleicht vor fünf Jahren gepasst und er sah darin aus, als wäre er einfach rausgewachsen. Er wirkte zwischen den modisch gekleideten übrigen Gästen ein wenig deplaziert. Aber das war Teil meines Planes und er musste da durch. Wie unwohl er sich fühlte, war ihm deutlich anzusehen. Er bestellte vorsichtshalber ein Mineralwasser. Ich hatte ihn lautstark begrüßt und hatte es hervorragend gefunden, dass er sich bereit fand dem amerikanischen Fernsehzuschauern Einblick in das berühmte deutsche Sozialwesen geben zu wollen. Nach spätestens zwei Minuten unserer Unterhaltung wusste jeder im Raum, dass ich mindestens ein gewaltiger Fernsehboss war und er ein bescheidener Mitarbeiter des Sozialwesens der Stadt, der die Vorzüge des deutschen Systems den Amerikanern verdeutlichen würde. Noch bevor wir nach unseren Speisewünschen gefragt werden konnte, beschwerte ich mich lauthals darüber, dass gute Tische an denen man vertrauliche Gespräche führen könne frei seien, wir aber auf dem „Spot“ sitzen müssten. Man solle mir den Geschäftsführer senden. Wir wurden schnellstens in eine der bevorzugten Ecken verbannt. Nach kurzer Debatte bestellte ich den Wein und unser Essen. Als der Kellner gegangen war hatte ich Lars 274 zugeblinzelt und ihm zugeraunt: „Tut mir leid, mein Alter, gehört zum Spiel.“ Er zischte zurück: „Ich mag deine Spiele nicht. Verdammt, klär mich wenigsten über die Spielregeln auf.“ „Geht nicht, denn dann hast du schon gewonnen.“ Die überaus schnelle Bedienung und das schnelle Auftragen der einzelnen Gänge ließen nur einen Schluss zu: man wollte uns so schnell wie möglich wieder los sein. Ich tat ihnen den Gefallen. Gleich nach dem Essen stand ich auf und verlangte am Tresen laut die Rechnung und bestellte gleichzeitig für den morgigen Abend einen Zehnertisch vor. Ich sagte dem herbeieilenden Geschäftsführer, welche Plätze ich für meine Gäste erwartete, und deutete auf die Fensterreihe und sagte sehr laut: „Dort können Sie ja wohl einen Tisch zusammenstellen. Wir kommen um 20 Uhr.“ Dann wedelte ich mit meinen DMund US-Dollarscheinen, wartete die Rechnung nicht ab, sondern knallte ihm einen weitaus höheren Dollarbetrag auf den Tresen, als die Rechnung ausmachen konnte. Ich winkte Lars zu herüber zukommen und schrie ihm schon von weitem zu: „Und jetzt zeigen Sie mir den besten Sexclub der Stadt, wo ein amerikanischer Mann zeigen kann, was ein echter Pionier zu leisten vermag.“ Ich hatte Lars noch nie im Leben erröten sehen; aber jetzt glühte er wie eine Tomate. Weniger vor Scham, sondern nur aus Wut. Ich war schon dreißig Meter von dem Lokal entfernt, als er hinter mir herstürzte wie ein angriffslustiges Nashorn. Ich stoppte ihn mit einem scharfen: „Tut mir leid Lars, das musste sein. Ich erklär es dir gleich. Lass uns ein wenig am Fluss lang laufen.“ Er hätte mich am liebsten verdroschen, aber er war eben doch ein sanftmütiger Mensch. „Lars, es ist besser, wenn du mein Spiel, das ich heute angefangen habe, gar nicht erst verstehst. Je mehr ich dich 275 damit verwirre, umso mehr zeigt es mir, dass ich andere noch mehr verwirren kann. Du solltest wissen, dass die Menschen sich immer um Ruhm und Geld scharren. Heute bin ich noch ein Großkotz, den man nicht schnell genug wieder aus dem Lokal kriegen konnte. Morgen bin ich derjenige, der die Puppen aufstellt, und übermorgen bin ich es, der die Fäden zieht, woran diese Puppen tanzen. Alle, die es heute verpasst haben, meine Gunst und damit die Möglichkeit im Fernsehen groß heraus zu kommen, werden in drei Tagen hinter mir her hecheln, Speichel leckend. Ich werde noch nicht einmal mehr etwas bezahlen müssen, sie werden mich einladen, werden mich hofieren und dann wird das große Erwachen kommen, wenn sie sehen, wie sie auf die Leinwand kommen. Gedulde dich, und entschuldige, wenn ich dich heute zum Hofnarren machen musste. In wenigen Tagen wirst du wissen, welch ein wichtiger Mensch du geworden bist. Für andere. Für mich warst du schon immer wichtig. Und jetzt lass mich in mein Nobelquartier zurückkehren, nur vorher muss ich noch im „Francis-Club“ meine Visitenkarte hinterlassen. Machs gut, und hier ist meine neue Handynummer.“ Ich drückte ihm sowohl meine neue Geschäftskarte als auch eine schlichte Karte mit der neuen Nummer in die Hand, drehte mich um und ließ ihn sprachlos stehen. Es war noch nicht einmal 22 Uhr und ich telefonierte mit Wiesel und erklärte ihm kurz was ich heute Nachmittag bezweckt hatte. Ich sagte ihm, dass ich Aufmerksamkeit erregen wollte und den Großkotz spielen wollte, dem die korrupten Elemente auf den Leim gehen sollten. Ich bat ihn seine Kontakte zur Presse zu aktivieren und mit Gerüchten die Nachfrage nach dem TV-Unternehmen anzukurbeln. Ich erklärte ihm, dass ich innerhalb der nächsten drei Tage hier eine unübersehbare Spur legen wollte, der die Neugierde über ein TV-Projekt in der Stadt wecken sollte. Danach würde ich für einige Zeit verschwunden bleiben, weil ich bei ihm in Bad 276 Homburg bei der Aktensichtung und Vorbereitung für eine reale TV-Show mitwirken wolle. Ich informierte ihn nicht vollständig über meine Pläne, aber er sagte mir zu, die Scheinfirma mit Technik, wie Telefonanschlüssen, die nach Bad Homburg geschaltet würden, auszustatten. Und er wollte eine ganz spezielle Klatschjournalistin auf die Vorgänge in Bremen ansprechen und heißmachen. Sie sollte sich besonders mit meiner Person befassen, aber ich solle ja nie zu einem Interview bereit sein. „Dann brauche ich noch ein professionelles Fernsehteam, das hier nach meinen Drehbuchvorgaben Außenaufnahmen macht. Kannst du so etwas besorgen?“ „Für wie lange brauchst du die?“ „Längstens drei Tage. Sollten robuste Typen sein, denn sie sollen in den wirklichen Ghettos der Sozialhilfeempfänger ihre Aufnahmen machen und sich auch gegen Behörden durchsetzen können, falls sie mit Einschränkungen von dort behindert werden.“ „Ich habe da Jemanden im Auge, der das arrangieren könnte. Kann ich dir aber erst morgen oder übermorgen bestätigen.“ „Okay, ich muss sowieso noch am Drehplan basteln.“ „Und was unternimmst du jetzt noch?“ „Ich werde den unternehmungslustigen TV-Boss mimen, der schnelle Sexkontakte in Nobelclubs nicht verabscheut. Ich will noch meine Visitenkarte in der ersten Adresse hier abliefern. Die sollen wissen, wo man die Amis treffen kann.“ „Aber keine Drogen! Auch keinen Alkohol, klar?“ „Ich werde mich zurückhalten. Mehr ausgeben, als selbst trinken. Ich melde mich morgen wieder und stell vor allen Dingen die Unterlagen über die Sozialamtsmitarbeiter zusammen, damit wir da ansetzen können.“ „Wird gemacht. Und hüte dich vor zu neugierigen Reportern. Die könnten auch dahinter kommen, dass du ein eher schlecht bezahlter Privatdetektiv bist. Bis morgen.“ 277 „Ruf mich bitte in etwa einer Stunde an, dann erzähl ich dir eine Menge Unsinn, aber dann habe ich Grund wieder aus dem Club zu verschwinden.“ „Wird gemacht.“ Mein Auftritt im „Francis“ war gelungen. Schon mein großspuriges Auftreten beim Eintritt erregte Aufsehen und meine Geldscheine und meine Visitenkarte taten ihr Übriges. Mein rüpelhaftes Benehmen gegenüber den Hostessen wurde durch meine Bestellungen an Champagner kompensiert. Ich griff den Mädchen ungeniert an den Busen und versicherte ihnen, dass sie in meinen Produktionen zunächst zum Chirurgen geschickt würden, um wirkliche „Dinger“ verpasst zu bekommen. Bei der ersten Bühnenshow saß ich mit vier Tänzerinnen an einem Tisch und orderte auch die auftretende Darstellerin nach Beendigung ihrer Darbietung an den Tisch. Dann klingelte mein Handy und ich erklärte Wiesel lautstark mit zotig gewürzten Sätzen, wie „Great“ und „Fuckin´ -good“ dieser Club wäre und fragte dann warum das Treffen um diese Zeit anberaumt wäre. Ich lauschte dem Gelächter Wiesels und legte mit einem „Shit, ist okay“ auf und stand vom Tisch auf und rauschte zur Tür. Dem Geschäftsführer, der mir sagte, dass ich noch etliches zu zahlen hätte, erklärte ich kurz und bündig, er solle die Rechnung an die Firma senden, sie würde umgehend beglichen und drückte ihm mehrere Hundertdollarscheine in die Hand, als Trinkgeld für die Mädel. Dann verließ ich den Club ohne weiter aufgehalten zu werden. Visitenkarten hatten sie alle bekommen. Der Manager und die Mädel. Und die Gäste, von denen ich hoffte, dass einige meine Zielpersonen gewesen waren, kannten mich jetzt auch. Ich winkte mir das nächste Taxi und ließ mich ins Hotel fahren. Die erste Leimrute war ausgelegt. 