Rattenfraß - Werner H. Klee

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Rattenfraß
Es war einer der letzten Frühlingstage. Anfang Juni und das
Wetter zeigte sich nach tagelangem Hochsommerwetter
wieder als unbeständig und regnerisch. Feiner, dünner
Nieselregen fiel. Die Straßen schienen kaum nass zu werden,
aber das täuschte. Meine Freizeitjacke, ein Blouson aus
leichtem Seidenstoff war in der letzten halben Stunde, die ich
hier in dem Torbogen gegenüber dem Lagerhaus stand,
vollständig durchgeweicht. Die Kälte des Torpfeilers, gegen
den ich lehnte, drang in meinen Rücken und mich fröstelte.
Ich stand erst seit dreißig Minuten hier, aber wenn es schlecht
lief, musste ich noch weiterhin Stunde um Stunde hier
verbringen. Meine Laune sank auf den Nullpunkt. Ich fluchte
innerlich vor mich hin. Wie schon häufig in der letzten Zeit.
Anstatt meinem erlernten Beruf nachzugehen, drückte ich
mich tage- und nächtelang in zugigen, nassen und
schmutzigen Torbogen herum, um die vermuteten Drogenund Menschenhändleraktivitäten eines Baukonzerns, oder
besser gesagt, die illegalen Tätigkeiten eines derer Manager zu
beweisen. Ich fluchte weiter, und malte mir die Konstruktion
eines ganz neuen Schiffes aus, das ich stattdessen lieber hätte
bauen sollen. Meine Fantasien, von der Zeichnung der Pläne
bis zum endgültigen Bau, waren innerhalb der nächsten
Stunden meine einzige Beschäftigung. Während ich immer
nasser wurde, und meine Laune immer schlechter, hatte sich
gegenüber, weder vor dem Lagerhaus, noch darin, soweit ich
es beobachten konnte, noch sonst irgendwo in meinem
Gesichtsfeld etwas gerührt. Wenn man von dem
Rattenpärchen auf der anderen Straßenseite absah, das unter
der Rampenzufahrt zu dem Lagerhaus rege hin- und
herhuschte und immer wieder zu Paarungsversuchen ansetzte,
absah. Aber das Rattenweibchen hatte offensichtlich Migräne
und verbat sich die Annährung des Männchens mit heftigen
Bissen. Sie verschwanden immer wieder um die Ecke des
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Hauses, wo sich die Laderampe fortsetzte. Erst als ich
bemerkte, dass das Rattenpärchen dort nicht allein war,
sondern dass geradezu eine Rattenversammlung dort
stattfand, wurde ich neugierig. Ich musste über die Straße
durch den Lichtschein der nächsten Straßenlaterne, die in
etwa hundert Metern Entfernung am nächsten Lagerhaus
befestigt war. Die Einfahrt zwischen den beiden Lagerhäusern
lag damit in trüben, gelblichen Licht, das sich auf den
regennassen Basaltsteinen der Pflasterung spiegelte. Ich
musste meine Deckung, die ich so mühsam gefunden hatte,
aufgeben. Aber wenn ich den Grund der Rattenansammlung
erforschen wollte, hatte ich keine andere Wahl. Ich wusste,
dass ich die ganze Mission gefährden könnte, wenn ich jetzt
entdeckt werden würde, aber meine Neugierde war stärker.
Ich huschte über die Straße und bückte mich an der Ecke
des Lagerhauses unter die Laderampe. Die Ratten hatten sich
gestört gefühlt und waren auseinander gestoben als ich mich
näherte. Ich ließ meine Taschenlampe kurz aufblitzen um
sehen zu können, warum sich die Viecher hier herumgetrieben
hatten und die Lampe wäre fast meinen Händen entglitten, als
ich den Grund der Rattenaktivitäten erspähte.
Direkt an der Hauswand, am äußeren Ende der Laderampe
lag ein Bündel oder auch möglicherweise zwei. Das konnte ich
so schnell nicht feststellen. Erst als ich die Lampe auf
Dauerbetrieb schaltete und tief gebückt halb unter die Rampe
kroch, konnte ich es erkennen:
Zwei, inzwischen angenagte Leichen lagen übereinander in
der Ecke und schrecklicher Gestank schlug mir entgegen. Den
hatte ich vorher bei der Annäherung nicht bemerkt, denn der
Wind wehte durch die Stichstraße in meinem Rücken von mir
weg in Richtung Hafenbecken, das ungefähr siebzig Meter
von dem Rampenende anfing. Ich war zurückgeschreckt, hatte
mich wieder aufgerichtet und nach meinem Handy gegriffen.
Ich rief die Mordkommission über die direkte
Durchwahlnummer an und hatte das Glück sofort den
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Einsatzleiter ans Telefon zu bekommen. Sie hatten am
heutigen Abend schon einen Einsatz im Bahnhofsviertel
gehabt, weil ein betrunkener Mann mit einem Messer auf eine
Prostituierte losgegangen war und sie erheblich verletzt hatte.
Kommissar Waldtmann sagte zu, sofort ein Team zu
schicken und ließ mich den Fundort nochmals genau
beschreiben, bevor er auflegte. Bis die Herrschaften kamen,
musste ich mir noch eine glaubwürdige Ausrede einfallen
lassen, warum ich mich hier in der Gegend herumgetrieben
hatte, ohne ihnen meinen Auftrag zu verraten. Wenn sie
dahinter kommen würden, in welcher Sache wir ermittelten,
dann hätte es großen Ärger mit ihnen gegeben, denn wir
hätten sie in unsere Ermittlungen einschalten müssen und
nicht versuchen dürfen, unsere Anfangsverdachte selbst zu
untersuchen. Ich konnte ganz schön in Bedrängnis kommen.
Was macht ein Ermittler am späten Abend im Hafengebiet,
und dass er sich dort schon länger aufgehalten haben musste,
war unschwer an der völlig durchnässten Kleidung zu
erkennen. Ich konnte nur eine Geschichte mit harmlosem,
nicht polizeirelevantem Hintergrund erfinden. Wie etwa
Handel mit Raubkopien von Software oder Filmkopien, die
hier in der Gegend zwischengelagert werden sollten. Wir
wären da einem Tipp nachgegangen, hätten aber bisher nichts
ermitteln können.
Ich war noch am überlegen, wie ich die Geschichte
glaubhaft vortragen könnte, als die ersten Blaulichter die
Straße herunter kamen. Ich stellte mich mitten auf die Straße
und winkte mit meiner Taschenlampe. Es war ein
Streifenwagen, der als erstes zum Einsatzort gekommen war,
und die beiden Insassen waren noch schlechter gelaunt, als ich
es schon war.
Der Fahrer, ein großer vierschrötiger, zur Fettleibigkeit
neigender Endvierziger, raunzte mich sofort nach Verlassen
des Wagens an: „Was zum Teufel haben Sie zu dieser Zeit hier
auf dem Gelände zu suchen?“
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Der zweite Mann des Wagens klärte seinen Kollegen auf,
bevor ich den Mund aufmachte: „Das ist Waldemar Teufel.
War mal ein Ass hier auf der Werft. Treibt sich oft hier rum
und träumt von seinen Schiffen, die hier nicht mehr gebaut
werden.“
Ich rief ihnen nur zu: „Fahrt mal hier um die Ecke und
dreht Eure Scheinwerfer auf die Rampe dort, dann wisst Ihr,
warum ich Euch gerufen habe.“
Ohne Widerworte setzte sich der Dicke wieder ans Steuer
und fuhr den Wagen an die Stelle, wohin ich ihn lotste. Er
hatte wohl gedacht er könnte beim Regen im Wagen sitzen
bleiben, aber sein Partner winkte ihn heraus und meinte nur:
„Schau dir diesen Mist an. Das gibt jede Menge Ärger.
Fordere noch mehr Verstärkung an. Wir müssen sehr viel
absperren. Und ein fettes Beleuchterteam brauchen wir auch.
Mach schon, Kumpel, komm in die Gänge:“
Der Dicke beugte sich durchs Fahrerfenster um nach dem
Funkgerät zu greifen und hatte wegen seiner Leibesfülle
Schwierigkeiten und er fing an laut zu fluchen.
„Mensch mach doch die Tür auf und lang dann rein, “ rief
sein Kollege
Das Fluchen wurde noch intensiver und klang jetzt äußerst
bedrohlich. Der zweite Mann war inzwischen zu mir
gekommen und hatte in nicht unfreundlichem Ton gefragt:
„Teufel, was treibt dich her und warum krauchst du unter
Laderampen herum. Du bist doch sonst immer nur am
Wasser. Woll’ste da rein um `ne Kiste Schnaps zu klauen?
Oder was treibt dich hier zum Lagerhaus?“
„Da sind doch sowieso nur Baumaschinen drin. Nee, ich
wollt zum Wasser, aber da haben mich die Ratten angelockt.
Hier hat’s vorhin nur so gewimmelt von den Viechern, darum
hab ich geleuchtet und das dort gefunden. Jede Menge
Rattenfutter. Müssen da schon `ne Weile liegen. Müsste schon
früher den Arbeitern hier aufgefallen sein. Vor Allem der
Gestank.“
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„Wer arbeitet schon hier an den Schuppen? Hier kommt
doch wochenlang keiner mehr her. Doch nur wenn’ se die
Maschinen dort brauchen, welche bringen oder holen. Auch
die Nachbarschuppen sind doch nur mit Müll vollgestopft.
Die warten doch alle nur auf die Abrissgenehmigungen und
das Verfüllen der alten Hafenbecken, damit sie hier „Lofts“
bauen können mit ganz viel Parkraum. Hier kommt die
„Schickimicki-Siedlung“
mit
Nobelwohnungen,
Rechtsanwaltsbüros, Werbe-Leuten und solch Kram her. Du
kannst dann noch nicht Mal mehr vom Pier pinkeln. Du
solltest umsiedeln auf die andere Seite des Flusses, dann
kannste vielleicht ab und zu mal ein Containerschiff sehen.
Aber Hafen ist doch überflüssig.“ Es klang bitter, wie er es
sagte.
Auch seine Söhne waren ehemals auf der Werft nebenan
beschäftigt gewesen und lungerten jetzt als Arbeitslose in der
Stadt herum und er hatte mit ihnen mehr auf den
Innenstadtrevieren und am Bahnhof zu tun, als bei sich zu
Hause.
Dem Dicken schien es jetzt gelungen Verstärkung
anzufordern und er hatte sich wieder hinter das Steuer gesetzt
und hatte die Scheinwerfer ausgeschaltet. Die ersten Ratten
hatten sich an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt und
huschten schon wieder unter die Rampe.
Ich drehte mich weg und sagte nur: „Ihr braucht mich jetzt
wohl nicht mehr. Wenn ihr mich doch noch braucht, ich bin
drüben bei „Frieda“.
„Frieda“ ist eine alte Kneipe, in der sich früher die
Werftarbeiter nach der Schicht schnell noch ein Bier gönnten,
bevor sie sich auf den Heimweg machten. Jetzt war es zu einer
Spelunke verfallen, wo sich Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger
und abgetakelte Nutten trafen, um sich den Frust weg zu
trinken.
Man ließ mich gehen und ich brauchte keine großartigen
Erklärungen abzugeben, warum ich dort so spät am Abend
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noch herumgelungert hatte. Ich musste als Erstes meine
Auftraggeber benachrichtigen und dann weiter herum
horchen. Und bei „Frieda“ trafen sich so viele alte
Hafenbewohner, die auch immer wieder über das Gelände
liefen. Aus Heimweh, aus Gewohnheit, oder weil sie sowieso
nicht Besseres zu tun hatten, oder weil „Frieda“ noch nicht
geöffnet hatte. Da konnte es schon sein, das Jemand etwas
Ungewöhnliches beobachtet hatte.
Waldtmann von der Mordkommission würde mir morgen
noch früh genug die Hölle heißmachen. Der wusste, dass ich
eine Privatdetektivlizenz besaß. Wir hatten schon ein paar Mal
zusammengearbeitet; aber er war immer noch schlecht auf
private Ermittler zu sprechen, obwohl ich ihm zweimal den
Ruhm des erfolgreichen Ermittlers überlassen hatte. Dadurch
war er erst die Karriereleiter nach oben gefallen. Er war sich
nur nicht sicher, ob ich auch weiterhin dichthalten würde.
Und das machte ihm Sorgen.
Als ich bei „Frieda“ die Tür öffnete, schlug mir fast ein
schlimmerer Gestank entgegen, als ich ihn heute schon
wahrgenommen hatte.
Bis zur Bar konnte man kaum blicken, soviel Rauch von
Zigarren, Zigaretten und auch Pfeifen war in diesem Raum.
Vervollständigt wurde der Gestank durch verschüttetes
schales Bier und billigem Parfüm der Nutten, die hier heute in
größerer Anzahl versammelt waren. Man konnte sie
verstehen, denn bei diesem Wetter mochte niemand draußen
auf der Straße stehen und erst recht nicht im Hafen.
Außerdem hofften sie hier noch ein paar Scheine von den
betrunkenen Gästen erobern zu können. Ich ging an die Bar
und bestellte mir einen doppelten „Klaren“ und ein großes
Bier. „Kannst mir auch einen bestellen“, nuschelte Elsa, die
dienstälteste der „Freischaffenden“, die neben mir an der Bar
hockte. Ich machte Frieda hinter der Bar ein Zeichen des
Einverständnisses und sie schenkte zwei Schnaps ein,
während mein Bier im Glas wuchs.
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„Was wollten die Bullen denn? Haste was gesehen? Du
warst doch drüben im Hafen, als die mit Großaufgebot
angerauscht sind, so nass wie du bist?“
Ich antwortete nicht, weil die Getränke kamen. Elsa wartete
mein Prost gar nicht erst ab, sondern stürzte den Schnaps auf
einen Schluck hinunter, dann schüttelte sie sich und schaute
mich jetzt direkt fragend an. Ich trank nach dem Schnaps
noch einem Schluck Bier, bevor ich ihr sagte: „Ich glaub, die
haben `nen paar Leichen gefunden, drüben bei dem
Baumaschinenschuppen. Ist doch eigentlich deine Gegend.
Hast was gesehen in den letzten Tagen?“
„Nee, ich war dort zuletzt am Mittwoch, als die Russen da
geliefert haben. Einer von denen hat mich dann da
abgeschleppt und wir sind hierher. Haben ganz schön
gebechert und er hat gut gezahlt. Auch für die ganze Zeit, wo
wir hier rum gehangen haben. Nachher sind wir dann rüber
zum Laster. Der stand ganz draußen auf dem großen
Parkplatz. Wir haben ganz schön was da hingeschleppt, vier
Flaschen Wodka und zwei Sechserpacks. Bin dann bis heute
morgen geblieben. Ist schon `nen toller Laster. Hat hinter der
Schlafkabine für den Fahrer noch so´n Raum, mit vielen
Matratzen. Da gab´s sogar `nen richtiges Klo, so´n
Chemisches. War ne tolle Party. Ganz schön wild, weil die
anderen Fahrer von den zwei weiteren Lastern, die auch da
standen, mit dabei war´n. Die haben auch immer neuen Stoff
rangeholt“, meinte sie schwärmerisch.
„Sind die heut erst wieder weg?“
„Nee, die sollten immer noch da sein, weil die an dem einen
Truck ´nen Fehler oder Schaden hatten. Da sollen morgen die
Monteure kommen, wegen der Klimaanlage.“
„Morgen ist Sonntag, da kommt kein Monteur.“
„Doch die sollten heut schon da sein. Kommen extra aus
Russland, oder so. Hatten aber Verspätung, weil die so´n paar
Teile nicht kriegen konnten.“
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„Und warum bist du dann heut morgen schon wieder
weg?“
„Die wollten mich nicht mehr. Müssten noch sauber
machen, und außerdem ging denen die Kohle aus und zu
trinken gab´s auch nichts mehr. Da bin ich nach Hause, hab
mich erstmal in die Badewanne geworfen, ich stank ja schon
wie ´nen ganzer Ziegenstall. So hat´s da aber schon vorher
gestunken, als wir da rein sind. Aber was macht man nicht
alles für Geld und Schnaps?“ Dabei hatte sie mich grinsend
angesehen. Ich gab ihr noch einen Schnaps aus und gönnte
mir selbst auch noch einen. Ich ging schnell zur Toilette, denn
ich musste dringend telefonieren. Ich benachrichtigte meine
Auftraggeber, dass wahrscheinlich in einem Anbau hinter den
Fahrerkabinen der Laster Menschen transportiert wurden und
ob ich die Polizei von diesen Erkenntnissen etwas mitteilen
sollte. Man forderte mich auf, die Trucks in Augenschein zu
nehmen, aber die Polizei noch nicht zu unterrichten. Wir
wollten erst mit Sicherheit sagen können, dass hier tatsächlich
auf diese Weise illegale Einwanderer nach Deutschland
geschleust wurden.
Ich war nicht sehr erbaut darüber, denn jetzt hätte die
Polizei vielleicht noch Spuren der Toten unter der Laderampe
in den Lastzügen sicherstellen können, aber Elsa hatte ja
schon gesagt, dass die Russen den heutigen Tag zum
Großreinmachen benutzen wollten. Also wären die Spuren
wahrscheinlich sowieso vernichtet gewesen und man hätte nur
Spuren von den Orgien mit Elsa feststellen können.
Weiterhelfen würde uns das nicht. Ich ging also wieder zurück
an den Tresen, und zurück zu Elsa, die ihr Glas schon wieder
geleert hatte. Sie unterhielt sich jetzt mit einem neuen Gast,
der hereingekommen war und erbettelte sich den nächsten
Schnaps. Der Gast erzählte gerade, was er dort draußen
mitbekommen hatte. Den ganzen Hafen hätte man
abgeriegelt. Da käme jetzt keiner mehr rein und keiner mehr
raus. Ich rief Frieda, weil ich in der Küche, wie sie es nannte,
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aber eher eine Rumpelkammer war, gerne an ihr Radio wollte.
Ich wusste, sie konnte den Polizeifunk abhören, was nützlich
war, wenn mal wieder Großrazzien in der Gegend stattfinden
sollten.
Sie konnte dann immer ihre Gäste warnen, und jeder, der
sich besser im Untergrund hielt oder illegale Waren bei sich
hatte, konnte noch rechtzeitig verschwinden. Ich wollte nur
ein wenig mehr über den Einsatz im Hafen erfahren, damit
ich mich nicht direkt mit Waldtmann auseinandersetzen
musste. Ich durfte mein Bier mit in die Küche nehmen und
die Schnapsflasche hatte sie mir auch gleich mitgegeben, damit
ich nachfüllen könne, wenn ich es brauchte. Die Nachrichten,
die ich jetzt mitbekam, waren aber wenig informativ, denn bis
auf die bestehende Abriegelung des Hafengebietes schien
nichts weiter zu laufen. Ich musste also doch noch wieder
raus, wenn ich Näheres erfahren wollte. Wäre auch zu schön
gewesen, wenn die Polizei mal meine Aufgaben übernommen
hätte.
Ich verabschiedete mich von Elsa und sagte ihr, dass ich
noch mal weg müsse, aber dass sie auf mich warten solle, egal
wie spät es würde. Ich hatte dabei mit einem Schein gewedelt
und ihr versprochen, dass sie ihn bekommen würde, wenn sie
auf mich warten würde.
Wenn die Polizei glaubte, alle Eingänge zum Hafengebiet
abriegeln zu können, dann war sie schwer auf dem Holzweg.
Autos würden nicht mehr bewegt werden können, aber für
Fußgänger und Radfahrer war es keine Schwierigkeit hinein
und auch wieder hinaus zu kommen. Es gab inzwischen derart
viele Zugänge in der Zaunanlage, die von Hafenarbeitern und
auch von den ehemaligen Werftarbeitern benutzt worden
waren, um ihre Wege abzukürzen, wenn sie zu Arbeit wollten,
dass es auch mit mehreren Hundertschaften unmöglich war
alle Löcher zu bewachen. Ich hatte mir ein Damenfahrrad, das
vor dem Lokal gestanden hatte geliehen und war durch eines
dieser Löcher auf das Hafengebiet vorgedrungen. Ich war
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runter bis zur Pier und dann unter den vor sich hinrostenden
Krananlagen bis zur äußersten Spitze zum großen Parkplatz
geradelt. Immer schön die tiefen Schatten der
Schuppenanlagen ausnutzend. Hier brannten sowieso die
wenigsten Straßenlaternen und ich wurde nicht entdeckt.
Auf dem Parkplatz standen nur fünf LKW`s. Drei waren
relativ nahe zusammen abgestellt und trugen an den Seiten die
gleiche Aufschrift und stammten aus der Ukraine. Das
mussten die „Russen“ sein. Vor der Ausfahrt zur
Verbindungsstraße stand ein Streifenwagen quer auf der
Straße und einige Beamte waren mit den Fahrern, die sie aus
den Kojen geholt hatten, im Gespräch. Ich war zu weit
entfernt, als dass ich Worte verstehen konnte; nur als einer der
Fahrer laut schrie: „Wir wollen doch sowieso nicht weg. Wir
müssen doch noch bis morgen Abend hier stehen bleiben.
Wir haben nichts gesehen. Wir haben geschlafen. Also lassen
Sie uns jetzt weiter schlafen. Wenn wir am Morgen zum
Bäcker wollen, oder sonst was zu Essen kaufen, können wir
uns ja bei Ihnen melden.“
Die Beamten kehrten zu ihrem Streifenwagen zurück und
die Männer kletterten zurück in ihre Trucks. Die Russen
blieben zusammen vor dem mittleren Truck stehen und
diskutierten heftig. Ich versuchte näher heranzukommen, um
eventuell etwas mitzubekommen, aber dazu hätte ich die
schützende Dunkelheit verlassen müssen. Erfreulicherweise
hatte der Regen nachgelassen und ich wurde wenigstens nicht
mehr nass. Die Männer standen immer noch vor dem
Fahrzeug und machten keine Anstalten dort wieder
einzusteigen. So entschloss ich mich anders an die Fahrzeuge
heranzukommen. Ich stieg wieder auf mein geklautes Fahrrad,
hatte den Dynamo aber jetzt angelegt und fuhr im Zickzack
und flackernden Licht auf die Trucks zu. So, als wäre ich
schwer betrunken. Kurz vor den Trucks schien ich
ausweichen zu wollen, machte das aber so ungeschickt, dass
ich dabei vom Fahrrad fiel. Die Männer lachten und witzelten
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über den Trunkenbold. Ich rappelte mich wieder auf, um
gleich darauf wieder umzuknicken und wieder lang aufs
Pflaster zu schlagen. Keine leichte Übung, zu fallen, als sei
man betrunken, aber sich nicht wirklich dabei zu verletzen.
Ich war jetzt schon ganz nahe bei den Fahrern, hatte mein
Fahrrad wieder aufgerichtet und in den Satteltaschen
nachgesehen. Da war zum Glück tatsächlich eine
angebrochene Flasche Schnaps und da sie auf der richtigen
Seite untergebracht gewesen war, nicht zerbrochen bei dem
Sturz. Ich nahm einen tiefen Schluck und hielt sie den
Männern einladend hin. Dabei hatte ich genuschelt: „Wollt ihr
auch einen?“
Der deutsch sprechende Fahrer kam einen Schritt auf mich
zu und sagte: „Wie bist du den hier reingekommen? Die
Polizei hat doch alles abgeriegelt?“
„Die Pol-Polizei?“ stotterte ich.
„Ja, die Polizei, die war gerade doch noch hier, hast du die
nicht gesehen?“
„Nee, hab ich –Hick – nich. Und die mich –Hick- auch
nich – Hihi“, mit diesem Kichern nahm ich wieder einen
Schluck aus der Flasche.
Der Mann nahm mir die Flasche aus der Hand und trank
selbst einen kräftigen Schluck. „Wie bist du denn hier rein?“
„Mittem Rad, da vorne durch`en Zaun, Hick, damit se mich
nich anhalten aufe Straße.“ Jetzt wurde mein Schluckauf
stärker. Ich musste ihn noch nicht einmal mehr spielen, denn
wie der mich anguckte, da kam der von ganz allein.
„Oh, ich muss mal pieseln.“ Ich ließ mein Fahrrad einfach
fallen und bewegte mich auf den Schatten des Trucks zu. Der
Mann war sofort hinter mir und fasste an meine Schulter und
zischte mir zu: „Komm mit, wir wollen hier kein Aufsehen,
kannst bei uns auf die Toilette; aber dann zeigst du mir, wie
ich hier heute noch rauskommen kann.“
Ich ließ mich nur zu willig zur Toilette im Wagen bringen.
Es war höchst interessant. Hinter der Fahrerkabine war, wie
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von Elsa beschrieben, ein weiterer Raum, etwa 2 Meter tief
und über die ganze Breite des Wagens. Auf dem Boden lagen
Matratzen und in der Ecke war eine chemische Toilette, die
ich benutzte. Wie sie hier allerdings Luft hineinbekamen war
mir schleierhaft, denn ich konnte noch nicht einmal
Lüftungsschlitze entdecken. Dafür war aber die Wandung zur
Fahrerkabine dicker, als ich erwartet hatte. Der Durchgang
aus der Höhe der unteren Schlafkoje der Fahrer war mit
Gummidichtungen versehen und ich konnte mir vorstellen,
dass bei normaler Taschenlampenbeleuchtung, wie sie bei
flüchtigen Kontrollen an den Grenzen benutzt wurden, der
Eingang überhaupt nicht zu entdecken war.
Ich wurde wieder hinausgeleitet und zwei Mann saßen jetzt
im Fahrerhaus und der Mann dem ich die Schnapsflasche
überlassen hatte, fragte mich jetzt: „So, wie komm ich jetzt
hier ungesehen raus. Ich will noch mal in die Stadt. Ich will
noch mal“, und dabei machte er eine eindeutige
Handbewegung, was er sich noch vorstellte. „Aber nicht
soweit da vorne raus, gibt es hier hinten auch noch einen
Ausgang?“
„Klar, da wollt ich doch auch raus, damit se mich nich
sehen, wenn ich auf der Straße fahre.“ Mein Schluckauf hatte
sich wieder gebessert, aber mich fröstelte, wenn ich den Mann
ansah.
Ob er mich wohl ziehen lassen würde, wenn ich ihm den
Weg in die Stadt gezeigt hatte?
Wir brachen auf, und ich schob mein Rad, nachdem er den
Dynamo vom Reifen gezogen hatte. Die Schnapsflasche war
jetzt leer und er hatte sie mir auf meine Bitte hin wieder in die
Satteltasche gelegt. Wer weiß, was er glaubte, was ich mit der
Flasche noch anfangen wollte. Ich zeigte ihm jedenfalls den
Ausgang, ganz nahe der Brummis und wir hasteten durch die
dunkle Nebenstraße. Erst als er merkte, dass er wirklich das
Hafengebiet hinter sich hatte, wollte er eiligst ein Taxi rufen.
An der Ecke zur Hauptstraße fanden wir dann noch ein
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Lokal, wo noch Licht brannte. Es waren noch einige Gäste im
Gastraum und er konnte telefonieren während wir ein Bier
zusammen tranken. Ich versuchte ihn möglichst unauffällig
auszuhorchen, woher er denn käme und wo er so gut deutsch
gelernt hätte. Er hatte nur gesagt: „Sauf, und lass mich
zufrieden. Ich hab´s jetzt eilig.“
Er war aufgestanden, hatte einen Schein auf den Tresen
geworfen und hatte vor der Tür gewartet, bis das Taxi kam.
Als es vorfuhr huschte ich zum Eingang und er hatte dem
Fahrer schon in der Tür eine Adresse zugerufen, dann war er
in der Tür verschwunden und der Wagen war losgefahren. Die
Adresse, die er angegeben hatte, war keineswegs ein Bordell.
Es war das Villenviertel der Stadt.
Ich klemmte mich wieder auf das Fahrrad und fuhr zurück
zu „Frieda“. Hier hatte in der Zwischenzeit noch keiner ein
Rad vermisst und der Laden war immer noch gut gefüllt. Nur
Elsa war jetzt auch gut abgefüllt und es würde schwierig sein,
noch weitere Informationen von ihr zu bekommen. Ich
drückte ihr den Schein in die Hand, den ich ihr versprochen
hatte, und sagte ihr, dass ich morgen früh zu ihr kommen
würde. Ich fragte Frieda nach der Adresse der Nutte, die sie
mir mit vernichtendem Blick gab. So hatte sie mich denn doch
wohl nicht eingeschätzt.
Gleich um die Ecke war ein Taxenstand und hier hatte ich
Glück: Ein Wagen stand bereit. Der ein wenig verschlafen
wirkende Fahrer fuhr mich nach Hause.
Obwohl es inzwischen zwei Uhr morgens war, stellte ich
mich an den Zeichentisch und versuchte den Aufriss des
Sonderraumes des Lastzuges als Zeichnung zu Papier zu
bringen. Ich war auf die Idee gekommen, dass sich die
verdickte Zwischenwand sowohl zur Schalldämmung als auch
zum Transport von Rauschmittel dienen konnte. Ich wollte
nur noch in ein paar Stunden durch Befragung nach ihren
Beobachtungen Elsa aushorchen um danach endgültig die
Polizei zu benachrichtigen. Die von mir gezeichneten Pläne
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verkleinerte ich und sandte sie mit meinen Bemerkungen und
Vermutungen versehen per Fax an meine Auftraggeber. Erst
nachdem all diese Dinge erledigt waren, kroch in mein Bett.
Das Frühstück schenkte ich mir und ließ mich mit einem
Taxi in die Nähe der Wohnung von Elsa fahren. Hier kaufte
ich bei einem Bäcker, der sonntags geöffnet hatte, Brötchen
und andere Teigwaren, ein wenig Butter und ein Glas
Marmelade und ging mit der Einkaufstüte zum Haus in dem
Elsa wohnte. Ein Zweifamilienhaus mit einem kleinen
Vorgarten und einem Gang zur Rückseite des Hauses. Frieda
hatte mir gesagt, dass Elsa in der Parterrewohnung wohnte
und ich nahm die untere Klingel. Eine Beschriftung gab es
nicht. Nichts rührte sich. Auch nach meinem zweiten,
längeren Klingeln passierte überhaupt nichts. Jetzt drückte ich
den Daumen auf die Klingel bis er langsam abstarb. Es blieb
immer noch ruhig. Elsa hatte zwar gestern, als sie nach Hause
wankte, einen gewaltigen Rausch; aber da ich die Klingel im
Hause rasseln hörte, musste es Elsa auch aus dem
Trunkenheitsschlaf reißen; aber nichts rührte sich in der
Wohnung. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass Elsa
jetzt um 10 Uhr schon aufgestanden war um in die Kirche zu
laufen um zu beichten. Da war etwas nicht in Ordnung. Ich
ging auf dem Gang hinter das Haus und entdeckte die hintere
Eingangstür, die scheinbar zur Küche führte. Ich ging auf
dem gepflasterten Gang weiter bis zur Tür und spähte
vorsichtig durch die verschmutzen Scheiben. Außer einer
unaufgeräumten Küche, mit schmutzigem Geschirr auf dem
Spülbrett und einigen Flaschen und Gläsern auf dem Tisch,
konnte ich nichts Außergewöhnliches entdecken.
Ich griff zum Türknauf und zog daran. Die Tür ging
mühelos auf. Ich rief nach Elsa, aber bekam keine Antwort.
Ich verharrte einen kleinen Moment in der Tür und rief erneut
und als ich immer noch keine Antwort bekam ging ich durch
die Küche und landete in einem kleinen Korridor von dem
aus die Haustür zu sehen war und drei geschlossene Türen.
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Die Tür linker Hand führte scheinbar zu einem Badezimmer,
mir gegenüber vermutete ich das Schlafzimmer und weiter
vorn, das Wohnzimmer. Ich klopfte an die Schlafzimmertür
und als niemand antwortete, öffnete ich die Tür. Das Bett war
zerwühlt, Kleidungsstücke lagen überall auf dem Boden
verstreut herum und eine Kleiderschranktür war geöffnet.
Von Elsa keine Spur. Es gab eine Verbindungstür zum
vorderen Zimmer, gleich neben einer Kommode, deren
Schubladen herausgezogen waren. Ich öffnete die Tür zum
anderen Zimmer und hier war wie vermutet, das
Wohnzimmer. Es war im Gegensatz zu den übrigen Zimmern
ordentlich aufgeräumt; aber Elsa war auch hier nicht
anwesend. Ich verließ den Raum aus der anderen Tür und
wollte nur um ganz sicher zu gehen, dass ich nichts übersehen
hatte, auch noch einen Blick ins Badezimmer werfen. Hier
fand ich sie. Zusammengekrümmt lag sie im Nachthemd
bekleidet, zwischen der Außenwand und der Toilette, direkt
unter dem Milchglasfenster. Ihr Gesicht, oder besser, was
davon übriggeblieben war, lag seitlich zum Toilettenbecken
gewandt, halb verborgen durch das strähnige blonde Haar.
Ihre Handgelenke zeigten Spuren von Fesseln, dunkelblaue
Flecken auf den Oberarmen zeugten von heftiger
Gewaltanwendung. Das wenige, was ich von ihrem Gesicht
sehen konnte, war zerschunden, als wenn man ihr Sandpapier
über die Haut gezogen hätte. Wenn die Spuren der Fesselung
an ihren Handgelenken nicht gewesen wären, konnte man auf
die Idee kommen, dass sie beim Gang auf die Toilette gestürzt
sei, ihr Gesicht an der Wand aufgeschrammt und sich das
Genick beim Sturz gebrochen hätte. Wenn da nicht die
Spuren gewesen wären.
Ich telefonierte über Handy sofort mit meinen
Auftraggebern und ich bekam grünes Licht für die
Benachrichtigung der Polizei. Ich ging zurück ins
Wohnzimmer, wo ich ein Telefon gesehen hatte und rief über
den allgemeinen Notruf die Polizei ohne meinen Namen zu
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nennen. Den Telefonhörer wischte ich nicht ab. Ich holte nur
meine Brötchentüte aus der Küche und verließ das Haus
wieder durch den rückwärtigen Ausgang und marschierte
unbehelligt in Richtung Hafen. Ich war schon bei „Frieda“ um
die Ecke gebogen, als ich in der Ferne die Sirenen der
Polizeifahrzeuge hörte. Die Absperrung des Hafengebietes
war wieder aufgehoben und ich konnte weiterhin unbehelligt
zu meinem Wagen kommen, den ich gestern etwa dreihundert
Meter von dem Lagerhaus in einer Seitenstraße abgestellt
hatte.
Ich wendete und fuhr zum großen Parkplatz. Ich hatte
richtig vermutet. Es standen nur noch zwei ukrainische Laster
dort. Der dritte, der in der Mitte gestanden hatte und in dem
ich gewesen war, war vom Hof verschwunden. Ich fuhr jetzt
schnell zur nächsten Ausfahrt und dann zu „Frieda“. Hier
parkte ich auf der Einfahrt zum Nebengrundstück und
hämmerte gegen die Kneipentür. Ich wusste, dass Frieda über
der Kneipe in einer kleinen Wohnung wohnte und von dem
Krach aufgescheucht werden würde. Es dauerte auch nicht
lange, bis sich über der Kneipe ein Fenster öffnete und eine
wild zerzauste Gestalt herausbeugte und schrie: „Wir haben
geschlossen, du Arschloch, merk´ste das denn nicht? Gib
Ruhe, oder ich ruf die Polizei.“
„Mach das, die kommt sowieso gleich hier vorbei. Die hab
ich schon gerufen. Mach auf, ich muss mit dir reden. Bevor
die kommen, also mach auf, beweg dich.“ Ein Schwall übler
Schimpfworte ergoss sich über mich und das Fenster wurde
mit Wucht zugeschlagen.
Aber wenig später wurde die Kneipentür aufgeschlossen
und aufgerissen. Mir gegenüber stand Frieda. Sie hatte einen
verschlissenen Morgenrock über ihr Nachthemd geworfen
und er klaffte über ihren großen Brüsten auseinander und
jedes Mal wenn sie tief Luft holte, und das tat sie beständig,
hatte ich Angst, die weiße, wabbelige Fleischmasse würde über
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den Nachthemdrand hinüberwogen und sich an der ganzen
Frau herunter ausbreiten.
Sie setzte gerade an weiter zu keifen, als ich sie unterbrach.
„Halt die Schnauze. Elsa ist ermordet worden, und der oder
die Mörder könnten auch hierher kommen, um dich zu
murksen. Da waren doch die Woche ein oder mehrere Russen
hier, die auch Elsa mitgenommen haben, kannst du dich an
die erinnern?“
„Was Elsa …“
„Ja, Elsa ist tot.“
„Aber die ist doch gestern, nee heute morgen um halb zwei
oder so hier noch weg. Ganz schön voll, aber das war ja nichts
Neues. Und wieso ermordet, und woher weißt du das?“
„Ich hab sie gefunden. Mausetot. Mit Spuren von Fesseln
an ihren Händen. Ich die „Grünen“ gerufen und bin ab. Du
hast mir doch heute Morgen noch die Adresse von Elsa
gegeben, weil ich sie was im Zusammenhang mit eben diesen
Russen fragen wollte. Du hast mich noch so verächtlich
angesehen, weil du glaubtest ich wollt mit ihr in die Falle
hüpfen. Nein, ich wollt was raus finden; aber sie konnt mir
nichts mehr erzählen. Die Bullen wissen, dass Elsa immer hier
verkehrte, darum werden sie auch gleich hier aufkreuzen. Die
Russen, die noch nicht abgehauen sind, wissen auch wo sie
noch Spuren beseitigen müssen, also werden sie auch hierher
kommen. Einer von denen ist sowieso schon weg. Ich mach
mir jetzt nen Bier und du saust nach oben und ziehst was an.
Bis dahin kann ich die Bude hier verteidigen. Die Tür hast du
ja selbst schon abgeschlossen und wenn du was Klirren hörst,
guck nicht erst nach, sondern ruf gleich die Polizei.“
Es war erstaunlich, wie schnell sie handelte. Sie drehte sich
um und war schon auf der Treppe verschwunden, bevor ich
hinter den Tresen gehen konnte. Ich zapfte mir ein Bier und
hatte in ein Brötchen gebissen, als sie schon wieder erschien.
Die Haarbürste, mit der sie versuchte ihre Mähne in Ordnung
zu bringen noch in der Hand.
21
„Waldi, ich kenn dich schon lange, aber dass du ne
Idiotenstory erzählst um auf „Nass“ zu saufen, kannte ich von
dir bisher nicht. Also was ist los mit Elsa, bist du gestern nicht
hinterher?“
„Nee, ich bin mit einem Taxi nach Hause und wollt erst
heute Vormittag mit ihr reden, weil sie, so voll wie sie war,
sowieso nichts Brauchbares mehr hätte erzählen können. Ich
musste aber von ihr ein paar Sachen wissen, die sie beobachtet
haben könnte, als sie ihre wilde Party da an Bord des
russischen Trucks gefeiert hat. Weil sie da etwas gesehen
haben könnte, ist sie dann wahrscheinlich auch ermordet
worden. Ich hätte daran denken müssen, dann wär das nicht
passiert. Ich hätt sie einfach zu mir mitschleppen sollen, damit
sie ihren Rausch ausschläft. Wenn ich nur wüsste woher die
Russen wussten, wo Elsa wohnte?“
Plötzlich wurde Frieda blass und sah mehr als ängstlich aus.
Sie fing regelrecht an zu Bibbern und zitterte am ganzen
Körper. Der Anblick war erschreckend. Alles an ihr wogte,
ihre ganze Oberfläche bebte, wie in schwerem Erdbeben. Sie
stotterte und stammelte: „Und du hast mir keine Geschichte
erzählt um schon Bier saufen zu können? Das stimmt alles,
was du gesagt hast? Nichts gelogen?“
„Nein, Frieda, noch mal, Elsa ist umgebracht worden, weil
sie vielleicht zu viel wusste. Weißt du woher die Russen die
Adresse hatten?“
Jetzt stammelte sie noch mehr: „Von mir. Der eine, der
ganz gut deutsch konnte, kam mit so einer Plastiktüte hier so
gegen drei Uhr rein und sagte, die hätte Elsa bei ihm
vergessen. Er wollt sie noch schnell vorbeibringen bevor er
weiter müsse.
Ich hab ihm gesagt, dass er die Tüte hier lassen könnte, weil
Elsa heute bestimmt wieder hierher kommen würde, aber
darauf wollte er sich nicht einlassen. Da hab ich ihm ihre
Adresse gegeben. Und jetzt ist sie tot?“
22
„Ja, Frieda und wir haben sie beide auf dem Gewissen. Ich,
weil ich so blöd war nicht daran zu denken, dass so etwas
passieren könnte und sie daher nicht zu ihrem Schutz mit
nach Hause genommen habe, und du, weil du dann nicht nur
mir, sondern auch dem Heini die Adresse gegeben hast.“
Sie schwieg fassungslos und ich trank noch einen Schluck
Bier und biss noch mal von dem Brötchen ab. Dann fiel mir
mein Auto auf der Auffahrt nebenan wieder ein und ich sagte
zu Frieda, dass ich ihn nur eben um die Ecke zum Parken
fahren wolle und eilte hinaus und fuhr den Wagen um die
Ecke in die nächste Parklücke und verschloss das Auto
sorgfältig.
Als ich wieder in die Kneipe kam, war Frieda nicht zu
sehen. Ich ging hinüber zur Bar und schenkte mir über den
Tresen gebeugt ein weiteres Bier ein, als ich sie dort liegen
sah. Weit aufgerissene Augen starrten mich an und aus ihrer
Brust quoll neben dem dort steckenden Messer Blut wie aus
einer Quelle. Dann war da ein Geräusch und in meinem Kopf
explodierte etwas. Es war plötzlich Dunkelheit um mich
herum. Die Dunkelheit wich den roten Schleiern. Ich konnte
den Beton erkennen, der wenige Zentimeter von meinen
Augen entfernt war. Darüber war etwas Hellrotes,
Verschwommenes und darin bewegte sich etwas. Viele kleine
Gestalten. Sie huschten hin und her und ich wusste bevor es
endgültig Nacht um mich wurde; ich war nur noch Rattenfraß.
23
Teufel in der Hölle
Ich konnte es wunderbar sehen. Den schnittige Rumpf, die
hohen schlanken Flanken, die windschnittigen Aufbauten,
sich wiegend in der Dünung. Aber warum konnte ich das Glas
nicht scharf stellen und warum konnte ich den Rotfilter nicht
von den Okularen nehmen. Ich spürte die Dünung,
gleichmäßig rollend und ein wenig seitlich kabbelnd. Ich hörte
die Winschen kreischen und quietschen. Die Dünung verlor
sich, wir waren in ruhiges Gewässer gelaufen und die Fahrt
erhöhte sich. Wir glitten dahin, wir stoppten. Warum
explodierte mein schönes Schiff mit einem Mal und wer
stülpte mir jetzt die Schutzhüllen über die Okulare. Es wurde
dunkel und wir glitten wieder dahin. Ich fühlte mich
schwebend, nur vom Wind gezerrt und in der Ferne hörte ich
Stimmen, flüsternde Stimmen. Ein merkwürdiger Singsang,
auf- und abschwellend setzte ein und die Dünung wurde
wieder stärker. Jetzt gab es schon die ersten Stöße, das Schiff
rollte und stampfte, aber der Singsang war noch da. Ein
Nebelhorn ertönte ganz in der Nähe, aber ich konnte in der
Dunkelheit nichts sehen. Dann wieder das Geklapper der sich
öffnenden Ladeluken, das Kreischen der Winden.
Von Ferne tönten weitere Nebelhörner und die rollende,
stampfende Bewegung des Schiffes setzte wieder ein.
Plötzlich hörte ich die Stimme des Kapitäns, in der
Tonlage, wie immer Waldtmann mit mir sprach: „Wird er
durchkommen?“
Ich wollte ihm zurufen: „Mein Schiff kommt überall durch,
es wird jedem Sturm trotzen“, aber ich wurde zu müde und
Jemand nahm mir das Glas von den Augen und ich sackte
weg in den Schlaf.
Wieder spürte ich den Sturm, der mir in die Augen blies.
Ich konnte die Augen nicht öffnen, so stark war der Wind.
24
Trotz meiner Sturmmaske, die sich eng an mein Gesicht
presste, aber an meinem Hinterkopf viel zu eng war. Trotz der
Sauerstoffmaske, die über meinem Mund lag konnte ich nur
schwer atmen und die Augen wollten sich nicht öffnen lassen.
Ich blinzelte immer wieder, aber außer den roten Schleiern
und den Umrissen von Mastaufbauten konnte ich nichts
erkennen. Es war schon richtig, dass ich mich an den Mast
geschnallt hatte, bei diesem Sturm. Ich wäre sonst bestimmt
weggeweht. Ich fühlte wie das Schiff sich hob und senkte. Es
war schwere See. Die Peilanlage über mir piepte bei jeder
Umdrehung.
„Piep – Piep – Piep“, völlig gleichmäßig, wie mein
Herzschlag. Ich lauschte auf die Töne, sie waren lauter als das
Sturmgebraus und sie gaben mir die Sicherheit, dass wir aus
diesem Sturm herauskommen würden. Wenn nur der Sturm
etwas nachlassen würde und ich die Augen mehr
aufbekommen könnte und diese roten Schleier durchdringen,
dann könnte ich vielleicht das Ruder wieder in die Hand
nehmen. Die Schleier wurden lichter und dann sah ich wieder
die Schatten, die hin- und herhuschten. Die näher kamen und
wieder verschwanden. Ich war auf keinem Schiff, sie hatten
mich gefesselt und die Ratten kamen und wollten mich
auffressen. Ich hörte sie Quietschen und ein langer Schwanz
bewegte sich vor meinen Augen und dann wurde wieder alles
dunkel.
Es war wieder das gleichmäßige Piepen, das mich aus der
Dunkelheit riss. Erst kamen wieder die roten Schleier und
dann die grauen bis es langsam heller wurde und die Schatten
wurden zu Konturen. Die Ratten hatten es geschafft. Ich war
in der Hölle. Aber dass es so schlimm sein würde, hatte ich in
meinem Leben nicht gedacht. Hier gab es Engel, sogar ganz
blonde, und ganz in weiß gekleidet. Und mittendrin der
schwarze Teufel, der mich grimmig anstarrte. Der Teufel war
Waldtmann!
25
Ich schloss schnell wieder die Augen; aber ich konnte ihn
hören. Seine tiefe Stimme drang zu mir und es war, als wenn
mich Messer zerschnitten.
„Waldemar Teufel, du verdammter Narr, du hast
mindestens zwei Menschen auf dem Gewissen. Auch wenn du
sie nicht getötet hast, du bist schuld an ihrem Tod. Du wirst
dafür schmoren, das verspreche ich dir.“
Dann folgte Getuschel. Es war, als ob der Engelschor, der
um Waldtmann herum versammelt gewesen war, zu einer
Lobeshymne anhob um dem Meister Waldtmann
zuzustimmen. Dann waren da Geräusche, als würden schwere
Gegenstände über den Boden geschoben. Ich wusste, sie
würden mich jetzt foltern, vierteilen, mit Öl begießen und
mich langsam und qualvoll auf kleiner Flamme rösten. Auf
dem Strecktisch war ich ja schon angeschnallt. Die Schmerzen
wurden stärker, und mein Kopf lag schon im Feuer. Die
Flammen loderten schon um mich herum. Ich sah sie, spürte
sie, wie sie langsam von meinem Hinterkopf über das Gesicht
bis zu meiner Nase fraßen. Dann wurde wieder alles dunkel
und ich fiel in einen unendlichen Abgrund.
Die Schwärze vor meinen Augen wich erneut. Aber ich lag
in einem dunklen Verließ.
Nur in der Ferne schimmerten ein paar undeutliche Lichter.
Man hatte mich wieder gefesselt und ich musste tief gefallen
sein, denn mein Körper schmerzte überall, besonders mein
Hinterkopf. Wieder hörte ich nur das gleichmäßige Piepen
und es schien mich zu beruhigen, dass ich es im Einklang mit
meinem Herzschlag hörte. Warum hatte man mich gefesselt,
wenn ich hier doch mit zerschmetterten Gliedern in einem
dunklen Abgrund lag? Und warum hatte man mir eine
Sturmmaske verpasst, die viel zu eng war? Warum hatte man
mir das Sauerstoffgerät gegeben, das sich über meinen Mund
presste? Sollte ich den noch mehr gequält werden, von diesem
Oberteufel Waldtmann?
26
Wellen des Schmerzes überfluteten meinen Körper. Sie
kamen in regelmäßigen Abständen, mit jedem Atemzug rasten
sie über meinen Körper hinweg und endeten mit einer kleinen
Explosion in meinem Hinterkopf.
Ich wusste nicht, wie lange ich so gelegen hatte und den
Schmerzwellen ausgesetzt gewesen war; aber es schien mir
eine unendlich lange Zeit gewesen zu sein. Dann kamen
Geräusche und ich öffnete die Augen um zu sehen, welch
Qualen sie mir jetzt bereiten wollten. Es blitze um mich
herum und plötzlich war es taghell und meine Augen brannten
und ich war geblendet von der Helligkeit. Wieder erschienen
die weißen Engel mit den strengen Gesichtern und starrten
auf mich herab. Nur der Oberteufel ließ sich nicht blicken.
Zwei der Engel beugten sich jetzt über mich. Der eine griff zu
meinem Gesicht und fasste an mein linkes Auge und dann
explodierte ein weiterer Blitz und leuchtete direkt in mein
Auge. Dann wieder Dunkelheit, aber schon wiederholte sich
das Ganze an meinem rechten Auge. Jedes mal hatte ich das
Gefühl, der Lichtblitz sauste direkt durch meinen Kopf und
hinten mit einer Explosion wieder hinaus. Diese
Teufelsgehilfen hatten Erfahrung im Quälen, daran gab es
keine Zweifel. Der Oberteufel Waldtmann würde es bestimmt
aus guter Entfernung mit Genugtuung beobachten.
Dann sprach der blonde Engel mit der Brille und dem
komischen Ordenszeichen am Band vor der Brust: „Er
scheint wieder da zu sein. Die Reaktionen sind sehr langsam,
aber vorhanden. Die Pupille reagiert auf Lichtreflex und dem
Zusammenziehen des Gesamtauges deutet auf normale
Schmerzempfindung hin. Ich glaube wir sollten
vorsichtshalber die Dosis der Schmerzhemmer erhöhen.“
Dann sprach die Stimme direkt zu mir: „Herr Teufel, wenn
Sie mich hören können und verstehen, was ich sage, blinzeln
Sie bitte.“
Ich musste bei der Helligkeit sowieso Blinzeln. Der Engel
nickte, dann fragte er weiter:
27
„Haben Sie große Schmerzen?“
Ich musste heftig geblinzelt haben, denn der Engel fuhr
fort: „Ist in Ordnung, wir geben Ihnen gleich eine erhöhte
Dosis und ein weiteres Schlafmittel, damit Sie schlafen
können.“
Dann hantierten sie an einem Gestell, das ich aus den
Augenwinkeln wahrnehmen konnte und ich verspürte einen
kurzen Schmerz an meinem linken Arm. Dann schwebten die
Engel wieder davon und es wurde wie im Kino langsam
dunkel.
Als die Dämmerung wieder dem Tageslicht wich, spürte
ich, dass ich immer noch die Sturmmaske trug, aber man mir
die Sauerstoffzufuhr abgenommen hatte. Ich fuhr mit meiner
Zunge über meine rauen Lippen und plötzlich verspürte ich
Durst. Über mir piepte es immer noch und nun konnte ich
auch etwas mehr von meinem Verließ erkennen. Es schien
wie ein Krankenzimmer eingerichtet. Schlagartig wurde mir
klar: Ich war weder tot, noch in der Hölle, sondern lag auf der
Intensivstation eines Krankenhauses. Das gleichmäßige
Piepen war wirklich nichts anderes als mein Herzschlag,
gemessen von Instrumenten und akustisch wiedergegeben, um
eine ständige Kontrolle zu haben. Die „Sturmmaske“ war
nichts anderes als eng sitzende Verbände, die mein Gesicht
und meinen gesamten Kopf umgaben. Ich war nicht gefesselt,
sondern an mein Bett geschnallt. Die Engel waren Ärzte und
Schwestern gewesen und Waldtmann hatte versucht mich zu
vernehmen. Ich versuchte zu sprechen. Außer einem
Krächzen brachte ich nichts zustande. Ich versuchte Spucke
in meinem Mund zu sammeln, um meine Lippen mit der
Zunge zu befeuchten. Nach drei Versuchen hatte ich endlich
soviel Spucke gesammelt, dass es klappte. Ich krächzte wieder,
diesmal schien es mir lauter. Ich weiß nicht ob man mich
gehört hatte, oder ob es Zufall war, dass man auf mich
aufmerksam wurde. Ich konnte „Durst“ herauswürgen, und
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dann verschwand das Wesen, das erschienen war und wenig
später beugte sich ein weiterer Mensch über mich und strich
mit einem nassen Lappen über meine Lippen. Ich schnappte
mit den Zähnen danach und sog daran. Ich glaube, ich habe
gelächelt, als ich die Schwester überlistet habe. Dann war ich
wieder weg. Abgetaucht in die wohltuende Dunkelheit.
Als ich das nächste Mal wieder zu mir kam, hatte man mich
wohl umgebettet. Es war heller hier und ich konnte jetzt
deutlich den Galgenarm des Infusionshalters sehen und die
Leitung die hinunter zu meinem Arm ging. Ich war auch nicht
mehr an das Bett geschnallt und ich bewegte vorsichtig
meinen Arm.
Es funktionierte, wenngleich auch eine Schmerzwelle über
mich hinwegraste. Durch diesen Schmerz wurde mir aber
auch klar, was passiert war. Ich sah wieder die Einzelheiten.
Als ich mich zum Bierzapfen über den Tresen gebeugt hatte,
hatte ich die blutende, wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt
schon tote Frieda hinter dem Bartresen liegen gesehen und
hatte noch eine Bewegung hinter mir wahrgenommen, bevor
ich umgefallen war. Der Schmerz an meinem Hinterkopf
rührte also von einem Schlag her, die Schmerzen im
Brustraum und am Arm mussten von Verletzungen
herrühren, die mir erst später beigebracht worden waren.
Warum mein Gesicht völlig eingebunden war, konnte ich mir
auch nicht vorstellen, aber auch hier waren Schmerzen
vorhanden.
Ich versuchte meine Beine ein wenig zu bewegen; aber ich
konnte nicht feststellen, ob sich etwas bewegte oder nicht,
denn bei jedem Versuch, war der Schmerz in der
Bauchgegend zu groß um Empfindungen aus den Beinen an
mein Hirn weiterzuleiten.
Mein Denken schien ebenfalls nur im Zeitlupentempo vor
sich zu gehen, alles schien wie in Watte verpackt und musste
erst an die Oberfläche gezogen werden. Ich versuchte mich zu
konzentrieren. Was war passiert bei Frieda und danach?
29
Und plötzlich kam die schreckliche Erinnerung: Ich lag auf
Betonboden und im roten Nebel kamen die Ratten. Ich hörte
sie Quieken und Zischen, ich fühlte wieder die huschenden
Füße auf meinem Körper, meinem Gesicht. Die Vorstellung
war so schrecklich, dass ich geschrieen haben muss, denn
sofort stand eine weiß gekleidete Gestalt neben meinem Bett
und sah mich sorgenvoll an.
„Haben Sie Schmerzen?“
„Das auch, aber ich hatte eben eine fürchterliche
Erinnerung, das war der Grund. Bitte besorgen Sie mir etwas
zu trinken und kann ein Arzt kommen, um mir meinen
Zustand zu erklären?“
„Ich hole Dr. Flanders“, und schon war sie verschwunden.
Noch bevor ich einen weiteren klaren Gedanken fassen
konnte, standen gleich drei Männer und eine Frau um mein
Bett herum und außerdem kam die Schwester mit einer
Schnabeltasse in der Hand zurückgeeilt.
„Geben Sie ihm ein paar Schlucke, aber langsam und nicht
zuviel“, sagte der älteste Mann, den ich für Dr. Flanders hielt.
Dann wurde mir die Schnabeltasse an die Lippen gehalten
und ich trank gierig. Ein süßliches, breiiges Getränk. Kaltes
klares Wasser wäre mir lieber gewesen. Noch besser ein
schönes frisches Bier.
Als die Schwester die Tasse wieder absetzte, sagte ich das
auch dem Arzt. Ich glaube, ich habe noch nie in entsetztere
Augen gesehen. Im Hintergrund hörte ich Kichern.
„Mensch, Teufel, was sind Sie bloß für ein Mensch.
Tagelang ringen wir um Ihr Überleben, und das Erste was Sie
äußern, ist der Wunsch nach einem Bier. Ich kann es nicht
fassen.“
„Doktor, regen Sie sich nicht auf. So bin ich nun Mal. Man
nennt mich schon dort unten am Hafen, den versoffenen
Teufel; aber bitte erzählen Sie mir jetzt, wie es um mich steht
und woher die Schmerzen im Einzelnen kommen. Das Letzte
woran ich mich erinnern kann ist der Fund einer stark
30
blutenden Frau und später an Ratten, die über mich
hinwegtobten.“
„Sie haben die verschiedensten Wunden und
Knochenbrüche. Eine Schädelfraktur im Hinterkopfbereich,
Tierbisswunden an Ohren und Nase und an den
Wundrändern am Hinterkopf. Rippenbrüche, der linke Arm
ist ebenfalls in Höhe des Unterarms gebrochen,
Schürfwunden am ganzen Körper, einschließlich der Beine,
starke Prellungen in der unteren Bauchregion und im
Schambereich. Wahrscheinlich hat man sinnlos auf sie
eingetreten, als Sie schon am Boden lagen und später im
Hafengebiet hat man Sie wahrscheinlich einfach wie einen
Kohlensack hinter sich hergeschleift, was aus Ihrer Kleidung
und den Schürfwunden hervorgeht. Aufgrund der
Entzündungen der Wunden mussten wir Ihnen starke
Antibiotika verabreichen und wir hoffen, dass Sie keine
allergischen Reaktionen darauf zeigen werden. Mit den
Schmerzen werden Sie jetzt zurechtkommen müssen, da die
Morphine, die wir Ihnen bisher verabreicht haben, wegen der
Unverträglichkeit mit den Antibiotika abgesetzt werden
mussten. Können Sie es einigermaßen aushalten? Wir haben
Kommissar Waldtmann von Ihrem Erwachen aus der
Bewusstlosigkeit informiert und er wird in Kürze zu einem
Verhör hier erscheinen.
Der wird Ihnen auch nähere Einzelheiten über Ihren
Fundort, Zeit usw. berichten können. Wir werden zusehen,
dass er Sie nicht zu lange Zeit in Anspruch nehmen wird.
Dann werden wir Sie wieder in Tiefschlaf versetzten.“
„Wie lange bin ich schon hier, Doktor?“
„Es ist jetzt Dienstagvormittag. Sie wurden am Sonntag
gegen 15 Uhr hier eingeliefert.“
„Bitte können Sie eine Freundin von mir unter der
Rufnummer 06172-441327 benachrichtigen, dass ich hier
eingeliefert wurde und dass sie sich um mich kümmern soll?“
„Wie heißt die Dame?“
31
„Diana Hünfeld. Es ist ihre Geschäftsnummer.“
„Schwester Miranda wird das für Sie erledigen.“
„Danke.“
Ich merkte, dass dieses Gespräch mich sehr angestrengt
hatte und ich schloss die Augen und hörte noch wie Dr.
Flanders seinen Kollegen sagte: „Kommen Sie, wir können im
Moment nichts weiter für ihn tun. Sagen Sie mir bescheid,
wenn der Kommissar im Hause ist. Ich will nicht, dass der ihn
überansprucht.“
Dann waren nur noch die sich entfernenden Schritte zu
hören und ich versank in leichten Halbschlaf. Die Bilder des
vergangenen Wochenendes mischten sich mit Bildern längst
vergangener Zeiten auf der Brücke schnittiger Motoryachten.
Immer wieder tauchten rattenübersäte Menschenbündel, die
Gestalt der wie achtlos in die Ecke geworfenen Elsa und die
weit geöffneten Augen und die sprudelnde Quelle aus Blut in
der Brust von Frieda auf. Und nicht zuletzt, die Ratten, die
über meinen Körper huschten.
Ich war schon fast dankbar, als ich von Waldtmann
angesprochen wurde und langsam in die schmerzliche
Wirklichkeit zurückkehrte. Er hatte sich einen Stuhl an meine
rechte Seite gerückt und sah in dem umgehängten, grünen
Besucherkittel der Intensivstation nicht so bedrohlich aus, wie
ich ihn in Erinnerung hatte, und wie er in meinen
Fieberträume des vergangenen Tages aufgetaucht war. Auch
seine Stimme war leise und wohl moduliert, als er sagte:
„Teufel, man hat Sie übel zugerichtet. Elsa und Frieda sind
tot. Zwei junge Frauen lagen tot und angefressen unter der
Laderampe im Hafen. Was können Sie mir darüber
berichten?“
Er war näher gerückt, da meine Stimme doch noch sehr
schwach war und er mich besser verstehen wollte.
„Besorgen Sie mir erst einmal ein wenig Wasser zum
trinken, sonst bekomme ich keinen Ton heraus.“
32
Er kümmerte sich darum und die Schwester kam mit einer
Wasserflasche mit einem Strohhalm. Ich trank ausgiebig und
dann fühlte ich mich besser. Ich hatte schon vorher, als ich
Unterstützung von Diana anforderte, beschlossen die
Geschichte ein wenig zu verändern, Waldtmann aber
genügend Informationen zur Fahndung nach den Russen zu
geben. Von meinem eigentlichen Auftrag wollte ich nichts
erzählen.
„Ich habe wie häufig meine Runde im Hafen gedreht und
als ich die Ratten dort gesehen habe, bin ich stutzig geworden
und habe mit der Taschenlampe nachgesehen was dort wohl
so Leckeres für Ratten zu holen war. Ich habe Sie dann sofort
angerufen, wie Sie ja wissen.“
Er unterbrach mich: „Wieso sind nicht am Fundort
geblieben, als die Streifenbeamten gekommen waren und
haben auf uns gewartet?“
„Bei dem Wetter im zugigen Hafen untätig stehen zu
müssen ist nicht mein Hobby. Ich bin einfach rüber zur
Frieda um auf den Schrecken ein Bier und `nen Schnaps zu
trinken. Ich hab ein wenig mit Elsa getratscht, die sonst in der
Nähe des Schuppens ihren Standplatz hatte und hab sie
gefragt, ob sie was Außergewöhnliches beobachtet hätte,
während der letzten Tage. Hatte sie aber nicht, weil sie einen
Dauerfreund für drei Tage gefunden hatte. Da hatten am
Mittwoch vergangener Woche ein paar Russen Maschinen
angeliefert und hatten Elsa aufgegabelt und waren mit ihr erst
zum Bechern zu Frieda und hinterher zu ihrem Truck hinten
auf dem großen Parkplatz gezogen. Da war dann bis zum
Sonnabendmorgen eine Party, wo es hoch her ging. Die
Russen mussten solange bleiben, weil wohl einer der Wagen
einen Schaden hatte und sie Ersatzteile aus der Ukraine
angefordert hatten.“
„Gab es denn hier keine Werkstatt, die das erledigen
konnte?“
33
„Das war es, was mich auch stutzig machte und eine
weitere Bemerkung die Elsa gemacht hatte. Sie sprach von
einem Extraraum hinter der Fahrerkabine, mit Matratzen drin
und einem eigenem Klo. Das wollt ich mir selbst ansehen.“
„Und? Haben Sie es gesehen? Und wann war das denn?“
„Sie hatten schon den ganzen Hafen absperren lassen,
darum hab ich mir ein Fahrrad, das vor der Tür von „Frieda“
stand geschnappt und bin durch den Zaun zum Parkplatz.“
„Warum durch den Zaun und nicht an unseren Wachen
vorbei und uns benachrichtigt? Wir hätten die Wagen genauso
gut untersuchen können.“
„Ja, aber Sie wissen doch, was Elsa so manches Mal in
ihrem Suff von sich gegeben hat. Sie hatten genug andere
Dinge zu tun, als sich um das Geschwätz einer Betrunkenen
zu kümmern. Sie hätten mich hochkantig aus dem Hafen
gescheucht, wenn ich mit solch einer Meldung zu Ihnen
gekommen wäre. Also hab ich es allein versucht und bin auch
rangekommen. Ich hab den Raum wirklich gesehen. Der
Eingang war gut getarnt hinter der unteren Fahrerkabine. Ich
hab den einen Fahrer dann noch mit herausgenommen, weil
er noch in einen Puff in der Innenstadt wollte. Wir haben
oben in der Kneipe am Westplatz noch ein Bier zusammen
getrunken und er hat sich ein Taxi gerufen und ich bin wieder
zu Frieda zurück. Ich wollte noch ein wenig mehr von Elsa
dazu hören, aber die war schon zu weit in ihrem Suff. Also
hab ich mir von Frieda die Adresse von Elsa geben lasen und
hab Elsa gesagt, dass ich morgens bei ihr vorbei kommen
wolle. Ob sie das noch geschnallt hat oder nicht, weiß ich
nicht. Ich bin dann jedenfalls auch nach Haus und habe noch
eine Zeichnung von dem komischen Raum angefertigt.“
„Die haben wir schon gefunden, konnten uns aber keinen
Reim daraus machen. Die Bemerkungen am Rand waren aber
etwas merkwürdig, darum haben wir sie mitgenommen.
Warum haben Sie das eigentlich nach Bad Homburg gefaxt“,
fragte er mich scheinbar harmlos.
34
„Da sind ein paar Freunde von mir, die schon Mal
Ermittlungen wegen Drogen gemacht haben. Die sollten sich
das ansehen und mir bescheid geben, damit ich später
eventuell was für Sie hätte. Jedenfalls bin ich dann so gegen
zehn Uhr bei Elsa aufgekreuzt und hab sogar Frühstück
mitgenommen. Aber Elsa hatte nicht aufgemacht und ich bin
hintenrum rein und hab sie gefunden. Dann hab ich Sie gleich
über den Notruf angerufen und bin weiter zu Frieda. Ich wollt
wissen mit wem sie denn in der Nacht vorher abgehauen sei
und ob die Russen vielleicht noch da waren und mit ihr nach
Hause sind. Aber Elsa war allein nach Hause. Nur der eine
Russe war gegen drei Uhr nachts noch mal da gewesen und
hatte nach der Adresse von Elsa gefragt, weil sie eine
Plastiktüte im Auto vergessen hatte.
Frieda hat noch gesagt, die könne er ruhig bei ihr
deponieren, weil Elsa ja am nächsten Tag bestimmt wieder
kommen würde, aber er wollte ihr die Sachen noch
vorbeibringen, bevor sie wieder weg müssten. Und da hat sie
ihm die Adresse verraten. Ich bin fast ausgerastet, als ich das
gehört hab. Bin nur schnell zu meinem Auto um mein Handy
zu holen und als ich wieder kam, war Frieda nicht da. Ich
dachte sie wäre noch mal kurz nach oben und ich hab mich
dann über die Theke gebeugt um mir von dort aus ein Bier
einzuschenken. Da hab ich sie dort liegen gesehen. Und dann
war etwas hinter mir und dann war gar nichts mehr, bis ich
hier aufgewacht bin. Wie bin ich denn hier überhaupt
hergekommen?“
„Das Sie überhaupt noch leben und nicht von den Ratten
aufgefressen wurden, verdanken Sie nur meiner Wut, Sie
Neunmalkluger Wichtigtuer mit Lizenz zum Töten aus
Dummheit. Als Sie wieder nicht am Fundort der Leiche
anzutreffen waren bin ich mit zwei Leuten rauf zur „Frieda“,
weil ich vermutete, dass Sie da gemütlich Ihren Frühschoppen
saufen würden, anstatt uns sachdienliche Hinweise auf zwei,
was sage ich, drei Mordfälle zu geben. Und dass, obwohl Sie
35
dazu schon aufgrund Ihrer Lizenz verpflichtet wären. Als wir
dann auch noch Frieda dort tot gefunden haben, habe ich Sie
für einen Amokläufer gehalten.
Aber als wir dann Schleifspuren mit Blutspuren vermischt
aus der Bar über die Straße hinweg gefunden haben, die
darauf deuteten, dass Jemand in ein Auto auf der anderen
Straßenseite gezerrt worden sein musste, war mir klar, das
waren Sie, den man dort unsanft transportiert hatte. Nachbarn
hatte auch gesehen, wie man Sie, scheinbar volltrunken wie so
häufig, über die Straße in einen LKW geschafft hatte, der
dann in Richtung Hafen losgefahren war. Ich hab zwei und
zwei zusammengezählt und dann sind wir sofort an das
Lagerhaus, wo die anderen Leichen gelegen hatten. Und siehe
da, auch der Herr Privatdetektiv Teufel hatte sich zu den
Ratten verkrochen, wo er hingehört. Nur dass die Ratten nicht
mit Ihnen fröhlich zusammen saßen und Morde am laufenden
Band feierten, sondern an Ihnen herum fraßen. Das hat mich
veranlasst, Sie da rausziehen zu lassen.“
Seine Stimme war jetzt wieder in normaler Lautstärke, wie
ich es von ihm gewohnt war. Der Ton kam mir auch
wesentlich bekannter vor und sein Gesicht war nur noch eine
grimmige Grimasse.
„Das wird noch ein böses Nachspiel haben, Ihre Lizenz
können Sie abschreiben und wenn ich noch etwas mehr
Beweise zusammentragen kann, schick ich Sie wegen Beihilfe
für lange Zeit in den Bau. Da können Sie sicher sein. Sie,
Sie…“
Er schnappte nach Luft und ihm fielen keine passenden
Beleidigungen oder weitere Vorwürfe ein.
„Dann verdanke ich Ihrem Scharfsinn und der schnellen
Handlungsweise mein Leben Herr Waldtmann. Ich danke
Ihnen und werde es Ihnen mein Leben lang nicht vergessen“,
säuselte ich, so gut ich es mit meiner geschundenen Stimme
konnte und schloss die Augen, damit ich sein vor Wut
verzerrtes Gesicht nicht mehr sehen musste.
36
Die Schwester kam mir zu Hilfe. Sie schnauzte Waldtmann
an: „Sehen Sie denn nicht, dass Sie den Patienten mit Ihrem
Verhör überfordern. Ich muss Sie jetzt bitten, den Raum zu
verlassen. Sie sind sowieso schon viel zu lange hier.“
„Ich habe aber noch viele Fragen, die Mordfälle aufklären
könnten.“
„Die Opfer sind eh schon tot, denen können Sie nicht
mehr helfen.“
„Aber der oder die Mörder laufen immer noch frei rum,
und könnten morgen Sie umbringen. Das müssen und wollen
wir verhindern.“
Ich hatte inzwischen die Augen wieder geöffnet und der
Schwester, die nahe dem Bett stand und mich sorgenvoll
betrachtete, durch Blinzeln zu verstehen gegeben, dass er
ruhig weiter machen könne.
„Waldtmann, die Russen LKW trugen alle das Firmenlogo
„Kiew – TransEx“, wenn Sie die Fahndung schnell genug
hinaus bekommen und die Zusammenarbeit mit Polen,
Tschechien, Slowakei, Österreich
und den anderen
osteuropäischen Staaten hinbekommen, dann erwischen Sie
die noch. Außerdem suchen Sie nach einem Fahrrad. Einem
roten Damenfahrrad mit ebenfalls roten Satteltaschen, das
zuletzt vor der Kneipe „Frieda“ gestanden hatte. In der linken
Satteltasche befindet sich eine Schnapsflasche, auf der auch
die Fingerabdrücke von dem deutsch sprechenden Fahrer zu
finden sein müssen. Vielleicht finden Sie die gleichen
„unbekannten“ Abdrücke in Elsas Wohnung. Und wenn Sie
die Wagen finden dann untersuchen Sie die nach dem
Sonderraum und diesen nach Spuren, die vielleicht zu den
Toten unter der Rampe führen könnten. Dieser Sonderraum
muss nicht in jedem dieser Trucks gewesen sein. Vielleicht
haben sie nur einen damit ausgestattet, also brauchen Sie alle
drei Wagen. Zugelassen waren sie alle in der Ukraine, aber
Kennzeichen lassen sich schnell auswechseln. Es waren auf
jeden Fall moderne „DAF-Trucks“, keine so alten
37
Seelenverkäufer, die sonst von denen da unten gefahren
werden. Wenn Sie Unterstützung von den Behörden dort
unten bekommen können, dann sollte es keine Schwierigkeit
sein, heraus zu finden, welche Firma über einen derartigen
Fuhrpark verfügt, denn die Beschriftungen an den
Außenwänden könnten Augenwischerei gewesen sein. Und
jetzt geben Sie mir noch etwas zu trinken und dann muss ich
wieder schlafen.“
Waldtmann hatte merkwürdigerweise nichts weiter gesagt,
sondern mir nur die Flasche zum trinken hingehalten und war
danach aus dem Zimmer gegangen. Ich spürte noch die
Spritze in den Arm und dann war ich wieder in Tiefschlaf
gesunken.
Ein zartes „Waldi“ weckte mich und ich starrte in das
verzogene Gesicht von Waldtmann und daneben das Gesicht
von Diana. Waldtmann hatte offensichtlich das Gesicht
verzogen, weil Diana mich so geweckt hatte, wie er am
liebsten von seiner Frau gerufen wurde. Waldtmann war
jedenfalls auf Nummer sicher gegangen und war mit Diana
hier erschienen, um zu sehen und zu hören, was ich denn ihr
vielleicht noch mehr zu berichten hatte, denn er hatte sich
bestimmt über die Homburger Firma erkundigt und ahnte,
dass ich ihm noch einige Dinge verschwiegen hatte.
Diana machte das gut. Sie hatte ganz als treusorgende
Freundin meine Hand ergriffen und kurz eine der nicht
verbundenen Hautpartien meines Gesichts gestreichelt und
dabei gesagt: „Waldi, du machst aber auch wieder Sachen.“
Waldtmann schaltete sich ein: „Gnädige Frau, wir müssen
zunächst noch ein paar Sachen von ihm wissen. Sie können
nachher mit ihm noch herzen. Teufel, was haben Sie von den
Trucks erzählt? Das da russische waren?“
„Ja. Große DAF-Trucks mit Metallaufbauten und der
Beschriftung „Kiew-Trans-Ex“. Warum fragen Sie?“
38
„Zeugen haben gesehen, wie Sie in einen holländischen
LKW geschleppt worden sind, mit Zeltaufbauten. Wäre so ein
holländischer Bananenimporteur gewesen.“
Ich muss ein wenig verwirrt ausgesehen haben, aber dann
kam mir die Erleuchtung.
„Nicht schlecht die Herrschaften. Der Wagen ist mir auch
nicht aufgefallen, aber er war da. Gegenüber von „Frieda“, als
ich zurückkam von meinem Auto. Es müsste immer noch um
die Ecke in der Sylter Straße stehen, gleich rechts in der ersten
Parkbucht. Es ist ganz einfach. Die haben nur Planen über die
Aufbauten gehängt und sind als Holländer abgedampft. Da
können Sie lange nach ukrainischen LKWs forschen, die gibt
es im Moment gar nicht mehr. Sauber geplant.“
Waldtmann schien wieder explodieren zu wollen über mein
„sauber geplant“; aber er sah wohl ein, dass es zwecklos sein
würde.