278 Mit dem Frühstück wurden mir auch verschiedene Zeitungen aufs Zimmer gebracht. In der Stadtbeilage des Boulevardblattes fand ich schon die erste Nachricht über meine Anwesenheit in der Stadt. Der Artikel war überschrieben: „Plant US-TV-Gesellschaft Bericht über das deutsche Sozialsystem? Soll am Beispiel der Stadt, die den höchsten Sozialempfängeranteil unter den Bundesländern hat, die vorbildliche Arbeit des deutschen Systems in den USA bekannt gemacht werden? Es folgten weiter einige kleine Spekulationen und Erklärungen, die aber nichtssagend waren. Wiesel hatte Klassearbeit geleistet. Und die Boulevardreporter hatten schneller reagiert, als ich erwartet hatte. Jetzt würde die Presse erst einmal mich jagen. Dass ich auf den Visitenkarten keine Telefonnummer angegeben hatte, war vorher keinem aufgefallen und man würde meinen guten alten Freund in seinem Antiquitätengeschäft mit Fragen bombardieren. Wie ich es erwartet hatte, waren meine Koffer gestern ausgeräumt und die Sachen im Schrank verstaut worden. Auch die neu erworbenen Anzüge hingen dort. Die Rechnung fand ich diskret im Umschlag auf meinem Schreibtisch im Wohnraum. Ich kleidete mich mit einem der neuen Anzüge mit Krawatte. Meine kunstvolle neue Frisur konnte ich selbst wieder herstellen. Ich brauchte nur genügend Gel in die Hand zu nehmen und mit gespreizten Fingern durch mein Haar zu fahren und schon sah ich wieder so herrlich „natürlich verstrubbelt“ wie der Frisör es genannt hatte, aus. Praktisch. Dann startete eine Serien von Anrufen. Meine Bank, ein Reisebüro, Wiesel und einige Bekannte, die ich zu meinen nächsten Aufgaben gebrauchte. Zuletzt sprach ich mit einer Bank in London, wo ich aus meiner Zeit bei der englischen Gesellschaft, bei der ich einen Teil meiner Ausbildung erhalten hatte, noch ein Konto besaß, aber in der letzten Zeit 279 nicht gebraucht hatte. Ich sagte zu, dass Geld angewiesen würde, und ich morgen vorbeikommen wollte. Ich ließ mich zu meiner hiesigen Bank fahren und erregte bei meinem ständigen Kundenberater einige Verwirrung. Ich veranlasste ihn mit mir in ein Beratungszimmer zu gehen, was er nach kurzem Blick auf meinen heutigen Kontostand sofort tat. Ich wies ihn schriftlich an, sämtliche Rechnungen, die mein Freund der Antiquitätenhändler einreichte umgehend von ihm, dem Kundenberater zur Bezahlung freizugeben und bezahlt würden. Als er mich fragte, ob ich im Lotto gewonnen hätte, ließ ich es offen; aber als ich ihn verließ war er überzeugt, ich hätte. Als ich ihm dann noch avisierte, dass weitere Eingänge in den nächsten Tagen zu erwarten seien, war er restlos von seiner Theorie überzeugt. Ich ließ ihn auch die Rechnung des Herrenausstatters begleichen und mir ein neues Scheckheft aushändigen. Meinen Freund rief ich an und sagte ihm, dass er seine Kontovollmacht hier noch unterschreiben müsse. Er beklagte sich sofort darüber, dass er geradezu von „Pressefritzen“ gelöchert würde, und ihm ein neues Telefon installiert worden sei, dass er nicht benutzen dürfe. Was dass wohl solle? Ich sagte ihm, dass dies alles so richtig sei. Dann ging ich hinüber zum Reisebüro und holte meine Flugtickets nach London und weiter nach Frankfurt ab. Ein Taxi brachte mich in die Klinik und nach einigen Schwierigkeiten, weil man mich nicht als Ehemann erkannte, durfte ich Eva für fünf Minuten besuchen. Sie lag immer noch im künstlichen Koma und ich küsste ihre Stirn und hielt ihre Hand und sprach mit ihr: „Liebe Frau, du gibst mir jetzt die Kraft und die Ruhe alle Dinge derart vorzubereiten, die notwendig sind, die an dir verübten Schandtaten und die Schandtaten an unzähligen anderen Menschen zu rächen. Wir werden sie in aller Öffentlichkeit bloßstellen, Ihnen das Leben zur Hölle machen. Das ist meine Aufgabe bei der du mich unterstützt. Mit deiner Hilfe werde ich es schaffen.“ 280 Dann küsste ich sie nochmals zart und verließ den Raum. Es war die Wahrheit. Ihr Zustand gab mir die Kraft und die Zuversicht den Kampf gegen den Sumpf zu gewinnen. Ich fuhr zu mir nach Hause und baute den Computer ab und fuhr ihn im eigenen Wagen zum dem Clubbesitzer außerhalb der Stadt, wo ich vor gar nicht allzu langer Zeit mein letztes Besäufnis gestartet hatte. Er war ebenfalls verwundert über meine Verwandlung in einen Yuppie; aber verlor kein Wort darüber. Er versprach mir, gut auf mein Eigentum aufzupassen. Dann fuhr ich zurück in die Innenstadt, stellte meine Wagen auf den preiswerten Parkplatz an der Stadthalle und wanderte durch den Bahnhof zurück in die Innenstadt. Ich hatte bei meiner morgendlichen Telefonaktion auch verschiedene Ortsvorsteher aus den einzelnen Stadtteilen und einige unbedeutende Politiker angerufen und sie zu einem Abendessen als „Roundtable-Gespräch“ zu dem Nobelitaliener eingeladen, um mit ihnen die Machbarkeit meiner TV-Produktion zu diskutieren. Ich hatte sie gebeten, die Presse von unserem Treffen nicht zu benachrichtigen, da ich in Ruhe die Vorbereitungen für meine Arbeit abschließen wolle. Den Tisch hatte man mir wirklich zusammengestellt und als ich zwanzig Minuten verspätet eintraf, waren sie alle versammelt. Ich begrüßte sie einzeln per Handschlag und machte ein großes Geschrei um die Hilfsbereitschaft jedes Einzelnen. Die Martinis, die uns als Aperitif gereicht wurden, waren inzwischen amerikanischen Zuschnitts. Während des Essens versuchte jeder der Anwesenden seine ganz persönlichen Verdienste für den jeweiligen Stadtteil herauszukehren und es war ein munteres Durcheinander. Fragen nach dem Projekt ging ich geschickt aus dem Weg und war eigentlich enttäuscht, dass die Presse noch nicht angerückt war. Als gerade das Dessert gereicht wurde, stürmten sie herein. Die Herren Ortsvorsteher und Politiker hatte es sich nicht nehmen lassen die Presse doch zu 281 informieren, damit sie auch ja abgelichtet wurden bei den so bedeutsamen Verhandlungen über eine amerikanische TVProduktion. Ich hatte mich also doch nicht in der Eitelkeit der Wichtigtuer getäuscht. Ich hatte eine meiner Visitenkarten vorbereitet und darauf geschrieben, dass die Rechnung an angegebene Adresse gesandt werden solle und dem Oberkellner zugesteckt und hatte mich klammheimlich verdrückt. In dem Chaos in dem Restaurant, wo sich jeder kleine Politgehilfe ablichten lassen wollte, war es nicht aufgefallen. Nur ein junger Mann stand ohne Fotoapparat vor der Tür und hatte sich gerade eine Zigarette angesteckt als er mich aus dem Eingang huschen sah. Er trat auf mich zu und hielt mir ein Diktiergerät vors Gesicht. „Bitte, Herr Teufel sagen Sie unseren Lesern ein wenig mehr über das Projekt, das Sie starten wollen. Ich vertrete die Ärmsten der Armen und wir möchten gerne etwas mehr darüber wissen. Gerade nach den Skandalen der letzten Zeit.“ „Oh, das ist interessant. Es gab richtige Skandale hier in dieser Stadt“, fragte ich ihn zurück und gab meiner Sprachen einen kleinen amerikanischen Touch bei. „Ja, reichlich! Es gab viel Missbrauch und die wahren Schuldigen sind nicht mehr zu greifen. Nur die ganz Armen wurden hart bestraft.“ „Das ist interessant. Vielleicht sollten wir auch darauf ein Augenmerk in unserem Bericht richten. Ich habe jetzt leider keine Zeit mehr, bitte geben Sie mir Ihre Karte, damit mein Büro einen Termin mit Ihnen vereinbaren kann. Exklusiv selbstverständlich. Vielleicht können wir uns Austauschen. Geben Sie schon Ihre Karte, ich habe es wirklich eilig.“ Er gab mir seine Karte und sah zu, wie ich einem Taxi winkte, das heran fuhr. Als ich im Einsteigen begriffen war, rief er mir hinterher: „Haben Sie den nächsten Termin wieder im „Francis“?“ Und dann fuhr das Taxi an. 282 Die Zeitungen waren am nächsten Tag mit Bildern von der Versammlung gefüllt. Auf keinem der Bilder war ich deutlich zu erkennen. Lediglich eines zeigte mich von Hinten, als ich mit erhobenem Arm auf etwas zeigte. Die Gerüchteküche brodelte und ich konnte mir vorstellen, dass in dem Antiquitätengeschäft reger Verkehr war. Hoffentlich verkaufte mein Freund bei der Gelegenheit einiges. Ich las mehrere Ausgaben verschiedener örtlicher Zeitungen. Es mutete abenteuerlich an, was ich alles gesagt haben sollte. Lediglich das überregionale Boulevardblatt brachte wieder auf der Lokalseite einen Bericht, dass ich mich nach dem Stress der Vorbereitungen wohl im „Francis“ erholte. Ich hatte für meine Reise die Verkleidung des Yuppies abgelegt und flog in meiner normalen Kleidung. Als Gepäck hatte ich nur einen kleinen Handkoffer dabei und so entfiel das lange Warten an der Gepäckausgabe und ich konnte direkt zur U-Bahn und fuhr zur Bank-Station. Während der Fahrt hatte ich in einer „Sun“ gelesen und hatte festgestellt, dass auch in London diverse Skandale im Zusammenhang mit Sozialhilfebetrügereien aufgedeckt worden waren. Auch hier war es nur möglich gewesen, weil sich höhere Staatsbedienstete daran beteiligt und bereichert hatten. Der Unterschied zu Deutschland war aber entscheidend: Man hatte die Hilfsempfänger nicht bestraft, sondern die Drahtzieher. Meine Gespräche in der Bank waren dann nur sehr kurz gewesen und man hatte mir die Möglichkeiten des Internetzuganges zu meinem Konto freigeschaltet. Ich konnte so meine Bankgeschäfte direkt vom Büro aus tätigen und konnte außerdem mit meiner BankCard kostenlos Bargeldverfügungen an deutschen Geldautomaten tätigen. Die Auffüllung des Kontos hatte Wiesel in Frankfurt schon veranlasst. Auch für die Rückfahrt zum Flughafen benutzte 283 ich wieder das U-Bahnsystem Londons, weil ich so wesentlich schneller als mit dem Taxi ans Ziel kam. Der Flug nach Frankfurt war verspätet und turbulent; aber das trübte meine Laune nicht, denn ich hatte während des Fluges weitere Planspiele für mein nächstes Vorgehen angestellt und sie schriftlich niedergelegt. Ich musste später mit Wiesel nur die Zielpersonen anhand der vorliegenden Akten in mein Puzzle einfügen, um dann den ersten Dominostein umzuwerfen um die Kettenreaktion, die ich anstrebte, auszulösen. Aber noch fehlten mir einige Puzzelteilchen, und hoffte sie in den Akten finden zu können. Am Frankfurter Flughafen holte mich ein Fahrer aus Wiesels Fahrbereitschaft ab und ich ließ mich zunächst zur Schweizer Bank fahren und holte das Wertpapierbündel aus dem Safe. Einen Teil der Papiere wollte ich dazu benutzen wesentliche Anteile an einer kleinen TV-Firma in Holland zu erwerben. Die Verkaufsanzeige hierfür hatte ich in der „Wall-StreetJournal“ gefunden und hatte mich mit dem Verkäufer schon telefonisch in Verbindung gesetzt. Ich hatte den Kontakt in den nächsten Tagen zugesagt und das endgültige Datum offen gelassen. Wiesel war abwesend als wir kamen und seine Frau sagte mir, dass ihr Mann in den letzten Tagen auch nur wenig zu den Akten gekommen sei, weil ein eigener dringender Fall vorlag, an dem sie mit Hochdruck arbeiten müssten. Aber ich würde mich ja an Computern auskennen und könne dort weitermachen, wo er aufgehört hatte. Sie wies mir ein Büro neben dem Chefbüro zu, indem auch Wilhelm Starck gearbeitet hatte, wenn es um unseren Fall ging. Als erstes rief ich meinen guten alten Freund Hinrich Burmester, den Antiquitätenhändler an und erkundigte mich nach den Vorkommnissen des Tages. Er kicherte ins Telefon und sagte: „Junge, Junge, einen besseren Werbegag hättest du dir wirklich nicht einfallen lassen können. Mein Geschäft boomt. 284 Was da alles für Leute plötzlich zu mir kommen und auch was kaufen. Die kommen und sehen sich im Laden um, so ganz scheinheilig, aber suchen immer nach dem US-TV Menschen. Inzwischen kann ich es ihnen von der Stirn ablesen. Die wollen aber nicht direkt fragen, also quatsch ich sie erst Mal voll und verkauf denen Dinge, die sie gar nicht haben wollen.“ Jetzt kicherte er noch mehr. Er hatte offensichtlich etwas getrunken. „Das Schönste ist: Ich habe schon zwei echte Fälschungen, zertifiziert von Dr. Keller verkauft.“ Er sagte nicht, wo er die aufgetrieben hatte und ich musste ebenfalls grinsen. „Das waren alles Leute, die ich sonst hier nicht sehe. Gehobener Mittelstand, würde ich sagen. Mittlere Beamte, die auch Mal was zu sagen haben möchten. Die Pressefritzen kenne ich inzwischen auch alle. Die fragen dann direkt nach deinem Büro, und ich muss sie immer gleich abwimmeln. Wenn´se Hintergrundinformationen über dich haben wollen, lass ich sie erstmal blechen. Bringt auch ganz schön was nebenher“, kicherte er wieder. „Gut, mach so weiter. Wenn du noch mehr echte Fälschungen haben willst, solltest du dich mal mit ein paar Typen aus Brüssel in Verbindung setzen. Ich glaub die haben noch eine ganze Reihe davon. Und jetzt lass mich weiter arbeiten, ich melde mich wieder.“ Dann hörte ich den Anrufbeantworter für den neuen Anschluss, der ja hier auf dem Schreibtisch stand ab. In der Mehrzahl kamen die Anrufe von Journalisten, die diese Nummer herausgefunden hatten. Stutzig machten mich nur zwei Anrufe von Leuten, deren Namen ich nicht kannte. Ich notierte sie und schrieb mir auch die hinterlassenen Telefonnummern auf. Ich musste herausfinden, wo sie erstens die Nummer herhatten, und zweitens, wer sie waren und drittens, was sie von mir wollten. Den zweiten Punkt klärte ich mit einem Rufidentifizierungsprogramm und ließ mir die 285 Adresse der Anrufer anzeigen. Beide wohnten in Schwachhausen, einem teureren Wohnviertel der Stadt. Berufsbezeichnungen waren leider nicht vermerkt, aber aus dem Tonfall und der Art wie sie telefonierten waren sie gebildet und gewohnt Befehle zu erteilen. Sollten sich die ersten etwas höheren Beamten eingeschaltet haben, die zudem Zugang zu den Telekomregistrierungen besaßen? Ich war neugierig geworden und sah mir die Einträge der abgearbeiteten Erpressungsakten auf dem Computer Wiesels an. Ich konnte ihre Namen nicht finden. Dies bedeutete zu diesem Zeitpunkt aber noch nichts, denn ich stellte fest, dass Wiesel bisher nur dazu gekommen war, etwa ein Drittel der Akten zu bearbeiten. Die hartnäckigste Anruferin war eine gewisse Kannebieter gewesen. Ich nahm an, sie war die Reporterin, die von Wiesel informiert worden war. Der letzte Anrufer war Kim Vrede gewesen, der junge Mann, der mich als Einziger wirklich gesprochen hatte. Er hatte nur gesagt: „Sie wollten mich anrufen, oder anrufen lassen. Ich bin noch bis 22:00 Uhr unter dieser Nummer zu erreichen. 97 03 445, danach nur noch über Handy 0172 – 52 54 783. Vielen Dank für den Rückruf.“ Wie er das machte fand ich gut. Kühl, sachlich, nachforschend aber nicht zu aufdringlich. Der junge Mann war mir auch bei der ersten Begegnung sympathisch gewesen. Der Anruf verstärkte meine Sympathien und ich beschloss, mich ein wenig näher mit ihm zu beschäftigen. Frau Starck holte mich dann zu einem gemeinsamen Abendbrot und wir sprachen über Evas Zustand. Sie machte es sehr behutsam, dennoch konnte ich die aufsteigende Trauer nicht verbergen. Ich sagte nur: „Ich hätte besser auf sie aufpassen müssen.“ „Waldi, du hast gar nichts verhindern können. Ihr habt Euch nur zu spät kennengelernt. Ihre Krankheit war schon zu weit fortgeschritten. Wir wollen nur hoffen, dass sich ihr 286 Zustand bald ein wenig bessert und sie weiß, dass du an ihrer Seite bist.“ Ich lächelte ein wenig versonnen und sagte ihr: „Es klingt zwar merkwürdig, aber es ist so. Nicht ich bin an ihrer Seite, sie ist an meiner Seite und gibt mir die Kraft weiter zu machen, das Alles zu Ende zu bringen. Endlich die Hintermänner und Frauen zur Strecke zu bringen, die an der Not anderer Menschen verdienen und sich der übelsten Methoden bedienen ihre Macht und Geldgier zu befriedigen. Die Menschen, kranke Menschen, wie Eva, missbrauchen und ausbeuten. Immer wenn ich sie ansehe, wie sie gebrechlich dort liegt, spüre ich ihre innere Kraft, die mich beflügelt.“ Frau Starck war aufgestanden und hatte mir über den Kopf gestrichen und leise gesagt: „Du schaffst das schon. Und sie wird dir die Kraft geben, das wiederum spüre ich.“ Sie war in Wiesels Arbeitszimmer gegangen und war mit zwei großen Cognacschwenkern zurückgekommen, die großzügig gefüllt waren. Wir hatten uns schweigend zugeprostet und wir hatten beide unseren Gedanken nachgehangen. Ich konnte mich nicht an meine Mutter erinnern, aber so musste sie gewesen sein, wie diese Frau die mir jetzt gegenüber saß, und ich fühlte mich plötzlich geborgen. In diese Stimmung platze Wiesel. Er sah erschöpft aus. Es war immer wieder bewundernswert welch Arbeitspensum dieser Mann, der gerade 60 Jahre alt geworden war, leistete. Er hatte sich ebenfalls schweigend eine Scheibe Brot geschmiert und ein Bier aus dem Kühlschrank genommen und als er gegessen hatte, war Frau Starck hinüber gegangen und hatte auch ihm ein Glas Cognac geholt. Er hatte sich eine Zigarre angesteckt und ich eine Zigarette und wir rauchten immer noch schweigend. Als ich meine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte, hatte Frau Starck angefangen abzudecken und uns ins Arbeitszimmer gescheucht. „Ihr wollt doch bestimmt noch weiter arbeiten. Ich möchte aber schon in mein Bett. Ich 287 habe Waldi schon das Gästezimmer bereitet. Er braucht nicht ins Hotel.“ Dann hatte sie ihren Mann geküsst und war ins obere Stockwerk gegangen. Ich berichtete ihm detailliert was ich vorhatte und er unterbrach mich nur einmal und sagte mir: „Du musst aus dem Hotel wieder raus. Das ist zu exponiert. Wenn du deine nächsten Schritte in Ruhe tun willst, dann brauchst du einen Unterschlupf. Lass mich morgen darüber nachdenken, jetzt bin ich zu müde. Aber berichte noch zu Ende.“ Ich schloss meinen Bericht mit dem Vorhaben in Amsterdam die TV-Firma zu übernehmen und dass ich den jungen Vrede gerne näher durchleuchten, und wenn geeignet, in mein Boot holen wollte. Dann legten auch wir uns schlafen. Um sechs Uhr in der Frühe war ich wieder hoch. Wiesel kam nur wenig später. Ich saß schon an dem Computer und hatte gerade die Struktur der Datenbank bewundert, die Wiesel angelegt hatte. Wenn alle Daten eingegeben waren, konnten wir nach den verschiedensten Kriterien unsere Daten abrufen und sortieren. Angefangen von Personen, über Dienstverhältnisse und Zugehörigkeiten zu Organisationen, bis hin zu den verschiedensten Beweismitteln, wie Fotos, Zahlungsbelegen usw. Er hatte selbstverweisende Links zu anderen Personen des gleichen Kreises geschaffen und damit die Suchfunktionen noch erweitert. Jetzt ging es nur noch darum, sämtliche Daten einzugeben. Wir arbeiteten an zwei Eingabegeräten und kamen zügig voran. Um acht Uhr klingelte mein Handy und ich sah auf dem Display, dass es Lars war. Als ich mich meldete, war er furchtbar aufgeregt. „Man hat mich heute zur Dienststellenleitung beordert. Ich soll da über meine Kontakte zu dir berichten. Zu dem TVMenschen. Wie ich zu den Kontakten käme und was man von mir wollte. Was soll ich denn nur sagen?“ 288 „Ganz einfach. Sage, dass ich dich angerufen hätte und zu einem Essen eingeladen hätte weil mir bekannt geworden wäre, dass in der letzten Zeit gerade in deinem Bereich die verschiedensten Missbräuche aufgedeckt worden seien. Ich hätte dir gesagt, dass es natürlich nicht besonders gut aussehen würde, wenn wir über das vorbildliche System der Deutschen berichten wollten, aber es sich scheinbar Lücken ergeben hätten, die man in den Staaten gerade vermeiden wolle. Sage denen, dass du dich angesprochen gefühlt hast, diese Missstände als absolute Ausnahmen dem Mann hinzustellen und damit den guten Ruf der Einrichtung hättest retten wollen. Ich wäre aber immer wieder auf die Vorfälle zurückgekommen und hätte nach weiteren Einzelheiten gefragt, die dir aber unbekannt seien. Du hättest mich auf die Gerichte angesprochen, die diese Fälle bearbeitet hätten und die Schuldigen bestraft hätten. Du hättest mir immer wieder versichert, dass die Fälle des Missbrauchs aufgeklärt seien und nicht wieder vorkommen könnten. Ich hätte aber den Eindruck erweckt, dass ich mit diesen Auskünften nicht zufrieden gewesen sei. Und außerdem sei ich ein großer Widerling, der scheinbar nichts anderes im Kopf hätte als Sex und eigenes Vergnügen.“ „Ach, du meine Güte, da kommen die Herren und wollen mich in die Sitzung mitnehmen. Ich muss Schluss machen“, und dann war die Leitung tot. Ich würde gerne Mäuschen spielen bei dieser Befragung und hätte gerne die Reaktion der Herren gesehen, wenn Lars die Unterhaltung zwischen mir und ihm, so schilderte, wie ich es ihm aufgetragen hatte. Ob sie wohl nachdenklich würden? Nachdenklich, ob ich weiter recherieren wolle, was da wirklich abgelaufen war? „Da scheinen ein paar Leute in Spitzenpositionen unruhig zu werden“, sagte ich zu Wiesel und schilderte warum Lars derart aufgeregt war. 289 Wiesel grinste und meinte nur: „Wir sollten noch ein wenig mehr Öl ins Feuer gießen. Ich rufe gleich die Kannebieter an und frag sie, ob sie es für möglich hält, dass du gar nicht über das prima System der deutschen Sozialhilfe berichten willst, sondern eigentlich hinter den Vorfällen des Missbrauchs her seiest. Wir wollen doch einmal sehen, was sie daraus macht.