„Haben Sie schon nachgeforscht, ob es überhaupt einen
holländischen Bananenimporteur mit der Firmenbezeichnung
gibt und ob eine ukrainische Firma namens „Kiew-Trans-Ex“
existiert?“
„Beide Firmen gibt es wirklich. Aber die haben beide keine
„DAF“ Fahrzeuge im Einsatz. Und die Wagen sind auch am
Sonntag an keiner Grenze aufgefallen, weil sie ja die
Sonderfahrerlaubnis hätten vorweisen müssen. Weder nach
Westen noch an den Ostgrenzen sind sie gesichtet worden.“
„Nach Holland und Belgien, und weiter südlich nach
Frankreich gibt es soviel kleine Straßenübergänge, die nicht
überwacht werden, dass es keine Schwierigkeit geben sollte, da
raus zu kommen. Wenn sie nicht als Konvoi gefahren sind,
wird es noch schwieriger. Wenn sie nur wenige Kilometer bis
zur nächsten Rastanlage für LKWs gefahren sind und erst
nach 22:00 Uhr weiter gefahren sind, etwa nach Dänemark,
dann wären sie wohl auch jetzt endgültig verschwunden. Auch
die Fährverbindungen nach England sollten Sie unter die
Lupe nehmen.“
39
Daran schien er offensichtlich nicht gedacht zu haben,
denn er verließ schnell das Zimmer. Scheinbar wollte er
draußen telefonieren.
Während wir allein waren sagte ich hastig zu Diana:
„Überprüfe unauffällig, wer in der Marcus Allee 47 wohnt, da
wollte der eine Russe am Samstagabend um Mitternacht noch
mit einem Taxi hin. Nur herausfinden wer da wohnt. Könnte
die Bezugsperson sein. Keine Pferde scheu machen, sonst
sind alle in der Deckung verschwunden. Und nehmt Euch
sämtliche Bordellbetriebe in der ganzen näheren und weiteren
Umgebung der Stadt hier unter die Lupe, wo Neuzugänge
sind. Ich nehme an, dass neben den Toten unter der Rampe,
noch weitere Mädels hierher gebracht worden sind. Die
müssten ganz schön unter Schock stehen. Eine Liste der
ganzen Puffs und deren Mitarbeiter findest du auf meinem
Computer unter [Spiele, Bewegung, Spielstätten].
Jede Spielstätte ist ein Betriebsordner unter dem du das
Unterverzeichnis [Spieler] findest. Hoffentlich haben die nicht
meinen ganzen Computer eingezogen. Gib mir bitte etwas zu
trinken, ich hör Waldtmann schon.“
„Ich habe eine Fahndung nach den Lastern nach ihren
Angaben rausgeschickt. Hoffentlich werden wir dort fündig.“
„Sie sollten sich über CB-Funk über die gebräuchlichste
Frequenz an alle Brummifahrer wenden, die Sonntagabend in
dieser Gegen losgefahren sind. Vielleicht ist denen was
aufgefallen. Sagen Sie einfach, Sie suchten die LKWs um
Zeugenaussagen zu erhalten. Vielleicht mobilisieren Sie damit
die Brummifahrergilde, weil Sie dann glauben den Bullen Mal
in einer Sache helfen zu können, die nicht nur gegen die
Sünder unter ihnen gerichtet ist, dass sie etwas tun können,
um ihr geschädigtes Image bei den Ordnungshütern aufzupolieren.“
Waldtmann sah mich nachdenklich an und entschied, dass
es vielleicht eine Chance hätte, und stolzierte wieder aus dem
Zimmer.
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„Und ihr solltet Euch schnell um die großen Werkstätten
hier in der Umgebung kümmern, die Beschriftungen an
LKWs innerhalb kurzer Zeit überarbeiten können. Die Planen
haben die doch bestimmt bald wieder runter gerissen. Die
fallen jeder Polizeistreife sofort auf, weil sie flattern.“
Sie flüsterte mir nur noch schnell zu: „Klaus ist auch dabei.
Wir werden die Werkstätten und die Bordelle überprüfen und
in deiner Wohnung Stellung beziehen. Ich sollte nur deine
Hausschlüssel noch bekommen. Ich hau dann gleich wieder
ab. Wir sehen uns morgen früh.“
„Scheint keine so schlechte Idee mit dem CB-Funk, da
kamen gleich die ersten Meldungen rein“, meinte Waldtmann,
als er zurückkam. „Ich hätte aber gerne von Ihnen noch
Personenbeschreibungen von den Fahrern, meinen Sie, dass
Sie schon wieder so fit sind, dass Sie unserem Zeichner helfen
könnten?“ fragte er aufgeräumter, als ich ihn in den letzten
Begegnungen in Erinnerung hatte. „Wir haben das Fahrrad
mit der Schnapsflasche tatsächlich noch vor der Kneipe
gefunden. Die Spurensicherung ist dabei die Fingerabdrücke
darauf mit denen in der Wohnung zu vergleichen. Ihre haben
wir schon identifiziert, sowohl auf der Flasche, als auch auf
dem Telefon in Elsas Wohnung.“
Diana hauchte mir noch ein Küsschen auf den Mundwinkel
und verabschiedete sich dann.
Ich sagte Waldtmann zu, dass ich dem Zeichner helfen
würde und fragte, noch während Diana noch im Raum war:“
Können Sie mir etwas über die Toten unter der Rampe sagen?
Das waren doch bestimmt keine Penner, die dort
Unterschlupf gesucht hatten?“
Diana lauschte, das wusste ich.
„Nein, das waren ganz junge Mädchen. Nach den ersten
Untersuchungen zu urteilen aus dem fernöstlichen Raum.
Beide waren an Kohlenmonoxydvergiftungen gestorben; aber
die wären ohnehin draufgegangen, denn beide hatten jede
Menge Kondome, gefüllt mit Kokain bester Sorte, in ihren
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Bäuchen. Jeweils einer war geplatzt, und sie wären an der
Überdosis gestorben. Beide schienen auch sexuell missbraucht
worden zu sein und zwar heftig. Vaginal- und Analbereich
waren schwer verletzt.
Arme Schweine, wurden als Drogenkuriere eingesetzt.
Kamen scheinbar aus Holland, denn die Kondome waren dort
her. Wie die in den Hafen gekommen waren, wissen wir noch
nicht. Könnte sogar sein, dass Sie vollgestopft mit dem Gift
unter der Rampe Schutz gesucht hatten und dort die Ladung
Auspuffgase abbekommen haben, von den davor stehenden
Lastern. Wirklich schlimm.“
An diese Theorie mochte ich nicht glauben; aber das verriet
ich Waldtmann nicht.
Diana war jetzt leise verschwunden und wenige Minuten
später kam der Polizeizeichner.
Während der nächsten zwei Stunden waren wir beschäftigt,
und dann verließen mich die Kräfte. Die Bilder waren recht
gut geworden, und sie wollten zunächst die Gesamtdatei der
Polizeidienststellen in Deutschland damit füttern. Vielleicht
waren die Herrschaften ja schon früher aufgefallen.
Zwischendurch hatte mir die Schwester eine weitere
Schnabeltasse mit Brei gereicht und mir eine weitere Spritze
verpasst. Als es draußen dunkel wurde schloss ich ermattet die
Augen und fiel in tiefen, traumlosen Schlaf.
Es war schwer aus diesem Schlaf wieder an die Oberfläche
zu kommen, aber ich wurde am Arm gerüttelt und die
Schmerzwelle, die durch meinen Körper raste, bewirkte es
dann doch.
Vor mir sah ich das Gesicht von Klaus und im Hintergrund
war auch Diana. Ein Arzt und zwei Schwestern waren auch im
Raum. Ich bemerkte, wie man die Anschlüsse an den ich
gehangen hatte entfernte, und dann wurde ich mit vereinten
Kräften aus dem Raum geschoben. Im Vorbeifahren
bemerkte ich, dass auf dem Flur ein weiteres Bett aufgebaut
war. Man hastete und keiner sprach einen Ton. Erst als wir in
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einem anderen Zimmer angelangt waren, wurde mir gesagt
warum man mich verlegt hatte.
Klaus sagte: „Waldi, wir müssen davon ausgehen, dass die
Leute, die meinten dich umgebracht zu haben, wieder
versuchen werden ihr Werk zu vollenden; denn die Zeitungen
waren heute voll von den Leichenfunden und von deinem
Überleben. Man hatte sehr genau beschrieben wie man dich
gefunden hatte und dass du schon auf dem Wege der
Besserung seiest und bald den Polizeibehörden berichten
könntest, was du gesehen und herausgefunden hast. Die
werden versuchen, dich am Sprechen zu hindern.
Lars und Wiesel sind heute Nachmittag hier eingetroffen
und haben sich mit Waldtmann in Verbindung gesetzt. Er war
zwar erst nicht einverstanden, dass wir hier ein „gesundes“
Opfer stationieren wollen um einen möglichen Mörder zu
fangen, aber Wiesel hat ihn überreden können, wenn wir die
Aktion durchführen und als seine Idee hinstellen. Den Ruhm
soll er kriegen, wenn wir Erfolg haben, dafür ist außer ihm
auch kein Mensch im Präsidium eingeweiht. Hier im
Krankenhaus, weiß es auch nur Chefarzt Flanders und eine
gut ausgebildete Schwester. Flanders war einverstanden, weil
du nicht mehr in Lebensgefahr schwebst, und daher aus der
Intensivstation entlassen werden konntest. Du musst nur jetzt
viel schlafen, damit du wieder zu Kräften kommst.“
„Die sollen mich nur nicht weiter mit Barbituraten voll
stopfen, sondern mir ein vernünftiges Bier geben, dann schlaf
ich wie ein Baby. Besorg mir eins.“
„Später, aber jetzt bleib erst ruhig liegen. Deine
Stationsschwester ist Diana. Sie ist im Raum gegenüber. Deine
Klingel ist hier, und benutze sie nur, wenn es dringend
notwendig ist. Für ´nen Plausch oder ´ne Flasche Bier kommt
sie nicht. Sie hat noch ein paar andere Aufgaben. Also penn
jetzt.“
Schon war er wieder verschwunden und die Tür hatte er
zugezogen. Wenn ich richtig gehört hatte, ließ sie sich nur mit
43
Schlüsseln öffnen. Ich fiel tatsächlich wieder in unruhigen
Halbschlaf. Immer wenn ich an die Oberfläche kam, lauschte
ich auf die Geräusche außerhalb des Raumes; aber ich konnte
nichts vernehmen.
Als die Schüsse fielen, war ich allerdings sofort mit einem
Ruck hochgeschossen und fast augenblicklich wieder aufs Bett
zurückgesunken. Der Schmerz war zu groß gewesen. Auf dem
Gang war unentwegtes Fußgetrappel, Rufe wurden laut, Türen
wurden geknallt und dann schallte die tiefe Stimme
Waldtmanns durch die Gänge: „Bitte beruhigen Sie sich Alle.
Es hat hier eine kleine Explosion gegeben. Keiner von Ihnen
ist gefährdet. Bleiben Sie in Ihren Zimmern. Für mich konnte
das ja wohl nicht gelten. Obwohl ich vor Schmerz hätte
schreien können, und ich ein paar Mal fast das Bewusstsein
verlor, kam ich aus dem Bett und tastete mich, weil ich keinen
Lichtschalter finden konnte, im Dunkeln zur Tür und öffnete
sie. Sie war doch nicht abgeschlossen gewesen. Am anderen
Ende des Ganges herrschte allgemeine Aufregung und Ärzte
und Schwestern wuselten durcheinander. Diana stand
teilnahmslos mit dem Rücken zu mir an die Wand gelehnt und
schien das Geschehen zu filmen. Eine Gestalt, ähnlich wie ich,
unter Verbänden verhüllt, bemühte sich gemeinsam mit den
Ärzten um eine Gestalt, die im Gang lag. Waldtmann stand
breitbeinig und vorgebeugt am hinteren Ende des Ganges und
verfolgte die Bemühungen. Einer der Ärzte schüttelte
bestimmt den Kopf und stand auf. Der Mensch am Boden
war anscheinend nicht mehr zu retten. Weiter vorn, in Höhe
des
Schwesternzimmers
saß
ein
junger
Mann
zusammengesunken auf einem Schemel und hatte die Hände
vors Gesicht gepresst. Seine Schultern zuckten. Ich hatte mich
ihm barfuss, mit dem Krankenhausnachthemd gekleidet,
genähert und ihm meine gesunde Hand auf die Schulter
gelegt. Er fuhr heftig herum und hätte mich beinahe zu Fall
gebracht. Sein Gesicht war verheult und er murmelte vor sich
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hin: „Ich habe ihn erschossen, wie schrecklich; aber er hatte
doch eine Pistole in der Hand, was sollte ich denn machen?“
Diana hatte sich herumgedreht und hatte mich bei dem
jungen Mann stehen sehen. Sie kam wie eine Furie auf mich
zugeschossen und schnauzte mich an: „Kranke haben hier
nichts zu suchen. Machen Sie, dass Sie in ihr Bett kommen!“
Dann hatte sie mich erst erkannt und ihre Augen weiteten
sich: „Du?“
„Ja, ich, wer liegt da?“
„Der Beschreibung nach dein russischer Fahrerfreund.
Schade, nun kann er nichts mehr aussagen. Komm mit und
identifiziere ihn.“ Sie schleppte mich zu dem Liegenden und
ich stellte sofort fest: Es war der Russe, der mit dem Taxi in
die Stadt gefahren war.
Der ganze Aufwand war wohl doch etwas zuviel für mich
gewesen, und ich merkte nur noch, dass ich in mir
zusammensackte. Ich bekam nicht mehr mit, dass Waldtmann
und Diana mich auffingen.
Als ich wieder aufwachte, war ich wieder in einem Zimmer
der Intensivstation und neben mir stand wieder ein
Infusionshalter und ich war wieder an Schläuche
angeschlossen. Von den Schmerzen spürte ich im Moment
nichts. Es war heller Tag und ich hatte schrecklichen Durst.
Ich fand die Klingel und wenig später kam die Schwester
herein. Sie lächelte mich an und das tat mir gut. Es war das
erste Lächeln, das ich mit vollem Bewusstsein hier in diesem
Krankenhaus wahrnahm. Als Klaus dann auch noch in den
Raum trat und in der Hand eine Flasche Bier hielt, aus der ein
Strohhalm herausragte, wusste ich endgültig – ich war auf dem
Wege aus der Hölle.
Die Schwester hatte nur ganz kurz die Anschlüsse überprüft
und den Kopfteil des Bettes etwas höher gestellt und war
dann wieder verschwunden. Klaus hatte für sich und Diana,
die auch hereinkam, Stühle herangezogen und Klaus
berichtete, während ich mein Bier nuckelte.
45
„Wir hatten mit Hilfe von Dr. Flanders und der Schwester
alles vorbereitet. Man hatte mir ebenfalls ähnliche Verbände
wie dir angelegt und ich hatte mich auf dein Bett gelegt. Im
Schwesternzimmer war ein junger Beamter aus Waldtmanns
Truppe versteckt und Diana konnte aus ihrem Zimmer den
Hinteraufgang beobachten und mit einer Infrarotkamera
filmen. Der Täter kam aber als Sanni verkleidet über die
Haupttreppe. Er kam von oben. Wie er da hingekommen war
ist inzwischen auch klar. Er war von der Tiefgarage aus einen
Stock höher gefahren und dann die Treppe hinunter
gestiegen. Dadurch war er auch keinem Menschen am
Empfang aufgefallen. Da saß nämlich noch ein Beamter von
Waldtmann. Als der vermeintliche Sannitäter an dem
Schwesternzimmer dort vorne vorbei ist, hat sich der junge
Mann nichts dabei gedacht. Er ist direkt hier rein und hatte
eine Spritze dabei. Ich muss auch wohl ein wenig eingedöst
sein, denn ich habe ihn erst bemerkt, als er schon direkt vor
meinem Bett stand und nach meinem Arm fassen wollte. Als
ich ruckartig hochkam, wollte er mich zurückdrücken aber ich
habe mich natürlich gewehrt. Damit hatte er nicht gerechnet
und hatte beim Kampf die Spritze verloren. Als er merkte, das
nicht du, sondern ein anderer in dem Bett lag ist er geflüchtet
und hat eine Pistole gezogen und wollte auf mich schießen.
Da kam aber schon der junge Beamte angelaufen und er hat
sich dorthin gewandt und hat geschossen. Der junge Mann
hat sofort zurück geschossen und hat ihn erwischt. Mich hätte
er beinahe auch noch erwischt als ich hinter dem Russen raus
bin, aber dann hat Gott sei Dank der Schock bei ihm
eingesetzt und der Schuss ging daneben und dann hat er die
Pistole einfach fallen lassen. Für den Russen kam jede Rettung
zu spät. Anhand der Fingerabdrücke ist aber inzwischen
erwiesen, dass er zumindest Elsa auf dem Gewissen hat. Du
weißt schon:
Waldtmann hat seinen Mörder, er ist der Held und ein toller
Fuchs, weil er hier die Falle gestellt hat. Die Wagen hat man
46
nicht gefunden, und man wird das auch nicht weiter
verfolgen. Du solltest nur zusehen, dass du bald wieder auf
die Beine kommst. Wir brauchen dich dringender als vorher,
weil du den Sumpf hier am besten kennst. Wenn du wieder
soweit bist, werden Werner und ich dich unterstützen,
vielleicht kommt Diana auch noch dazu und dann kommen
wir hoffentlich endlich weiter. Die Adresse in der Marcus
Allee scheint auch noch ein sehr guter Tipp gewesen zu sein.
Wiesel und Lars sind da jetzt dran.“
„Und was ist mit dem jungen Helden?“
„Den haben sie gestern gleich hier behalten. Schock. Der
liegt im Nebenzimmer. Vielleicht kannst du ja mit ihn die
Kiste Bier teilen, die ich bei den Schwestern deponiert habe,
dann kommt der vielleicht genauso schnell wieder auf die
Beine wie du und dann hast du vielleicht wenigstens einen
Freund in der Mordkommission“, meinte Klaus feixend.
Dann legte er den Arm um Diana und meinte, dass sie nun
gehen müssten. Ich könnt mich ja melden, wenn ich wieder fit
wäre. „Die Hausschlüssel haben wir wieder abgegeben und die
Daten haben wir auf den Zentralcomputer nach Bad
Homburg übertragen.“
„Und was passiert mit meiner Lizenz?“
„Die darfst du behalten. Das haben Wiesel und Lars mit
Waldtmann abgeklärt. Aber du solltest Waldtmann in der
nächsten Zeit ziemlich weiträumig aus dem Wege gehen. Der
kann dich wirklich nicht leiden.“
Sie gingen und ich machte mich von meinen
Versorgungsschläuchen los, kam stöhnend von meinem Bett
hoch und kroch hinaus. Ich suchte mir die Toilette und dann
ging ich mir noch zwei Flaschen Bier holen. Die Schwester
fiel zwar fast in Ohnmacht als ich ihr mit meinem „hinten
offen“ Nachthemd beim Hinausgehen mein Hinterteil
präsentierte, aber sie ließ mich zufrieden als ich in den Raum
neben meinem Zimmer marschierte um meinem Leibwächter
ein Bier auszugeben.
47
Teuflische Erinnerungen
Ich hätte eigentlich zufrieden sein können: Ich lebte, und
hatte mein Bier. Waldtmann würde mich in der nächsten Zeit
zufrieden lassen, der Mörder Elsas war identifiziert und tot.
Ich hätte doch zufrieden sein können; aber in mir tobte
etwas, dass ich nicht beschreiben konnte. Ich konnte noch
nicht einmal den jungen Mann, der in Panik den Mörder
erschossen hatte, trösten. Er war völlig teilnahmslos und sah
mich verachtungsvoll an, als ich mit meiner Bierflasche
bewaffnet zu ihm kam um ihm zu danken; denn er hatte
verhindert, dass ein Freund von mir verletzt oder sogar
getötet wurde.
Er konnte und wollte diesen Dank nicht annehmen, dazu
stand er noch zu sehr unter dem Schock einen Menschen
getötet zu haben. Ich kannte dies Gefühl; aber das wollte ich
ihm nicht erklären. Auch heute noch stehe ich unter diesem
Schock, obwohl das Ereignis schon so scheinbar unendlich
lange zurückliegt. Ich konnte ihm nicht sagen, um wie viel
schlimmer es einen Menschen treffen kann, wenn man den
Menschen tötet, den man heiß und innig geliebt hat, der
einem mehr bedeutet, als sein eigenes Leben. Den man getötet
hat aus einem Reflex heraus; denn jede andere Reaktion hätte
den eigenen Tod bedeutet. Wenn ich damals die Situation mit
meinem Herzen und nicht mit meinem Verstand und meiner
Reaktion beurteilt hätte, dann wäre ich tot, und nicht meine
Geliebte Vanessa. Ich hätte dann damals überhaupt nicht
reagiert und wäre gerne statt ihrer gestorben.
Als er mein ihm angebotenes Bier abgelehnt hatte; mich
geradezu entgeistert über das Ansinnen, überhaupt etwas zu
trinken, angesehen hatte, und mich harsch aufgefordert hatte
sein Krankenzimmer zu verlassen, war ich in einer sehr
bedrückten Stimmung in mein Zimmer zurückgekehrt. Ich
hatte die Qual in seinem Gesicht ablesen können, und er hatte
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sofort die alten Schuldgefühle in mir wachgerüttelt. Ich war
schuldig am Tod eines Menschen.
Ich hatte während meiner ganzen Exkursion über den Flur,
den Gang ins Nebenzimmer trotz aller Verbände, die ich noch
trug, keine Schmerzen empfunden. Als ich mich auf dem
Bettrand meines Bettes niederließ, in jeder Hand eine
Bierflasche, kamen die Schmerzen meiner Wunden mit aller
Gewalt zurück. Ich hätte Schreien können. Es schien als ob
die gesamte Hautoberfläche in Flammen stand. Mein Gesicht,
besonders Nase, Ohren und in erster Linie mein Hinterkopf
strahlten geradezu brüllende Schmerzen aus.
Meine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, ich sah meine
Umwelt nur noch durch Schleier. Und es waren nicht die
körperlichen Schmerzen, die das bewirkten. Es waren die
Erinnerungen, die ich jeden Tag durch meine Lebenswandel,
durch meine scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber meinen
Mitmenschen, durch mein Saufen in den Kneipen des Hafens,
in den Bordellen der Stadt und des Umlandes, zu
kompensieren suchte. Die tägliche Hektik, die ständige
Bewegung im Handeln, Denken und Tun, waren nichts weiter
als der Versuch diesen Erinnerungen zu entfliehen. Ständig
wechselnde Kontakte, jede engere Beziehung zu einem
einzelnen Menschen meidend, waren das Ergebnis meiner
Flucht vor mir selbst. Erst Wilhelm Starck, genannt das
„Wiesel“ hatte mir vor ein paar Jahren einen Weg gezeigt, wie
ich besser mit den Dingen zurechtkommen konnte. Er hatte
mich wieder vor sinnvolle Aufgaben gestellt, hatte von mir
Leistungen verlangt und an mein Ehrgefühl appelliert, mich
nicht hängen zu lassen, sondern meine mir inzwischen
angeeigneten Fähigkeiten konstruktiv zu nutzen. Er war es
gewesen, der mir gezeigt hatte, dass jeder Mensch; egal wie
weit gefallen, die Chance hätte, sinnvolles zu tun in diesem
Leben. Er hatte mich soweit wieder aufgerichtet, dass ich
zumindest wieder fähig war, Beobachtungen anzustellen, klare
Schlüsse daraus zu ziehen und in Berichtform weiterzugeben.
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Er hatte es geschafft, dass ich nach verschiedensten
Lehrgängen und Prüfungen eine Lizenz als Privatdetektiv
bekam.
Ich war zwar damals, nach meinem Verfall in der glückliche
Lage gewesen über ein gewisses Vermögen zu verfügen, das es
mir ermöglichte ohne meine geliebte Arbeit als
Schiffbauingenieur überleben zu können, und das obwohl ich
das Geld täglich in die Kneipen trug. Erst als ich mein
ererbtes Haus schon verkauft hatte, als meine Reserven sich
bedenklich aufgelöst hatten, war Wiesel in mein Leben
getreten, und hatte dafür gesorgt, dass ich heute wieder in so
genannt „geordneten“ Verhältnissen lebte. Er hatte es auch
verstanden, mich nicht von sich abhängig zu machen, sondern
hatte dafür gesorgt, dass ich meine Agentur selbstständig
führen musste, und damit auch wieder Verantwortung zu
tragen hatte. Die meisten Aufträge kamen nicht von ihm,
sondern
von
hiesigen
Versicherungen,
den
Versorgungsbetrieben und sogar von der Stadtverwaltung,
wenn sie nicht die offiziellen Behörden einschalten konnten.
Da ich ein alter „Hafenbewohner“ war, schaltete mich
besonders die Hafenbehörde in Zusammenarbeit mir der
Zollbehörde ein. Durch Mundpropaganda der Leiter der
Dienststellen, die mir eine absolute Unbestechlichkeit
bescheinigten, hatte ich auch Zugang zu mehreren großen
Firmen gefunden, die mich in Unterschlagungs- und
Betrugsfällen einschalteten und in einigen Fällen hatte man
mich auch seitens der Firmenmanager in für mich
außerordentlich unerfreuliche Nachforschungen über das
Intimleben von Ehepartnern und Kindern eingeschaltet. Dies
wiederum hatte häufig schon zu Auftragserteilung von
besagten Ehefrauen gegen ihre „vielbeschäftigten“
Ehemänner geführt. In mehreren Fällen war es auch zu
Ermittlungen gekommen, die in Todesfällen die
Mordkommission der Stadt beschäftigt hatte, und hierbei war
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es dann zu den Kontakten, meist sehr konträren, zu
Kommissar Waldtmann gekommen.
Ich persönlich schätzte Waldtmann als einen routinierten,
erfahrenen, sehr korrekten Beamten, der leider mehr
Verfahrensvorschriften im Kopf behalten musste, als dass er
sich auf seine sicherlich vorhandene Intuition stützen durfte,
und danach handeln zu können. Wir waren uns mehrfach nur
deswegen in die Quere gekommen, weil ich unkonventionell
handeln konnte, während er durch Vorschriften behindert
war. Aber er hatte mir auch nicht vergessen, dass ich eine Frau
– auch wenn das Gericht gesagt hatte, aus Notwehr –
erschossen hatte.
Er hatte auch nicht vergessen, dass er diese Frau zwar
angebetet hatte, aber sie mit mir lebte. Was er nicht erfassen
konnte, war meine persönliche Qual, die sich daraus ergeben
hatte, dass ich Vanessa als die Spionin entlarvt hatte, die
jahrelang nicht nur mein Vertrauen missbraucht, sondern auch
die wichtigsten Geheimnisse, die es im deutschen Schiffbau
und Verteidigungsministerium gegeben hatte, an den Osten
verraten hatte. Man wollte mir später vorwerfen, dass ich ihre
Tötung, wie sie sich ausdrückten „billigend in Kauf
genommen hätte“, weil ich hinter ihr Verhältnis mit dem
Staatsekretär des Bonner Ministeriums gekommen sei, aber da
war es erstaunlicherweise Waldtmann gewesen, der
nachweisen konnte, dass ich davon nichts hatte mitbekommen
können. Er konnte nachweisen, dass Vanessa so raffiniert
gewesen war, dass ich wirklich ahnungslos sein musste. Meine
Aussage damals zur Tötung in Notwehr, hätte arg in
Bedrängnis kommen können, wenn man mir das Wissen von
Verhältnis meiner Geliebten zu dem Staatssekretär hätte
nachweisen können. Dann wäre ein Urteil wegen Totschlags
im Affekt für mich dabei heraus gekommen; obwohl auch der
dümmste Beobachter des Prozesses die Fakten der tödlichen
Schüsse als Notwehrreaktion hätte erkennen können.
51
Und wieder rannten die Schauer des Entsetzens über mich.
Wieder gefror mir das Blut in meinen Adern, wie immer wenn
ich an diesen verhängnisvollen Abend dachte:
Ich war aus dem Konstruktionsbüro der Werft, wie schon
so häufig erst in letzter Minute weggekommen, um an dem so
wichtigen Termin der Schiffsübergabe des ersten
raketenunterstützten Schnellbootes an die Regierung des
arabischen Staates teilnehmen zu können. Ich hatte gerade
noch Zeit gefunden mich in den Smoking zu werfen und hatte
dann die vollständigen Pläne des Raketensystems, das ich seit
zwei Tagen für diesen Termin in meinem privaten Tresor
verwahrte, an mich nehmen zu wollen, als ich feststellen
musste, sie waren nicht mehr da. Jemand hatte sie genommen.
Vanessa kannte, so glaubte ich zumindest, nicht die
Kombination. Ich war in heller Aufregung. Ich eilte dennoch
hinüber zur Halle der Übergabe und hier hatte ich beobachtet,
dass Vanessa die Pläne, die ich auch unter wesentlich
schlechteren Umständen sofort als meine erkannt hätte, einem
mir unbekannten Mann übergab. Es waren zu diesem
Zeitpunkt sehr viele Menschen in dem Vorraum zum
Vortragssaal und als ich auf Vanessa zustürzte und nach den
Plänen griff, die der Mann noch in den Händen hatte, konnte
ich sie ihm zwar entreißen aber nicht verhindern, dass
Vanessa aus ihre Handtasche eine großkalibrige Pistole zog
und auf mich zielte. Ich hatte nie überlegt, ich war nur auf sie
zugestürzt und nach der Waffe gegriffen. Kurze Zeit rangelten
wir um die Waffe. Ich drückte sie mit meinem Körper gegen
ihren Körper. Ich griff von unten danach. Ich bekam sie zu
fassen. Sie lag plötzlich in meiner Hand. Sie schlug danach
und dann löste sich der Schuss. Aus den Augenwinkeln hatte
ich den Mann gesehen, der die Plänen in Empfang genommen
und wieder verloren hatte. Er hatte, woher auch immer, eine
weitere Pistole gezogen und ich schwenkte herum und drückte
ab. Der Mann wurde zurückgeworfen, als wäre er gegen eine
Gummiwand gelaufen und dann sackte er zusammen.
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Während er zusammenbrach, löste sich eine ganze Serie von
Schüssen, die aber niemanden verletzten. Ich stand mit der
Pistole in der Hand im Vorraum eines großen Saales, zwei
Menschen um mich herum sanken in sich zusammen und ich
stand da. Die ersten hysterischen Schreie brachte wieder
Belebung in die von den Schüssen erstarrte Menschenmenge.
In der Nähe stehende Polizisten in Zivil, unter Ihnen
Waldtmann, nahmen mich, entwaffneten mich und führten
mich ab. Viel später erst wurden die Sachverhalte aufgeklärt
und ich nicht als Amokläufer, sondern als Retter der Nation
anerkannt. Diese Anerkennung erhielt ich allerdings erst vor
Gericht, nach der Aussage von Waldtmann, der während der
Schüsse in unmittelbarer Nähe gestanden hatte und somit alles
genau beobachten konnte.
Waldtmann war allerdings einer der Beamten, die immer
wieder mit uns als Werft Kontakt hatten, und bei dieser
Gelegenheit war ihm Vanessa aufgefallen und er war ihr ob
ihrer Schönheit verfallen, ohne jemals näher an sie
heranzukommen, als bei diesem Empfang zur Übergabe des
Schiffes. Es zeugte von seinem Charakter, dass er dennoch bei
der Verhandlung vor Gericht für mich aussagte; obwohl es so
vielen Andere gegeben hatte, die alles ganz anders gesehen
haben wollten. Auch die Rolle Vanessas wurde erst kurz vor
der Gerichtsverhandlung aufgeklärt. Ich aber musste damit
leben, einen Menschen getötet zu haben, den ich über alles
geliebt hatte. Für den ich lieber gestorben wäre, als dass ich
ihr etwas antat.
Und das quälte mich immer noch – schlimmer als jeder
körperliche Schmerz, der jetzt wieder mehr als reichlich durch
meinen Körper strömte.
Mein Kopf drohte zu zerspringen, auch noch als ich mich
wieder auf dem Bett ausstreckte. Die Bierflaschen hatte ich
unausgetrunken auf den Nachttisch gestellt. Der Schlaf kam;
aber auch in meinen Träumen standen die großen, grauen,
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anklagenden Augen der Frau, deren Leben ich ausgelöscht
hatte.
Nach dem Tod Vanessas hatte ich angefangen zu Saufen.
Ich wurde natürlich viele Sicherheitsstufen zurückgenommen;
aber das war mir egal. Meine Aufgaben auf der Werft wurden
immer anspruchsloser; aber ich hatte auch nicht den Antrieb
mich wieder nach oben zu arbeiten. Die ersten Abmahnungen
wurden mir überreicht, nachdem ich tagelang nicht zur Arbeit
erschienen war, weil ich im Vollrausch in meinem Haus
gelegen hatte. Als ich dann nach einer Rauferei in einer der
Hafenkneipen in der Ausnüchterungszelle aufwachte und mir
ein Prozess wegen Körperverletzung angehängt werden sollte,
war es endgültig vorbei mit meiner Anstellung. Der Anklage
konnte ich damals zwar entgehen, weil ich meinem
Kontrahenten
außergerichtlich
einen
hübschen
Abfindungsbetrag gezahlt hatte, und er auf die
Weiterverfolgung verzichtete und später bei der Polizei zu
Protokoll gab, dass er gar nicht ernsthaft verletzt worden war;
aber ich war arbeitslos und meine Reserven schrumpften. Ich
verkaufte das Haus und lebte etwas eingeschränkter. Die
Miete für die kleine Wohnung die ich mir abseits des
Hafenviertels gemietet hatte, wurde von mir für einen
Zeitraum von zwei Jahren im Voraus bezahlt und ich zog
durch andere Kneipen in der Stadt, den Hafen vermeidend.
Doch die Sehnsucht nach dem Wasser war größer. Ich trieb
mich dann doch wieder fast jeden Tag im Hafen herum; aber
meinen Alkoholkonsum schränkte ich wesentlich ein. Nur
wenn im Traum die Augen wieder erschienen, kam es vor,
dass ich schweißnass aus dem Bett kroch, mich anzog und
mich in eine der Kneipen, die vierundzwanzig Stunden am
Tag geöffnet waren verzog. Hier versuchte ich dann den
anklagenden Blicken, die in meinem Kopf spukten, durch
Exzesse zu entgehen. Mein Auto habe ich während der
meisten Zeit nicht gesehen; entweder hatte ich es in der
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Garage stehen, oder vor einer der Kneipen. Wenn ich mich
dann daran erinnerte, holte ich es nüchtern geworden wieder
ab, und ließ es dann wieder in der Garage schmoren.
Hin- und wieder bemühte ich mich um Gelegenheitsjobs im
Hafen, als Gabelstapelfahrer, als Packer und als
Hallenaufseher. Wenn ich nur lange genug nüchtern blieb, war
ich auch für die Lagerhausgesellschaft ein brauchbarer
Mitarbeiter. Als nach einer langen Serie von Diebstählen die
Sicherheitsvorkehrungen erhöht wurden und eine eigene
Wachmannschaft von der Firmenleitung zusammengestellt
wurde, hatte ich gerade eine Phase in der ich mich zurückhielt
und dem Alkohol aus dem Wege ging. Man berücksichtigte
meine Bewerbung und ich trug die schwarze Uniform des
Wachdienstes. Meine Beobachtungen, die ich auch nach
Dienstschluss machte, weil ich danach nicht mit den
Kameraden in die nächste Kneipe zog, führten dann auch zur
Entlarvung der Hintermänner der Diebstahlsserie. Es war
raffiniert aufgezogen gewesen und man erkannte, dass nach
ähnlichem Muster auch weiterhin die Lagerhallen ziemlich
unbemerkt ausgeräumt werden konnten. Das war der Moment
in dem sich die Firmenleitung entschloss, den Bad
Homburger Spezialisten für Sicherheitsvorkehrungen zu
engagieren. Da ich die Sicherheitslücken aufgedeckt hatte,
wurde ich beauftragt, dem Fachmann die speziellen
Gegebenheiten eines Hafenbetriebes näher zu bringen, um ein
Konzept zur Sicherung, möglichst ohne große Lücken,
installieren zu können. Die Zusammenarbeit mit Wiesel
machte mir Spaß und mit seiner unnachahmlichen Art, ruhig
zuzuhören, sein Gegenüber ausreden zu lassen, auch wenn es
manchmal wirr erschien, nahm mich sofort ein. Ich war
begeistert von seiner Art, die Dinge im Anschluss an eine
solche Besprechung treffend zusammen zu fassen und
logische Schlüsse zu ziehen.
Dennoch konnte diese fruchtbare Zusammenarbeit nicht
verhindern, dass ich eines Abends wieder in das große
55
schwarze Loch fiel. Wir hatten sehr intensiv diskutiert und ich
hatte ein paar technische Vorschläge gemacht, die Wiesel gut
gefunden hatte. Er bat mich doch ein paar Zeichnungen
davon anzufertigen, nachdem er meine Skizzen begutachtet
hatte. Er wusste, dass ich das konnte. Er machte mich darauf
aufmerksam, dass es sich natürlich um ganz geheime
Planungen handelte und ich damit sehr vertraulich umgehen
solle. Das war der Auslöser, denn auch damals waren es
geheime Pläne gewesen, die mir gestohlen worden waren und
die letztendlich zu dem Drama geführt hatten. Als ich dann in
meiner Wohnung vor dem Zeichenbrett stand und in die
Zeichnungen vertieft war, kam die Keule der Erinnerung. Ich
versuchte es mit einer Flasche Schnaps, die ich mir von einem
Kiosk geholt hatte. Ich trank, während ich zeichnete direkt
aus der Flasche. Als die Flasche leer war, verließ ich meine
Wohnung, die Pläne auf dem Zeichenbrett, die Notizen wild
auf dem Tisch verstreut. Ich torkelte in die nächste offene
Kneipe, trank weiter Schnaps und Bier bis man mich hinaus
warf. Mit einem Taxi fuhr ich dann in eine der immer
geöffneten Kneipen im Bordellviertel. Hier trank ich immer
noch weiter und ließ mich von einer der Liebesdienerinnen in
ihr Zimmer bugsieren. Als ich den nackten Leib der sicherlich
nicht unattraktiven Frau dann vor mir sah, wurde alles nur
noch schlimmer und ich rannte hinaus, warf einen Schein auf
den Bartresen und suchte mir eine andere Kneipe, in der ich
weiter Schnaps und Bier in mich hineinschüttete. Ich bekam
nicht mit, dass die Tageszeiten wechselten, ich trank nur. Mit
meiner Bankkarte hatte die Bedienung zwischendurch immer
die Zwischenrechnungen direkt von meinem Konto
abgebucht. Irgendwann hatte ich dann die Kneipe verlassen
und mit einem Vorrat von weiteren Schnapsflaschen meine
Wohnung erreicht. Hier hatte ich weiter gesoffen, bis ich
ohnmächtig vor meinem Zeichenbrett zusammenbrach.
So hatte mich Wiesel nach drei Tagen in meiner Wohnung
gefunden, nachdem er sich Sorgen gemacht hatte über mein
56
Verschwinden. Er hatte es leicht gehabt in die Wohnung zu
kommen, denn die Tür war nur angelehnt gewesen.
Er war es dann auch, der mich in mein Bett geschleppt
hatte und abends wiedergekommen war und neben meinem
Bett saß, als ich erwachte. Er hatte mir eine starke
Fleischbrühe einverleibt, so lange bis er sicher war, dass ich
nicht wieder zusammenbrechen würde. Dann hatte er mich
ins Bad gescheucht, damit ich mich duschen und rasieren
konnte, weil er meinte, ich würde stinken wie eine Mülltonne,
die tagelang in sengender Sonne gestanden hätte. Als ich ihm
dann später, frisch gewaschen und rasiert im Anzug gegenüber
saß – er hatte darauf bestanden, dass ich mich „ordentlich“
anzuziehen hätte, wenn wir zusammen reden würden – hatte
er aus einer Papptragetasche eine Flasche Rotwein und zwei
Gläser hervorgeholt und die Flasche aufgezogen und
eingeschenkt. Mir drehte sich zwar der Magen um, als ich den
Alkohol sah, aber er hatte darauf bestanden, dass wir
zusammen diesen Wein genießen sollten. Ich trank nur
zögerlich und beobachtete den Mann, der ohne mir Vorwürfe
zu machen dort saß und genüsslich an seinen Rotweinglas
nippte, den Wein über die Zunge rollen ließ und sichtlich das
Vergnügen des Geschmacks genoss. Ich versuchte es ihm
nach zu tun, und war verwundert, dass Wein so gut
schmecken konnte.
Nach einer ganzen Weile des Schweigens brachen bei mir
alle Dämme und ich wurde zum ersten Mal los, was mich so
lange schon belastete. Ich sprach von der Liebe, von der
unendlichen Glückseligkeit der Zeit, die ich mit Vanessa
empfunden hatte, bevor ich sie entlarvte. Ich sprach von der
Faszination der Berührungen ihres Körpers, ihrer Art mich
immer wieder zu erregen, meine geheimsten Wünsche zu
befriedigen, immer vorausahnend wann ich in welcher
Stimmung war. Ich sprach von der Harmonie der geistigen
und körperlichen Beziehung, die vorhanden gewesen war und
von der tiefsten Enttäuschung, die ich hatte erfahren müssen.
57
Und ich sprach von der immer wieder kehrenden Qual zu
wissen, sie getötet zu haben, von den mir immer wieder
erscheinenden anklagenden Augen und der tiefen
Verzweiflung, die mich jedes Mal ergriff. Von meinen
untauglichen Versuchen aus diesem Dilemma heraus zu
kommen, meinen Gefühlen der Schuld, die mich nicht mehr
loslassen wollten.
Er hatte mich nicht einmal unterbrochen, sondern hatte mir
schweigend und aufmerksam zugehört und dabei hin- und
wieder an seinem Glas Rotwein genippt. Ich war nach diesem
Gefühlsausbruch in mich zusammengefallen und hatte gerade
nach dem Glas gegriffen um es mit einem Schluck zu leeren,
als er mich scharf stoppte.
„Waldemar Teufel, Sie tun sich, mir, und der ganzen
Umwelt, auch nicht der Toten einen Gefallen, wenn Sie sich
nicht sofort umbringen, sondern es auf Raten versuchen,
indem Sie untaugliche Mittel einsetzen. Sie können sich zwar
mit Alkohol umbringen, aber benutzen Sie bitte, wenn Sie
schon kein geeigneteres Mittel finden, wenigstens nicht
meinen hervorragenden Rotwein.“
Ich weiß bis heute nicht, warum ich das Glas nicht an den
Mund führte und aussoff. Ich erstarrte mitten in der
Bewegung und Wilhelm Starck nahm mir das Glas aus der
Hand und stellte es sanft auf den Tisch zurück.
„Teufel, es ist kein leichtes Schicksal, das Sie zu tragen
haben; aber es ist ein tragbares. Die Wellen des Selbstmitleides
sollten Sie nicht überschwemmen, sondern Sie sollten sich
dagegen stellen. Wenn Sie schon nicht stark genug sind, sich
umzubringen, sollten Sie wenigstens so stark sein, zu leben.
Und zwar so, dass es sinnvoll ist, dass Sie Ihre Fähigkeiten
einsetzen Unrecht und daraus entstehenden Kummer zu
bekämpfen. Nur dann werden Sie eines Tages mit ihren
Schuldgefühlen ins Reine kommen. Wenn ich es kann, will ich
Ihnen dabei gerne helfen und dazu gehört als erstes Ihnen
beizubringen, dass auch ein alkoholisches Getränk dem
58
Genuss dienen kann, und nicht nur der Betäubung, die noch
nicht einmal eine ist. Und wenn Sie Kleinigkeiten dieses
Lebens wieder genießen können, dann sind Sie auf dem
besten Wege, das Leben insgesamt wieder zu genießen. Sehr
zum Wohle.“
Wir hatten uns zugetrunken und die Ruhe die er ausstrahlte,
hatte auf mich gewirkt. Die unerträgliche Spannung in mir war
gewichen und wir hatten in Eintracht zusammengesessen und
waren später zu einem Essen in einem guten Restaurant der
Stadt gefahren. Er hatte von seinem Beruf erzählt, von den
unterschiedlichsten Aufgaben, die seiner Firma immer wieder
gestellt wurden.
Er hatte mir mitgeteilt, dass die Lagerhausgesellschaft mich
gefeuert hätte, aber er hatte mich gebeten die angefangenen
Pläne für ihn auszuarbeiten. Er würde mich auf freiberuflicher
Basis entlohnen. Und er hatte mir in Aussicht gestellt, dass er
sich mit ähnlichen Aufgaben wieder an mich wenden würde.
Ich solle mir doch Gedanken darüber machen, ähnlich wie er,
ganz in dieser Branche zu arbeiten und mir versprochen mich
bei meinen Bemühungen zu unterstützen, das Ziel der eigenen
Agentur zu erreichen.
Mit seiner Fürsprache bekam ich die Chance in einer
internationalen Wirtschaftsdetektei arbeiten zu können und
den Beruf zu erlernen. Es war eine außerordentlich vielseitige
Ausbildung bei der ich auch im Ausland eingesetzt wurde.
Vor drei Jahren hatte ich mich dann hier in meiner
Heimatstadt selbstständig gemacht.
Die
ersten
Aufträge
waren
unspektakuläre
Nachforschungen nach gestohlenen Firmenunterlagen, die
zwar keinerlei geldlichen Werte darstellten, wohl aber beim
Fehlen von dem Finanzamt angefordert werden konnten und
Schwierigkeiten mit diesen Behörden vorprogrammiert wären.
Die Aufklärung des Falles war dann umso überraschender
gewesen. Ein männlicher Auszubildender, der mit der Ablage
59
dieser Abteilung beauftragt war, hatte keine Lust gehabt die
Aufgabe zu erfüllen und hatte die Sachen einfach mit nach
Hause genommen um sie dort sukzessiv in die Mülltonne zu
werfen. Aber da er auch hier zu faul gewesen war, konnten die
meisten Unterlagen wieder sichergestellt werden.
Auch die nächsten Fälle waren wirtschaftlicher Art gewesen
und von mir restlos aufgeklärt worden.
Lediglich ein Fall eines Versicherungsbetruges hatte nur zu
einem Vergleich führen können, da ich nicht zwingend
beweisen konnte, dass der gemeldete Schaden vorsätzlich
herbeigeführt worden war.
60
Teufel in der Kirche
Wie nahe ich an einem schlimmen Schicksal
vorbeigeschrammt war, begriff ich erst, als ich zum ersten Mal
in das Einzimmerloch im zehnten Stock der
Hochhaussiedlung am Rande der Stadt getreten war. Schon
der Eingang dieses Hauses mit den Schmierereien an der
Eingangstür, den Wänden des Eingangsflures, den
zerbrochenen Scheiben des Hofausganges, die überquellenden
Papierkörben unterhalb der Briefkastenanlage, waren
schockierend. Die Jungens, die vor der Tür Ball gespielt
hatten, in ihren hochmodernen Turnschuhen, den mit Logos
von Popgruppen voll geknallten Seidenblousons hatten der
jungen Frau neben mir ungeniert nachgepfiffen. Die etwas
älteren unter ihnen, die an der Wand gelümmelt, mit
Tarnjacken und Springerhosen und Schuhen angetan, meist
kahlgeschorenen Köpfen und Bierdosen in den Händen,
hatten ihr nachgerufen: „Na, Eva, wo haste den denn
aufgegriffen. Der hat ja nen richtigen Anzug an. Schnelle
Nummer für ne Pulle Schnaps, oder gibt’s richtig Bares auf
die Kralle. Ich hol Dir dann den Schnaps, gegen gutes
Trinkgeld.“
Einer, der sich als ihr Anführer aufspielte, war heran
gekommen, hatte seine Hand nach mir ausgestreckt und
meinte: „Die Scheine kannst mir gleich geben, nun mach
schon.“
Er hatte sich scheinbar in meiner Größe geirrt, denn mein
rechter Arm war vorgeschossen, hatte seine Jacke gegriffen
und ihn an mich heran gerissen. Ich hievte ihn kurz an, dann
stieß ich ihm mit Kraft in die Gruppe der anderen. Er flog
gegen drei seiner Kumpel und riss sie dabei um. Bier spritzte
aus den Dosen.
„Verschwindet, aber schleunigst, sonst nuckelt ihr das Bier
nur noch mit Strohhalm.“
61
Ich hatte mich weggedreht und wollte Eva folgen, aber ich
hatte nicht mit der Zähigkeit und der Hinterlist des Anführers
gerechnet. Außerdem musste er sich vor seinen Kumpels
wohl beweisen. Ich hörte ihn nur hinter mir und als ich mich
blitzschnell drehte, blitzte das große Springmesser schon in
seiner Hand. Er wollte sich auf mich stürzen und das Messer
von unten nach oben in meinen Körper ziehen. Einem
Ungeübten wäre eine Verletzung nicht erspart geblieben. Aber
ich hatte Übung. Ich drehte meinen Körper aus der
Angriffslinie, hebelte den Messerarm von unten und schlug
mit der flachen Hand mit meiner Rechten auf sein
Handgelenk. Es brach mit hässlichem Geräusch. Ich störte
mich nicht an seinem Geschrei, sondern folgte Eva, die mich
aus verängstigten Augen ansah. Ich folgte ihr zum Aufzug.
Das Blech der Kabine war mit obszönen Sprüchen und
Zeichen mit Farbe besprüht oder direkt in das Blech gekratzt,
verziert: Hier konnte man schon etwas lernen. Mich wunderte,
dass die Kabine sich überhaupt in Gang setzte und im
zehnten Stock sich wieder die Türen öffneten. Über eine
Balustrade, die scheinbar um das ganze Haus lief, und von der
die einzelnen Wohnungen abgingen gelangten wir zu ihrer
Wohnungstür. Die Ansammlung von Mülltüten im
Eingangsflur war sehenswert, denn überall ragten nur leere
oder auch noch verschimmelte halbvolle Pizzaschachteln und
vor allem leere Flaschen. Es war kaum Platz für einen
Durchgang. Die Ansammlung von Müll setzte sich auch im
angrenzenden Zimmer, einer Kombination aus WohnSchlafzimmer und Küche, fort. Überall lagen und standen auf
dem Fußboden und dem Tisch leere Flaschen und
überquellende Aschenbecher. Es stank erbärmlich. Auf dem
Spülbrett türmte sich wahrscheinlich ihre gesamte Habe an
Geschirr – dreckig und zum Teil vor sich hinschimmelnd. Eva
hatte beim Eintritt eine einladende Handbewegung gemacht,
aber sie konnte nur gemeint haben, dass ich aus dem Fenster
62
springen sollte, denn hier gab es nichts, was zum Verweilen
einlud.
Eva war auf den einzigen freien Sessel gesunken und hatte
die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie heulte.
Ich schaute mich um. So sieht es also bei einer ehemaligen
Fremdsprachensekretärin aus, die an den Suff gekommen ist.
Ich hätte auch anfangen können zu heulen und mir wurde
bewusst, wie mich damals Wiesel gefunden haben musste. Viel
besser hatte es bei mir sicherlich nicht ausgesehen. Ich zog
mein Jackett aus und warf es mit zu dem Kleiderhaufen auf
ihrem Bett und krempelte dann wortlos die Hemdsärmel auf.
Ich schnappte mir vier Müllsäcke aus dem Eingangsbereich,
die Wohnungsschlüssel, die sie von innen gesteckt hatte und
fuhr mit meiner Last wieder hinunter und suchte die
Mülltonnen. Die Jungens, die vor der Tür gespielt hatten,
waren jetzt verschwunden und ich kam ungehindert zu der
Mülltonnenanlage, wo ich die ersten Teile des Gerümpels in
die Tonnen warf, die, obwohl sie gestern erst geleert worden
waren, wie ich wusste, schon wieder fast gefüllt waren. Die
ersten der Mitbewohner hatten es schon nicht mehr für nötig
gehalten, die Deckel der Tonnen anzuheben. Sie hatten ihre
Müllsäcke gleich vor die Anlage geworfen. Ich musste noch
viermal fahren um den gröbsten Dreck aus der Wohnung zu
schaffen. Dann gingen die Tüten aus.
Als ich das erste Mal wieder nach oben gekommen war,
hatte Eva immer noch heulend auf dem Sessel gehockt und
ich hatte sie angeschrienen, dass sie endlich anfangen solle das
Geschirr abzuwaschen. Jetzt war sie dabei. Ich half ihr beim
Abtrocknen und sie sagte mir wohin mit dem Geschirr.
Dann hatte ich die Müllkippe „Badezimmer“ besichtigt. Ich
hatte ihr den Auftrag gegeben die Wanne und das
Waschbecken zu säubern und sich dann in die Wanne zu
begeben, damit auch der Gestank, den sie verströmte,
verschwinden konnte.
63
Während sie im Badezimmer herumfuhrwerkte, ging ich
wieder hinaus und klingelte an der nächsten Wohnungstür,
um mir noch ein paar Tüten für den restlichen Müll zu
besorgen. Die Tür wurde erst nach dreimaligen Klingeln
geöffnet, obwohl ich drinnen den Fernseher brüllen hörte.
Ein dicker Mann, dessen Bauch nur von einem Unterhemd
bedeckt war und über den Hosenrand schwabbelte, machte
unwillig auf und wollte mich gerade anschnauzen, als ich ihm
mit einem fröhlichen „Guten Tag, können Sie mir bitte
helfen?“ den Wind aus den Segeln genommen hatte. Er
schaute nur noch verdutzt, denn höflich angeredet worden
war er scheinbar in der letzten Zeit noch nie.
„Was wollen Sie? Ich kauf nix.“
„Haben Sie bitte ein paar leere Einkaufstüten, die ich als
Müllsäcke verwenden kann? Ich wäre Ihnen dankbar.“
Er sah mich an, als ob ich ihn auf Chinesisch angesprochen
hätte und erst als ich meine Bitte wiederholte schaltete er und
ging zwei Schritte zurück und langte in den Nebenraum und
brachte eine Handvoll leerer Tüten zum Vorschein und
drückte sie mir in die Hand. Dann griff er zur Eingangstür
und verschloss sie vor meiner Nase mit einem Ruck.
Ich hatte, was ich wollte und marschierte zurück in Evas
Wohnung und räumte weiter Müll ein. Dann holte ich mir aus
der Küche aus einem Schrank einen Staubsauger und fing an
den Boden zu bearbeiten. Eva war immer noch im Bad, als ich
fertig gesaugt, den Sauger wieder zurückgestellt, meine Jacke
übergezogen, und den Restmüll in den Tüten verpackt hatte
und die Wohnungstür von außen verschloss. Ich wollte uns
etwas zu Essen und zu Trinken besorgen. Außerdem hatte ich
eine Verabredung mit dem Mann, der mich als Putzmann und
Bewacher für Eva eingestellt hatte. Der Stundenlohn betrug
immerhin 90 DM.
Der Kiosk war nicht weit entfernt. Hier standen Trauben
von Männern und Frauen mit verschiedenen Flaschen in den
Händen. Die Frauen tranken meistens aus den kleinen
64
Flachmännern, die Männer aus Bierflaschen oder Dosen. Als
ich herankam, wurde ich neugierig begutachtet. Ein Mann im
Anzug, war hier wohl schon länger nicht gesehen worden.
Ich fragte nach Brot, Tütensuppen, und bekam obendrein
noch einen Ring Hartwurst. Sogar Butter und Käse konnte ich
kaufen. Zwei Flaschen Rotwein und eine Flasche Weinbrand
vervollständigte meinen Einkauf. Vier Zehnmarkscheine legte
ich auf den Tresen und zählte das Kleingeld umständlich aus
meiner Tasche ab. Es schien, als wenn mir noch gerade ein
paar Münzen übrig blieben und ich wollte mich auf den
Heimweg machen, als mich einer der Männer ansprach.
Er hatte eine sehr unangenehme Alkoholfahne und
blutunterlaufenen Augen und fuchtelte mit seiner
angetrunkenen Flasche Bier vor meinem Gesicht.
„Bist du der Neue, der mit Eva gekommen ist und meinem
Jungen den Arm gebrochen hat?“
„Ja, ich bin mit Eva gekommen, aber wessen Balg das war,
der mit ´nem Messer auf mich losgegangen ist, weiß ich
nicht.“
Der Mann knallte seine Bierflasche derart heftig auf den
Verkaufstresen, dass Bier oben herausspritzte, dann wandte er
sich mir zu und brüllte: „Das war meiner und ich hau dir
welche auf die Schnauze. Kannst dich Mal mit ´nem richtigen
Mann prügeln und nicht nur an Jungens vergreifen, die sich
noch nicht richtig wehren können.“
Mit diesem Gebrüll wollte er sich auf mich stürzen. Ich
hatte vorsichtshalber meine Einkaufstüte abgesetzt, als am
Straßenrand ein Auto stoppte und sich ein Riese aus dem
Kleinwagen schälte und schon vom Straßenrand brüllte:
„Teufel – Kommen Sie sofort hierher!“
Der angreifende Mann und ich erstarrten durch das Gebrüll
des riesenhaften Mannes am Straßenrand, der weiterbrüllte:
„Wenn Sie auch nur gegen eine der Auflagen des Gerichtes
verstoßen, schick ich sofort zurück in den Bau. Verschwinden
Sie von hier; aber schleunigst.“
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Ich bückte mich nach meinen Einkaufstüten und der Riese
brüllte weiter: „Kommen Sie sofort hier rüber. Sie wissen,
dass Sie von unserem Geld keinen Alkohol kaufen dürfen.
Geben Sie her.“
Ich ging brav zu ihm, und händigte ihm die Tüte mit den
Flaschen aus.
„Das gilt auch für Euch. Verschwindet hier. Und Sie
kommen erst Mal mit mir“, dabei deutete er mit seinem
dicken Zeigefinger auf mich.
Bei den Anderen setzte wütendes Gemurmel ein; aber sie
verzogen sich seitlich hinter den Kiosk. Mich schickte er in
die andere Richtung, hatte mir aber unauffällig die Flaschen
zurückgegeben, dann war er auf den Kiosk zugegangen und
ich hörte noch, wie er lautstark auf den Kioskbesitzer
einsprach. Dann wurde es leiser und ich entfernte mich aus
der Sichtweite. Ich sah nur noch, dass die Menge sich wieder
zurück an den Kiosk bewegte und mit dem Riesen in eine
Diskussion verwickelt war. Ich versteckte meine Einkäufe
gleich neben den Mülltonnen und ging anders herum zurück
zum Kiosk.
Der Riese war verschwunden und die Zecher standen
wieder beisammen, wie vorher. Es wurde scheinbar nur
schneller getrunken. Ich meldete mich wieder beim
Kioskbesitzer und verlangte nach einem Six-Pack Bier; aber
gekühlt. Ich riss sofort eine Dose auf und trank gierig. Dabei
floss mir nicht wenig über meinen Kragen und tropfte auf
mein Anzugrevers.
Der Mann, dessen Sohn ich verletzt hatte, kam wieder auf
mich zu, nur diesmal wollte er sich nicht gleich auf mich
stürzen. Ich hielt ihn trotzdem mit den Worten zurück:
„Okay, wenn Wedemeier Euch schon erzählt hat, was für ´ne
Type ich bin, dann kannst du gewiss sein, dass ich, bevor ich
zurück in den Bau gehe, denjenigen Alle mache, der versuchen
sollte mich fertig zu machen.“
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„Ist schon gut, wir wollen dir ja gar nichts. Und wenn mein
Sohn meinte, er müsse auf dich losgehen, dann soll er erst Mal
lernen, die Leute richtig anzusehen. Wir dachten nur, du bist
so´n Neunmalkluger, den die Eva als Betreuer bekommen hat
und der uns hier ausspionieren will. Wir konnten ja nicht
wissen, dass du auch auf Wedemeiers Abschussliste stehst. Als
wenn’s sein Geld wäre, was er da verteilt. Als wenn man uns
vorschreiben müsste, wofür wir unser Geld ausgeben. Nichts
für Ungut, wir wollen hier nur Frieden und keine Kontrolle
durch das Amt.“
Ich bot ihm eine Dose Bier an, riss meine zweite Dose auf
und trank ihm zu. Wir waren plötzlich Freunde. Die anderen
schwatzten auch alle durcheinander auf mich ein, aber ich
sagte ihnen, dass ich bald besser Zeit hätte und wir dann
schwätzen könnten. Damit verdrückte ich mich wieder, holte
meine Sachen von den Mülltonnen und kehrte in Evas
Wohnung zurück.
Mein ganzer Ausflug hatte entweder kürzer gedauert, als ich
selbst gedacht hatte, oder Eva war plötzlich dem
Reinlichkeitswahn erlegen, denn als ich die Tür aufschloss,
war von ihr nichts zu sehen. Sie hatte aber in der
Zwischenzeit die ganzen Kleidungsstücke vom Bett entfernt
und hatte das Bett scheinbar auch neu bezogen. Es sah jetzt
schon wesentlich ordentlicher in der Wohnung aus. Die Tür
zum Badezimmer öffnete sich und im Rahmen stand die
splitterfasernackte Eva. Sie hatte ihr Haar in einen
Handtuchturban gewickelt und sah sehr mager aus. Die
Rippenbögen standen unterhalb eines schönen Busens, der
noch keinerlei Anzeichen des Hängens zeigte, obwohl sie
Mitte dreißig war, krass hervor. Die Hüftknochen stachen wie
Hungerhaken hervor. Sie jammerte: „Was soll ich denn nur
anziehen? Es ist alles dreckig.“
„Das am wenigsten verschmutzte, und morgen wird
gewaschen. Mein Anzug ist auch nicht mehr das Beste,
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vielleicht können wir morgen auch für uns beide etwas
organisieren.“
Sie eilte zurück ins Bad, ließ aber die Tür offen stehen. Ob
sie erhoffte, dass ich nachkommen würde um ihren nackten
Körper zu liebkosen, ob sie solange gewartet hatte um sich
dergestalt zu präsentieren? Ich wusste es nicht.
Ich fing jedenfalls an aus den Tütensuppen eine starke
Brühe zu kochen und stellte Brot, Butter und Käse auf den
Tisch. Die Flaschen hatte ich wohlweislich in den
Kühlschrank gestellt, denn ich wollte ihr keinen Alkohol
geben, bevor sie nicht vernünftig gegessen hatte.
Ich hatte lediglich für mich eine Dose Bier neben meinen
Teller gestellt.
Als sie dann endgültig fertig war und aus dem Bad kam, sah
sie mit dem frisch gekämmten Haar, einer hellen Bluse und
einem roten Rock ganz ansehnlich aus. Es war kein Vergleich
zu der Erscheinung, mit der ich heute Mittag hierher
gekommen war. Als ich sie heute Vormittag kennen lernte,
war alles an ihr stumpf gewesen. Ihr Haar, ihre Augen, ihre
Haut und ihre Kleidung, jetzt hatte sogar das Haar im Licht
der untergehenden Sonne, die zum Fenster herein schien,
wieder Glanz. Ich sagte es ihr und der Glanz kam jetzt bei ihr
auch von innen.
Ihre Augen glitten während des Essens immer wieder zu
der Bierdose. Die Gier nach einem Schluck Alkohol war ihr
anzusehen. Ihre Hände waren zitterig als sie die Tasse mit der
Brühe anhob um zu trinken.
Sie aß mehr als ich erwartet hatte, aber die immer größer
werdende Unruhe verriet, dass es nur eine Ersatzhandlung für
den Alkoholentzug war.
Nachdem die Sonne untergegangen war, kramte sie aus
einem Schrank eine Kerze und entzündete sie und wir saßen
noch zwei Stunden beim Kerzenschein und unterhielten uns
über längst vergangene Zeiten. Dann erst bot ich ihr ein Glas
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Rotwein an und es kostete sie sehr viel Kraft langsam zu
trinken.
Später weinte sie sich bei mir aus. Ich saß neben ihr auf der
zerschlissenen Couch, hatte einen Arm um sie gelegt und
ihren Kopf an meiner Schulter gebettet. Ich brachte sie ins
Bett, als ihr Körper anfing zu zucken. Ich lag die ganze Nacht
neben ihr, den sich windenden Körper beschützend
festhaltend. Gegen Morgen war sie dann eingeschlafen.
Als sie noch schlief hatte ich mich ins Badezimmer
geschlichen und hatte geduscht und mich anschließend für
den heutigen Tag zurechtgemacht. Die Rasur hatte ich
bewusst vergessen.
Wir hatten viel vor heute; denn ich war hier nicht eingesetzt
um eine Alkoholikerin zu heilen, sondern um im
Sozialempfängermilieu Missbrauch zu ermitteln. Um eine
glaubhafte Figur abzugeben und selbst als Empfänger zu
gelten, hatten Lars Wedemeier, der Riese aus dem Sozialamt
und ich eine Legende geschaffen, wonach ich ein unter
Bewährung stehender entlassener Schwerverbrecher war. Lars,
den ich aus ganz alten Zeiten kannte, als er vielen Menschen
nach dem Zusammenbruch der Werft geholfen hatte, war mir
zufällig in der Innenstadt über den Weg gelaufen und wir
hatten uns in einer gutbürgerlichen Kneipe zu einem
gemeinsamen Essen zusammengesetzt. Ich hatte ihm von
meinem damaligen Absturz und meiner späten Karriere als
Privatermittler erzählt. Ich hatte ihm auch gesagt, dass ich
gerade eine eigene Agentur hier in der Stadt eröffnet hatte. Er
war zunächst sehr skeptisch zu meinen Berufsaussichten; aber
als ich ihm von verschiedenen Einsätzen in anderen Städten
und Ländern erzählt hatte, war sein Interesse gewachsen und
er hatte mir von seinen Sorgen erzählt. Er hatte von der
schlechten Organisation seines Amtes und den schreienden
Ungerechtigkeiten, die für ihn als Kassierer und damit
„Auszahler“ der Leistungen so häufig zu erkennen waren.
Wenn auf der einen Seite ältere Menschen, die ohne durch
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nähere Verwandte versorgt zu werden, an sich und eigenem
Komfort sparten und dennoch gespartes Heizungsgeld
zurückzahlen mussten und wenn diesen Menschen, denen der
Gang zum Amt schon als Bettelei vorkam, lieber noch
weniger aßen und nicht das Kleidungsgeld einforderten. Auf
der anderen Seite wurden an durch bestens beratene
Ausländer Unsummen ausgegeben. Wenn diese Menschen,
nicht nur Ausländer, sondern auch, wie er sich ausdrückte,
ausgebuffte Arbeitsscheue, nicht erst persönlich vorbei
kämen, sondern sich durch darauf spezialisierte Anwälte oder
Organisationen vertreten ließen; dann empfand er die
Ungerechtigkeiten des Systems. Wenn diese Menschen zwar
zu unangemessen hohen Zuwendungen des Staates kamen;
aber auf der anderen Seite damit die Anwälte und
Organisationen bezahlten. Er war sich sicher, dass
verschiedene Organisationen nicht nur die Ärmsten der
Armen ausbeuteten, sondern, dass von dieser Seite auch noch
Betrug begangen wurde. Er drückte sich ein wenig mehr im
Amtsdeutsch aus und sprach von aktiver Anstiftung zum
Leistungsmissbrauch.
Ich hatte ein wenig gelächelt und ihn nach den Maßnahmen
gefragt, die gegen diese Machenschaften ergriffen worden
seien. Er hatte die Schultern gezuckt und gesagt:
„Waldi, dass ist das Schlimme. Nichts, gar nichts. Wir im
Amt kommen noch nicht einmal nach, die Anträge ordentlich
zu bearbeiten. Die Polizei kann nur eingreifen, wenn
offensichtlich Betrug erwiesen ist, die Staatsanwaltschaft greift
nicht ein, weil kein Ruhm und keine Ehre einzuheimsen ist,
und wer sollte sonst etwas unternehmen?“
Er hatte sich mächtig aufgeregt und mir gesagt, wir würden
später noch in eine ganz bestimmte Gegenden der Stadt
fahren, da könnte ich mich von dem „Leistungsmissbrauch“
direkt und vor Ort überzeugen. Und das taten wir dann auch.
Wir waren mit seinem Wagen, einem Kleinwagen in den er
nur mit größter Mühe einsteigen konnte, denn immerhin ist
70
Lars Zwei Meter Fünf groß und wog etwas über zweieinhalb
Zentner, in ein so genanntes soziales Randgebiet gefahren und
waren dort in eine Kneipe gegangen. Er hatte mich gebeten,
sowohl meine Krawatte, als auch mein Jackett gut im
Kofferraum zu verstauen. In der Kneipe war mir sofort klar,
warum er das verlangt hatte. Denn in meinem Anzug wären
wir noch nicht einmal zur Tür hereingekommen und ich wäre
verprügelt worden, ob nun so ein Bär neben mir war, oder
nicht.
Wir hatten uns am Rande der Bar auf Hockern
niedergelassen und hatten Bier bestellt und den hitzigen
Diskussionen über die Ungerechtigkeiten dieses Sozialstaates
gelauscht. Dass diese miesen Ausländer, vor Allem diese
„Scheiß-Asylanten“ dafür sorgten, dass sie hier noch nicht
einmal genügend Geld zur Verfügung hätten, um einen
ganzen Monat hier zu trinken. Alle bekämen Urlaubsgeld, nur
sie bekämen nichts, und wenn man Mal einen kurzen Job
bekam, dann wären die sowieso schon da, und machten einem
den Prozess wegen Schwarzarbeit. Die Schwarzarbeit war ein
ganz heißes Thema an diesem Abend, denn man hatte wieder
einige der Thekenmannschaft auf einer nahe gelegenen
Baustelle erwischt. Dann öffnete sich die Tür und zwei
Kameraden, die höchst angetrunken schienen, riefen nur zum
Wirt, er möge doch das Taxi bezahlen, weil sie nur großes
Geld bei sich hätten. Dann reihten sie sich in die
Thekenmannschaft und bestellten Bier und Schnaps.
Erst als die Männer anfingen zu knobeln, wurde das Thema
Schwarzarbeit fallengelassen. Die beiden Spätankömmlinge
hatten dann was zu Meckern und wollten weiter. Der Wirt
musste ein weiteres Taxi bestellen um sie in die nächste
Kneipe zu bringen. Taxen schienen die einzigen
Transportmöglichkeiten der Leute in dieser Kneipe zu sein.
Es wäre gut so gewesen, denn keiner hätte sich noch ans
Steuer eines Autos setzen dürfen; aber Lars machte mich
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darauf aufmerksam, dass alle versammelten Männer und
Frauen hier in der Kneipe Sozialhilfeempfänger seien.
Als derjenige, der die meisten Knobelrunden verloren hatte,
dann dem Wirt seine Autoschlüssel zur Aufbewahrung über
den Tresen reichte und meinte er solle gut auf seinen Schlitten
aufpassen bis zum nächsten Tag, wurde ich neugierig auf sein
Fahrzeug. Lars zeigte es mir: Ein Mercedes neuester Bauart.
C-Klassen Fahrzeug, das hier vor der Tür im Halteverbot
stand. Ich konnte nicht anders: Ich rief die Polizei über mein
Handy und bat um den Abschleppdienst, weil eine Ausfahrt
versperrt sei. Wir hatten uns wieder an die Bar gesetzt und ich
beobachtete weiter das muntere Treiben. Die Umsätze in
dieser Kneipe waren mehr als gut. Als zehn Minuten später
der Abschleppwagen kam und die Besatzung eines
Streifenwagens nachfragte, wem das vor der Tür geparkte
Auto gehöre, war die Aufregung groß. Man fragte sich,
welcher Idiot die Polizei gerufen hätte. Der Wagenbesitzer
nahm die kostenpflichtige Verwarnung an und musste auch
noch die Anfahrt des Abschleppwagens zahlen, was er mit
großspuriger Geste tat. Der Wirt erklärte, nachdem er für den
Wagenbesitzer ausgesagt hatte, dass der schon den
Wagenschlüssel abgegeben habe, und er, der Wirt nur noch
nicht dazu gekommen sei, ihn auf den Hof zu fahren. Die
jetzt
einsetzende
Diskussion
über
die
weiteren
Ungerechtigkeiten der Staatsbediensteten wurde uns zuviel
und wir gingen, nachdem wir jeder zwei kleine Bier bezahlt
hatten.
Als wir wieder in seinem Kleinwagen unterwegs waren,
klärte er mich über den Wagenbesitzer auf. Er war ebenfalls
ein Sozialhilfeempfänger und arbeitete unentgeltlich für eine
christliche Sekte und betreute dort die Armen. Sie hatten
gerade in der Gegend, wo wir herkamen, eine Suppenküche
für Obdachlose und andere Sozialhilfeempfänger aufgemacht.
Sie wurden großzügig von den Einzelhandelsfirmen und
Einkaufsmärkten dieses Viertels unterstützt, die der Küche
72
ablaufende Lebensmittel und andere nicht mehr zu
verkaufenden Dinge für diesen Zweck zur Verfügung stellten.
In anderen Stadtteilen, gerade in den Hochhaussiedlungen
nordöstlich der Stadt, die fast ausschließlich nur noch von
Sozialhilfeempfängern bewohnt wurden, war diese
Einrichtung schon seit mehreren Jahren mit Erfolg eingeführt
worden. Der Hauptsitz der christlichen Gemeinde sei dort
angesiedelt.
Ich war beeindruckt, denn es schien mir endlich eine
Einrichtung, die nicht am Ziel vorbei, den wirklich
Bedürftigen zu Gute kam. Als ich dies ausdrückte, lachte Lars
nur bitter und sagte:
„Wenn es so wäre, wie es aussieht, dann wäre es gut. Aber
es ist doch ganz anders. Die Stadt unterstützt diese
Einrichtungen mit direkten Zahlungen, wir geben
Essensgutscheine für die Hilfsempfänger aus, die dort
eingelöst werden, 3 Mark fünfzig pro Essen und die
Hilfsempfänger, die dort Essen bekommen, müssen als
freiwillige Helfer dort die Drecksarbeiten machen. Die
Kochen und Putzen, teilen aus und sammeln auch noch die
Gaben bei den Händlern ein. Wie die steuerliche
Unterstützung dieser tollen Einrichtung ist, weiß ich nicht.
Und die Läden haben Zulauf, das kannst du dir nicht
vorstellen. Es können ja auch sonstige Bürger dort ihr Essen
bekommen – das kostet dann aber mindestens 7 Mark.
Die meisten Essensmarken werden aber nicht für Essen
sondern für Schnaps eingetauscht. Ich vermute, dass einige
„freiwillige Mitarbeiter“ nebenher noch Großmarktkunden
sind und dort Alkoholika einkaufen und gegen Essenmarken
tauschen. Wir wissen auch von einigen Kiosken, dass man
dort Essenmarken in Zahlung geben kann, für Zigaretten und
Schnaps. Die werden dann gegen Abschlag en gros wieder bei
den „Christen“ eingetauscht.“
73
„Und warum hat man dagegen noch nichts unternommen?“
Wenn es so klar auf der Hand liegt, dann müsste es doch ein
leichtes sein, das zu beweisen.“
„Ist es aber nicht. Immer wenn wir mal kontrolliert haben,
stimmten die Anzahl der gekochten Essen mit den
eingenommenen Marken überein. Drei überraschende Razzien
haben wir bisher gefahren, immer mit dem gleichen Ergebnis.