“ Das gefiel mir ausgezeichnet. Der Bienenstock würde wieder summen. Wir arbeiteten weiter und gaben Daten ein. Zwischendurch hatte ich das Hotel angerufen und mein Zimmer gekündigt und mitgeteilt, dass ein beauftragtes Unternehmen meine Sachen abholen würde. Der Abholer würde sich mit einer Faxanweisung bei Ihnen legitimieren und auch die Rechnung begleichen. Ich hoffte, bald wieder ihr Gast sein zu dürfen und legte auf. Den Rest organisierte Wiesel. Er bat einen Bekannten die Sachen abzuholen und die Rechnung zu zahlen. Er würde zehntausend DM für Spesen sofort auf sein Konto überweisen. Die Sachen sollten bei ihm im Büro gelagert werden. Dann sandten wir ein Fax, das ich mit meinem neuen Titel und Unterschrift versah. Wiesel hatte sich danach mit seinen Mitarbeitern zusammengesetzt und den Abschlussbericht in der eigenen Sache durchgesprochen und diktierte ihn jetzt nebenan. Ich erkundigte mich inzwischen nach Flügen nach Amsterdam und buchte für den Spätnachmittag. Mit dem Verkäufer der TV-Firma machte ich einen Termin für den nächsten Vormittag aus. Wiesel hatte gestern Abend noch Anweisungen an einen weiteren Bremer Bekannten gegeben und hatte ihn gebeten Nachforschungen über den jungen Vrede anzustellen. Gegen 11 Uhr kamen die Ergebnisse per Fax und Wiesel brachte sie mir. Es sah nicht schlecht aus, was ich da las. Vrede studierte in Hamburg Journalismus und hatte während der 290 Semesterferien einen Praktikantenjob bei einer Stadtteilredaktion bekommen und war auf Gerichts- und Sozialfälle spezialisiert. Er hatte einige Artikel über die Verhandlungen gegen die Bezieher von ungerechtfertigten Leistungen geschrieben. Zwei der Artikel waren dem Fax beigefügt. Der Tenor dieser Artikel war für mich interessant, denn er verurteilte die Menschen weniger als andere Zeitungen es getan hatten und fragte hintergründig, wie es überhaupt zu diesen Missständen hatte kommen können. Er ließ diese Frage aber offen. Er war 24 Jahre alt und ungebunden. Gebürtig war er im westfälischen Raum, wo seine Eltern eine kleine Regionalzeitung betrieben. Er galt als guter Student mit überdurchschnittlich guten Noten, war aber als eigensinnig und manchmal schlampig verschrien. Dass er jetzt bei keiner größeren Zeitung ein Praktikum absolvieren konnte, war scheinbar das Ergebnis seiner aufmüpfigen Art gegenüber Vorgesetzten. Seine Vermögensverhältnisse waren eher bescheiden und er hatte neben dem Studium als Aushilfskellner gejobbt. Der Bericht war nach meinem Geschmack und ich beschloss ihn direkt auf die Probe zu stellen. Ich rief ihn über Handy an. Er meldete sich sofort und an den Nebengeräuschen konnte ich hören, dass er auf einer Straße sein musste. „Wenn Sie daran interessiert sind weiteres über meine Pläne zu erfahren, kommen Sie heute Abend nach Amsterdam. Hotel „Grotenhuis“. Ich werde sie dort an der Bar erwarten.“ Seine Antwort kam prompt, wenn auch ein wenig deprimiert: „Tut mir leid, aber den Termin werde ich nicht wahrnehmen können. Mein persönliches Budget gibt das nicht her, und meine Zeitung wird mir keine Spesen dieser Art bezahlen. Schade. Können wir uns nicht in den nächsten Tagen hier in Bremen treffen. In Ihrem Hotel zum Beispiel. Den Drink an der Bar könnte ich dann sogar übernehmen.“ 291 Ich musste über seine Ehrlichkeit und seine Ausdrucksweise grinsen. Er war zwar brennend interessiert; aber versank auch nicht in Ehrfurcht vor dem Namen, wie die meisten seiner Kollegen. „Nehmen Sie nur ein kleines Handgepäck mit und melden sich am Ticketschalter des Bremer Flughafens. Dort ist ein Ticket auf Ihren Namen für den 18:00 Uhr Lufthansa Flug hinterlegt. Wie Sie zum Hotel kommen ist Ihre Sache. 20 Uhr an der Bar“, und damit legte ich auf. Ich hatte zwar schon herausgefunden, dass ein Flug um diese Zeit von Bremen nach Amsterdam ging, hatte aber keine Reservierung vorgenommen und hoffte darauf, dass noch ein Platz frei sei. Es gab noch einen Platz in der Businessklasse, den ich buchte. Ich war gespannt ob er kommen würde. Zwei Zimmer im Hotel hatte ich ebenfalls gebucht. Ich arbeite mit einer kurzen Unterbrechung für das Mittagessen weiter mit der Eingabe von Daten und machte mich um 15 Uhr reisefertig und wurde von einem Fahrer zum Flughafen gebracht. Im „Grotenhuis“ war ich bekannt. Während der letzten Aufenthalte in Amsterdam hatte ich immer hier gewohnt, vor zwei Jahren durchgehend zwei Monate. Zu der Zeit hatte ich langwierige Ermittlungen in einem größeren Betrugsfall, der grenzübergreifend zwischen England und Holland gelaufen war, angestellt. Als ich an die Bar kam, stellte mir der Barkeeper ungefragt ein Mineralwasser hin und streckte mir die Hand entgegen. „Herzlich Willkommen, Sind Sie auch endlich Mal wieder da?“ „Leider nicht für lange. Ich muss morgen schon wieder weiter.“ „Ja, ja, die Verbrecher laufen auch immer schneller.“ „Die meisten brauchen noch nicht einmal zu Laufen, die erledigen es vom Schreibtischsessel aus, und holen sich ihre 292 Beute nachher nur noch von ihrem Bankkonto“, meinte ich grienend. „Hier sind die immer noch altmodisch, die rennen immer noch mit dem Packet Heroin vor den Polizisten weg.“ Er drehte sich um, weil an der anderen Seite der Bar eine Schar von Gästen erschien. Ich sah Vrede schon von weitem. Er schlenderte, einen modischen Rucksack über eine Schulter gehängt durch die Hotelhalle zur Bar herüber. Sportlich gekleidet, schlank, selbstbewusst und geschmeidig, kam er daher. Er ließ den Blick über die Gäste gleiten und blieb mit seinem Blick an mir hängen. Dann kam er zu mir. „So sehen Sie mir sympathischer aus“, waren seine Worte zur Begrüßung. „Schön, dass sie kommen konnten. Was wollen Sie trinken? Wir setzen uns rüber an einen der Tische.“ Er wollte ein Bier und ich orderte zwei und sagte, dass wir an einen Tisch gehen würden. Er hatte mich die ganze Zeit prüfend angesehen und beobachtete mich auch nachdem wir uns gesetzt hatten. Dann meinte er nur: „Haben Sie auch für Quartier gesorgt, oder muss ich mir die Nacht in einem Coffee-Shop um die Ohren schlagen? Der Rückflug ist erst für morgen 11 Uhr gebucht.“ Ich griff in die Tasche und gab ihm den Zimmerschlüssel. „Sie wohnen ebenfalls hier im Hotel, und ich glaube wir werden ein längeres Gespräch führen müssen. Wenn Sie Ihr Bier ausgetrunken haben, können Sie Ihre Sachen aufs Zimmer bringen und wir werden zum Essen in ein indonesisches Restaurant gehen. Einverstanden?“ „Einverstanden“, er zündete sich dabei genüsslich eine Zigarette an. „Wieso haben Sie mich eigentlich nach Amsterdam gelockt. Was sollte ihre Masche in Bremen und warum sind Sie sofort wieder verschwunden?“ 293 „Später, genießen Sie erst Ihr Bier. Ich werde zunächst Ihnen ein paar Fragen stellen, und dann werden wir weitersehen.“ „Okay. Ich bring dann eben nur die Sachen aufs Zimmer“, damit verschwand er. Wenn er jetzt vom Zimmer aus eine Meute anderer Journalisten anrief und hierher bestellte, war ich ganz schön aufgeschmissen; aber ich ging davon aus, dass er einen solchen Schritt nicht unternehmen würde, da seine eigene Neugier siegen würde. Er war rasch wieder zurück und setzte sich mir wieder gegenüber und nuckelte weiter an seinem Bier und sagte: „Bevor Sie mich nun Löchern, ist was daran, dass Sie es nicht auf das Sozialsystem des Landes abgesehen haben, sondern auf die Skandale des Missbrauchs?“ Ich grinste ihn jetzt offen an, denn die Kannenbieter hatte gute Arbeit geleistet. Selbst der Reporter einer Stadtteilredaktion war schon über die neuesten Gerüchte informiert. „Würde es für Sie einen Unterschied machen?“ „Ja, eindeutig. Die Aburteilung der Hilfsempfänger ist schon ein weiterer Skandal. Wenn Menschen gezwungen werden den Staat zu schröpfen und das meiste Geld weitergeben müssen und dafür in vollem Umfang bestraft und zur Rückzahlung verdonnert werden, dann ist das schreiende Ungerechtigkeit. Diejenigen, die das eingefädelt hatten, sind nicht mehr zu greifen und diejenigen, die das überhaupt erst ermöglichten, bleiben weiter im Dunkeln und reiben sich die Hände“, ereiferte sich Vrede. „Kommen Sie, wir gehen Essen.“ Ich hatte dem Barkeeper ein Zeichen gegeben und er wusste, ich würde wiederkommen und meine Rechnung zeichnen. Trotz einsetzenden Regens gingen wir zu Fuß. Wir hatten ja beide Lederjacken an und mir tat das Wasser von oben, nach vier Wochen knallender Sonne ganz gut. Das sagte ich dem 294 jungen Mann, der mich eher unverständliche ansah. Er brannte darauf meine Stellungnahme zu den Dingen zu erfahren, war aber geduldig genug nicht während des Fußmarsches weiter zu insistieren. Erst als wir unsere Plätze eingenommen hatten, thailändisches Bier aus Literflaschen tranken und auf die Reistafel warteten, begann ich seine wirkliche Gesinnung zu testen: „Was veranlasst Sie zu der Annahme, dass mich die Hintergründe überhaupt interessieren? Ich habe mich ein wenig über Sie erkundigt und dabei nur feststellen können, das einige Ihrer früheren Chefs meinten, dass Sie gelinde gesagt, etwas zu eigenwillig Ihre Ermittlungen führen und entgegen der Meinung Ihrer Chefs in falsche Richtungen fahndeten und auch schrieben. Wieso meinten die das?