Da geht jetzt kein Staatsanwalt oder Richter mehr dran, denn
es hat natürlich seitens der Gemeinde massenweise
Beschwerden gegeben. Die größte Frechheit war allerdings,
dass sie uns angeboten haben, einen ständigen Kontrolleur
dort einzustellen, damit wir auch alles genauestens
überwachen könnten. Mit Gewichtskontrollen und so. Die
wissen ganz genau, dass wir keinen aus unserem Amt dafür
abstellen können. Die haben uns, die Staatsanwaltschaft und
die Kontrolleure einfach lächerlich gemacht – und das ärgert
mich besonders.“
„Und wenn doch alles mit rechten Dingen zugehen sollte?“
„Ach Waldi, ich glaub es nicht – ein paar von meinen
Vorgesetzten glauben es auch nicht, aber ein paar ganz oben
aus dem Amt, die sich bei jeder Einweihungsfeier die Bäuche
mit den echt guten Zutaten voll schlagen und sich in die
Blitzlichtgewitter der Presse stellen können, sind natürlich von
den Ideen der Macher begeistert. Die sind so begeistert, dass
so genannte „Nachahmer“, wie ein Frauenverein im
Arbeiterviertel, keine Chance bekommen ein solches Projekt
ebenfalls aufzuziehen. Man wolle die Kräfte nicht zersplittern,
heißt da die Begründung.“
Seine Verbitterung war immer noch deutlich zu spüren, als
wir uns bei meinem Auto verabschiedeten und uns gegenseitig
versprachen in Kontakt zu bleiben. Ich hörte etwa zwei
Monate nichts von ihm und ich hatte inzwischen eine
Bestechungsaffäre in der Baubranche aufklären können. Die
Versuche, diese Affäre intern in der Stadtverwaltung zu
vertuschen, waren an meiner Hartnäckigkeit gescheitert und
74
an der Einsicht eines fähigen jungen Staatsanwaltes. Mit ihm
hatte ich einen Deal aushandeln können, der mich als
Ermittler völlig draußen ließ, er aber dafür meine ganzen
Akten zur Verfügung hatte. Mein Auftraggeber, eine
Konkurrenzfirma der unlauteren Baufirma war mit diesem
Deal einverstanden gewesen und hoffte nun wieder auf die
faire Zuteilung und Zuschläge bei öffentlichen
Baumaßnahmen. Aber ganz so geheim wurden die Details
über die Nachforschungen, dann doch wohl nicht gehalten,
denn Lars rief mich eines Abends an und bat mich, ihn und
einen weiteren Mitarbeiter des Sozialamtes außerhalb der
Stadt zu treffen. Das machte mich wegen des Treffpunktes
stutzig, aber ich sagte zu. Wir trafen uns vor einem ländlichen
Lokal, etwa siebzig Kilometer von der Stadt entfernt und Lars
stellte mir seinen Begleiter als einen Herrn Meier vor. Das
Lokal war hervorragend für konspirative Treffen dieser Art
geeignet, denn man saß in durch Fachwerk abgetrennten
Kojen, die nur vom Kellner bei Servieren eingesehen werden
konnten. Obwohl der Raum offen war, konnte die Intimität
gewahrt bleiben. Und wir hatten die letzte Eckbox im großen
Saal. Wer allerdings am Nebentisch eine Abhöreinrichtung
bediente, wäre mehr als fündig geworden.
Ich hatte Lars und Herrn Meier freundlich angelächelt und
war dann zum Kellner gegangen und hatte die Box neben uns
für meine weiteren Gäste reservieren lassen. Dies war keine
Schwierigkeit gewesen, denn das Lokal war an diesem Abend
nur schwach besucht, was ich angesichts der Preise in der
Karte dann etwas später sehr gut verstand. Meier und Lars
hatte nichts mitbekommen von meiner Vorsichtsmaßnahme,
denn ich hatte schon im ersten Moment als mich Lars
vorstellte, gesehen wer Herr Meier in Wirklichkeit war:
Winfried Lehmkuhl, der Minister für Soziales der Stadt. Da
ich mich natürlich nach meinem Gespräch mit Lars über die
Zustände auf dem Sozialsektor beschäftigt hatte, war mir sein
75
Bild nicht unbekannt. Ich machte, nachdem ich zurück war
auch sofort reinen Tisch indem ich sagte:
„Ich weiß Ihren Willen zu schätzen nicht erkannt zu
werden und werde Sie beim angegebenen Namen nennen. Ich
habe mir erlaubt, den Nebentisch zu reservieren um keine
unerwünschten Mithörer zu haben. Was kann ich für Sie tun?“
Er war sichtlich überrascht. Er warf Lars einen fragenden
Blick zu aber dieser versicherte ihm, dass ich nichts hätte
ahnen können, denn er hätte nichts verlauten lassen. Der
Minister schien ihm zu glauben und er blickte mich
anerkennend an.
„So stelle ich mir einen erfolgreichen Ermittler vor. Sie sind
entweder verdammt gut, oder Sie haben sehr gute Fürsprecher
in unserer Stadt und in Bad Homburg. Ein gewisser John
Bradley aus London war sogar der Meinung, dass ich keinen
Besseren finden könnte. Ich habe mir die Akten über die
Baudeputation genau angesehen und meine, dass Sie gute
Arbeit geleistet haben. Aber wer hat sie damals auf die Idee
gebracht, dass da etwas faul sei?“
„Herr Meier, den Auftrag zu den Nachforschungen“, ich
sah wie seine Mundwinkel sich geringschätzig nach unten
verzogen, „bekam ich von Herrn Müller, der uns dort
drüben“, ich deutete auf den gegenüberliegenden Teil des
Saales, „gegenübersitzt. Mit dieser Auskunft müssen Sie sich
zufrieden geben. Wenn Sie nähere Einzelheiten wissen
möchten, unterhalten Sie sich direkt mit ihm.“
„Aber da sitzt niemand“, sagte er verwundert.
„Sehen Sie, das ist das Geheimnis. Wenn ich mich hier
umsehe, kann ich nur meinen alten Freund Lars entdecken
und sonst niemanden. Wenn Sie das ändern möchten, sagen
Sie es und die Presse wird sich begierig darauf stürzen, zu
erfahren, was eine Persönlichkeit wie Sie, mit einem
Privatermittler, wie mir, zu tun haben könnte.“
Jetzt hatte er begriffen. Ich würde einen Auftraggeber nicht
preisgeben, weder um einen neuen Auftrag zu erlangen noch
76
um mich einfach nur wichtig zu machen. Seine Mundwinkel
gingen wieder nach oben und er schaute mir direkt in die
Augen. Ich erwiderte seinen Blick, bis er nicht mehr konnte
und nach der Speisekarte griff. Lars war bei dem kurzen
Disput unruhig auf seinem Stuhl hin- und hergerutscht.
„Bitte lassen Sie uns zunächst wählen, wir können dann
später über die Angelegenheit sprechen.“
Wir hatte schnell gewählt und unsere Bestellung aufgegeben
und nachdem die Getränke serviert waren sagte ich: „Wir
sollten Ihre Wünsche so schnell wie möglich behandeln, denn
ich weiß nicht wie viele Gäste später hier noch herkommen.
Ich denke es geht Ihnen um ganz besondere Geheimhaltung,
und daher sollten wir es möglichst bald hinter uns bringen.“
Ohne zu Zögern begann Meier: „Die Zustände in der Stadt
und im Amt sind Ihnen von Herrn Wedemeier schon
geschildert und zum Teil vorgeführt worden. Wir gehen
inzwischen davon aus, dass weitergehender Missbrauch durch
die Christliche Gemeinde betrieben wird. Ich kann die
Staatsanwaltschaft nicht wieder einschalten, weil wir uns zu
viele blaue Flecke geholt haben und mehrfach geradezu
vorgeführt wurden. Da ich davon ausgehe, dass dieser
Missbrauch über die Grenzen verschiedener Bundesländer
betrieben wird, habe ich mit meinen Kollegen der
Anrainerstaaten absprechen können, auf einen internen Fond
zurückgreifen zu können. Die Herrschaften sind nicht darüber
informiert, was ich vorhabe und wogegen sich eine Aktion
meinerseits richtet. Sie waren nur bereit, mich zu unterstützen.
Ich hatte noch keinen festen Plan als ich um die
Unterstützung bat, aber als vor zwei Wochen der direkte
Vorgesetzte von Herrn Wedemeier zu mir kam und über
weitere Beobachtungen, die Herr Wedemeier angestellt hatte,
berichtete, und er auch noch von den Kontakten zwischen
Ihnen beiden erzählte, wurde mein Plan konkreter. Ich stellte
Nachforschungen über Sie an.“
77
Er unterbrach sich, weil der erste Gang aufgetragen wurde.
Erst nachdem die Kellner nachgeschenkt hatten und wieder
aus dem Blick- und Hörfeld verschwunden waren, sagte ich:
„Sie stellten, oder ließen stellen?“
„Ich hatte ein vertrauliches Gespräch mit Herrn
Staatsanwalt Schmücker, der mir die Referenzadressen zur
Verfügung stellte. Dort habe ich dann persönlich nachgehakt.
Ich hatte lange Gespräche mit Herrn Starck und Herrn
Bradley und nach meinem heutigen Eindruck hier, glaube ich,
den richtigen Mann für eine derartige Aufgabe gefunden zu
haben.“
Wir aßen schweigend weiter und ich wartete auf die
Erklärung seines Planes. Er ließ sich Zeit und erst als der erste
Gang abgeräumt war, kam er darauf zurück.
„Gemeinsam mit Schmücker und Wedemeier, möchte ich
Sie in diese Organisation einschleusen, damit Sie die Beweise
für die Betrügereien erbringen können. Wir vier werden die
Einzigen sein, die von diesen Ermittlungen wissen. Falls
Schmücker Hilfe zu Ihrer Tarnung braucht, wird er sie nicht
bei uns im Lande finden, sondern von außerhalb holen
müssen. Er meinte aber, dass er schon Ideen dazu hätte. Sie
werden mich ebenfalls nicht wieder zu sehen bekommen,
denn nach dem heutigen Abend wird alles nur noch zwischen
Schmücker, Ihnen und Wedemeier laufen. Ihre Planungen
sollten bei Ihnen zu Hause gemacht werden. Wedemeier kann
als Freund sowieso bei Ihnen ein und ausgehen, Schmücker
könnte immer noch Fragen im alten Fall an Sie haben.“
Der Hauptgang unterbrach unsere Überlegungen abermals.
Auch hier fuhren wir erst fort, als wieder abgetragen war. Ich
hatte die ganze Zeit überlegt, wie man am besten ansetzten
könnte und als die Gesprächsrunde wieder bereit war sagte
ich: „Wir sollten auf jeden Fall die Kontakte zwischen Lars
und mir, als auch zwischen Schmücker und mir nicht in der
Stadt stattfinden lassen. Ich werde eine detaillierte Planung
erstellen und Sie dann per SMS auf Ihr privates Handy bitten,
78
Schmücker und Lars zu einem Seminar nach Berlin oder
Frankfurt zu senden. Eine vorzeitige zufällige Aufdeckung
meiner freundschaftlichen Beziehungen zu Lars könnte seine
spätere Rolle als meinen zuständigen Sozialamtsbetreuer
gefährden. Jeder Kontakt zur Staatsanwaltschaft, ob zufällig
entdeckt, oder durch mögliche Spitzel verraten, könnte meine
Identität frühzeitig auffliegen lassen. Und Spitzel dort können
Sie nicht ausschließen, denn bei früheren Razzien wurden die
Leute scheinbar vorab gewarnt und alles stimmte. Mein
Honorar beträgt DM 1000 pro Tag, plus Spesen, bei längerem
Einsatz als 20 Tage wird ein Erfolgshonorar von DM 50.000
vereinbart, egal wie lange ich für die Ermittlungen brauche.
Das Honorar ist dann nur zu zahlen, wenn es zu einer
rechtskräftigen Verurteilung kommt. Sind Sie damit
einverstanden?“
Er hatte nur sehr kurz für seine Überlegungen gebraucht,
dann hatte er mir die Hand über den Tisch gestreckt und ich
hatte eingeschlagen. Er hatte aus der Innentasche seines
Jacketts einen Briefumschlag entnommen und mir neben mein
Weinglas gelegt.
„Bitte zählen Sie nach, und quittieren Sie.“
Im Umschlag befanden sich zehn Eintausendmarkscheine
eine Quittung über den Betrag und eine Auftragsvollmacht
über meinen Auftrag. Sie bestätigte mir, dass ich als
Hilfsbeamter des Sozialministeriums zu Nachforschungen
berechtigt sei und einen Honorarvertrag nachzureichen hätte.
Sie war von ihm persönlich unterschrieben.
Ich musste laut auflachen, denn so dumm konnte nur ein
echter Bürokrat sein. Ein solches Dokument in seiner Kanzlei
konnte nur den Untergang meines Auftrags bedeuten. Er
hätte ebenso gut in den Gazetten des Landes verbreiten
können: Vorsicht, der Privatdetektiv Waldemar Teufel jagt
jetzt die Sozialhilfesünder!
79
Ich sagte es ihm genauso direkt. Er war beleidigt; denn er
müsse sich doch auch absichern. Und dieses Dokument sei
nur auf seinem häuslichen Rechner gespeichert.
„Wie sicher?“
„An den Computer kann nur ich. Kein Mensch sonst!“
Er war sichtlich verärgert und verließ uns umgehend.
Seinen Nachtisch teilten Lars und ich uns.
Die Rechnung beglich ich und ließ mir eine
Spesenrechnung ausstellen, mit Mehrwertsteuer und
Trinkgeld. Als erste Spesenquittung im Fall Sozialamt.
Ich setzte Lars in der Innenstadt in der Nähe des
Parkhauses ab, wo er seinen Wagen stehen lassen hatte, als er
mit Lehmkuhl losgefahren war.
In den nächsten drei Tagen besorgte ich mir alle greifbaren
Informationen über die christliche Gemeinde und derer
sozialen Aktivitäten. Es war weitaus mehr als ich erwartet
hatte. Meinen Plan für das Eintauchen in die Sozialhilfeszene
und meine Kontaktaufnahme zu den Christen erarbeitete ich
in den weiteren zwei Tagen und dann sandte ich Meier am
Mittwoch, wie ich ihn immer noch nannte, die SMS:
„Fortbildung Soziales und Missbrauchabwehr Berlin Beginn
Freitag 10 Uhr Hotel „Excelsior“ Berlin“.
In Berlin sollte tatsächlich am Freitag ein Seminar
stattfinden und ich hatte über meine Beziehungen noch drei
Zimmer, Anreise Donnerstag, reservieren können.
Ich war mittags mit dem Zug nach Berlin gekommen und
hatte richtig kalkuliert. Lars und Schmücker erschienen
gemeinsam um 18 Uhr in der Eingangshalle und fragten nach
ihren Zimmern. Sie waren tatsächlich für den morgigen Tag
noch angemeldet worden. Ich hatte sie in Freizeitkleidung am
Counter abgepasst und sie gebeten sich ebenfalls leger zu
kleiden. Wir verschwanden, nachdem sie sich kurz auf den
Zimmern frisch gemacht hatten, aus dem Hotel und fuhren zu
einem Lokal im Herzen von Kreuzberg. In diesem Lokal, in
einer Markthalle gelegen, bekamen wir einen großen Ecktisch
80
an dem wir ungestört unsere Pläne entwickeln konnten. Ich
hatte mir das folgende Szenario ausgedacht: Schmücker sollte
dafür sorgen, dass ich als auf Bewährung entlassener Straftäter
in meine Heimatstadt abgeschoben wurde, nachdem ich
meine Strafe bis dorthin in Hessen abgesessen hatte. Ich sollte
einem Bewährungshelfer, einen Schmücker unterstellten
Beamten, unterstellt werden und Lars sollte mein Sozialhelfer
werden, bei dem ich auch meine Zahlungen bekommen
würde. Anträge für die Gewährung der Beihilfen sollten sie
ausarbeiten. Gleichzeitig sollte Lars arrangieren, dass ich im
Amt eine fleißige Helferin der Christen Gemeinde
kennenlernen sollte, damit ich unauffällig in deren Nähe kam.
Als Kommunikationsmittel hatte ich Handys vorgesehen, die
ich auch schon besorgt hatte. Wir tüftelten an diesem Abend
noch die verschiedensten Möglichkeiten aus, mich auch unter
den übrigen Sozialhilfeempfängern möglichst rasch als einer
von ihnen einzuführen. Es entstand schon der Plan für den
Auftritt von Lars vor dem Kiosk. Mein Bewährungshelfer
sollte nur soweit informiert werden, als dass ich als Informant
in einer ganz anderen laufenden Sache der Staatsanwaltschaft
einen gewissen Schutz genoss. Trotzdem sollte ich meine
Bewährungsauflagen so gut wie möglich erfüllen.
An den nächsten beiden Abenden, jeweils nach Abschluss
der Seminarveranstaltungen, feilten wir an den Plänen.
Schmücker hatte sich sofort am ersten Abend noch
telefonisch mit einem alten Studienkollegen in Frankfurt
gewandt und von ihm volle Unterstützung zugesagt
bekommen. Die Originalüberstellungspapiere sollte ich per
Post am Montag in meine Wohnung gesandt bekommen.
Damit sollte ich dann noch Montagnachmittag bei meinem
Bewährungshelfer erscheinen und würde dort die
Sozialunterlagen erhalten. Dann sollte ich mir in einer
schäbigen Pension in der Nähe der Hochhaussiedlung, die
Lars zu betreuen hatte, ein Zimmer nehmen. Wenn der einen
passenden Partner für den Kontakt zu den Christen gefunden
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hätte, würde er mich per Handy informieren. Solange sollte
ich mich schon in der Gegend herumtreiben und auffallen,
nur nicht so sehr, dass ich unglaubwürdig würde.
Ich hatte am Montag meine Aufgaben erfüllt, hatte dem
Bewährungshelfer meine Adresse in der Bruchbude am Rande
der Siedlung mitgeteilt und hatte abends in einer Kneipe in
der Nähe gesessen und dumpf vor mich hingebrütet und hatte
scheinbar gesoffen. Einer der Blumenstöcke, die dort auf dem
Fensterbrett gestanden hatten, wird wahrscheinlich an
Alkoholvergiftung eingegangen sein, denn er musste meine
ganzen Schnäpse aufnehmen. Kontakt hatte ich keinen
gesucht und keinen gefunden. Die Typen an der Bar hatten
mich zunächst misstrauisch beäugt, aber nach einer Weile war
ihr Interesse geschwunden und sie hatten nur bemerken
können, dass der Wirt häufig mit Bier und Schnaps an meinen
Tisch kommen musste.
Am Dienstagmorgen hatte dann mein Handy geklingelt und
Lars hatte mir gesagt, ich solle schnell vorbei kommen. Er
würde die Zielperson solange bei sich festhalten. Er hatte mir
außerdem gesagt, dass ich mich anmaßend und frech und
einigermaßen selbstbewusst auftreten solle, damit die Person
mich interessant finden würde. Als mir Lars dann die graue,
verschluderte Maus gezeigt hatte, mir kurz ihr menschliches
Profil geschildert hatte wollte ich ablehnen. Wie sollte eine
Volleule wie sie, mir bei den Kontakten zu den Christen
helfen. Er war aber überzeugt gewesen, wenn ich mit ihr in
engeren Kontakt käme und sie einigermaßen nüchtern, dann
wäre sie hundertprozentig die richtige Person. Ich könnte
bestimmt sofort bei ihr einziehen, und eine bessere Tarnung
würde es nicht geben.
Ich hatte weiter gezweifelt und gefragt: „Andere Drogen,
Aids, oder sonstige Überraschungen?“
„Nichts, sie säuft nur. Das aber heftig und dann geht sie
schon Mal für ne Flasche Weinbrand mit einem ins Bett. Aber
krank ist sie nicht und eigentlich auch nicht doof. Also jetzt
82
raus mit Dir und mime den großen Macker. Ich hol Euch
dann versehentlich gemeinsam noch einmal hierher. Und
dann muss der Fisch aber schon an der Angel sein.“
Als ich wieder aus dem Zimmer kam, saß sie auf der Bank
und heulte still vor sich hin. Ich schimpfte lauthals über die
Ungerechtigkeiten und den Typen da drin überhaupt und
fragte sie: „Und was ist mit Dir? Was wollen die von Dir?“
Sie hatte gestammelt, dass man ihr schon wieder eine
Kürzung angedroht hatte und sie nicht mehr wüsste, wie sie
die Wohnung dann bezahlen sollte. Ich hatte mich weiterhin
fürchterlich aufgeregt und ihr versprochen, dass ich das schon
regeln würde, notfalls würde ich bei ihr einziehen und mich an
den Kosten beteiligen.
Als ich ihren hündischen Blick, so von unten nach oben
sah, hätte ich vor mir selbst ausspucken können. Als Lars uns
dann „versehentlich“ gemeinsam ins Besprechungszimmer
rief, waren wir uns schon einig. Ich würde bei ihr einziehen.
Lars teilte ihr mit, dass sie heute noch den alten Betrag
ausbezahlt bekommen würde, aber das Amt mit dem
Vermieter noch neu verhandeln wollten, wegen der fehlenden
drei vorangegangenen Mieten. Ich bekam auch DM 280,00
ausgezahlt und wir durften gehen.
Das war gestern gewesen.
Heute Morgen hatte ich nach meinem Bad Kaffee gekocht
und der frische würzige Duft hatte sie ebenfalls erwachen
lassen. Sie hatte sich aufgerichtet und mich unsicher
angelächelt. Die Bettdecke war verrutscht und hatte ihren
Busen freigegeben und als sie es bemerkte, hatte sie scheu die
Hände darüber gelegt. Es war eine anrührende Geste. Ich rief
ihr zu: „Guten Morgen und ab ins Bad, wir haben viel zu tun.
Ich hatte mir eine Scheibe Graubrot auf der Herdplatte
geröstet und mit Butter bestrichen und hatte den Rotwein und
den Weinbrand, den sie gestern erfreulicherweise nicht
gesehen hatte, schnell verschwinden lassen. Den Weinbrand
83
unter der Couch und den Rotwein neben dem hintersten
Bettpfosten und als sie aus dem Bad kam, hatte sie sich ein
Handtuch umgewickelt. Sie wirkte sehr verschüchtert. Ich
mimte weiter den harten Burschen: „Stell dich nicht so an, du
hast die ganze Nacht nackt neben mir gelegen, jetzt brauchst
du dich auch nicht zu verstecken.“
Ich nahm ihr einfach das Handtuch weg, hielt sie auf
Armeslänge von mir weg und meine dann: „Frisch gewaschen
und bei Tageslicht, bist du ganz hübsch. Zieh dich jetzt an
und dann wollen wir los. Willst du auch eine Scheibe Brot?“
Sie schien sich eher zu ekeln, aber dann willigte sie doch ein
und ich bereitete ihr auch eine Scheibe gerösteten Brotes. Sie
trank auch eine Tasse Kaffee und dann scheuchte ich sie, ihre
Sachen zusammen zu suchen, die gewaschen werden müsste
und ein weiteres Bündel für die Reinigung. Es ging jetzt
schnell. Man merkte ihr an, dass sie hier heraus wollte, zurück
zum Kirchenclan, denn dort würde sie auch wieder Alkohol
bekommen. In der Reinigungsannahme an der nächsten
Straßenecke gaben wir ihre Sachen ab und ich sagte der
jungen Frau hinter dem Tresen, dass sie die Wäsche in dem
anderen Korb für uns vorne im Waschsalon waschen sollte
und versprach ihr ein gutes Trinkgeld. Sie versprach´s, die
Wäsche bis zum Nachmittag fertig zu haben. Dann tippelten
wir zu meiner kleinen Pension. Ich holte Unterzeug und ein
schwarzes T-Shirt aus meinem Koffer und zog mich ungeniert
vor ihr um. Eva wusste scheinbar nicht wohin sie gucken
sollte. Sie fühlte sich sichtlich unwohl mit mir in diesem
Absteigezimmer. Ich hatte sie sehen lassen, dass ich meine
Pistole in den hinteren Hosenbund steckte und sie wurde
immer erschrockener. Meine schwarzen Treter wechselte ich
gegen Turnschuhe und ich packte die restlichen Sachen, auch
aus dem Badezimmer in meinen Koffer und ich bezahlte
unten bei der Pensionswirtin. Sie nahm das Geld wortlos in
Empfang. Es war jetzt schon nach 9 Uhr und Eva wurde
immer unruhiger, sagte aber immer noch nichts. Auch nicht,
84
als ich sie in den nächsten kleinen Modeladen schleppte und
ihr zwei T-Shirts in die Hand drückte und befahl:
„Anprobieren.“ Ich sagte der Verkäuferin, dass sie ihr noch
eine passende Stretch-Hose hineinreichen solle und ging
hinüber zur Unterwäsche. Die Verkäuferin suchte inzwischen
bei den Kindergrößen nach einer passenden Hose für Eva
und nachdem sie diese hineingereicht hatte, winkte ich sie her
und gab ihr Anweisung, noch die passende Unterwäsche
hineinzureichen. Ich hatte eine Spitzengarnitur vom Ständer
genommen und die Verkäuferin hatte mich angelächelt und
mir gesagt: „Sie kennen sie noch nicht lange, oder? Das ist viel
zu groß, zumindest die Höschen.“
Sie hatte schnell zwei weitere Garnituren, ebenfalls aus
weißer Spitze mit Tanga-Höschen vom Ständer genommen
und war in Richtung Umkleidekabine verschwunden. Es
dauerte einen kleinen Augenblick, dann schob sie den
Vorhang beiseite, da kein anderer Kunde im Laden war und
sagte: „Schauen Sie, haben Sie das für Ihre Frau gemeint?“
Ich konnte nur Starren. Mein mickriges Evchen, war
plötzlich eine aufreizende junge Frau.
„Ja, so etwas habe ich gemeint, haben sie das vielleicht auch
noch in schwarz?“
Jetzt kam Eva aus der Kabine gestürzt, mit glücklich
glänzenden Augen und fiel mir um den Hals. „Und das alles
soll für mich sein?“
„Klar, und nun die anderen Klamotten drüber und dann
müssen wir weiter.“
„Lass mich auch noch das schwarze probieren, bitte.“
Die Verkäuferin war inzwischen auch mit der schwarzen
Garnitur gekommen und plötzlich hatte Eva keine Scheu
mehr, sich vor mir umzuziehen und mir den Hauch von
schwarz vorzuführen. Sie drehte sich und wendete sich und
wollte sich dringend in dem großen Spiegel bewundern. Wenn
jetzt ein Kunde hereingekommen wäre, hatte er geglaubt in
eine Piep-Show zu kommen. Dann hatte sie endlich ein
85
türkisfarbenes T-Shirt und eine hell-sandfarbene lange Hose
an, unter der sich das Tangahöschen abzeichnete. Sie konnte
sich an sich selbst kaum satt sehen. Sie war einen Moment so
glücklich, dass sie jeden Alkohol vergessen hatte. Das war
doch schon Mal etwas.
Es war nun auch ein netter, adretter Anblick in der
Morgensonne. Ich hatte alles bar bezahlt und ich wusste, dass
Eva die Summe mitbekommen haben musste, aber sie schien
sich nicht zu wundern, dass ich trotz Sozialhilfeunterstützung
über derartig viel Bargeld verfügte.
Im Gemeindezentrum, nur drei Hochhausblocks von
unserem entfernt, wurden wir von zwei bärbeißigen Männern
empfangen, wobei der eine streng zu Eva sagte: „Wieso
kommst du heute so spät? Die Touren sind schon raus, also
mach dich an die Arbeit. Und wer ist dieser Knilch hier?“
„Er ist ein Freund von mir. Er ist auch Stützeempfänger
und wohnt bei mir. Er könnte hier mithelfen.“
„Das entscheiden nicht wir, das weißt du doch.“
„Okay, dann will ich zu den Machern von dem Laden hier“,
und stolzierte los in Richtung Eingang.
Vier Arme griffen gleichzeitig nach mir und wollten mich
festhalten. Ich ließ einfach meinen Koffer fallen, den ich links
getragen hatte, und holte zu einem Rundumschlag aus. Den
ersten erwischte ich voll am Kinn und der ging zu Boden, der
zweite war etwas ausgewichen und ging auf mich los. Ich sah
gerade noch rechtzeitig, dass er sich für die Attacke einen
Schlagring übergestreift hatte. Ich stolperte leicht über meinen
Koffer und das war mein Glück, denn der Schlag streifte nur
meine Schulter und das tat weh genug. Als er nachsetzten
wollte hatte ich ihn aber erwischt und mit einem Judogriff
über die Schulter geworfen. Ein schneller Schritt auf ihn zu,
ein Tritt unter das Kinn und dann lagen beide bewusstlos im
Eingangsbereich. Ein weiterer Typ kam angerast und schrie:
„Was ist hier den los?“
86
Es war mein Mercedes-Freund, dessen Wagen ich hatte
abschleppen lassen wollen.
„Die Typen wollten einem wehrlosen Sozialhilfeempfänger
den Eingang zum Heiligtum hier verwehren und scheinen in
ihrem Übereifer über meinen Koffer gestürzt zu sein. Tut mir
leid, hatte ich wahrscheinlich ungeschickt abgestellt.“
Er herrschte Eva an: „Wieso kommst du zu spät und was
soll dieser Typ hier?“
„Er ist kein Typ, sondern mein Freund, den ich hier heute
vorstellen wollte. Er wohnt bei mir und braucht Arbeit.
Wenn ich es gestern im Amt richtig mitbekommen habe, dann
steht er unter Bewährungsauflagen und braucht unsere
Unterstützung“, sagte sie mit erhobenem Haupt. Sie schien
stolz auf mich zu sein, dass ich die unfreundlichen Typen
umgehauen hatte. Die berappelten sich so langsam wieder und
schienen nochmals auf mich losgehen zu wollen, als mein
Mercedesfreund sie stoppte. „Ist schon gut, ich kümmere
mich selbst darum.“
Er gab mir einem Wink ihm zu folgen. Murrend zogen sie
ab.
Er nahm mich mit in ein Büro und schickte Eva an ihre
Arbeitsstätte, die weiter hinten den Gang hinunter zu sein
schien, denn sie trippelte ihn ganz bis zum Ende. Mehr
konnte ich nicht sehen, denn der Mercedes-Heini hatte mich
fast in den Raum geschoben. Er wies auf einen Stuhl vor dem
Schreibtisch, der ziemlich in der Mitte des Raumes stand und
setzte sich selbst auf einen thronähnlichen Stuhl hinter der
Arbeitsfläche.
„Sie brauchen also Hilfe?“
„Mein Bewährungshelfer und Herr Wedemeier vom
Sozialamt, und neuerdings Eva scheinen das zu meinen, aber
ich komme ganz gut alleine klar.“
„Das habe ich eben gesehen, und allein dafür könnte ich Sie
zurück in den Bau schicken, wenn Evas Geschichte stimmt.
Stimmt sie“, herrschte er mich an.
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Trotzig antwortete ich: „Den Papieren, die ich bei mir trage
nach ja; aber versuchen Sie es doch Mal, mich
zurückzubringen.“ Meine letzten Worte waren ein einziges
Knurren gewesen und er schaute etwas bedröppelt von der
Schreibtischfläche auf.
„Zeigen Sie die Papiere her.“
Ich holte die unordentlich gefalteten Papiere aus meiner
Jacketttasche und reichte sie ihm.
„Und Ihr Geld!“
„Hab keins.“
„Sie haben doch gestern DM 280,00 bekommen, wo ist
das?“
„Wir haben Klamotten für Eva dafür gekauft. Ihre alten
sind hier im Koffer.“
„Alles Geld weg?“
„Ja.“
„Und wovon wollen Sie bis zur nächsten Woche leben?“
„Vielleicht bekomm ich hier ja ´ne warme Mahlzeit. Ein
wenig Brot ist auch noch zu Hause und für den Rest werd ich
schon sorgen.“
Er sah mich eine Weile abschätzend an, dann sagte er: „Sie
bleiben jetzt erstmal hier. Ich werde etwas checken. Wenn es
okay ist, hab ich vielleicht einen Nebenjob für Sie und Sie
können sich hier wenigstens Ihr Essen verdienen.“
„Okay.“
Er verließ den Raum und ich wartete. Er ließ mich ungefähr
zwei Stunden schmoren. Ich wartete wie man es von
Häftlingen gewohnt ist. Still und aufrecht sitzend auf meinem
Stuhl. Besonders bequem war das nicht, aber Aufstehen wollte
ich auch nicht, denn ich wusste nicht, ob ich nicht beobachtet
würde. Dann kam er in Begleitung eines Älteren zurück und
ich wurde beglotzt, wie ein Stück Vieh, bevor der Ältere sagte:
„Herr Teufel, Sie haben sich bei uns nicht besonders gut
eingeführt. Wir wollen Ihnen dennoch eine Chance geben,
aber nutzen Sie sie auch. Können Sie Kochen?“
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„Hab´s schon Mal gemacht.“
Seine bis dahin wohltönende Stimme brach etwas als er
mich anschnauzte:“ Ich will wissen, ob Sie kochen können
oder nur Suppe umrühren?“
„Ich kann Kochen, Reicht vielleicht nicht für drei MichelinSterne, für zwei aber bestimmt.“
„Okay, ist gut. Wir brauchen einen Rotisseur, kommen Sie
mit. Ihren Koffer können Sie hier lassen.“
„Damit er durchwühlt werden kann“, dachte ich bei mir
und folgte den Männern.
Wir waren um die Ecke gebogen und eine Rampe zu dem
Tiefgeschoss
hinunter
gestiegen.
Er
stieß
eine
Edelstahlschwingtür auf und wir gelangten in eine große
Küche. Hier waren mindestens zwanzig Personen am
Werkeln. Es roch nicht besonders appetitlich, was sie da
zusammenkochten. Wir durchquerten eine weiteren Raum in
dem Waren gelagert waren und kamen an eine scheinbar
glatte, gekachelte Wand. Auf unsichtbaren Knopfdruck fuhr
die Wand beiseite und gab eine weitere Großküche frei. Hier
roch es ganz anders und das Wasser lief mir automatisch im
Mund zusammen. Köstlicher Essensduft und das um ca. 14:30
Uhr und ich hatte meine eine Scheibe geröstetes Brot vor acht
Uhr gegessen. Der Ältere, den ich inzwischen für den
Oberfuzzy von diesem Laden hielt, stellte mich kurz einem
Koch mit Kochmütze vor, wobei ich den Namen des Mannes
nicht verstand, aber ich war sicher, dass es ein ausländischer
Name gewesen war. Der Mann befahl mir, in einen
Nebenraum zu gehen und mir dort eine Kochkleidung zu
suchen, die mir passte. Bei meiner Größe kein so einfaches
Unterfangen, aber es gab wirklich jede Größe in diesem Raum
und ich wurde sehr bald fündig. In einem Spind am Ende des
Raumes, konnte ich meinen Anzug und mein T-Shirt
aufhängen. Passende Kochschuhe wurden auch für mich
gefunden. Die Auswahl der mir passenden Messer war dann
schon etwas schwieriger, denn mein Vorgänger schien
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Linkshänder gewesen zu sein, und der Schnitt seiner
Messergarnitur passte mir überhaupt nicht. Wir fanden noch
eine weiter Garnitur, aber sie leider ausgeschlagen und ich
wusste, wenn ich sie gut benutzen wollte, musste ich jede
Menge Schleifarbeit hineinstecken. Ob man mir die Zeit
lassen würde, wusste ich nicht.
Dann führte mich der Oberkoch an die Geräte. Es waren
gute, bestens gepflegte Geräte, und hier würde ein
angenehmes Arbeiten sein. Auf der einen Seite des Raumes
waren Kochgeräte. In der Mitte die Friteusen,
Soßenwarmhaltegeräte, Gemüsewärmer im Wasserbad. Auf
der anderen Seite waren die Abfüllanlagen für
Leichtstyroporbehälter mit verschiedenen Kammern, die mit
den einzelnen Zutaten aufgefüllt wurden und dann mit
Aluminiumfolien abgedeckt, mechanisch zugedrückt und dann
über ein Laufband in einem weiteren Nebenraum, der durch
eine Schleusenanlage abgedeckt war, verbracht wurden. Dies
war eine Anlage zur Herstellung von Feinschmeckermenüs.
Und wenn mich nicht alles täuschte, durch kein Amt geprüft
wurde. Die guten Zutaten aus den Spenden wurden hier
verarbeitet, die miserablen in der Großküche. Diese Räume
waren vom Durchgang her sehr gut getarnt und wenn
Kontrolleure vor der Tür standen, wurden vorne bessere
Zutaten verwendet und der Zugang zu dieser Küche nicht
freigegeben.
Ich durfte an diesem Nachmittag noch dreiunddreißig
Gyrosspieße aufziehen und kurz anbraten. Dann
verschwanden sie als Vakupack im Nebenraum. Pünktlich um
17 Uhr war Feierabend. Noch während wir uns umzogen, war
eine Putzkolonne erschien und wienerte die Küche. Wir
verließen die Räumlichkeiten durch einen weiteren Ausgang
des Umkleideraumes und kamen über eine unscheinbare
Feuertür in das Treppenhaus und später in die Tiefgarage des
Hauses. Die Feuertür war als Spritzenraum gekennzeichnet.
Mir wurde nur noch mitgeteilt, dass ich morgens um Acht vor
90
dieser Tür zu erscheinen hätte. Ich ging wieder vorne herum
zum Haupteingang des Gemeindezentrums, weil ich meinen
Koffer abholen wollte. Die bärbeißigen Typen standen immer
noch da, wollten aber offensichtlich keinen weiteren Ärger mit
mir riskieren und ich holte den Koffer beim Mercedes-Heini
ab und sah mich nach Eva um. Sie kam, besser gesagt, torkelte
wenig später auf mich zu. Sie war sturzbetrunken, und ich
hatte alle Mühe sie drei Blocks weiter zu schleifen. Ich brachte
sie unbehelligt nach oben und zog ihr sofort die neuen Sachen
aus. Sie ließ mich gewähren und lächelte mich trunken und
einladend an, als ich sie nackend aufs Bett legte. Sie war schon
eingeschlafen, bevor ich sie zudecken konnte.
Ich schrieb ihr einen großen Zettel auf, dass ich noch etwas
erledigen müsse, damit sie nicht erschrak wenn sie wider
meinen Erwartungen aufwachen sollte und hinaus wollte. Ich
hatte sie eingeschlossen, da wir ja nur ein Paar Schlüssel
hatten. Ich holte die Wäsche ab, ließ mir bei einem
Schlüsseldienst einen Satz Schlüssel anfertigen und kaufte
Dinge, wie Weißbrot, weitere Butter, Marmelade und Honig
ein. Ein Glas mit kräftiger Rinderbrühe und ein Dutzend Eier
und Frühstücksspeck vervollständigten meine Einkäufe.
Obwohl ich in der Küche immer wieder genascht hatte, war
mein Hunger immer noch groß, und ich beschloss im
Einkaufszentrum noch eine Kleinigkeit zu Essen. Ich bestellte
mir ein Bier dazu. Ich saß noch vor meinem leeren Teller und
nuckelte an meinem Glas Bier, als neben mir einer der
Fieslinge vom Gemeindeeingang auftauchte.
„Ich denk du hast kein Geld, du Sack. Ich werd´s dem
Meister melden.“
„Gut so; mein Bester“, mit diesen Worten war ich
aufgestanden und hatte mich voll auf einen seiner Füße
gestellt und blitzschnell meine Pistole aus dem Gürtel gezogen
und ihm unsichtbar für andere in die Rippen gehalten. „Setz
dich, mach kein Wehgeschrei und bestell uns ganz schnell
noch zwei Bier. Vielleicht möchtest du auch noch ein
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Schnäpschen dazu. Ich möchte wohl einen. Und denk daran,
die Puste ist unter dem Tisch genau auf deine Eier gerichtet.
Bestell doch bitte jetzt.“
Wir beide hatten gesehen, dass die Bedienung
herübergesehen hatte, als wir beide stehend neben dem Tisch
waren. Sie hatte sicherlich Angst, dass ich ohne zu zahlen
verschwand. Sie kam herüber und Fiesling bestellte zwei
weitere Bier und Schnaps. Als die Bedienung sich entfernte,
zischte ich ihm nur zu: „Das war schon ganz gut und wenn sie
gleich mit den Getränken kommt, bittest du um die
Gesamtrechnung und bezahlst. Einverstanden“? fragte ich ihn
scheinheilig. Er nickte nur und tat wie ihm geheißen.
Als die Bedienung abdrehte sagte ich ihm nur: „Sag dem
Oberfuzzy, dass Eva noch Geld hatte. Prost, mein lieber
Kollege.“
Ich hatte mit jeder Hand ein Glas ergriffen, in der einen
den Schnaps in der anderen das Bier und trank ihm zu. Ich
hatte die Getränke schon fast ausgetrunken, bis er bemerkte,
dass ich gar keine Waffe auf ihn gerichtet haben konnte. Ihm
fiel die Kinnlade herunter und er verschluckte sich an seinem
Bier. Ich war aufgestanden, hatte ihm auf den Rücken
geklopft, wie man es bei Freunden tut, die sich verschluckt
haben, hatte meine Sachen gepackt und war vom Tisch
gegangen. Ich habe ihn an diesem Abend nicht wieder
gesehen.
Auf dem Rückweg dachte ich über meine Situation nach.
Ich war zwar heute dahinter gekommen, dass es zwei Küchen
gab, war angestellt worden, aber wusste weder wie der
Mercedes-Heini, noch der Oberfuzzy, oder die Fieslinge
hießen. Ich wusste noch nicht einmal wie Eva mit
Familienname hieß. Ich wollte auf das Klingelschild schauen.
Ich benutzte mein neues Schlüsselbund und war richtig
froh, dass es passte. Die Wäsche und die Einkäufe stellte ich
weg und dann legte ich mich neben die leicht schnarchende
Eva. Ich hatte wieder vergessen auf das Klingelschild zu
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achten. Im Einschlafen spürte ich noch wie sich ihr warmer
Körper an mich schmiegte und dann war ich weg.
Um sieben Uhr klingelte ein Wecker und ich überlegte, wo
er stand. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals einen
gesehen zu haben, geschweige denn einen gestellt zu haben.
Gestern hatte ich auch keinen vernommen. Ich schälte mich
sanft aus der Umarmung in der ich mich befand. Im
Einschlafen hatte ich noch bemerkt, dass sich Eva an mich
gekuschelt hatte, aber jetzt war sie geradezu in meine Arme
gekrochen. Sie musste auch schon lange so liegen, denn mein
linker Arm war eingeschlafen. Ihr Kopf lag auf meinem Arm
und ihr Oberkörper war halb auf meinen Brustkorb. Ihr
rechtes Bein war halb über mein linkes geschoben. Sie strömte
Hitze aus und murmelte undeutliche Laute, als ich mich von
ihr befreite und ins Badezimmer ging. Die Kaffeemaschine
hatte ich vorher in Gang gesetzt. Als ich nach dem Duschen
wieder ins Zimmer kam, lag Eva aufgedeckt auf dem Bett und
schaute zu mir herüber. Heute war sie ganz wach und machte
auch nicht mehr den verschüchterten Eindruck wie gestern
Morgen. Als ich meine Sachen zusammenklaubte und mich
anziehen wollte, war sie aufgestanden und hatte sich kurz an
mich geschmiegt und war mit ihren Fingernägeln über meinen
Rücken gefahren. „Woher hast du nur all diese Narben“? und
war dann im Badezimmer verschwunden. Sie hatte heute
einen völlig klaren Eindruck erweckt und trug, als sie wieder
hereinkam, die schwarze Unterwäsche, die wir gestern gekauft
hatten und tänzelte kokett vor mir auf und ab, und wollte
wissen, ob es mir gefiel.
„Es gefällt mir sehr gut, was ich sehe. Wenn wir etwas mehr
Zeit hätten, könntest du mich bestimmt verführen, aber wir
müssen gleich los und dein Frühstück wartet schon auf dich.
Zieh dich jetzt an.“
93
Sie wählte das dunkelblaue T-Shirt und wieder die hellen
Hosen und setzte sich zu mir an den Tisch und genoss es
sichtlich am gedeckten Tisch ihr Frühstück einzunehmen.
„So, Eva, wenn wir schon zusammen wohnen, dann sollte
ich wenigstens wissen, wie du mit Nachnamen heißt. Ich weiß
es immer noch nicht.“
„Eva Peters, geschieden, 37 Jahre alt und manchmal auch
nüchtern“, sagte sie mit angedeuteter Verbeugung, „und du
Großer? Wer bist du?“
„Waldemar, genannt „Waldi“ Teufel, Rumtreiber und
Einzelgänger, Ex-Sträfling. Du hast mich da gestern
mitgenommen zu dieser Gemeinde, was ist das für ein Verein.
Sie haben mich zwar in der Küche angestellt, aber ich weiß
noch nicht einmal was ich verdiene, und ich weiß nicht wie die
Typen heißen, für die ich da arbeite. Das gefällt mir nicht.“
„Du verdienst gar nichts. Man gewährt dir freies Essen und
Trinken, und du bist bei den Behörden als freiwilliger Helfer
einer sozialen Einrichtung registriert. Das ist gut für
Bewährungsauflagen! Die beiden Typen an der Tür sind Karl
und Leo, wie sie weiterheißen, weiß ich auch nicht. Der Mann
der dich dann in sein Büro geholt hat, war Möbius, der
Verwalter. Ist der zweite Mann in der Gemeinde. Und dann
ist da noch Pater Lewinski, der Chef vom Ganzen. Ich weiß
nicht ob du ihn kennengelernt hast; aber er organisiert alles
und hält auch die Predigten.
Er ist für Alle das große Vorbild. Er sorgt für uns und die
Armen, die kein Essen haben und keine Kleidung und
manchmal sorgt er auch für Unterkunft. Ein großer Mann“,
sagte sie fast schwärmerisch.
„Bist du auch in der Küche“, fragte ich sie harmlos.
„Nein, ich bin in der Buchhaltung und organisiere die
Fahrten und mache die Abrechnungen, aber das kann ich dir
später erzählen. Wir müssen los.“
Ich räumte nur noch das Geschirr weg, während sie sich die
Haare machte und dann gingen wir gemeinsam die drei
94
Hochhausblocks weiter. Sie ging zum Haupteingang und ich
ging hinten herum zum Spritzenraum-Eingang. Wir waren
pünktlich, und bei den Köchen war merkliche Hektik als wir
eintraten. Der Mercedes-Heini Möbius rief verschiedene
Namen auf, auch meinen, und wir mussten uns aufreihen. Die
anderen Aufgerufenen wussten scheinbar worum es ging und
Möbius nahm mich und noch ein kleines Kerlchen, das ich
gestern bei den Soßen gesehen hatte, zur Seite und teilte uns
mit: „Sie haben heute einen freien Tag und werden zu einer
Bustour eingeladen. Nehmen Sie diese Unterlagen und geben
Sie den obersten Gutschein beim Sozialamt in Rotenburg ab
und kassieren Sie die Gelder. Danach können Sie die Hälfte
einstecken, die andere Hälfte geben Sie mit den Unterlagen
dem Busfahrer. Danach haben Sie bis 16 Uhr Freizeit. Danach
bringt der Bus Sie hierher zurück. Sie haben jetzt jeden
Donnerstag den freien Tag in Rotenburg; aber besaufen Sie
sich nicht zu sehr. Wir wollen keine Scherereien mit der
Polizei oder so etwas. Verstanden?“
Wir nickten und Möbius nahm mich noch etwas mehr zur
Seite und sagte leise zu mir: „Teufel, für Sie gilt das besonders.
Keine Auffälligkeiten und keine Auseinandersetzungen mit
Leo oder Karl in der Zukunft. Wir sorgen hier für Sie und
geben Ihnen einen zuverlässigen Hintergrund. Ihr
Bewährungshelfer wird es zu schätzen wissen.“
Dann ließ er uns stehen und wir schlossen uns einer
Gruppe an, die ziemlich aufgeregt in die Tiefgarage eilte. Hier
standen verschiedene Busse mit Pappschildern im
Fahrerfenster. Wir gingen zu dem Bus mit der Beschriftung
Rotenburg. Der Bus war voll und wir zuckelten los. Am
Busbahnhof der kleinen Stadt wurden wir ausgeladen und der
Fahrer sagte, dass wir nicht im Pulk auftreten sollten, sondern
schön in Gruppen von maximal drei Leuten dort im Sozialamt
auftreten sollten. Ich schloss mich gleich der ersten Gruppe
an. Zwei Burschen, die ich gestern nicht in der Küche gesehen
hatte. Wir hatten alle ungefähr die gleiche Größe und unsere
95
Kleidung war nicht übermäßig auffällig. Ich fiel nur etwas auf,
weil mein Anzug zwar nicht neu, aber immerhin ein Anzug
war, unter dem ich das schwarze T-Shirt trug. Die anderen
hatten Sweatshirts oder leichte Freizeitjacken über ziemlich
ungebügelten Hosen an.
Ich stellte mich zusammen mit meinen Begleitern in der
Schlange an, nachdem wir uns Nummern gezogen hatten.
Über eine Anzeigentafel wurden wir nacheinander in
verschiedene Zimmer gerufen, deren Nummer jeweils auf der
Anzeigentafel erschien. Als ich an der Reihe war, legte ich der
jungen, verdrießlich blickenden Frau hinter der Scheibe,
meine Unterlagen in das Drehbrett und sie zählte mir Geld
vor. DM 560,00 und sie sagte: „Das ist für eine Woche und
das Übergangsgeld. Hier ist noch ein Warengutschein über
DM 200,00 für Kleidung.“
Meine Unterlagen und das Geld und der Gutschein kamen
wieder über das Drehbrett zurück und ich sammelte alles ein.
Damit war ich für heute entlassen. Es ging ganz einfach.
Vorgestern hatte ich zu Hause DM 280,00 bei Lars kassiert,
heute gleich DM 560,00 und einen Gutschein für Kleidung.
Ich steckte DM 140,00 in die Tüte mit den Unterlagen und
brachte sie dem Busfahrer. Den Rest hatte ich eingesteckt. Ich
wollte mir dringend eine Freizeitjacke zulegen und noch ein,
zwei T-Shirts. Ich beobachtete meine Mitfahrer, die ihre
Unterlagen zurückbrachten und sich dann in den Kneipen
rings um den Busbahnhof versammelten. Ich würde später
dazu stoßen.
Ich machte meine Einkäufe in einem Warenhaus in der
Innenstadt und hatte in der Technikabteilung des Hauses die
Reklame für Handys, die kostenlos zusammen mit einer
Telefonkarte abgegeben wurden, gesehen und stellte mich an
den Tresen und ließ mir eins zeigen. Wir wurden uns sehr
bald handelseinig und wir füllten den Vertrag aus. Es wurde
kein Personalausweis verlangt, ich musste nur meine
Eintragungen machen und bekam das Handy ausgehändigt.
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Der Akku sei schon aufgeladen hatte man mir versichert.
Nach Freischaltung innerhalb der nächsten Stunde könne ich
es benutzen. Das brachte mich auf eine andere Idee und ich
fragte den Verkäufer, ob ich auch eines für meine Freundin
kaufen könne, es wäre doch bestimmt ein wunderbares
Geschenk. Er stimmte dem zu und ich brauchte nur einen
zweiten Vertrag auf ihren Namen auszufüllen, zu
unterschreiben und schon war ich Besitzer eines weiteren
Telefons. Auch dieses ließ ich mir gleich Freischalten.
Da schönes, sonniges Wetter war, setzte ich mich auf die
Terrasse eines Lokals und bestellte mir etwas zu Essen und
ein kleines Bier und machte mich während ich auf das Essen
wartete mit dem Telefon vertraut. Ich programmierte fest die
PIN-Nummer und die jeweils andere Telefonnummer des
Telefons mit der Kurzwahltaste 1. Eva und ich brauchten jetzt
das Gerät nur noch einzuschalten, die Kurzwahl zu drücken
und wären miteinander verbunden. Ich ließ mir Zeit mit dem
Essen und nach einer Verdauungszigarette machte ich den
ersten Versuch. Ich schaltete beide Geräte ein und drückte bei
meinem die 1. Wenig später klingelte Evas Telefon. Der
umgekehrte Versuch war ebenso erfolgreich. Dann sandte ich
von Evas Telefon eine SMS an das Privathandy von
Schmücker: „Bin dran Teu“ und schlenderte zurück ins
Kaufhaus. Hier klaute ich einen kleinen billigen Goldring.
Gegen 15 Uhr gesellte ich mich zu den anderen Mitfahrern,
die in der Kneipe gegenüber dem Busbahnhof saßen und
eifrig gezecht hatten. Sie waren alle angetrunken und guter
Laune. Ich tat ebenfalls so, als ob ich schon etliches getrunken
hätte, nuschelte ein wenig als ich ein weiteres Bier bestellte
und fragte meinen Nebenmann: „Geht ihr immer hierher?“
Er starrte mich mit schwiemeligen Augen an, und meinte:
„Nee, meistens gehen wir noch vorher in den Puff in der
Pfingststraße. Die wissen schon, dass wir Donnertags
unterwegs sind. Ganz schön heiße Mäuse. Ich hab da eine
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getroffen, die war früher auch Mal bei uns. Jetzt ist sie immer
da. Die Rosi hat vielleicht Tüten!“
Mein Bier kam und ich setzte mich zu einer Runde anderer
Mitfahrer. Die lachten trunken und erzählten von ihren
wunderbaren Abenteuern mit den Mädchen aus der
Pfingststraße. Auch hier wurde mir bestätigt, dass viele von
den Mädchen auch schon in der Gemeinde gewesen waren,
jetzt aber richtig gut anschafften. In meinem Oberstübchen
klingelte es gewaltig. Ich glaube ich musste auch dringend eine
Spritztour abends nach Rotenburg unternehmen. Setzte man
neben Sozialamtsbetrug und Betrug an Spendern und
staatlichen Stellen auch noch auf Prostitution? Zwang man
möglicherweise die Mädels, die man in der Gemeinde
aufgefangen hatte dazu, auch noch als Prostituierte zu arbeiten
und sahnte noch zweimal ab?
Bei den Mädchen und den Freiern, die gerade ihr Geld
erschlichen hatten mit falschen Unterlagen? Hui, was für ein
komplexes Gebilde, die Christengemeinde.
Ich trank mein Bier und zahlte an der Theke, bevor wir
wieder Richtung Heimat fuhren. Es war auffallend, dass in
diesem Bus nur Männer befördert wurden. Wie wurde mit den
Frauen verfahren? Es gab ganz schön viel Fragen und ich tat,
als wenn ich döste, wie die meisten in dem Bus. Meine
Einkaufstüte lag auf meinem Schoß.
Wir waren pünktlich zum Feierabend der anderen „Helfer“
wieder zurück und ich wartete vor dem Haupteingang auf
Eva. Als sie kam, sah sie noch betrunkener aus, als am Tag
vorher und ich stützte sie auf dem Heimweg. Ich fühlte mich
ein wenig enttäuscht, denn am Morgen war sie so herrlich
nüchtern gewesen und ich hatte geglaubt, ihr heute Abend ein
paar Fragen stellen zu können. Im Fahrstuhl hatte sie dann an
mir gehangen, der Blick verschleiert und sie verströmte eine
üble Fahne. Das änderte sich schlagartig, als ich die
Wohnungstür hinter uns geschlossen hatte. Sie raste sofort ins
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Badezimmer und ich hörte sie würgen. Dann gurgelte sie und
zwei Minuten später, war sie wieder bei mir und fiel mir um
den Hals. Sie hatte keine Fahne mehr und ihre Augen
glänzten. Sie hatte sich einfach mit beiden Armen um meinen
Hals an mich gehängt und mir einen dicken Kuss gegeben. In
meiner Verblüffung hatte ich sie zurückgeküsst.
„Die sollten nur alle glauben, ich wäre wieder hinüber. Ich
will jetzt nüchtern sein und ich freue mich, dass du nicht mit
im Puff warst.“
Nachdem ich meinen Unterkiefer wieder in Normalstellung
gebracht hatte, denn auf diesen Schreck der Verwandlung, war
mir der Mund offen stehen geblieben, fragte ich:“ Woher,
willst du das denn wissen?“
„Erzähl ich dir später. Zeig mir lieber, was du für dich
eingekauft hast.“
Ich zeigte ihr meine Windjacke und meine T-Shirts. Zuletzt
schenkte ich ihr das Handy. Sie freute sich wie ein kleines
Kind und musste es gleich ausprobieren. Am liebsten hatte sie
mit mir die nächste Zeit nur noch über das Telefon
gesprochen, aber ich drückte sie einfach weg. Denn ich
musste vorher noch Telefonkarten besorgen, damit die Dinger
auch wirklich immer einsatzbereit sein würden. Als ich ihr
wenig später auch noch den gestohlenen Ring aufsetzte
kannte ihre Freude keine Grenzen mehr. Ich wurde geradezu
erdrückt. Wir beschlossen mit dem Bus in die Stadt zu fahren
und dort in einem guten Restaurant zu Essen. Ich musste
außerdem an meinen Wagen kommen, damit ich spätestens
morgen Abend den Mädels von Rotenburg einen Besuch
abstatten konnte.
Ich hatte mir ein weißes Oberhemd und eine Krawatte aus
dem Koffer genommen und angezogen. Sie hatte eine der
gewaschenen Blusen schnell aufgebügelt und trug sie zu der
hellen Hose. Wir gingen hinunter zur Busstation und gingen
ganz schnell noch in den Modeladen, der immer noch
geöffnet war. Ich kaufte ihr ein Clubjackett und sie sah richtig
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gut in der sportlichen Kleidung aus. Während der Busfahrt
hatte sie mir von der komplizierten Buchhaltung der
Gemeinde erzählt. Nichts genaues, aber langsam formte sich
mir ein Bild über die Organisation. Sie war simpel, aber
effektiv aufgebaut. Wir stiegen etwas früher aus, als eigentlich
geplant und ich setzte sie in einem Cafe ab und bat sie zu
warten, ich würde bald eine weitere Überraschung für sie
haben. An der nächsten Ecke griff ich mir ein Taxi und ließ
mich zu meinem Büro fahren. Aus der Garage holte ich den
Wagen, einen unauffälligen Audi, der unter der Motorhaube
allerdings einen A8 Motor hatte. Wenig später war ich dann
vor dem Cafe vorgefahren und hatte sie abgeholt. Sie staunte
nicht schlecht. Sie glaubte ich hätte das Auto gestohlen, und
ich ließ sie in dem Glauben. Wir fuhren wieder aus der Stadt
in ländliche Umgebung. Hier wusste ich ein Schlemmerlokal,
und danach war mir heute.
Ich hatte sie während der Fahrt beobachtet und später beim
Essen. Welch ein immenser Unterschied – die nüchterne, zur
betrunkenen Eva.
Es war auch erstaunlich wie viel sie noch von den Dingen
mitbekam, die sie täglich um Vollrausch erledigte. Ich hatte
nicht schlecht gestaunt, als sie mir die Ziele der organisierten
Fahrten zu den Sozialämtern der Umgebung angab. Demnach
hatte die Gemeinde eine eigene Busflotte, die über einen
normalen Transportunternehmer angemeldet war. Der
Besitzer war aber kein anderer als Pater Lewinski. Die
Bordelle in den einzelnen Gemeinde, die angefahren wurden
hingen alle in dem Ring der Gemeinde. Es war tatsächlich so,
dass ehemalige Sozialhilfeempfängerinnen, und auch Frauen,
die heute noch Bezieherinnen von Leistungen waren, dort
ihren „Dienst“ versahen. Die Hälfte des „Liebeslohnes“
wurde zwischen Lewinski und dem jeweiligen Betreiber,
meistens auch ehemalige Hilfskräfte der Gemeinde, aufgeteilt.
Die Einnahmen wurden als Spenden an die Kirche getarnt
und wurden von den „Spendern“ regelmäßig auch noch von
100
der Steuer abgesetzt. Die Küche lief wirklich auf zwei
verschiedenen Ebenen. Während ich in der Feinkostküche
beschäftigt war, wo nur die besten eingesammelten Spenden
verwertet wurden und nur selten Nachkäufe vorgenommen
werden mussten, stammten die Zutaten der zweiten Küche,
für die Armen, meistens aus Gaben schon längst abgelaufener
Lebensmittel, die von weiteren Sozialhilfeempfängern
eingesammelt wurden. Insgesamt ein außerordentlich
florierender Betrieb. Die geordneten Einkünfte aus den
Doppelbezügen der Hilfsempfänger an verschiedenen Orten,
wurden von den Empfängern mit Lewinski geteilt. Der sorgte
für ordentliche Papiere, die Empfänger konnten doppelt
kassieren. Beide Seiten waren glücklich.
Ein ganzes Netz von Kioskbetreibern nahm ausgegebene
Essensmarken zum halben Preis gegen Abgabe von
Spirituosen in Empfang. Dieser Schnaps wurde den
Kioskbesitzern über eine Großhandelsfirma der Gemeinde
angeliefert, so dass diese Bestände auch nie bei den Kiosken
in den Büchern standen. Der Großhandel verbuchte es als
Exporte.
Als wir uns nach einem hervorragendem Essen und einer
Flasche ebenso guten Rotweins uns auf den Heimweg
machten, fiel Eva auf, dass der Wagen gar nicht
kurzgeschlossen, sondern mit Schlüssel gefahren wurde. Ich
lächelte sie an, fuhr auf einen Parkplatz und meinte dann zu
ihr: „Mein Schatz, es ist manchmal einfacher den Schlüssel zu
benutzen, als mit Brachialgewalt einen Eingang zu suchen.“
Dann nahm ich mein eigentliches Handy aus dem
Handschuhfach und wählte eine Nummer.
Jetzt, kurz vor Mitternacht, meldete sich Schmücker mit
leicht verschlafener Stimme, nur mit einem Hallo. Ich
erkannte die Stimme trotzdem und erstattete Bericht. Ich
konnte hören, wie er eifrig mitschrieb, mich manchmal kurz
unterbrach um mitzukommen und dann weitere Details hören
wollte. Seine kurze Zusammenfassung lautete: „Also sind
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sämtliche Unterlagen in dem Büro, das an das eigentliche
Gemeindzentrum im Keller angrenzt. Ich werde sofort mit
meinen Kollegen in Wiesbaden Kontakt aufnehmen und den
Zugriff durch das BKA in sechs Stunden veranlassen. Hier in
der Stadt wird keine Dienststelle benachrichtigt. Der Zugriff
erfolgt in vier Bundesländern ist somit Bundesangelegenheit.
Bringen Sie ihre junge Dame in Sicherheit und bleiben Sie auf
Tauchstation, bis Sie von mir über dieses Handy hören.
Gehen Sie nicht zurück in die Wohnung der Eva Peters und
nicht zu sich nach Hause. Bei dem Spesensatz können Sie sich
ein hervorragendes Hotel leisten. Wäre das „Maritim
Travemünde“ angenehm?“
„Wenn Sie es arrangieren können.“
Eva hatte mich während des Telefonats fast panisch
angesehen. „Wer war das? Hast Du mich jetzt verraten? Ich
kann niemals zurück, die bringen mich um, wie damals die
Virginia, meine Vorgängerin. Sie ist niemals wieder
aufgetaucht.“
Ich hatte den Wagen wieder gestartet und gesagt: „Beruhige
Dich, wir gehen jetzt erst einmal schön Baden.“
Schon nach wenigen Kilometern hatten wir die Autobahn
erreicht und ich fuhr den Wagen voll aus.
Geschwindigkeitsbegrenzungen störten mich an diesem
Abend überhaupt nicht. Eva war auf dem Beifahrersitz immer
kleiner geworden und ich fragte sie: „Angst?“
„Schrecklich, müssen wir so rasen?“ „Ist doch fast so schön
wie fliegen, entspann dich und genieße die Fahrt.
Wir brauchten etwas über eine Stunde, dann hielt ich den
Wagen vor dem Maritim und übergab den Schlüssel dem
Portier und ging hinüber zum Empfang und nannte meinen
Namen.
„Oh, selbstverständlich Herr Teufel. Man sagte mir Sie
benötigten die Hochzeitssuite, das war doch richtig?“
„Ja. Ist der Champagner schon gekühlt?“
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„Selbstverständlich, Wir kümmern uns um Ihr Gepäck.
Man wird Sie schon zum Zimmer geleiten.“
Ich hatte sie breit angelächelt.
„Mein Gepäck trage ich selbst“, und hatte Eva auf die
Arme genommen und war vor dem verdutzten Hausboy auf
den Lift zugegangen. Ich hatte sie auch noch über die
Schwelle getragen und sie hatte während der ganzen Zeit die
Augen geschlossen gehalten.
Als der Boy, ein etwa Vierzigjähriger, den Raum verlassen
hatte, setzte ich Eva sanft auf dem Bett ab. Sie öffnete die
Augen und stammelte unter Tränen:
„Mein lieber Großer, mein großer Teufel, du spinnst
einfach.“
Dann hatte ich sie herumgeführt, die Flasche Champagner
geöffnet und uns eingeschenkt.
Als ich ihr den Whirlpool zeigte mit der
Unterwasserbeleuchtung und dem sprudelnden Wasser, hatte
sie ihr Glas auf den Wannenrand gestellt und sich in
Windeseile entkleidet. Ich tat es ihr nach und wir genossen die
Entspannung.
Ich nahm sie auf meinen Schoß und küsste sie sanft auf den
Mund und streichelte ihren Hals, ihre Schultern, ihren
schönen Busen. Dann streichelte mein Mund dort wo eben
noch meine Hände gelegen hatten und wir spürten, wie wir
ineinander wuchsen. Wir hielten uns umschlungen, ohne uns
zu bewegen und die Vereinigung wurde immer intensiver bis
zur gemeinsamen Explosion. Wir hielten uns weiter und
streichelten den Körper des Partners und genossen das
sprudelnde Wasser um uns herum. Als wir fast gleichzeitig zu
unseren Champagnergläsern griffen, stellten wir fest, er war
warm geworden und schütteten ihn einfach über uns.
Noch nass trug ich sie hinüber zum Bett und küsste jeden
Tropfen von ihrem Körper. Sie stand mir nicht nach und
trocknete auch meinen Körper. Wir tranken Champagner von
der Haut des anderen, fanden uns, vereinigten uns und
103
schwebten immer wieder davon. Der Himmel war schon
taghell, als wir eng umschlungen einschliefen. Mit dem
Aufwachen liebten wir uns erneut und fielen in den zweiten
Schlummer, bis mein Handy mich aus der Seligkeit erweckte.
„Wir haben alles sicherstellen können. Lewinski ist auf der
Flucht. Aber wir haben ihn geortet.
Wir werden Straßensperren auf der Autobahn A45
errichten. Dort ist er in Richtung Süden unterwegs. Er scheint
in die Schweiz zu wollen. Sie hören von mir.“
Eva hatte mich fragend angesehen, denn ich hatte keinen
Ton gesagt und wieder aufgelegt.
„Ist jetzt alles aus?“
„Mit der Gemeinde wohl ja, aber nicht mit mir“, und hatte
wieder nach ihr gegriffen, aber sie hatte sich mir entzogen und
gesagt, „ich habe jetzt Hunger, Frühstückshunger, und dann
können wir weiter Appetit haben“, damit war sie im
Badezimmer verschwunden und ich hatte den Service
angerufen.
Um elf Uhr kam es in den Nachrichten. Die Polizei hatte
den flüchtenden Wagen von Lewinski auf der Autobahn
gestellt, nachdem er eine Straßensperre durchbrochen hatte.
Gezielte Schüsse hatten die Vorderreifen zerfetzt und das
Auto war durch ein Brückengeländer gerast und 35 Meter in
die Tiefe gestürzt. Der Wagen war beim Aufprall sofort
explodiert und Lewinski war im Autowrack verbrannt. Der
Kirchenfürst war zur Hölle gefahren.
Dort würde ich ihm später bei einem Wiedersehen mächtig
einheizen. Das gebot schon die Ehre meines Namens.
Wie durch ein Wunder war bei dem Sturz in die Tiefe kein
weiterer Mensch verletzt worden, obwohl die Straße, auf die
der Wagen gestürzt war, sonst rege befahren war. Vielleicht
104
hatten andere Menschen Schutzengel, die ein Pater gesandt
hatte.
Wir hatten ausführlich gefrühstückt und hatten beide den
Champagner, der zu diesem Frühstück ebenfalls serviert
wurde, verschmäht. An weiteren Liebesaktionen wurden wir
durch die jetzt immer schneller ankommenden Telefonanrufe
von Schmücker und zuletzt auch Lehmkuhl gehindert. Wir
wurden zurück in die Stadt beordert, um unsere gemeinsamen
Aussagen zu machen. Ich beglich die Hotelrechnung mit
Kreditkarte und ließ mir eine ordentliche Spesenrechnung
aushändigen. Die Rückfahrt ging dann wesentlich langsamer
vonstatten, denn ich wollte mir auch Zeit lassen um die
Gemeinsamkeit mit Eva zu genießen. Unsere wunderbare
Stimmung wurde allerdings nach Eintreffen im
Polizeipräsidium unsanft zerrissen. In einem vertraulichen
Gespräch mit dem Herrn Minister wurde mir mitgeteilt, dass
ich zwar mein Honorar für die vier Tage meines Einsatzes,
plus der entstandenen Spesen erhalten würde, aber ein
Erfolgshonorar nicht gezahlt werden könne, da es ja zu keinen
offiziellen Anklagen und damit auch zu keinen Verurteilungen
kommen würde. Meine Bezüge, die ich aus Staatsmitteln von
den Sozialämtern ausgezahlt bekommen hätte, würden
verrechnet, da sie ja erschlichenen Leistungen gewesen seien.
Man würde auch die Rolle Eva´s genauer untersuchen
müssen, da sie ein derartiges Wissen viel früher an die
Behörden hätte weitergeben müssen.
Die gefundenen Listen der Zahlungen an Beamte des
Sozialdienstes und anderer hoher Verwaltungsmitglieder
zeigte
keine
verwertbaren
Hinweise,
um
hier
Bestechungsvorwürfe konstruieren zu können. Die
„Armenküchen“ würden geschlossen um einen weiteren
Missbrauch
zu
verhindern.
Die
Ausgabe
von
Essensgutscheinen seitens des Sozialamts würde eingestellt
werden. Die angelegten Kleiderkammern, aus denen die
105
Gemeinde Bedürftige eingekleidet hatte, würden aufgelöst,
und die gesammelten Kleidungsstücke würden anderen
sozialen Kleidersammlungen zugeführt. Aus dem Verkauf des
Inventars der Gemeindeeinrichtungen sollten die Erlöse dem
Sozialfonds der Stadt zugeführt werden, um wenigsten einen
kleinen Teil der Schädigungen, die der Staatskasse zugefügt
worden war, auszugleichen. Der Fuhrpark der Gemeinde,
wozu auch der Mercedes meines „Freundes“ Möbius gehörte,
wurde eingezogen und dem Staat zur Verfügung gestellt. Bei
dieser Gelegenheit erfuhr ich dann auch, dass Möbius
entkommen war, und da er als nicht so wichtig angesehen
wurde, war noch nicht einmal eine ordentliche Fahndung nach
ihm ausgeschrieben. Erst auf mein ausdrückliches Verlangen
hin, wurde die Fahndung dann eingeleitet. Ich hatte nicht
vergessen, dass Eva mir gesagt hatte, dass sie Möbius sogar
für das Verschwinden ihrer ehemaligen Kollegin Virginia
verantwortlich machte.
Über den Verbleib des Vermögens der Gemeinde herrschte
Unklarheit, denn auf den offiziellen Konten waren nur
unbedeutende Beträge sichergestellt worden. Man ging davon
aus, das Lewinski die übrigen Gelder sicher in der Schweiz auf
Nummernkonten eingezahlt hatte. Da keine Unterlagen über
derartige Konten gefunden wurden, ging man davon aus, dass
die Unterlagen entweder mit im Wagen verbrannt waren, oder
nur im Kopf des Mannes vorhanden gewesen waren, und
somit unrettbar verloren.
Als Eva und ich dann weit nach Mitternacht aus dem
Polizeigebäude wegfuhren kochte ich vor Wut. Der Schlag,
den die Behörden geführt hatten, war ein Schlag ins Wasser
gewesen. Die Verantwortlichen waren entweder tot, oder aber
verschwunden. Die Listen der geschmierten Beamten, seinen
zu unvollständig, um gegen sie vorgehen zu können, war der
für mich unbefriedigenste Teil, dieser Aktion. Geschädigt
waren nur Menschen, die nun noch nicht einmal mehr
schlechte Mahlzeiten serviert bekamen und kleine Mitläufer.
106
Immer wenn wir an roten Ampeln anhalten mussten, schlug
ich mit flachen Händen auf das Steuerrad, und fuhr mit viel
zuviel Gas an, wenn es weiter ging. Eva hatte sich wie gestern
auf der Schnellfahrt über die Autobahn, ganz klein in die Ecke
ihres Beifahrersitzes verkrochen. Sie war wieder verängstigt.
In meiner Wohnung wollte sie mich dann auf andere
Gedanken bringen aber ihre Verführungsversuche misslangen,
weil ich Angst hatte, meine Wut an ihr auszulassen. Ich hatte
sie auf meinen Schoß genommen und versuchte es ihr zu
erklären; aber ich merkte, es machte sie traurig. Sie brauchte
nach dem Abenteuer des Behördendschungels Bestätigung
und ich konnte sie ihr in meiner ohnmächtigen Wut nicht
geben. Wir saßen dann schweigend auf der Couch, jeder mit
seinen eigenen Gefühlen beschäftigt, als sie mich plötzlich mit
wieder fester Stimme fragte: „Warum bringst du mich nicht in
meine Wohnung, dann kann ich wenigstens die Flasche
Weinbrand unter der Couch aussaufen? Aber hier
herumhängen und Trübsal zu blasen, ist schlimmer als der
Rausch, den ich dann bekommen würde.“
Dadurch
wurde
ich
aus
meinen
trübseligen
Gedankengängen gerissen, und es war, als ob ein Lichtschalter
in meinem Kopf gedreht worden sei. Es wurde hell in meinen
Gedanken. Sie hatte bemerkt, wo ich die Flasche versteckt
hatte und hatte dennoch nicht davon getrunken. Sie war
standhaft geblieben und ich fragte mich, was sie sonst noch
beobachtet haben könnte, bei ihrer Arbeit, was uns jetzt
beiden nützlich sein könnte. Ich sprang auf und vollführte
einen Freudentanz, riss die Arme immer wieder nach oben
und schrie: „Ja, Ja, und nochmals ja.“
Sie sah mich an, als ob ich jetzt total den Verstand verloren
hätte, und war noch verdutzter als ich auf sie zuschoss, sie
von der Couch hob und sie herumwirbelte. Ich tanzte mit ihr
durchs ganze Zimmer, bevor sie anfing sich zu wehren und
versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien und
107
schrie:“ Was soll das Teufel? Was ist in dich gefahren? Du tust
mir weh.“
Ich ließ sie nicht los, sondern hob sie nur ein wenig höher
und küsste sie. Sie strampelte, aber ich ließ sie nicht los.
Wenig später erwiderte sie meinen Kuss und als wir uns
atemlos voneinander trennten, fragte sie nur: „Teufel, durch
welche Höllen du mich auch immer schleifst, wenn sie so sind
wie diese, bin ich gerne bereit, mitzuziehen“, und plötzlich
kullerten ihr dicke Tränen über die Wangen, „ich lieb dich
doch so sehr.“
Ich setzte sie ganz sanft wieder auf die Couch und kniete
mich neben sie.
„Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist, ich weiß nur, dass
ich dich auch liebe. Ich weiß nicht, was ich angestellt habe,
aber wenn du schon herausfindest, wo ich den Schnaps
versteckt habe und du ihn trotzdem nicht anrührst, dann ist
das für mich der größte Beweis deiner Liebe zu mir. Aber du
solltest wissen, dass du den Belzebub mit dem Teufel
vertrieben hast“, sagte ich ganz zärtlich, „und ich will dich.“
Sie hatte die Arme wieder um meinen Hals geschlungen
und flüsterte mir ins Ohr: „Ich will vom Teufel besessen sein,
bitte fick mich, jetzt und hier.“
Der Satz hatte kein wenig obszön geklungen.
Wir fielen übereinander her, wie Verhungernde über eine
Scheibe Brot, die am Wegesrand liegt. Nach langer Zeit lagen
wir immer noch halb angekleidet, völlig erschöpft, aber
glücklich, eng umschlungen auf dem Fußboden und ich
streichelte ihr Gesicht. Ihre Augen glänzten, Schweiß stand
auf ihrer Stirn, die Wangen gerötet und schwer atmend und
sie sagte: „Solange ich vom Teufel besessen bin, solange wird
der Teufel Alkohol nicht in meine Nähe kommen können“,
und sie küsste mich zärtlich.
Wir befreiten uns von den restlichen Kleidungsstücken und
ich holte aus der Küche zwei Flaschen Bier aus dem
Kühlschrank. Wir tranken nackend direkt aus der Flasche und
108
ich ergänzte die Idee: „Dem soll nicht entgegen stehen, dass
wir gelegentlich dem Gott Bacchus huldigen, und wenn es mit
einem kalten Bier ist.“
„Mir ist jetzt kalt“, sagte sie einen kleinen Augenblick später
und wir gingen gemeinsam ins Schlafzimmer. Wir saßen im
Bett, die Decke über unsere Körper gezogen und genossen
das kalte Bier aus der Flasche, als sie mich fragte: „Meinst du,
die haben auch die Unterlagen aus dem geheimen Tresor
unter dem Altar des Kirchenraumes schon ausgewertet?“
Ich war aus meinem schläfrigen Wohlbehagen sofort wieder
hellwach geworden, als sie von einem geheimen Tresor
gesprochen hatte. „Geheimer Tresor?“
„Ich weiß nicht wie geheim er war. Lewinski hat mich
einige Male mit Listen dort hin beordert, die er dann dort
hineingelegt hat. Da waren wir dann immer allein gewesen.“
Sie schauderte bei dem Gedanken und ich hakte sofort nach.
„Allein mit ihm, dem großen Meister? Auch kein Möbius
als Aufpasser für dich dabei?“
Jetzt bibberte Eva, die Gedanken an die vergangenen
Momente schienen viel schlimmer zu sein als ich ahnte, aber
sie setzte trotzdem an zu sprechen, wenn auch stockend: „Ja,
er war dann immer allein, das war meistens am Freitag nach
der Messe. Er hat mich dann immer erst noch ins Büro
geschickt und dann musste ich Listen bringen, die Möbius am
Tag fertig gestellt hatte und die in einem Stahlschrank in
unserem Büro gelegt wurden. Nur Möbius und Lewinski
hatten Schlüssel zu dem Stahlschrank. Lewinski gab ihn mir
dann jedes Mal und ich musste den Schrank auch hinterher
immer wieder abschließen, wenn ich die Listen raus
genommen hatte. Und wenn ich ihm die Listen dann brachte
stand er schon am Altar und hatte seinen Hosenstall offen
und sein Glied hing heraus. Ich musste ihn dann erregen und
ihm meine Brust zeigen. Erst musste ich ihn nur mit der Hand
erregen und dann“, sie stockte immer mehr, und Schauder
schüttelten ihren Körper, „und dann musste ich ihn mit dem
109
Mund befriedigen und alles runterschlucken.“ Sie verzog ihr
Gesicht angewidert und voller Ekel.
„Er hat dann immer gesagt: „Kind, trink den Nektar deines
Herrn“, und hat darauf geachtet, dass ich auch alles, bis auf
den letzten Tropfen wirklich runterschluckte, danach hat er
mir einen der Kelche gegeben, die auf dem Altar standen und
ich musste ihn austrinken. Da war aber kein Wein drin,
sondern Schnaps, ich glaube Wodka, und der Kelch war
wirklich fast voll. Aber den brauchte ich dann auch, so
widerlich war das alles. Darum war ich freitags dann immer
noch voller als an den anderen Tagen. Ich bin dann hin und
habe mir am Kiosk meistens noch weiteren Schnaps gekauft
um am Wochenende weiter saufen zu können.“
Ich schwieg zunächst. Erst als sie sich an mich schmiegte
fing ich an weiterzufragen:
„Hast du jemals mitbekommen, wie er das Versteck
öffnete? Hat er einen Schlüssel benutzt, oder gab es da ein
Zahlenkombinationsfeld?“
„Nein, das war noch einfacher. Er drückte auf eine der
Verzierungen des Altars und dann ging die Tür von allein
auf.“
Ich überlegte, ob wohl die Polizei dieses Versteck gefunden
hatte oder nicht. Erwähnt hatten sie es mit keinem Wort.
Außerdem überlegte ich, ob Möbius von diesem Versteck
gewusst haben könnte, und dort schon gewesen war, um die
Akten, oder was sonst darin lagerte an sich zu bringen. Als ich
mein Bier ausgetrunken hatte, sagte ich Eva, was wir tun
müssten. Sie sah sofort wieder ängstlich aus, und meinte nur,
ob es nicht reichen würde, wenn wir der Polizei von dem
Versteck erzählen würden.
Sie hatte mir ins Gesicht gesehen und meine Reaktion
beobachtet. Sie hatte gesehen, dass ich nichts mehr mit diesen
Behörden zu tun haben wollte und die Entschlossenheit die
Angelegenheit auf meine Art zu beenden.
110
Ich war aus dem Bett aufgestanden und hatte Eva
aufgefordert es mir gleich zu tun, weil in dieser Nacht noch
jede Menge Arbeit auf uns wartete. Ich zog mir schnell einen
dunklen Rollkragenpullover und schwarze Jeans und schwarze
Turnschuhe an, steckte mir Latexhandschuhe in die Taschen
der Jeans und nahm mein Spezialschlüsselbund und eine
kleine Stablampe und sagte Eva, die sich ebenfalls wieder
angezogen hatte, dass wir bei ihr zu Hause vorbeifahren
wollten, damit sie auch dunkle Kleidung anziehen könne. Ich
fragte sie ob sie auch dunkle Schuhe hätte, und sie sagte ja, ein
paar alte Ballettschuhe. Wir machten uns auf den Weg zu ihr,
und sie zog sich um. Wie wir in den Kirchenraum gelangen
konnten
ohne
von
den
eventuell
vorhandenen
Wachmannschaften bemerkt zu werden, hatte sie mir schon
erklärt. An den Freitagen hatte Lewinski sie nicht aus dem
Haupteingang entlassen, sondern war über eine getarnte Tür
über ein weiteres Treppenhaus des Blocks nach draußen
geleitet worden. Sie war sicher, dass sie dieses Treppenhaus
wieder finden könnte.
Ich hatte den Wagen auf eine Parkfläche an dem
Wohnblock, gleich neben der ebenerdigen Garagenanlage
abgestellt. Der Tiefgarageneingang war wirklich durch einen
Polizisten gesichert. Beim Heranfahren hatte ich auch den
parkenden Wagen gegenüber des Haupteinganges der
Gemeinde bemerkt. Ob in den Räumen der Gemeinde weitere
Posten stationiert waren, konnte ich nicht beurteilen. Sie
warteten scheinbar auf das Erscheinen von Möbius; aber ich
war ziemlich sicher, dass er längst über alle Berge war und sich
hier nie wieder sehen lassen würde.
Eva meinte auf Anhieb, den richtigen Eingang gefunden zu
haben. Es war auch keine Schwierigkeit mit meinem
Spezialschlüsselbund hier Einlass zu bekommen, aber dann
wurde es schwierig. Wir konnten im Treppenhaus kein Licht
machen, weil das von dem Wachtposten vor der Tiefgarage
bemerkt werden würde. Aber eine getarnte Tür in einem
111
stockdunklen Treppenhaus zu finden, ist auch so eine Sache.
Ich fragte Eva flüsternd: „Wenn ihr aus der Tür gekommen
seid, musste ihr Stufen nach oben oder nach unten nehmen?“
„Wir sind nach unten.“
Ich versuchte mir den Gesamtbau dieses Komplexes
vorzustellen und auf welchen Ebenen alles gebaut war. Da der
vordere Teil des Hauses etwa zwei Meter höher lag, als die
Rückseite, wo wir jetzt waren, konnte es nur eine Tür im
Hochparterre sein. Ich ließ hier in diesem Flur, wenn ich
einen Eingang fühlte die Taschenlampe kurz aufblitzen um
nach einem Türschild, oder einem Klingelknopf zu suchen.
Denn wenn es sich um eine Wohnung handelte, dann war ich
falsch. Es konnte nur eine Tür sein, ähnlich der, die in dem
anderen Aufgang als „Sprinklerraum“ gekennzeichnet war. Ich
fragte Eva noch, ob sie sich über eine größere Strecke auf
dem Flur bewegt hatten, aber sie konnte sich daran nicht
erinnern. Ich untersuchte den Flur bis zum Ende, wo die
Mauer des nächsten Aufganges ihn begrenzte, aber konnte
nichts finden. Ich fragte, ob sie sich sicher sei, dass sie den
richtigen Eingang erwischt hatte, und sie antwortete mit
Bestimmtheit, dass wir hier richtig seien. Ich fing von neuem
an und ging in umgekehrter Reihenfolge vor. Als ich die Tür
dann fand, war ich erstaunt wie einfach es gewesen war. Der
Eingang zur Eckwohnung, war etwas zurückgesetzt in einer
Nische, und hier war eine schmale Tür eingelassen und mit
dem Blitzzeichen versehen. „Elektrikraum“ war die
Beschriftung. Sie ließ sich mit einem Vierkantschlüssel öffnen
und es war stockdunkel in dem Raum, der sich tiefer in das
Gebäude schnitt, als ich erwartet hatte. Es war eigentlich ein
langer Flur. Wir schlossen die Tür wieder von innen und ich
ließ die Taschenlampe im abgedunkelten Modus aufleuchten.
Glatte Wände mit dicken Kabelsträngen auf Stahlträgern
führten in die Tiefe des Hauses. Der Gang führte in einen
quadratischen Raum. Hier standen überall Stromzähler und
Verteilerkästen. Zwischen zwei Zählerschränken befand sich
112
eine Feuertür, die nicht abgeschlossen war. Als ich sie öffnete
konnte ich den schwachen Duft von Weihrauch vernehmen.
Wir waren schon auf Kirchengelände. Es war ein Gang hinter
der Altaranlage und als ich um die Ecke lugte, konnte ich am
anderen Ende des Raumes Licht durch die weit oben
angebrachten Fenster fallen sehen. Ich lauschte und hielt Eva
zurück, die in den Raum treten wollte. Wir lauschten vielleicht
eine volle Minute, bevor wir in den Raum schlichen. Durch
die seitlich, ebenfalls sehr hoch angebrachten Fenster mit
Mosaikverglasung, fiel ein wenig Licht von den
Straßenlaternen herein. Sie gaben genug Helligkeit um die
Umrisse des Altars zu erkennen. Eva ging zielstrebig auf den
linken Säulenträger zu und tastete am oberen Rand an den
Verzierungen. Ich war froh, dass wir umsichtig genug gewesen
waren, auch Eva mit Latexhandschuhen zu versehen. Es
dauerte nicht lange, als die Säule aufschwang und sich ein
dunkler Innenraum auftat. Ich leuchtet kurz und dann griff
ich hinein und holte ein Bündel Akten nach dem anderen
heraus, die wir in einer von mir mitgeführten Leinentasche
verstauten. Neben den Akten fanden wir auch diverse
Geldbündel und zwei Goldbarren. Wir räumten den ganzen
Raum aus und ich leuchtete zum Schluss noch einmal hinein
und fand das Wichtigste. Einen Tresorschlüssel.
Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass wir nichts
zurückgelassen hatten, drückte ich die Tür wieder zu und
machte Eva ein Zeichen, dass wir verschwinden sollten. Sie
hatte sich vor dem Altar gekniet und verloren vor sich
hingestarrt. Als sie auf mein Zeichen nicht reagierte richte ich
kurz den Strahl der Lampe auf ihr Gesicht. Sie schien die Qual
der Erniedrigungen, die ihr an dieser Stelle zugefügt worden
waren, nochmals zu durchleben und ich musste sie
hochziehen und fast hinter mir herschleppen um aus dem
Raum zu kommen. Wir kamen ohne weitere Schwierigkeiten
zum Auto und ich fuhr los. Evas Gesicht war immer noch
versteinert. Wir fuhren wieder zu ihr und ich bat sie die
113
Sachen mitzunehmen, die sie in der nächsten Zeit brauchen
würde. Da die meisten ihrer Kleidungsstücke noch in der
Reinigung waren, brauchte sie nur kurze Zeit, um zu packen.
Wir fuhren wieder los, diesmal in meine Wohnung.
Die Leinentasche hatte ich einfach auf den Küchentisch
gestellt und ihren Koffer ins Schlafzimmer getragen. Hier
räumte ich ein paar Fächer meines Kleiderschrankes um, und
räumte ihre Habseligkeiten ein. Sie saß immer noch mit völlig
abwesendem Blick auf der Couch und als ich mich zu ihr
beugte sagte sie mit fast mechanischer Stimme, die wie die
Blechstimme einer Puppe klang:
„Teufel, heil mich, bitte heil mich. Ich will es wiederholen.
Ich will so tun, als ob ich von dem verhassten Gottesmann
den verheißenden Nektar empfange; aber es soll der Nektar
des Teufels sein und ich werde wieder rein sein. Heil mich.
Heil mich bitte.“
Sie war vor mir niedergekniet und knöpfte meine Hose auf.
Ich schaute angestrengt gegen die Wand und dicke Tränen
rollten über mein Gesicht, während ihr Kopf auf und nieder
fuhr.
Als sie endlich ins Badezimmer ging und ich sie gurgeln
hörte, war in mir ein der endgültige Bruch mit der Kirche
geschehen.
114
Des Teufels Achterbahn
Kapitel 1 – Anfahrt
Ich hatte es nicht vergessen. Es hatte einen Menschen in
meinem Leben gegeben, dem ich blind vertraut hatte, den ich
über alle Maßen geliebt hatte und der mich dennoch so
schmählich verraten hatte. Das ich letztendlich auch den Tod
dieses Menschen verursacht hatte, nagte immer noch an mir
und ich war häufiger als mir lieb war von Alpträumen
geschüttelt, schweißnass in meinem Bett aufgewacht. Zuerst
hatte ich versucht, diese Zustände mit Alkohol zu betäuben,
dann war ich durch einen Menschen, den ich heute sehr
schätze und damals nur kurz kannte, aus diesem eigenen
Teufelskreis herausgetreten und war zu dem geworden, was
ich heute bin. Ein privater Ermittler, der in den Abgründen
der
Mitmenschen
herumstochert
und
versucht
Ungerechtigkeiten auszugleichen, die von skrupellosen,
geldgierigen, und machthungrigen Mitmenschen begangen
werden.
Ich versuchte sie den staatlichen Behörden auszuliefern um
sie der gerechten Strafe zuzuführen. Aber mir wurde leider
auch zu häufig klargemacht, dass ich keine Gerechtigkeit,
jedenfalls keine irdische Gerechtigkeit, herbeiführen kann.
Wie kann man einen Toten strafen, der andere Menschen
durch seine Taten in den Suff, ins Elend des Wahnsinns oder
sogar in den Tod getrieben hat? Und wie kann man diejenigen
strafen, mit deren Wissen und Duldung, mitunter der aktiven
Mithilfe, dieser Tote seine Untaten begangen hat? Das waren
die Fragen, die mich nach der Höllenfahrt des Paters
Lewinski, der in seinem zerschmetterten Auto verbrannt war,
immer wieder beschäftigten, besonders wenn ich mich um
meine zweite große Liebe kümmerte; Eva, die Frau, die ich bei
meinen Nachforschungen über die Sozialhilfebetrügereinen
einer christlichen Gemeinde, kennengelernt hatte. Sie war
Alkoholikerin gewesen als ich sie kennen lernte, war von
115
diesem Pater im Vollrausch regelmäßig missbraucht worden.
Sie litt trotzdem größte Qualen, weil sie sich vorwarf, sowohl
an seinem Tod mitverantwortlich zu sein, als auch an dem
noch größeren Elend ihrer ehemaligen Leidensgenossen,
denen von den Sozialämtern auferlegt worden war, dass sie
von ihren mickrigen Leistungen, die sie empfingen, noch
wieder Rückzahlungen zu leisten hatten, weil sie unter
Anleitung des großen Meisters zusätzliche Leistungen
erschlichen hatten. Die Härte der Gesetzgebung konnte nicht
mehr denjenigen treffen, der es angezettelt hatte, sondern traf
nur die Ärmsten der Armen.
Eva hatte eine ganz kurze Phase des Glücks miterleben
können, als sie den Entschluss fasste, dem Alkohol zu
entsagen und in meinen Armen das Glück einer Liebe zu
erfahren. Dann wurde sie vor Gericht gezerrt und man warf
ihr vor, fahrlässig mitgeholfen zu haben, dass der Staat um
viele Millionen betrogen worden war. Ihre Rolle als
Informantin wurde zwar gewürdigt, und die Strafe, die man
ihr auferlegte zur Bewährung ausgesetzt; aber sie wurde für
schuldig
befunden
und
verurteilt.
Die
wüsten
Beschimpfungen der Leidensgenossen und Nachbarn, die sie
ertragen musste, als wir ihre Sachen aus ihrer ehemaligen
Wohnung holten und sie bei mir einzog, gaben ihrem labilen
Zustand den Rest. Sie fing erneut an zu trinken und diesmal
reichten auch meine Kraft und meine Liebe nicht aus, sie vor
dem endgültigen Untergang zu bewahren. Nach einigen sehr
unangenehmen Zwischenfällen, die zur sofortigen
Inhaftierung aus der Bewährungsstrafe geführt hätten, ließ
man mir nur noch die Wahl: Entweder Gefängnis oder
Einweisung in die Psychiatrie. Ich hatte letzterem zugestimmt,
nachdem ich vorher durchsetzen konnte, dass sie mich
heiraten durfte. Jetzt fuhr ich, wenn es eben ging, zweimal
wöchentlich in die Klinik und besuchte sie. Wir durften dann
bei schönem Wetter gemeinsam im Park auf einer Bank sitzen
und Hände halten. Sie lächelte mich dann wie von ganz ferne
116
an und schien glücklich. Auch die Ärzte wussten nicht, ob sie
mich erkannte oder nicht. Ihnen war nur aufgefallen, dass
dieses Lächeln nur erschien, wenn ich ihre Hand hielt. Wenn
eine Schwester oder ein Arzt ihre Hand ergriff schaute sie nur
blicklos durch diese Person. Das Leben schien aus ihr
gewichen und unter dem Einfluss der Medikamente, die man
ihr verabreichte, war sie eine friedliche, willenlose,
mechanische Puppe, die man füttern, ankleiden, auskleiden,
waschen, kämmen und ins Bett legen konnte.
Unsere Liebe hatte als eine Notgemeinschaft begonnen in
der ich auserkoren war, sich ihr zu nähern, ihren
Alkoholismus ausnutzend, über ihre Beziehungen in den
inneren Kreis der Gemeinde zu kommen. Das war mir
gelungen. Gleichzeitig war aus einem anfänglichen
Beschützerinstinkt, den ich vom ersten Augenblick an für sie
empfunden hatte, eine tiefe Liebe entstanden, die uns in den
ersten Wochen in einen Sinnesrausch versetzte. Sie schien
sogar die sexuelle Demütigung, die ihr Pater Lewinski
zugefügt hatte, überwunden zu haben. Unsere körperlichen
Vereinigungen waren ohne jede Scheu und Zurückhaltungen.
Jeder schien immer zu ahnen, wie des Anderen Verlangen
gerade war, und wir liebten uns, wann immer wir Gelegenheit
dazu fanden. Besonders in der Zeit als wir gemeinsam die
Nachforschungen nach ihrer verschwundenen Vorgängerin
Virginia und nach dem flüchtigen ehemaligen Verwalter der
Gemeinde, Möbius anstellten. Hierzu waren wir mit
Genehmigung der Behörden viel auf Reisen, die ich auch zu
meinen anderen privaten Ermittlungen nutzte. Da man mir
mein zugesichertes Honorar verweigerte, ein hoher
Staatsdiener sein Wort brach und auch keine Aussicht darauf
bestand, dass andere „geschmierten“ hohen Beamte des
öffentlichen Dienstes verfolgt würden, hatte ich beschlossen,
die Angelegenheit auf meine Weise zu bereinigen. Ich
verschwieg den Inhalt des von uns geräumten Kirchentresors.
Die offiziellen Ermittler hatten noch nicht einmal zur
117
Kenntnis genommen, dass ein derartiger Aufbewahrungsort
überhaupt vorhanden gewesen war. Selbst beim Abbau des
Altarraums der Gemeinde und der Verwertung der
Gegenstände, war man nicht über den Hohlraum in der linken
Standsäule des Altars gefallen.
Das vorgefundene Bargeld und die beiden Goldbarren
wurden von uns als Erfolgshonorar betrachtet und hatten uns
mehr als entschädigt. Wenn wir es zurückgegeben hätten,
wäre uns bestimmt kein Finderlohn gezahlt worden. Die dort
vorgefundenen Akten waren allerdings von derartiger Brisanz,
dass sie zwar gerichtlich nicht verwertbar gewesen wären, mir
aber die Möglichkeit zu meinem privaten Rachefeldzug gaben.
Anhand dieser Akten war es uns auch gelungen den flüchtigen
Möbius aufzufinden. Lewinski hatte ganze Arbeit geleistet und
hatte sowohl über viele Politiker, als auch über einige wichtige
Mitarbeiter akribisch deren meist schlechten Angewohnheiten
durch umfangreiches Beweismaterial dokumentiert. Einige
Politiker waren zur Zusammenarbeit erpresst worden, andere
wiederum wurden erpressbar, nachdem sie Zahlungen oder
andere Dienstleistungen des Kirchenfürsten in Empfang
genommen hatten. Viele Akten waren aus Vorsorge für
eventuellen späteren Gebrauch gefertigt, andere wiesen klare
Mitverantwortlichkeit für die Missstände der Verwaltung und
Duldung der Machenschaften der Gemeinde aus. Einige,
wenn auch wenige, zeigten die direkte Zusammenarbeit von
Staatsdienern und Lewinski auf. Diese Politiker hatten
sicherlich in den ersten Tagen nach dem Tod Lewinskis
nächtliche Alpträume. Sie hatten mehr als Angst, dass Akten
gefunden werden könnten, die sie belasteten und es mit ihrem
schönen Leben vorbei sein könnte, aber als nach zwei
Wochen die Staatsanwaltschaft immer noch nicht bei ihnen
anklopfte, gingen sie davon aus, das alles Material, von dem
sie wussten, das Lewinski es besessen hatte, im Auto ebenfalls
mit verbrannt war. Sie waren es, die am lautesten in der
Öffentlichkeit über die Schluderigkeiten der unteren
118
Behörden schimpften und harte Strafen für die Sünder
forderten. Meine Wut über die Verlogenheit wuchs ins
grenzenlose, aber meine Vorsicht gebot mir, die mir
bekannten Tatsachen noch nicht an die Staatsanwaltschaft
weiterzugeben. Ich traute Schmücker zwar den Schneid zu,
auch gegen hohe Tiere zu ermitteln, war mir aber nicht sicher,
ob von oberer Seite nicht Riegel vorgeschoben werden
konnten und die Vorwürfe dann nicht weiterverfolgt würden.
Schon am nächsten Morgen nach unserem Fund der Akten
hatte ich die Leinentasche in der ich sie transportiert hatte
ohne das Wissen meines Freundes Lars, des
Sozialamtsmitarbeiters, auf dessen Schrebergartengelände in
einem Geräteschuppen versteckt. Diese Vorsichtsmaßnahme
hatte sich als sehr richtig erwiesen, denn die
Staatsanwaltschaft hatte die Durchsuchung sowohl Evas als
auch meiner Wohnung, bzw. meines Büros angeordnet, weil
man vermutete, dass hier weitere Unterlagen aufbewahrt
wurden. Gerade weil man eine Mitschuld Evas vermutete.
Schmücker, der von meinem verdeckten Einsatz gewusst
hatte, war machtlos gewesen und wollte und konnte meine
Ermittlungen nicht aufdecken. So war ich in dieser
Angelegenheit auch nicht als offizielle Beauftragter des
Sozialministers bekannt und wurde auch später nicht als
Zeuge gehört. Diese Schritte der Staatsanwaltschaft hatten mir
aber auch gezeigt, wie wenig der junge Staatsanwalt
Schmücker ausrichten konnte. Er konnte aber zumindest
erreichen, dass wir nach der erfolglosen Hausdurchsuchung
keinen weiteren behindernden Auflagen ausgesetzt waren und
er unterstützte uns in soweit, dass wir unerlaubterweise
Akteneinsicht erhielten, damit wir die Nachforschungen nach
der verschwundenen Virginia einleiten konnten.
Virginia war eine junge Frau gewesen, die schon mit
fünfzehn Jahren als Drogenkonsumentin aktenkundig
geworden war. Mehrere Entzugsmaßnahmen wurden
angeordnet und jedes Mal von ihr abgebrochen, bis zur ersten
119
Haftstrafe zu der sie mit zwanzig Jahren hatte antreten
müssen. Die Haftstrafe hatte sie nicht wegen ihrer
Drogensucht
antreten
müssen,
sondern
wegen
Beischlafdiebstahls, als sie einem Freier zu dem sie ins Auto
gestiegen war, die prall gefüllte Brieftasche geklaut hatte. Der
Bestohlene, ein Jugendrichter, wollte zwar auf eine Anzeige
verzichten, weil er die Konsequenzen fürchtete die entstehen
würden, weil er auf dem Babystrich eine zwar nicht mehr
Minderjährige, aber überhaupt eine Prostituierte aufgegriffen
und benutzt hatte. Aber er hatte sich überaus dumm angestellt
als er, nachdem er bemerkte, dass er bestohlen worden war,
mit seinem Auto gegen die Einbahnstraßenregelung der
kleinen Anliegerstraße die Verfolgung der jungen Frau
aufgenommen hatte, und dabei aus dem geöffnetem
Fahrerfenster Passanten mit dem Ruf: „Haltet die Diebin“
aufmerksam gemacht hatte. Diese Passanten hatten Virginia
auch festhalten können und eine Polizeistreife, denen der
falschfahrende Wagen aufgefallen war, hatten sowohl sein, als
auch Virginias Schicksal besiegelt. Virginia wurde zu einer
Gefängnisstrafe verurteilt und der Richter geschieden. Er war
dann aus der Stadt verschwunden. Während der Haftstrafe,
war es scheinbar gelungen, Virginia von ihrer Sucht zu
befreien und sie wurde durch einen ehrenamtlichen Helfer der
Christen Gemeinde nach ihrer Entlassung betreut und bekam
Sozialhilfe. Der Betreuer war Möbius gewesen, der sie dann
auch in die Gemeinde brachte, wo sie als Vorgängerin von
Eva bis zu ihrem plötzlichen Verschwinden in der
Buchhaltung gearbeitet hatte. Eva war damals als
Schwerstalkoholikerin ebenfalls mit kleinen Aufgaben hier
beschäftigt worden. Sie hatte damals schon mitbekommen,
dass die junge Frau regelmäßig sowohl von Möbius, als auch
von Lewinski sexuell missbraucht wurde. Da die beiden
Frauenschänder davon ausgingen, dass Eva in ihren
Vollrauschzuständen keine Notiz von den Vorfällen nehmen
würde, oder sich sonst auch nicht an diese Dinge erinnern
120
könnte, hatten sie Virginia häufig in Anwesenheit von ihr in
der Abteilung vergewaltigt. Einzeln und auch gemeinsam.
Zweimal hatte auch Eva an diesen Orgien teilnehmen müssen.
Bei diesen Begegnungen war wahrscheinlich die Begierde
Lewinskis nach Eva entfacht worden.
Eva hatte mir berichtet, dass Virginia häufig nach den
Attacken der Männer davon gesprochen hatte, dass sie sich
rächen würde und nur noch wenige Zeit brauchen würde, um
die Machenschaften der Männer aufzudecken. Nach einer
wüsten Orgie, bei der auch noch weitere Männer anwesend
gewesen sein sollten, und die in den Privatgemächern unter
Beteiligung weiterer Frauen aus den Bordellen der
angeschlossenen „Unternehmen“ abgelaufen war, hatte
Virginia am nächsten Tag Eva hasserfüllt mitgeteilt, dass es
jetzt genug sei. Virginia wäre mit Wunden am ganzen Körper
übersäht gewesen. Brandwunden, wo die Männer ihre
Zigaretten in den Brüsten der Frau ausgedrückt hatten,
Striemen von Peitschenhieben auf dem Rücken. Außerdem
hätte sie kaum laufen können, weil ihr harte, große
Gegenstände sowohl in den Genital- als auch Analbereich
gerammt worden seien. Sie hatte die Verletzungen der
entsetzten Eva auf der Toilette gezeigt und wilde Rache
geschworen. Später war sie dann mit Möbius aus dem Haus
gegangen, und Eva hatte geglaubt sie sei zu einem Arzt
gebracht worden. Danach war sie nieder wieder aufgetaucht.
In der ersten Zeit hätte Möbius sich um die laufende
Buchhaltung gekümmert und dann hatte man Eva immer
mehr eingearbeitet und sie hatte alle Aufgaben von Virginia
übernommen. Weitere Hilfskräfte waren eingespannt worden,
aber es kam nicht zu weiteren Belästigungen innerhalb dieser
Abteilung durch Möbius. Lediglich Lewinski hatte sich nach
den Messen am Freitagabend von Eva vor dem Altar
befriedigen lassen.
Ich hatte versucht heraus zu finden, wann der Zeitpunkt
des Verschwindens exakt gewesen war. Eva konnte sich nur
121
vage erinnern, aber es musste schon über ein Jahr vergangen
sein. Später erinnerte sie sich noch, dass es wohl im Sommer
des letzten Jahres gewesen sein musste, denn Virginia hatte
ein leichtes, tief ausgeschnittenes Kleid getragen. Daher hatte
sie auch die Brandmale ohne Schwierigkeiten vorzeigen
können. Es musste also warm gewesen sein.
Ich versuchte über Lars herauszufinden, wann die letzte
Zahlung an Virginia von seinem Amt geleistet worden war.
Lars konnte sich auch gut an die Frau erinnern, denn sie war
eine auffallende Schönheit gewesen, mit ihrem langen
schwarzen Haar, dem südländischen dunklen Teint und den
schwarzen Augen. Die letzte Zahlung war am Anfang Juli des
letzten Jahres erfolgt. Das deckte sich mit Evas Vermutungen
über den Zeitpunkt des Verschwindens. Aus den Polizeiakten
besorgte ich mir ein Foto. Hier war von der beschriebenen
Schönheit der jungen Frau allerdings nichts zu entdecken.
Erst bei der Passbehörde konnte ich ein neueres Foto von ihr
auftreiben, auf dem ihre Schönheit besser herauskam. Aber es
war eben nur ein Passfoto aus einem Automaten und
entsprechend verunstaltend.
Eva und ich klapperten alle Bordellbetriebe in naher und
weiterer Umgebung ab, von denen bekannt war, dass sie mit
Lewinski zusammengearbeitet hatten. In zwei Betrieben
konnte
ich
die
Betreiber
nur
nach
tätlichen
Auseinandersetzungen davon überzeugen, dass sie mir
Auskunft geben müssten. Aber wir hatten keinen Erfolg.
Virginia war nicht in eines dieser Bordelle abgeschoben
worden.
In der offiziellen Wohnung von Möbius, die man nach
Einleitung der Fahndung nach ihm, auseinander nahm, waren
auch keine Anhaltspunkte gefunden worden. Ich hatte mir
sämtliche Unterlagen, die dort sichergestellt worden waren,
ansehen dürfen und mich wunderte nur, dass hierbei keinerlei
Hinweise auf seine Tätigkeiten innerhalb der Gemeinde
vorhanden waren. Er hatte nicht zu Hause gearbeitet, denn es
122
gab weder Akten noch Hinweise auf dem Computer. Der
Schriftverkehr, der dort gespeichert war und die anderen
Unterlagen, die gefunden wurden, zeigten nur Möbius
Neigungen zum Glücksspiel und eine lange Liste von illegalen
Spielclubs. Die wurden jetzt von den Behörden überprüft.
Ich kam auf die Idee, dass diese Wohnung zwar als sein
offizieller Wohnsitz genutzt worden war, dass er aber
woanders noch einen Unterschlupf haben müsse, wo er
Unterlagen über die Gemeinde aufbewahrte.
Erst als ich Lars nochmals aufgesucht hatte, weil Möbius
dort auch Leistungen empfangen hatte, kam mir die Idee. Wir
hatten Möbius doch an dem Abend, als wir das erste Mal über
die Probleme des Sozialamtes gesprochen hatten und er mir
vorgeführt hatte, welch Missbrauch getrieben wurde, Möbius
in einer Kneipe getroffen, die am ganz anderen Ende der
Stadt gelegen war. Noch am gleichen Abend machte ich mich
als „harter Macker“ verkleidet auf, trug Lederjacke und
dunkles T-Shirt zu dunkler Hose und Stiefeln, und hatte
meinen Wagen ein ganzes Stück von der Kneipe entfernt
geparkt. Aus der Entfernung hatte ich den Eingang
beobachtet und festgestellt, dass auch heute Abend wieder
reger Ansturm auf diese Kneipe war. Für einen
Mittwochabend sogar sehr viel für meine Begriffe.
Als ich hineinkam, war der Laden noch verräucherter, als
ich ihn schon in Erinnerung hatte und oben an der Wand
brüllte ein Fernseher. Es wurde ein Champions-League-Spiel
zwischen dem russischen Meister und Bayern München
übertragen. Die Stimmung im Raum war gereizt, denn Bayern
lag hinten, und man schimpfte über die Russen. Man wollte
sie abschießen und einige waren lautstark der Meinung, dass
man früher nur versäumt hatte, noch mehr umzubringen.
Obwohl viele Männer und Frauen hier um die Theke
versammelt waren und dem Fußball huldigten, war ich der
Meinung, dass wesentlich mehr Männer hier herein gegangen
waren, als jetzt in diesem Schankraum versammelt waren.
123
Eine Bedienung, die eifrig Bier zapfte, nahm meine
Bestellung: ein Bier und einen Schnaps entgegen und ich sah
mich nach dem Wirt um. Der kam wenig später aus einem
Nebenraum mit einem Tablett leerer Gläser, das er sofort
hinter der Theke wieder mit den inzwischen gezapften Bieren
füllte und damit wieder verschwand. Als ich ihm folgen
wollte, schrie die Bedienung hinterher, dass die Toiletten auf
der anderen Seite seien. Ich ließ mich nicht beirren und folgte
dem Wirt in den Nebenraum. Hier saßen mindestens zwanzig
Männer um einen runden Tisch und es war offensichtlich, hier
wurde gepokert und der Geldhaufen in der Mitte des Tisches
ließ auf eine hohe Pokerrunde schließen. Der Wirt hatte sich
herumgedreht und mich angeschrieen: „Raus hier, ist ´ne
geschlossene Gesellschaft. Raus.“
Dann war er auf mich zugeschossen gekommen und hatte
sehr wütend ausgesehen.
Ich hatte nur sein Hemdenrevers gegriffen, ein wenig
zugedreht und ihm zugezischt: „Mich interessiert dein
Spielkreis nicht. Ist Möbius da?“
Zwei hinter den Spieler postierte Typen kamen um den
Tisch auf uns zu; und ich rief ihnen nur zu: „Ich will nur
wissen, ob Möbius hier ist, oder war, oder erwartet wird.
Sonst nichts!“
Der Wirt rief ihnen zu, sie sollten sich zurückhalten und
sein Gesicht lief etwas an und Schweiß bildete sich auf seiner
Stirn. Mein Griff war wohl etwas zu hart. Zu mir keuchte er
herüber: „Der war die letzte Zeit nicht hier, und hat sich auch
heute nicht blicken lassen. Und jetzt raus hier.“
Ich drehte sein Hemd ein wenig mehr zu und zog ihn
weiter heran. „Komm mit, du willst hier doch auch keinen
Aufstand, oder?“
Ich schob ihn einfach zur Tür hinaus und wir blieben in der
Ecke zum Schankraum stehen. Er war kein kleiner Mann, aber
ich hatte ihn fest im Griff und als ich ihn fragte, wo die
124
verdammte Wohnung von dem Idioten Möbius wäre, war er
sofort bereit es mir zu sagen.
„Da vorne ist Maria, die war ein paar Mal mit ihm da, die
kann sie dir zeigen, aber lass mich jetzt los.“ Ich tat ihm den
Gefallen und ging hinüber zur Theke und griff meinen
Schnaps und mein Bier. Beides leerte ich in einem Zug, sagte
der Bedienung, dass ich noch eine Lage haben möchte und
wandte mich der Frau zu, die der Wirt als Maria bezeichnet
hatte. Sie hatte mein Intermezzo mit dem Wirt verfolgt und
sah mir entgegen. Sie schien keine Furcht vor großen
Männern, die sich rüpelhaft benahmen zu kennen. Sie hatte
mich abschätzend und kalt gemustert als ich auf sie zukam
und sie fragte: „Auch was zu trinken?“
„Ouso, aber´n Großen, Was willst´e denn? Bumsen?“
„Nee, Möbius! Oder, wo seine Wohnung ist.“
„Was willst´e denn von ihm?“
Ich machte nur die berühmte reibende Bewegung von
Daumen und Zeigefinger und sagte: „Moneten, Flocken,
Piepen oder wie du es nennen willst, aber Bares.“
„Da wirst´e wohl ne ganze Weile hinterher rennen müssen,
der ist abgetaucht.“
„Dann schau ich mir eben an, was man aus seiner Bude
gebrauchen kann.“
Die Getränke kamen und wir tranken uns zu. Ich hatte
dabei die Frau mit den kalten Augen betrachtet. Mitte dreißig,
kräftige, aber nicht fette Figur, auffallend starker Busen und
keine schlechte Taille. Sie trug einen kurzen Rock, aber keinen
Supermini und die Beine, die sie auf dem Barhocker
übereinander geschlagen hatte, waren ansehnlich. Sie hatte
meinen Blick beobachtet und fragte ganz beiläufig: „Jetzt
doch vielleicht Bumsen?“
„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Kannst du mir die
Wohnung zeigen?“
„Wie sagst du so schön? Gegen Moneten, Flocken, Piepen
aber Bares, ja, sonst leck mich.“
125
„Hinterher vielleicht.“
Ich hatte einen Hunderter aus meiner Jacke gefischt und
wir waren aufgestanden. Um die hinter uns her keifende
Bedienung kümmerten wir uns nicht. Wir gingen etwa 500
Meter und um zwei Ecken, als sie vor einem kleineren
Reihenhaus in der stillen Straße stehen blieb und sagte: „Hier
ist es, und hinten auf dem Hof steht noch ein größerer
Schuppen. Das war sein Partyschuppen und da wurde auch
ganz schön hoch gespielt. Ist nicht schlecht eingerichtet. Soll
ich mitkommen?“
„Besser nicht.“
„Ich bin noch ´ne Weile in der Kneipe, wenn du es dir
noch anders überlegst. Ich könnt sogar meine Tarife
überarbeiten“, meinte sie lockend und trollte sich.
Es war für mich keine Schwierigkeit ins Haus zu kommen.
Es war ein einfaches Schloss gewesen. Ich hatte meine
Handschuhe übergestreift, hatte mein Spezialbesteck zum
Einsatz gebracht und hatte schon beim Eintreten festgestellt,
auch hier war er nach seinem Untertauchen scheinbar nicht
mehr gewesen, und wenn, dann nur in den allerersten
Stunden. Es war alles aufgeräumt. Ich ging durch das
Erdgeschoss und konnte durch eine Tür in der Küche, die
ehemals wohl auf den Hof geführt hatte, direkt in den
Schuppen, oder besser gesagt Anbau gelangen. Es waren keine
Fenster vorhanden; aber der Raum schien über eine
Lüftungsanlage zu verfügen und ich schaltete das Licht ein. Es
stank zwar immer noch nach abgestandenem Rauch, aber
nicht besonders stark. Ich schaute mich um. Ein
bemerkenswerter Raum. Die Tür hinter mir war gepolstert,
und die Wände schienen ebenfalls über Schallschutz zu
verfügen. Gleich neben mir befand sich eine Baranlage, mit
einer erstaunlichen Auswahl an Spirituosen. Davor war ein
sechseckiger Spieltisch mit grünem Filzbelag und gemütlichen
Stühlen aufgestellt. Hier konnte man sicherlich lange Nächte
126
am Tisch verbringen. Über dem Tisch war eine tiefhängende
Lampe angebracht, die ihren Lichtschein nur direkt auf den
Tisch warf. Etwa einen Meter fünfzig hinter den letzten
Stühlen war seitlich an den Wänden ein Vorhang aus
schwerem Stoff angebracht. Es sah so aus, als ob man den
insgesamt etwa 70 qm großen Raum damit abteilen konnte.
An der rechten Seite des Raumes, gleich hinter der
Vorhangvorrichtung war ein Schreibtisch mit einer modernen
Computeranlage aufgebaut. Der hintere Teil des Raumes
wurde von einem Metallbett und ganz an der hinteren Wand
einer Hintergrundleinwand beherrscht. Auf einem stabilen
Stativ, das mit Laufrollen versehen war, konnte ich eine teure
Kamera sehen. Von der Decke hingen verschiedene
Scheinwerfer und einige Weichzeichnerscheinwerfer mit
Stofffiltern davor standen auf der linken Seite des Raumes.
Ein komplettes Foto- oder Filmstudio. Ich sah mich nach
einer Dunkelkammereinrichtung um und konnte sie zunächst
nicht entdecken. Erst als ich mitten in den Raum getreten war,
konnte ich eine Tür entdecken, die links aus dem Raum führte
und mit einer Lampe über der Tür signalisieren konnte, ob
dort drinnen gearbeitet wurde oder nicht. Momentan brannte
kein Licht. Ich öffnete die Tür und schaltete die Beleuchtung
an. Der Raum war größer, als ich gedacht hatte und hier war
ein perfektes Fotolabor eingerichtet. Gleichzeitig diente der
Raum zur Aufbewahrung von Fotos in einer an der Wand
angebrachten Metallschrankanlage. Hier gab es eine Vielzahl
von
Schubläden.
Flache
zur
Lagerung
von
Großformataufnahmen,
tiefere
für
Hängeregisteraufbewahrung. Die Hängeregister waren
ordentlich beschriftet mit Namen und Nummer versehen. Die
Nummernfolge ließ auf chronologische Datumsablage
schließen, die Enzahlen sagten die Jahreszahl aus. Oberhalb
der Schränke waren Metallregale angebracht, die mit
Videobändern in Plastikboxen gefüllt waren. Auch hier
herrschte pedantische Ordnung. So hatte ich den Spieler und
127
Trunkenbold Möbius gar nicht eingeschätzt. Die Bänder
schienen auch nach Daten sortiert aufbewahrt zu werden.
Unter der Datumsnummer waren jeweils Initialen angebracht.
Ich suchte nach einem Datum Anfang Juli letzten Jahres mit
den Buchstaben V. Ich wurde auch fündig. Jeweils ein Band
mit der Bezeichnung EP und MU nahm ich ebenfalls aus dem
Regal und sah mich nach einem Abspielgerät um. In der
Dunkelkammer fand ich keins. Ich verließ die Dunkelkammer
wieder und schloss die Tür ab. Den Schlüssel steckte ich mir
ein.
Ich ging hinüber zum Schreibtisch, aber hier war auch kein
Videorecorder. Erst hinter dem Bartresen fand ich, was ich
suchte. Unter einer großen Schalttafel mit einer verwirrenden
Anzahl von Dreh- und Kippschaltern fand ich ein Gerät. Die
Versuche an den Schaltern ergaben, von hier aus wurden die
Scheinwerfer und anderen Beleuchtungseinrichtungen des
Fotostudios geschaltet. Es schien mir nahe liegend, dass von
hier aus auch die Videoanlage geschaltet wurde. Ich fand nur
keinen Fernseher auf dem die Bilder erscheinen könnten. Ich
versuchte es trotzdem und lud die Kassette mit der
Beschriftung VV und startete den Recorder. Dann schaltete
ich an den einzelnen Knöpfen der Anlage. Immer wenn ein
Scheinwerfer aufflammte schaltete ich sofort zurück und
nachdem ich die oberer Reihe der Schalter durchprobiert
hatte, ohne ein Bild zu bekommen, wollte ich schon aufgeben
und die Filme zu mir nach Hause mitnehmen. Ich versuchte
dann aber doch noch die untere Reihe. Ebenfalls ohne Erfolg,
bis ich dann direkt neben dem Recorder einen Schalter
umlegte, der separat auf einem Metallkasten montiert war.
Auch hier war keinerlei Beschriftung auf der Metallblende
angebracht. Im ersten Moment passierte nichts und ich wollte
den Schalter schon wieder in Ausgangsstellung bringen als
plötzlich auf der großen Rückleinwand, die ich nur für die
Staffage zu den Fotoaufnahmen gehalten hatte ein riesiges,
glasklares Bild erschien. Der Raum füllte sich mit dem lauten
128
Stöhnen einer Frau und auf der Leinwand flogen die langen
schwarzen Haare der Virginia im Rhythmus des Stöhnens auf
und nieder. Mit dem Drehregler neben dem Kippschalter auf
dem separaten Metallgehäuse regulierte ich die Lautstärke und
als ich Flüsterlautstärke eingestellt hatte schaute ich wieder auf
die Leinwand. Unzweifelhaft ritt Virginia in ekstatischer Weise
auf einem Männerkörper, von dem nur der behaarte
Bauchensatz und zwischen den Stößen Teile seines Penis zu
sehen war, mit hüpfenden Brüsten und fliegenden Haaren.
Wenn Teile ihres Gesichtes im Blickfeld auftauchten, sah man
ihren geöffneten Mund, stöhnend verzogen.
Ich betätigte den Schnellvorlauf. Im Schnelldurchgang sah
ich der Orgie zu, die in den privaten Räumen Levinskis
stattgefunden haben musste. Es tauchten einige bekannte
Gesichter auf. Sowohl einige weibliche Darsteller, als auch
männliche, die samt und sonders in den oberen Etagen der
Stadtverwaltung angesiedelt waren. Zuletzt kamen die Szenen
in denen Virginia gequält wurde. Männlein wie Weiblein
beteiligten sich an diesen widerlichen Ritualen, während
Virginia immer laut aufschrie, wenn wieder Zigaretten auf
ihrem Busen ausgedrückt wurden. Ihre Augen waren glasig
und als einer der Männer ihr einen Riesendildo in die Scheide
trieb und sich ein anderer mit einem Besenstiel ihrem After
näherte schaltete ich ab. Das Gesicht dieser Männer hatte ich
mir besonders gut gemerkt. Ich hatte meine Fäuste geballt und
die Knöchel traten weiß hervor.
Meine Befürchtung, dass auch Eva auf diesen Videos
auftauchen könnte, bewahrheitete sich schon beim zweiten
Band, das ich einlegte. Es zeigte Virginia und Eva bei einem
heißen lesbischen Sexspiel. Ich stoppte das Band nach
wenigen Minuten. Auch Maria, die Frau mit den kalten Augen
und dem großen Busen war auf den Bändern zu finden. Auf
dem dritten Band war sie als Domina mit sichtlicher Freude
bei der Arbeit und versohlte einem Politiker den Hintern. Die
Aufnahmen schienen hier im Studio entstanden zu sein. Auch
129
hier schaltete ich schnell wieder aus, um mich dem Computer
zu widmen.
Es war sehr interessant welch Daten Möbius hier
zusammengetragen hatte. Komplette Lieferlisten der Küche
waren
ebenso
vorhanden,
wie
die
akribische
Zusammenstellung der Puffbesuche, der Hilfsempfänger bei
den Überlandfahrten. Auch meine Einstellung als Bratenkoch
in der Feinschmeckerküche war schon vermerkt. Hier fand ich
auch eine komplette Datenbank der so genannten Hilfskräfte
der Gemeinde in der man nach den unterschiedlichsten
Suchkriterien die Stärken und Schwächen der Einzelnen
abrufen konnte. Unter meinem Namen fand ich die Zusätze:
Gefährlicher Einzelgänger, Gewaltbereit, für spätere
Aktiveinsätze vorgesehen. Wie die ausgesehen hätten, konnte
ich mir vorstellen. Andere Leute einschüchtern, wenn sie
aufzumucken wagten. Ich war sehr froh, dass der Computer
über einen CD-Brenner verfügte, damit ich mir die gesamten
Daten,
außer
den
Grundprogrammen
als
Datensicherungsdateien herunter ziehen konnte, da ich den
Computer und auch die anderen Gegenstände an Ort und
Stelle belassen wollte. Ich hatte auch noch nicht vor, die
Polizei von meinen Erkenntnissen zu informieren.
Da es schon nach Mitternacht war, als ich die CDs
einsteckte und das Haus wieder verließ, rief ich über das
Handy bei Eva an, um ihr mitzuteilen, dass meine Mission uns
einen Schritt weitergebracht hatte, aber das erste Mal nach
vierzehn Tagen meldete sie sich scheinbar mehr als
angetrunken. Ich sagte nichts weiter und informierte sie nur,
dass ich jetzt gleich nach Hause kommen würde. Als ich kam,
lag sie halb über den Tisch und schlief. Eine leere Flasche
Whisky und eine angetrunkene Flasche Weinbrand lagen auf
dem Fußboden neben der Couch. Weinbrand war aus der
Flasche gelaufen und es stank in der ganzen Wohnung. Ich
trug sie hinüber ins Schlafzimmer und entkleidete sie. Als ich
sie endlich nackt ausgezogen hatte, wollte sie in ihrer
130
Trunkenheit Sex mit mir, aber ich war nach den
Videoaufnahmen und beim Anblick der volltrunkenen Frau
nicht in Stimmung und drehte mich von ihr weg und schlief
sofort ein. Als ich während der Nacht wach wurde, lag sie
weinend und masturbierend neben mir. Ich versuchte sie zu
trösten und half ihr manuell zu einem Orgasmus zu kommen.
Danach war sie sofort eingeschlafen und nun lag ich grübelnd
und hellwach neben ihr. War ich nicht stark genug, sie vom
Alkohol fernzuhalten? Konnte ich ihr nicht genügend Gefühl
zeigen um sie dem Teufelskreis zu entziehen. Hatte ich sie zu
lange allein gelassen und hatte ich ihr zuwenig Sex gegeben?
Meine Gedanken in dieser Nacht waren voller Selbstvorwürfe
und ich wäre am liebsten aufgestanden und hätte die
restlichen Bestände an Alkoholika in mich hineingeschüttet.
Mein letztes bisschen Verstand hielt mich davon ab. Zu
diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es noch viele
Nächte dieser Art geben würde.
Der nächste Morgen war ein Desaster. Eva zerrann in
Selbstvorwürfen und ich wurde unausgeschlafen, wie ich war
mit meinen eigenen Vorwürfen nicht klar. Wie konnte ich sie
gerade in dieser wichtigen Phase so lange allein lassen. Es
endete, wie es kommen musste, wir landeten im Bett. Keiner
von uns fand auch nur annähernd eine Befriedigung, wir
quälten uns, nicht im Sinne der körperlichen Qualen, sondern
im Sinne der geistigen Qual. Jeder wollte dem Anderen Geben
und keiner konnte, weil er zu sehr damit beschäftig war nur
auf ihn zu achten. Als wir endlich aufgaben, waren wichtige
Stunden vertan, in der wir unsere Nachforschungen hätten
vorantreiben können. Ich hatte schließlich die CDs auf
meinen Computer überspielt und fragte Eva, ob sie mir bei
der Auswertung der Datenbanken helfen könne. Sie hatte nur
geantwortet, nach dem Essen und wir hatten gemeinsam
gegessen. Es hatte nach nichts geschmeckt und Eva wusste
dies. Sie schluckte die Enttäuschung und versuchte mir zu
helfen, aber ich merkte, dass sie zu keinem klaren Gedanken
131
fähig war und keine zusammenhängenden Schlüsse zu den
aufgeführten Personen geben konnte. Aus purer Verzweiflung
holte ich uns ein Bier. Wir tranken zusammen und versuchten
weiter Schlüsse aus den Daten zu ziehen. Wir holten noch
mehr Bier und langsam kamen Erinnerungen und damit auch
Kreuzverbindungen zwischen den Personen. Erst nachdem
Eva festgestellt hatte, dass wir kein Bier mehr im Hause
hätten, kamen die Schlussfolgerungen klar und
unmissverständlich. Ich machte Notizen, versuchte Reihen
aufzustellen, verwarf sie auf ihre Vorschläge hin wieder,
begann neu. Eva hatte inzwischen die halbgetrunkenen
Flasche Weinbrand gefunden und schenkte sich ein. Ich hatte
schon vor dem Austrinken des letzten Bieres aufgegeben. Als
auch der Weinbrand ausgetrunken war, beschlossen wir in die
nächste Kneipe zu ziehen und hier gaben wir uns den Rest.
Volltrunken torkelten wir heimwärts, als der Wirt uns zu
verstehen gegeben hatte, dass auch er seinen Schlaf bräuchte,
waren ins Bett gesunken und waren wie im Rausch über uns
hergefallen. Es war schon hell, als wir einschliefen, und in
meinem Kopf war es düster als ich wieder erwachte. Mein
Kater war schlimmer als ich jemals vorher einen hatte. Ich
wankte nur ins Badezimmer, erbrach mich, zog mich an und
holte vom Kiosk einen Sechserpack Bier.
Nach der ersten Dose Bier erbrach ich mich wieder und
war endgültig geheilt und kochte einen starken Kaffee. Eva
schlief immer noch.
Nach der zweiten Tasse Kaffee und zwei Buttertoast war
ich dann soweit, dass ich wieder an den Rechner konnte.
Diesmal sah ich die Zusammenhänge zwischen Personen,
Orten und anderen Verknüpfungen sofort. Aus diesen
Erkenntnissen erstellte ich eine neue Datenbank und wusste
wo ich zu weiteren Ermittlungen ansetzen musste. Einen
Ansatzpunkt, wo ich Möbius finden könnte und warum er
sich schon so lange nicht mehr um sein Haus und seine Daten
gekümmert hatte, konnte ich aber immer noch nicht sehen.
132
Am Spätnachmittag hatte ich den Rechner stehen lassen
und hatte aus den Resten der vorhandenen Lebensmittel ein
Essen gekocht und hatte Eva aus dem Bett geworfen. Sie war
mit strahlendem Lächeln erwacht, hatte mich geküsst und war
glücklich gewesen, dass ich schon ein Essen bereitet hatte. Sie
war wieder ein fröhlicher, scheinbar ausgeglichener Mensch
und schwatzte während des Essens munter drauf los, als hätte
es die vergangenen Tage nicht gegeben. Wir beschlossen bei
Tageslicht das Haus von Möbius zu besichtigen.
Diesmal schaute ich das ganze Haus an. Es war tadellos in
Ordnung, und jeder Besucher des Vorderhauses wäre dem
Eindruck erlegen, dass hier wahrscheinlich ein Junggeselle
wohnte, aber ein außerordentlich pedantischer, mit dem Hang
zur perfekten Ordnung. Grünpflanzen, die während der jetzt
über vierzehntägigen Abwesenheit verdorrt sein müssten, gab
es nicht, nur Kakteen, denen der Wassermangel nicht
geschadet hatte. Ganz im Gegenteil, zwei Königinnen der
Nacht setzten zur Blüte an. Es gab selbst im Kühlschrank
nichts, was verdorben war. Hier war neben einer Butterterrine,
vakuumverpackter Wurst und Käse und einem verschlossenen
Honigglas auch nichts gelagert. Die Butter mochte inzwischen
ranzig sein. Wir probierten sie jedenfalls nicht.
Das Wohnzimmer war aufgeräumt und auch im
Schlafzimmer lag keine Schmutzwäsche und die Betten waren
gemacht. Ich fragte mich nur, warum hier ein Ehebett stand,
denn Möbius war meinem Wissen nach Junggeselle. Auch Eva
wusste nichts anderes. Erst als ich in der Diele auf der
Garderobenablage einen Stapel Post sah, ging mir ein Licht
auf. Möbius beschäftigte eine Aufwartefrau.
Wir inspizierten nochmals das Fotostudio und als Eva den
Raum betrat blieb sie sinnend stehen und sah sich nochmals
um. Sie runzelte die Stirn, sagte aber immer noch nichts. Erst
als ich aus der Dunkelkammer ein weiteres Videoband geholt,
eingelegt und gestartet hatte, ging ein Zeichen des Erkennens
über ihr Gesicht. Als der Film anlief und sie sich selbst auf der
133
Riesenleinwand sah, war es ihr endlich wirklich klar: Sie war
hier schon gewesen.
Das war umso eindeutiger, als dass sie auf dem Metallbett
liegend, das heute noch in dem Raum stand, in eindeutiger
Umarmung mit Virginia auf der Leinwand zu betrachten war.
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen genoss sie die
Liebkosungen und Küsse der anderen Frau.
In dieser Filmeinstellung machte sie auch keinen
volltrunkenen Eindruck.
Ich mochte nicht mehr und schaltete den Film ab. Ich ließ
ihn im Player und forderte Eva auf, mich aus dem Haus zu
begleiten, denn ich wollte nicht als Einbrecher hier erwischt
werden. Eva ging scheinbar widerwillig aus den Räumen und
ich hatte ihre gierigen Blicke auf das Flaschenarsenal hinter
der Bar registriert. Sie hatte aber nichts gesagt. Sie hatte sich
schon ins Auto gesetzt, als ich nochmals umkehrte und am
Nachbarhaus klingelte. Eine ältere Frau öffnete die Tür und
ich fragte sie höflich, ob sie wüsste, wann die Aufwartefrau
von Herrn Möbius wieder kommen würde. Sie fragte
verwundert: „Möbius?“
„Ja, ich meine ihren Nachbarn, hier im Haus links von
Ihnen.“
Sie lächelte mich jetzt an und sagte: „Dort wohnt Herr Dr.
Keller. Sie können sich auf dem Namensschild davon
überzeugen. Einen Herrn Möbius kenne ich nicht. Und die
junge Frau, die dort saubermacht, kommt jeden Morgen um 8
Uhr. Und sie ist immer pünktlich. Das weiß ich, denn sie
bringt uns immer die Brötchen mit vom Bäcker aus der
Nebenstraße. Die Frau Winter, so heißt die Frau, ist eine sehr
Zuverlässige. Wenn ich sie bezahlen könnte, würde ich sie
bitten, auch einmal in der Woche zu uns zu kommen, aber mit
unserer kleinen Rente können wir uns das leider nicht
erlauben. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, junger
Mann?“
134
„Nein danke, gnädige Frau, dann werde ich morgenfrüh um
acht noch einmal vorbeischauen. Vielen Dank.“
Die Frau war wieder im Haus verschwunden und ich war
nochmals zurück und hatte das Klingelschild studiert. Hier
stand tatsächlich: Dr. Keller.
Ich
würde
dringend
beim
Einwohnermeldeamt
Nachforschungen über Dr. Keller anstellen müssen.
Eva hatte schon ungeduldig auf mich gewartet und
verständnislos meinem Plausch mit der Nachbarin zugesehen.
Ich erklärte ihr, was ich erfahren hatte und wo ich morgenfrüh
ansetzen musste und wir fuhren zu einem Italiener um noch
eine Kleinigkeit zu Essen. Ich hatte Wasser getrunken und
Eva hatte eine ganze Flasche Rotwein verdrückt.
Als sie eine zweite bestellen wollte, hatte ich sie gestoppt
und sie hatte nur schmollend darauf verzichtet. Nach einer
weiteren Liebesnacht schlief ich fest ein und wachte erst nach
acht Uhr vormittags auf. Ich schalt mich, weil ich zu diesem
Zeitpunkt schon vor dem Haus, des Dr. Keller gewesen sein
wollte. Ich eilte mich, schrieb Eva, die noch schlief einen
Zettel und raste zum Haus von Möbius/Keller in der
Hoffnung noch Jemanden anzutreffen.
Ich hatte Glück. Auf mein Klingeln öffnete mir eine junge
Frau und fragte mich nach meinen Begehr und sagte mir, auf
meine Bitte Herrn Dr. Keller sprechen zu wollen, dass er
momentan für eine längere Vortragsreise verreist sei. Ich
bedauerte dies, weil ich in einer dringenden persönlichen
Angelegenheit mit ihm zu sprechen hätte und ob sie wüsste,
wo ich ihn zu Zeit erreichen könne. Sie sagte mir: „Das ist
kein Problem wenn Sie es ihm auch schriftlich mitteilen
können, ich habe heute neue Anweisungen bekommen wohin
ich ihm die Post nachsenden soll. Ich will den dicken
Umschlag gleich noch zur Post bringen. Er ist leider schon
verklebt, aber wenn Sie die Adresse abschreiben wollen,
kommen Sie doch herein. Aber bitte beeilen Sie sich, ich bin
135
heute hier schon fertig und brauche nur noch den Brief zur
Post zu bringen.“
„Wenn das alles ist, ich fahr gleich an der Post vorbei, dann
kann ich dort die Adresse abschreiben und ihm von dort aus
gleich meine Mitteilung machen. Dann hat er mein Anliegen
auch gleich vorliegen. Kommen Sie, ich fahr Sie eben zur
Post.“
Sie war einverstanden und holte nur noch den Umschlag
und ihr Schlüsselbund, schloss die Haustür ab und stieg mit
mir ins Auto und ich fuhr los. Während ich in dem
Einbahnstraßengewirr den Weg zur Post suchte, fragte ich Sie:
„Sind Sie schon lange bei Herrn Dr. Keller?“
„Schon drei Jahre, sonst würde er mir bestimmt nicht so
vertrauen. Er hat mir gesagt, dass er diesmal bestimmt über
drei Monate nicht nach Hause kommen kann und ob ich
dafür sorgen könnte, dass er immer seine Post bekommt und
das Haus in Ordnung wäre. Ich bin ganz stolz, denn ich habe
nicht viel zu tun und bekomme trotzdem mein volles Gehalt.
Ich habe jetzt richtig Zeit für meinen Jungen und das ist
schön“, plapperte sie munter drauf los.
„Dann ist er bestimmt ein guter Chef?“
Jetzt zögerte sie einen kleinen Augenblick, aber dann sagte
sie: „Ja, er ist ein guter Chef.“
Ich lächelte sie beim Fahren von der Seite an. „Wie jeder,
der sich eine gute Aufwartefrau leisten kann. Wenn seine
Mucken und Macken nicht zu groß sind, geht’s eigentlich.“
„Wenn er nicht die Finger nach mir ausstreckt ist er prima
– und meistens ist er ja schon unterwegs, wenn ich komme.
Aber einmal, als ich schon mittags fast fertig war, ist er nach
Hause gekommen und hat mich angetatscht. Da hab ich
richtig Angst bekommen und ich bin schnell raus. Das war
richtig unangenehm. Aber das ist dann auch nicht wieder
vorgekommen. Aber nett zu seinen Freundinnen ist er
bestimmt nicht. Jedes Mal wenn er eine im Haus hat, dann
hör ich sie wimmern und manchmal auch schreien. Besonders
136
schlimm war das einmal im letzten Jahr, da war eine ganz
hübsche Schwarzhaarige für über eine Woche da im Anbau,
wo ich nicht rein darf. Sie ist da nackend in die Küche, als ich
den Abwasch gemacht hab und er hat sie zurückgerissen und
dann hab ich sie schreien gehört. Später ist er zu mir
gekommen und hat sich entschuldigt und hat gesagt, dass man
es manchmal nicht einfach hat mit den verrückten
Schauspielern, die immer nur probten. Am nächsten Tag ist er
dann verreist und sie ist auch nicht wieder gekommen. Aber
ich hab mich gefragt, wie schlimm solche Proben sein müssen,
denn sie war auch geschminkt und hatte ganz viele Striemen
auf dem Rücken. Sah richtig echt blutig aus.“
Sie schlug sich die Hand auf den Mund und meinte nur:
„Man soll nicht über seine Dienstherren sprechen.“
„Das stimmt, aber manchmal haben die Menschen
eigentümliche Berufe und dann müssen sie auch noch so viel
auf Reisen sein. Und immer so weit. Ich weiß nicht ob das
was für mich wäre.“
„Och, so weit fährt er meistens gar nicht. Meistens muss ich
ihm die Post nur nach Belgien senden. Damals auch“, sagte
sie versonnen.
Wir waren inzwischen vor der Post angekommen und ich
sagte ihr: „Geben Sie her, ich schreib mir drinnen kurz die
Adresse auf, werfe ihn ein, und kann Sie dann schnell nach
Hause fahren.“
„Das wäre lieb, dann wäre ich schneller bei meinem
Jungen.“
Sie gab mir den Briefumschlag und ich hastete in die Post.
Ich schrieb die Adresse auf und steckte den Umschlag in
meinen rückwärtigen Gürtel. Den Umschlag, auf dem ich die
Adresse geschrieben hatte hielt ich in der Hand als ich
zurückkam und warf ihn auf die Ablage auf dem
Armaturenbrett. Sie konnte sehen, dass ich die Adresse genau
abgeschrieben hatte.
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Ich fuhr sie nach Hause und merkte mir in welches Haus
sie ging. Es war ein Vierfamilienhaus und ich würde sie wieder
finden können, wenn es notwendig war. Danach fuhr ich
schnell zu mir nach Hause und öffnete den dicken Umschlag.
Eva war nicht anwesend.
Das erste was mir aus dem Umschlag entgegen flatterte, als
ich kunstvoll die Gummierung gelöst hatte, war ein
handschriftlicher Zettel. Darauf stand:
„So ein großer harter Typ, Marke Schuldeneintreiber, sucht
dich. Wenn du Probleme hast, lass es mich wissen, vielleicht
kann man ihn besänftigen. Gruß Maria.“
Die anderen Briefe waren Rechnungen und Reklame. Keine
Privatbriefe. Einen Reklamebrief ohne Werbeaufdruck, aber
mit Luxemburger Poststempel, öffnete ich vorsichtig. Siehe
da: Ein Konto und Depotauszug. Ansehnlicher Betrag.
Ich fotokopierte beides. Auszug und Briefumschlag. Dann
klebte ich das Original wieder zu, packte die übrigen Briefe
zurück in den großen Umschlag, verschloss ihn wieder und
brachte ihn zur Post. Den handschriftlichen Zettel von Maria
behielt ich. Als ich von der Post zurückkam war Eva immer
noch nicht zurück und ich fing an sie zu suchen.
Ich war schon zu verschiedenen Plätzen gefahren, wo ich
sie vermutete, hatte aber keinen Erfolg gehabt. Dann fiel mir
unser schönes Handy ein. Ich kramte meins hervor und stellte
fest, es war ausgeschaltet. Ich fluchte, denn was nützt das
beste Handy, wenn es ausgeschaltet ist. Dann drückte ich die
Kurzwahl 1 und schon nach dem ersten Klingeln meldete Eva
sich mit munterer Stimme.
„Was ist denn mit deinem Telefon? Ich versuche seit zwei
Stunden dich zu erreichen, aber immer bekomme ich keinen
Anschluss. Ich sitze hier mir Herrn Wedemeier im Café und
wir warten dringend auf dich. Komm doch bitte sofort hier
ins „Fürstenau“, sonst futtere ich noch drei Stücke Kuchen
und platze auseinander.“
138
„Ich komme“, murmelte ich und legte das Telefon schnell
wieder weg.
Meine Ängste waren vergeblich gewesen, Eva hatte gut
geklungen und schien keinen Alkohol getrunken zu haben.
Ich gab Gas und fuhr in die Innenstadt, wo sie auf der
Terrasse des Cafés saßen. Sie hatten mich noch nicht bemerkt
und ich sah, dass sie sich angeregt unterhielten. Ich hoffte nur,
dass sie nichts von dem Tresor erzählte. Als ich an den Tisch
getreten war, Eva geküsst und Lars die Hand gegeben hatte,
wollte Eva natürlich wissen, wo ich den Morgen verbracht
hatte und warum mein Telefon abgestellt gewesen war. Nicht
zu Unrecht bemängelte sie, dass wir die Telefone extra
angeschafft hätten um ständig Kontakt halten zu können, aber
nicht um sie ausgeschaltet mit sich rum zutragen.
Sie hatte Lars schon von unseren Nachforschungen nach
Möbius erzählt und das wir glaubten einen zweiten Wohnsitz
von ihm entdeckt zu haben. Ich konnte berichten, dass ich
heute von der Aufwartefrau zumindest die Postadresse von
ihm in Belgien erfahren hatte und ich auch über seine
luxemburgischen Kontoverbindungen informiert sei. Als Lars
meinte ich solle Schmücker sofort hinzuziehen, winkte ich ab
und erklärte ihm, dass wir dieses besser unterlassen sollten,
denn wir hätten in der Vergangenheit schon erleben müssen,
dass er ausgebremst wurde von seinen Vorgesetzten, die aus
welch Gründen auch immer, scheinbar nicht daran interessiert
seien, dass Möbius gefasst würde. Da Eva auch noch nichts
über unseren Einbruch erzählt hatte klärte ich Lars ebenfalls
nicht über den Fund von unschätzbar wichtigen
Beweismitteln in der Dunkelkammer dort auf. Stattdessen bat
ich ihn mir zu helfen indem er bei dem Einwohnermeldeamt
versuchen sollte Passfotos von Möbius und auch von einem
Dr. Keller, und ich nannte ihm die Adresse dazu, besorgen
könne. Es wäre eilig und ob er nicht dort direkt mit mir
gemeinsam vorbeigehen und ich sie gleich mitnehmen könne.
Er maulte zwar, aber da das Zentralregister ganz in der Nähe
139
war, erklärte er sich bereit. Er schimpfte zwar, dass ich ihm
die Mittagspause vermiesen würde, die er lieber weiter mit Eva
verbracht hätte aber wir stiefelten gemeinsam zu dritt los. Es
wäre doch verwunderlich, wenn die Passbilder beider Namen
identisch sein würden. Wir erlebten allerdings eine
Überraschung, denn die Bilder waren keineswegs identisch.
Keller war ein Mann Mitte sechzig, weißhaarig und mit
starkem Bauch; Möbius etwa 40 Jahre, dunkelhaarig, schlank.
Eine verwandtschaftliche Ähnlichkeit bestand nicht. Es
konnte also fast ausgeschlossen werden, dass Möbius sein
Sohn war, jedenfalls dem äußeren Anschein nach. Ich fragte
mich automatisch, wie Material, wie es nur Möbius hatte
zusammentragen können, in das Haus eines scheinbar völlig
fremden Mannes gelangen konnte. Ich fragte Lars, ob in
seinen Akten, die für Möbius bei ihm vorlagen, Hinweise auf
einen Dr. Keller zu finden seien, und wenn, um was es sich
dabei handeln würde.
Eva und ich machten uns, nachdem Lars versprochen hatte
nachzusehen und uns später anzurufen, auf den Weg zum
Haus von Dr. Keller. Ich hatte neben unseren Gesprächen die
ganze Zeit überlegt, wie wir auf der einen Seite zumindest
Kopien der Beweismittel erhalten könnten und auf der
anderen Seite die Beweise an Ort und Stelle lassen zu können,
damit sie von den Behörden auch verwertet werden könnten,
wenn es erforderlich wäre. Ich hatte noch keine Idee und wir
fuhren zunächst zu der Aufwartefrau. Frau Winter war zwar
sehr erstaunt, als sie mich heute zum zweiten Mal sah, bat uns
aber herein. Ein etwa fünfjähriger Junge begrüßte uns artig
und verschwand dann in einem weitern Zimmer. Ich sagte:
„Frau Winter, es ist mir peinlich, aber meine Gesellschaft ist
der Meinung, dass wir ganz sicher sein müssten, dass die
Identität des Herrn Dr. Keller festgestellt ist, bevor wir ihm
eine schriftliche Mitteilung machen können. Jetzt hat man uns
beauftragt bei Ihnen nachzufragen, ob der Abgebildete Ihr
140
Dienstherr ist, den Sie als Dr. Keller kennen. Könnten Sie so
freundlich sein einen Blick auf das Foto zu werfen?“
Ich hatte Eva ein Zeichen gegeben, dass sie beide Bilder
herausholen sollte. Das machte sie auch. Scheinbar
ungeschickt hatte sie die Bilder aus der Handtasche
genommen und Frau Winter hatte sofort auf das Bild von
Möbius getippt und bestätigt, das wäre Dr. Keller. „Und wer
ist der andere Herr?“
„Verzeihung, meine Sekretärin hat versehentlich zwei
verschiedene Fälle durcheinander gebracht. Das Bild hat mit
Herrn Dr. Keller nichts zu tun“, während ich „meine
Sekretärin“ mit einem bösen Blick bedachte, sagte ich
beiläufig, zu Frau Winter: „Na, hoffentlich, kennen Sie den
Anderen nicht auch noch zufällig, das wäre mir dann sehr
peinlich, wenn wir vor Fremden Identitätsprüfungen
durcheinander brächten.“
Frau Winter lachte und sagte: „Die Peinlichkeit kann ich
Ihnen nicht ersparen. Aber der ältere Mann auf dem anderen
Foto ist Herr Möbius. Der wohnt direkt auf der Rückseite
unseres Hauses in der Parallelstraße. Dr. Keller und Herr
Möbius kennen sich und sprechen mitunter über den
Gartenzaun miteinander. Ich habe ihn zwar in den letzten
Tagen nicht gesehen, aber das will nichts heißen, der ist auch
immer viel unterwegs.“
Ich tat schockiert und schnauzte Frau Peters an: „Das wird
Konsequenzen haben Frau Peters. Sie wissen doch, unser
Auftrag ist von größter Diskretion.“
Zu Frau Winter gewandt, meinte ich: „Ich bitte den Vorfall
zu entschuldigen. Dürfte ich Sie bitten nicht mit Herrn
Möbius darüber zu reden. Das könnte für Frau Peters einen
Rauswurf bedeuten und auch ich hätte bestimmt mit
Konsequenzen zu rechnen.“
„Das geht schon in Ordnung, ich bin ja keine Tratsche.
Aber für was für eine Gesellschaft arbeiten Sie denn, wo
derart strenge Vorschriften herrschen?“
141
„Für eine Versicherungsgesellschaft. Tut mir leid, aber wir
müssen jetzt ganz schnell weiter und vielen Dank noch mal,
für Ihre Hilfe“, und leiser und verschwörerisch fügte ich
hinzu, „und Ihr Schweigen.“
Dann waren wir wieder draußen und ich schaute Frau
Peters immer noch böse an, denn ich wusste, Frau Winter
stand hinter den Gardinen und sah uns nach. Erst als wir
abgefahren waren und um die Ecke gebogen, fuhr ich den
Wagen wieder an den Straßenrand, langte hinüber zu Eva,
nahm sie in den Arm und küsste sie. „Das hast du toll
gemacht. Als wenn wir schon jahrelang im Team arbeiten
würden. Die hat keinen Verdacht geschöpft. Jetzt wollen wir
doch Mal sehen, was es mit dem Identitätstausch auf sich hat.
Was kann den Dr. Keller dazu veranlasst haben dem Möbius
zu gestatten seinen Namen und seinen Titel zu führen?“
„Du schließt verwandtschaftliche Beziehungen aus?“
„Nicht völlig; aber nach Vater und Sohn sehen sie nach den
Bildern nicht aus.“
„Vielleicht sollte wir vorher herausbekommen, welch einen
Doktor, dieser Keller überhaupt hat und außerdem scheint
doch die tolle Lola, von der Kneipe, von der du mir vorhin
erzählt hast, doch auch zu wissen, dass Möbius sich als Dr.
Keller ausgibt, denn sie hat ihm doch scheinbar den Zettel
über deine Nachforschungen in den Briefkasten geworfen.“
Wir fuhren an dem Haus vom angeblichen Möbius vorbei
und stellten fest, dass es wirklich verlassen wirkte. Im
Erdgeschoss waren die Rollläden heruntergelassen und der
Briefkasten quoll über. Frau Winter hatte recht gehabt, wenn
sie sagte, dass sie Möbius die letzte Zeit nicht gesehen hätte.
Er schien nicht zu Hause zu sein. Ich beschloss am Abend
einen weiteren Einbruch zu begehen. Wir fuhren weiter bis
zum Amtsgericht, weil ich hier versuchen wollte auch in
diesen Nachmittagsstunden noch eine milde Seele im
Grundbuchamt aufzutreiben, die mir Einblick ins Grundbuch
verschaffen könnte. Ich erklärte Eva meinen Plan. Sie sollte
142
den Pförtner ablenken und nach dem Grundbuchamt fragen
und dahin wollen, sie wüsste zwar, dass keine Sprechzeiten
mehr wären, aber da sie von außerhalb angereist gekommen
war und im Stau gesteckt hätte, wolle sie versuchen auf dem
inoffiziellen Weg nur schnell einen Gesprächspartner dort zu
finden. Währenddessen wollte ich schon vorbei huschen und
versuchen den Angestellten dort mit der gleichen Geschichte
Einblick in die Akten zu erschleichen.