“ Sehr selbstbewusst meinte: „Wenn meine bisherigen Chefs sich mit blöden oberflächlichen Meinungen zufrieden geben, dann ist es deren Sache. Ich meine, dass die Allgemeinheit, und Leser sind immer die, oder, in der Allgemeinheit, das Recht auf vollständige Aufklärung haben und dass Berichterstattung sich nicht nur auf offensichtliche Dinge beschränken sollte. Wenn wir derart berichten, wie einige meiner früheren Chefs es von mir verlangten, dann verzerren wir doch nur in den meisten Fällen die Wahrheit. Es wird doch überall nur noch manipuliert und ich möchte nicht ein Teil dieser Manipulation sein.“ „Aber die Gerichte und die Polizeiund Staatsanwaltschaftsbehörden ermitteln doch die Wahrheit über die Sie berichten sollen.“ Jetzt sah er mich geradezu bösartig an: „Sind Sie ebenfalls ein derartiger Narr zu glauben, dass dort die Wahrheit ermittelt wird? Das dort für Gerechtigkeit gesorgt wird? Sind Sie vielleicht gar einer, der von eben diesen Behörden gekauft wurde, um die schöne heile Welt in einem TV-Bericht darzustellen. Wollen Sie helfen, hier ein Mäntelchen drüber zu hängen, dort den Teppichrand anzuheben, damit kräftig 295 darunter gekehrt werden kann, oder wollen Sie gar mit Ihrem amerikanischen Gehabe und falscher Identität als großer Saubermann auftreten, der die Ungerechtigkeiten einfach beiseite wischen kann? Ich habe jedenfalls ermittelt, dass eine derartige TV-Gesellschaft in Malibu nicht angesiedelt ist. Kein Mensch kennt dort einen solchen Schuppen, noch nicht Mal zu Herstellung billiger Werbespots oder was weiß ich, vielleicht Pornostreifen. Ihr Auftreten im „Francis“ hätte wenigstens einen derartigen Schluss zugelassen. Was also wollen Sie wirklich?“ „Schon besser Herr Vrede. Gibt es sonst noch was, was Ihnen aufgefallen ist?“ Jetzt war er richtig in Rage und merkte nicht, dass er sich um Kopf und Kragen geredet hätte, wenn ich wirklich der war, für den er mich hielt. „Und ob. Ich gehe fast davon aus, dass Sie zu dieser Kirchengang gehören, die den ganzen Betrug überhaupt eingefädelt hat. In den Anmeldelisten für Sozialhilfe wurde der Name Teufel sowohl in Bremen als auch in Rothenburg gefunden; aber der Herr saß nicht mit auf der Anklagebank, als die anderen armen Schlucker verdonnert wurden.“ „Und wenn ich wirklich derjenige bin? Der jetzt anhand eines wunderschönen TV-Projektes die Dinge im Sinne der Behörden wieder ins rechte Licht rücken soll. Der weitere auch nur angedachte Verdachtsmomente zerstreuen soll. Was wollten Sie dann schon tun? Demonstrationen von Sozialhilfeempfängern organisieren, die als Betrüger verknackt worden sind? Steine werfende Randalierer mobilisieren, die auch nur wieder verknackt werden? Was wollen Sie also tun?“ Ich hatte mich drohend über den Tisch gebeugt und hatte ihn scharf fixiert. Er wollte sich empört erheben und schrie mich an: „Haben Sie mich deswegen hierher gelockt, damit Sie mich einschüchtern können. Das klappt mit mir nicht. Mit mir nicht, Sie Schwein!“ 296 „Setzen Sie sich wieder hin und seien Sie etwas ruhiger. Unnötige Aufmerksamkeit sollten wir nicht erregen. Und beruhigen sich erstmal wieder. Ich wollte Ihnen damit nur die Hilflosigkeit derjenigen vor Augen führen, die immer benachteiligt sind. Wenn Sie Ihren Kopf gebrauchen wollen und wirklich Gerechtigkeit möchten, dann sollten Sie zuhören. Wenn ich der wäre, für den Sie mich halten, würden Sie nicht mit mir reden, sondern wären tot. Tot wie der ehemalige Verwalter der Kirchengemeinde, Möbius, der sich außerdem Dr. Keller und Schiewerski nannte. Erschossen. Nicht etwa von hinterhältigen unbekannten gedungenen Mördern, sondern von diensteifrigen Polizisten. Vielleicht wieder auf Autobahnraststätten.“ Ich hatte diese Worte ruhig, leise, aber äußerst scharf gesprochen und er reagierte prompt. Er ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen und sah mich groß an. „Ja, wer sind Sie dann?“ „Ihre Recherchenansätze waren schon mal gut. Sie haben mehr herausgefunden als die anderen Schreiberlinge. Ich war wirklich in die Dinge der Kirchengemeinde verstrickt, aber auf der anderen Seite. Ich will auch die Hintermänner.“ „Aber wie soll das gehen?“ „Zunächst muss ich mir Klarheit über Sie verschaffen. Wo Sie wirklich stehen und was Sie können. Ob Sie nur ein idealistischer Hitzkopf sind und sich selbst und andere damit in Gefahr bringen, oder ob Sie realistischer Journalist sind, der mit Taschenspielertricks umgehen kann, um die Masse zu beeinflussen und die Dunkelmänner herausfordern kann, um sie Fehler machen zu lassen. Erst wenn ich mir darüber wirklich im Klaren bin, kann ich Sie einsetzen oder lahm legen.“ Unsere Reistafel wurde aufgetragen und gab uns beiden eine kleine Verschnaufpause und ich hakte während des Essens nach. 297 „Sie schildern mir bitte jetzt Ihre bisherige Laufbahn ohne Beschönigungen und erklären mir auch Ihr Verhältnis zu der Kannebieter, denn die hat Sie schon über meine mögliche Rolle informiert, dass ich eher Skandale ausgraben möchte, als über das System zu berichten. Das haben wir nur ihr gesteckt. Allerdings in der Hoffnung, dass Sie es möglichst bald herumerzählt.“ Seine Augen waren fragend auf mich gerichtet, aber es schien ihm zu dämmern, dass manipuliert wurde. Nach einer zweiten Aufforderung fing er dann an über seinen Werdegang und seine Stationen im Zeitungsgeschäft zu berichten. Von dem kleinen Verlag seiner Eltern über die Stationen bei einigen renommierten Zeitungen, wo er jedes Mal wegen zu großem sozialen Engagement angeeckt war und sich gegen seine Vorgesetzten aufgelehnt hatte. Mit den Erfolg, dass er rausgeflogen war. Bei diesen Gelegenheiten war er mehrfach mit der Kannenbieter zusammengekommen. Die hatte ihm zwar bisher keinen Job bei ihrer Zeitung besorgen können; aber er genoss ihren Schutz. All die Dinge, die sie selbst nicht in Angriff nehmen konnte, weil auch ihr, redaktionelle Fesseln angelegt waren, gab sie ihm weiter und wollte natürlich über seine Ergebnisse informiert werden. Ich fragte ihn prompt, ob er sie schon über die Namensgleichheit Teufel bei den Hilfsempfängern und der TV-Gesellschaft informiert hätte. Er hatte noch nicht, weil seine Nachforschungen erst am Anfang stünden. Am interessantesten war für mich aber die Information, dass er Kontakte zu zwei unabhängigen privaten kleinen Radiosendern unterhielt, die in der norddeutschen Region ihre Programme ausstrahlten. Ich wusste, dass hier häufiger scharfzüngige Glossen und Kommentare gegen die Politikstruktur und dem Gekungel innerhalb der Gemeindeverwaltungen gesendet wurden. Als er seinen Bericht geendet hatte, sah er mich fragend an und drückte es direkt aus: “Und was wollen Sie jetzt damit anfangen?“ 298 Ich hob meine Literflasche Bier und prostete ihm zu und er trank verblüfft mit. „Prost auf Ihre neue Karriere als Chefredakteur bei der „Devils-Hunting-TV“. Sie sind nur den Eignern gegenüber verantwortlich und die einzige Aufgabe, die diese Produktionsfirma hat, ist die Aufdeckung der üblen Machenschaften innerhalb der Verwaltung. Die reichen von Bestechlichkeit über Begünstigung von Straftaten, besonders auf dem Sektor Prostitution und verbotenen Glücksspielen, Rauschmittelschmuggel bis hin zur Anstiftung zum Mord. Sie werden dabei nicht ungefährlich leben. Die Beweise für unsere Behauptungen sind zwar vorhanden aber würden vor Gericht zu einer Anklage nicht zu gebrauchen sein, weil sie im Sinne der Gesetze unrechtmäßig erworben wurden. Aber um diese Hintermänner bloß zu stellen und in der Öffentlichkeit unmöglich zu machen, reicht das Material aus. Sie werden im Dreck waten. Es ist der reinste Horror; aber das Ziel ist es, ein für alle Mal, wenigstens diese verlogenen Typen unschädlich zu machen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir zwar die jetzigen Schuldigen entlarven können; aber dass Hunderte schon wieder in den Startlöchern stehen, um dort weiter zu machen, wo wir gerade Lücken schlagen. Vielleicht passt man danach zunächst besser auf, dass solche Machenschaften nicht so einfach wieder eingefädelt werden können, aber auch das lässt nach einiger Zeit wieder nach und neue Strukturen wachsen wieder heran. Wir können nicht die Welt verbessern; aber wir können im Kleinen saubermachen.“ „Und wieso machen Sie das?“ „Ich habe in der letzten Zeit soviel Elend und Dreck gesehen. Meine Frau ist dabei draufgegangen und ich durfte zusehen, wie ein Verbrecher, den ich mühsam eingefangen hatte und der Aussagen hätte machen können, den Dreck zu lichten, vor meinen Augen hingerichtet wurde, um genau das 299 zu verhindern. Und wenn derartige Dinge unter den Teppich gekehrt werden, dann ist das die eine Tat zuviel.“ „Dann meinen Sie das tödliche Feuergefecht auf der Autobahnraststätte?“ „Feuergefecht? Haben Sie schon Mal davon gehört, dass ein unbewaffneter Mann, mit auf den Rücken durch Kabelbinder gefesselten Händen ein Feuergefecht liefern kann? Das ist wie der bösartigste rassistische Witz, den ich je gehört habe, bei dem ein Farbiger in den Südstaaten der USA von fünfzig Kugeln aus Polizeiwaffen auf einer Kreuzung niedergestreckt wird und der Sheriff sich das ansieht und sagt: „Das ist der grausigste Selbstmord, den ich je gesehen habe.“ Er starrte mich gebannt an. Er hatte die ganze Bitterkeit und meine Wut heraushören können und war erschrocken. „Wollen Sie persönliche Rache?“ „Nein, der Zustand meiner Frau wäre möglicherweise auch ohne deren Zutun eingetreten. Der Mann der erschossen wurde, war ein Mörder. Viele die auf der Strecke bleiben werden, sind üble Gewohnheitsverbrecher. Es ist keine persönliche Rache, ich möchte nur den Sumpf für einige Zeit trocken legen.“ „Ja, wer sind Sie und wer finanziert die ganze Aktion?“ „Finanzierung aus den Mittel, die Verbrecher auf ihren Konten angehäuft hatten und ich bin zugelassener Privatdetektiv. Und ich heiße wirklich Teufel und ich gedenke gegenüber einigen Herrschaften meinem Namen alle Ehre zu machen.“ Jetzt starrte er mich mit offenem Mund an und murmelte: „Ich glaub es nicht. Ich kann es nicht fassen. Dann sind Sie der Mann den man mir geschildert hat, der in der Hochhaussiedlung aufgetaucht war und scheinbar ein vorbestrafter großer Typ, der die Schuld hat, dass die Sozialhilfeempfänger auf die Anklagebank gekommen sind? Und Sie sind Privatdetektiv?“ 300 „Ja, ich hatte die Aufgabe den Missbrauch der Kirchengemeinde aufzuklären und zu stoppen. Dass ein derartiges Ergebnis daraus entstehen würde, war nicht abzusehen. Nicht gegen die kleinen Empfänger waren die Ermittlungen gerichtet, sondern gegen die Hintermänner. Was man daraus gemacht hat, ist die absolute Verdrehung der wirklichen Umstände. Ein weiterer Grund für meine jetzige Säuberungsaktion.“ „Und wie stellen Sie sich meine Rolle bei diesen Dingen vor?“ „Zunächst werde ich morgen hier eine reale TVProduktionsfirma übernehmen. Sie wird zwar nicht wie auf meiner Visitenkarte angegeben in Malibu beheimatet sein, sondern auf einer niederländischen Insel in der Karibik. Es stehen aber die technischen Ressourcen und die geschulten Techniker zur Verfügung um wirkliche TV-Produktionen zu erstellen. Dieses Team wird in einiger Zeit in Bremen auftauchen. Sie werden die Redaktion über eine Serie über die Arbeit des Sozialamtes übernehmen. Sie werden mit den Ämtern und den Verantwortlichen über Drehgenehmigungen verhandeln und Sie werden sich auch mit den armen Hunden in der Hochhaussiedlung und auch in anderen Teilen der Stadt in Verbindung setzen und versuchen von Ihnen Fallbeispiele vor die Kamera zu bekommen. Auch bei den Verantwortlichen soll ankommen, dass nicht kritiklos berichtet wird, sondern auch Fragen offen bleiben.“ „Sie wollen wirklich einen Film darüber machen?“ „Ja, das ist aber nur ein Nebenprodukt. Die Dokumentation können wir dann vielleicht später Radio Bremen oder dem NDR verkaufen. Aber ich will vor Allem die Möchtegerne, die sich so gerne in den Vordergrund spielen, aus der Reserve locken, durch ihre Eitelkeiten, um sie dann öffentlich mit den Beweisen zu konfrontieren. Wir werden mit kleinen Mitläufern starten, damit die Großen sich in die Hosen machen. Sie sollen Bibbern.“ 301 Er guckte skeptisch und ich fragte weiter. „Verstehen Sie vom Fernsehmachen so viel, dass Sie eine vernünftige Story zusammenkriegen, die nicht ausgesprochen sozialkritisch ist?“ „Ja, und notfalls kann ich auf die Kenntnisse einiger Radioleute zurückgreifen. Da seh ich keine große Schwierigkeit.“ „Denken Sie aber immer daran, dass ich keine Alleingänge dulden kann, denn damit wäre das ganze Projekt gefährdet. Ich muss mich voll und ganz auf Ihre Loyalität verlassen können.“ „Wenn es wirklich der Sinn ist, die wahren Hintermänner bei diesen Betrügereien zu entlarven, dann können Sie sich auf mich verlassen“, sagte er mit Nachdruck. „Auch wenn Sie sich mit den größten Tieren der Stadt anlegen müssen. Wenn Ihnen viel Geld geboten wird die Wahrheit zu verbiegen, oder wenn Ihnen der Posten des Mediendirektors der Stadt, des Rundfunks, des Fernsehens angeboten wird?“ „Dann erst recht!“ Jetzt war er Feuer und Flamme. Es würde für mich nur schwer werden, seinen Feuereifer zu dämmen, damit er nicht unnötig in Gefahr geriet, denn mit welchen Mitteln unsere Gegner kämpften, hatte ich schon gesehen. „Bevor wir unsere TV-Aktivitäten überhaupt starten, sollten Sie sich die Fotos von dem erschossenen Gangster von der Autobahn besorgen. Nicht die offiziell schon in den Zeitungen erschienen sind, sondern die, welche nicht zur Veröffentlichung freigegeben wurden. Ich nehme nicht an, dass diese Fotos mit einer digitalen Kamera gemacht wurden, sondern auf gewöhnlichem Film. Dann wären die Negative wichtig. Falls doch eine digitale Kamera zum Einsatz gekommen ist, die Daten der Computer. Ich bekomme sie bestimmt nicht, deshalb lassen Sie sich etwas einfallen, wie Sie daran kommen. Es sollten die gefesselten Hände zu sehen sein.“ 302 Wir hatten während wir sprachen uns reichlich von der Reistafel bedient; aber es standen immer noch Unmengen köstlicher Speisen auf dem Tisch, als wir streiken mussten. Es ging nichts mehr in uns hinein. Wir bestellten noch ein weiteres Bier und einen Verdauungsschnaps und während abgeräumt wurde, fragte ich Ihn weiter nach seinen Trinkgewohnheiten und seinen Kontakten zum weiblichen Geschlecht aus. Er beantwortete meine Fragen in einer Offenheit, die mir gefiel. Er sagte mir, dass es schon vorgekommen sei, dass er fürchterlich mit Alkohol abgestürzt sei, aber er im Allgemeinen nur gemäßigt Bier trank und er ein Faible für dunkelhäutige Mädchen hätte. Dabei hatte er sehnsüchtig unserer hübschen Bedienung nachgesehen. Später gingen wir trotz inzwischen strömenden Regens durch die Altstadtgassen, tranken noch in einem weiteren Genever und ein Bier in einer der vielen Kneipen und besprachen die Grundzüge des Manuskriptes der Fernsehsendung. Den offiziellen Arbeitsvertrag würde ich ihm in den nächsten Tagen zusenden oder übergeben. Über Gehaltsfragen waren wir uns schnell einig geworden. Vorher solle er sich nur auf die Vorfälle an der Raststätte konzentrieren und auch versuchen sich in das Vertrauen des jungen Beamten, der ja ebenfalls gelinkt worden war, zu schleichen. Über diese Ermittlungen sollte er auch nicht mit der Kannenbieter sprechen. Später wollten wir ihr einen vollständigen Bericht zuspielen, damit sie in Ihrem Revolverblatt den nötigen Wirbel veranstalten konnte. Ziemlich nass erreichten wir dann das Hotel und jeder verschwand in seinem Zimmer. Ich sann noch einige Zeit, ob meine Entscheidung, ihn ins Boot zu holen, sinnvoll gewesen sei; aber mein Gefühl sagte mir, dass er ein Volltreffer sein würde. Die Verhandlungen am nächsten Tag gingen rasch über die Bühne, nachdem ich mich vom Zustand der Firma und den 303 technischen Einrichtungen überzeugt hatte. Der jetzige Inhaber war ein Mann von etwa 65 Jahren, der keine Nachkommen hatte. Die Firma spielte gerade eben ihre Kosten ein und die Aufträge für die nächsten Monate waren zwar vorhanden, aber lasteten die Firma auch nicht aus. Den Verkaufspreis fand ich angemessen und der Inhaber war außerordentlich davon angetan, dass ich die Summe mit nicht registrierten Wertpapieren zahlen wollte. Ein ihm bekannter Notar übernahm die Ausfertigung des Vertrages und die Anmeldung auf der Karibikinsel. Am Nachmittag saß ich schon wieder in einer KLM-Maschine auf dem Rückflug nach Frankfurt. Wir hatten vereinbart, dass wir in der nächsten Woche erneut zusammentreffen wollten, um die Produktion in Deutschland in Angriff nehmen zu können. Mein Redakteur würde ebenfalls anwesend sein und die behördlichen Grundlagen der Umschreibung der Firma sollten bis dahin geregelt sein. In Bad Homburg half mir in den nächsten Tagen eine Sekretärin die Daten einzugeben. Sie hatte schon viele Dinge während ihrer Tätigkeit für Wiesel zu sehen bekommen, aber derartig viel Dreck, wie sie sich ausdrückte, noch nie. Nach Beendigung unserer Eingaben hatte sie angewidert die Akten zusammengebunden, damit wir sie wieder in den Tresor verbringen konnten. Die gesammelten Daten brannten wir auf CD. Dann hatte das Ehepaar Schiewerski aus Monschau angerufen auf der Suche nach mir. Die Häuser in Bremen waren inzwischen von der Polizei freigegeben und sie sollten das Erbe Dr. Kellers antreten. Sie könnten aber die Erbschaftssteuer nicht aufbringen, was sie denn nun machen sollten. Sie riefen von Bremen aus an, weil sie zur Testamentseröffnung dorthin beordert worden waren. Ich sagte zu, dass ich am nächsten Tag dort sein würde, und fragte, wo sie während der Zeit wohnen würden. Sie nannten 304 mir ein kleines Hotel in der Nähe ihrer Häuser und wir verabredeten uns dort am nächsten Nachmittag. Ich flog zurück. Drei der gebrannten CDs hatte ich dabei. Vom Flughafen war ich mit einem Taxi zum Langzeitparkplatz vor der Stadthalle gefahren und hatte mein Auto ausgelöst und war direkt in die Klinik gefahren. Eva wurde immer noch künstlich ernährt und sie war immer noch nicht zu sich gekommen, das wusste ich schon aus verschiedenen Telefonaten. Man hatte sie zwar aus der Intensivstation in eine normale Pflegeabteilung verlegt, aber in einen geschlossenen Bereich. Man riet mir sie in eine private Anstalt am Rande der Stadt zu verlegen, weil man sich dort besser um sie kümmern könne. Ich war damit einverstanden und der Oberarzt sprach mit seinem dortigen Kollegen und wir wurden uns über die Bedingungen einig. Eva sollte in zwei Tagen verlegt werden. Als ich in ihr Zimmer kam, brannten meine Augen wieder. Sie war noch weniger geworden. Ich küsste ihre Stirn und ihren Mund und hielt es eine halbe Stunde aus, neben ihr zu sitzen und ihre Hand zu halten. Dann war das Verlangen die einzelnen Verantwortlichen für ihren Zustand eigenhändig zu erwürgen so groß, dass ich den Raum verlassen musste. Ich lief in der nächsten Stunde blind über das Krankenhausgelände durch den auch hier herrschenden starken Regen. Ich hatte nicht bemerkt, dass mein Anzug völlig durchgeweicht war. Erst als ich mich pitschnass in mein Auto setzte, um Nach Hause zu fahren, wurde es mir bewusst. Zu Hause bemerkte ich die zweite unangenehme Überraschung. Man war in meine Wohnung eingebrochen. Die Wohnungseinrichtung war völlig zerstört. Mein Büro war nur noch ein Abfallhaufen. Die Aktenordner waren aus den Regalen gerissen worden, die einzelnen Blätter aus den Ordnern lagen im ganzen Raum verstreut. Sämtliche Disketten und CD-Rom`s waren gestohlen. In den anderen 305 Räumen herrschte das gleiche Chaos. Ich rief die Polizei, damit der