Es klappte viel besser als ich gedacht hatte. Der Pförtner
war ein sehr umgänglicher Mann und sehr zuvorkommend. Er
hatte nicht nur auf Eva, sondern auch auf mich geachtet und
ich wäre nicht ungesehen an ihm vorbei. Aber der hübschen
Sekretärin eines auswärtigen Anwalts, wollte er doch gerne
behilflich sein. Er sprühte nur so vor Charme, als er uns in
den zweiten Stock des Gebäudes führte. Hier wurden wir
dann aber von einer sehr frostig blickenden Dame hinter
Bergen von Akten empfangen, die die hübsche Eva scheinbar
auf Anhieb nicht leiden konnte. Daher sagte ich in Befehlston:
„Frau Peters gehen Sie bitte schon mit der Bank telefonieren
und avisieren unsere verspätete Ankunft. Ich versuche die
Dinge hier noch mit Hilfe der netten Dame zu klären.“
Eva verließ wortlos den Raum und ich wandte mich mit
strahlendem Lächeln der jetzt schon nicht ganz mehr so
frostigen Dame zu.
„Tut mir leid, wenn ich außerhalb der Sprechzeiten hier so
hereinplatze, aber wir kommen aus Köln und sind im Stau
stecken geblieben. Ich brauche auch nur für unsere Gespräche
hier mit der Bank nur klitzekleine Auskünfte über die
Liegenschaften – und dann nannte ich beide Adressen.
Könnten Sie mir dabei ausnahmsweise auf unbürokratischem
Wege helfen?“
Ich hatte meinen bettelnden Hundblick aufgesetzt und sie
angestrahlt als sei sie mein vergöttertes Schönheitsideal. Ich
hatte Erfolg: Beide Grundstücke waren auf den Namen Dr.
Keller, Kunsthistoriker eingetragen. Vor vier Jahren waren
143
seine bis dahin sehr hohen Hypotheken gelöscht und ein
Vorkaufsrecht für einen Walter Schiewerski eingetragen
worden. Der Wohnort des Schiewerskis war ein Ort an der
deutsch-belgischen Grenze.
Ich bedanke mich überschwänglich bei der Dame und
fragte sie, ob es eine Kaffeekasse gebe, ich würde mich gerne
erkenntlich zeigen. Sie meinte zwar, dass dies doch nicht nötig
sei, nahm aber dankbar meinen Zwanzigmarkschein an. Dann
war ich schnell gegangen.
Eva hatte solange bei Pförtner gestanden und er schien
bester Laune und ich hatte das Kichern von Eva schon auf
der Treppe gehört. Ansonsten hatten wir keinen Menschen in
diesem großen Gebäude zu sehen bekommen und ich
verstand, dass es für den Pförtner eine mehr als willkommene
Abwechslung gewesen war mit Eva zu Plauschen. Sie winkte
ihm noch zu als sie hinter mir hereilte.
„Und was hast du herausfinden können?“
„Noch einen Namen und einen Ort an der deutschbelgischen Grenze. Aber hier könnte es sein, dass Möbius und
der Schiewerski, ein und dieselbe Person sind. Der Vorname
ist in beiden Fällen Walter. Und der Doktor ist
Kunsthistoriker.“
„Und wie finden wir über den Typen etwas raus?“
„Als erstes fahren wir zu einem alten Freund, der sich mit
Kunst und solchen Dingen auskennt, und dann werden wir
uns das Haus von dem Knaben später etwas genauer ansehen
müssen. Vielleicht finden wir dort Hinweise. Er scheint ja
abwesend zu sein, also eher keine Schwierigkeit.“
„Willst du schon wieder einbrechen?“
„Ja, scheint notwendig“, sagte ich einsilbig, weil in meinem
Kopf die wildesten Vermutungen durcheinander wirbelten. Es
wollte nur nichts Vernünftiges dabei herauskommen.
Wir fuhren zusammen in das Viertel, wo betuchte
Mitbürger viel Geld für alten Plunder ausgeben und hinterher
stolz auf Schränke und Kommoden sind, in denen seit
144
Generationen die Holzwürmer lebten. Aufpoliert und
herausgeputzt nennen sie es Antiquitäten. Hier hatte ich einen
sehr alten Klienten, dem ich als meinen ersten Fall als
selbständiger Ermittler geholfen hatte ein paar ihm gestohlene
Dinge wieder zu besorgen. Es waren keine sehr wertvollen
Dinge gewesen, aber es waren Familienstücke, die er in
Kommission genommen hatte und es wäre mehr als schlecht
für ihn gewesen, wenn sie bei ihm weggekommen wären. Dass
es die Verkäufer waren, die sich unerlaubt die Sachen
zurückgeholt hatten, um einen Versicherungsbetrug daraus zu
konstruieren, war die überraschende Wendung in dem Fall
gewesen. Der alte Mann konnte mir damals praktisch kein
Honorar zahlen aber er hatte mir inzwischen einige lukrativere
Aufträge vermittelt und das war für mich ein guter Start
gewesen. Er würde mir helfen, wenn er könnte, das wusste
ich.
Der alte Mann freute sich mich zu sehen, und war noch
erfreuter als er die Frau an meiner Seite sah. „Junge, endlich
zeigst du guten Geschmack. Kommt mit nach hinten, da hab
ich einen feinen Mokka, und einen guten alten Cognac, den
sollten wir trinken.“
Eva lehnte Mokka und Cognac ab und bat um ein Wasser.
Ich war stolz auf sie, denn sie lechzte inzwischen bestimmt
nach Alkohol.
„Was führt euch zu mir? Du kommst doch nicht nur um
mich zu besuchen. Ist eigentlich schade.“
„Kennst du einen Kunsthistoriker Dr. Keller, oder kanntest
du ihn?“
„Meinst du den versoffenen Spinner, der sein ganzes
ererbtes Geld versoffen, verhurt und verspielt hat? Der
Pornografie nicht von edler Kunst unterscheiden kann? Den
sie hier aus der Kunsthalle gefeuert haben, weil er simple
Fälschungen nicht erkennen konnte? Fragst du nach Dr.
Martin Keller?“
145
„Ich weiß noch nicht einmal, dass er Martin heißt, aber das
übrige scheint ins Bild zu passen. Was hat er nach seinem
Rausschmiss gemacht?“
„Er erstellt immer noch Expertisen, aber nur für ganz
Blöde. Wenn hier einer zu mir kommt mit solch einem Wisch,
den schick ich sofort wieder weg, dann hat er ne echte
Fälschung am Hals. Aber ich hab schon lange nichts mehr
von ihm gehört oder gesehen. Lebt der überhaupt noch?“
„Ich hoffe, ich hätte nämlich ein paar Fragen an ihn?“
„Hoffentlich nicht über Kunst.“
„Nein keine Bange, ich möchte nur von ihm wissen, warum
er seinen Namen einem anderen Menschen leiht.“
„Kann man das?“
„Es sieht so aus. Nach deiner Meinung könnte er in
permanenter
Geldnot
sein,
oder
steckt
im
Kunstfälschungshandel oder so was?“
„Ja, ich sagte ja schon: Spieler, Hurenbock und immer
besoffen.“
„Könnte es da an der deutsch-belgischen Grenze, oder
runter an die luxemburger Grenze so Kunstdiebstahls oder
Fälschungsnetz geben, in das er eingespannt ist oder war?“
„Früher galt er als Experte für frühe belgische und
holländische Malerei und der schwunghafteste Handel wurde
dort unten im Dreiländereck Holland, Belgien, Deutschland
abgewickelt, aber das ist eigentlich lange vorbei.“
„Nun gut, das hat erst schon geholfen, wenn ich noch
Fragen hab, komme ich wieder.“
„Schick mir lieber die junge hübsche Dame, die sieht viel
besser aus als du“, sagte er grinsend als wir uns dankend
verabschiedeten.
Eva sagte nur als wir in den Wagen stiegen: „Du kennst
Leute! Wenn du jetzt auch noch einen guten Koch kennst, der
mir was zu Essen gibt, dann wäre ich fast glücklich.“
„Fast?“
146
„Ja, es fehlt dann nur noch eine Kleinigkeit“, dabei hatte sie
mir bezeichnend die Hand auf den Oberschenkel gelegt, was
meinen Fahrstil nicht sonderlich gut beeinflusste.
Wir kehrten bei dem Griechen bei mir um die Ecke ein und
tranken beide nur Wasser und lehnten auch den Ouso zur
Begrüßung ab. Gut gesättigt gingen wir dann vergnügt nach
Hause. Wir liebten uns lange und zärtlich und kurz vor
Mitternacht brach ich zum meinem erneuten Einbruch auf.
Wir hatten abgemacht, dass ich mein Telefon nur auf
Vibration stellen wollte und sie ihrs hier auch angeschaltet
lassen sollte, damit ich sie notfalls erreichen konnte. Meine
Klingeltöne hatte ich abgestellt, damit ich nicht plötzlich mit
klingelndem Telefon vor einem möglichen Bewohner des
Hauses stehen wollte.
Ich kam ungesehen in das Haus, durchsuchte alles sehr
gründlich, konnte aber keine Unterlagen finden, die mir
weitergeholfen hätten. Insgesamt machten die Wohnräume
einen liederlichen Eindruck, waren aber nicht vermüllt.
Lediglich einige zerrissenen Schuldscheine von Spielhöllen
fand ich im Papierkorb. Sie schienen vor nicht allzu langer
Zeit bezahlt und zurückgegeben worden sein. Hatte Möbius
seinem Namensgeber nach seiner Flucht noch Geld gegeben?
Ich hatte mir die Clubnamen gemerkt. Da musste ich auch
noch nachforschen. Die einzige wirkliche Überraschung fand
ich auf dem Hof zwischen den Häusern. Es gab auch von
dieser Seite einen Eingang zu dem Studio, bzw. zu der
Dunkelkammer.
Ansonsten war der Garten dieses Hofes ziemlich
verwildert. Einige hohe Büsche standen zu den
Nachbargrundstücken, so dass der Einblick zu dem
Grundstück zumindest im Sommer verwehrt blieb. Jetzt
schütze es mich vor Entdeckungen. Auch mein zweiter
Rundgang brachte keine Erkenntnisse und ich verließ das
Haus wieder und nahm die Post, die im Briefkasten steckte
mit. Ich wollte sie mir später zu Hause ansehen.
147
Ich rief Eva an; die sich schlaftrunken meldete und sagte
ihr, dass alles in Ordnung sei, ich aber nichts Wesentliches
gefunden hatte. Auf dem Heimweg machte ich mir Gedanken
darüber, wie ich die Beweismittel aus Möbius Studio
sicherstellen könnte, ohne die Behörden vorzeitig auf den
Plan zu rufen.
Ich musste auch noch Gelegenheit finden die Unterlagen
des Tresors durchzuarbeiten und dies konnte ich nicht bei mir
zu Hause. Ich beschloss zunächst meine Nachforschungen auf
den deutsch-belgischen Raum zu konzentrieren. Die
Unterlagen wollte ich mitnehmen und notfalls später in Bad
Homburg lagern und gemeinsam mit Wiesel und seinen
Mitarbeitern aufarbeiten.
Hierbei beschäftigte mich natürlich auch der
Tresorschlüssel, den ich gefunden hatte aber noch nicht
wusste in welcher Bank dieser Tresor war. Es war mir klar,
dass wir erst am Anfang unserer Ermittlungen waren. Denn
ich musste ja da ansetzen, wo die Behörden scheinbar bewusst
nicht nachhaken wollten.
148
Des Teufels Achterbahn
Kapitel 2 – Schwindelnde Höhe
Ich erwachte vom Duft frisch gebrühten Kaffees. Ein sehr
ungewöhnliches Erlebnis in den letzten Jahren. Wann war ich
das letzte Mal erwacht und es roch so köstlich? Ich wusste es
nicht mehr. Nachdem ich endgültig registriert hatte, dass es
nicht ein Traum war, sondern Realität, wurde ich auch noch
mit dem Anblick einer nackten Nymphe konfrontiert, die mit
einem Tablett ans Bett kam.
„Ich kann nicht im Bett frühstücken“, protestierte ich und
war mit einem Ruck aus dem Bett. Sie lachte, als sie mich
ebenfalls nackt ins Badezimmer verschwinden sah und trug
aber brav das Tablett zurück in die Küche. Wenig später
saßen wir uns im Adamskostüm gegenüber und ich genoss
den Kaffee und den Toast den sie ebenfalls bereitet hatte. Erst
als ich meine erste Zigarette geraucht und ausgedrückt hatte,
stand sie auf, nach mich an der Hand und sagte: „So, nun
solltest du soweit gestärkt sein, dass du das nachholst, wovon
ich die letzte Nacht nur träumen konnte“, und zog mich
zurück ins Schlafzimmer. Wie sollte ich ihr widerstehen
können?
Es war ein zärtlicher Tagesbeginn und wir lagen noch lange
nach Befriedigung unserer Sinne aneinander gekuschelt und
streichelten uns gegenseitig. Das anschließende gemeinsame
Duschen geriet beinahe zu einem weiteren Vorspiel, bis mir
die Probleme unsere Nachforschungen in den Kopf schossen.
Wir rubbelten uns zwar noch gegenseitig ab, aber dann beeilte
ich mich in meine Kleidungsstücke zu kommen.
Schon während ich mich anzog, hatte ich Eva mein
weiteres Vorhaben erklärt und stürzte zum Telefon um Lars
mit einigen Nachforschungen zu beauftragen. Er sollte bei
den Meldebehörden, und danach in den Polizeiakten nach
Schiewerski und nach Auskünften über diese Person suchen.
Wenn er Glück hatte, würden ihm diese Informationen auf
149
dem kleinen Dienstweg erteilt. Er sagte mir seine
Unterstützung zu, ohne nachzufragen, wieso ich diese
Auskünfte brauchte.
Während des Telefonats hatte ich schon meinen Computer
hochgefahren und eine Telefonauskunfts-CD eingelegt. Hier
suchte ich unter dem Ort Monschau nach eben diesem Mann.
Ich fand vier Adresseinträge.
Dann schrieb ich die die Adressen der Spielclubs auf, von
denen ich gestern die zerrissenen Schuldscheine gefunden
hatte. Es wäre vielleicht besser gewesen sie mit zu nehmen
und dort zu präsentieren um weitere Nachforschungen
anstellen zu können, aber damit hätte ich eindeutig
Beweismittel unterschlagen, die auch für die Polizei noch
wichtig werden könnten.
Ich musste mir bei den Besuchen dieser Clubs also etwas
einfallen lassen. Die Ausstellungsdaten dieser Schuldscheine
lagen nicht länger als zwei Monate zurück und ich hoffte
darauf, dass sich Jemand in diesen Clubs daran erinnern
könnte.
Dann bat ich Eva zwei Koffer mit den gebräuchlichsten
Kleidungsstücken zu packen und ich packte einen
Spezialrucksack mit Dingen, die mich in einer Polizeikontrolle
sicherlich auffallen lassen würde. Diverse Einbruchwerkzeuge
nebst meiner Pistole waren darin verstaut.
Lars hatte noch nicht zurückgerufen und ich stellte den Ruf
meines Telefons auf mein Handy um und wir verstauten
unsere Reiseutensilien im Wagen und fuhren los. Zunächst
nur bis zum Kleingartengebiet, wo der Kleingarten von Lars
war. Ich konnte nur hoffen, dass kein neugieriger Nachbar
darüber fiel, dass ich eine Leinentasche aus dem
Geräteschuppen holte.
Da es schon nach 11 Uhr war und das Wetter strahlend,
war es ganz natürlich, dass die Nachbarn auf den jeweiligen
Nebengrundstücken am Wirken waren. Ich hatte den
Rucksack aus dem Wagen dabei, als ich das Tor, das in eine
150
Ligusterhecke eingelassen war, aufschloss. Ich winkte den
Nachbarn und sie winkten mir ebenfalls zu. Eva ging etwas
verschüchtert hinter mir, winkte dann aber auch
freundschaftlich und wir schlossen das kleine Holzhäuschen
auf und holten uns Stühle heraus und setzten uns in die
Sonne. Ich ging nach kurzer Zeit zum Geräteschuppen und
holte zwei Gießkannen hervor, die ich an der Pumpe hinter
dem Holzhaus füllte. Dann begann ich die verschiedenen
Rabatten zu gießen. Eva hatte begriffen und goss auf der
anderen Seite.
Das rechte Nachbarsehepaar rief uns zu, dass wir doch
hinüber kommen sollten um mit ihnen vom Grill zu Essen.
Ich bedauerte sehr und rief zurück: „Schade, wir wären gerne
geblieben; aber wir gießen nur schnell und müssen dann
weiter. Wir müssen noch nach auswärts, haben aber Lars
versprochen noch für die Pflanzen zu sorgen. Er wusste noch
nicht, ob er es in den nächsten Tagen schafft hierher zu
kommen. Aber vielen Dank für die Einladung.“
Wir machten jetzt schnell unsere Arbeit fertig, dann holte
ich die Tuchtasche und trug sie gemeinsam mit meinem
Rucksack vom Grundstück. Eva hatte inzwischen die Stühle
zurückgestellt und alles wieder verschlossen.
„Wieso waren die nicht misstrauisch? Völlig Fremde auf
dem Grundstück, und dann laden sie uns auch noch ein?“
„Ich bin hier nicht ganz unbekannt. Ich bin schon einige
Male mit Lars hier gewesen und wir haben zusammen mit den
Nachbarn schon ein paar Bier getrunken. Aber Lars muss
nicht wissen, dass ich die Tasche auf seinem Grundstück
deponiert hatte, denn was er nicht weiß, kann er auch den
Polizisten nicht mitteilen. Er würde sonst in unsere nicht ganz
legalen Unternehmungen hineingezogen, und das möchte ich
nicht.“
Als wir beim Wagen ankamen, klingelte mein Handy. Es
war Lars, der mir meine Informationen geben konnte. Ich
sagte ihm nur:“ Wart einen kleinen Moment, damit ich in den
151
Wagen kriechen kann, um zu notieren, was du
herausgefunden hast. Wir kommen gerade von deinem
Schrebergarten, da ist es jetzt richtig schön. Wir haben schon
alles gegossen, du brauchst heute nicht extra mehr hinfahren.“
„Was machst du in meinem Schrebergarten“, fragte er
verdutzt.
„Es ist so schönes Wetter, und Eva kann ruhig etwas Sonne
vertragen und auch die ländliche Ruhe tut ihr gut. Du hattest
doch nichts dagegen?“
„Warum sollte ich, dafür hab ich dir damals die Schlüssel
gegeben und dass ich heute nicht mehr raus muss, passt mir
auch ganz gut, bist du soweit Notizen machen zu können?“
„Ja, schieß los.“
Nach seinen Unterlagen war Schiewerski ein 35 jähriger
Mann, unverheiratet, der ein kleines Transportunternehmen in
Monschau besaß. Nichts großes, aber ein Unternehmen, das
schon lange bestand. Er hatte es scheinbar von seinem Vater
übernommen. Ein Bild gebe es leider nicht. Er teilte mir noch
die genaue Adresse mit und ich bedankte mich und sagte ihm,
dass er mich in der nächsten Zeit nur über Handy in der
Gegend von Frankfurt am Main erreichen könne.
„War das schon alles?“
„Ja, leider gibt es noch nicht mehr. Hast du was über die
Nachforschungen nach diesem Möbius gehört?“
„Nein, man hat mir auch keine Auskünfte erteilen können,
obwohl ich danach gefragt habe. Es scheint Mal wieder keiner
zuständig zu sein. Du weißt doch, Sozialversicherungsbetrug
ist ein Kavaliersdelikt! Ich möchte kotzen.“
„Den kriegen schon noch. Die wollen ja auch noch ein paar
andere Dinge von ihm wissen. Also, ich melde mich erstmal
ab und du hörst wieder von mir. Danke für die Hilfe.“
„Teufel, du führst doch schon wieder was im Schilde. Du
bist doch sonst nicht so höflich.“
152
„Ich besser mich gerade. Ist eine gute Übung. Schöne
Grüße auch von Eva“, und damit legte ich auf, damit er nicht
noch misstrauischer wurde.
Ich fuhr aus der Stadt und auf der Autobahn hielt ich
mittlere Geschwindigkeit und Eva genoss die Fahrt sichtlich.
Sie saß völlig entspannt neben mir und summte die Melodien,
die leise aus dem Autoradio kamen mit. Wenn der Verkehr es
zuließ hielten wir Händchen. Nach zwei Stunden Fahrt verließ
ich die Autobahn und wir fuhren durch kleine Orte und
fanden schließlich ein Hinweisschild auf ein Waldcafé. Hier
machte wir Rast, tranken Kaffee und aßen Kuchen, der frisch
von der Inhaberin gebacken war. Warmer Apfelkuchen. Er
schmeckte uns köstlich. Von hier aus telefonierte ich auch mit
dem Büro Starck und ich kündigte unser Erscheinen an.
Wilhelm Starck war zwar im Moment nicht anwesend, aber er
würde später wieder erscheinen. Wir sollten nach Möglichkeit
vor 17 Uhr eintreffen, weil man nicht wüsste, ob er abends
das Haus nochmals verlassen würde und wenn wir das nicht
schaffen könnten, ob man mich zurückrufen könne? Ich
hinterließ meine Handynummer.
Danach hatte ich es dann eiliger und fuhr zurück auf die
Autobahn und zeigte Eva im Vorüberfahren die Stelle wo
Lewinski durch die Leitplanke und das Brückengeländer in
den Abgrund gerast war. Das Geländer war nur provisorisch
ausgebessert worden und die Leitplanke war immer noch
zerfetzt. Eva schauderte neben mir.
Schon vor Gießen hörten wir die Stauwarnungen, dass
sämtliche Autobahnen rund um Frankfurt verstopft seien und
kurz vor Gießen setzte dann der erste Stau ein und ich
entschloss mich über die Landstraßen weiter zu fahren. Hier
war zwar auch dichter Verkehr, aber wir kamen über
Butzbach und Friedrichdorf recht gut voran und waren kurz
vor 17 Uhr am Ziel und ich fuhr auf den Hof der alten Villa
153
an der Parkpromenade. Eva war beeindruckt von diesem
Haus. Sie war noch mehr beeindruckt, als wir ins Innere
kamen und uns Starck mit seiner mir bekannten Herzlichkeit
begrüßte. Wir setzten uns in die Besucherecke seines
Privatbüros und er entschuldigte sich für einen kleinen
Moment und gab über eine Sprechanlage diverse Befehle an
seine Mannschaft in den anderen Büros weiter. Dann
telefonierte er leise, legte auf und kam mit strahlendem
Lächeln zu uns herüber. Er hatte sofort eine neue Verehrerin:
Eva.
Wenig später öffnete sich die Tür und Frau Starck, eine für
ihr Alter sehr attraktive, modisch gekleidete Frau. Starck
stellte Eva seiner Frau vor und wir wurden mit Handschlag
begrüßt.
Die fragte mich lächelnd: „Waldi, gibst du jetzt endlich dein
ruheloses Junggesellendasein auf und willst uns die Braut
vorstellen, oder seit ihr schon auf Hochzeitsreise? Ihr seht
zumindest so glücklich aus.“
Sie hatte mir ein Stichwort gegeben, von dem sie nichts
ahnen konnte; aber ich nutzte es sofort: „Ja, ich will meine
Eva heiraten, aber erst müssen wir noch einige Dinge
bereinigen und darum bitte ich um eure Mithilfe. Wenn ihr
mich schnell unter die Haube bringen wollt, solltet ihr mir
ganz heftig helfen, sonst müsst ihr auf die Feier noch ein
wenig warten.“
Eva schien wie vom Schlag getroffen, und stammelte unter
Schluchzern: „Waldi Teufel, du willst mich wirklich heiraten?
Mich? Wenn das alles vorbei ist, willst du mich wirklich?“
„Ja, ich will wirklich.“
Eva war fassungslos und die Tränen rollten aus ihren
Augen und sie war nicht fähig ein Wort herauszubekommen.
Frau Starck hatte zunächst ebenfalls verblüfft geschaut aber
dann hatte sie angefangen schallend zu lachen und sprudelte
prustend heraus: „Waldemar Teufel, was bist du nur für eine
Type? Traust dich nicht einen Heiratsantrag in trauter
154
Zweisamkeit auszusprechen, sondern brauchst Verstärkung
von Freunden. Wenn das gleichzeitig die Aufforderung an uns
gewesen sein soll, Trauzeuge zu sein, auch das ist
angenommen. Und jetzt will ich, obwohl es altmodisch ist, mit
euch Verlobung feiern. Teufel ab jetzt kannst du nicht mehr
zurück!“
Sie war aufgestanden und hatte sich zu der rückwärtigen
Büroschrankwand bewegt und hatte eine der Türen geöffnet.
Dahinter verbarg sich eine Bar mit blitzenden Kristallgläsern
und einer stattlichen Anzahl von Flaschen. In einem weiteren
Fach war ein Kühlschrank.
Hieraus entnahm sie eine Flasche Champagner und drückte
sie ihrem Mann in die Hand, während sie schon zurückeilte
um Gläser zu bringen. Starck hatte die Flasche entkorkt und
schenkte ein und verteilte die Gläser. Sie prosteten der immer
noch schluchzenden Eva zu. Ich hatte endlich meinen Arm
um sie gelegt und drückte sie ganz fest an mich und fragte sie:
„Du willst mich doch, deinen chaotischen Teufel? Oder?“
Jetzt fing sich Eva langsam wieder und antwortete sehr fest:
„Und ob.“
Wir hatten die Gläser nur angetrunken als ich auf mein
Anliegen, dass mich eigentlich hierher geführt hatte zu
sprechen kam. Frau Starck hörte nur einen kleinen Augenblick
zu, dann ergriff sie Evas Arm und sagte: „Kommen Sie Kind,
das ist reine Männersache. Die Beiden sollen Pläne
schmieden, während wir uns angenehmeren Dingen widmen“,
und zu uns gewandt, „wenn ihr mit dem Thema durch seid,
dann möchte ich in zwei Stunden mit euch in der Ente in
Wiesbaden tafeln. Wir bestellen einen Tisch und während des
Essens keine weiteren Diskussionen. Einverstanden?“
Wir nickten nur zustimmend, und mir kam nur ganz kurz in
den Sinn, dass Eva sicherlich keine passende Kleidung für den
Rahmen der Ente eingepackt hatte. Aber der Gedanke kam
mir nur ganz kurz und ich schilderte Wiesel die bisherigen
Vorkommnisse, meine „Fundunterschlagung“ und meine
155
Pläne und meine bisherige Suche nach einem der
Hauptverantwortlichen
und
einer
verschwundenen
ehemaligen Mitarbeiterin der Gemeinde.
Ich fasste all meine bisherigen Erkenntnisse zusammen und
Wiesel hatte mich kaum einmal unterbrochen um kurze
Fragen zu stellen.
Nach etwa einer Stunde hatte ich meinen Bericht beendet
und er entschied: „Genug für heute. Wir werden morgen früh
um acht Uhr anfangen sämtliche Originalunterlagen, die du
angeschleppt hast Stück für Stück zu fotokopieren. Nach
Fertigstellung der Kopien werden wir gemeinsam mit einem
Notar die Originale versiegeln und du wirst an Eidesstatt
erklären, dass du weder Papiere entfernt, noch dazugefügt
hast und den Fundort dieser Akten exakt beschreiben. Des
Weiteren wirst du ebenfalls unter Eid die Begründung zur
Sicherstellung dieser Akten abgeben, dass nämlich zu diesem
Zeitpunkt immer noch Gefahr bestand, dass Lewinski oder
auch Möbius zurückkehren könnten um diese Akten zu
vernichten. Die Akten werden dann versiegelt in einem
Banktresor, am besten später, wenn du wieder daheim bist, bei
einer dortigen Bank hinterlegt. Von Geldbeständen,
Goldbarren und einem Tresorschlüssel habe ich nichts gehört
und auch nichts gesehen. Nach der Versiegelung wirst du
deine Nachforschungen in Monschau und in Belgien und
Holland beginnen, während ich hier das Beweismaterial gegen
die weiteren Mitwisser, Helfershelfer und Hintermänner
durcharbeite.
Wenn wir auf begangene Straftaten stoßen sollten, die über
das Maß von Bestechung oder ähnlicher Delikte hinausgehen,
werden wir sofort die Polizei einschalten. In den anderen
Fällen, überlegen wir uns, wie wir die Unterlagen besser
verwerten können. Und ich denke da keineswegs an
Erpressung. Wenn du jemals daran gedacht haben solltest,
sind wir geschiedene Leute. Und jetzt lass uns gehen, wir
sollten die Damen nicht enttäuschen.“
156
Er hatte mein Einverständnis zu den Maßnahmen einfach
vorausgesetzt und die Tuchtasche verschwand in seinem
Tresor und wir verließen das Büro und gingen in die
Privatgemächer der Eheleute Starck. Hier erwartete mich eine
umwerfende Überraschung. In der Diele empfing uns Frau
Starck und sandte uns direkt in ein Ankleidezimmer und hier
hingen neben den Sachen für Wiesel, Oberhemd, Krawatte
und ein dunkelblauer Anzug mit Weste für mich bereit. Ein
Paar auf Hochglanz polierter Schuhe fehlte ebenfalls nicht.
Alles passte hervorragend. Wie Frau Starck es geschafft hatte,
diese Dinge, und das noch passend, zu beschaffen, war mir
unerklärlich. Als wir dann ins Wohnzimmer traten, fielen mir
die Augen fast aus dem Kopf. Eva in einem „Kleinen
Schwarzen“. Ganz schlicht gehalten, mit Spagettiträgern und
ganz dezentem Paillettenbesatz um den tiefen Ausschnitt. Als
sie sich umdrehte um vor uns hergehend Frau Starck zum
Ausgang zu folgen, gewahrte ich einen atemberaubenden
Rückenausschnitt, der knapp oberhalb des Poansatzes endete.
Auch die Schuhe waren neu und höher, als sie sonst trug. Das
betonte ihre schön geformten Beine. Ich war entzückt.
Wir gingen zu einer Langlimousine deren Türen von einem
uniformierten Chauffeur aufgehalten wurden. Wir saßen uns
gegenüber. Die Damen in Fahrtrichtung, die Herren entgegen.
Die Türen hatten sich kaum geschlossen als ich herausplatzte:
„Wie hast du das geschafft? Für Eva und für mich diese tolle
Kleidung passend zu beschaffen, und das in dieser kurzen
Zeit.?“
„Das war gar nicht so schwer. Deine Maße waren mir
immer noch bekannt, denn es ist nicht solange her, dass ich
dich einkleiden musste. Zu der Zeit warst du nicht gerade sehr
selbstständig. Und als ich heute gesehen habe, dass du dich
seit unserem letzten Treffen nicht allzu sehr verändert hast,
konnte ich einfach einen Anzug herauskramen, den du nicht
mehr bekommen hast, weil du schon wieder auf Wanderschaft
157
warst, als er endlich fertig war. Die Anproben hattest du
damals aber noch alle über dich ergehen lassen.
Für Eva, war es auch nicht so schwierig. Wir sind einfach
direkt aus dem Haus und sind in die edelste Boutique, die hier
beheimatet ist. Das ist dabei herausgekommen. Und es schickt
sich nicht, eine Dame derart unverschämt anzustarren, auch
wenn man mit ihr verlobt ist. Da mir klar war, dass du keinen
Ring tragen wirst, haben wir für deine Braut aber schon mal
gesorgt. Zufällig ist direkt neben der Boutique ein Juwelier.
Eva zeig doch Mal deinen Ring.“
Zögerlich und schüchtern streckte Eva ihre linke Hand in
meine Richtung. Trotz des gedämpften Lichts hinter den
getönten Scheiben der Limousine konnte ich das Gefunkel
vor dem schmalen Goldreif erkennen. Ich hielt Evas Hand,
die sich dazu vorbeugen musste, und wusste nicht wohin ich
zuerst schauen sollte, auf die Hand mit dem Ring oder in ihr
aufregendes Dekolletee. „Teufel, benimm Dich“, ertönte
wieder die ruhige Stimme, der älteren Frau, „der Ring ist unser
Geschenk zu eurer Verlobung. Er soll nicht nur euch, sondern
uns alle verbinden.“
Ich musste mich räuspern bis ich etwas herausbringen
konnte. Es wurde nur ein gestammeltes: „Danke“, und die
Wellen des Glücks überschwemmten mich. Mein Herz raste
als würde es Loopings drehen und ich fühlte mich glücklicher,
als jemals zuvor in meinem Leben. Diese Stimmung hielt auch
während des Essens an. Köstliche Gänge und köstliche Weine
wurden serviert. Es war ein Fest der Sinne. Ein Rausch der
Glückseligkeit, der auch nicht endete als ich Eva später im
Hotelzimmer aus dem aufregenden Kleid befreite und dem
Hauch von Dessous und jeden Millimeter ihres Körpers mit
Küssen bedeckte und die Wogen der Sinnlichkeit über uns
hinwegrauschten.
Selbst das Erwachen war ein einziger Rausch. Wir waren
immer noch vereinigt und es fiel uns schwer uns zu trennen.
Eva hatte schlaftrunken gemurmelt: „So möchte ich eines
158
Tages sterben. Eins mit Dir, mein geliebter Mann“, dann hatte
sie sich sanft von mir heruntergerollt.
Wenn wir unsere Verabredung einhalten wollten, mussten
wir uns beeilen. Ich hatte beobachtet, wie sie, während wir uns
im Badezimmer ausgehfertig machten, immer wieder
ungläubig ihren Ring betrachtete. Ich hatte sie noch nie so
strahlend und jugendlich erlebt.
Ohne zu frühstücken eilten wir zu Starcks Villa und fingen
an die Unterlagen zu fotokopieren.
Wir benutzten zwei Kopiergeräte und arbeiteten in zwei
Teams. Wiesel mit seiner Frau und Eva und ich. Nach zwei
Stunden intensiver Arbeit hatten wir alles geschafft. Die
Originalunterlagen waren wieder in den Heftern in der
Reihenfolge wie wir sie vorgefunden hatten abgeheftet und
Stöße von Papier der Kopien stapelten sich auf einem
Schreibtisch. Jeder Fall war durch verschiedene Papierlagen
getrennt. Wir hatten von jedem Vorgang jeweils drei Kopien
angefertigt. Es gab Kontoauszüge; Berichte von Ermittlern
unterstützt von Fotos.
Bei der Arbeit war mir auch aufgefallen, dass manche Akten
besondere Vermerke trugen, die auf bestimmte VideoKassetten oder Tonträger hinwiesen, die nicht im Tresor
vorhanden gewesen waren. Ich schloss daraus, dass damit nur
Dinge gemeint sein konnten, die im Studio des Herrn Dr.
Keller lagerten. Es war wichtig, dass wir diese Unterlagen
ebenfalls sicherstellen konnten.
Wiesel und ich diskutierten darüber, auf welche Art wir uns
in den Besitz dieser Unterlagen bringen könnten, kamen aber
zunächst noch zu keinem festen Plan. Dann erschien der
Notar und es wurde sehr förmlich. Erst nachdem er aus den
Originalunterlagen ein versiegeltes Packet geschnürt hatte und
sämtliche Formalitäten erledigt waren, kamen zwei
Mitarbeiterinnen des Notars gemeinsam mit einem Fahrer, die
dieses Packet bei einer Großbankfiliale in Bad Homburg in
159
einem Tresorfach hinterlegen sollten. Der Notar fuhr zur
Überwachung der Hinterlegung und zur Erstellung eines
Protokolls mit.
Unsere Diskussion über die Möglichkeiten der Beschaffung
des Video- und Bildmaterials setzten wir nach dem
Verschwinden des Notars fort und wir wurden uns einig, dass
es nur mit Wissen und Genehmigung der Aufwartefrau
geschehen konnte. Wiesel versprach einen seiner Leute darauf
anzusetzen, mögliche Schwachpunkte dieser Frau Winter
herauszufinden um sie zu einer Mitarbeit und zum Schweigen
verpflichten zu können. Er instruierte sofort einen Mann, gab
ihm die Adresse der Frau und machte ihm die Bedeutung und
Wichtigkeit des Falles klar. Der Mann verschwand mit dem
Hinweis, dass er täglich berichten würde.
Nach einem schnellen Mittagessen in der Kantine des
Starck-Büros schickte Wiesel Eva und mich zurück ins Hotel,
damit wir dort unsere Sachen packen könnten um Richtung
Aachen aufzubrechen. Hier sollten wir uns dann später bei
einem ihm befreundeten Autohändler melden, der uns ein
unauffälliges Auto mit belgischer Zulassung überlassen würde.
Unseren Wagen sollten wir bei dem Händler bis Beendigung
unserer Nachforschungen unterstellen.
Zum Abschied gab er mir noch eine schmale Mappe mit
Informationen, die er inzwischen über Schiewerski besorgt
hatte.
Wir packten unsere Sachen und als ich an der Rezeption
zahlen wollte, sagte man mir, dass alles schon beglichen sei.
Ich hatte die Akte im Rucksack verstaut und nicht
hineingesehen, Da wir erst nach Feierabend in der KfzWerkstatt in Aachen erscheinen sollten, nahm ich die
landschaftlich schönere Strecke durch den Taunus und fuhren
gemächlich bis Bad Camberg und wechselte dann erst auf die
Autobahn. Da Stauwarnungen für den Großraum Köln über
den Verkehrsfunk gemeldet wurden, wechselte ich von der A3
160
bei Koblenz auf die A61 und umging die Staus. Dadurch
waren wir viel zu früh in Aachen und wir beschlossen durch
die Altstadt zu Bummeln. Das Wetter hatte gehalten und wir
setzten uns in ein Straßencafé und tranken Kaffee und Eva
wollte ein großes Stück Kuchen. Wir saßen dort und genossen
unsere Zweisamkeit, das Wetter und Eva den Kuchen. Wir
betrachteten die vorüber schlendernden Menschen und
machten unsere Kommentare. Wir lästerten über die Mode
der Jugendlichen, die Haarmoden und erheiterten uns über zu
dicke Frauen, die in völlig unpassenden Kleidungsstücken
einher liefen. Wir waren glücklich miteinander.
Kurz nach 18 Uhr gingen wir zurück zur Parkgarage, in der
wir unseren Wagen abgestellt hatten und fuhren zur etwas
auswärts liegenden Werkstatt. Der Meister hatte uns schon
erwartet und hatte es scheinbar eilig, denn er forderte uns nur
auf, unsere Sachen in einen Pajero mit belgischem
Kennzeichen umzuladen und händigte uns die Papiere aus.
Ich übergab ihm dafür meinen Autoschlüssel. Er machte uns
noch eine Wegbeschreibung, wie wir am besten nach
Monschau kommen würden und verabschiedete sich dann.
Ich begutachte die Wagenpapiere und fand heraus, dass der
Wagen auf einen Herrn Brijon in Antwerpen zugelassen war.
Da
aber
sämtliche
Papiere,
einschließlich
des
Kraftfahrzeugbriefes vorhanden waren, würde ich sicherlich
keine Schwierigkeiten bekommen. In einer Wechselstube an
dem Autobahnübergang nach Belgien besorgte ich mir einen
guten Betrag an Belgischen Franc und fuhr nach Belgien
hinein. Wir folgten den Hinweisschildern nach Eupen, um
dann endgültig auf einer mittleren Landesstraße Richtung
Monschau zu einem weiteren Übergang nach Deutschland zu
fahren. Hier gab es nirgendwo Kontrollen und wir suchten
uns in Monschau ein größeres Hotel. Wir mieteten uns gleich
für eine ganze Woche ein.
Im Zimmer packten wir unsere Sachen aus und ich
verstaute den Rucksack im Kleiderschrank. Dabei fiel mir der
161
Aktenordner, den Wiesel mir gegeben hatte wieder ein. Eva
war im Badezimmer verschwunden und ich hörte sie unter der
Dusche trällern. Sie schien glücklich.
Ich schlug die Akte auf und ein Bild in DIN A4 Größe
erregte sofort meine Aufmerksamkeit. Dieses Bild war zwar
per Fax übermittelt worden und nicht besonders detailreich,
aber der Mann war gut zu erkennen. Walter Schiewerski war
kein anderer, als Walter Möbius. Ich sann einen kleinen
Augenblick darüber nach, wie es wohl angehen konnte, dass
der eine Möbius in Monschau ein Transportunternehmen
leitete und der andere Möbius in der Kirchengemeinde in
Norddeutschland als Verwalter tätig war. Von seinen übrigen
Aktivitäten und dem Namenstausch mit Dr. Keller ganz
abgesehen. Irgendetwas passte ganz und gar nicht. Ich starrte
das Bild immer weiter an; aber mir kam keine Erleuchtung.
Aus den Unterlagen ging ferner hervor, dass Schiewerski
direkt auf dem Gelände seines Unternehmens wohnte. Ich
hatte mir an der Rezeption eine Straßenkarte vom Ort geben
lassen, aber ich konnte die Adresse auf dem Plan nicht finden.
Woran lag das nun schon wieder? Ich war derart in meinen
Gedanken versunken, dass ich Eva überhört, und wie sie sich
ausdrückte, was viel schlimmer war, übersehen hatte. Dabei
stand sie als Aphrodite vor mir – wahrlich dem Schaum
entstiegen – und wollte frottiert werden. Es war ihr
anzusehen, dass dies nicht ihr einziges Begehr war. Der
Anblick machte mich schwach, und stark zugleich. Ich vergaß
die Probleme um Schiewerski und ließ die Papiere einfach auf
den Fußboden fallen und griff nach ihr. Sie hatte breitbeinig
vor mir gestanden und ich hatte nach ihren Brüsten gegriffen.
Sie leitete meine eine Hand an ihren Schoß und flüsterte:
„Bitte gib mir die Zärtlichkeit deiner Hände“.
Ich streichelte sie, wie sie es von mir erwartete und sie kam
erstaunlich schnell zu einem gewaltigen Höhepunkt. Ihr
Körper straffte sich gegen meine Hände, ihre Muskeln
162
strafften sich und zuckten und dann sank sie zusammen und
auf die Knie.
„Ich danke dir Liebster“, hauchte sie und fiel noch ein
wenig mehr in sich zusammen.
Ich war gebannt. Noch nie hatte mir eine Frau für einen
Liebesakt gedankt. Es war für mich etwas ganz Neues. Ich
war aufgewühlt und erschrak als ich den Schreckenslaut aus
Evas Mund hörte: „Das ist ja Möbius“, quiekte sie geradezu,
und deutete auf das Bild auf dem Fußboden.
Schlagartig waren die Gefühle, die eben noch auf dem
Höhenflug gewesen waren, zerstört. Wir starrten jeder auf das
Bild. Ich war schlagartig wieder in der Wirklichkeit und Evas
Reaktion war geradezu panisch. „Ich will nicht, dass er mir
schon wieder zuschaut. Ich will das nicht!“
Sie war aufgesprungen und zurück ins Bad gerannt. Dort
hörte ich sie laut schluchzen. Ich ging hinter ihr her und nahm
sie in den Arm. Sie wollte mich abschütteln, aber ich hielt sie
fest. „Es war doch nur ein Bild, mein Schatz. Nur ein Bild“,
versuchte ich sie zu trösten.
Sie schluchzte immer weiter nur: „Nein, nein, nein, ich will
es nicht.“
Sie weinte fast eine halbe Stunde, dann hatte ich sie soweit
beruhigt, dass ich sie aus dem Bad führen konnte, an dem
jetzt umgedrehten Bild vorbei zum Bett. Ich forderte sie auf
sich anzuziehen, weil wir noch etwas Essen wollten. Sie
gehorchte fast mechanisch, immer einen großen Bogen um
die Papiere auf dem Boden machend. Ich packte endlich die
Papiere zusammen und verstaute sie im Rucksack im
Kleiderschrank. Dennoch brauchte Eva noch eine Weile bis
sie sich im Badezimmer soweit restauriert hatte, dass wir das
Zimmer verlassen konnten. Wir fanden noch ein Wirtshaus,
das auf der Karte „gutbürgerliche Küche“ anbot und die
Karte war umfangreicher als ich erwartet hatte. Die Bedienung
hatte nur gebeten, dass wir schnell wählen sollten, da
ansonsten die Küche geschlossen würde.
163
Eva behauptete zwar, dass sie keinen Hunger hätte, aber ich
bestellte zwei Rumpsteaks mit Champignons und
Bratkartoffeln und zwei kleine Bier.
Als wir das kalte Bier antranken, konnte ich Eva die
Überwindung ansehen, die es sie kostete, das Bier nicht auf
einen Zug herunterzukippen. Als das Essen serviert wurde,
bestellte ich weitere Biere, diesmal große.
Eva lächelte mich dankbar an und aß dann doch mehr, als
ich erwartet hatte.
Wir schafften beide unsere Portion, obwohl sie sehr üppig
war.
Als wir nach dem Essen bei einem weiteren großen Bier
und einem doppelten Schnaps saßen, beide eine Zigarette
angezündet hatte, war die Spannung von Eva gewichen und
sie hatte meine Hand ergriffen und sagte: „Danke Großer,
danke für Alles, und ich hoffe, dass ich nicht wieder so
idiotisch reagieren.“
Dann hatte sie mir tief in die Augen gesehen und ein ganz
entferntes Lächeln hatte ihr Gesicht überzogen. Sie war ganz
in sich versunken und sie lächelte mich dabei an.
Später auf dem Heimweg hatte sie sich bei mir untergehakt
und war immer wieder stehen geblieben um mir flüchtige
Küsse zu geben. Kurz vor dem Hoteleingang hatte sie mich in
den Schatten eines Torbogens gezogen und hatte mich
leidenschaftlich geküsst und hatte gesagt:
Waldemar Teufel, ich liebe dich unendlich. Ich liebe dich
über alles. Und jetzt bin ich todmüde.“
Sie hatte sich hastig entkleidet, als wir im Zimmer
angekommen waren und war sofort ins Bett gekrochen. Als
ich nach dem Duschen aus dem Bad kam, schlief sie schon.
Sie schlief auch noch friedlich, als ich um 7 Uhr wieder
erwachte, mich leise anzog und nach unten in die Lobby ging.
Ich hatte ihr eine kleine Notiz geschrieben, dass ich die ersten
Erkundigungen einziehen wollte und sie mich später im
164
Frühstückszimmer finden könnte. Mein Handy hatte ich
mitgenommen. Warum ich meine Pistole im Schulterhalfter
angelegt hatte, wusste ich später nicht mehr zu sagen.
Ich ging hinüber zur Rezeption und wollte nach der
Wegbeschreibung zum Anwesen des Walter Schiewerski
fragen, da es auf dem Stadtplan nicht zu finden war. Die Frau
die lächelnd aus dem Hinterraum der Rezeption auf mich
zutrat und mich nach meinen Wünschen fragte, war mir
sofort bekannt. Es war die freundliche Bedienung aus dem
Restaurant, wo wir unser gestriges spätes Nachtmahl
eingenommen hatten. Ich staunte nicht schlecht. „Sie sind
doch die Bedienung, die uns gestern Abend noch spät etwas
zu Essen serviert hat? Mussten Sie zur Frühschicht schon
wieder hier antreten? Gehören das Lokal und das Hotel einem
Betreiber?“
„Nein, die Betreiber sind verschieden und ich bin hier nicht
zur Frühschicht, sondern habe den Nachtdienst gemacht.
Aber gleich darf ich Feierabend machen. Und Sie sind der
Gast, der gestern noch spät mit einer ziemlich verweinten
Frau in ein Lokal kam, um etwas zu Essen. Hatten Sie sich
gestritten?“
„Eigentlich nicht, aber manchmal müssen Frauen weinen,
wenn sie mit unangenehmen Dingen konfrontiert sind.“
Sie hatte ein wissendes Lächeln aufgesetzt und fragte weiter:
„Sie hatten eigentlich nicht wie Abtreibungstouristen
ausgesehen. Sie wollen sicher die Adresse von einem Arzt auf
der anderen Seite der Grenzen und einen ortskundigen
Führer, um die Angelegenheit diskret erledigen zu können?“
Ich hatte die Frau verblüfft angesehen: „ Das gibt es noch
immer hier in der Gegend? Ist das denn noch nötig?“
„Solange Männer Politik betreiben und Pfaffen
dahinterstecken, werden die Frauen mit ihren Nöten auf
dieser Seite der Grenze immer in Stich gelassen“, sagte sie
ernsthaft und ein wenig bedauernd lächelnd, „wie kann ich
Ihnen denn helfen?“
165
„Ich suche wirklich eine Adresse; aber ein ganz anderer Art.
Meine Frau und ich haben ganz andere Sorgen, nur nicht eine
ungewollte Schwangerschaft. Vielleicht können Sie uns helfen,
denn auf dem Stadtplan, den ich habe, kann ich sie nicht
finden.“ Da ich die Adresse von Schiewerski nicht im Kopf
hatte, zog ich den Zettel mit der Adresse heraus und las sie ab.
Das Gesicht der Frau veränderte sich plötzlich und alle
Freundlichkeit war verschwunden.
„Was wollen Sie von dem Mann? Sie werden ihn nicht
erreichen.“
„Woher wollen Sie das wissen?“
„Er ist schließlich mein Mann. Und ich werde es nicht
zulassen, dass sich wieder ein verrückter Schnüffler in unsere
Angelegenheiten mischt. Was wollen Sie von ihm? Und
erzählen Sie mir ja keine Märchen.“
Ich schaute die Frau an und sah ihre ehrliche Empörung.
„Gnädige Frau, ich möchte Ihren Mann nur in einer etwas
ungewöhnlichen Grundbuchangelegenheit befragen. Ich habe
dort einen Eintrag gefunden, der diese Fragen aufwirft und
die zu klären sind. Wenn Sie gleich Feierabend haben, dann
kann ich Sie nach Hause fahren und Ihr Mann wird mir diese
Fragen ganz schnell beantworten können.“
„Eine Grundbucheintragung?“
„Ja, ein Vorkaufsrecht. Scheinbar hat ihr Mann schon eine
größer Summe zur Ablösung alter Hypotheken für dieses
Recht einbezahlt.“
„Wir sollen eine größere Summe gezahlt haben? Das ich
nicht lache. Unser Geschäft geht so schlecht, dass ich in zwei
Schichten dazuverdienen muss, und dann sollen wir Geld für
eine Immobilie gezahlt haben? Sie müssen sich schon andere
Märchen einfallen lassen, wenn Sie mit meinem Mann
sprechen wollen. Da steckt doch bestimmt wieder sein
verbrecherischer Bruder dahinter, und mit dem wollen wir
nichts zu tun haben.“
166
Sie wollte auf dem Absatz kehrt machen und mich einfach
stehen lassen.
Ich rief ihr nach: „Bleiben sie bitte. Vielleicht hilft mir
schon der Hinweis auf ihren Schwager.“
Sie drehte sich wütend wieder herum: „Ich habe keinen
Schwager. Ich weiß nur von einem Schweinehund, der das
Leben meines Mannes zerstört hat. Lassen Sie uns zufrieden.“
In diesem Moment erschien am Ende des Counters
geschäftig ein Mann in dunklem Anzug und rief: „ Frau
Schiewerski, gibt es Probleme?“
Die Frau drehte sich sofort wieder zu mir und rief über die
Schulter zu dem Mann, der offensichtlich ihr Vorgesetzter
war: „Nein, nein, Herr Camenotti, wir kommen schon klar.“
Und mir zischte sie zu: „Wir treffen uns in fünf Minuten
auf dem Parkplatz; aber jetzt verschwinden Sie unauffällig. Ich
will nicht auch noch Ärger mit meinem Chef.“
Ich sagte laut, so dass der Mann am anderen Ende des
Counters es gut verstehen konnte:
„Vielen Dank für Ihre Hilfe, Gnädige Frau. Jetzt werde ich
den Weg bestimmt gut finden. Vielen Dank und einen
schönen Tag noch.“
Den Mann mit eine strahlenden Lächeln grüßend verließ
ich die Rezeption und verschwand in Richtung Toiletten. Hier
wusch ich mir unnötigerweise die Hände und ließ mir Zeit an
der Handtrocknungsmaschine. Dann spazierte ich vor mich
hinlächelnd durch die Lobby zum Ausgang. Der Mann stand
mit Frau Schiewerski im Gespräch vertieft hinter dem Schalter
und schien ihr Vorhaltungen zu machen. Ich schlenderte zu
unserem Geländewagen und setzte mich hinein. Es dauerte
dann noch ungefähr zehn Minuten, bis die Frau aus dem
Eingang trat und sich in entgegengesetzter Richtung zu Fuß
entfernte. Ich fuhr an und hinter der Frau her.
An der nächsten Straßenecke holte ich sie ein und wollte
gerade die Beifahrertür öffnen, als sie mir unauffällig mit der
Hand ein Zeichen machte weiter zu fahren. Ich fuhr langsam
167
an ihr vorbei in die Richtung in die sie schaute. An der
nächsten Straßenecke fuhr ich rechts um die Ecke und hielt
an. Frau Schiewerski kam mit wütendem Gesicht ebenfalls um
die Ecke und stieg in die geöffnete Seitentür.
„Da sehen Sie es wieder. Immer haben wir nur Ärger, wenn
sich Jemand nach meinem Mann erkundigt. Mein Chef hat
mir mit Kündigung gedroht, wenn ich weiterhin so
unfreundlich zu Gästen sein sollte. Er hat die ganze Zeit
hinter mir hergesehen, darum konnte ich nicht auf den
Parkplatz kommen und darum sollten Sie weiterfahren. Er
würde mich sofort rausschmeißen, wenn er sehen würde, dass
ich mich jetzt auch noch mit Gästen einlasse. Fahren Sie
schon los, immer geradeaus. Ich will so schnell wie möglich
hier weg. Ich sage Ihnen dann schon wie Sie weiterfahren
müssen.“
Sie nestelte an ihrer Handtasche und brachte ein
zerdrücktes Päckchen Zigaretten zum Vorschein und zündete
sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Nachdem sie
tief inhaliert hatte, fragte sie mit etwas normalerer Stimme:
„Was wollen Sie also von uns? Die Geschichte mit dem
Grundbuch war doch eine Lüge?“
„Nein, das war keine Lüge, sonst wäre ich auf Ihre Adresse
gar nicht gestoßen. Aber es scheint eine weitere Unklarheit in
einem Netz von Lügengespinsten zu sein und die will ich
erhellen. Sie sagten etwas von einem Bruder Ihres Mannes,
der Sie immer wieder in Schwierigkeiten bringt?“
„Ja, sein Zwillingsbruder Viktor“, sagte sie einsilbig und gab
mir Fahranweisungen. Wenig später fuhren wir gleich
außerhalb der Stadtgrenze auf eine Hofeinfahrt, die zu einem
ländlichen Anwesen gehörte. Über dem Tor befand sich ein
Metallschild, dessen Farbe abblätterte und größere Rostflecke
aufwies, mit der Aufschrift: „Schiewerski Transporte und
Autoreparatur, Alle Marken.“
Auf dem Hof sah es chaotisch aus, eher wie ein
Autofriedhof, oder eine Altwagenentsorgung. Überall lagerten
168
Autowracks, Autoteile und anderes Gerümpel. Am einen
Ende des großen Hofes gab es sogar einen kleinen vor sich
hinrostenden Kran. Neben einem kleinen Häuschen waren
zwei Hallen angebaut. Das erste Hallentor stand offen.
Dahinter konnte man eine Werkstatt erkennen, mit
Hebebühne und verschiedenen Werkzeugleisten an den
Wänden. Das zweite Tor war geschlossen und ich vermutete
eine Garage mit einem kleineren LKW darin.
Wir fanden Schiewerski in der Werkstatt und seine Frau
sagte ihm, wir hätten was zu besprechen und gingen durch
einen Seiteneingang in das kleine Häuschen direkt in die
Küche. Der Frühstückstisch war noch gedeckt und Frau
Schiewerski hatte ihre Tasche auf der Spüle abgestellt und ihr
Mann hatte sich auf einem Stuhl an den Küchentisch gesetzt
und mich mit einer Handbewegung aufgefordert mich
ebenfalls zu setzen. Die Frau blieb im Hintergrund stehen.
Schiewerski war etwa einen Meter fünfundsiebzig groß, etwas
untersetzter als Möbius und sah ihm bis auf die Augenklappe
über seinem linken Auge täuschend ähnlich. Die nackten
Arme, die aus seinem blauen Overall herauskamen, schienen
mir wesentlich muskulöser, als ich bei Möbius vermutet hätte.
Seine Hände waren schwielige Arbeiterhände, die im Moment
schon ölverschmiert waren. Er hatte mich die ganze Zeit
misstrauisch angesehen und seine Stimme war rauh als er
mich ansprach: „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“
Ich ging auf seine Frage nicht ein, sondern holte die Bilder
von Möbius, Keller und Virginia und sein eigenes ohne
Augenklappe aus meiner Jacke und warf sie auf den
Küchentisch. „Kennen Sie die?“
Er wurde weiß im Gesicht. Dann kam er hoch stützte sich
auf den Tisch, funkelte mich mit seinem einen Auge an und
griff nach dem großen Brotmesser, das auf dem Tisch gelegen
hatte. Ich hatte blitzschnell mein Pistole gezogen und ihn
angeschrieen: „Finger weg, und hinsetzen!“
169
Er versuchte weiter nach dem Messer zu greifen und ich
schoss das Messer vom Tisch. Es war ein ohrenbetäubender
Knall, das Messer flog gegen eine Tasse, die zerschmettert,
gemeinsam mit dem Messer seitlich vom Tisch fiel.
Schiewerski und seine Frau waren erstarrt stehen geblieben
und dann ließ er sich langsam auf seinen Stuhl zurücksinken.
Die Frau blieb weiterhin erstarrt und starrte mit weit
aufgerissenem Mund auf die Szene. Ich erwartete einen
panischen Schrei, aber der blieb aus.
„Holen Sie sich einen Stuhl und setzen sie sich neben Ihren
Mann und dann erzählen Sie, warum Sie so panisch
reagieren.“
Jetzt war es die Frau die mich mit Worten attackierte: „Was
wollen Sie von uns? Ist es nicht genug, dass mein Mann sein
Augenlicht verlor, als er sich seinem Bruder widersetzte? Wer
schickt Sie und warum wollen Sie uns noch weiter ins Unglück
stürzen?“
„Erklären Sie mir erst, was Sie beim Anblick dieser Bilder
derart in Panik versetzt. Wer sind die Personen und was
haben Sie damit zu schaffen? Das große Schwarzweißbild in
schlechter Qualität sind offensichtlich Sie, Herr Walter
Schiewerski. Wer sind die anderen Personen?“
„Das wissen Sie doch, Sie Teufel. Sie wollen uns nur
aushorchen und herausfinden ob wir das Maul halten oder
nicht. Meine Frau weiß sowieso nichts und mich können Sie
ruhig erschießen. Das ist vielleicht das Beste. Machen Sie
schon, dann haben Sie ihren Auftrag erfüllt und ich kann
nichts mehr ausplaudern. Ich hab gewusst, dass Viktor keine
Ruhe geben würde, dass er mich töten muss, damit ich nichts
verraten kann. Aber lassen Sie meine Frau aus dem Spiel.“
Ich sah in nachdenklich an. Wahrscheinlich wusste seine
Frau wirklich nichts und er hatte mit seinem Leben
abgeschlossen. Offensichtlich wusste er etwas Belastendes
über die Anderen und fürchtete nun, dass er liquidiert werden
würde, ob er nun redete oder nicht. Ich fixierte Beide mit
170
meinen Blicken und versuchte so furchterweckend
auszusehen, wie ich es nur darstellen konnte. Zwischendurch
sah ich auf meine Uhr. Es war schon nach 9 Uhr und Eva
machte sich bestimmt schon Sorgen, wo ich wohl abgeblieben
war. Ich nahm mein Handy heraus und drückte die „1“ und
hielt mit der einen Hand das Telefon an mein Ohr und in der
anderen Hand die auf Schiewerski gerichtete Pistole.
Etwas außer Atem meldete sich Eva und schimpfte sofort
los: „Wo treibst du dich rum? Ich mache mir Sorgen. Ich
wollte gerade Herrn Starck anrufen und dich suchen lassen.“
„Soweit in Ordnung. Ich sitze hier bei den Schiewerskis.
Die hören mir jetzt zu. Besorge dir ein Taxi und lass dich hier
raus fahren. Die Taxifahrer müssten die Adresse kennen. Geh
durch das offenstehende Werkstatttor und gleich links geht es
ins Haus, direkt in die Küche. Da sind wir versammelt. Sie zu,
dass du schnell kommen kannst“, und ohne auf ihre Fragen,
die schon in mein Ohr prasselten, einzugehen hatte ich
aufgelegt.
Während des Gespräches hatte Frau Schiewerski ihre
Sitzposition verlagert und hatte sich fluchtbereit auf die Kante
ihres Stuhles bewegt. Ich beorderte sie zurück und sagte ihr,
dass sie die Hände ganz ruhig gefaltet auf den Tisch legen
sollte.
„Das Gleiche gilt für Sie, Schiewerski, und dann fangen wir
von vorn an. Wer sind die anderen Personen?“
„Das wissen Sie doch, warum wollen Sie es nochmals von
mir hören“, antwortete er trotzig.
„Weil ich wissen möchte, unter welchen Namen Sie diese
Personen kennen, und ob Sie außer dem Typen, der Ihnen
ähnlich sieht, und der scheinbar Ihr Bruder ist, die anderen
überhaupt kennen?“
Viel zu hastig antwortete er: „Ja, das ist mein Bruder, aber
die Frau und den anderen Mann kenne ich nicht.“
171
Während er sprach hatte ich Frau Schiewerski beobachtet.
Sie zuckte kurz, dann schien sie zu begreifen, welch ein Spiel
ihr Mann spielen wollte.
„Ja, das ist mein Bruder, ich hasse ihn. Er hat genug
Unglück über unser Leben gebracht. Die anderen kenn ich
nicht“, heuchelte er. Ich tat, als ob ich nichts merkte und
fragte Frau Schiewerski: „Und Sie? Kennen Sie die Frau und
den Mann?“
Als sie zum Sprechen ansetzte war ich aufgesprungen und
hatte ihr die Pistolenmündung direkt vor die Stirn gedrückt
und sie dabei angeschrieen: „Jetzt ist genug gelogen worden.
Sagen Sie endlich die Wahrheit Schiewerski, oder ich schieße
Ihrer Frau den Schädel weg.“
Angstgeweitete Augen schauten schielend neben dem
Pistolenlauf auf mein Gesicht. Schiewerski sackte neben ihr in
sich zusammen und murmelte tonlos: „Ja, ich kenn sie. Meine
Frau hat sie zwar gesehen, aber weiß nicht wer sie sind. Lassen
Sie sie zufrieden, bitte. Sie weiß wirklich nichts und hat nichts
gesehen.“
„Erzählen Sie“, forderte ich ihn auf, ohne die Pistole
zurückzuziehen.
„Bitte nehmen Sie die Pistole weg. Ich werde alles erzählen,
aber nur Ihnen. Sie soll alles niemals erfahren. Wenn Sie der
Killer im Auftrag meines Bruders sind, dann müssten Sie sie
hinterher auch erschießen, wenn Sie etwas anderes sind,
würde sie von meinen Taten wissen.“
Ich nahm jetzt endgültig die Pistole zurück und setzte mich
wieder auf meinen Stuhl.
„Ich handele nicht im Auftrag Ihres Bruders. Ich jage ihn.
Und wenn Sie etwas Schlimmes getan haben, dann sollte Ihre
Frau das wissen und nicht nur ahnen. Kommen Sie endlich
heraus mit der Sprache.“
In dem Augenblick hörten wir ein Auto vorfahren. Ich war
blitzschnell um den Tisch herum und hinter Frau Schiewerski
getreten und hatte sie einen Schritt hinter ihren Mann gerissen
172
und bedrohte sie mit der Pistole. Ich sagte leise: „Wenn es ein
Kunde ist, schicken Sie ihn weg, oder ich blase Ihrer Frau das
Leben weg.“
Dann hörten wir aber die Stimme von Eva, die dem
Taxifahrer dankte und sich verabschiedete. Der Wagen fuhr
weg und ich entspannte mich. „Setzen Sie sich wieder hin,
und rühren sich nicht“, gab ich Anweisung.
Als Eva durch die Küchentür kam, blieb sie wie
angewurzelt stehen und zog die Augenbrauen fragend hoch.
Ich wandte ihr den Kopf zu und sagte im Befehlston zu ihr:
„Fessel die Frau am besten mit Klebeband von nebenan und
bring sie ins Schlafzimmer und bewach sie. Wenn sie Mucken
macht, mach sie alle. Mach schon“, spielte ich weiter den
Hartgesottenen. Ich hatte ihr dabei mit einem Auge
zugezwinkert, damit sie sehen konnte, es handelte sich um
eine Show, die aber nur so ablaufen konnte. Sie hatte sofort
geschaltet und holte aus dem Nebenraum eine Rolle
Klebeband und fesselte nach meinen Anweisungen der Frau
die Hände auf dem Rücken. Sie stellte sich dabei sehr
geschickt an.
Dann schubste Eva die Frau voran und gab ihr Anweisung
ihr zu zeigen wo sie hingehen sollten. Als sie verschwunden
waren raunzte ich Schiewerski an: „Also los. Die ganze
Geschichte.“
Schiewerski räusperte sich zweimal, bevor er monoton
anfing zu reden: „ Viktor, der Mann auf dem Farbfoto da ist
mein Zwillingsbruder. Obwohl wir genau gleich aussahen,
waren wir von klein auf unterschiedlicher Natur. Ich habe
meinem Vater immer gerne bei der Arbeit hier im Laden und
der Werkstatt geholfen nach der Schule und an den
Wochenenden und Viktor hat schon ganz früh rumgemacht
mit den Weibern. Wir haben uns immer gefragt woher er
schon als Schüler immer die teueren Klamotten
herbekommen hat. So richtige Anzüge und so. Immer wenn
er an den Wochenenden verschwunden war, meistens rüber
173
nach Belgien, kam er mit neuen Klamotten wieder. In der
Schule haben wir immer die Lehrer genarrt und er hat mich
immer gezwungen seine Arbeiten als meine auszugeben. Seine
waren immer ganz schlecht und als ich eines Tages nicht mehr
mitmachen wollte, hat er mich verprügelt und in einer alten
Scheune, die früher noch ganz hinten auf dem Hof stand
festgebunden. Er hat dann meine Lieblingskatze vor meinen
Augen erwürgt und hat sie dann mit dem Messer
aufgeschnitten und das ganze Blut ist über mein Zeug und
auch die Eingeweide. Dann hat er mich K.O. geschlagen und
hat mich losgebunden. Dann ist er nach Haus gelaufen und
hat geschrieen ich sei ein Katzenmörder und er hätte versucht
das Viech noch zu retten, aber er wäre zu spät gekommen. Als
mein Vater und meine Mutter dann herüber gelaufen sind,
kam ich ihnen noch ganz bedudelt vom K.O. -Schlag
blutverschmiert entgegen und beide haben mich noch mal
schrecklich verhauen. Ich habe tagelang nicht richtig sitzen
können. Auf dem Schulweg hat er mir dann gesagt, dass dies
nur der Anfang wäre, wenn ich nicht so spurte wie er wolle.
Und dann hat er mir aufgezählt, was er alles noch anstellen
würde und wo ich immer die Schuld hätte. Ich solle nur für
ihn so weiter arbeiten, dann würde mir auch nichts passieren.
Jedes Mal wenn ich wieder Mut geschöpft hatte die
Verhältnisse zu ändern, ließ er sich etwas Neues einfallen.
Immer hatte ich die Schuld, immer war er der Liebe und ich
der Böse. Die ganze Klasse fing an auf mir herum zu hacken,
während er zum Schulsprecher gewählt wurde. Als ich aus
Trotz selbst nur noch schlechte Arbeiten schrieb, hat er
gedroht er würde Mutter umbringen und es so aussehen
lassen, als wenn ich es gewesen wäre. Bis er dann endgültig
aus dem Ort verschwand war ich schon zu zwei Jugendstrafen
verurteilt worden; aber ich hatte nie etwas angestellt. Meine
Mutter ist aus Gram gestorben, dass ihr lieber Junge
weggegangen war und nur noch dieser Unmensch von Sohn
in ihrem Hause lebte. Mein Vater starb ein Jahr später und
174
Viktor ließ sich noch nicht einmal auf der Beerdigung sehen.
Er hatte über einen Anwalt auf sein Erbe verzichtet und ich
hatte die Schulden und den Betrieb am Hals. Die Schulden
habe ich langsam abgearbeitet und dann kam er eines Tages
mit dem anderen alten Knaben hier an. Sie zwangen mich bei
ihren Fahrten mit zu machen. Sie schmuggelten alte Gemälde
und ich glaube auch Rauschgift mit meinem Transporter aus
Holland und Belgien hierher. Und von hier aus haben sie
immer junge Mädchen, manchmal glaube ich sogar
minderjährige Mädchen nach Belgien geschmuggelt. Die
Scheune, wo er mich damals gefesselt hatte wurde ausgebaut
und da wurde das Gut gelagert. Dort haben sie sich dann auch
mit den Mädchen vergnügt. Sie haben sie vergewaltigt, wenn
sie nicht wollten. Ich habe sie häufig schreien gehört und habe
mir die Ohren zugestopft um es nicht hören zu müssen.“
Er hatte angefangen hemmungslos zu weinen. Seine Worte
kamen nur noch stockend und meine Züge waren nur noch
eine starre Maske. Das wusste ich, denn meine
Backenknochen hatten sich verkrampft. Ich hatte die Pistole
längst wieder eingesteckt und lauschte den grauenhaften
Geschichten des weinenden Mannes. Ich war aufgestanden
und hatte im Kühlschrank eine Flasche Genever entdeckt und
hatte uns in zwei Wassergläser, die auf der Spüle gestanden
hatten, eingeschenkt. Er war verblüfft gewesen, als ich ihm ein
Glas vor ihm hingestellt hatte, aber er hatte angesetzt und es
mit einem Ruck ausgetrunken. Ich hatte nur einen kleinen
Schluck genommen und lauschte weiter.
„Eines Tages ist es mir endgültig zu viel geworden, und ich
habe die Scheune, als sie wieder auf Tour durch Belgien und
gerade keine Mädchen darin waren, angezündet und bin
hinunter in den Ort, wo ich mich betrunken habe. Man hat
mir
Brandstiftung
vorgeworfen,
weil
ich
die
Versicherungssumme kassieren wollte, aber man hat mir es
nicht lückenlos beweisen können. Nur die Versicherung hat
nicht gezahlt; aber das Geld wollte ich sowieso nicht. Als sie
175
von dem Brand hörten, kamen sie nur noch einmal, um sicher
zu stellen, dass ich nichts verraten würde, was in der Scheune
gelagert hatte. Danach waren sie ein paar Jahre nicht mehr da.
Ich lernte meine Frau kennen und wir heirateten und unser
Geschäft ging immer schlechter. Sie hat dann angefangen zu
Arbeiten, erst nur in der Kneipe und dann auch noch im
Hotel. Sie wusste zwar, dass ich ein schweres Los mit meinem
Bruder gehabt hatte, aber sie hat nie versucht die
Hintergründe wirklich zu erforschen. Ich war ihr dafür
dankbar.“
Er hatte sich aus der Geneverflasche, die ich gleich mit auf
den Tisch gestellt hatte, erneut bedient und ein weiteres Glas
auf einen Zug ausgetrunken.
„Dann, vor etwas mehr als einem Jahr standen Sie wieder
hier auf dem Hof. Meine Frau wollte gerade zur Arbeit gehen
als sie auftauchten. Sie war sehr erschrocken als sie Viktor
dort stehen gesehen hat. Es war ja ich, der in Anzug und
Krawatte ihr auf dem Hof entgegentrat. Sie hat ihn
hereingeführt und den Möbius, wie er sich nannte, und das
hübsche Mädchen. Die war aber gar nicht richtig bei sich.
Hatte glasige Augen und schien betrunken oder bekifft. Sie
hat teilnahmslos vor sich hingestiert, als sie auf dem Stuhl saß,
auf dem Sie jetzt sitzen.“
Als er wieder zur Geneverflasche greifen wollte, um sich
nachzu- schenken, stoppte ich ihn:
„Erzählen Sie erst zu Ende, dann können Sie weiter trinken.
Ich glaube dann brauchen Sie ihn dringender.“
„Meine Frau wollte schon ihren Dienst absagen und den
Gästen ein Abendessen bereiten, aber Viktor sagte ihr, das
solle sie ruhig lassen, denn sie wären nur auf der Durchreise.
Sie wären sowieso in der nächsten Stunde schon nicht mehr
da. Er war ganz der charmante, selbstsichere Mann und
betörte meine Frau sofort. Ich kann heute noch die Blicke
sehen, wie sie uns verglich. Mich in meinem schäbigen Overall
und ihn in seinem feinen Anzug. Ich sollte nur solch einen
176
Papierkram unterschreiben, was ich dann auch gemacht habe.
Da stand was von einer Immobilie drauf aber sie haben mir
auch keine Zeit gelassen es wirklich zu lesen. Meine Frau ging
dann nur sehr zögernd.
Aber kaum als sie weg war, haben die Kerle die junge Frau
in die Werkstatt geschleift und ihr sämtliche Kleidungstücke
vom Körper gerissen. Sie haben sie auf der Werkbank
festgebunden und als ich ihr beistehen wollte, hat Viktor mit
einem Brecheisen nach mir geschlagen. Ich war eine zeitlang
bewusstlos und als ich wieder zu mir kam, habe ich gesehen,
wie die Beiden das Mädchen gequält haben und immer wieder
etwas fragten. Nach Unterlagen, die sie kopiert hätte. Sie
wurde immer wieder ohnmächtig und dann haben die beiden
sie vergewaltigt. Da bin ich wieder ohnmächtig geworden. Als
ich dann wieder wach geworden bin, hab ich nur gesehen, wie
Viktor sie gewürgt hat und der andere über ihrem Gesicht
masturbiert hat. Die Zunge des Mädchens kam schon ganz
blau aus ihrem Mund und das Schwein hat dort
hineingespritzt. Da bin ich hoch und habe mich auf sie
gestürzt mit einem Reifenspanner in der Hand. Ich habe den
Möbius am Kopf getroffen aber dann hat mich Viktor mit
etwas erwischt hier am Auge. Und ich war wieder hinüber.
Am nächsten Morgen bin ich dann wieder hoch. Viktor
kam wieder. Allein. Er hatte meinen Transporter benutzt und
hat sich dann zu mir gehockt, immer noch in der Werkstatt.
Er hat mir gesagt: „Wenn du jemals ein einziges Wort von
dem was du gesehen hast, zu irgendeinem Menschen sagst,
dann geht es deiner Frau wie der Schlampe auf der Werkbank.
Wenn Sie deinen Transporter untersuchen werden sie
Spuren genug finden, dass du die Schlampe umgebracht hast.
Du würdest der ideale Täter für die Bullen sein. Daran denk
immer. Er hat mich dann ins Krankenhaus gebracht und
behauptet es wäre ein Unfall in meiner Garage gewesen. Das
Auge war nicht mehr zu retten. Ich schlafe seitdem keine
Nacht mehr richtig und ich habe Angst, dass er zurückkommt
177
und meinem Liebling etwas antut. Ich habe schreckliche
Angst.“
Er bebte am ganzen Körper und die Tränen flossen
unaufhaltsam. Ich schenkte ihm einen weiteren Schnaps ein
und diesmal trank auch ich meinen Rest in einem Zug. Ich
wusste, es würde nur eine kurze Zeitspanne dauern und die
Angst und die Ohnmacht würden wieder kommen.
Auch ich musste mich räuspern bevor ich die nächsten
Sätze herausbekam: „Walter Schiewerski, ich verspreche
Ihnen, dass dieser Schweinehund in dieser Familie keine
weiteren Untaten begehen wird, so wahr ich Teufel heiße. Ich
werde ihn fassen und ich werde ihn vernichten“, fügte ich
leise und grollend hinzu.