Schaden gemeldet war. Ich benachrichtigte die Schiewerskis, dass es später werden würde und wartete auf die Beamten des Einbruchdezernates. Meinen durchnässten Anzug hatte ich ausgezogen und ins Badezimmer gehängt. Mit meiner Digitalkamera, die merkwürdigerweise noch vorhanden war, fotografierte ich den Tatort aus den verschiedensten Blickwinkeln. Später gab ich neben den Phono- und Fernsehgeräten auch meine Computeranlage samt Disketten und CDs als gestohlen an. Das dies kein gewöhnlicher Einbruch war, war sicher und die Verantwortlichen dafür würden ihre Helfershelfer verdächtigen, den Computer für eigene Zwecke zu nutzen. Vielleicht war damit schon wieder ein kleines Feuerchen gelegt worden. Ich musste nur noch in der Unterwelt ein paar Umfragen starten und vielleicht ein paar Gerüchte streuen. Dann konnte Vrede sehen was dabei zum Vorschein kam. Ich hatte den richtigen Riecher gehabt und den Computer in Sicherheit gebracht. Erst nach zwanzig Uhr konnte ich dann schließlich mein Treffen mit den Schiewerskis wahrnehmen. Es war tatsächlich eine merkwürdige Tatsache, dass sie zwar Erbe von gleich zwei Häusern geworden waren, aber das Erbe nicht antreten konnten, weil sie das Geld für die Steuer nicht hatten. Banken hatten es bisher abgelehnt für die Steuerbelastung einen Kredit zu gewähren, weil die zu erwartenden Sicherheiten, ja noch nicht eingetragen werden konnten. Über soviel Unverstand konnte ich nur grinsen und vereinbarte mit den Eheleuten, dass ich die Steuerbelastung übernehmen würde und dafür die Häuser an einen ausländischen Investor zu einem angemessenen Preis verkauft würden. Insgesamt bot ich Ihnen eine Viertelmillion plus Steuerbelastung und sie waren einverstanden. Am nächsten Tag bat ich den holländischen Notar, der gleichzeitig der Zeichnungsbevollmächtigte der neuen 306 karibischen TV-Gesellschaft war, den Kaufvertrag für das hiesige Grundbuchamt vorzubereiten und mit einem deutschen Kollegen die Umschreibung und Abwicklung des Kaufs vorzunehmen. Ich stellte den Schiewerskis das Geld zur Begleichung der Steuerschuld zur Verfügung und ich nahm das Haus als ihr vorläufiger Untermieter samt Einrichtungen in Besitz. Ich fragte die beiden, ob sie Dinge aus dem persönlichen Besitz des Bruders an sich nehmen wollten, aber sie lehnten ab. Sie wollten nur so schnell wie möglich wieder zurück nach Monschau und übergaben mir sämtliche Schlüssel. Der holländische Notar hatte mir noch telefonisch die Adresse seines Bremer Kollegen mitgeteilt, bei dem sich die Schiewerskis morgen einfinden sollten. Ich bezog mir ein Bett in meinem neuen Domizil und legte mich schlafen. Am nächsten Morgen bekam Frau Winter zwar fast einen Schlag, als sie ins Haus kam, denn sie war immer noch nicht darüber informiert worden, dass ihr früherer Arbeitgeber tot war. Ich übernahm ihren Arbeitsvertrag und zahlte ihr den rückständigen Lohn und sagte ihr, dass sie jede Menge Arbeit bekommen würde in den nächsten Tagen. Vrede hatte in der Zwischenzeit hervorragende Arbeit geleistet. Er hatte es geschafft sich mit dem jungen degradierten Beamten anzufreunden und hatte es nebenher noch geschafft wirklich Bilder des Toten mit gefesselten Händen zu besorgen. Außerdem war er dahinter gekommen, wie die Pistolen der Beamten vertauscht worden waren. Der als Beifahrer agierende Dicke hätte während der Fahrt seine Pistole verloren und hatte die Waffe des jungen Fahrers an sich genommen. Als er seine eigene im Fußraum des Einsatzfahrzeuges wieder gefunden hatte, wurde sie in den Halfter des jungen Mannes geschoben. Lediglich anhand der Seriennummern war dann der Besitz der Waffen festgehalten worden. Auf Fingerabdrücke wurden die Waffen natürlich nicht untersucht. 307 Ich hatte Vrede beauftragt, den jungen Mann zu überreden in Urlaub zu fahren und das hatte geklappt. Er war nach Mallorca geflogen. Die Fotos wurden mit kurzem Kommentar durch eine Unterwelttype der Reporterin des Revolverblattes zugespielt und nach ihrem reißerischen Artikel über mögliche Falschinformationen der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit Verhaftungen ließ die Staatsanwaltschaft kochen. Schmücker beschimpfte mich am Telefon und ich konnte ihm wahrheitsgemäß sagen, dass ich überhaupt nicht in der Stadt sei. Ich war wieder einmal in Amsterdam und Frankfurt unterwegs. In der Unterwelt hatte sich auch eine ungewöhnliche hektische Suche nach einem Computer angebahnt, nachdem ich durch einige Leute verbreiten ließ, dass eine ungewöhnlich hohe Belohnung von mir ausgesetzt sein würde, und dass auf der Festplatte die verschiedensten Daten über gewisse Zweige der Unterwelt gespeichert seien, die nicht unbedingt der Staatsanwaltschaft in die Finger fallen sollten. Ich hätte die Daten nur gesammelt um im Falle eines Falles für meine Untersuchungen aus der Unterwelt Unterstützung zu bekommen. Ich hätte nichts gegen diese Leute unternehmen wollen, sondern die Daten nur als Druckmittel für eine Zusammenarbeit zusammengestellt. Auch von anderer Seite schien die Suche angekurbelt worden sein, denn man berichtete mir, das mindestens zwei verschiedene Seite nach der Kiste suchten. Mein Freund, der Clubbesitzer hatte mich erschrocken angerufen, ob es der Computer sei, die bei ihm stünde. Ich bejahte dies und ließ ihn wissen, dass alles nur ein Märchen war, und er ja nicht verraten dürfe, dass er dort stünde. Schmücker hatte festgestellt, dass es sich bei den Zeitungsbildern um Fälschungen handelte, aber er hatte jetzt die Originalbilder sämtlich in Händen. Das Zurückhalten von Beweismitteln war nun endgültig vorbei. Die nachträgliche 308 Untersuchung der Waffen war natürlich ein Reinfall und den Einsatzgeber für den Streifenwageneinsatz konnte er auch nicht ermitteln. Man hatte jetzt beide Beamten vorläufig suspendiert. Der junge Beamte erfuhr es an seinem Urlaubsort. Vrede machte es sehr geschickt als Stadtteilreporter der Staatsanwaltschaft unangenehme Fragen zu stellen. Die Kannebieter ließ jetzt auch nicht mehr locker, obwohl ihr ein Prozess wegen Informationsmanipulation angehängt werden sollte. Gerade das machte sie noch bissiger. Lars und einige anderen Bekannte aus der städtischen Verwaltung informierten mich über die ungewohnte Hektik der Führungsetagen. Über ein Nachrichtenmagazin lancierten Wiesel und ich dann die Kopien der Zahlungsbelege von Lewinski an einen Beamten der Führsorge, der sich mit diesem Geld ein größeres Auto gekauft hatte. Ein paar Bremer Fotografen hatten das Haus und den Wagen des Beamten abgelichtet und das Wochenblatt, druckte die Kontoauszüge. Vrede hatte in der Woche davor schon sämtliche Termine für die Dreharbeiten der TV-Dokumentation ausgemacht und die mediengeilen Beamten hatten bei ihm Schlange gestanden, um ja auch bei seiner Berichterstattung berücksichtigt zu werden. Als Probeaufnahmen getarnt hatte Vrede schon jede Menge Filmmaterial im Kasten. Jeder dieser Typen stellte sich in den Vordergrund agierte vor der Kamera, als seien sie die wahren Wohltäter dieser Stadt. Ich hatte mich während der ganzen Zeit im Hintergrund gehalten. Zweimal die Woche war ich hinausgefahren in die Privatklinik und hatte die Hand Evas gehalten und so langsam war sie aus dem Koma gekommen. Sie war nicht ansprechbar und erkannte weder mich noch Frau Starck, als sie einmal zu Besuch kam. Aber sie war aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht und konnte wieder feste Nahrung zu sich nehmen. Sie wurde gefüttert, aber sie schluckte allein und sie war nicht mehr an 309 Schläuche gefesselt. Aber dennoch wurde sie von den Ärzten immer noch mit Beruhigungsspritzen in Trance gehalten. Man konnte oder wollte mir auch keine Angaben darüber machen, wann diese Behandlungsmethode geändert würde. Den Auftraggeber für den Einbruch in mein Haus konnte ich ermitteln. Es war ein mittlerer Beamter des Justizvollzugswesens, der in unseren Lewinskiunterlagen nicht aufgetaucht war. Wir nahmen an, dass er nur auf Weisung eines seiner Vorgesetzten gehandelt hatte, aber es ergab sich keine klare Verbindung nach oben. Auf die Spur war ich gekommen durch Hinweise, dass die Phonogeräte bei einem Händler angeboten worden waren. Die Täter, die den Einbruch verübt hatten, waren „alte Bekannte“ des Beamten, ehemalige Häftlinge, aus der Betreuung des Mannes. Sie waren scheinbar auf der Flucht, weil ihnen unterstellt wurde, den vermissten Computer unterschlagen zu haben. Sie waren bisher spurlos untergetaucht. Ich benutzte meine alte Wohnung nur noch selten. Mein Büro hatte ich fast vollständig im ehemaligen Studio im Möbiushaus eingerichtet. Der Spieltisch war einer gemütlichen Sitzecke gewichen, im Hintergrund immer noch die Bar. Den Büroteil hatte ich wesentlich vergrößert und die Bühne mit dem Bett war rausgeflogen. Dennoch konnte der Raum schnell wieder in ein Foto- und Filmstudio verwandelt werden. Die aufgebrochen Tür zum Nachbargrundstück war erneuert worden und das Haus, in dem Keller unter dem Namen Möbius gewohnt hatte, war inzwischen an eine Wohngemeinschaft vermietet, in der auch Vrede wohnte. Frau Winter betreute weiterhin meinen Haushalt und sie wäre fast in Ohnmacht gefallen, als sie das erste Mal das Studio betreten hatte. Es war immer noch in dem Zustand gewesen, wie er nach der Flucht Evas und ihrer Anwesenheit hier geherrscht hatte. Beim Ausräumen der Kleiderschränke hatten wir gemeinsam Wäsche, Anzüge, Oberhemden, Krawatten und 310 sonstige Kleidung durchgesehen und, in großen Plastikbehältern verpackt, einem Heim für bedürftige Bürger zukommen lassen. Die würden die Kleidung direkt verteilen. Jede Tasche seiner Anzüge und sonstigen Jacken hatten wir umgedreht und untersucht. Gefunden