„Reißen Sie sich jetzt zusammen. Ich werde gleich die
Frauen holen und wir werden ihr folgende Geschichte
erzählen: Eva und ich verfolgen Ihren Bruder Viktor weil er
der Kirchengemeinde und dem Staat viele Dinge gestohlen
hat. Außerdem hat er unzählige Frauen in die Prostitution
getrieben und wir sind davon ausgegangen, dass er die Frauen
über Sie ins Ausland bringt. Daher bin ich derart mit Ihnen
beiden umgesprungen, weil ich sie als Mitwisser verdächtigt
habe. Ich werde mich bei Ihrer Frau entschuldigen und ihr
einige Fälle schildern, die meine Wut und Entschlossenheit
gegen Ihren Bruder untermauern. Das wird sie daran hindern,
weiterhin ihm gegenüber Sympathien zu entwickeln. Sie wird
in ihm, ebenso wie wir alle, das Scheusal sehen, das zu
bekämpfen ist. Ihre Geschichte wird nicht erwähnt, auch nicht
meiner Begleiterin gegenüber. Sie werden Ihre Aussage vor
weiteren Zeugen und einem Notar zu einem späteren
Zeitpunkt niederlegen, damit in einem eventuellen Prozess
Ihre Aussage schon vorliegt und sie nicht als Mitwisser
angeklagt werden können. Einverstanden?“
Seine Augen zeigten den Anflug von Trunkenheit und
neben den Tränen auch das Aufglimmen von Hoffnung und
Dankbarkeit. Er war einverstanden. Bevor ich die Frauen rief,
178
hatte ich aber noch eine Frage an ihn: „Wissen Sie, wohin der
Transporter gefahren wurde, um die Frau und eventuell den
Mann loszuwerden?“
„Ja, ich war neugierig. Aber ich hatte Angst und daher habe
ich die Aufschüttung nicht näher untersucht. Er hat sie kurz
hinter der Grenze im Naturpark verscharrt. Es ist ein Platz,
wo wir als Kinder mit dem Fahrrad immer hingefahren sind.“
„Können Sie mir den Ort zeigen?“
„Ja, es ist nicht sehr weit von hier.“
„Sie werden mir den Ort später zeigen. Holen Sie jetzt die
Frauen. Ich werde Jemanden anrufen.“
Er erhob sich unsicher während ich mein Handy heraus
nahm und wählte. Ich rief Wiesel an und berichtete ihm die
Aussagen. Ich wollte seinen Rat; denn spätestens jetzt hätte
ich die Polizei einschalten müssen, aber ich fragte mich, ob
wir genügend Beweismaterial in Händen hätten, um Möbius /
Schiewerski /Keller festsetzen zu können. Selbst wenn wir das
Grab finden sollten, würden die Beweise nicht ausreichen,
sondern eher Walter Schiewerski belasten, genau wie sein
Bruder es voraus gesagt hatte.
Wiesel war der gleichen Meinung und berichtete mir, dass
Ansatzpunkte zur Zusammenarbeit mit der Aufwartefrau
bestünden und dass wir berechtigte Hoffnungen hätten, die
Videos und Bilder als Beweise sichern zu können. Er hatte
mir nicht mitgeteilt warum dies so war und wir beschlossen,
die Polizei solange noch aus dem Spiel zu halten bis wir alle
Beweise hatten.
Eva hatte Frau Schiewerski die Fesseln wieder
abgenommen und ich entschuldigte mich bei ihr mit der
Erklärung, dass wir bis dahin davon ausgehen mussten, dass
sie Mitwisser oder Mittäter gewesen seien. Ich wusste nicht,
dass Eva während ihres Aufenthaltes mit Frau Schiewerski im
Schlafzimmer von den Gräueltaten des Schwagers hinreichend
berichtet hatte. Als ich anfing von diesen Dingen zu
berichten, sagte Frau Schiewerski: „Sie brauchen mir nichts
179
weiter zu sagen, ich bin schon unterrichtet. Glauben Sie, das
Sie meinen Mann da heraushalten können?“
„Ich hoffe. Wenn Sie uns helfen, Viktor zu finden und
unschädlich zu machen.“
Aus der Frage als solcher und im Ton, wie sie gestellt
wurde, schloss ich, dass sie weit mehr wusste oder ahnte, als
Walter Schiewerski annahm. Sie versicherte mir, dass sie alles
tun würde, um den Mann zu fassen. Wir beschlossen, dass
Eva und ich zunächst ins Hotel zurückkehren würden um
meinen Rucksack zu holen und dann zur vermeintlichen
Grabstätte zu fahren. Wir wollten sie markieren und ich wollte
Fotos von der Stelle machen.
Eva war auf der Rückfahrt zum Hotel sehr still und ich
merkte, wie deprimiert sie wirkte. Aus unserem kurzen
Gespräch, das Schiewerski und ich führten nachdem die
Frauen wieder in der Küche waren, hatte sie folgerichtig
geschlossen, dass es sich bei der Grabstelle um das Grab von
Virginia handeln müsse. Im Hotelzimmer nahm ich sie in die
Arme aber auch das konnte sie nicht aufmuntern und sie bat
mich allein zu fahren.
„Ich habe Kopfschmerzen und fühl mich nicht gut. Ich
möchte mich hinlegen, vielleicht können wir etwas Essen
gehen, wenn du zurück bist.“
Sie hatte mich bei ihren Worten fast flehentlich angesehen,
und ich verstand, dass sie nicht mit zu der Stelle fahren wollte,
an der ihre Freundin wahrscheinlich verscharrt worden war.
Ich nahm den Rucksack und fuhr zu den Schiewerskis
zurück. Frau Schiewerski bereitete sich schon auf ihren neuen
Arbeitstag vor und so fuhren Walter Schiewerski und ich mit
dem Pajero weiter. Er lotste mich über einen Feldweg, der die
Grenze nach Belgien überquerte durch ein Waldstück an
einen kleinen Weiher. Hier stand zwischen dem Bäumen etwa
50 Meter vom Ufer eine halbverfallene Holzhütte. Wir hatten
den Wagen auf dem Weg der an der anderen Seite des
Weihers entlang geführt hatte, stehen lassen und waren durch
180
das Unterholz des Waldes bis hierher vorgedrungen. Einen
wirklichen Weg hatte es nicht gegeben. Auch das hohe Gras
vor der Hütte bis hinunter zum Wasser schien unberührt. Es
wogte leicht im Wind. Alles war verlassen und es gab keine
Spuren von menschlicher Aktivität in der letzten Zeit.
„Hier sind wir als Jungens immer mit dem Fahrrad
hergefahren und haben dort vorne geangelt. Später hat Viktor
immer seine Freundinnen hierher gebracht. Ich hab sie
manchmal belauscht und ihn beneidet und einmal hat er mich
erwischt und mich verhauen. Und als ich auf dem Boden lag
hat er dem Mädchen gesagt, sie soll mir die Hose aufmachen
und mich mit der Hand befriedigen. Sie hatte angefangen und
als ich erregt war, hat er mir in die Hoden getreten und hat
gelacht und mich nach Hause gescheucht. Danach war ich nie
wieder hinter ihm her und hab ihn nie wieder belauscht,
obwohl ich wusste, wohin er die Mädchen immer brachte. Als
er mir damals sagte, dass er die Schwarzhaarige mit dem
Transporter weggebracht hätte, wusste ich wohin. Und gleich
hier neben der alten Hütte habe ich dann den frischen Hügel
gefunden. Sehen Sie hier“, und er deutete auf eine kleine
Erhöhung neben der Hütte. Hier wucherte inzwischen wieder
Gras und Unkraut, wie sonst überall neben der Hütte. Nur
nicht ganz so dicht und hoch. Wir markierten die Stelle mit
einigen Holzlatten, die ich aus der Hütte geholt hatte und
fotografierte. Ich bat Schiewerski neben dem Hügel mit den
Holzlatten Stellung zu beziehen und fotografierte erneut. Ich
machte weiter Fotos von der Hütte und der Umgebung und
achtete darauf, die Unberührtheit der Wiese vor der Hütte
darzustellen. Diese Dokumentation sollte festhalten, dass hier
seit langer Zeit kein menschliches Wesen gewesen war.
Im Wagen fragte ich Walter Schiewerski weiter nach den
Gewohnheiten seines Bruders aus und wollte von ihm vor
Allem die Adressen der Clubs und anderen Anlaufstellen auf
deutscher, als auch auf belgischer und holländischer Seite
wissen. Ich ließ ihn diese Angaben auf mein Diktiergerät
181
machen. Es war eine lange Sammlung von Adressen. Die
Clubs lagen sowohl in größeren Städten, als auch in kleinsten
Orten, wo ich nie Bordelle oder Sex- und Swingerclubs
erwartet hätte. Über die Spielleidenschaft seines Bruders
konnte oder wollte Walter Schiewerski sich nicht auslassen.
Über den ihm nur unter dem Namen Möbius bekannten
Mann konnte er auch nur wenige Angaben machen, außer,
dass er wohl der Kunstexperte gewesen sei und immer einen
ausgeprägt geilen Eindruck gemacht hätte. Er hätte die Finger
nie von den Mädchen lassen können, die Viktor über die
Grenze geschafft hatte.
Ich setzte ihn wieder an seinem Haus ab und fuhr zurück
ins Hotel. Es irritierte mich ein wenig, dass Eva nicht im
Zimmer war. Ich erledigte zunächst einen Anruf mit Wiesel,
dem ich das Band mit den Aussagen Schiewerskis senden
wollte, damit eine ortsbezogene Liste der Clubs angefertigt
werden könnte. Dann wollte ich versuchen, die Clubs zu
besuchen und dort meine Nachforschungen anstellen. Ich
fragte auch, ob er die Möglichkeiten hätte mit der örtlichen
Polizei oder den Gerichten hier in der Gegend Hintergründe
zu den Brüdern und der Ehefrau heraus zu finden. Er glaubte
Informationen zusammentragen zu können. Ich solle ihm nur
zwei Tage Zeit geben und er würde mir die Ergebnisse faxen.
Dann machte ich mich auf die Suche nach Eva. Am
Empfang sagte man mir, dass sie sich Geld hatte auszahlen
lassen und nach Modegeschäften gefragt hatte, weil sie noch
einige Kleidungsstücke einkaufen wollte. Man hatte ihr 400
Euro ausgehändigt, und fragte mich: „Das war doch in
Ordnung, oder?“
„Selbstverständlich, sagen Sie mir bloß in welcher Richtung
die Geschäfte liegen, vielleicht kann ich ihr beim tragen helfen
und noch in einem Café einkehren. Vielen Dank für Ihre
Hilfe.“
Ich schlenderte in die mir angegebene Richtung durch die
engen Gassen und entdeckte Eva in einem Straßencafé an
182
einem Tisch mir drei Männern im Gespräch vertieft. Sie
konnte mich sehen als ich näher kam. Sie gab mir halb unter
dem Tisch verborgen Zeichen, dass ich nicht dazukommen
sollte. Ich suchte mir daraufhin einen freien Platz von wo aus
ich Eva gut beobachten konnte. Das Pärchen, das noch mit an
meinem Tisch saß, war derart mit sich selbst beschäftigt, dass
ihnen meine unverhohlene Neugier am Geschehen des weiter
entfernten Tisches nicht auffiel. Eva trank einen CampariSoda, die Herren tranken Bier und sie waren in lebhafter
Diskussion. Leider war ich zu weit entfernt, um zu verstehen,
was dort gesprochen wurde, aber an der Gestik Evas konnte
ich erkennen, dass sie sehr interessierte Fragen gestellt haben
musste. Die drei Männer waren gut gekleidet und trugen bis
auf den Jüngsten Krawatten. Alle drei trugen dunkle Anzüge,
und der Älteste von ihnen, ein Mann mit kräftiger Statur und
größeren Geheimratsecken schwitzte und hatte schon
mehrfach mit einem Taschentuch seine hohe Stirn
abgewischt. Sein Blick richtete sich immer wieder auf Evas
Busen, der mit einem neuen Seiden-Top mit tiefem
Ausschnitt, verführerisch dargeboten wurde. An das
Tischbein gelehnt standen weitere Einkaufstüten. Der Redner
der Gruppe schien aber der Mann zu sein, der mit dem
Rücken zu mir saß und von dem ich nur erkennen konnte,
dass er Brillenträger war und mit den Händen seine Worte
unterstützte. Diese Hände schienen bei jedem Wort in
Bewegung.
Ich hatte mir auch ein Bier bestellt und hatte es langsam
getrunken. Meine Neugierde wurde immer größer, aber Eva
hatte während der ganzen Zeit vermieden in meine Richtung
zu sehen. Ich stand auf, als wäre ich auf der Suche nach einer
Toilette und ging direkt an dem Tisch vorbei, um in das Café
zu gelangen. Dabei hörte ich, dass am Tisch französisch
gesprochen wurde. Als ich wieder aus dem Lokal trat waren
die Herren gerade dabei sich zu verabschieden. Ich konnte
den Dritten jetzt das erste Mal von vorne betrachten. Ein
183
schlanker Bankertyp mit randloser Brille. Der junge Mann mit
dem offenen Hemd und den modisch gestylten Haaren hob
nur zum Gruß die Hand, während der Kräftige es sich nicht
nehmen ließ, Eva an sich heran zu ziehen und ihr Küsschen
auf die Wangen zu drücken. Dann eilten sie davon. Eva gab
mir mit der Hand nochmals Zeichen mich nicht zu ihr zu
setzen und ich ging zurück an meinen Tisch und verlangte die
Rechnung, da die Bedienung gerade in der Nähe war. Eva
hatte sich ganz entspannt wieder auf ihren Platz gesetzt und
orderte einen weiteren Campari-Soda. Ich trank weiter an
meinem Bier. Erst nach fünf Minuten gab Eva mir das
Zeichen, dass ich herüber kommen könnte. Sie grinste mich
an, als ich mich setzte. Richtig schön frech und sagte nur mit
gedämpfter Stimme: „Ich mache Fortschritte, Herr
Detektivkollege. Die drei ehrenwerten Herren aus Brüssel
suchen ebenfalls einen gewissen Dr. Keller. Er scheint etwas
größere Schulden bei ihnen zu haben. Ich habe mit Ihnen ein
Arrangement getroffen. Bevor ich ihn den deutschen
Behörden ausliefere sollten sie Gelegenheit bekommen sich
mit ihm zu beschäftigen.“
„Suchen die Dr. Keller oder Möbius?“
„Die suchen den Kunstexperten. Er hat sie wohl
hervorragend angeschmiert. Er hat wohl in einem
Nobelbordell und gleichzeitig Spielclub in Brüssel seine
Schulden mit gefälschten „wertvollen“ Bildern bezahlt. Sie
sind stinkesauer. Aber sie haben seine Spuren auch bis hierher
verfolgt und sind sicher, dass er immer noch in der Nähe ist.“
„Und wie bist du überhaupt an diese Typen geraten?“
„Erfreulicher Zufall“, sie lächelte schelmisch, „ich wollte
etwas ganz Besonderes für heute Abend einkaufen und bin in
den einzigen Laden hier für Lingerie. Das ist für solch einen
Ort, wie diesen hier, wirklich ein Laden der Sonderklasse. Die
haben ein besseres Angebot als in manchen Großstädten. Hier
scheint sich das ganze Gewerbe aus dem nördlichen
184
Eiffelkreis einschließlich Belgiens und der Niederlande
einzudecken. Reizwäsche der feinsten Art.“
Sie lächelte noch aufreizender, bevor sie fortfuhr: „Du wirst
schon sehen“, meine sie triumphierend.
„Zumindest hat dein Top, den Älteren ganz schön verwirrt.
Bei jedem Blick auf deinen Busen hatte er einen neuen
Schweißausbruch.“
„Eifersüchtig?“, neckte sie mich.
Ich ging nicht darauf ein, sondern fragte nur: „Und wie ging
es dann weiter?“
„Ich war gerade in der Umkleidekabine und habe etwas
besonders pikantes probiert, als die da in den Laden kamen.
Der Mann mit der Brille spricht auch ganz gut deutsch und
der hat sich bei der Besitzerin nach Keller erkundigt.
Untereinander haben sie sich auf Französisch unterhalten. Sie
müssen der Frau auch ein Bild von Keller gezeigt haben, denn
es war einen kleinen Augenblick ruhig, bis die Frau sagte, dass
sie den Mann zwar schon im Laden gesehen hätte, aber nicht
wüsste wie er hieß. Und sie sagte, dass er erst vor fünf oder
sechs Tagen wieder einmal im Laden gewesen sei, aber sie
nicht wüsste, wo er wohnt oder lebt. Ich hatte mich ganz
schnell wieder angezogen und bin raus und habe mich einfach
auf französisch mit den Männern bekannt gemacht und
behauptet, dass ich eine Privatdetektivin sei, die ebenfalls
hinter dem Mann her sei. Sie haben zwar gestaunt, aber dann
waren sie bereit, sich mit mir hier zu unterhalten. Ich hab
schnell noch meine Einkäufe bezahlt“, jetzt lächelte sie sehr
entschuldigend, „und dann sind wir hierher. Als du kamst,
musste ich doch fernhalten, denn sonst wäre meine Story
doch sofort geplatzt.“
„Und wie seid ihr verblieben?“
„Wir haben unsere Handynummern ausgetauscht und jeder
will jeden über seine Fahndungserfolge unterrichten. Wir
wollen auch die Gebiete in denen wir nachforschen wollen
aufteilen, damit wir größere Chancen haben. Und ich habe
185
ihnen versprochen, dass ich ihn ihnen überlassen würde, wenn
ich ihn finde. Ich wollte nur vorher Auskünfte über einen
anderen Mann, der mit ihm zusammenarbeitet, bekommen.
Möbius/Schiewerski/Keller war ihnen aber nicht bekannt.
Weder unter einem dieser Namen noch als ich ihnen ein Bild
zeigte.“
„Wieso hast du überhaupt Bilder?“
„Ich war so frei, mich ebenfalls zu versorgen, als ihr sie in
Bad Homburg vervielfältigt habt. Ich weiß doch nicht, was
mit dir passieren könnte. Und ich will sie haben, darauf kannst
du dich verlassen. Ich will diese Schweine.“
Ihre Stimme war bei den letzten Worten fast zu einem
grollenden Knurren geworden, wie ich es sonst nur von
Hunden kannte, die zum Biss ansetzen. Ich muss erschrocken
gewirkt haben, denn sie fuhr sofort mit normaler Stimme fort:
„Du weißt, wie wichtig das für mich ist und was die mir
angetan haben“, und leiser fügte sie hinzu, „und Virginia.“
Wir zahlten und gingen zurück ins Hotel. Sie wollte mir
zwar sofort ihre Einkäufe vorführen, aber ich hatte Hunger
und wir gingen sofort wieder und suchten uns ein Restaurant.
Wir mussten nicht sehr weit und fanden ein uriges Weinlokal
mit hervorragender Küche. Bei Kerzenbeleuchtung genossen
wir ein festliches Menü. Eva trank Wein und ich hatte
belgisches Bier. Wir nahmen zum Abschluss noch einen
Espresso und einen reichlich bemessenen Digestif, Eva einen
Calvados und ich einen uralten Armagnac. Als ich die
Rechnung bekam, war ich angenehm überrascht. Trotz
hervorragender Leistung, und dies in einem Touristengebiet,
war der Betrag nicht annähernd so hoch, wie ich erwartet
hatte.
Als ich bar bezahlte, fiel mir etwas Wesentliches ein. Ich
sollte auch Eva mit genügend Bargeld ausstatten, dass sie sich
nicht an der Hotelrezeption etwas auszahlen lassen musste.
Ich gab ihr DM und auch belgische Franc, damit sie notfalls
unabhängig von mir etwas unternehmen konnte. Die
186
gedrückte Stimmung in der ich Eva heute Nachmittag
verlassen hatte, war längst verflogen. Ihre persönlichen
Erfolge bei der Suche nach den zwei Männern, die
romantische Stimmung bei unserem Essen, der Kerzenschein
und unsere ungezwungene Unterhaltung, die sich nicht mit
dem Fall beschäftigt hatte, trug dazu bei, dass wir in
Hochstimmung ins Hotel zurückkehrten. Es hätte nicht der
raffinierten Dessous bedurft, die sie heute Nachmittag
eingekauft hatte, um mich zu verführen. Es wurde die
Liebesnacht der Superlative. Ich hatte gar nicht gewusst,
welch körperlichen Reserven in mir steckten. Es dämmerte
schon, als wir endlich einschlummerten.
Als ich erwachte schlief Eva noch fest. Ich betrachte
minutenlang ihre gelösten Gesichtszüge. Die Bettdecke war
verrutscht und ihr Busen war entblößt. Sie lächelte im Schlaf
und sie strahlte eine unendlich feminine Schönheit, aber
gleichzeitig Verletzlichkeit aus, dass ich mich abwenden
musste, weil es mich so stark berührte. Mein Verlangen war
groß, mein Bedürfnis sie zu beschützen noch größer. Ich
machte mich im Bad leise Ausgehfertig und schlich mich aus
dem Zimmer an die Rezeption. Hier erkundigte ich mich, wo
ich Generalstabskarten der Umgebung finden könnte und war
sehr erstaunt, dass mir der Hotelmanager, der schon so früh
seinen Dienst versah und gleich hinter dem Counter in einem
Büro gesessen hatte, helfen konnte. Er war Mitglied der
örtlichen Gemeindeverwaltung, die auch die Wanderwege
ausarbeiteten und hatte deswegen Karten dieser Art zur
Verfügung. Er bat mich in sein Büro und wir gingen die
Karten durch. Ich empfand es als sehr angenehm, dass er
mich nicht fragte, warum ich derart detaillierte Informationen,
auch über die vielen Grenzübergänge an der grünen Grenze
haben wollte. Auf einem großen Fotokopiergerät
verkleinerten wir die Karten und ich durfte sie mitnehmen.
Ich dankte ihm.
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Mit den Karten in Händen kehrte ich in unser Zimmer
zurück. Eva war schon aufgestanden und kam gerade aus dem
Bad. Sie hatte Teile ihrer gestrigen Einkäufe angelegt, und ich
reagierte prompt. Wer wen verführte und zurück ins Bett
bugsierte, weiß ich nicht mehr, ich erinnere mich nur, dass wir
gemeinsamen in einsamen Höhen kreisten. Schwindelnden
Höhen. Wir waren unersättlich, kreisten, schwebten, wurden
durch Eruptionen wieder hochgepeitscht, fielen herab, um
wieder im Taumel der Sinne zu kreisen, um neue Höhen zu
erklimmen. Wir nahmen nicht wahr, dass ein
Zimmermädchen nach Anklopfen ins Zimmer kam, um die
Betten zu machen, uns sah und erschrocken wieder flüchtete.
Wir nahmen nicht wahr, dass mehrfach das Telefon geklingelt
hatte. Wir nahmen nur uns, unsere Körper, unsere Sinne,
unsere Ausdünstung, unseren Geschmack wahr. Wir waren
die glücklichsten Menschen auf dieser Erde und erreichten
gemeinsam immer wieder schwindelnde Höhen.
Als wir erschöpft, aber glücklich, voneinander ließen, hatten
wir nicht nur das Frühstück sondern auch das Mittagessen
verpasst. Wir beschlossen im Bett zu bleiben, kuschelten uns
aneinander und schliefen bis 19 Uhr.
188
Teufels Achterbahn
Kapitel 3 - Abwärts
In den vergangenen Jahren, die ich nun im
Ermittlergewerbe tätig war, hatte ich eigentlich nie eine Waffe
getragen. Aus welchen Gründen ich in den letzten Tagen
immer wieder meine Pistole trug, kann ich nicht
nachvollziehen. Ob es aus vorausschauender Vorsicht; weil
eine plötzliche Endeckung von Möbius/Schiewerski/Keller
möglich war, oder ob ich gewisse Vorahnungen hatten, dass
ich sie zu meinem und zu Evas Schutz gebrauchen würde,
kann ich nicht sagen. Ich hatte mich auf jeden Fall bewaffnet,
als wir zum Abendessen aufbrechen wollten. Zuvor hatte ich
mit Bad Homburg telefoniert und man wollte mir die Liste
mir den Clubs, die ich besuchen wollte, per Fax übermitteln.
Ich sollte nur in die Hotelrezeption gehen, damit ich beim
Empfang der Unterlagen anwesend sein würde. Die
Unterlagen waren zu vertraulich. Außerdem hatten wir
vereinbart, dass ich später am Abend nochmals mit Wiesel
telefonieren wollte, damit er mich über die Sicherstellung der
Videos und Bilder aus dem Studio von Möbius unterrichten
könne. Er sagte mir nur, dass sein Team mit der Bergung der
Beweise begonnen hätte.
Eva und ich waren gemeinsam nach unten in die Lobby
gefahren und während ich zur Rezeption eilte, um das Fax in
Empfang nehmen zu können, wollte Eva schon zum Auto
vorausgehen, weil wir uns vorgenommen hatten auf der
anderen Seite der Grenze zum Essen zu fahren.
Die Faxnachricht war immerhin drei Seiten lang und ich sah
auf einen Blick, dass Wiesels Leute die Standorte der
einzelnen Clubs hervorragend recheriert, und derart geordnet
hatten, dass es mir möglich sein würde, mehrere Clubs an
einem Tag zu besuchen. Ich faltete die Seiten zusammen und
deponierte sie in einem Umschlag im Schlüsselfach.
189
Als ich auf den Parkplatz trat, sah ich sofort eine
verschreckte Eva an einem Kastenwagen gelehnt. Der
Bankertyp des gestrigen Trios stand mit dem Rücken zu mir
und schien sie mit etwas zu bedrohen. Ich konnte nicht sehen,
ob er eine Pistole auf Eva gerichtet hatte, oder warum Eva so
verschreckt an den Wagen gedrängt stand. Ich schlängelte
mich zwischen geparkten Wagen hindurch direkt hinter den
Mann. Ob er etwas gehört hatte oder durch die
schreckgeweiteten Augen Evas gewarnt wurde, weiß ich nicht.
Er reagierte unheimlich schnell, aber drehte sich zur falschen
Seite. Er hatte scheinbar einen Angreifer von links hinten
erwartet, aber ich kam von rechts hinten und schlug mit aller
Kraft mit der Handkante gegen seinen Hals. Er brach
zusammen und verlor dabei wirklich eine Pistole, die ich
einsteckte.
„Was sollte das? Wollte er dich entführen? Oder warum hat
er dich mit der Pistole bedroht?“
„Ja ich sollte mitgenommen werden, aber er wollte noch auf
die anderen warten, die müssen hier auch in der Nähe sein.“
Jetzt war es an mir schnell zu handeln. Ich lud mir den
bewusstlosen Mann über die Schulter und wir hasteten zu
unserem Wagen, der nicht weit entfernt auf einem Eckplatz
des Parkplatzes abgestellt war. Mit Isolierband, das ich im
Kofferraum gefunden hatte, fesselte ich ihn an Händen und
Füßen. Seine Krawatte benutzte ich als Knebel. Ich hatte ihn
auf die Rücksitze des Pajero gelegt und darauf geachtet, dass
er nicht ersticken würde. Dann fragte ich Eva: „Weißt du mit
welchem Auto die gekommen waren?“
„Ich glaube mit dem Kastenwagen, wo du uns gefunden
hast.“
„Okay, mach dich jetzt ganz klein hier in dem Wagen und
ich werde versuchen die anderen Beiden zu orten und
ebenfalls unschädlich zu machen. Wir wollen doch Mal sehen,
was sie von dir wollten. Eine Entführung würde doch allein
190
keinen Sinn machen. Sie müssen erfahren haben, dass du
nicht Detektivin bist und dich daher ausschalten wollen.“
Ich schlängelte mich wieder zwischen den Autos hindurch
und sah sie aus dem Eingang des Hotels kommen. Der Ältere,
kräftig gebaute Mann, machte scheinbar dem Typen mit dem
offenen Hemd Vorhaltungen. Er redete mit Händen und
Füßen und schien sehr aufgebracht. Als sie um die Ecke
bogen, um zum Wagen zu gelangen, trat ich hinter dem Auto
hervor, hinter dem ich mich verborgen hatte, als sie sich
näherten. Sie hatten mir den Gefallen getan und kamen
nebeneinander in die Lücke. So stand ich ihnen direkt
gegenüber und sie konnten nicht seitlich ausbrechen. Ich
bedrohte beide mit den Pistolen und befahl ihnen sich gegen
den Kastenwagen zu lehnen. Weit abgestützt mit den Händen
an dem Wagen und gespreizten Beinen soweit zurück, dass sie
hinfallen würden, wenn sie die Hände vom Wagen nahmen.
Ich klopfte sie auf Waffen ab. Der Jüngere trug einen
Revolver im Gürtel, der Ältere war nicht bewaffnet. Da ich
allein war, und sie nicht fesseln konnte machte ich kurzen
Prozess. Mit dem Kolben der Waffe schlug ich sie nieder. In
den Taschen des Jüngeren fand ich die Wagenschlüssel und
verstaute die Bewusstlosen ungefesselt im Gepäckraum und
verschloss das Auto wieder. Dann hastete ich zurück zu
unserem Wagen und holte Eva und den Bankertyp, der
inzwischen wieder bei Bewusstsein war. Was er von sich gab,
ließ sich nicht ermitteln, denn durch den Knebel kamen nur
undeutliche Laute. Ich befreite ihn von den Fußfesseln und
schob ihn vor mir her. Eva folgte uns. Auch er wurde im
Laderaum des Kastenwagens untergebracht und mit dem
mitgeführten Isolierband wurden auch seine Komplizen
gefesselt. Der Kräftige bekam ebenfalls seine Krawatte als
Knebel verpasst und der Krawattenlose wurde mit einem
Seidenschal von Eva versorgt. Dann fuhren ich den
Kastenwagen vom Parkplatz und folgte den Wegen, die ich
191
mit Schiewerski gefahren war und gelangte unbehelligt in die
Nähe des Weihers.
Wie durch ein Wunder waren wir auf dem Parkplatz nicht
von anderen Autofahrern oder an- und abfahrenden Gästen
des Hotels entdeckt worden. Scheinbar hatte auch kein
gelangweilter Hotelgast aus dem Fenster gesehen und hatte
die Entführung der drei Männer durch eine blonde Frau und
einem großen, dunkel gekleideten Mann der Polizei gemeldet.
Hätte uns eine Menge Scherereien einbringen können.
Auf dem Feldweg zum See parkte ich den Wagen und
öffnete die Hecktür. Ich hatte dabei vorsichtshalber die
Pistole gezogen; aber die drei lagen friedlich auf der
Ladefläche. Die beiden Männer, die ich mit dem
Pistolenkolben niedergeschlagen hatte, waren auch wieder bei
Bewusstsein und ich setzte sie gegen die Wand des Lasters
gelehnt nebeneinander in Reihe und herrschte sie an:
„Sprechen Sie deutsch? Wenn ja, nicken Sie einfach.“
Alle drei nickten. Dann entfernte ich dem Bankertyp, den
ich für den Sprecher der drei hielt, den Knebel. Er
beschimpfte mich wüst und ich hörte interessiert zu. Manche
Beschimpfungen waren in ihrer Wortwahl interessant. Als er
dann Luft holen musste stoppte ich seinen Redefluss indem
ich ihm seine eigene Pistole an die Stirn setzte.
„Und jetzt ganz von vorn. Warum wollten Sie die Frau
entführen?“
Er antwortete nicht. Ich wechselte die Pistole von der
rechten in die linke Hand und versetzte ihm eine schallende
Ohrfeige mit gewölbter Handfläche direkt aufs Ohr. Ich nahm
in Kauf, dass sein Trommelfell dabei wegflog, denn meine
Geduld war nun endgültig zu Ende. Er flog mit seinem Kopf
gegen seinen Komplizen und seine Brille zerschepperte im
Wagen. Plötzlich machte er einen sehr weinerlichen Eindruck
und der Ältere regte sich und gab mir Handzeichen zu
verstehen, dass er reden wolle. Ich riss ihm die Krawatte aus
dem Mund und erwartete schon halbwegs, dass seine Zähne
192
mitfliegen würden. Er sprudelte sofort auf Französisch los;
aber ich verstand nichts. Ich fragte Eva: „Was meint er?“
Er sagt, dass alles ein Missverständnis sei und sie mich nur
zu einer Spazierfahrt mitnehmen wollten. Ich trat ihm gegen
sein Schienbein und er jaulte. Der Bankerheini heulte jetzt
wirklich und auch der junge Mann, der immer noch geknebelt
war, starrte mich mit entsetzten Augen an.
„Eva suche doch schon trockenes Holz und schichte es
unter dem Wagen. Wenn sie schon nicht mit uns kooperieren
wollen, sollen sie es ein wenig heißer bekommen. Wir werden
sie einfach hier in der Kiste grillen.“
Sie hatte mein zorniges Gesicht gesehen und reagierte
sofort. Sie stieg von der Ladefläche und verschwand seitlich
aus dem Gesichtsfeld. Der Ältere und der Bankertyp
kreischten jetzt wild durcheinander. Jetzt sogar in Deutsch.
„Wer von Ihnen will das sprechen übernehmen? Einer
reicht, und wenn ich Fragen habe, kann ich immer noch den
anderen fragen. Aber sie sollten jetzt schnell antworten. Eva
liebt Grillpartys und sie wird bestimmt genügend Holz
finden.“
„Wir haben glaube ich den Komplizen von dem Mann
gefunden, der uns betrogen hat. Aber wir sind nicht sicher.
Und wir waren erst recht nicht sicher, ob die Eva nicht eine
weitere Komplizin der Leute ist. Darum wollten wir sie mit
Gewalt dorthin bringen, wo wir den Mann haben. Wir wollten
an der Reaktion der beiden sehen, ob sie sich kennen oder
nicht. Eva ist jedenfalls keine Privatdetektivin, dass haben wir
schon festgestellt. Und so wie Sie mit uns umgehen, bin ich
davon überzeugt, dass Sie alle unter der Decke mit dem
Kunstfälscher oder Händler stecken. Fahren Sie uns dorthin,
wo wir den anderen Mann gefangen halten. Wir machen einen
Austausch, Sie bekommen ihren Mann wieder und Sie lassen
uns laufen. Wir werden auch nicht weiter nach diesem Möbius
suchen. Das versprechen wir Ihnen.“
193
Ich ging nicht auf die Worte ein, sondern fragte nur weiter:
„Woher kommen Sie, und wer ist Ihr Auftraggeber?“
„Ich leite in Brüssel einen exklusiven Club. Dort gibt es
jede Spielart von Sex und dort wird sehr hoch gespielt. Die
beiden neben mir sind meine Angestellten. Raul neben mir
sorgt dafür, dass keine ungebeten Gäste in unseren Räumen
sind. Jerome sorgt für den Zahlungsablauf und treibt notfalls
Gelder ein.“
Der eher schmächtige Bankertyp sollte ein Eintreiber sein?
Das konnte ich mir nur schlecht vorstellen; aber vielleicht
hatte er andere wirksame Methoden und gebrauchte keine
körperliche Stärke. Jetzt sah er eher wie ein verheulter Schüler
aus, den man bei einem üblen Streich erwischt hatte. Eva
rumorte draußen und alle konnten hören, dass sie tatsächlich
Äste unter dem Wagen anhäufte.
Raul und Jerome wurde noch eine Spur blasser als sie die
Geräusche hörten und auch der Ältere beeilte sich jetzt mit
seinen Erklärungen auf meine Frage, seit wann sie hinter
„Möbius“ her wären.
Wir suchen ihn jetzt seit fast drei Monaten. Wir haben
Spuren gefunden die nach Norddeutschland führten; aber da
war er schon seit einiger Zeit nicht mehr. Dann haben wir
Spuren in Holland gefunden und die führten hierher. Er
scheint in der letzten Zeit sehr viel gependelt zu haben,
zwischen Holland, Belgien, Luxemburg und hier. Er hat
scheinbar eine ganze Menge Helfer, denn bis gestern hatten
wir ihn immer wieder verloren. Gestern Abend haben wir
dann sein Lager entdeckt. Es ist in Verviers. Da haben wir
auch seinen Komplizen gefangen genommen.“
„Na prima, dann sagen Sie mir jetzt nur noch wo wir das
Lager finden, dann brauchen wir Sie nicht mehr.“
Jerome und der Ältere schrieen beide gleichzeitig und auch
Raul machte sich durch den Knebel hindurch bemerkbar. Sie
hatten offensichtlich Angst, dass wir sie hier im Wagen
verbrennen würden, weil sie „unser“ Lager gefunden hatten
194
und einen von uns gefangen hatten. Jerome schrie: „Der
Mann ist nicht im Lager gefangen. Wir haben ihn an einen
sicheren Ort gebracht. Wenn Sie den wieder sehen wollen,
dann müssen Sie schon mit uns dahin und uns dann
freilassen.“
Ich sah ihn drohend an. „Wir machen etwas ganz anderes.
Wenn Sie nicht Ihre Krawatte fressen wollen, werden sie
hübsch ruhig hier sitzen bleiben. Ihr Chef wird mit mir nach
vorne kommen und mich zum Lager dirigieren“, und zum
Älteren gewandt, „wie heißen Sie eigentlich und sind Sie dazu
bereit?“
„Jan Rujselveld, und ich führe Sie.“
„Dann befehlen Sie Ihren Leuten, dass sie sich während der
Fahrt und auch später in Verviers ruhig verhalten sollen. Jede
Aufmerksamkeit, die Ihre Leute verursachen sollten, führt zu
Ihrem plötzlichen Ableben. Habe ich mich verständlich
ausgedrückt?“
„Ja“, und dann bellte er auf Französisch sehr schnell
Befehle. Die anderen nickten zustimmend.
Ich rief Eva zu, dass sie aufhören könne und half Rujselveld
auf die Beine und schob ihn vor mir her von der Ladefläche.
Ich zerschnitt die Fußfesseln und rechnete schon mit einem
Tritt, aber er verhielt sich friedlich. Als wir um das Auto
gingen, musste ich lachen. Eva stand gemütlich gegen das
Fahrerhaus gelehnt und hatte einen größeren Ast in der einen
Hand und in der anderen hatte sie eine Zigarette. Alle drei
Minuten hatte sie das Metall des Kastenaufbaues mit dem Ast
berührt und so den Eindruck erweckt, als würde sie viel Holz
darunter ansammeln. Selbst Rujselveld musste über den Trick
grinsen. Er schien dadurch zugänglicher und nachdem Eva die
Heckklappe geschlossen hatte, fuhren wir über weitere kleine
Waldwege bis zur Hauptstraße und erreichten ohne
Zwischenfälle Verviers. Als wir den Ort schon fast
durchfahren hatten, lotste mich Rujselveld in ein
195
Industriegebiet und zeigte uns ein kleineres Lagerhaus mit der
Beschriftung „Oostman – Handel S.A.“
„Hier lagern die falschen Bilder und jede Menge Filme. Wir
hatten noch keine Zeit uns welche anzusehen, aber ich nehme
an, dass es sich um pornografische Werke handelt. Die
Aufkleber auf den Filmrollen weisen darauf hin.“
Das passte zu unseren eigenen Ermittlungen. Keller und
Möbius hatten sich scheinbar darauf spezialisiert. Ich fragte
ihn neutraler als vorher: „Haben Sie außerdem eventuell auch
Rauschmittel entdeckt?“
Er schreckte ein wenig auf; aber er verneinte sofort. Wenn
sie etwas gefunden hatten, dann würde er es uns verschweigen
und den Fund als Gegenwert seines Schadens ansehen.
„Lassen Sie uns einen Blick hineinwerfen. Eva, du bewachst
die Knaben auf dem Hinterdeck. Wenn sie sich mucksen
sollten, erschieß sie. Hier hört das sowieso keiner.“
Ich gab ihr eine der Pistolen. Rujselveld ging vor mir her
mit seinen immer noch gefesselten Armen. Der Türeingang
war neben einem Rolltor und war nicht verschlossen. Ich
schob den Mann vor mir her durch die Tür und suchte den
Lichtschalter. Lediglich zwei Lampen gingen an und im
schummrigen Licht konnte ich die Regale sehen, in denen eine
Vielzahl in Holzkisten verpackter Bilder lagerten. Aus den
Formaten nahm ich an, dass es sich um Bilder handelte.
Rechteckige Holzkisten mit wenig Tiefe. In einem anderen
Regal lagerten unzählige Filmrollen.
„Wenn Sie sicher sind, dass diese Waren dem Mann
gehören, der Sie betrogen hat, warum lassen Sie nicht den
ganzen Plunder pfänden und verwerten? Was wollten Sie dann
noch von uns?“
Er schnaubte verächtlich: „Pfänden? Sie glauben doch nicht
im Ernst, dass ich juristische Unterstützung bekommen
würde, um Spielschulden einzutreiben. Wir können es nur auf
die Art machen, wie es die Gauner selbst machen. Es ihnen
wegnehmen. Und da wir davon ausgingen, dass Sie bzw. die
196
Frau zu den Betrügern gehören, mussten wir Sie zunächst
ausschalten.“
„Umbringen?“
„Nein nur solange außer Gefecht setzen, bis wir dies hier
zu Geld gemacht hätten.“
„Aber einen Aufenthaltsort des Betrügers kennen Sie auch
nicht?“
„Nein, aber er soll vorgestern hier noch gewesen sein und
einige Dinge aus dem Lager hier geholt haben. Er ist
sicherlich in der Nähe.“
„Und woher haben Sie davon Kenntnis erhalten?“
„Der Komplize hat geplaudert.“
„Derjenige, den Sie noch in Ihrer Gewalt haben?“
„Ja, er machte hier so eine Art Verwalter.“
„Dann sollten Sie ihn hier schleunigst wieder herbringen.
Gut bewacht. Damit er anwesend ist, wenn der Vogel wieder
kommt. Dann können Sie ihn festsetzen und das Lager
danach ausräumen.“
„Das wollten wir ja, aber dann war da die Frau und
schnüffelte rum. Was wollen Sie? Hat er auch bei Ihnen
Schulden?“
Ich antwortete darauf nicht, sondern schob in wieder zur
Tür heraus. Der Kastenwagen stand immer noch ganz ruhig
vor der Tür. Ich schnitt ihm die Fesseln durch und sagte ihm:
„Vielleicht sollten wir uns jetzt wie vernünftige Menschen
weiter unterhalten. Wir sind an dem Lager und seinem Inhalt
nicht interessiert. Das können Sie ausräumen soviel Sie
wollen. Wir wollen den oder die Kerle. Dazu brauchen wir
den Verwalter von dem Laden hier. Fahren wir zu seinem
Versteck.“
„Aber…“, weiter kam er nicht, denn ich unterbrach ihn
sofort.
„Wir haben keine Interessen an den Gegenständen, wir
haben Hunger und Durst und wir wollen den Drahtzieher.
Also lassen Sie uns keine weitere Zeit verplempern. Wenn Sie
197
Ihre Leute dazu überreden können uns als Partner anzusehen,
die nicht an den Werten da drinnen interessiert sind, dann
könnten wir jetzt gemeinsam etwas Essen gehen, Sie
überlassen mir den gefangenen Mann und Sie räumen aus.“
Er wollte weitere Einwände erheben, aber ich schnitt ihm
wieder den Redefluss ab und sagte:
„Kommen wir in die Gänge, Sie bekommen die Waren, ich
bekomme den Mann; aber erst gehen wir was Essen!“
Schließlich war er einverstanden und er sprach mit seinen
Leuten. Eva hatte genau aufgepasst was gesprochen wurde,
denn Rujselveld hatte seine Anweisungen wieder französisch
erteilt. Wir waren handelseinig und fanden ein Lokal in dem
wir ein sehr gutes Essen bekamen. Ich machte die Männer nur
noch darauf aufmerksam, dass sie vorsichtig mit Keller oder
Möbius sein sollten, denn sie wären gefährliche Verbrecher,
die auch vor Mord nicht zurückschreckten. Das wäre der
Grund warum wir hinter ihnen her seien.
Danach brachen wir auf und die Männer hatten ein sehr
sinniges Versteck für ihren Gefangenen gefunden. Sie hatten
ihn in einem Sexclub in der Innenstadt in einem der
Freierzimmer auf einem Bett festgeschnallt. Der Raum diente
sonst scheinbar Sadopraktiken und war für den Zweck
hervorragend geeignet. Selbst wenn er hier schrie, würde es
nicht auffallen. Die Wände waren zudem mit Schallschutz
versehen und die Tür gepolstert. Selbst bei einer
überraschenden Razzia würde nur ein weiterer Freier
gefunden werden, der den Wunsch nach einer Domina
verspürt hatte. Der Gefangene war kein anderer als der uns
bisher nur von Bildern bekannte Dr. Keller, der
Kunsthistoriker.
Er hatte scheinbar sehr viel Gewicht verloren. Sein weißes
Haar war stumpf und glanzlos. Und er schien unter heftigen
Entzugserscheinungen zu leiden. Sein ganzer Körper wand
sich trotz der Fesseln in Krämpfen. Es war ein jämmerlicher
Anblick. Ich hatte das Zimmer sofort wieder verlassen und
198
sagte auch Eva zunächst nichts von der Entdeckung.
Rujselveld schien ebenfalls nicht bemerkt zu haben, dass ich
eine für uns bedeutsame Entdeckung gemacht hatte. Keller
konnte uns sicherlich entscheidende Hinweise auf den
Verbleib von Möbius machen und uns über die Hintergründe
der Namenswechsel informieren. In seinem jetzigen Zustand
würde er leicht zu verhören sein.
Wir gingen zurück an die Bar, wo Eva und die beiden
Männer mit dem Besitzer des Clubs sprachen. Sie hatten
große Drinks serviert bekommen. Ich bestellte mir ein kaltes
Bier und sagte zu Rujselveld: „Wenn Sie es mit dem Besitzer
hier arrangieren können, dass ich den Mann ungestört
verhören kann und er unsere Rückfahrt ins Hotel in
Monschau organisieren kann, dann können Sie mit Ihren
Männern das Lager ausräumen. Von jedem Film benötige ich
eine Kopie für spätere Beweise. Ich nehme an, dass Sie die
ganze Ware nach Brüssel transportieren wollen. Sehen Sie zu,
dass jeweils eine Kopie der Filme auch dort aufbewahrt wird.
Geht das in Ordnung?“
Er nahm den Besitzer des Clubs beiseite und sie sprachen
etwa zehn Minuten miteinander, dann gab mir Rujselveld mit
einer Handbewegung zu verstehen, dass ich hinzukommen
sollte. Wir stellten uns nicht vor, aber der Mann streckte mir
die Hand entgegen und begrüßte mich mit einem harten
Händedruck, so als wolle er testen, ob ich hartem Druck
widerstehen könnte. Er war es dann, der seine Hand
zurückzog. Er sagte knapp: „Sie können den Mann hier
verhören. Aber nicht länger als zwei Tage, dann muss er von
hier verschwinden. Und Sie müssen mir garantieren, dass es
hier zu keinen Schwierigkeiten mit den Behörden kommt.
Brauchen Sie irgendetwas für Ihr Verhör? Ich fahre Sie
nachher zurück.“
„Haben Sie eine Videokamera dort eingebaut?“
Er sah mich misstrauisch an.
199
„Wenn nicht, müssten wir extra eine einbauen, also ja oder
nein?“
„Es gibt eine.“
„Gut dann lassen Sie mich das Testbild sehen. Damit ich
weiß, wie sie funktioniert und was ich aufs Bild bekomme.
Das Band brauche ich später als Beweismittel. Ich muss dabei
nicht angeben, wo die Aufnahmen gemacht wurden.“
„Bestimmt nicht?“
„Ganz bestimmt nicht!“
„Kommen Sie mit.“
Ich folgte ihm zu einem kleinen Gemach hinter seinem
Büro. Hier waren verschiedene Bildschirme über den
Aufnahmegeräten angebracht und zeigten die Aktivitäten in
den einzelnen Zimmern. Mich interessierte nur der Monitor
des Gefangenenzimmers. Die Kamera war scheinbar weit
oben oberhalb des Fußendes des Bettes angebracht und zeigte
den zuckenden, ans Bett gefesselten Mann. Wenn ich das
Verhör machte, würde ich selbst immer mit im Bild sein. Das
war nicht in meinem Interesse und ich fragte ihn, ob wir die
Kameraeinstellung verändern könnten. Er lächelte sein
undurchsichtiges Lächeln und machte sich an einem
Mischpult zu schaffen. Hier stellte er den Kamerawinkel so
ein, dass nur das Gesicht des Mannes auf dem Bildschirm zu
sehen war. „Entspricht das mehr Ihren Vorstellungen“? fragte
er mich scheinheilig. Er hatte sofort begriffen, dass ich nicht
ins Bild kommen wollte. Ich nickte nur und fragte: „Läuft die
Aufzeichnung schon?“
„Nein; aber ich kann jetzt einschalten.
„In Ordnung, und dann können Sie uns rüber nach
Monschau bringen. Ich komme dann mit eigenem Wagen
hierher wieder zurück. Wenn er mir dann meine Fragen
lückenlos beantwortet hat, werde ich ihn von hier entfernen
und vergessen, wo ich gewesen bin.“
Wir gingen zurück zu den Anderen. Rujselveld gab mir
seine Geschäftskarte damit ich ihn in Brüssel erreichen könnte
200
und verabschiedete sich mit seinen Männern von uns. Eva
hatte an der Bar gehörig gebechert und war enttäuscht, dass
wir schon gehen wollten. Noch enttäuschter war sie, als ich
ihr klarmachte, dass ich allein zurückkehren würde und
vielleicht mehrere Tage bleiben müsse. Auf der ganzen Fahrt
schmollte sie.
Ich hatte mir nur eine kleine Sporttasche mit Unterzeug
zum Wechseln gepackt und ihr gesagt, dass sie ihr Handy
eingeschaltet lassen solle. Dann hatte ich schnell Wiesel
informiert und ihm gesagt, dass ich mich schnellsten wieder
bei ihm melden würde und mich dann im eigenen Auto auf
den Weg gemacht. Der Clubbesitzer hatte mir beim Verlassen
des Clubs gezeigt, wo ich später parken könne, ohne Gefahr
zu laufen, abgeschleppt zu werden. Es war schon nach
Mitternacht als ich zurück in den Club kam. Hier herrschte
immer noch reger Betrieb und der Besitzer gab mir schnell
den Schlüssel zu dem Dominazimmer und ich ging hinein,
nachdem ich mich vergewissert hatte, dass keines der
Mädchen oder ein Freier auf dem Gang war. Ich hatte mir
beim Eintreten in den Raum eine Sturmmaske übergezogen,
damit einerseits mein Gesicht für die Kamera unkenntlich
wäre, wenn der Clubbesitzer die Kameraeinstellung
nachträglich wieder auf Gesamtbild eingestellt haben sollte
und anderseits Dr. Keller noch mehr zu verängstigen. Er
reagierte prompt auf meinen Anblick. Er schrie als er ein
maskiertes, ganz in schwarz gekleidetes Ungeheuer auf das
Bett zukommen sah. Ich zog vor seinen Augen meine
Latexhandschuhe langsam über die Hände, als ob ich eine
schwierige Operation vornehmen wollte. Er schrie und zuckte
und ruckelte an seinen Ketten bis ich ihn anschrie: „Ruhe, du
feiges Aas!“
Er verstummte augenblicklich.
„Erinnerst du dich noch an die hübsche, schwarzhaarige
Virginia? Hast mächtig viel Spaß mit ihr auf der Werkbank
gehabt. Das wird aber die letzte Erinnerung sein, die du haben
201
wirst. Du wirst immer wenn du dich von den Schmerzen
erholt hast, die ich dir zufügen werde, ihren geöffneten Mund
sehen, aus dem eine schon blau angeschwollene Zunge heraus
quillt. Du wirst lauter schreien, als sie es je konnte. Die
Schmerzen werden ungeheuerlich sein und jedes Mal, wenn
du ohnmächtig wirst, werde ich dich wieder wecken und du
wirst weiter leiden.“
Ich hatte mich im Zimmer umgesehen und holte nun eine
furchteregend aussehende Zange von der Wand. Er
wimmerte.
„Ich werde dir die Hoden zerquetschen, ganz langsam. Du
wirst ganz langsam sterben, viel langsamer als meine
Schwester, du elendes Schwein.“
Ich gab mich bewusst als Bruder der Ermordeten aus, der
nur Rache und ihn langsam Stück für Stück auseinander
reißen wollte. Wenn er vorher schon Angst gehabt hatte, jetzt
war es nur noch Panik. Er zerrte an seinen Ketten, und die
Handschellen drohten ihm die Handgelenke zu zerschneiden.
Er machte aus Angst unter sich und schrie: „Ich hab sie nicht
umgebracht, das war Viktor. Der hat mich doch gezwungen,
die Leiche voll zu spritzen. Er hat mich immer zu allem
gezwungen. Er hat mich auch gezwungen sie zu verscharren.
Er hat mit der Pistole daneben gestanden und hat gesagt,
wenn ich nicht ganz schnell machte, könnte ich mich gleich
daneben legen.“
Er wand sich immer noch in seinen Fesseln und schrie
immer wieder: „Ich war´s doch nicht. Ich hab sie nicht
umgebracht. Und bei Simone, dem kleinen belgischen
Mädchen, da war es ein Unfall. Ganz bestimmt. Ein Unfall,
ich hab sie zwar unter Wasser gedrückt, aber sie ist mir
entflutscht und als sie hoch ist aus der Wanne, ist sie
ausgerutscht und ist mit dem Hinterkopf auf den Wannenrand
geknallt und hat sich das Genick gebrochen. Damals in
meinem Haus. Das war wirklich so und Virginia hat er
erdrosselt weil sie ihm nicht sagen wollte, wo sie die Papiere,
202
die sie heimlich fotokopiert hatte, versteckt hat. Er war so
wütend, dass er sie einfach erdrosselt hat. Ich hab nichts
gemacht. Ich nicht.“
Ich knurrte ihn nur an: „Du feiges, widerliches Schwein, du
hast sie mit ihm zusammen immer wieder vergewaltigt, bevor
ihr sie umgebracht habt. Aber jetzt bist du dran.“
Ich hatte die Zange gehoben und richtete sie auf seine
Geschlechtsteile. Er schrie noch lauter. Er heulte wie eine
Sirene als das Metall seine Haut berührte. Ich ließ die Zange
fallen und ohrfeigte ihn links und rechts und brüllte ihn an:
„Ruhe jetzt, ertrage deine Qualen, wie ein Mann. Und erzähl
mir die ganze Geschichte von und mit dem Viktor von ganz
vorn. Ich will alles wissen. Und wenn du mir die volle
Wahrheit sagst, kannst du mich vielleicht überreden, dass ich
dich schnell, und nicht qualvoll langsam sterben lasse.“
„Aber ich habe doch gar nichts gemacht! Warum wollen Sie
mich umbringen?“
„Du weißt warum. Kinderschänder, Vergewaltiger, Mörder
und wenn du nicht sofort alles erzählst, fange ich mit der
Zange an. Wie war das, wann hat alles angefangen, diese
Beziehung zu Viktor?“
„Vor achtzehn Jahren habe ich hier gute Geschäfte mit alter
holländischer Kunst, vor Allem Gemälden, gemacht. Ich habe
sie in Holland und Belgien aufgekauft und habe sie nach
Deutschland gebracht. Ich hatte mir einen guten Namen
aufgebaut. In Maastricht habe ich dann eines Abends in einem
Privatclub gespielt und hoch verloren. Da war auch Viktor,
der mir von seinem gewonnenen Geld immer wieder etwas
geliehen hat, damit ich weiter spielen konnte. Nach drei Tagen
hatte ich bei Viktor dreihunderttausend Mark Schulden. Er
hat mir vierzehn Tage Zeit gegeben das Geld zu besorgen. Ich
konnte es nicht auftreiben und er hat mir gedroht, dass
professionelle Eintreiber kommen würden. Zwei Tage später
kamen dann zwei Kerle und haben mir den linken Arm
gebrochen und mir gesagt, dass ich nach weiteren zehn Tagen
203
ein Auge verlieren würde, wenn ich nicht zahlen könnte. Ich
bin von Bank zu Bank gelaufen und habe versucht das Geld
aufzutreiben, aber ich hatte schon zu hohe Hypotheken auf
meinen Häusern, die ich geerbt hatte. Nach acht Tagen ist
dann Viktor selbst zu mir gekommen und hat mir den
Geschäftsvorschlag gemacht. Ich sollte für gefälschte Bilder
Echtheitszertifikate ausstellen. Er versprach mir dafür, dass
die Eintreiber nicht wiederkommen würden. Nachdem ich
etwa zwanzig Gutachten geschrieben, und er die Bilder wohl
gut verkauft hatte, nahm er mich hier in Belgien mit auf eine
Party. Da habe ich das erste Mal Kokain angeboten
bekommen und es waren viele Mädchen da. Junge Mädchen.
Ich wusste nicht, dass viele noch minderjährig waren. Später
waren dann auch Kinder dabei; aber in meinem Alkohol und
Kokainrausch habe ich das gar nicht mehr wahrgenommen.
Erst als mich Viktor vier Tage später mit Bildern
konfrontierte, die mich bei sexuellen Handlungen an einem
kleinen Mädchen, von bestimmt nicht älter als acht Jahren
zeigte, ist mir klar geworden, was da wirklich abgelaufen war.
Ich war ein Kinderschänder und davon gab es auch noch
Fotomaterial. Jetzt erpresste er mich richtig, und ich musste
ihm mit meinen Kontakten zu Kunsthändlern und
Kunstsammlern helfen, immer mehr gefälschte Bilder in
Umlauf zu bringen. Als dann einige meiner Gutachten
angezweifelt wurden, ging es mit meinem guten Ruf sehr
schnell zu Ende. Ich musste meine eigene Kunsthandlung
schließen und ich war nicht mehr als vereidigter Schätzer
zugelassen.“
Er hatte alles ohne Punkt und Komma heruntergerasselt
und nur bei der Schilderung der Partybilder kurz gestottert.
Meine Haltung muss mich verraten haben, denn sein Gesicht
wurde wieder ängstlicher. Ich hob die Zange wieder höher
und sein Redefluss startete erneut und seine Stimme wurde
wieder schriller.
204
„Er hat mich dann gezwungen weiterhin falsche Bilder zu
zertifizieren und nach Deutschland zu schaffen. Dabei hat
ihm sein Bruder mit seinem Transportunternehmen helfen
müssen. Der wusste aber nicht, dass er in den
Transportbehältern für die Bilder immer auch große Mengen
an Heroin und Kokain befördert hat. Er ist bei keinem
Transport von „wertvollen“ Bildern, die zum Teil als von
Museum zu Museum deklariert waren, aufgefallen. Auf dem
Rückweg musste er junge Mädchen aus den Ostblockstaaten
transportieren. Die hatten Viktor schon immer in seinem
Foto- und Filmstudio, das er zwischen meinen Häusern
eingerichtet hatte, als Darstellerinnen für Pornofilme gedient.
Die Mädchen wurden regelrecht gefangen gehalten in meinen
Häusern und ich konnte nichts dagegen machen. Es waren ja
meine Häuser in denen das geschah. Er war da ja nicht
angemeldet. Später hat er sich dann häufig sogar mit meinem
Namen ausgegeben und tut das heute noch. Die Produktionen
der Filme hat er dann nach Essen verlegt und hier in der Nähe
ist ein weiteres Studio. Es liegt nördlich von hier schon in
Holland. Früher hat er die Frauen den Zuhältern aus
Tschechien, Ungarn und Polen abgekauft, aber als die große
Öffnung nach Westen erfolgte, hat er unschuldige Mädchen
aus den Discotheken in Weißrussland, der Ukraine und den
baltischen Staaten mit Helfershelfern erst nach
Norddeutschland geschleust und hat sie später hierher
verkauft. Wie er die Mädchen nach Deutschland geholt hat,
weiß ich nicht. Es muss aber eine richtige Organisation sein.
Die kamen mit Besuchervisa und sollten in Hotels arbeiten
oder in Restaurants. Wenn sie widerspenstig wurden, ist von
ihm oder seinen Leuten Gewalt angewandt worden. Die
Mädchen wurden so lange vergewaltigt, bis ihr Widerstand
gebrochen war.“
„Und Dr. Keller immer als hilfsbereiter Einreiter mit
dabei“, sagte ich sarkastisch und schlug ihm quer über das
Gesicht. Sein Kopf flog in Schlagrichtung und seine Nase
205
blutete. Ich hatte mich einfach nicht bremsen können. Ich
hob die Zange wieder und er schrillte weiter:
„Nein, nein, ich war nur ganz selten dabei und dann auch
immer nur im Rausch. Dann hatte er eine neue Idee. Mit
einem Typen in einer Kirchengemeinde hat er gekungelt. Da
holte er sich die Sozialhilfeempfängerinnen und hat sie
meistens mit Rauschgift gefügig gemacht, für seine Filme und
Fotos.“
Ich unterbrach ihn. „Wie kam er zu dem Namen Möbius?
Und warum Walter Möbius?“
„Früher hat er sich häufig für seinen Bruder Walter
ausgegeben, aber die Behörden, vor Allem die
Finanzbehörden aus den Ländern Holland und Belgien waren
hinter den Schiewerskis her. Als er den wirklichen Walter
Möbius, der ihm ein wenig ähnlich sah, bei seinen Streifzügen
durch das Sozialamt kennen lernte, hat er ihn mit zu sich nach
Hause genommen und hat ihn dort im Filmstudio erschossen.
Ich musste ihm helfen die Leiche zu vergraben. Auf meinem
Grundstück. Da steht ein riesiger Busch, da kann keiner der
Nachbarn etwas sehen. Dann hat er als Walter Möbius seine
Papiere als gestohlen gemeldet und hat mit seinen Passbildern
neue Unterlagen erhalten. Pass, Führerschein usw. Nebenher
hat er als Sozialhilfeempfänger für die Kirche als Verwalter
gearbeitet.“
„Und wieso konnte er sich in deinem Haus als Dr. Keller
ausgeben und du musstest als Möbius in das Haus in der
anderen Straße ziehen?“
„Die Häuser waren in der Zeit als ich noch meinen Laden
hatte, vermietet. Ich wohnte ja über meinem Laden in viel
besserer Lage. Die Nachbarn dort kannten mich nicht und als
das eine Haus da frei wurde, ist er auf die Idee gekommen,
dass er dort als Eigentümer Dr. Keller einziehen würde. Als
ich den Laden aufgeben musste, zog ich als sein Untermieter
erst mit in das Haus, bis auch das zweite frei wurde. Dann
musste ich dort einziehen, erst hatte ich das Namensschild
206
Franzius dran und dann Möbius. Aber ich war dort nie unter
diesen Namen gemeldet.
Als Dr. Keller hat er dann häufig die Prominenten der
Stadt, Politiker und hohe Mitarbeiter der verschiedensten
Ämter eingeladen und immer zusammen mit dem Lewinski
Partys veranstaltet. Da hat er dann immer Erpresserfotos
gemacht. Oder sie haben um viel Geld oder Verträge gespielt.
So ist er dann auch an einen richtigen Pass mit meinem
Namen gekommen. Da gibt es jetzt im Amt Unterlagen über
einen alten Dr. Keller und einen Junior. Es muss da einen
hohen Beamten geben, der das eingefädelt hat. Ich weiß aber
nicht wer es ist.“
„Du musstest also immer wieder als Möbius hier mit ihm
auf Reisen gehen und hast auch in den Spielclubs, wo du
Schulden machtest, unter diesem Namen gespielt und die
Schuldscheine unterschrieben? Wer hat den Letztens deine
Schulden bezahlt und wofür hast du das Geld erhalten?“
„Er konnte doch nicht an die Konten in Luxemburg heran.
Die hatte ich damals einrichten müssen. Auf meinen Namen
und mit geheimer Unterschrift. Die kannte er nicht, darum
bin ich wohl nur noch am Leben. Wenn er an sein Geld
wollte, dann musste ich dabei sein, darum musste er erst
meine Schulden bezahlen, bevor ich mit ihm dahin bin. Aber
ich kann jetzt noch an die Gelder, das weiß er aber nicht.“
„Wieso?“
„Ich kenne den Kontonamen und kenne seine
Unterschrift“, jetzt grinste er mich fast an, denn er witterte
eine Chance. Wenn ich an das Geld wollte, brauchte ich ihn
lebend, genau wie Viktor Schiewerski.
Diesmal packte ich mit der Zange seine Hoden und drückte
zu. Er schrie wie am Spieß und ich herrschte ihn an: „Mich
interessiert das Geld nicht, ich will Rache. Rache an dir
miesem Stück Dreck. Was war mit dem kleinen belgischen
Mädchen, Simone?“
207
Er jammerte: „Das war ein Unfall. Glauben Sie mir. Victor
hatte sie mitgebracht, weil er mit einem Beamten, so ein hohes
Tier aus der Justizverwaltung einen Vertrag machen wollte.
Der stand auf so jungen Mädchen. Sie musste noch Jungfrau
sein, das war die Bedingung. Der hat sie dann im Studio
vernascht und sie hat fürchterlich geschrieen. Aber er hat sich
nicht darum gekümmert. Als er dann mit ihr fertig war, hab
ich sie da raus ins Badezimmer und hab sie in die Badewanne
gesteckt und eingeseift. Ich bin gleich mit in die Wanne. Und
als ich sie mit der Seife eingerieben habe, da hat sie wieder
geschrieen wie verrückt. Da hab ich sie gepackt und unter
Wasser gehalten. Sie sollte doch ruhig sein, denn sonst hätten
die Nachbarn was hören können. Und dann ist sie mir aus den
Händen geglitten und sie ist auf, und ist ausgerutscht und ist
hintenüber gefallen. Und dann war sie tot. Ich hab Viktor
gerufen und der hat fürchterlichen Krach gemacht und dann
haben wir sie dort verscharrt wo auch Möbius schon lag.
Unter dem Busch.“
„Gibt es verwertbare Beweise gegen Viktor?“
„Ich weiß es nicht; aber er hat Mal geprahlt, dass er den
Tod von Möbius gefilmt hätte. Er hätte sich selbst gefilmt als
er den Mann erschossen hat. Aber gesehen habe ich den Film,
oder das Video nie. Der wird wohl mit den anderen
Erpressungsunterlagen in dem Banksafe von Lewinski liegen.
Denn irgendwie muss Lewinski Viktor erpresst haben, denn
Viktor war ja deswegen so scharf auf die Unterlagen von der
Virginia, weil er wusste, damit könnte er Lewinski richtig
erpressen. Dann könnte er das Material wiederbekommen,
welches ihn belastete. Er wollte ihm einen einfachen Tausch
vorschlagen.“
„Weißt du bei welcher Bank Lewinski seinen Safe hatte?“
„Ja, bei einer Filiale einer Schweizer Großbank in Frankfurt.
Ich weiß aber nicht bei welcher.“
„Dann muss Viktor ja jetzt zittern, denn wenn der Tresor
entdeckt wird, dann ist er dran.“
208
„Der doch nicht. Der hat schon vorgesorgt. Der wird ganz
schnell wieder Schiewerski und zahlt brav seine Steuern in
Holland und Belgien und ist nie Möbius oder Dr. Keller
junior gewesen. Darum hat er ja auch das Vorkaufsrecht zum
Kauf meiner Häuser eintragen lassen. Und die Häuser fallen
ihm im Falle meines Todes sowieso zu, denn er hat mich ein
Testament machen lassen, in dem ich Viktor Schiewerski alles
vermache. Ich habe sonst keine Erben. Walter kauft sie ihm
zu einem Spottpreis ab, und er braucht keine Erbschaftssteuer
zu zahlen. Hinterher wird er seinen Bruder umbringen und
wieder einmal Walter Schiewerski sein. So einfach ist das.“
„Dann wird er sich ja richtig freuen, wenn er demnächst
deine Leiche im Lagerhaus findet. Aber nicht sehr lange, dann
werde ich ihn auch erledigen.“
Ich hatte mich einfach umgedreht und war zur Tür
gegangen. Beim Hinausgehen streifte ich die Sturmmaske ab
und ging in die Bar. Hier waren immer noch Gäste anwesend
und ich gab dem Besitzer ein Zeichen. Wir gingen in sein
Büro und ich sagte zu ihm, dass er die Aufzeichnung beenden
könne. Mit einem Blick auf den Monitor hatte ich festgestellt,
dass immer noch die Einstellung, lediglich den Kopf von
Keller zu zeigen, eingestellt war. Ich bat um das Videoband.
„Ich brauche einen K.o.-Drink, der den Mann sofort in
Tiefschlaf versetzt aber nicht länger als vier Stunden wirkt.
Und ich brauche eine Portion Kokain, damit er morgen fit ist.
Und eine weitere Portion K.o.-Tropfen. Können Sie das
organisieren? Dann sind Sie mich und den Patienten für
immer los.“
„Das kostet Sie aber eine Stange Geld. Sagen wir
zehntausend Mark!“
„Vorkasse ist nicht drin. Wohin wollen Sie Ihr Geld
überwiesen haben? Anweisung erfolgt heute noch.“
Er sagte mir ein Konto bei einer Luxemburger Bank. Und
ich notierte mir die Kontonummer auf der Videohülle, die er
mir aushändigte.
209
„Warten Sie hier. Ich bringe Ihnen die Sachen, die Sie
wünschen, sonst noch etwas?“
„Ja, kann eines der Mädel den Drink verabreichen und den
Mann wieder anziehen, wenn er eingeschlafen ist? Ich hole
dann schon den Wagen und es sieht so aus, als würde ich
einen schwer Betrunkenen hier abholen. Das fällt am
wenigsten auf, selbst wenn ein Polizeiwagen direkt hinter uns
halten würde.“
„Geht in Ordnung, seien Sie in fünf Minuten vor der Tür.“
Ich verabschiedete mich mit Handschlag und einem
„Danke“ und er zischte mir zu: „Wenn Sie nicht zahlen, finde
ich Sie“, und drehte sich um und verschwand in einem Gang.
Ich eilte zum Ausgang.
Draußen war es schon hell und ich ging schnell zu dem
Wagen. Ich musste einmal um den Block fahren, und hielt
direkt vor dem Club. Ich hatte kaum angehalten, als die Tür
sich öffnete und der Besitzer den Bewusstlosen zum Wagen
schleppte. Wir verfrachteten ihn liegend auf den Rücksitzen.
Der Clubbesitzer war schon wieder in der Bar verschwunden,
als ich die Wagentür zuschlug.
Kurz vor der Ortsausfahrt hatte ich mir die Straßenkarte
hervor genommen und meine weitere Route geplant. Ich fuhr
weiter durch einen kleinen Ort namens Pepinster und über die
N661 bis nach Louveignè, um dann bei Bamrè auf die A26 zu
wechseln. Auf dem nächsten Rastplatz verließ ich kurz den
Wagen und kaufte zwei Flaschen Wasser, eine große Flasche
Cola und ein paar Müsliriegel. Dann versuchte ich Eva
anzurufen. Der Ruf ging zwar hinaus, aber Eva meldete sich
nicht. Es war jetzt kurz vor sieben Uhr und ich nahm an, dass
sie noch fest schlief. Ich versuchte es bei Wiesel. Den
erreichte ich schon und ich konnte ihm berichten, was ich
inzwischen erfahren hatte und dass ich vorhatte, die Konten
von Viktor Schiewerski zu plündern, um seine
Bewegungsfreiheit entscheidend zu beschneiden. Einige
Äußerungen von Dr. Keller bei seiner gestrigen Aussage
210
hatten mich stutzig gemacht und ich fand es an der Zeit, dass
ich auch über Eva und ihre Vergangenheit einiges wissen
musste. Ich fragte ihn, ob er mir helfen würde, die
Vergangenheit von Eva auszuforschen. Er war davon nicht
sehr angetan. Ich flehte ihn als Freund an, mir zu helfen,
damit ich in der Behandlung Evas in der Zukunft keine Fehler
machen würde. Erst da versprach er mir, sich darum zu
kümmern und warnte mich eindringlich, dass es vielleicht
nicht gut wäre, wenn ich zuviel von ihrer Vergangenheit
wüsste. Es könne meine Liebe zu ihr gefährden. Ich sagte
ihm, dass ich erwarten würde, dass etliche dunkle Stellen in
ihrem Leben auftauchen würden, weil sie sonst wohl kaum so
weit gefallen wäre, wie ich sie bei unserem Kennenlernen
vorgefunden hätte. Es war mir klar, dass sie kein
unbeschriebenes Blatt sein konnte. Allein der kurze
Videoausschnitt, den ich im Studio gesehen hatte und ihre
Alkoholexzesse während unserer jetzt erst kurzen
Gemeinsamkeit hatten mich das gelehrt.
Dann sprach ich ihn auch noch auf einen möglichen Safe in
einer Filiale einer schweizerischen Bank in Frankfurt an und
fragte ihn, ob er mit dem Tresorschlüssel, den ich bei ihm
deponiert hatte, herausfinden könne, bei welcher Bank sich
dieser Safe befand. Er meinte, dass würde keine so große
Schwierigkeit sein. Ob wir dann allerdings daran könnten, läge
sicherlich nur daran, wie gut seine Verbindungen zu dem
jeweiligen Bankmanager sein würden.
Ich bedankte mich und legte auf und versuchte erneut Eva
ans Telefon zu bekommen. Sie antwortete auch diesmal nicht,
obwohl ihr Telefon eingeschaltet war und klingelte. Ich stärkte
mich mit den Müsliriegeln und der Cola und fuhr weiter. Ich
fuhr innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzungen, denn ich
hatte viel Zeit. Vor neun Uhr würde erstens mein Mitfahrer
nicht wieder zu sich kommen, und zweitens noch keine Bank
geöffnet haben.
211
Als wir dann kurz vor neun Uhr in der Innenstadt von
Luxemburg in der Nähe des Bahnhofs eintrafen, regte sich
Keller auf dem Rücksitz. Auf einem Parkplatz hinter dem
Bahnhof legte ich ihm Handschellen an und gab ihm Wasser
zu trinken. Er glotzte mich mit glasigen Augen verständnislos
an. Es brauchte seine Zeit, dass er registrierte, dass er immer
noch nicht tot war und in einem Auto saß. Erst als ich ihm die
Pistole in die Seite drückte, begriff er.
Ich erklärte ihm die Situation: „Wir sind hier in Luxemburg.
Den Rachengel sind wir losgeworden und mich interessiert
das Geld auf dem Konto hier.“
Es war offensichtlich, dass er mich nicht als seinen Peiniger
von gestern wiedererkannte, denn er fragte:“ Was ist mit dem
schwarzen Monster?“
„Ist ausgeschaltet. Und wenn du uns bei dieser
Kontensache unterstützt, bringen wir dich auch vor Victor in
Sicherheit“, log ich ihn an.
Hoffnung glimmte in seinen Augen, aus denen er mich aber
immer noch verängstigt und misstrauisch beobachtete als er
fragte: „Und was sollen dann die Handschellen und die
Pistole?“
„Zur Sicherheit und damit du siehst, wir machen auch
ernst. Wenn du kooperierst, werde ich dich losmachen und
wir werden hier in einem Hotelzimmer versuchen dich soweit
zu restaurieren, dass du wieder wie ein Mensch aussiehst und
auch so riechst. So wie du momentan aussiehst, lassen die dich
in keine Bank, noch nicht Mal auf eine Parkbank. Ich mache
dich gleich los, dann gehen wir dort hinüber zu dem Hotel
und wir mieten uns dort ein. Es wird so aussehen, als kämen
wir gerade nach langer Fahrt mit dem Zug hier an. Während
du badest und dich rasierst, werde ich uns Frühstück auf das
Zimmer bestellen. Danach gehen wir zur Bank. Falls du
versuchen solltest Tricks anzuwenden, oder zu Flüchten,
werde ich dich auf der Stelle erschießen. Ich kenn mich darin
212
aus. Das ist schon lange mein Job, und ich bin gut darin. Hast
du verstanden?“
Er sah mich an, und fragte dann: „Und wie soll es danach
weitergehen?“
„Wir werden zu dir nach Hause fahren und du zeigst mir
das Studio wo Beweise gegen Victor lagern und gegen andere
hohe Herrschaften aus deiner Stadtregierung. Die werden wir
uns unter den Nagel reißen und dann werde ich dich in
Sicherheit bringen. Ich glaube nicht, dass Viktor
Verbindungen nach Afrika hat. Da kannst du dir dann ´nen
schönen Lebensabend machen. Die kleinen schwarzen
Mädchen werden dich begeistern.“
„Und warum macht ihr das und woher weißt du von
meinem Zuhause?“
„Wir haben noch eine uralte Rechnung mit Viktor offen
und haben die Aufzeichnungen von deinem Verhör von
gestern. Also los, gehen wir. Und denk dran, du bist schneller
weg vom Fenster, als du nur an Flucht denken kannst.“
Ich schloss die Handfesseln auf und stupste ihn aus dem
Wagen. Er war zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, aber
wir kamen in das Hotel. Meine Leinentasche war unser
Gepäck und man vermietete uns ein Doppelzimmer, welches
ich mit Frühstück für zwei Tage mietete. Ich bezahlte im
Voraus in bar. Nachdem Keller rasiert war und geduscht
hatte, sah er einigermaßen manierlich aus und wir
frühstückten. Als er zappelig wurde, weil ihm Rauschgift
fehlte, gab ich ihm eine kleine Portion, die er sofort schniefte.
In der Bank lief alles reibungslos. Bis auf einen Betrag von
weniger als Fünftausend DM hoben wir alles ab. Ich hatte die
Zahlungsanweisung auf das Konto des Clubbesitzers in
Verviers ausgestellt und den Rest hatten wir mit einer
fadenscheinigen Begründung, es nur kurzfristig bar zu
gebrauchen, um es in ein paar Tagen vermehrt wieder
einzuzahlen, ausgehändigt bekommen. Wir mussten nur etwa
eine Stunde warten, bis man die über drei Millionen in großen
213
Scheinen besorgt hatte. Man stellte uns sogar einen
Aluminiumkoffer für den Transport zur Verfügung. Auf dem
Rückweg ins Hotel hatte Keller immer wieder den Koffer
gierig angesehen. Er machte sicherlich Pläne, wie er daran
kommen könnte.
In einem Spirituosenladen nicht weit vom Hotel entfernt,
kaufte ich eine Flasche Wodka und ließ sie ihn tragen. Im
Hotel holte ich schnell die Zahnputzgläser aus dem Bad, ließ
den Koffer dort zurück und mixte uns einen gewaltigen
Drink. Er hatte nicht mitbekommen, dass ich das kleine
Fläschchen mit den K.o.-Tropfen dort hinein geleert hatte. Er
hatte den Drink auf einen Zug geleert und war wie ein Klotz
umgefallen. Ich konnte ihn gerade noch auffangen und auf
das Bett legen. Danach machte ich mit dem Koffer wieder auf
den Weg. Diesmal zu einer anderen Bank. Dort eröffnete ich
ein Konto und zahlte den fast vollen Betrag wieder ein.
Ich wechselte noch einiges Geld in belgische Franc und
holländische Gulden und US-Dollar und verließ die Bank. Die
Kontoeröffnungsunterlagen verstaute ich in einem
Briefumschlag, den ich an Wiesel adressierte und um
Übersendung
dorthin
bat.
In
einem
Fischspezialitätenrestaurant am Place d’armes aß ich im Freien
sitzend exotisch zubereitete Riesengarnelen und war mit den
Ergebnissen des heutigen Tages zufrieden. Es beunruhigte
mich allerdings ein wenig, dass ich Eva nicht erreichen
konnte. Sie hatte das Telefon jetzt scheinbar ausgeschaltet.
Ich ging langsam, die warme Sonne des Tages genießend,
über die Talbrücke zurück zu meinem Wagen und fuhr ihn
direkt vor das Hotel. Hier nahm ich den schlafenden Keller,
so als ob ich einen Kranken oder Betrunkenen stützte, und
beförderte ihn zum Wagen. Ich setzte ihn gegen die Tür der
Beifahrerseite gelehnt angeschnallt auf den Vordersitz und
fuhr über die Autobahn Trier nach Bonn und Köln. An einer
Raststätte bei Leverkusen tankte ich und fuhr auf der A1 bis
zum Haus von Keller. Er hatte die ganze Zeit geschlafen und
214
wurde noch nicht einmal wach, als ich ihn in sein Haus
schleifte. Im Badezimmer fesselte ich ihn mit den
Handschellen an den Heizkörper und legte im Wohnzimmer
das Video und die Schlüssel für die Handschellen auf den
Tisch. Danach ging ich über den Hof von hinten ins
Filmstudio und sah mich um. Hier waren keine Hinweise
mehr zu finden. Sämtliche Videos und Fotos waren
verschwunden. Ich überprüfte noch den Player und stellte
fest, dass Wiesels Leute vergessen hatten, die letzte Kassette
zu entfernen. Es war die Kassette gewesen, auf der Virginia
und Eva beim Liebesspiel zu sehen waren. Ich steckte sie ein
und ging durch die Haustür des „Möbiushauses“ zu meinem
Wagen und fuhr wieder los. Ich war schon wieder auf der
Autobahn in Richtung Monschau, als ich die
Mordkommission der Stadt anrief, um ihnen mitzuteilen, dass
sie einen gewissen Dr. Keller im Badezimmer gefesselt unter
der Adresse die ich ihnen nannte, finden konnten. Die
Beweise würden auf dem Wohnzimmertisch liegen und die
Knochenreste des ermordeten Mädchens unter dem Busch
auf dem Hof. Ich hatte mit einem gewissen Kommissar
Waldtmann gesprochen und meinen Namen verschwiegen.
Während der Fahrt hatte ich immer wieder versucht Eva zu
erreichen. Es war vergeblich. Meine Beunruhigung wuchs und
ich rief Wiesel an, ob er eine Nachricht von Eva erhalten
hatte. Er hatte auch nichts gehört. Schließlich rief ich das
Hotel an und fragte nach Eva.
Man bestätigte, dass sie im Moment an der Bar sei. Ich
konnte das Naserümpfen der Rezeptionistin durch das
Telefon sehen. Sie sagte spitz: „Aber sie ist wohl zu
betrunken, um noch ans Telefon gerufen werden zu können“,
und hatte aufgelegt. Mir dämmerte, dass Eva, allein gelassen,
wieder den Hang zur Flasche entdeckt hatte. Ich fuhr so
schnell ich konnte.
Es war trotzdem schon zwei Uhr morgens, als ich im Hotel
ankam. Nach den kurzen Schlafintervallen der vorletzten
215
Nacht, der durchwachten vergangenen Nacht und über 1400
Kilometer Fahrt, war ich hundemüde. Eva lag angezogen,
leicht schnarchend auf dem Bett.
Ich zog sie aus und legte sie ordentlich ins Bett und nahm
mir noch eine Flasche Bier aus der Minibar. Ich trank nur die
Hälfte der Flasche, bevor ich endgültig in bleischweren Schlaf
fiel.
Der nächste Morgen war eine mittlere Katastrophe. Ich
erwachte gegen acht Uhr und Eva schlief immer noch neben
mir. Auch nachdem ich mich geduscht und angezogen hatte,
war sie noch nicht ansprechbar. Ich bestellte das Frühstück
aufs Zimmer. Kurz nachdem das Frühstück gebracht worden
war, kam der Anruf des Direktors. Man bat mich höflich, aber
entschieden, das Zimmer bis 10 Uhr zu räumen. Die
Aufführung meiner Gattin am gestrigen Abend würde nicht
mit den Prinzipien des Hauses einhergehen und daher
möchten wir uns ein anderes Domizil suchen. Als er ansetzte
mir lang und breit erklären zu wollen, was einzeln vorgefallen
war, unterbrach ich ihn nur und fragte ihn, ob materieller
Schaden entstanden sei und wenn, solle er es auf die
Rechnung setzen. Ich sagte ihm unsere Abreise zu, bat aber
um weitere zwei Stunden, so dass wir erst um 12 Uhr das
Hotel verlassen müssten.
Dann versuchte ich Eva wach zu bekommen. Sie war noch
im Halbschlaf als ich sie unter die Dusche in der Wanne
bugsiert hatte und begann Wechselduschen über sie laufen zu
lassen. Erst als ich das Wasser eiskalt eingestellt hatte, fing sie
an sich zu wehren. Als ich sie dann endgültig wach hatte, war
ich ebenso nass, wie sie selbst. Ich konnte meine Kleidung
auswringen und das Badezimmer war eine einzige
Überschwemmung. Ich war stinkewütend. Ich packte meine
nassen Sachen in einen Plastikbeutel, der für Schmutzwäsche
vorgesehen war, trank noch eine Tasse Kaffee und fing an die
Koffer zu packen. Eva saß geistesabwesend in einem Sessel.
Wenigstens hatte sie sich schon angezogen. Ich forderte sie
216
auf, ebenfalls Kaffee zu trinken und mir danach beim packen
zu helfen, aber sie reagierte erst nachdem ich ihr die
Kaffeetasse an den Mund gehalten hatte.
„Schütt wenigstens einen Cognac da rein, damit mein
Kreislauf wieder in Gang kommt“, bat sie mich. Ich sah in die
Minibar und stellte fest, es gab keine „harten“ Sachen mehr.
Das war mir gestern bei meiner Ankunft nicht aufgefallen, als
ich mir noch das Bier herausgenommen hatte. Wahrscheinlich
hatte Eva gestern erst die Minibar geleert und war dann erst
nach unten gegangen.
Um 11 Uhr waren wir dann endlich soweit. Ich bat Eva
sofort ins Auto zu gehen und dort auf mich zu warten,
während ich die Rechnung beglich. Der Herr Direktor
bediente mich persönlich. Mit eisigem Gesicht verkündete er
mir nicht nur die Rechnungshöhe, sondern auch, dass ich
doch bitte nicht wieder hier einkehren sollte. Die Rechnung
war gesalzen. Eva musste ziemlich in der Bar gewütet haben.
Ich trug die letzten Sachen zum Auto und glaubte meinen
Augen nicht trauen zu können. Eva war nicht im Auto. die
Tür des Wagens stand offen und ich entdeckte sie auf der
anderen Straßenseite an einem Kiosk und sah zu, wie sie einen
Flachmann Schnaps ansetzte und auf einen Zug austrank. Ich
holte sie zurück, und der Griff, mit dem ich sie am Arm
festhielt, war nicht gerade zärtlich. Sie beklagte sich auch
prompt. Dies war ein neues Kapitel in unserer Geschichte.
Bisher hatte ich sie nur apathisch oder heulend erlebt, wenn
sie betrunken war, aber jetzt wurde sie auch noch renitent. Sie
beschimpfte mich auf den nächsten Kilometern die ich fuhr.
Ich schwieg, um ihr zunächst Gelegenheit zu geben, Dampf
abzulassen. Als sie dann etwas ruhiger war, schlug ich den
Weg zu den Schiewerskis ein. Ich musste sie dringend vor
dem Bruder warnen; denn ich nahm an, dass er sich sofort
dorthin wenden würde, wenn er merkte, dass sein Geld
verschwunden war, sein Lager in Verviers ausgeräumt und
seine Identität als Dr. Keller durch die Verhaftung des
217
wirklichen Dr. Kellers aufgeflogen war. Die Gefahr, dass er in
die Rolle seines Bruders Walter schlüpfen würde, war für mich
vorstellbar. Und eine Augenklappe über einem gesunden Auge
zu tragen, ist auch kein unüberwindliches Hindernis.
Eva war endlich neben mir ruhig, als wir auf den Hof
fuhren. Walter Schiewerski war mit seinem Transporter
unterwegs, aber wir konnten Frau Schiewerski warnen. Ich
fragte sie, ob sie über ein Handy verfügte, was sie bestätigte.
Wir programmierten meine Handynummer unter der
Kurzwahl 1, wie ich es schon auf unseren Handys, die Eva
und ich benutzten, getan hatte, und bat sie die Kurzwahl
sofort zu betätigen, wenn Viktor auftauchen sollte. Ich würde
dann die Polizei benachrichtigen. Sie bedankte sich und als ich
kurz die Toilette im Hause benutzte, hatte Eva die
Gelegenheit wahrgenommen und hatte von Frau Schiewerski
einen großen Schnaps in einem Wasserglas erbettelt. Sie
stürzte den Inhalt hinunter als sie mich erscheinen sah. Mir
wurde klar, dass ich bei den nächsten Nachforschungen ein
nicht zu übersehendes Problem hatte.
Ich rief über das Telefon der Schiewerskis bei der
Mordkommission an und bat mit Kommissar Waldtmann
sprechen zu dürfen. Er war mit einem Team schon wieder im
Hause des Möbius und überwachte die Ausgrabungen auf
dem Hof. Man verband mich mit einer Kommissarin namens
Amelungen, die natürlich wissen wollte, mit wem sie sprach,
als ich sie nach den Fortschritten ihrer gestrigen Verhaftung
befragte. Ich sagte ihr, wer ich sei und dass ich als
Privatermittler noch den Hauptschuldigen Schiewerski alias
Möbius alias Dr. Keller im belgisch, holländischen Raumes
verfolgte und daher keine Zeit für lange Befragungen hätte.
Sie sagte mir, dass ihr Chef mich dringend sehen wolle und
dass er getobt hätte, dass ich den jetzigen Gefangenen dort
allein zurückgelassen hätte. Ich hätte dringend dort bleiben
müssen und sie befahl mir sofort zurück zu kommen um
weitere Erklärungen abgeben zu können. So wie es aussehen
218
würde, wäre das Mädchen nicht etwa durch Genickbruch
gestorben, sondern mit einem Hammer oder einem ähnlichen
Gegenstand erschlagen worden. Das hätte zumindest der
Pathologe gemeint, als er den Schädel des Kindes am Fundort
gesehen hätte. Das hatte ihr Waldtmann telefonisch schon
mitgeteilt. Gemeinsam mit dem Geständnis, das sie gefunden
hatten, würde es ausreichen Keller den Prozess zu machen,
aber es seien noch unendlich viele Fragen offen.
Ich sagte ihr, dass ich versuchen würde weitere Beweise zu
finden und vor allen Dingen den Haupttäter herbei zu
schaffen. Sie machte mich sehr kühl darauf aufmerksam, dass
dies die Aufgabe der Polizei sei, und nicht einem privaten
Ermittler übertragen werden könne.
„Ich melde mich wieder, sobald ich mehr weiß“, sagte ich
nur und legte auf.
Wir verabschiedeten uns von Frau Schiewerski und ich
warnte sie nochmals, denn ich rechnete damit, dass Viktor wie
ein waidgeschossener Bär in der nächsten Zeit auftauchen und
unberechenbar sein würde. Ich hatte mitbekommen, dass Eva
während meines Telefonats ein weiteres Glas Schnaps
getrunken hatte. Ich nahm sie wortlos am Arm und führte sie
zum Auto. Sie machte jetzt wieder einen ganz normalen
Eindruck, auch wenn sie schläfrig wurde. Ich fuhr nach
Aachen um den Wagen wieder auszutauschen und während
der Werkstattbesitzer und Eva das Gepäck umluden, hatte ich
Wiesel angerufen und ihm die Schwierigkeiten mit Eva
geschildert. Er hatte nur gesagt: „Gib ihr soviel zu trinken wie
sie verlangt und komm hierher. Meine Frau und ein
befreundeter Arzt werden sich in den nächsten Tagen um sie
kümmern. Die Nachforschungen über Eva haben schon so
etwas angedeutet. Sie braucht jetzt professionelle Hilfe und du
kannst in Ruhe weiter ermitteln.“
Trotz des wesentlich schnelleren Wagens kamen wir erst
gegen 20 Uhr bei den Starcks an, denn ich hatte mehrfach
halten müssen, um für Eva Schnaps zu besorgen. Mir zerriss
219
es fast das Herz, zusehen zu müssen, wie sie sich systematisch
betrank. Eine Unterhaltung hatte nicht eigentlich
stattgefunden während unserer Fahrt. Sie hatte nur hin und
wieder trunken vor sich hingekichert und zweimal versucht
mir an die Hose zu greifen und mir versichert, dass sie es mir
besonders schön besorgen würde, bei Tempo zweihundert,
aber ich hatte sie einfach zurück in ihre Ecke gedrängt. Sie
hatte dann schmollend von mir gelassen und bald um
Nachschub an Schnaps gebeten. Ich war mehr als besorgt und
Frau Starck hatte Eva liebevoll in den Arm genommen, als sie
auf dem Hof torkelnd ausgestiegen war. Die beiden Frauen
hatten sich sofort entfernt und Wiesel hatte mich in die Küche
gebeten, wo ein ordentliches Abendbrot für mich bereit stand.
Während ich aß, hatte mir Wiesel von seinen
Nachforschungen nach dem Banksafe erzählt. Es war ihm
gelungen den Bankdirektor zu überzeugen, dass wir unter
Umgehung der Schweigepflicht, den Tresor leeren durften
und in einem neuen Fach, dass wir unter meinem Namen dort
anmieten sollten, unterbringen konnten. Die Unterlagen über
die Kontoeröffnung des Lewinskis würden vernichtet werden.
Lewinski hätte demnach nie dort ein Konto und auch kein
Safe unterhalten. Wiesel hatte ihm gedroht in eine Staatsaffäre
hineingezogen zu werden, die dem Ansehen seiner Bank
außerordentlich schaden könne. Wir wollten die Unterlagen
morgen früh sofort sicherstellen. Ich hoffte auch darauf, dass
wir ein Videoband mit der Erschießung des wirklichen
Möbius finden würden.
Ich hatte nicht mitbekommen, dass, während wir uns in der
Küche unterhielten, ein Arzt gekommen war und als wenig
später ein Krankenwagen vorfuhr, war ich sehr erstaunt. Der
Arzt hatte Eva eine Beruhigungsspritze verabreicht und sie
wurde in eine geschlossene Abteilung des Krankenhauses
gebracht. Hier wollte man in den nächsten Tagen versuchen
eine Entgiftung vorzunehmen und dann mit einer
Entzugstherapie beginnen. Ich wurde aufgefordert zu bleiben
220
wo ich war, denn helfen könne ich im Moment nicht. Es wäre
eher die Gefahr, dass sich der Zustand der Patientin bei
meinem Anblick verschlechtern könne. Der Arzt befragte
mich lediglich noch nach der Menge Alkohol, die Eva heute
zu sich genommen hatte und bedankte sich bei Wiesel für die
Überlassung der Unterlagen. Ich sagte dem Arzt, dass Eva
heute nahezu drei Flaschen Wodka getrunken hätte und ich
über den gestrigen Verbrauch nichts wüsste, aber davon
ausging, dass es möglicherweise noch mehr gewesen sei. Als er
gegangen war sah ich Wiesel fragend an: „Unterlagen?“
„Ja, Unterlagen über den Verfall deiner Angebeteten.
Danach hat Eva schon drei erfolglose Entzugstherapien hinter
sich. Die ersten beiden erfolgten auf eigenen Wunsch, die
dritte wurde vom Gericht angeordnet. Danach schien sie
soweit in Ordnung und als sie dann in der Kirchengemeinde
aufgenommen wurde und im Sozialplan der Stadt schien alles
geregelt. Nach diesen Unterlagen kann sich der Arzt die
Krankenblätter aus den verschiedenen Krankenhäusern
kommen lassen und darauf aufbauend die Behandlung
ansetzen.“
Er bot mir an, die Unterlagen einzusehen, obwohl sie noch
nicht vollständig waren. Ich war aber derart deprimiert, dass
ich darauf verzichtete und sagte ihm, dass ich ins Hotel wolle
um mich gründlich auszuschlafen, damit wir morgen den
Banksafe umräumen könnten. Er sah mir an, was in mir
vorging und klopfte mir aufmunternd auf den Rücken als ich
zum Wagen ging.
Es war ein Zimmer frei und ich schaffte die Koffer hinauf.
Den Rucksack ließ ich im Wagen und nahm nur das
Videoband aus Bremen mit nach oben. Ich legte mich
angezogen aufs Bett, legte den Film in das Abspielgerät und
sah mir den ganzen Streifen an. Es war ein hervorragend
fotografierter Pornofilm, der sogar eine gewisse Regie
erkennen ließ. Scheinbar war das Werk auch nicht an einem
Tag entstanden, sondern aus mehreren Episoden zusammen
221
geschnitten worden. Aber immer waren es Eva und die
Virginia die in den Hauptparts sich zunächst lesbisch
betätigten und später kamen dann männliche Partner hinzu.
Zwei der Darsteller kannte ich. Möbius und den Justizsenator.
Jetzt wusste ich wenigstens warum man Waldtmann derartig
viel Druck von oben machte, um mich aus dem Verkehr zu
ziehen.
Der Geschmack, den ich im Mund hatte, wurde immer
bitterer, gallenbitter.
Nach der etwa einstündigen Vorführung war ich frustriert,
deprimiert und wütend. Ich zog mir eine Jacke über, packte
das Video wieder in seine Verpackung und nahm es mit
hinunter zum Wagen und verstaute es wieder im Rucksack.
Ich suchte mir eine kleine örtliche Kneipe, setzte mich an die
Bar und trank Bier und Rakki. Das war der einzige Schnaps
den sie gekühlt hatten. Der Wirt war ein freundlicher Türke
und es schienen eine ganze Anzahl der Anwesenden
Stammgäste zu sein. Deutsche, die die Gastfreundschaft des
Mannes genossen. Die an der Theke versammelten Männer
und der Wirt bezogen mich sofort mit in die Gespräche ein
und das lenkte mich ein wenig von meinen Sorgen ab. Als der
Wirt die Kneipe schließen wollte, waren wir immer noch zu
sechst und der Wirt reichte noch eine weitere Runde des AnisSchnapses, bevor er uns endgültig hinauskomplimentierte. Es
war drei Uhr morgens. Trotz des Alkoholgenusses schlief ich
schlecht und war um sieben wieder auf den Beinen. Nach
Rasur und längerem Wechselduschen ging ich frühstücken
und war um Halbneun Uhr wieder auf dem Hof der Firma
Starck. Wiesel nahm sofort den Geruch wahr den ich
verströmte. Er runzelte nur kurz die Stirn, sagte aber nichts.
Er befahl nur, dass ich nicht fahren sollte und wir ließen uns
von einem seiner Männer nach Frankfurt fahren. Das
Schrankfach, welches uns gezeigt wurde, war eines der ganz
großen, die direkt über dem Fußboden des Saferaumes
angebracht waren. Hier hätte man auch Überseekoffer
222
deponieren können. Ähnlich einer Schließfachanlage eines
Bahnhofs oder Flughafens waren die Fächer nach oben hin
kleiner. Die Stahlkassette fuhr auf Schienen heraus und die
Flut der darin lagernden Akten und Gegenstände überraschte
uns doch. Es waren noch wesentlich mehr, als ich schon im
Kirchentresor gefunden hatte. Es waren auch drei
Videokassetten vorhanden. Es waren auch dicke Bündel von
Wertpapieren, diverse Goldbarren und eine hohe Summe von
Bargeld vorhanden und jede Menge Akten. Der Inhalt der
ersten Akte, die ich Aufschlug, war eindeutig. Ich blätterte
oberflächlich weitere Akten durch. Fotos mit eindeutigen
Sexszenen
waren
abgeheftet,
dahinter
waren
Computerausdrucke mit Daten und Fakten. Dann waren dort
Zahlungsbelege abgeheftet. Entweder Zahlungen, die von den
Erpressten gezahlt worden waren, oder von Zahlungen die an
die Männer oder Frauen die Lewinski mit Bestechungsgeldern
versorgt hatte. Es war sehr ordentlich aufgeführt, auf welche
Konten die Gelder überwiesen worden waren und welche
Gegenleistungen dafür erbracht worden waren.
Der Bankmanager und seine Leute hatte ganze Arbeit
geleistet. Die Unterlagen über Lewinski waren vernichtet
worden und das Fach wurde an uns gemeinschaftlich, unter
dem ursprünglichen Datum vermietet. Wiesel und ich waren
einzeln bevollmächtigt an das Fach zu gehen. Das Konto, das
für Lewinski ehemals eingerichtet worden war, wurde auf
meinen Namen übertragen, nachdem sie festgestellt hatten,
dass niemals Überweisungen von diesem Konto an
irgendwelche Personen ausgeführt worden waren. Auch hatte
es keine Beträge gegeben, die hierher überwiesen worden
waren. Der Bestand auf dem Konto war nur durch
Bareinzahlungen entstanden. Es waren immerhin über zwei
Millionen Mark. Wiesel grinste mich an und meinte trocken:
„Gelder, die du dem Finanzamt lieber verschweigst!“
Für den Notfall erteilte ich Wilhelm Starck Vollmacht über
dieses Konto.
223
Ich sagte dem Manager nur noch als Warnung: Sie sollten in
ihrem Filialnetz und Ihrer Zentrale nachforschen lassen, ob
dort weitere Konten des Lewinskis existiert haben. Er solle
mich benachrichtigen wenn er einen derartigen Tatbestand
entdecken würde. Ich würde dann auch in einem solchen Fall
helfend einspringen. Er versprach es mir und wir gingen nur
mit den Videobändern im Gepäck zurück zu unserem Wagen.
Der Fahrer brachte uns zurück nach Bad Homburg. Die Fahrt
verlief schweigend. Ich bat den Fahrer bei der Klinik vorbei
zu fahren, damit ich mit dem Arzt sprechen konnte. Wiesel
hatte das Telefon benutzt und sich erkundigt, ob der Arzt
überhaupt Zeit für uns hätte. Er würde haben.
Das Gespräch mit ihm war dann allerdings nur kurz. Er
unterrichtete uns über die Behandlungsmethode und sagte
uns, dass er Eva bis zum endgültigen Alkoholabbau im
Körper in eine Art Tiefschlaf versetzt hätte und sie künstlich
ernähren würde. Sie lag auf der Intensivstation und schlief
jetzt tief. Ich durfte sie für einige Minuten besuchen. Sie war
ein jämmerlicher Anblick. Klein und zart lag sie unter den
Laken und war an verschieden Schläuche angeschlossen. Ich
drückte ihr einen innigen Kuss auf die Stirn und verließ traurig
das Krankenzimmer. Wir fuhren zurück in die Villa, nachdem
mir der Arzt nochmals versichert hatte, dass ich im Moment
nichts weiter für die Patientin tun könne. Man würde uns
benachrichtigen, wenn unser Erscheinen erwünscht wäre.
Wiesel und ich machten Pläne zu meinem weiteren
Vorgehen. Jetzt erfolgte auch die ernst gemeinte Rüge zu
meinem gestrigen Alkoholkonsum. Er sagte nur: „Waldi, du
weißt, dass du ähnlich gefährdet bist, wie Eva. Ich möchte
Euch nicht verlieren. Pass auf dich auf.“
Ich versprach es ihm. Nachdem wir unsere Pläne
geschmiedet hatten, versuchte ich Walter Schiewerski oder
seine Frau zu erreichen. Ich erreichte sie, und sie schien ein
wenig beunruhigt, denn ihr Mann war zwar während ihrer
nächtlichen Abwesenheit zu Hause gewesen, war aber schon
224
wieder unterwegs ohne ihr zu hinterlassen, wohin er gefahren
war. In den Unterlagen hatte sie auch keine Hinweise auf
seine Aufträge feststellen können und da er sich bisher nicht
gemeldet hatte, war sie beunruhigt. Sie wolle jetzt gleich zur
Arbeit aufbrechen und wollte ihm einen Zettel hinlegen, dass
er sie anrufen solle, wenn wer zurück sei. Ich fragte sie nur, ob
ich für meine Nachforschungen bei Ihnen wohnen könne und
sie sagte mir zu. Bis Mitternacht sei sie in dem Speiselokal und
danach wieder im Hotel. Da könne ich mir einen Schlüssel
abholen. Etwas ängstlich fragte sie, ob ich meine Frau
mitbringen würde. Ich beruhigte sie und sagte ihr, dass sie bei
Freunde wäre und nicht wieder den ganzen Hotelbetrieb oder
ihren Haushalt auf den Kopf stellen würde. Sie schien
sichtlich erleichtert. Eva musste sich fürchterlich aufgeführt
haben.
Ich war noch auf der A3 kurz vor Köln, als mein Handy
klingelte. Ich schaltete die Freisprecheinrichtung an und
meldete mich nur mit: „Ja“, weil ich erwartete, dass es Frau
Schiewerski war. Es war aber Wiesel, und er war aufgeregt:
„Wo bist du?“ Ich sagte es ihm, und er sprudelte los:“ Fahr
sofort nach Köln - Deutz, in die Benzstraße zur Firma „AutoKöhler“. Dort wechselst du wieder deinen Wagen und lässt
deinen dort. Keller hat sich umgebracht und die Polizei
suchen nicht nach Möbius, sondern nach dir. Sie gehen davon
aus, dass du dich im Raum Aachen, Lüttich, Maastricht
aufhältst. Meide Monschau und Verviers. Mit Hilfe der
belgischen Kollegen haben sie das Lagerhaus in Verviers
aufgefunden, aber es war komplett ausgeräumt. Sie haben dort
nur Post gefunden, die an Dr. Keller gerichtet war und
nachgeschickt worden ist. Sie machen Großjagd auf dich.
Mein Mann aus Bremen berichtet mir, dass du auf der
Fahndungsliste ganz oben stehst. Was man dir vorwirft,
konnte er aber nicht herausfinden. Sie haben natürlich dein
Autokennzeichen, also sehe zu, dass du bald ein neutrales
Fahrzeug hast.“
225
„Okay ich melde mich, wenn ich mich vernebelt habe. Bis
dahin.“
In der angegebenen Werkstatt wurde ich schon empfangen,
als ich auf den Hof fuhr. Man wies mich an, alle persönlichen
Sachen aus meinem Auto zu entfernen und sagte mir, dass ein
Mitarbeiter den Wagen in die Parkgarage des Flughafens
Köln-Bonn stellen würde. Wenn man ihn dort entdeckte,
könnte der Eindruck erweckt werden, dass ich von dort aus
ins Ausland geflogen wäre. Ich bekam einen Firmenwagen des
Autohändlers, einen 7er BMW mit Vollausstattung. Mein
Handy hatte ich in meinem Wagen gelassen, denn ich wusste
nicht, ob die Nummer nicht bei meinem Anruf in der
Polizeizentrale, als ich den Aufenthaltsort von Dr. Keller
durchgegeben hatte, registriert worden war. Von einer
Telefonzelle aus rief ich das Handy von Frau Schiewerski an
und sagte ihr nur: „Können Sie Ihr Handy Programmieren?
Wenn ja, notieren Sie sich folgende Nummer unter der ich ab
jetzt zu erreichen bin. Es ist die „0172-4333182“. Ich kann
auch nicht nach Monschau kommen. Ich werde erst in
Spanien auf die Jagd gehen müssen.“
„Ich hätte mich sicherer gefühlt, wenn Sie in der Nähe
gewesen wären. Aber was nicht geht, geht nicht. Fangen Sie
das Ungeheuer bitte. Ich habe solche Angst um Walter. Ich
weiß immer noch nichts von ihm.“
„Er hat vielleicht endlich wieder einen größeren Auftrag
und hatte nur keine Gelegenheit es Ihnen mitzuteilen“, sagte
ich etwas lahm.
„Er ruft mich doch sonst auch immer von zu seinen
Touren an. Ich hab einfach Angst.“
„Ich versuche nebenher herauszufinden, was mit ihm ist.
Ich werde einen Freund bitten, diesbezüglich tätig zu
werden.“
Ich hatte ehrlich gesagt auch Angst, dass dem Einäugigen
etwas passiert sein könnte. Ich rief nochmals Wiesel an und
fragte ihn, ob er einen Mann auf das Schicksal von Walter
226
Schiewerski ansetzen könne. Er war nicht sehr erbaut, und
sagte, dass er auch anderweitig viel zu tun hätte, aber er wolle
versuchen, was er tun könne.
„Und wenn es ein befreundetes Unternehmen aus dieser
Gegend ist, bitte beauftrage es. Ich will gerne dafür bezahlen,
denn Geld habe ich jetzt mehr, als jemals zuvor in meinem
Leben.“
„Okay, ich sorge dafür. Bis später.“
Ich fuhr aus Deutz wieder heraus auf die A3 und fuhr bis
Duisburg und wechselte auf die A40 in Richtung Venlo –
Eindhoven. In einem der Vororte von Eindhoven, nahe der
Autobahn, fand ich ein Motel in dem ich mich für die Nacht
einmietete. Ich gab Wiesel kurz durch wo ich gelandet war
und fragte ihn ob es Neuigkeiten aus der Fahndung nach mir
gäbe und wie es Eva ginge. Er sagte nur, dass alles
unverändert sei, er aber das Video mit dem Mord an Möbius
gefunden hätte. Er ließ es gerade vervielfältigen. Er wollte eine
Kopie anonym der Polizei zuspielen.
In einem Steakhaus in der Nähe des Motels aß ich noch ein
Steak und genehmigte mir zwei holländische Bier, bevor ich
müde zurückkehrte und in mein Bett sank.
Am nächsten Morgen ließ ich mir Zeit und frühstückte
gemächlich in einem Drive-Inn amerikanischen Vorbilds nahe
der Autobahn, bevor ich mich nach Maastricht aufmachte. Ich
hatte mir durch Wiesel in einem Großhotel unter den Namen
Dr. med. Engel eine Suite reservieren lassen. Er pruste vor
Lachen, als ich ihm den Namensvorschlag machte.
„Den Teufel als Engel ausgeben, das sieht dir ähnlich; aber
dich als Mediziner auszugeben ist nicht schlecht. Wird
erledigt.“
Ich fuhr direkt auf die Auffahrt des Hotels, händigte dem
Portier meine Wagenschlüssel aus und befahl hochnäsig:
„Fahren Sie den Wagen in die Garage und bringen Sie das
Gepäck in meine Suite. Dr. Engel“, und drückte ihm einen
Zehnguldenschein in die Hand und ging erhobenen Hauptes
227
durch die Lobby zur Rezeption. Der dunkelblaue Anzug, den
ich trug, ließ mich sehr wichtig erscheinen. Die Anmeldung
ging sehr schnell, als ich meinen Namen und meine
Reservierungsnummer gesagt hatte und man geleitete mich
zur Suite mit Ausblick auf die Maas. Ich war zufrieden und
gab dem Boy ein mickriges Trinkgeld. Das Gepäck kam wenig
später und der Hausdiener bekam auch nur zwei Gulden.
Keiner hatte mich länger angesehen und angesichts der
bescheidenen Trinkgelder wurde ich sicherlich nur als
hochnäsiger deutscher Arzt eingeschätzt, der nicht weiter zu
beachten war. Über das Handy, das ich aus dem Wagen
mitgenommen hatte, meldete ich mich bei Wiesel und sagte
ihm, dass ich unauffällig eingecheckt hätte. Walter Schiewerski
hatte sich endlich gemeldet und seine Frau war wieder
beruhigt. Er fuhr jeden Tag Touren zwischen Aachen und
Frankreich und transportierte Chemikalien. Nicht ganz legal,
aber gewinnbringend. Daher hatte er seine Frau auch nicht
unterrichtet. Ich verwandelte mich inzwischen zu einem
ewigen Ami-Studenten, mit Glasfensterbrille, verstrubbelten
Haar und diversen Büchern unterm Arm. Typische Jeans,
Turnschuhe und über der Hose getragenem Hemd. Ich sah
sehr amerikanisch aus. Der Portier, der mir vorhin den
Wagenschlüssel abgenommen hatte, nahm keinerlei Notiz von
mir.
Bei einem Autoverleih in einem nahe gelegenen
Industriegebiet besorgte ich mir ein Auto. Ich legte dem Mann
der Autovermietung einen amerikanischen Collegeausweis,
den mir ein Freund einmal geschenkt hatte vor und zahlte mit
US-Dollars bar im Voraus für eine Woche. Den Ausweis hatte
er nur mit einem Blick gestreift, weil ich die Geldscheine
schon in der Hand hielt. Ich krakelte nur noch eine
unleserliche Unterschrift unter den Mietvertrag, den ich selbst
ausgefüllt hatte, weil er telefonieren musste und bekam den
Schlüssel ausgehändigt. Er war so freundlich mir einen
Stadtplan mit den Sehenswürdigkeiten der Stadt
228
auszuhändigen. Ich war somit wieder zweifach mobil und
konnte mich anhand der Karte in der Stadt orientieren.
Ich fand das Filmstudio an diesem Abend nicht mehr,
obwohl ich daran zweimal vorübergefahren war, wie ich am
nächsten Morgen feststellte. Ich hatte mich später noch
planlos in der Innenstadt, der Fußgängerzone herumgetrieben,
hatte einige Clubs entdeckt, die auf meiner Liste standen, aber
hatte sie nicht betreten. In einem kleinen urigen
Studentenlokal hatte ich eine Kleinigkeit gegessen und ein
paar Bier getrunken, bevor ich ins Hotel zurückkehrte. Den
Wagen hatte ich etwas entfernt vom Hotel in einer
Seitenstraße stehen lassen, wo das Parken erlaubt war. Ich
ging schlafen.
Am nächsten Morgen berichtete Wiesel mir, dass man
meinen Wagen in der Parkgarage des Flughafens gefunden
hätte und davon ausging, dass ich nach Spanien unterwegs
war. Das konnten sie nur von Frau Schiewerski haben, denn
sie war die Einzige, die ich auf diese Spur gesetzt hatte. Wiesel
fragte mich dann nur, was für eine Telefonnummer ich denn
Frau Schiewerskis gegeben hätte. Als er versucht hätte dort
anzurufen, hätte sich ein völlig unbekannter Mann gemeldet.
Ich grinste durch das Telefon: „Völlig frei erfunden. Sollte nur
die Frau beruhigen und ablenken. Das es die Nummer
wirklich gibt, habe ich nicht geahnt.“
Der Zustand von Eva schien sich ein wenig zu bessern. Sie
brauchte weniger Beruhigungsmittel und hatte die erste feste
Nahrung zu sich genommen. Frau Starck war jetzt häufig in
ihrer Nähe und das schien sie aufzubauen. Ich dankte Wiesel
und ließ seine Frau mit ganz vielen lieben Wünschen grüßen
und dankte auch ihr. Dann machte ich mich wieder auf die
Suche nach dem Filmstudio. Ich fand es auf Anhieb und hätte
fast über meine Blindheit lachen können. Auch hier prangte
das Schild „Oostman - Handel S.A“ über dem Rolltor. Ich
wollte mir gerade einen geeigneten Platz zum Parken für das
Auto suchen, um den Laden beobachten zu können, als ich
229
ihn sah. Er kam aus dem Lagerhaus und ging rasch zu einem
Opel-Omega. Ich hatte Glück, denn er fuhr vor mir her in
Richtung Innenstadt. Hier parkte er auf einem gebührenfreien
Parkplatz in der Nähe der Fußgängerzone. Er hatte einen
Packen Papiere bei sich und marschierte los. Ich hatte
ebenfalls noch einen freien Platz bekommen und musste mich
beeilen hinter ihm herzukommen. Er besuchte als erstes einen
der Clubs, die auf meiner Liste standen, die ich aber gestern
nicht betreten hatte. Ich sah wie er einem Mann ein Blatt
Papier aus seinem Stapel reichte und auf ihn einredete. Dann
verließ er das Lokal. Aus irgendeinem Grund, den ich später
nie erklären konnte, ließ ich Viktor Möbius aus den Augen
und er war verschwunden, ohne dass ich ihn wieder
entdecken konnte. Ich ging zurück zu dem ersten Club, wo
der Mann immer noch auf das Blatt Papier starrte, das ihm
Möbius ausgehändigt hatte. Er war sehr erschrocken als ich
mit einem Ruck die Tür geöffnet hatte und vor dem Tresen
stand. Ich wusste auch warum. Vor ihm lag ein Bild von mir.
Möbius suchte mich, wie ich ihn suchte! Das Bild konnte ihm
nur durch den Justizsenator oder seinen Leuten zugespielt
worden sein, denn es zeigte das Bild, was in meiner
Privatdetektivlizenz eingeschweißt war. Der Mann hinter dem
Tresen war bei meinem Anblick derart verängstigt, dass er
sofort anfing um sein Leben zu flehen; auf Holländisch, aber
das verstand auch ich.
„Ganz ruhig, mein Lieber, können wir hier irgendwo nach
hinten gehen? Ich möchte mit Ihnen reden, nichts weiter.“
Er stotterte: „Da, da lang“, und wies mir den Weg in den
hinteren Teil des Lokals.
„Bitte nach Ihnen“, sagte ich höflich.
„Aber nicht erschießen. Von hinten erschießen“, jaulte er
ängstlich.
„Ich habe noch nicht einmal eine Pistole auf Sie gerichtet.
Ich will mit Ihnen reden, sonst nichts.“
230
Er blieb bibbernd vor mir im hinteren Teil des Lokales, von
den Frontfenstern nicht mehr einsehbaren Teil stehen, und
ich drückte seinen schmächtigen Körper auf einen Stuhl,
angelte mir selbst einen und setzte mich rittlings darauf. Ich
saß ihm direkt gegenüber. Er wusste nicht wohin er sehen
sollte. Er schielte vor Angst.
„Was hat er Ihnen gesagt, als er Ihnen das Bild gegeben
hat?“
„Er hat gesagt, Sie suchen nach abtrünnigen Schafen, die
noch nicht die neuen Schutzgebühren zahlen und er hat uns in
der letzten Zeit immer noch die alten Gebühren zahlen lassen.
Ich hätte ja bezahlt, aber das Geschäft geht so schlecht. Ich
kann nicht noch mehr zahlen. Bitte tun Sie mir nichts, ich zahl
ja schon Morgen wenn er wiederkommt die neuen Gebühren.
Aber tun Sie mir nichts. Ich habe Familie, bitte.“
Er kniete vor mir und hatte mir die Hände gefaltet
entgegengestreckt. Ich herrschte ihn an sich wieder
hinzusetzen.
„Und was sollen Sie tun, wenn ich auftauchen“, fragte ich
ihn, obwohl ich die Antwort vorher wusste. „Ich soll ihn
anrufen, er würde dann gleich kommen und Sie unschädlich
machen. Wir würden dann einen fairen Preis ausmachen und
ich könnte wieder in Ruhe leben.“
„Wo sollen Sie anrufen?“
„Auf einer Handynummer.“
Ich durfte jetzt keinen Fehler machen. Einerseits konnte ich
nicht den Mann hier solange festsetzen, dass es auffiel, dass
sein Lokal nicht geöffnet war, andererseits musste ich
verhindern, dass er Möbius anrief während ich noch versuchte
ihm eine Falle zu stellen. Mein Wagen stand zu weit weg, als
dass ich Möbius ungesehen dorthin schleppen konnte. Mir
musste etwas anderes einfallen, ohne dass ich selbst in einen
Hinterhalt geriet. Zudem wusste ich nicht, mit welcher
Verstärkung Möbius anrücken würde, wenn der Anruf kam.
Der Mann deutet mein Schweigen falsch und jammerte sofort
231
wieder los: „Ich werde ja zahlen und für die letzten zwei
Monate auch, aber lassen Sie mich. Ich gebe Ihnen das Geld
sofort und rufe auch nicht an, aber gehen Sie bitte und lassen
mich leben.“
„Seien Sie sofort ruhig“, sagte ich leise aber schneidend,
„ich bin weder ein Killer der Organisation, die Sie hier um
Schutzgelder erpresst, noch an Ihrem Geld interessiert.“
Er sah mich ungläubig an und ich fuhr genauso schneidend
fort: „Ich bin hier, um Sie von den Schutzgelderpressern zu
befreien. Der Mann hat Angst vor mir. Ich will ihn
unschädlich machen und die ganze Organisation. Darum
erzählt er Ihnen diese Märchen. Wissen Sie wer noch alles
erpresst wird?“
„Die halbe Stadt mindestens. Und die Organisation ist
mächtig. Wenn du nicht zahlst, brennt dein Laden, wenn du
noch immer nicht zahlst, bist du tot, oder ein
Familienmitglied. Sie sind schlimmer als jede asiatische Gang,
die früher hier gehaust haben. Sie haben alles übernommen,
die Chinesen sind tot. Auf offener Straße erschossen, und kein
Polizist hat jemals etwas herausbekommen. Nein, erschießen
Sie mich, es ist mir jetzt egal. Ich kann nicht mehr“, und fing
an haltlos zu weinen, die Hände vors Gesicht geschlagen.
Ich wusste nur zu gut wie Möbius seine Strukturen
aufbaute. Mit Korruption oder Erpressung, aber es musste
doch auch noch aufrechte Beamte geben, nur wie konnte ich
sie finden und was machte ich mit dem Verängstigten hier?
Ich entschied mich für die üble Tour. Ich zog meine Pistole
unter dem Hemd aus dem Gürtel und wedelte kurz damit vor
seinem Gesicht.
„Okay, wenn du es nicht anderes willst, geh nach vorn und
schließ die Tür ab. Wenn du versuchst abzuhauen, jage ich die
eine Kugel ins Rückrat. Das tötet dich nicht, aber wird dich
ein Leben lang zum Rollstuhlfahrer machen, also versuch es
gar nicht erst. Dann zeigst du mir alle Räume. Alle, jeden noch
so kleinen Winkel. Das wiederholen wir so lange bis ich sicher
232
bin, dass sich außer einer Kakerlake nichts mehr hier
verstecken kann.“
Er wusste zwar nicht was ich damit bezweckte, aber er
gehorchte und hatte auch aufgehört zu heulen. Wir machten
eine Hausbesichtigung der gründlichen Art und wiederholten
sie dreimal. Bis ich ganz sicher war, das Haus zu kennen, als
wohne ich selber schon hundert Jahre darin. Danach befahl
ich ihm ein Schild zu malen „Wegen Trauerfall geschlossen!“
Selbst wenn Möbius wieder an dem Laden vorbeikommen
würde, würde er davon ausgehen, dass der Wirt geflohen war
und sein Lokal aus Angst verlassen hatte.
„Wo steht dein Auto?“
„Bei mir zuhause. Meine Frau bringt mich morgens und
abends fahre ich mit einem Taxi.“
Ich gab mich damit zufrieden und befahl ihm mit mir zu
meinem Auto zu gehen. Hier dirigierte ich ihn auf den
Fahrersitz und orderte nach sich zuhause zu fahren. Ich
benutzte dazu noch nicht einmal meine Pistole. Er fuhr vom
Parkplatz in einen netten Vorort mit kleinen, von der Straße
entfernt stehenden Häusern und bog auf eine der Auffahrten.
Wir waren noch nicht einmal zehn Minuten gefahren. Wir
parkten hinter einem kleinen Citroen.
„Dein Auto?“ „Ja.“
Seine Frau öffnete die Haustür und war überrascht ihren
Mann in Begleitung eines großen amerikanisch anmutenden
Mannes zu sehen. Sie wollte sofort wissen, was los sei und sie
verstummte, als ich ihr die Pistole vor die Nase hielt.
„Setzen wir uns doch“, meinte ich und deutete auf die
offene Küche, in der ich eine gemütliche Sitzecke sehen
konnte. Sie zeterte nicht, sondern ging schweigend vor uns
her und setzte sich. Ihr Mann setzte sich daneben. Sie funkelte
mich schweigend aus dunklen Augen kampfeslustig an. Sie
war aus ganz anderem Holz geschnitzt, wie ihr Mann. Das
freute mich, denn ich brauchte jeden Kämpfer oder
Verbündeten, der ein wenig Mumm in den Knochen hatte.
233
Und zu meiner Verbündeten wollte ich diese mutige Frau
machen.
„Sie werden zu Schutzgeldzahlungen erpresst und mit dem
Tod bedroht, wenn Sie den Forderungen nicht
nachkommen“, stellte ich so sachlich wie möglich fest.
„Und Sie sollen uns jetzt liquidieren, weil wir in den letzten
zwei Monaten nicht die volle Summe bezahlt haben“,
erwiderte die Frau genauso fest.
„Nein, ich will damit ein für alle Mal Schluss machen. Ich
weiß, dass die Organisation durch korrupte Beamte innerhalb
der Polizei immer wieder geschützt wird und daher kein
echter Schutz seitens der Polizei erwartet werden kann. Einen
der Hauptdrahtzieher, der auch mehrere Morde auf dem
Gewissen hat und Spezialist für Erpressung von Staatsdienern
ist, wird von mir verfolgt. Ich jage ihn und habe ihm in den
letzten Tagen sehr schaden können. Darum wird dieser Mann
immer gefährlicher. In die Enge getrieben, versucht er seit
heute die Schauergeschichte zu verbreiten, dass ich ein
bezahlter Killer bin, der säumige Zahler umbringt. Daher soll
sofort Meldung gemacht werden wenn ich auftauche, damit er
mich unschädlich machen kann und alle Erpressten von ihm
alte Konditionen zugesichert bekommen würden. Dass eine
solche Behauptung nur logisch sein kann, wenn er selbst der
Drahtzieher ist, liegt wohl auf der Hand, denn wie könnte er
gegen den Willen meiner scheinbaren Hintermänner so etwas
garantieren. Wie ich ihn jage, so hat er jetzt seine Späher
beauftragt, um mich zu finden, damit er der Schnellere ist.
Wenn es umgekehrt mir gelingen sollte, den Kopf zu
zermalmen bräuchten einige Mitglieder des Polizeicorps keine
weiteren Erpressungen befürchten und andere bekämen auch
keine Zuwendungen mehr, um den Rest der Truppe zu
schützen. Der Mann, ich weiß nicht wie er sich hier nennt,
rennt herum und verteilt Bilder von mir bei Ihnen den
Erpressten, um Sie zu einer breiten Front der Jäger zu
vereinen. Ihr Mann ist zu ängstlich etwas zu unternehmen und
234
ich hätte ihm Unrechtes antun müssen, um ihn daran zu
hindern den Mann anzurufen. Wollen Sie mir helfen den
Mann unschädlich zu machen?“
Die Frau hatte mich die ganze Zeit sehr intensiv beobachtet
und ruhig zugehört. Ihr Mann hatte aufgehört zu Bibbern. Die
Kraft und die ruhige Ausstrahlung der Frau schienen ihn zu
beruhigen. Sie hatte auch längst bemerkt, dass ich die Pistole
zwar immer noch in der Hand hatte, aber keinen direkt
bedrohte. Sie fragte nur ganz ruhig: „Und wie können wir
dabei helfen?“
„Es gibt verschieden Wege. Der erste wäre, dass Sie ihr
Auto besteigen und ganz weit weg in Urlaub fahren und mir
versichern, dass Sie den Mann nicht anrufen. Wie nennt er
sich hier eigentlich“, fragte ich den Mann.
„Walter Schiewerski“, sagte der Mann sofort.
„Walter Schiewerski ist sein Zwillingsbruder und betreibt
drüben in Monschau ein kleines Transportunternehmen. Der
Mann hier ist Viktor Schiewerski und hat letztes Jahr seinem
Bruder Walter ein Auge ausgeschlagen, nur weil der hilflos mit
ansehen musste, wie er mit einem Komplizen zusammen eine
Frau immer wieder vergewaltigt und schließlich erdrosselt hat.
Walter ist auch mit einer netten kleinen Frau verheiratet, Ihrer
Frau ganz ähnlich und Viktor hat gedroht, dass es ihr so
ergehen wird wie dem Mädchen, wenn er jemals einen Ton
sagen würde. Das nur zu Person des Mannes vor dem Sie
nicht zu Unrecht Angst haben.“
Der Mann hatte wieder angefangen zu zittern.
Die Frau stieß ihren Mann an und sagte mit ziemlich rauer
Stimme: „Der Mann der mich vergewaltigt, muss noch
geboren werden. Eher sterbe ich sofort, aber ich würde ihn
bestimmt gehörig verletzen. Ich bin schließlich
Vizeweltmeisterin bei den Judoka.“
Ich ließ sie in dem Glauben, sich verteidigen zu können.
Aber gegen Profis, vor allem mit Pistolen, hat gemeinhin
keine Sportlerin eine Chance.
235
„Und welches wären die anderen Alternativen“? fragte sie.
„Da kommt es darauf an, ob Sie genügend Freunde in der
Branche besitzen, die den gleichen Wunsch haben, sich von
der Seuche der Schutzgelderpressung zu befreien. Oder ob Sie
wirklich vertrauenswürdige Polizisten kennen.“
„Wie viele Freunde müssten es sein?“
„Drei, vier oder fünf, je mehr um so besser.“
Sie zählte ihre Freunde in der Branche an den Fingern
zusammen. Sie kam immerhin auf fünf, von denen sie glaubte,
dass sie aktiv mitmachen würden.
„Wären diese Personen stark gefährdet?“
„Ungefährlich ist es nicht, denn wenn ich dabei verletzt
oder getötet würde, wäre der Druck auf Sie und Ihre Freunde
demnächst unerträglich hoch.“
Ich hatte meine Pistole längst wieder im Gürtel verstaut
und sah die Frau weiterhin direkt an. Ihr Mann zitterte immer
noch neben ihr.
„Wie viele Eintreiber sind Ihnen vom Ansehen bekannt?
Kommt Schiewerski allein wenn er Geld kassiert, oder tritt er
mit Mannschaft an? Haben Sie eine Ahnung, wie groß die
Gang ist, mit der er arbeitet? Und wo sollen Sie ihn
benachrichtigen?“
„Er kommt meistens allein. Früher war auch immer ein
älterer, weißhaariger Mann dabei, aber in der letzten Zeit nicht
mehr. Den nannte er Möbius. Weitere Leute haben wir noch
nie gesehen. Ich weiß es nicht“, sie sah dabei Ihren Mann
dabei Hilfe suchend an.
„Der Andere ist außer Gefecht. Den habe ich schon
unschädlich gemacht. Habt Ihr einen Stadtplan von hier, in
dem wir die Standorte Eurer Freunde einzeichnen könnt?“
Die Frau nickte und fragte mich ob ich etwas trinken
möchte, Kaffee oder so etwas. Dem Mann war immer noch
nicht geheuer aber jetzt schien er immerhin etwas
zuversichtlicher als vorhin. „Mineralwasser aus der Flasche,
Danke“, beantwortete ich Ihre Frage. Sie war aufgestanden
236
und eilte aus dem Zimmer. Sie hätte jetzt Gelegenheit gehabt,
Viktor anzurufen, wenn sie es gewollt hätte. Sie kam aber sehr
rasch wieder zurück, stellte eine Flasche Mineralwasser bereit
und breitete den Innenstadtplan aus und fing an, die einzelnen
Lokale einzuzeichnen.
„Gibt es eine Möglichkeit meinen Wagen auf dem
Grundstück Ihres Lokals zu parken, wo er nicht sofort
auffällt“? fragte ich weiter.
Jetzt sagte der Mann zum ersten Mal etwas: „Ja, auf dem
Hof und ich soll eine Handynummer anrufen.“
Ich hatte in der Zwischenzeit meinen Plan zurecht gelegt,
der darauf basierte, dass ich dem Ehepaar vertrauen musste.
Ich begab mich in völlige Abhängigkeit von der Loyalität der
Leute, aber dieses Risiko wollte ich eingehen. Außerdem
wussten sie nicht, ob ich nicht weitere Helfer zur Verfügung
haben würde.
„Können die Lokale, die von Ihren Freunden betrieben
werden schon um Mitternacht geschlossen werden? Ohne
dass dieses Schiewerski auffallen würde, wenn er sich in der
Stadt rumtreibt“? fragte ich, nachdem ich einen Blick auf den
Plan geworfen hatte.
„Nur dieser nicht“, sagte die Frau und deutete auf die
Markierung, die dem eigenen Lokal am nächsten lag, „der ist
normal am längsten geöffnet. Ist ein Sexclub.“
„Okay, dann müssen wir ohne den Auskommen“, entschied
ich, „haben Sie eventuell weitere Freunde, die nur anwesend
sein müssten, um zu signalisieren, dass noch Betrieb in Ihrem
Lokal ist, wenn ich ihn dort hinlocken möchte?“
Jetzt grinste die Frau. „Wenn Sie ein gefülltes Lokal haben
möchten, brauchen wir die Freunde aus der Branche nicht.
Wie man seine Gäste im Lokal hält, weiß ich schon.“
„Nein, wir brauchen schon Ihre Freunde, denn ich möchte
folgendermaßen vorgehen und dazu ist es wichtig, dass mir
nicht durch einen dummen Zufall ein Unbeteiligter durch
mein Schussfeld laufen kann, wenn es nötig sein würde von
237
der Pistole gebrauch zu machen. Es bedarf einer vorher genau
festgelegten Regie, damit ich genau weiß, wer sich wann, wo,
an welchem Platz aufhält. Die Gäste im vorderen Raum
dürfen ab dem Zeitpunkt, ab dem mit dem Erscheinen
Schiewerskis zu rechnen ist, auf keinen Fall in den hinteren
Raum. Noch nicht einmal zur Toilette. Verstanden?“
„Ja, ist keine Schwierigkeit, denn wir haben die eine
Toilettenanlage direkt vom Hauptraum vorne, und eine zweite
für die Spieler hinten. Das kann ich arrangieren, dass hinten
nur Eingeweihte sitzen. Als geschlossenen Gesellschaft so zu
sagen. Wirteversammlung!“
„Ich werde mich in der Besenkammer links hinter der
Wand im Hinterzimmer verbergen. Der Raum ist so tief wie
die Thekenanlage im vorderen Raum, also müsste ich
genügend Platz haben. Die Tür wird soweit offen stehen, dass
er mich nicht sehen kann, wenn er in den hinteren Raum
kommt. Das gibt mir die Gelegenheit ihn seitlich oder von
hinten anzugreifen. Ihr Mann wird sich im Spielzimmer
aufhalten. Die Tür wird nur soweit geöffnet sein, dass
Schiewerski erkennen kann, dass er sich darin befindet. Er
wird auf einen imaginären Besucher einsprechen. In deutscher
Sprache. Das wird bei Schiewerski den Eindruck erwecken,
dass er mich dort im Gespräch festhält. Sie haben ihm durch
Zeichen oder durch kurzen Zuruf zu verstehen gegeben, dass
ich mit Ihrem Mann hinten bin. Die Feuertür auf der
Rückseite des Hauses, die zum Hof führt, muss verriegelt sein,
damit er nicht von hinten kommen kann, wenn er sich das
ausgedacht hat. Wenn Ihre Freunde, die Sie nachher noch
anrufen müssen, versammelt sind und ich in Position
gegangen bin, rufen Sie Schiewerski an und sagen nur, dass
der Gesuchte bei Ihnen im Lokal ist und legen ganz schnell
wieder auf. Wenn ich Schiewerski überrumpelt habe, werde
ich ihn fesseln und in meinen Wagen bringen, den ich vorher
im Hof versteckt habe. Dazu muss die Feuertür schnell wieder
geöffnet werden und Jemand muss das Hoftor für mich
238
öffnen, damit ich sofort vom Grundstück fahren kann. Je
weniger Aufmerksamkeit wir bei den übrigen Gästen erregen
umso besser, denn ich brauche einen guten Vorsprung und
kann keine Polizeiverfolgung gebrauchen. Wenn ich ihn nicht
den deutschen Behörden ausliefern kann, weiß ich nicht wie
er sich auf holländischer Seite herausreden könnte. Und seine
Rache würde fürchterlich sein.
Ist das soweit verständlich?“
Sie bejahten. Wir gingen das ganze Vorgehen noch drei Mal
durch und dann machte ich mich auf den Weg, den
Mietwagen wieder abzugeben, meine Sachen zu packen und
aus dem Hotel mit meinem Kölner Wagen zu verschwinden.
Auch dies musste möglichst unauffällig passieren, denn ich
wusste nicht, ob er nicht auch dort bezahlte Spitzel hatte.
Bisher war ich jedenfalls nicht aufgefallen, denn sonst hätte er
mich bestimmt schon eliminiert. Es klappte an diesem
Nachmittag alles, wie ich es mir vorgestellt hatte. Mein
Gepäck hatte ich mit dem Fahrstuhl direkt in die Parkgarage
des Hotels geschafft und hatte an der Rezeption nur ein
Ausfahrticket verlangt, als wenn ich eine kurze Spritztour
unternehmen wolle. Dann war ich hinausgefahren und hatte
kurz vor dem Lokal die Inhaberin angerufen. Sie hatte mir
bestätigt, dass bisher alles ruhig geblieben war, und dass
Schiewerski bisher nicht wieder aufgetaucht sei. Ihre Freunde
hatte sie benachrichtigt und die hatten zugesagt bis spätestens
Mitternacht anwesend zu sein. Ihr Mann würde gleich die
Hofeinfahrt öffnen und ich solle am besten rückwärts dort
hineinfahren und durch die rückwärtige Tür hineinkommen.
Wir könnten dann im Spielzimmer zusammensitzen.
Ohne aufzufallen war ich vorgefahren und hatte von hinten
das Lokal betreten und saß mit dem Mann hinten, trank
Kaffee und hatte von der Frau etliche Waffeln bekommen, so
dass auch mein Hunger gestillt war. Der Mann erzählte vom
Anfang der Erpressungen und von der Brutalität mit der
Schiewerski vorgegangen war, wenn sich Jemand weigerte zu
239
zahlen. Er hatte scheinbar nur um die asiatischen Lokale einen
großen Bogen gemacht, denn dann hätte er sich mit den
bestens organisierten Banden, die ihren Hauptsitz in
Amsterdam und Rotterdam hatten, anlegen müssen. Es
herrschte zwischen uns inzwischen eine fast entspannte
Atmosphäre. Und dann kam alles anders als ich es geplant
hatte. Zunächst kam ein junger Mann, den die Inhaberin
freundlich hereinführte und nur sagte, dass er der Sohn einer
ihrer Freunde wäre. Er war etwa Mitte zwanzig, groß und
kräftig gebaut und machte einen fitten Eindruck. Nachdem er
vollständig in den Plan eingeweiht war, war er begeistert, denn
er hatte mit seinem Bruder schon mehrfach gegen Schiewerski
vorgehen wollen, aber war immer wieder von seinen
besorgten Eltern ausgebremst worden. Er wollte schon
loslaufen, um aus seinem Sportclub noch Kameraden
organisieren, die uns unterstützen sollten, aber diesmal
bremste ich ihn. Ich wollte so wenig wie möglich mit meiner
Aktion auffallen, denn ich plante immerhin eine Entführung,
für die ich mich nicht vor holländischen Gerichten
verantworten wollte. Von Amtsanmaßung einmal ganz
abgesehen.
Wir waren aus dem Spielzimmer in den hinteren Teil der
Gaststätte getreten, wo ich dem jungen Mann meine Position
erklärte und ihn bat auf der anderen Seite des Raumes später
zu sitzen, damit er Schiewerski ebenfalls von hinten angreifen
könne. Er wurde mit dem üblichen Schlagholz bewaffnet, das
Wirte gerne gegen allzu renitente Gäste einsetzt, wenn sie
partout nicht gehen wollen. Wir diskutierten noch leise in
deutscher Sprache, als wir die Frau vorne aufschreien hörten.
Dann die kurzen holländischen Worte: „Er ist da und du hast
es nicht gemeldet. Das wirst du noch bereuen, du blöde
Schlampe.“
Dann kam er auch schon durch den Torbogen gestürmt
und hatte dabei eine Pistole herausgerissen und war auf dem
Weg zum Spielzimmer. Unsere Schlagstöcke, die wir immer
240
noch in Händen gehalten hatten, sausten auf seinen
Hinterkopf und er brach lautlos zusammen. Ich sammelte die
Pistole ein, die ihm entglitten war, und zerrte ihn an den
Beinen wie einen Kohlensack hinter mir her, ins Spielzimmer.
Mit Kabelbinder, die ich mir am frühen Nachmittag noch in
einem Baucenter besorgt hatte, fesselte ich seine Hände auf
dem Rücken und auch seine Füße wurden verschnürt. Ich
ging in den Gastraum und bestellte für alle Gäste sichtbar eine
Runde Bier und Schnaps, bat die Wirtin um ein Geschirrtuch,
das ich gleich mit nach hinten nahm. Hiermit knebelte ich
Schiewerski. Als die Wirtin mit der Runde auf dem Tablett
kam, fragte ich sie: „Ist was aufgefallen?“
„Nein die glauben sicherlich, dass der hereinstürmende
Mann im Spielzimmer Krach machen wollte. So etwas passiert
schon manchmal. Da kümmern sich die Typen da vorn nicht
weiter drum.
Ich ging in den Hof und rief Wiesel an und berichtete von
dem Erfolg der Mission. Ich sagte ihm auch, dass ich auch
Schiewerski nach Bremen bringen wolle, damit man ihm dort
den Prozess wegen des Mordes an Möbius machen könne.
„Ist gut, aber ob das der beste Ort für einen Prozess ist
weiß ich nicht. Dr. Keller ist tot. Man hat ihn tot in seiner
Zelle gefunden, berichtete mir mein Gewährsmann.
Todesursache noch unbekannt. Dir wirft man Beseitigung von
Spuren und Unterschlagung von Beweismitteln vor, aber sie
müssen noch etwas gegen dich in der Hand haben, denn das
allein würde nicht ausreichen, um dich ganz oben auf die
Fahndungsliste zu bekommen. Wir konnten aber immer noch
nicht feststellen, was es ist. Pass also auf dich auf. Eva macht
weitere Fortschritte. Komm bald zurück.“
Zurück im Lokal sagte ich zu den Inhabern: „Sie sollten
Ihre Versammlung um Mitternacht dennoch abhalten. Sie
sollten beschließen, dass Sie endlich gemeinsam gegen die
Erpresser vorgehen wollen und daher eine gemeinsame
Anzeige bei der Polizei aufgeben. Sie haben endlich
241
herausgefunden, wo die Gang ihren Hauptsitz hat und die
Polizei sollte dort eine Razzia veranstalten. Sie sichern der
Polizei zu, alle als Zeugen zur Verfügung stehen.“
Ich deutete auf den jungen Mann, der mich so schlagkräftig
unterstützt hatte, und bat ihn Schiewerskis Wagen vor der
Adresse der „Oostman – Handels S.A.“ abzustellen. Ich gab
ihm meine Latexhandschuhe und sagte ihm, dass er sie tragen
solle, wenn er den Wagen dort hinfahren würde. Die Polizei
dürfe keine Spuren vom ihm feststellen können, damit er
nicht nachträglich hineingezogen werden könnte. Sie sollten
aber erst nach einer gemeinsamen Sitzung nach Mitternacht
die Anzeige aufgeben, damit ich genügend Zeit hätte mit dem
Gefangenen außer Landes zu kommen. Sie versprachen es.
Dann packte ich das Packet „Schiewerski“ in den
Kofferraum, überzeugte mich, dass er Luft bekam und ging
auf meine Reise nach Norddeutschland. Sie verlief ohne
Zwischenfälle. Kurz hinter der Grenze hatte ich Schiewerski
aus dem Kofferraum geholt und unter einer Decke auf dem
Rücksitz deponiert. Bei Dortmund tankte ich nochmals und
überzeugte mich dass Schiewerski noch lebte. Er war in der
Zwischenzeit wieder zu sich gekommen und gab röchelnde
Laute von sich und funkelte mich mit mörderischem Blick an.
Ich zog einfach die Decke wieder über ihn und fuhr weiter.
An der Autobahnraststätte hinter dem Ahlhorner Dreieck
fuhr ich auf ein Raststättengelände und benutzte den letzten
Parkplatz vor der Ausfahrt und schleifte Schiewerski in das
dort
wachsende
Gesträuch.
Der
Krach
der
vorüberdonnernden Laster und Pkws würde das Stöhnen des
Geknebelten übertönen und dies war auch kein Platz, den sich
Liebespaare für ein schnelles Vergnügen suchen würden.
Dann fuhr ich wieder auf die Autobahn über die nächste
Abfahrt, die nur etwa Dreihundert Meter entfernt war, drehte
fuhr wieder Richtung Osnabrück auf das Raststättengelände
der Gegenüberliegenden Seite. Beide Raststätten waren mit
einer Brücke direkt verbunden und ich ging zu Fuß darüber
242
und verkroch mich oberhalb des Ortes, wo ich Schiewerski
abgelegt hatte und telefonierte mit der Mordkommission.
Wieder hatte ich nur Frau Amelungen am Gerät. Ich
beschrieb ihr, wo sie Schiewerski finden könne und legte auf.
Dann wartete ich.
Es dauerte über eine halbe Stunde, bis ich den Polizeiwagen
herannahen hörte. Er fuhr aus Richtung Bremen kommend an
der Abfahrt aus und tauchte wenig später auf der Brücke der
Rastanlage wieder auf und raste schlingernd zum letzten
Parkplatz. Ein großer, beleibter, uniformierter Polizist kam
aus dem Wagen und bewegte sich zielsicher zu der Stelle, wo
Schiewerski lag. Er hatte seine Dienstwaffe gezogen. Dann
hörte ich das Knipsen einer Zange und die Worte: „ Lauf los,
du Arschloch.“ Dann tauchte Schiewerski plötzlich auf der
Ausfahrt auf und der Polizist brüllte: „Halt, stehen bleiben,
oder ich schieße.“
Der Kollege des Polizisten war inzwischen ebenfalls aus
dem Wagen gestiegen und hatte seine Pistole gezogen.
Schiewerski rannte im Zickzack nahe den Büschen auf der
Auffahrt in Richtung Autobahn und wollte wohl um den
Brückenpfeiler rennen um außer Sichtweite der Polizisten zu
kommen. Dann bellten die Schüsse. Beide Polizisten
schossen. Schiewerski wurde in den Rücken getroffen und aus
dem Gebüsch kam ein weiterer Schuss und der Kopf des
Mörders zerbarst. Schiewerski fiel nach vorne und blieb leblos
auf der Ausfahrt liegen.
Der jüngere Polizist, der zuletzt ausgestiegen war, hielt
immer noch die Waffe in seinen Händen, die er entsetzt vor
sein Gesicht geschlagen hatte. Der Dicke war inzwischen
wieder aus den Büschen hervorgetreten und ging mit auf ihn
gerichteter Waffe auf den am Boden liegenden Mann zu.
Beleuchtet wurde die ganze Szene, durch die Scheinwerfer des
Streifenwagens und den rotierenden Blaulichtern auf dem
Dach des Wagens. Aus der Raststätte strömten Menschen und
wollten sehen, was passiert war. Ich hatte mehr als genug
243
gesehen und vor Allem gehört. Ich merkte mir das Gesicht
des Dicken sehr genau.
Zwei Minuten später rasten weitere Einsatzwagen auf das
Gelände der Raststätte. Diesmal waren auch die grauen
Limousinen der Mordkommission dabei. Aus einem
Mannschaftswagen strömte eine Anzahl von Polizisten, die
sofort mit Absperrmaßnahmen begannen. Ein großer Mann in
dunklem Anzug und eine Frau in einem sportlichen Kostüm
eilten hinüber zu dem am Boden Liegenden und die Frau
kniete neben ihm und fühlte am Hals nach dem Puls. Sie
schaute nach oben und schüttelte resignierend den Kopf.
Das waren also Waldtmann und Amelungen. Wieso konnte
der Streifenwagen aus Bremen mit dem mörderischen
Beifahrer als Erste am Tatort sein? Warum waren nicht die
Kollegen der Autobahnpolizei, die dreihundert Meter weiter
ihren Standort hatten, angerückt? Sie hatten bei meiner
Standortwahl, wo ich Schiewerski abgelegt hatte, eine
entscheidende Rolle in meinen Überlegungen gespielt. Wenn
sie eingeschaltet worden wären, hätte nicht ein derartiges
Desaster passieren können. Dann wäre Schiewerski mit
Sicherheit noch am Leben und hätte auch zu den
Korruptionsfällen in der Stadt aussagen können. Gehörte die
Mordkommission ebenfalls zu den korrupten Elementen
innerhalb der Polizei?
Ich prägte mir die Gesichter der Polizisten und von
Waldtmann und der Frau tief ein und ließ mich von den
absperrenden Beamten langsam zurückdrängen.
Meine Niedergeschlagenheit kannte keine Grenzen. In
welch einem Sumpf watete ich nur?
Ich fuhr nicht in meine Wohnung, sondern direkt zu einem
Club, außerhalb der Stadt, wo ich den Besitzer gut kannte.
Hier betrank ich mich sinnlos und erwachte erst spät am
nächsten Morgen auf einem Bett im Hinterzimmer wieder.
Mit fürchterlichem Kater. Ich starrte mit glasigen Augen in
244
den blinden Spiegel und ich ekelte mich vor meinem eigenen
Spiegelbild.
Dann fuhr ich endlich nach Hause. In den
Regionalnachrichten hatten sie die Ereignisse zu jeder vollen
Stunde gebracht. Der mutmaßliche Mörder Viktor
Schiewerski war an der Autobahnraststätte Wildeshausen
gestellt, und nach heftigem Schusswechsel mit der Polizei
erschossen worden. Die Ermittlungen gegen ihn, der unter
den verschiedensten Tarnnahmen gelebt hatte, waren noch
nicht abgeschlossen. Es gäbe Hinweise darauf, dass er im
Südholländischen Raum sowohl einen Pornoring, als auch
einen Ring zur Schutzgelderpressung geleitet hatte. Dort hatte
er sich dem Zugriff der Polizei entziehen wollen und war auf
dem Wege zurück in die Hansestadt gewesen, wo er unter der
falschen Identität eines vor mehreren Tagen ebenfalls
verhafteten Dr. Keller einen Unterschlupf gehabt hätte. Der
eigentliche Dr. Keller, ein ehemals angesehener
Kunsthistoriker hatte sich angesichts der gegen ihn
gerichteten Anschuldigungen in der Untersuchungshaft selbst
getötet. Ermittlungen über die Umstände des Freitodes und
eventuellen Verwicklungen in die Geschäfte des gestern
Erschossenen in Holland liefen auf Hochtouren. Von einem
Privatermittler Teufel war nichts erwähnt worden.
Ich hatte etwa zwei Stunden in der Badewanne verbracht
aber fühlte mich immer noch schmutzig. Erst gegen 15 Uhr
wagte ich es Wiesel anzurufen. Meine Stimme war immer
noch kratzig als ich mich meldete.
„Wo zum Teufel bist du, Teufel?“
„Zuhause. Ich habe mit ansehen müssen, wie man Viktor
Schiewerski hingerichtet hat. Du glaubst doch nicht im Ernst,
dass ich ihm eine Pistole in die Hand gedrückt habe, um ihn
auf Polizisten ballern zu lassen. Seine Hände waren noch mit
Kabelbinder auf den Rücken gefesselt, als er los gelaufen ist.
Die Fußfesseln hatte der Polizist zerschnitten damit er
überhaupt wegrennen konnte. Man hat auch nicht die
245
Autobahnpolizei, die keine dreihundert Meter von dem Ort
ihre Station hat, benachrichtigt. Man hat extra aus Bremen ein
Kommando gesandt. Die Mordkommission ist erst zwei
Minuten später eingetroffen. Ich habe es mit angesehen!“
„In Holland ist der ebenfalls die Hölle los. Ein ganzer
Stadtteil hat scheinbar Anzeigen gegen Schiewerski und seine
Helfer erhoben. Meine Informanten kommen nicht mehr
nach, was da an Gerüchten und Meldungen durchkommt. Sie
sollen sogar Belastungsmaterial gefunden haben, dass hohe
Beamte der Stadtverwaltung Maastrichts an den Schutzgeldern
mitverdient haben. Was hast du wieder für Lawinen
losgetreten?“
„Ich muss wissen, was hier in Bremen los ist. Jagen Sie
mich immer noch?“
„Du stehst immer noch auf der Fahndungsliste, wenn du
das meinst; aber sie haben scheinbar im Moment andere
Probleme. Ein Staatsanwalt Schmücker scheint viel Wirbel zu
machen.“
„Ja, der ist wirklich in Ordnung; aber ob er sich gegen ganz
oben durchsetzen kann, dürfte fraglich sein. Und es gibt
Beweise, dass es bis in die oberste Spitze reicht.“
„Woher weißt du das?“
Es gibt ein hübsches Video, das den Justizsenator bei
Liebesspielen mit Eva und Virginia zeigt“, sagte ich bitter.
„Und das hast du?“
„Ja, leider.“
„Und was willst du damit machen?“
„Ich weiß es noch nicht. Ich werde es gleich mit der Post
an dich aufgeben. Es muss auf jeden Fall hier aus dem Haus.