hatten wir nichts. Im Fußraum des einen Kleiderschranks hatte ich einen Schuhkarton entdeckt, der zu schwer für ein Paar Schuhe war. Es lagen ein Goldbarren und viele gebündelte Briefe darin. Sie waren mit einem Paketband verschnürt und an einen Walter Schiewerski an eine Adresse in Schwachhausen gerichtet. Es war eine schöne geschwungene Frauenhandschrift. Die Tinte war schon ein wenig verblasst und als ich auf den Poststempel sah, stellte ich fest, dass dieser Brief aus dem Jahr 1984 stammte. Ich stellte alles zunächst zur Seite und räumte die anderen Schuhkartons, die wirklich nur Schuhe enthielten, aus. Den Briefkarton mit dem Goldbarren stellte ich später in mein Büro und hatte ihn für Tage vergessen. Frau Winter war eine großartige Hilfe. Unsere Zusammenarbeit klappte hervorragend und sie sorgte dafür, dass meine Wäsche, die ich aus meiner alten Wohnung herbeibrachte, zunächst aufgebügelt und gesäubert wurde, bevor sie in die Schränke gehängt wurde. Auch während meiner Abwesenheit hielt sie den Haushalt und das Büro in bestem Zustand. Während der Dreharbeiten die Vrede inzwischen mit dem holländischen Team begonnen hatte, tauchten in verschiedenen Redaktionen über ganz Deutschland verteilt immer Mal wieder Dokumente über bestechliche Beamte in der Bremer Verwaltung auf. Es tauchten erstmals Originaldokumente auf und verschiedene Abteilungen entzogen plötzlich Vrede die zuvor erteilten Drehgenehmigungen. Der Bienenkorb summte. Ein zweites Team Kameraleute, das ich in Tschechien angeheuert hatte und vorgeblich Bremens Architektur filmte, konnte heimlich 311 Aktionen von Aktenvernichtung filmen. Die Container mit den geschredderten Akten brachten wir in unseren Besitz bevor sie im Verbrennungsofen der Müllverbrennung landeten. Diesen Containerinhalt ließ ich, wie schon alle anderen Unterlagen notariell versiegeln und stellte ihn in einer internationalen Frachtzentrale unter. Halbherzig wurden einige Untersuchungsausschüsse gebildet um den Unregelmäßigkeiten in der Sozialverwaltung und den Justizbehörden auf die Spur zu kommen. Gegen den ersten Beamten, den wir belastet hatten, war endlich von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Dann schien für einige Wochen wieder Ruhe einzukehren. Man konnte das Aufatmen in den oberen Etagen der Verwaltung geradezu hören. Das TV-Projekt der Amerikaner war offiziell abgeschlossen und sollte Anfang Oktober in einer Galaveranstaltung, gesponsert von der amerikanischen Gesellschaft, in der Stadthalle vorgestellt werden. Gleichzeitig war diese Gala mit einem Spendenaufruf an die Wirtschaft und die Gutverdienenden der Stadt zu Gunsten sozialer Einrichtungen verbunden. Evas Zustand hatte sich soweit gebessert, dass sie im Rollstuhl ausgefahren werden konnte. Sie war bei Bewusstsein, aber völlig entrückt und zu keiner eigenen Leistung fähig. Ihre Augen blickten in unendliche Fernen. Manchmal stahl sich das scheue Lächeln auf ihre Lippen, wenn ich ihre Hand hielt. In der Zwischenzeit wusste ich ein wenig mehr über ihr Leben. Die Briefe, die ich in dem Schuhkarton gefunden hatte, waren von Eva. Sie offenbarten die tiefe Liebe zu dem vorgeblichen Walter Schiewerski. Zu dem Zeitpunkt war sie bei einer internationalen Handelsfirma als Fremdsprachensekretärin tätig. Schiewerski war auch der Grund ihrer Scheidung gewesen. Im Laufe der nächsten Jahre 312 war sie durch den Einfluss von ihm immer mehr dem Suff erlegen. Scheinbar hatte sie Schiewerski eine zeitlang auch mit Drogen versorgt und sie war immer tiefer gesunken. Nach einer Abtreibung war sie dann endgültig zerbrochen. Ihr ganzer Leidensweg war in den Briefen dokumentiert und die letzten waren kaum noch leserlich. Mit jedem Brief, den ich las, wurde ihre Qual offensichtlicher und meine Qual größer. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich als Heranwachsender oder später als erwachsener Mann jemals derart geweint zu haben. Ich verbrannte alle Briefe, aber die Worte würden für immer in meinem Gedächtnis eingebrannt bleiben. Die Briefe hatten auch einige mir bis dahin unverständliche Reaktionen in Monschau erklärt. Auch wenn Eva sich innerlich von Schiewerski getrennt hatte, war der Schock für sie groß gewesen, dem einäugigen Bruder ihres ehemaligen Geliebten gegenüberzustehen. Auch ihr Erschrecken vor dem Bild des „Möbius“ ließ sich dadurch erklären. Während der Zeit in der Kirchengemeinde war sie zu abgestumpft gewesen und hatte erst dann wieder reagiert, als sie nüchterner wurde. Warum sie dennoch mir gegenüber geschwiegen hatte, würde ich wohl nie erfahren. Mein Hass auf diejenigen, die später diesen Menschen ausgenutzt hatten, wuchs mit jeder Zeile die ich gelesen hatte. Und meine Vorfreude auf mein geplantes Finale wuchs ebenfalls ins Unermessliche. Die Vorbereitungen auf die Gala der Filmvorstellung liefen auf Hochtouren. Die Verantwortlichen der Stadt bekamen eine Vorabversion mit Ausschnitten des Films auf Videokassetten zugestellt. Der Andrang nach Karten für diese Veranstaltung war enorm. Die Stadtvorderen und alle Beamte, die an dem Projekt beteiligt gewesen waren, erhielten Freikarten für sich und ihre Ehepartner. Auch andere Beamte kamen in den Genuss dieser Vergünstigungen. Die Ton- und Filmtechniker hatten reichlich zu tun. Der Halleninnenraum war begrenzt mit vielen Leinwänden, die Zwischenräume mit 313 Grünpflanzen festlich geschmückt und die Bestuhlung bestand aus nach allen Seiten drehbaren Sesseln. Auf der Bühne stand seitlich der Riesenleinwand, auf der jetzt schon das Logo der Firma neben dem Bremer Wappen abgestrahlt wurde, ein Rednerpult. Ich hatte vor die Moderation selbst zu übernehmen. Neben dem Rednerpult war ein Zwischenraum und dann türmten sich unter Vorhangstoffen und Blumen einige futuristisch anmutende Gebilde, wie Weihnachtsgeschenke unter dem Tannenbaum. Hinter der Bühne waren weibliche Stimmen zu vernehmen. Die Stimmen meiner Überraschungsgäste. Das Publikum erwartete sicherlich einen großen Chor. Der Innenraum war schon fast gefüllt, als auch auf den Rängen oberhalb der Leinwände Menschen hereinströmten. Sie kamen über die Nebeneingänge und waren in Bussen herangefahren worden. Sie waren wesentlich einfacher gekleidet, als die festlich gekleidete Schar der Innenraumgäste. Von dort aus konnte man auch nur schemenhaft wahrnehmen, was sich auf den Rängen geschah. Fernsehkameras verschiedenster Sendeanstalten waren an strategisch wichtigen Standorten aufgebaut, als ich um 20 Uhr die Veranstaltung eröffnete. Ich begrüßte die Ehrengäste und dankte den weiteren Gästen für ihr Erscheinen und ihre fantastischen Spenden. Ich verkündete stolz die Zwischensumme, denn es konnte weiter gespendet werden, über Fax und Internet. Dann bedankte ich mich artig bei den Beamten und der Stadt für die Ermöglichung dieses Projektes und der Saal wurde langsam abgedunkelt. Der Vorspann des Filmes lief und ich hatte alle Beamten, die in die Machenschaften der Kirchengemeinde verstrickt gewesen waren, als Gönner dieses Projektes im Bild vorstellen lassen. Es herrschte gespannte Erwartung wie es wohl weitergehen sollte, als auf der Leinwand riesengroß das Bild eines kleinen blonden Mädchens erschien. Aus den Lautsprechern ertönte mit übergroßer Lautstärke meine Stimme: 314 „Dies ist das kleine 8 Jährige belgische Mädchen Simone. Weiß jemand von Ihnen, wo sie vielleicht zuletzt gesehen wurde? Herr Oberregierungsrat Schlüter, wissen Sie etwas über den Verbleib dieses süßen Mädchens?“ Dann liefen nach Überblendung auf allen Leinwänden ringsum des ganzen Saales gezielt herausgesuchte Szenen aus dem pornografischen Belastungsmaterial, der alle Beamten zeigte, die an der Affäre beteiligt gewesen waren. Auf der Hauptleinwand wurde die Aktivität des Justizsenators mit Eva und Virginia gezeigt. Der Tumult der nun einsetzte, war entsetzlich. Der Saal wurde total verdunkelt und nur ein Spot strahlte die im Rollstuhl sitzende Eva an und ich donnerte ins Mikrofon: „Und dies ist sie heute; meine Frau! Erkennen Sie sie wieder, Herr Senator? Und hier: - Die Damen mit denen Sie sich, wie eben gezeigt, früher regelmäßig vergnügt haben und deshalb erpressbar waren, und erpresst wurden.“ Die Leinwände waren nach oben gezogen worden und da standen sie, die Liebesdienerinnen, die ich noch hatte auftreiben können. Die Scheinwerfer hatten auch die jungen Frauen in grelles Licht getaucht. „Und dies hier sind die gesammelten Beweise“, und die Scheinwerfer erfassten die überquellenden Behälter mit den Akten aus den Tresoren Lewinskis und den Sicherstellungen aus Schiewerskis Studio und dem Container mit den geschredderten Akten. „Und dies hier sind die eigentlich immer wieder Betrogenen und jetzt auch noch Bestraften“, ich ließ die Scheinwerfer auf die Ränge leuchten, auf der die Hilfeempfänger saßen und schrieen und buhten. Die ganze Vorstellung, letzter Akt, hatte keine Minute gedauert. Die Menschen in festlicher Kleidung versuchten aus den jetzt wieder aufgeflammten Lichtern zu fliehen. Ganz rigorose Staatsdiener versuchten über die Bühne zu fliehen, 315 unter ihnen auch der Senator, als sie von einer metallisch klingenden Stimme gestoppt wurden. „Bleiben Sie, wo Sie sind. Hier spricht die Polizei und die Bundesanwaltschaft. Der ganze Saal ist umstellt. Fluchtversuche zwecklos. Setzen Sie sich wieder auf Ihre Plätze zur Feststellung ihrer Personalien.“ Inzwischen wurden die oberen Ränge von Polizeibeamten geräumt, weil die ersten Gegenstände in den Innenraum geworfen wurden. Ich hatte Eva in ihrem Rollstuhl aus dem Saal rollen dürfen und befand mich mit ihr schon auf der Rückfahrt in die Privatklinik. Mir schien ihr Lächeln intensiver als jemals zuvor. 316