Ich will versuchen, mich mit dem Waldtmann und der
Amelungen zu arrangieren. Ich hoffe, dass die sauber sind. Ich
versuche zunächst Informationen über sie zu bekommen.
Vielleicht kann Schmücker mir dabei helfen. Ich kenne ihn.“
„Aber bitte besauf dich nich wieder. Mit Eva geht es jetzt
schon wieder bergauf, also stürz du jetzt nicht ab. Lass dich
246
nicht von Rachegelüsten leiten und nicht von Selbstmitleid
überrollen. Was du jetzt nicht erreicht hast, kannst du
vielleicht in der nächsten Zeit aufarbeiten. Das geht aber nur
mit kühlem Kopf. Überlege dir etwas.“
Ich bedanke mich für seinen Rat und hatte schon eine Idee.
Ich brauchte dringend frische Luft und daher machte ich
mich auf den Weg und fuhr erneut an die Raststätte an der
Autobahn. Der Ort des Geschehens war nicht mehr
abgesperrt, aber es standen viele Menschen in der Nähe, um
einen echten Tatort zu bewundern. Allein das konnte mich
schon wieder in Rage bringen. Ich war wieder über die Brücke
gegangen und hatte wieder den Standort besucht, von wo aus
ich gestern das Geschehen beobachten konnte. Ich
rekonstruierte jede Sekunde des Geschehens und hatte immer
wieder die Worte des dicken Polizisten nach dem Klicken der
Zange im Ohr. Ich wusste, dass ich mich nicht getäuscht
hatte, denn als ein Neugieriger dort unten eine Münze verlor,
konnte ich das Geräusch des aufprallenden Geldstückes auf
das Pflaster trotz des rauschenden Nachmittagsverkehrs
deutlich wahrnehmen. Ich spazierte noch eine halbe Stunde
durch den angrenzenden Wald, dann hatte ich genug frische
Luft getankt und mein Plan stand. Zurück zum Auto rief ich
Schmücker an, der gerade aus einer Krisensitzung gekommen
war und einen äußerst angespannten Eindruck am Telefon
machte. „Nennen Sie keinen Namen, sondern beantworten
Sie meine Fragen nur mit ja oder nein. In Ordnung?“
„Ja.“
„Halten Sie Amelungen und Waldtmann für sauber?“
„Ja.“
Wollen Sie mehr Informationen über die tatsächlichen
Ereignisse?“
„Ja.“
„Können Sie ein Treffen um 19 Uhr gemeinsam mit
Amelungen und Waldtmann im „Alten Friederich“
247
arrangieren? Ich würde dann dort hinkommen. Aber nur wir
vier?“
„Ich müsste es versuchen.“
„Ja, oder nein.“
„Ja.“
„Wir sehen uns. Fragen Sie nach einem bestellten Tisch auf
Ihren Namen.“, damit hatte ich aufgelegt. Ich hatte bewusst
dieses alte Lokal unweit der Justizbehörden und des
Polizeihauses gewählt, weil ich wusste, dass es ein Treffpunkt
vieler alter Bremer Kaufmannssenioren und Leuten aus der
nahe gelegenen Baumwollbörse war, aber dass keine
Polizeibeamten dort verkehrten. Außerdem verfügten sie über
einen winzigen Nebenraum, der lediglich Platz für sechs
Personen bot, und den wollte ich mir reservieren. Ich ließ
meinen Wagen jenseits des Flusses stehen und ging über die
Brücke und tauchte in den ältesten Teil der Hansestadt ein.
Ich bekam den Raum und setzte mich mit einem Schreibblock
bewaffnet nieder, bestellte von der Tageskarte die Spezialität
des Hauses und ein großes Bier und fing an, meine Gedanken,
Beobachtungen, Ermittlungen und Beweise schriftlich
niederzulegen. Ich unterbrach die Arbeit nur, als mein Essen
kam, aß, und schrieb weiter.
Als erste erschien Frau Amelungen und fragte nach der
Reservierung für Herrn Schmücker und blieb abwartend,
fragend im Torbogen stehen als sie mich am Tisch sitzen sah.
„Kommen Sie näher Frau Amelungen, Sie sind hier
richtig.“
Sie zuckte zurück, denn sie hatte meine Stimme sofort
erkannt und wollte sich auf dem Absatz umdrehen, als ich
sagte: „Nein, Sie sind hier bestimmt richtig. Schmücker und
Waldtmann müssen auch jeden Augenblick hier sein. Und Sie
wollen doch weitere Aufklärung, oder?“
„Teufel? Wir suchen Sie überall.“
248
„Vielleicht versuchen Sie es Nächstens Mal bei mir zu
Hause. Dort gibt es eine Klingel und außerdem verfüge ich
über Telefon.“
Sie starrte mich mit offenem Mund an und meinte dann:
„Sie waren zu Hause?“
Dann fing sie an zu Lachen und prustete: „Nicht zu fassen,
wir machen die ganze Republik einschließlich der
Nachbarstaaten Holland und Belgien mit unseren
Fahndungsersuchen verrückt, und kein Mensch kommt auf
die Idee, bei Ihnen zu Hause nachzuschauen.“
Sie setzte sich mir gegenüber, konnte nicht aufhören zu
Lachen und streckte mir ihre Hand entgegen. Sie hatte einen
guten, festen, warmen Händedruck. Wir schüttelten noch
einander die Hände, als Waldmann und Schmücker
auftauchten. Waldtmann knurrte beim Hereinkommen:
„Händchenhalten mit einem Gesuchten, so geht das aber
nicht Frau Kollegin.“
Schmücker streckte mir die Hand hin und entschärfte die
Situation als er sagte: „Hallo, Teufel, schön Sie zu sehen.
Zuverlässlich waren Sie schon immer. Danke für Ihr
Kommen.“
Ich streckte auch meine Hand gen Waldtmann aus und er
ergriff meine Hand fest und sagte: „Teufel, eigentlich sollte
ich Sie sofort hier verhaften. Ich glaube wir haben sehr viel zu
bereden.“
„Das ist der Grund unseres Treffens, aber wir sollten uns
etwas zu Trinken bestellen, dass hat man hier im Hause
lieber.“
Die Bedienung stand schon im Türrahmen und lächelte
über meine Worte. Frau Amelungen bestellte einfach für uns
Alle, indem sie sagte: „Eine Runde Bier und Schnaps, und
bitte schnell, ich verdurste.“
Waldtmann bedachte sie wieder mit einem missbilligenden
Blick, aber sie achtete nicht darauf und ich wandte mich an
Schmücker und mein Ton fiel wesentlich schärfer aus, als ich
249
es gewollt hatte, und ließ dadurch alle Anwesenden
zusammenfahren.
„Schmücker, Sie wissen, dass es in Ihrer Behörde Sumpf
ohne Ende gibt! Angefangen in der obersten Spitze bis
hinunter zu Streifenwagenbesatzungen. Sie wissen es, aber es
liegt nicht in Ihrer Macht, vernünftig dagegen anzugehen.
Wenn jetzt aber noch von mir entlarvte Verbrecher, die
Morde begangen haben, unter den Augen der Abteilung
„Bedrohung gegen Leib und Leben“ aus dem Weg geräumt
werden, weil Sie über die Schandtaten dieser Staatsdiener
bescheid wussten und am Sprechen gehindert werden
mussten, dann geht das endgültig zu weit. Wenn Sie sich nicht
bis an Ihr Lebensende verarscht fühlen wollen, Frau
Amelungen und Herr Waldtmann, dann ist es an der Zeit, den
Sumpf trocken zu legen. Und ich habe jede Menge Beweise.“
Sie waren alle blass geworden. Die Bedienung, die mit den
Getränken kann, verschaffte allen eine Verschnaufpause.
Auch mir, denn ich war eigentlich über mein Ziel
hinausgeschossen.
Waldtmann war es, der mich über den Tisch hinweg
anknurrte: „Teufel wir wissen, dass es gestern Abend nicht
mit rechten Dingen zugegangen sein kann und auch der
Todesfall von Dr. Keller gibt uns mächtige Rätsel auf, aber für
Beschuldigungen, die Sie erheben, werden Sie keine Beweise
erbringen können. Also, was soll der ganze Mist?“
„Erstmal Prost, und dann lassen Sie Herrn Teufel reden“,
ließ sich Frau Amelungen vernehmen. Wir griffen nach
unseren Gläsern und kippten den Schnaps, und auch die
Biergläser wurden fast leer. „Bringen Sie noch eine Runde“,
rief Frau Amelungen der vorbeieilenden Bedienung zu, um
dann wieder voll konzentriert auf mich zu schauen.
„Ich war gestern Abend Augenzeuge einer Hinrichtung.
Der junge Beamte hat aus Angst ebenfalls gefeuert. Er hat
Schiewerski in den Rücken getroffen. Der Ältere hatte vorher
Schiewerski in dem Gebüsch, wo ich ihn deponiert hatte, die
250
Fußfesseln durchschnitten und im befohlen, ich wiederhole
jetzt wortwörtlich „Lauf los, du Arschloch.“ Dann stürzte der
immer noch mit Händen auf dem Rücken gefesselte
Schiewerski los in Richtung Autobahn. Der Dicke rief ihm
nach: „Stehen bleiben, oder ich schieße“. Eine ordentliche
polizeiliche Aufforderung. Schiewerski taumelte aber weiter
und der Dicke schoss. Nicht etwa Warnschüsse in die Luft,
sondern gezielt in den Rücken. Erst als der junge Beamte auch
schoss, setzte er zum finalen Schuss an, und der muss sehr
genau auf den Kopf gerichtet gewesen sein, denn Schiewerski
strauchelte schon, als dieser Schuss fiel. Man braucht große
Erfahrungen um einen Kopfschuss anzusetzen, wenn das
Opfer schon in der Vorwärtsbewegung stolpert. Das war kein
Zufallstreffer und kein unglücklicher Treffer, das war eine
Meisterleitung eines mit Sonderausbildung trainierten
Kämpfers.“
Schmücker sah mich mit ohnmächtigen Grinsen an und
sagte dann: „Waldtmann erklären Sie es ihm.“
„Teufel, wir sind weitaus intelligenter als wir aussehen.
Genau die Vermutungen, dass das Geschehen so abgelaufen
ist, wie Sie es gesehen haben wollen, habe ich auch aufgestellt.
Aber Pustekuchen, der tödliche Kopfschuss stammt aus der
Waffe des jungen Beamten. Die Waffe war auf seinen Namen
an diesem Abend registriert. Er gab an, lediglich einmal
geschossen zu haben, aber es fehlten zwei Kugeln. Der andere
Beamte sagte aus, dass er ebenfalls nur einmal geschossen
hätte und noch nicht einmal sicher sei, ob er überhaupt
getroffen habe. Seine Sicht wäre noch durch das Gebüsch
derart schlecht gewesen, das er nicht sicher sein könne. Sie
haben eben selbst bestätigt, dass er noch aus den Büschen
heraus gefeuert hätte. Die ballistischen Untersuchungen haben
dies auch eindeutig bewiesen.“
Da war etwas falsch, das war klar. Aber was? Ich sagte das
auch. „Der Kopfschuss kam aus dem Gebüsch, die Kugel
muss auch von oben nach unten, von der rechten hinteren
251
Kopfseite eingedrungen sein, das müsste der Pathologe
feststellen können. Das Gebüsch liegt an einer Böschung und
liegt daher etwas höher als die leicht abfallende Ausfahrt. Ich
habe mir den Ort vor einer Stunde noch betrachtet. Wie es
zum Tausch der Pistolen kommen konnte, ist mir aber auch
noch nicht klar.“
Waldtmann sah mich zweifelnd an. „Sie stellen damit die
Behauptung auf, dass der Kollege, er nannte wohlweislich
keinen Namen, ein Mörder ist. Ein sehr schwerer Vorwurf!
Was wollen Sie damit bezwecken?“
„Ich bezwecke nichts! Ich stelle nur fest. Mir kann es nur
Recht sein, wenn der Staat Steuergelder spart und ein Mörder
seine gerechte Strafe erfährt; aber es passt mir nicht, dass ein
Einzelner sich als Richter und Henker aufspielen kann.
Außerdem ist so verhindert worden, dass Schiewerski
aussagen konnte, wie er als Möbius oder Dr. Keller ungestraft
durch Rückendeckung von hohen Beamten seine Untaten
begehen konnte. Die Hintergründe des Menschenhandels, des
Kindesmissbrauchs, der organisierten Prostitution, des
Betrugs am Sozialsystem, all diese Dinge, werden jetzt nicht
mehr aufgeklärt werden können. Und was ist mit Dr. Keller?“
„Der hat eine Zyankalikapsel dabei gehabt und sich
vergiftet.“
„Wenn der eine derartige Kapsel besessen hätte, dann hätte
er sie entweder früher benutzt oder sie wäre von Ihnen bei der
Verhaftung gefunden worden. Sie sind sich doch bestimmt
sicher, dass Sie nichts übersehen haben“, fragte ich
kampflustig über den Tisch. Waldtmann wollte aufbrausen,
aber Schmücker griff ein: „Die Verhaftung und die
Untersuchung des Gefangenen haben nichts derartiges
ergeben. Ich war selbst dabei.“
„Also muss ihm das Gift erst im Gefängnis verabreicht
worden sein. Und er hat es nicht freiwillig geschluckt, dazu
war er viel zu feige. Ich kann das beurteilen, ich habe ihn
verfolgt, beobachtet und habe ihn verhört. Er war nichts
252
weiter als ein feiges, altes, verdorbenes Schwein, das vor Angst
vor Schiewerski immer weiter in den Dreck geraten war.
Immer bemüht, sich anzupassen, klein zu machen, zu
kriechen, aber nicht, sich selbst umzubringen.“
Sie sahen mich alle Drei jetzt nachdenklich an und ich
bohrte weiter: „Sie müssen nur nachforschen, wer nach
Inhaftierung mit ihm Kontakt hatte. Die Vollzugsbeamten, die
verhörenden Beamten, die Staatsanwälte bei den Verhören,
oder weitere Personen die dabei waren. Eventuelle ärztliche
Besuche oder Anwälte. Selbst Kalfaktoren im Gefängnis
dürfen nicht vergessen werden.“
Schmücker und Waldtmann stöhnten gleichzeitig auf.
„Haben Sie schon Mal versucht einen Todesfall im Gefängnis
aufzuklären?“
„Nein, und ich beneide Sie auch nicht um die Aufgabe und
ich weiß, dass es wahrscheinlich nicht möglich sein wird; aber
versuchen Sie wenigstens den Verantwortlichen soviel Feuer
unterm Hintern zu machen, dass sie unruhig werden.
Vielleicht machen sie dann Fehler und entlarven sich selbst.“
Wütend schlug Schmücker mit der flachen Hand auf den
Tisch. „Das ist ja die Schande. Es gibt nichts mehr zum
Nachforschen. Der Todesfall wurde auf Befehl des
Oberstaatsanwaltes zu den Akten gelegt. Waldtmann und ich
haben einen Rüffel bekommen, weil wir die Giftkapsel nicht
entdeckt hatten, und der untersuchende Amtsarzt, der Keller
bei der Einlieferung untersuchte, ebenfalls. Der Fall ist kein
Fall mehr Teufel. Aus und vorbei.“
Die Bedienung hatte erschrocken in den Raum geschaut
und Frau Amelungen rettete die Situation indem sie eine
weitere Runde Getränke bestellte.
„Und warum stehe ich auf der Fahndungsliste?“
„Wir haben keinerlei Beweise, außer dem Video und Ihren
Notizen im ganzen Haus gefunden. Sie müssen Beweise
unterschlagen haben, darum suchen wir Sie. Wir haben
außerdem noch ein paar zerrissene Schuldscheine in einem
253
Papierkorb gefunden, was haben Sie noch entfernt?“ fragte
Schmücker mich, „und wie sind Sie auf Schiewerski
gekommen?“ Keller hat uns jedenfalls nichts darüber gesagt.
Er hat nur etwas von einem Konto in Luxemburg erzählt,
dass Sie da Geld abgehoben hätten, er aber nicht wüsste wo
der Geldkoffer geblieben ist.“
„Der spinnt doch, der Kerl. Wollte sich wohl an mir
rächen“, log ich dreist, „auf Schiewerski bin ich über einen
Grundbucheintrag gefallen. Ich hatte keine Ahnung, dass
Möbius in Wirklichkeit ein Schiewerski ist. Ich gebe zu, dass
ich einen Menschen widerrechtlich über Staatsgrenzen
geschmuggelt habe und entführt habe, damit er hier den
Gerichten ausgeliefert werden konnte. Aber ich habe weder
Beweise unterschlagen, vernichtet, noch jemals gesehen.
Wenn Sie mich verhaften wollen, stehe ich Ihnen zur
Verfügung.“
Ich hielt Schmücker meine Arme über den Tisch.
„Lassen Sie den Quatsch. Intern werden wir es so
darstellen, dass es Kommissar Waldtmann und Frau
Amelungen aufgrund eines anonymen Hinweises gelungen ist,
Dr. Keller in seinem Haus zu verhaften und in der
nachfolgenden Untersuchung auf die Zusammenhänge zu
Schiewerski / Möbius gestoßen sind. Bei der Verfolgung von
Schiewerski wurde er auf der Autobahnraststätte von einer
Streifenwagenbesatzung gestellt und im folgenden
Schusswechsel getötet. Der Übereifer des jungen,
unerfahrenen Polizisten wurde mit der vorläufigen
Suspendierung
geahndet.
Über
ein
internes
Ermittlungsverfahren wird festgestellt, dass der tödliche
Schuss einen Unglücksfall darstellt, weil der Flüchtende
stolperte als auf seine Beine geschossen wurde. Er Beamte
erhält einen Eintrag in seine Papiere. Damit sind die Fälle
abgeschlossen. Die Vorwürfe gegen Sie werden eingestellt.
Was unsere holländischen Kollegen noch über die Untaten
Schiewerskis ausgraben, werden sie uns auf dem Dienstweg
254
mitteilen. Aber es scheint eine ganze Palette zu sein. Wissen
Sie eigentlich, dass wir auf dem Gelände des Hauses neben
dem Skelett des erschlagenen Kindes noch die Überreste eines
Mannes gefunden haben, und wissen Sie vielleicht auch noch,
wer das gewesen sein könnte“, fragte er mich scheinheilig.
Ich antwortete ihm noch scheinheiliger: „Nein, noch eine
Leiche? Das war ja ein richtiger Massenmörder. Nein, keine
Ahnung.“
Wir diskutierten noch eine Weile, und man konnte die
ohnmächtige Wut, die uns alle ergriffen hatte spüren. Keiner
war mit den Ergebnissen zufrieden, aber Allen waren die
Hände gebunden. Zum Abschied schenkte ich Schmücker
noch eine Videokassette für seine private Sammlung, mit dem
Hinweis, dass er ja Horrorfilme sammle. Er hatte mich
verständnislos angesehen, aber war nicht weiter darauf
eingegangen. Schmücker hatte die Gesamtrechnung beglichen
und vor der Tür hatten wir uns getrennt und ich war in
Gedanken versunken über die Brücke zurück zum Wagen
gegangen. Meine Wut war derartig stark, dass ich die ganze
Stadt in die Luft hätte sprengen können.
Bei mir zuhause klingelte das Telefon als ich eintrat. Ich
melde mich und es war Schmücker.
„Das ist ja entsetzlich, Teufel, woher haben Sie das?“
„Was soll’s noch, die Fälle sind abgeschlossen. Hatte
Schiewerski im Gepäck“, damit legte ich auf.
In den nächsten Tagen arbeitete ich verschiedene Dinge
auf, die in der letzten Zeit liegen geblieben waren und
versuchte so wenig wie möglich an meine letzten Abenteuer
zu denken. Wiesel und seine Frau klärten mich über die
Fortschritte in der Genesung Evas auf und dies war der
einzige Lichtblick in diesen Tagen. Am dritten Tag fuhr ich
nach Köln und brachte den geliehenen BMW zurück. Die
Freigabe meines Wagens war erfolgt und ich konnte meinen
Wagen aus der Polizeigarage abholen und fuhr nach Bad
Homburg. Ich durfte Eva besuchen und ich freute mich, über
255
die Fortschritte. Wir lachten zusammen und machten Pläne
wann wir nach ihrer endgültigen Genesung heiraten wollten.
Sie kuschelte sich im Besucherzimmer dicht an mich und
schien glücklich. Sie sagte: „Ich weiß wofür und warum ich
dieses hier alles mitmachen. Ich will gesund werden und mit
dir glücklich sein.“
Beim Abschied weinte sie ein wenig und auch mir war
schwer ums Herz; aber ich versprach sie bald wieder zu
besuchen.
Wiesel und zwei Mitarbeiter waren immer noch an der
Auswertung der Akten aus dem Banksafe. Sie holten sich
immer einen Stoß und katalogisierten die Akten und
übertrugen die Fakten auf die Computer. Sie scannten alle
Dokumente und meinten, dass es wohl noch mindestens drei
Wochen Arbeit bedeutete, bis alles erfasst wäre.
Zu dritt saßen wir dann am späten Abend zusammen und
machten Pläne, wie das sichergestellte Vermögen am
sinnvollsten angelegt werden könne. Wir beschlossen eine
Stiftung zu gründen, aus denen Opfer von Verbrechen oder
Hinterbliebene Leistungen beziehen konnten. Einen Teil des
Geldes wollten wir direkt dem „Weißen Kreis“ zur Verfügung
stellen. Anonym versteht sich.
Ich fuhr noch in der gleichen Nacht zurück und legte mich
um vier Uhr in der Frühe in mein Bett. Ich schlief schlecht
und immer wieder tauchten das zerbrechliche Gesicht und die
Tränen des Abschieds von Eva in meinem Halbschlaf auf.
Vier Wochen später durfte ich Eva nach Hause abholen.
Wir waren glücklich und unsere erste Nacht in den eigenen
vier Wänden wurden die zärtlichsten Stunden, die wir jemals
verbracht hatten. Eva seufzte und jubelte in meinen Armen
und wir schliefen fest umschlungen ein. Wir waren noch im
Morgenrock und Kimono bekleidet, als die Polizisten an
meiner Tür klingelten. Eva wurde verhaftet. Meine Proteste
halfen nichts, sie musste sich anziehen und wurde ins Gericht
256
geschleppt. Der eilig herbeigerufene Anwalt, ein Bekannter
von mir, konnte nur die Rechtmäßigkeit der Maßnahme
feststellen, denn auf die Ladung zur Verhandlung, die in Evas
alte Wohnung zugestellt worden, hatte sie nicht reagiert. Wie
sollte sie auch. Wir waren nicht wieder in der Wohnung
gewesen, seit Lewinski damals geflohen war. Wie man
festgestellt hatte, dass sie bei mir wohnte, war mir schleierhaft.
Unsere Proteste hatten wenigstens den Erfolg, dass die
Verhandlung vertagt wurde und der Anwalt sich in die
Anklagepunkte einlesen konnte. Während der Verhandlungen
vor dem Sozialgericht gegen eine Unzahl von Schuldigen
waren in den letzten Wochen einhundertvierunddreißig
Sozialhilfeempfänger, die über die Kirchengemeinde doppelt
und
dreifach
Beiträge
kassiert
hatten,
die
Rückzahlungsansprüche verkündet worden. Hierbei war
immer wieder der Name Eva Peters aus der Buchhaltung der
Gemeinde aufgetaucht. Da man ihrer nicht habhaft werden
konnte, weil sie zu dem Zeitpunkt noch in der Klinik in Bad
Homburg war, hatte man sie zur Hauptschuldigen an den
Betrügereien der Gemeinde gemacht und die Unterlagen den
Strafgerichten zugeleitet. Der Verhandlungstermin wurde im
Eilverfahren angeordnet und Eva wurde angeklagt, die
Machenschaften der Gemeinde geleitet zu haben.
Unsere Entlastungsbeweise, die wir innerhalb der nächsten
drei Tage zusammenbekommen hatten, und Lars als Zeuge,
konnten das Gericht nicht derart überzeugen, dass ein
Freispruch erfolgte. Nein, Eva wurde wegen Mitwisserschaft
am Betrug zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Strafe
wurde zur Bewährung ausgesetzt und ihr wurde ein
Bewährungshelfer zugewiesen. Als wir einige Tage später ihre
alte Wohnung räumten, standen nicht nur die Jugendlichen
vor der Haustür. Scheinbar hatte sich der ganze Block
versammelt und wir wurden mit Schmährufen und Flüchen
wegen Verrats überhäuft. Sie kochten vor Wut, weil sie jetzt
weit weniger Geld zur Verfügung hatten und außerdem von
257
dem Wenigen auch noch Abzüge zur Begleichung ihrer
Schulden hinnehmen mussten. Als die ersten tätlichen
Übergriffe erfolgten, wir mit Steinen beworfen wurden,
bespuckt, und getreten wurden, rief ich die Polizei. Nur unter
deren Schutz konnten wir die letzten Möbel verladen. Es war
sowieso nicht viel gewesen. Eva saß weinend die ganze Zeit in
einem Polizeiauto.
Eva war schon verschwunden als Lars und ich die letzten
Sachen in meine Wohnung trugen.
Als ich wenig später im Schlafzimmer nachschaute,
während Lars in der Küche ein Glas Mineralwasser trank, sah
ich das schrecklichste Bild, das ich mir vorstellen konnte. Eva
hatte sich nicht etwa aufs Bett gelegt, sondern saß völlig
zusammengekrümmt in der Ecke zwischen Kleiderschrank
und Wand. Sie hatte sich regelrecht eingeigelt und wurde von
wildem Schluchzern geschüttelt. Sie hatte sich in ihrem Leid
buchstäblich ins Mauseloch verkrochen. Sie reagierte auf
meine zärtliche Anrede überhaupt nicht und als ich ihr aus der
Ecke helfen wollte, fuhr sie mich mit schriller Stimme an. Sie
fauchte wie eine Katze: „Du denkst doch genauso. Du siehst
in mir doch auch nur die billige Nutte, die Betrügerin, die
Säuferin, die auch noch andere Menschen verrät, damit sie
nicht in den Knast muss. Die mich bumst wann es dir passt,
um mich dann wieder wegzuwerfen. Habt ihr es nicht so
eingefädelt, dass du mich benutzt, um überhaupt in den Clan
hineinzukommen? War ich nicht nur Mittel zum Zweck?“
„Komm hier erst Mal heraus“, und streckte ihr die Hand
hin, um sie hochziehen zu können.
Sie fauchte noch mehr, war blitzschnell auf den Beinen und
an mir vorbei. Ich war so verdattert, dass ich mich erst rührte,
als die Haustür zufiel. Bis ich ebenfalls auf der Straße war,
konnte ich sie nicht mehr entdecken. Sie war verschwunden.
Ich lief die Straße hinunter, lugte in die nächste Seitenstraße,
aber sie war nirgends zu entdecken. Ich ging zurück und fand
einen deprimierten Lars in der Küche sitzen. Er hatte ihre
258
Vorhaltungen mit angehört, und fühlte sich schuldig. Ja, wir
hatten sie benutzt. Aber was ich heute für sie empfand, war
doch ganz etwas anderes. Wir beschlossen sie zu suchen. Erst
versuchten wir es zu Fuß und als wir sie nicht fanden, nahmen
wir die Wagen und fuhren jeder in die entgegengesetzte
Richtung. Ich durchfuhr jede Seitenstraße und kehrte nach
einer Stunde vergeblichen Suchens wieder nach Hause zurück.
Ich sagte einer Nachbarin bescheid, dass sie auf meine Tür
achten solle, wenn sich dort etwas tat, denn während unserer
Suche konnte Eva ja zurückkehren und hinein wollen. Dann
versuchte ich es erneut und ging in jede Kneipe, weil ich
Angst hatte, Eva würde sich dort irgendwo vollaufen lassen.
Auch in der zwanzigsten Kneipe hatte ich sie noch nicht
gefunden. Sie war nirgends auch nur für einen Moment
gesehen worden. Ich fuhr wieder nach Hause und telefonierte
mit allen Kneipen und Restaurants in denen wir jemals
zusammen gewesen waren. Auch hier kein Erfolg. Sie war wie
vom Erdboden verschwunden. In meiner Verzweiflung rief
ich Wiesel an, der mir sofort Unterstützung zusagte. Er wolle
alle seine Bekannten hier in Bremen mobilisieren um mich bei
meiner Suche zu unterstützen. Ich bat die Nachbarin bei mir
einzuhüten, damit jemand im Hause war, wenn sie zurückkam
und ich sie weiterhin suchte. Ich war verzweifelt. Ich rief auch
noch bei Waldtmann an, konnte ihn aber nicht erreichen.
Schließlich erreichte ich Frau Amelungen und sie versprach
mir, eine inoffizielle Suchaktion zu starten. Dann zog ich
wieder los. Von Kneipe zu Kneipe, von Kiosk zu Kiosk.
Ständig starrte ich mein Handy an, dass mir Jemand mitteilte,
dass sie gesehen worden war. Ich weiß nicht, wie viele
Kneipen ich in dieser Nacht besuchte; ich fand Eva nicht.
Lars hatte sich gegen zwei Uhr morgens bei mir gemeldet und
hatte mir gesagt, wo er überall gewesen war und ebenfalls
nicht die geringste Spur von Eva entdeckt hatte. Er konnte
nicht mehr und war nach Hause gefahren. Um fünf Uhr
morgens war ich nach Hause gekommen und hatte mich
259
angezogen auf die Couch gelegt und zwei Stunden geschlafen.
Die Nachbarin weckte mich und kochte mir einen Kaffee und
um sieben Uhr machte ich mich wieder auf den Weg. Ich
hatte schnell noch einen Ausdruck sämtlicher Kneipen der
Stadt angefertigt, die 24 Stunden geöffnet hatten, und war
wieder los.
Jetzt klapperte ich sämtliche Kneipen und Kaschemmen im
Kiezviertel durch, auch hier gab es keine Spur. Ich machte den
ganzen Tag weiter. Frau Amelungen hatte ebenfalls keine
Spuren finden können, obwohl viele Polizisten inzwischen
nach Eva Ausschau hielten. Ich wagte mich sogar in die Nähe
ihrer alten Wohnung aber außer höhnischen Bemerkungen
und erneute Beschimpfungen konnte ich nichts in Erfahrung
bringen. Wiesel und ich kamen zu der Überzeugung, dass sie
per Anhalter die Stadt verlassen hatte und weit von Bremen
entfernt untergetaucht sei. Ich suchte dennoch weiter.
Zweimal sprach ich von hinten blonde Frauen an, von denen
ich meinte, sie seien Eva.
Am dritten Tag nach ihrem Verschwinden traf ich mich mit
externen Mitarbeitern von Wiesel, die aber ebenfalls keine
Spuren gefunden hatten. Eine offizielle Vermisstenanzeige
wollte ich nicht aufgeben, denn dann wäre Eva als straffällig
gesucht worden, weil sie sich sofort nach Verkündung des
Urteils sich den Bewährungsauflagen entzogen hatte. An
diesem Nachmittag hatte ich mich langsam in das Viertel
vorgearbeitet, in dem Keller seine Häuser hatte. Auch hier in
den Kneipen hatte ich keinen Erfolg. Sie war nirgends
aufgetaucht. Ich weiß nicht was mich dazu trieb, in Kellers
Haus einzudringen. Die Versiegelung war noch an der
Haustür angebracht, aber nicht am Kellereingang. Ich benutze
ihn und gelangte in den Innenhof der Häuser. Die
Erdarbeiten der Polizei waren deutlich zu sehen und da
entdeckte ich Abdrücke von Frauenschuhen, die in Richtung
Hintereingang des Studios führten. Die Tür war aufgehebelt
und nur angelehnt. Ich sah es sofort: Eva war hier gewesen.
260
Das Filmbett war zerwühlt und es stank nach Erbrochenem.
Als ich um das Bett herumging sah ich den Grund. Hier hatte
sich ein Mensch schrecklich übergeben. Mehrer leere Flaschen
standen und lagen herum. Ich forschte weiter und fand die
ehemals gut gefüllte Bar weitgehend geplündert. Aber Eva war
nicht anwesend. Weder im angrenzenden Fotolabor, noch im
Hause. Die Küche war immer noch penibel aufgeräumt und
auch die übrigen Räume waren Tipp Topp in Ordnung. Man
hatte seitens der Polizei scheinbar immer noch nicht
festgestellt, dass beide Häuser zusammengehörten und hatte
Frau Winter die Haushälterin in diesem Hause nicht vom
Ableben ihres Auftraggebers informiert. Eva schien aber nicht
in dem Haus gewesen zu sein, oder war wieder nüchtern
geworden, hier nur aus der Haustür marschiert, denn die
Spuren auf dem Nachbargrundstück hatten nur zu der Tür
geführt und nicht zurück. Ich suchte mir aus dem
Telefonbuch die Telefonnummer von der Winter und befragte
sie, ob sie immer noch täglich in das Haus ginge. Sie war
etwas pikiert; aber sagte ja, sie wäre immer noch dort und sehe
nach dem Rechten. Da der Eigentümer aber jetzt solange
schon nicht dort gewesen sei, und auch keine neue
Nachsendeadresse mitgeteilt worden war, hatte sie nur wenig
zu tun und hielt sich meistens nicht länger als eine
Viertelstunde hier auf. Sie wollte wissen warum ich denn
fragte, aber ich war nicht Willens sie heute aufzuklären. Ich
benutzte eine Ausrede und hängte ein. An der Garderobe fand
ich einen Schlüssel, den ich für den Hausschlüssel hielt und
nahm in mit. Ich probierte und wusste, ich bräuchte in
Zukunft nicht mehr einbrechen.
Als ich gerade auf dem Weg zum Wagen war um meine
Suche in den umliegenden Kneipen fortzusetzen kam der
Anruf von Frau Amelungen. Man hatte Eva im
Hauptbahnhof aufgegriffen. Volltrunken und anscheinend
zudem voll gepumpt mit Heroin. Sie hatte einen älteren Herrn
erst angebettelt und als er ihr kein Geld geben wollte, ihren
261
Busen entblößt und ihm angeboten mit ihm zu schlafen. Er
hatte die Polizei gerufen. Ich solle ins Bahnhofsrevier
kommen.
Ich fuhr so schnell ich konnte hinüber zum Bahnhof.
Obwohl ich sämtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen
überschritt, brauchte ich neunzehn Minuten. Eva hatte bei
ihrer Festnahme nicht nur einen Beamten fast ein Ohr
abgebissen, sie hatte sich hier auf der Wache sämtliche Kleider
vom Leib gerissen und die Beamten aufgefordert sie
ordentlich durchzuorgeln. In der Ausnüchterungszelle hatte
sie randaliert und der Arzt hatte ihr eine Beruhigungsspritze
geben müssen. Jetzt schlief sie, und man hatte einen
Krankenwagen zum Abtransport in eine Klinik bestellt. Als
der Wagen kam, hatte ich einem der Beamten meine
Wagenschlüssel in die Hand gedrückt und ihn gebeten ihn auf
den großen Parkplatz bei der Stadthalle zu fahren, weil ich im
absoluten Halteverbot stand. Er versprach meinen Wagen zu
versorgen und ich fuhr mit in die Klinik. Ich erklärte dem
Arzt die Krankengeschichte und den Aufenthalt in der Bad
Homburger Klinik. Er machte ein sehr bedenkliches Gesicht
und ich hielt mich stundenlang auf den Fluren und vor der
Tür der Klinik auf, um zu rauchen und zu telefonieren. Wiesel
hatte die Suchaktion abgebrochen und den Homburger Arzt
verständigt, der sich wiederum mit dem Bremer Kollegen in
Verbindung gesetzt hatte. Ich rief alle meine Freunde an, die
sich an der Suchaktion beteiligt hatten und informierte sie.
Schmücker rief mich an und eröffnete mir, was seine
Kollegen gegen Eva planten. Sie müsse nach der nächsten
Entgiftung ins Gefängnis. Als ich wieder zurück zur
Intensivstation eilte, herrschte hier große Aufregung. Eva war
trotz des starken Beruhigungsmittels aufgewacht und hatte
randaliert. Es war ein beträchtlicher Schaden entstanden und
man hatte ihr eine weitere hohe Dosis des Beruhigungsmittels
gespritzt und jetzt versagte ihr Kreislauf. Die Ärzte bemühten
sich und gegen zehn Uhr am nächsten Morgen war endlich
262
gewiss, dass sie überleben würde. Man sagte mir, dass ich sie
frühestens nach drei Tagen besuchen dürfe. Ich fuhr mit
einem Taxi nach Hause und warf mich angezogen aufs Bett
und schlief fast 18 Stunden.
Um acht Uhr des nächsten Tages war ich wieder
einsatzfähig. Ich hatte schon um sieben Uhr in der Frühe mit
Wiesel telefoniert. Er hatte gemeinsam mit seiner Frau und
dem Arzt der Homburger Klinik Flüge nach Bremen gebucht
und würde kurz nach zehn am Flughafen ankommen. Ich
holte meine Wagenschlüssel und dankte den Beamten und
fuhr raus zum Flughafen und von dort aus direkt in die
Klinik. Während der Arzt mit dem behandelnden Arzt
konferierte, hatten Frau Starck, Wiesel und ich in der Cafeteria
gesessen und hatten beratschlagt. Ich hatte meinen Wunsch
geäußert, dass ich Eva hier im Kranhaus heiraten wollte und
ob sie meine Trauzeugen sein wollten. Ich hatte Wiesel auch
gebeten, ob er mir bei der Beschleunigung der
Verwaltungsprozeduren für eine derartige Amtshandlung
helfen würde. Er hatte nur genickt und war aufgestanden und
aus dem Raum gegangen.
Frau Starck tröstete mich und meinte, dass schon alles gut
gehen würde. Wiesel und der Arzt kamen gemeinsam zurück
in die Cafeteria. Sie forderten uns auf mitzukommen. Wir
gingen hinauf zum Ärztezimmer der Intensivstation, wo uns
neben den Ärzten und einigen Schwestern ein schlanker,
dunkelgekleideter Mann erwartete. Er verlangte meinen
Personalausweis und trug einige Daten in ein Formular ein.
Der Arzt bat uns jeweils einen grünen Kittel anzulegen und
dann wurden wir aufgefordert dem Arzt zu folgen. Wir gingen
in die Kabine, in der Eva mit vielen Leitungen und
Schläuchen an diversen Apparaturen angeschlossen war. Eva
lag klein, mit wächserner Haut in dem Bett. Sie schien
geschrumpft, scheinbar nicht größer als ein Kind. Sie lag da
wie ein kleiner Engel und ich konnte vor aufsteigenden
Tränen kaum etwas erkennen. Ich küsste zart ihre Stirn und
263
ergriff ihre Hand. Der Mann in Schwarz ließ mich gewähren
und orderte den Arzt an meine Seite und die Starcks auf die
andere Seite des Bettes. Dann schlug er seine Mappe auf und
vollzog die Trauungszeremonie, nachdem er die Zeugen
Starck einzeln befragt hatte, ob sie den Willen der
Bewusstlosen vertreten würden und von deren Absichten
mich zu ehelichen vor der Bewusstlosigkeit informiert worden
seien. Sie bejahten. Dann wurde ich gefragt, ob ich die Eva
Peters zu meiner Gattin nehmen wolle. Ich antwortete mit
einem klaren „Ja“. Ich hatte während der ganzen Zeit
fasziniert das Gesicht Evas angesehen. Bei den Worten hatte
sie die Augen geöffnet, ihr Blick schien klar in die
Unendlichkeit zu gehen und ihr Mund verzog sich zu einem
scheinbaren Lächeln. Diesen Blick und dieses Lächeln werde
ich solange nicht vergessen, bis ich eines Tages in die Hölle
fahre.
Die Trauungszeremonie war damit abgeschlossen und wir
wurden zurück ins Ärztezimmer gebeten, wo wir unsere
Unterschriften zu leisten hatten. Eva und ich waren ein
Ehepaar und mein Geschenk an sie war das Gelöbnis,
diejenigen zu vernichten, die für ihren jetzigen Zustand
verantwortlich waren. Die Talfahrt war beendet, die Wagen
der Bahn, ausgebremst.
264
Teufels Geisterbahn
- teuflische Rache –
Es war die erste Hochzeitsfeier an der ich als
Hauptbeteiligter teilnahm. Eine Hochzeitsfeier an der die
Braut nicht beteiligt; aber auch die Gästeschar sehr
eingeschränkt war. Neben den Trauzeugen, dem Ehepaar
Starck, nahm nur noch der Arzt, dessen Namen ich nie
erfahren hatte, am Essen teil. Lars kam später und zu meiner
Verwunderung auch Schmücker. Wiesel hatte sich als
erfolgreicher Organisator betätigt und hatte in einem Hotel,
welches einen ausgezeichneten Ruf für seine Küche hatte,
einen runden Tisch in einem Nebenraum gebucht. So blieb es
mir erspart an der Tafel einen freien Platz neben mir zu
haben. Frau Starck, als einzige Frau in dieser Runde, hatte das
Kommando übernommen und ihr Toast auf die Gesundheit
und das Glück des Hochzeitpaares wurden von mir nicht als
Hohn empfunden. Sie war es auch, die es verstand, das
Tischgespräch in neutrale Bahnen zu lenken und trotz der
misslichen Umstände einen feierlichen Rahmen zu geben. Die
anfangs eher gedrückte Stimmung wurde lockerer, und sie
verstand es über die ganze Zeit des Mahles eine heimelige
Atmosphäre zu schaffen. Sie verstand es sogar, uns von den
aktuellen Sorgen und Empfindungen soweit abzulenken, dass
wir nach dem Essen, beim Kaffee und Digestif ernsthaft über
wirtschaftliche Themen diskutierten. Schmücker erwies sich
als wunderbarer Erzähler von Geschichten aus dem
Tanzsport und so erfuhr ich, dass er mit seiner Partnerin
schon große Siege auf dem Parkett errungen hatte. Auch seine
Anekdoten über Pannen während der Turniere, den
Unzulänglichkeiten der Live-Bands, die auch schon mal das
falsche Stück angespielt hatte, wenn es um Punkte und Ehren
ging, und wie die konkurrierenden Paare geistesgegenwärtig
eine Showeinlage aus der Panne der Band gemacht hatte. Zum
Lachen brachte er uns dann mit der Anekdote des verlorenen
265
Slips einer jungen Tänzerin, die es dennoch geschafft hatte,
diese Fußfessel mit elegantem Schwung und Kick auf den
nächsten Gästetisch loszuwerden, ohne dass die Jury auf
ihrem Podest etwas davon mitbekommen hatte. Ich fühlte
mich entspannt und wusste nicht, dass der Arzt ein wenig
nachgeholfen hatte. Er hatte mir eine Portion
Psychopharmaka im Begrüßungstrunk verabreicht.
Wiesel hatte auch für mich ein Zimmer im Hotel
reservieren lassen, damit ich nicht noch nach Hause fahren
musste. Als Standard des Hauses wurde mir sowohl ein
Pyjama, als auch Rasierzeug gestellt. Wir hatten uns zum
gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen verabredet. Im
Einschlafen sah ich wieder den in die Ferne gerichteten Blick
und das angedeutete Lächeln meiner Frau.
Das Mittel, das mir verabreicht worden war, hielt auch am
nächsten Morgen noch an und ich ging beschwingt die Treppe
hinunter in den Frühstücksraum. Wiesel und seine Frau waren
schon anwesend und winkten mich an den Tisch. Der Arzt
kam wenig später und wir gingen gemeinsam zum Büfett, um
uns zu versorgen. Sein prüfender und ein wenig sorgenvoller
Blick war mir entgangen. Er fragte beiläufig wie ich geschlafen
hätte und wie ich mich fühlte. Ich konnte ihm nur berichten,
dass ich hervorragend durchgeschlafen hätte und mich
ausgesprochen gut fühlte. Das Frühstück zog sich durch unser
lebhaftes Gespräch recht lange hin und erst als die
Serviererinnen anfingen das Büfett abzubauen, erhoben wir
uns und die drei holten ihr Gepäck. Ich fuhr sie zurück zum
Flughafen und winkte ihnen nach als sie durch die Sperren
zum Abfluggate gingen. Der Schlag kam auf der Rückfahrt,
und er kam umso heftiger. Schlagartig gingen mir die Bilder
unserer Trauung, der Hilflosigkeit, der körperliche Verfall der
kleinen zierlichen Gestalt, angeschlossen an Apparaturen
durch den Kopf. Als wären Staudämme gebrochen,
überfluteten mich die Hassgefühle. Wut und Enttäuschung
266
brodelten in mir hoch, als sei ein Vulkan in mir ausgebrochen
und schleuderte die glühende Lava aus mir heraus. Ich wusste
nicht, dass ich einen unmenschlichen Schrei ausgestoßen
hatte. Das Dröhnen in meinen Ohren ließ mich wieder auf
den Verkehr achten. Nur mit einer Vollbremsung gelang es
mir, nicht auf das Heck meines Vordermannes zu rasen. Das
Quietschen der Reifen und mein leicht ausbrechender Wagen
brachten mich zurück in die Wirklichkeit. Ich suchte mir die
nächste Parklücke und parkte vorsichtshalber ein und stieg aus
dem Auto. Einige Passanten, die mein Bremsmanöver
beobachtet hatten, waren stehen geblieben und starrten mich
an, als ich aus dem Wagen stieg. Sie sahen so blass aus, wie ich
mich fühlte. Ich ging schnell in Richtung nächste Straßenecke
und verschwand aus ihrem Blickfeld. Mein Herz raste und ich
machte Atemübungen um den Herzrhythmus wieder zu
normalisieren. Erst als ich einen größeren Hauserblock
umrundet hatte, ging es wieder mit mir. Ich zwang mich
meine überschäumenden Gefühle zu dämpfen und wild
durcheinander wirbelnde Rachegelüste zu kontrollieren. Ich
setzte mich wieder in mein Auto und fuhr, konzentriert auf
den Verkehr, nach Hause. Hier erledigte ich zunächst alle
Arbeiten, die ich sonst hasste. Ich räumte gründlich auf,
kramte all meine Schmutzwäsche zusammen, trennte nach
den verschiedenen Waschgängen und füllte die erste Maschine
und stellte sie an. Dann kontrollierte ich den Inhalt meines
Kühlschrankes und warf noch einen Blick in mein
Vorratsregal, setzte mich an den Küchentisch und schrieb eine
lange Einkaufsliste. Als die erste Wäsche fertig war, füllte ich
sie um in den Trockner und füllte die Waschmaschine erneut.
Dann fuhr ich langsam in den Einkaufsmarkt und kam mit
überquellendem Wagen zurück zu meinem Auto und fuhr
wieder heim und verteilte hier die Waren. Ich hatte mich die
ganze Zeit gezwungen systematisch vorzugehen, hatte jeden
meiner Schritte geplant und meinen Plan eingehalten. Ich
wusste, nur mit diesen kontrollierten Handlungen konnte ich
267
meine Ziele erreichen. Ich musste lernen meine Gefühle
abzuschalten und nur noch rationell zu planen und zu
handeln.
Ich ging früh schlafen und hatte bewusst auf jede Fernsehund Radionachrichten verzichtet. Ich wollte trainieren
sämtliche Emotionen abzuschalten. Als Mittel zum
Einschlafen nutzte ich die Technik des autogenen Trainings.
Den nächsten Morgen benutzte ich zunächst wieder zu
Hausarbeiten und erst als ich fand, dass meine Wohnung
blitzblank und äußerst aufgeräumt wirkte, machte ich mich
fertig um einige Besuche in der Stadt zu machen. Ich kleidete
mich sorgfältig. Vor dem Spiegel hatte ich dann aber den
Eindruck ich sei zu konservativ gekleidet und beschloss den
Tag mit Einkäufen zu verbringen. Es sollte der typische,
modisch orientierte, erfolgreiche Jungunternehmer aus mir
werden. Dazu benötigte ich Rat; denn mit diesem Thema
hatte ich mich bisher nicht befasst. Der beste Herrenausstatter
der Stadt sollte mir helfen und der Verkäufer – oder besser
ausgedrückt, der Modeberater, ein Mann in meinem Alter
wusste sofort, was ich im Auge hatte. Als schwierig erwies es
sich dann aber, dass ich etwas zu lang und mein Oberkörper
etwas zu muskulös war, um in die geführte Fertigware
hineinzupassen. Aber er war geschickt und bastelte mir aus
verschiedenen Größen und mit Hilfe des Hausschneiders zwei
Anzüge und eine Kombination zusammen, die sowohl ihm,
als auch mir gefielen. Passende Hemden, Unterwäsche –
trendy, wie er sich ausdrückte -, Socken und selbst Schuhe
konnte ich hier erstehen. Die dazugehörigen Krawatten waren
teurer, als ich normalerweise für Anzug, Hemd, und Schuhe
bezahlt hätte. Er riet mir auch zu einem neuen Haarschnitt
und machte bei einem Freund von sich sofort einen Termin.
Man zuckte mit keiner Wimper als ich mit einer Visitenkarte
zahlte, die ich in einer Schnelldruckerei vor dem Besuch in
dem Laden erstellen lassen hatte. Sie wies mich als W. Teufel,
General Manager, Medien- und Unternehmensberatungen,
268
aus. Die Firma, die ich vertrat, hatte ich auf den Namen
„Devils Hunting TV“ mit Sitz in Malibu, Cal. USA; CentralBranch Bremen, getauft.
Als Adresse hatte ich den Sitz meines Freundes, dem
Antiquitätenhändler, angegeben. Die Adresse lag nahe genug
dem Amerika Haus, so dass sie glaubwürdig war. Ich musste
ihn nur noch informieren, welch aufsteigendes Unternehmen
beim ihm einquartiert war. Ich sah jetzt schon sein Grinsen
und wie ich ihn kannte, würde er in Windeseile ein poliertes
Messingschild an seiner Hauswand befestigen.
Ich bat darum, die Sachen, nach den kleinen Änderungen,
die noch vorgenommen werden mussten, an meine derzeitige
Adresse im Nobelhotel der Stadt zu senden. Die Rechnung
könne an meinen Firmensitz gehen. Sie würde
selbstverständlich sofort unter Abzug von 3% Skonto
beglichen. Die gerade erworbene Freizeitkleidung hatte ich
schon im Laden anbehalten und meinen alten „guten“ Anzug
dort gelassen. So marschierte ich zum Frisör, der mich
ausgiebig behandelte. Die Maniküre, die meine Nägel
bearbeitete, war wahrscheinlich die Einzige, die Zweifel an
meinem Image hatte. Ich vertrieb die Zweifel mit einem
Hundertmarkschein als Trinkgeld. Schon auf dem Frisörstuhl
hatte ich über Handy Wiesel angerufen und hatte ihm im
übelsten „Hoboken-Slang“ sehr schnell um Anweisung von
Einhunderttausend Mark auf mein hiesiges Konto gebeten
und um die Reservierung der nobelsten Suite im Hotel. Ich
hoffte, dass sie frei war.
„Bist du völlig durchgeknallt, oder besoffen“, tönte es mir
aus dem Telefon entgegen.
In der nächsten Minute gebrauchte ich das im
amerikanischen übliche „fuckin´“ häufiger als jedes andere
Wort und wurde auch noch laut dabei. Jetzt hatte Wiesel
endlich begriffen, dass er Teil einer Show war, und sagte nur
noch: „Okay“, und legte schnell auf.
269
Der Frisör und die Maniküre würden immer bestätigen
können, dass dieser amerikanische Manager es seinen
Untergebenen heftig am Telefon gegeben hätte. Ich wusste ja
nicht, wie viel Englischkenntnisse beide besaßen, aber ich ging
davon aus, dass sie außer „fuckin´“ nichts verstanden hatten.
Dann marschierte ich fröhlich vor mich hin pfeifend zum
Laden meines Antiquitätenfreundes. Der erkannte mich
zunächst überhaupt nicht, so hatte mich der Frisör
zugerichtet. Als ich ihm wortlos mit meinen manikürten und
lackierten Fingernägeln die Visitenkarte überreichte, machte er
sich fast vor Lachen in die Hose.
„Was ist mit dir den los, Teufel? Ich glaub, ich seh nicht
richtig, Waldemar Teufel als Yuppie verkleidet. Spinnst Du?“
Wichtigtuerisch sagte ich ihm von oben herab: „Ich glaube
Sie vergreifen sich im Ton, werter Herr, wissen Sie nicht, mit
wem Sie es zu tun haben?“
Und dann grinste ich ihn breit an: „Nee, die Masche werde
ich in der nächsten Zeit gebrauchen. Mit Speck fängt man
Mäuse, und mit „Mäusen“ fängt man Ratten!“
„Mir schwant Böses, worauf willst du dich diesmal
einlassen?“
„Ein Rattennest zerschlagen und mit Schwefel ausräuchern.
Hast du den Geruch in dieser Stadt noch nicht bemerkt? Es
stinkt doch an allen Ecken und Kanten. Es muss sauber
gemacht werden. Ich habe bei mir zu Hause schon Mal
angefangen.“
Er starrte mich mehr als verständnislos an und dann fragte
er mich etwas ganz anderes und meine Fassade bröckelte
sofort. Er fragte: „Wie geht es deiner kleinen süßen Maus, mit
der du das letzte Mal bei mir warst?“
Meine Augen fingen an zu brennen, und ich brauchte eine
Weile bis ich antworten konnte.
„Sie ist seit vorgestern meine Frau. Sie liegt auf der
Intensivstation und ob sie jemals wieder das werden wird, was
du kennengelernt hast, ist mehr als fraglich. Aber das ist der
270
Grund für meinen Mummenschanz. Ich hoffe, du wirst
mitspielen.“
Er hatte in mein Gesicht gesehen und wir kannten uns zu
lange, als dass er den Schmerz, die Wut und den Hass nicht
gesehen hätte. Er sagte nur: „Wenn ich dir helfen kann.“
„Du hilfst mir schon, weil ich deine Adresse, als meine
ausgebe. Schreib dir meine neue Handynummer auf und
informiere mich jedes Mal, wenn hier Heinis auftauchen, die
etwas über die Firma wissen wollen. Das ist die Aufgabe, die
ich dir zugedacht habe.“
„Und was soll ich denen sagen?“
„Du warst schon immer ein guter Märchenerzähler. Tu
unheimlich geheimnisvoll und lass nur durchblicken, dass es
sich um eine richtig wichtige Mediengruppe handelt, die von
hier aus den europäischen Markt erobern will. Dir fällt
sicherlich was ein. Es kann auch jedes Mal was anderes sein.
Das bringt nur noch mehr Verwirrung und Neugier. Und das
bezwecke ich. Je weniger du über die wirklichen Hintergründe
weißt, umso glaubhafter werden deine Märchen klingen. Du
machst das schon.“
„Und wann bringt man mich um?“
„Gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich glaube aber eher gar
nicht. Wenn sie hinter den Schwindel kommen, werden sie
mich umbringen wollen, und du wirst vielleicht als Schwätzer
und Märchenerzähler in die Stadtanalen eingehen, nach dem
Motto, jeder kannte ihn, er kannte jeden, keiner glaubte ihm,
aber seine Geschichten waren schön anzuhören“, grinste ich
ihn an.
Der alte Mann sah mich groß an, überlegte kurz, und
meinte dann: „Teufel, du hast mal wieder teuflische Pläne,
muss ich Angst um dich haben?“
„Nein, mein Alter, ich lade nur die Prominenz ein in die
Geisterbahn zu kommen. Hier werden sie mit den Geistern
ihrer Vorfahren und ihrer eigenen Untaten, konfrontiert. Sie
sehen die Geister der noch Lebenden und die Geister der
271
Verstorbenen und sie werden es sein, die vor Angst bibbern.
Ich nehme billigend in Kauf, dass manch einer vielleicht ein
zu schwaches Herz hat und an dieser Angst krepiert, wie sie
haben krepieren lassen“, sagte ich bitter und fuhr im
Marktschreierton fort; „Kommen Sie herein, hier werden Sie
beschissen, besser als Sie es je selbst konnten.“
Der alte Mann sah mich sehr bestürzt an und ich winkte
ihm zum Abschied und sagte: „Sorge dafür, dass mein
Firmenschild bald an deiner Fassade hängt, um den Rest
kümmere ich mich schon“
Ich nahm ein Taxi, das mich zum Hotel brachte. Ich ließ es
warten, als ich großspurig an die Rezeption ging und mich
eincheckte. Ich sagte nur, dass mein Gepäck später angeliefert
würde und dass der renommierte Herrenausstatter später eine
Sendung liefern würde, die man quittieren solle. Ich bat darum
dem Boten ein ordentliches Trinkgeld auszuhändigen. Meine
Suite wollte ich noch gar nicht besichtigen, da ich davon
ausginge, dass der gehobene Standard dieses Hauses dem
Namen Ehre machte. Ich hätte es eilig und man möge mir nur
den Schlüssel aushändigen, da ich nicht wüsste wie spät es
würde. Dann rauschte ich wieder zu meinem Taxi und ließ
mich in die Innenstadt fahren. Hier suchte ich mir ein
Lederwarengeschäft, in dem ich diverse hochwertige
Markenkoffer erstand, bezahlte bar, ließ mir ein Taxi
vorfahren, und zu meiner Wohnung bringen. Der Fahrer half
mir, die vielen Koffer hinein zu bringen. Ich suchte meine
besten Kleidungsstücke zusammen und packte sie in zwei
Koffer, den Rest der Koffer füllte ich mit Büchern und alten
Klamotten und stellte die Zahlenschlösser so ein, dass das
Hotelpersonal sie nicht öffnen konnten.
Dann rief ich ein weiteres Taxi und bat den Fahrer die
Koffer zu dem Hotel zu fahren und sie dort für meinen
Namen abzuliefern. Ich zahlte großzügig für die Fahrt. Ich
verabredete mich mit Lars bei einem Nobel-Italiener in der
Innenstadt, sicherte ihm zu, dass ich die Rechnung begleichen
272
würde, und bat ihn die Reservierung in Namen der Leitung
des Sozialamtes zu machen und vermerken zu lassen, dass ein
besondere Gast, Mr. Teufel, vom amerikanischen TV
besonders aufmerksam zu behandeln sei, wenn er, Lars, noch
nicht da sei.
Der einzige Kommentar war: „Gut ich mach´s; aber du
spinnst. Bis nachher.“
Das nächste Taxi brachte mich in die Innenstadt und ich
zog mir am Bankautomaten Geld; denn so langsam ging mir
Bares aus. Ich hatte den Höchstbetrag für Auszahlungen
eingegeben und konnte fast den erhobenen Zeigefinger hinter
der Mattscheibe sehen, der mich mahnte, ja nicht zu
überziehen. Die angeforderten Zweitausend Mark spuckte er
dennoch aus.
Sollten da wider Erwarten Eingänge aus früheren
Ermittlungen zu verzeichnen sein? Ich glaube, ich müsste Mal
wieder einen Blick auf meine Auszüge werfen.
Außer dem beruhigenden Scheinen aus dem Automaten
führte ich meine Restbestände an holländischen Gulden,
belgischen
Franc
und
US-Dollars
bei
mir.
Zusammengerechnet ein nicht unerheblicher Betrag, aber
wenn ich was gelten wollte, musste ich schon viel zeigen.
Ich war für zwanzig Uhr mit Lars verabredet und ich
erschien schon früher und fragte laut nach dem reservierten
Tisch. Als ich mich als TV-Mensch zu erkennen gab, sah ich
nur noch gebeugte Rücken und man entschuldigte sich, dass
man uns nur einen Tisch in der Mitte des Raumes habe
reservieren können. Einen typischen Platz, für eigentlich
untergeordnete, vielleicht gerade noch dem mittleren
Establishment zuzurechnenden Gästen vorgesehen. Für
meine Zwecke allerdings der geeignete Platz. Das Restaurant
war sehr gut besucht, wenn auch die besten Plätze mit dem
Reserviertschild versehen, noch nicht besetzt waren. Hier
speiste also die gehobene Gesellschaft. Als mein bestellter
Martini kam, war die erste Szene meines Drehbuchs dran. Ich
273
fluchte laut auf Englisch, amerikanischen Slangs, dass ich
mehr von einem Restaurant erwarten würde, als ein labberiges
Getränk. Ob man in diesem Hause nicht wüsste, was ein
richtiger amerikanischer Martini sei. Ein Wodka-Martini. Ich
verkniff mir den Bond-Film-Gag, von wegen gerührt und
nicht geschüttelt. Der Oberkellner beeilte sich meinen
Wünschen nachzukommen. Dann erschien mein Riesenbaby
Lars. Über zwei Meter lang und inzwischen fast zweieinhalb
Zentner schwer in seiner üblichen Kluft, in der er den
Sozialhilfeempfängern die Gelder auszahlte. Dabei hatte er
sich für den Besuch hier in Schale geschmissen. Sein
dunkelgrauer Anzug hatte ihm zuletzt vielleicht vor fünf
Jahren gepasst und er sah darin aus, als wäre er einfach
rausgewachsen. Er wirkte zwischen den modisch gekleideten
übrigen Gästen ein wenig deplaziert. Aber das war Teil meines
Planes und er musste da durch. Wie unwohl er sich fühlte, war
ihm deutlich anzusehen. Er bestellte vorsichtshalber ein
Mineralwasser.
Ich hatte ihn lautstark begrüßt und hatte es hervorragend
gefunden, dass er sich bereit fand dem amerikanischen
Fernsehzuschauern Einblick in das berühmte deutsche
Sozialwesen geben zu wollen. Nach spätestens zwei Minuten
unserer Unterhaltung wusste jeder im Raum, dass ich
mindestens ein gewaltiger Fernsehboss war und er ein
bescheidener Mitarbeiter des Sozialwesens der Stadt, der die
Vorzüge des deutschen Systems den Amerikanern
verdeutlichen würde. Noch bevor wir nach unseren
Speisewünschen gefragt werden konnte, beschwerte ich mich
lauthals darüber, dass gute Tische an denen man vertrauliche
Gespräche führen könne frei seien, wir aber auf dem „Spot“
sitzen müssten. Man solle mir den Geschäftsführer senden.
Wir wurden schnellstens in eine der bevorzugten Ecken
verbannt. Nach kurzer Debatte bestellte ich den Wein und
unser Essen. Als der Kellner gegangen war hatte ich Lars
274
zugeblinzelt und ihm zugeraunt: „Tut mir leid, mein Alter,
gehört zum Spiel.“
Er zischte zurück: „Ich mag deine Spiele nicht. Verdammt,
klär mich wenigsten über die Spielregeln auf.“
„Geht nicht, denn dann hast du schon gewonnen.“
Die überaus schnelle Bedienung und das schnelle Auftragen
der einzelnen Gänge ließen nur einen Schluss zu: man wollte
uns so schnell wie möglich wieder los sein.
Ich tat ihnen den Gefallen. Gleich nach dem Essen stand
ich auf und verlangte am Tresen laut die Rechnung und
bestellte gleichzeitig für den morgigen Abend einen
Zehnertisch
vor. Ich sagte
dem
herbeieilenden
Geschäftsführer, welche Plätze ich für meine Gäste erwartete,
und deutete auf die Fensterreihe und sagte sehr laut: „Dort
können Sie ja wohl einen Tisch zusammenstellen. Wir
kommen um 20 Uhr.“ Dann wedelte ich mit meinen DMund US-Dollarscheinen, wartete die Rechnung nicht ab,
sondern knallte ihm einen weitaus höheren Dollarbetrag auf
den Tresen, als die Rechnung ausmachen konnte. Ich winkte
Lars zu herüber zukommen und schrie ihm schon von weitem
zu: „Und jetzt zeigen Sie mir den besten Sexclub der Stadt, wo
ein amerikanischer Mann zeigen kann, was ein echter Pionier
zu leisten vermag.“
Ich hatte Lars noch nie im Leben erröten sehen; aber jetzt
glühte er wie eine Tomate. Weniger vor Scham, sondern nur
aus Wut. Ich war schon dreißig Meter von dem Lokal
entfernt, als er hinter mir herstürzte wie ein angriffslustiges
Nashorn.
Ich stoppte ihn mit einem scharfen: „Tut mir leid Lars, das
musste sein. Ich erklär es dir gleich. Lass uns ein wenig am
Fluss lang laufen.“
Er hätte mich am liebsten verdroschen, aber er war eben
doch ein sanftmütiger Mensch.
„Lars, es ist besser, wenn du mein Spiel, das ich heute
angefangen habe, gar nicht erst verstehst. Je mehr ich dich
275
damit verwirre, umso mehr zeigt es mir, dass ich andere noch
mehr verwirren kann. Du solltest wissen, dass die Menschen
sich immer um Ruhm und Geld scharren. Heute bin ich noch
ein Großkotz, den man nicht schnell genug wieder aus dem
Lokal kriegen konnte. Morgen bin ich derjenige, der die
Puppen aufstellt, und übermorgen bin ich es, der die Fäden
zieht, woran diese Puppen tanzen. Alle, die es heute verpasst
haben, meine Gunst und damit die Möglichkeit im Fernsehen
groß heraus zu kommen, werden in drei Tagen hinter mir her
hecheln, Speichel leckend. Ich werde noch nicht einmal mehr
etwas bezahlen müssen, sie werden mich einladen, werden
mich hofieren und dann wird das große Erwachen kommen,
wenn sie sehen, wie sie auf die Leinwand kommen. Gedulde
dich, und entschuldige, wenn ich dich heute zum Hofnarren
machen musste. In wenigen Tagen wirst du wissen, welch ein
wichtiger Mensch du geworden bist. Für andere. Für mich
warst du schon immer wichtig. Und jetzt lass mich in mein
Nobelquartier zurückkehren, nur vorher muss ich noch im
„Francis-Club“ meine Visitenkarte hinterlassen. Machs gut,
und hier ist meine neue Handynummer.“
Ich drückte ihm sowohl meine neue Geschäftskarte als
auch eine schlichte Karte mit der neuen Nummer in die Hand,
drehte mich um und ließ ihn sprachlos stehen.
Es war noch nicht einmal 22 Uhr und ich telefonierte mit
Wiesel und erklärte ihm kurz was ich heute Nachmittag
bezweckt hatte. Ich sagte ihm, dass ich Aufmerksamkeit
erregen wollte und den Großkotz spielen wollte, dem die
korrupten Elemente auf den Leim gehen sollten. Ich bat ihn
seine Kontakte zur Presse zu aktivieren und mit Gerüchten
die Nachfrage nach dem TV-Unternehmen anzukurbeln. Ich
erklärte ihm, dass ich innerhalb der nächsten drei Tage hier
eine unübersehbare Spur legen wollte, der die Neugierde über
ein TV-Projekt in der Stadt wecken sollte. Danach würde ich
für einige Zeit verschwunden bleiben, weil ich bei ihm in Bad
276
Homburg bei der Aktensichtung und Vorbereitung für eine
reale TV-Show mitwirken wolle. Ich informierte ihn nicht
vollständig über meine Pläne, aber er sagte mir zu, die
Scheinfirma mit Technik, wie Telefonanschlüssen, die nach
Bad Homburg geschaltet würden, auszustatten. Und er wollte
eine ganz spezielle Klatschjournalistin auf die Vorgänge in
Bremen ansprechen und heißmachen. Sie sollte sich
besonders mit meiner Person befassen, aber ich solle ja nie zu
einem Interview bereit sein.
„Dann brauche ich noch ein professionelles Fernsehteam,
das hier nach meinen Drehbuchvorgaben Außenaufnahmen
macht. Kannst du so etwas besorgen?“
„Für wie lange brauchst du die?“
„Längstens drei Tage. Sollten robuste Typen sein, denn sie
sollen in den wirklichen Ghettos der Sozialhilfeempfänger ihre
Aufnahmen machen und sich auch gegen Behörden
durchsetzen können, falls sie mit Einschränkungen von dort
behindert werden.“
„Ich habe da Jemanden im Auge, der das arrangieren
könnte. Kann ich dir aber erst morgen oder übermorgen
bestätigen.“
„Okay, ich muss sowieso noch am Drehplan basteln.“
„Und was unternimmst du jetzt noch?“
„Ich werde den unternehmungslustigen TV-Boss mimen,
der schnelle Sexkontakte in Nobelclubs nicht verabscheut. Ich
will noch meine Visitenkarte in der ersten Adresse hier
abliefern. Die sollen wissen, wo man die Amis treffen kann.“
„Aber keine Drogen! Auch keinen Alkohol, klar?“
„Ich werde mich zurückhalten. Mehr ausgeben, als selbst
trinken. Ich melde mich morgen wieder und stell vor allen
Dingen die Unterlagen über die Sozialamtsmitarbeiter
zusammen, damit wir da ansetzen können.“
„Wird gemacht. Und hüte dich vor zu neugierigen
Reportern. Die könnten auch dahinter kommen, dass du ein
eher schlecht bezahlter Privatdetektiv bist. Bis morgen.“
277
„Ruf mich bitte in etwa einer Stunde an, dann erzähl ich dir
eine Menge Unsinn, aber dann habe ich Grund wieder aus
dem Club zu verschwinden.“
„Wird gemacht.“
Mein Auftritt im „Francis“ war gelungen. Schon mein
großspuriges Auftreten beim Eintritt erregte Aufsehen und
meine Geldscheine und meine Visitenkarte taten ihr Übriges.
Mein rüpelhaftes Benehmen gegenüber den Hostessen wurde
durch meine Bestellungen an Champagner kompensiert. Ich
griff den Mädchen ungeniert an den Busen und versicherte
ihnen, dass sie in meinen Produktionen zunächst zum
Chirurgen geschickt würden, um wirkliche „Dinger“ verpasst
zu bekommen. Bei der ersten Bühnenshow saß ich mit vier
Tänzerinnen an einem Tisch und orderte auch die auftretende
Darstellerin nach Beendigung ihrer Darbietung an den Tisch.
Dann klingelte mein Handy und ich erklärte Wiesel lautstark
mit zotig gewürzten Sätzen, wie „Great“ und „Fuckin´ -good“
dieser Club wäre und fragte dann warum das Treffen um diese
Zeit anberaumt wäre. Ich lauschte dem Gelächter Wiesels und
legte mit einem „Shit, ist okay“ auf und stand vom Tisch auf
und rauschte zur Tür. Dem Geschäftsführer, der mir sagte,
dass ich noch etliches zu zahlen hätte, erklärte ich kurz und
bündig, er solle die Rechnung an die Firma senden, sie würde
umgehend beglichen und drückte ihm mehrere
Hundertdollarscheine in die Hand, als Trinkgeld für die
Mädel. Dann verließ ich den Club ohne weiter aufgehalten zu
werden. Visitenkarten hatten sie alle bekommen. Der Manager
und die Mädel. Und die Gäste, von denen ich hoffte, dass
einige meine Zielpersonen gewesen waren, kannten mich jetzt
auch.
Ich winkte mir das nächste Taxi und ließ mich ins Hotel
fahren.
Die erste Leimrute war ausgelegt.
278
Mit dem Frühstück wurden mir auch verschiedene
Zeitungen aufs Zimmer gebracht. In der Stadtbeilage des
Boulevardblattes fand ich schon die erste Nachricht über
meine Anwesenheit in der Stadt.
Der Artikel war überschrieben: „Plant US-TV-Gesellschaft
Bericht über das deutsche Sozialsystem? Soll am Beispiel der
Stadt, die den höchsten Sozialempfängeranteil unter den
Bundesländern hat, die vorbildliche Arbeit des deutschen
Systems in den USA bekannt gemacht werden? Es folgten
weiter einige kleine Spekulationen und Erklärungen, die aber
nichtssagend waren.
Wiesel
hatte
Klassearbeit
geleistet.
Und
die
Boulevardreporter hatten schneller reagiert, als ich erwartet
hatte. Jetzt würde die Presse erst einmal mich jagen. Dass ich
auf den Visitenkarten keine Telefonnummer angegeben hatte,
war vorher keinem aufgefallen und man würde meinen guten
alten Freund in seinem Antiquitätengeschäft mit Fragen
bombardieren.
Wie ich es erwartet hatte, waren meine Koffer gestern
ausgeräumt und die Sachen im Schrank verstaut worden.
Auch die neu erworbenen Anzüge hingen dort. Die Rechnung
fand ich diskret im Umschlag auf meinem Schreibtisch im
Wohnraum. Ich kleidete mich mit einem der neuen Anzüge
mit Krawatte. Meine kunstvolle neue Frisur konnte ich selbst
wieder herstellen. Ich brauchte nur genügend Gel in die Hand
zu nehmen und mit gespreizten Fingern durch mein Haar zu
fahren und schon sah ich wieder so herrlich „natürlich
verstrubbelt“ wie der Frisör es genannt hatte, aus. Praktisch.
Dann startete eine Serien von Anrufen. Meine Bank, ein
Reisebüro, Wiesel und einige Bekannte, die ich zu meinen
nächsten Aufgaben gebrauchte. Zuletzt sprach ich mit einer
Bank in London, wo ich aus meiner Zeit bei der englischen
Gesellschaft, bei der ich einen Teil meiner Ausbildung
erhalten hatte, noch ein Konto besaß, aber in der letzten Zeit
279
nicht gebraucht hatte. Ich sagte zu, dass Geld angewiesen
würde, und ich morgen vorbeikommen wollte. Ich ließ mich
zu meiner hiesigen Bank fahren und erregte bei meinem
ständigen Kundenberater einige Verwirrung. Ich veranlasste
ihn mit mir in ein Beratungszimmer zu gehen, was er nach
kurzem Blick auf meinen heutigen Kontostand sofort tat. Ich
wies ihn schriftlich an, sämtliche Rechnungen, die mein
Freund der Antiquitätenhändler einreichte umgehend von
ihm, dem Kundenberater zur Bezahlung freizugeben und
bezahlt würden. Als er mich fragte, ob ich im Lotto gewonnen
hätte, ließ ich es offen; aber als ich ihn verließ war er
überzeugt, ich hätte. Als ich ihm dann noch avisierte, dass
weitere Eingänge in den nächsten Tagen zu erwarten seien,
war er restlos von seiner Theorie überzeugt.
Ich ließ ihn auch die Rechnung des Herrenausstatters
begleichen und mir ein neues Scheckheft aushändigen. Meinen
Freund rief ich an und sagte ihm, dass er seine
Kontovollmacht hier noch unterschreiben müsse. Er beklagte
sich sofort darüber, dass er geradezu von „Pressefritzen“
gelöchert würde, und ihm ein neues Telefon installiert worden
sei, dass er nicht benutzen dürfe. Was dass wohl solle? Ich
sagte ihm, dass dies alles so richtig sei.
Dann ging ich hinüber zum Reisebüro und holte meine
Flugtickets nach London und weiter nach Frankfurt ab. Ein
Taxi brachte mich in die Klinik und nach einigen
Schwierigkeiten, weil man mich nicht als Ehemann erkannte,
durfte ich Eva für fünf Minuten besuchen. Sie lag immer noch
im künstlichen Koma und ich küsste ihre Stirn und hielt ihre
Hand und sprach mit ihr: „Liebe Frau, du gibst mir jetzt die
Kraft und die Ruhe alle Dinge derart vorzubereiten, die
notwendig sind, die an dir verübten Schandtaten und die
Schandtaten an unzähligen anderen Menschen zu rächen. Wir
werden sie in aller Öffentlichkeit bloßstellen, Ihnen das Leben
zur Hölle machen. Das ist meine Aufgabe bei der du mich
unterstützt. Mit deiner Hilfe werde ich es schaffen.“
280
Dann küsste ich sie nochmals zart und verließ den Raum.
Es war die Wahrheit. Ihr Zustand gab mir die Kraft und die
Zuversicht den Kampf gegen den Sumpf zu gewinnen. Ich
fuhr zu mir nach Hause und baute den Computer ab und fuhr
ihn im eigenen Wagen zum dem Clubbesitzer außerhalb der
Stadt, wo ich vor gar nicht allzu langer Zeit mein letztes
Besäufnis gestartet hatte. Er war ebenfalls verwundert über
meine Verwandlung in einen Yuppie; aber verlor kein Wort
darüber. Er versprach mir, gut auf mein Eigentum
aufzupassen. Dann fuhr ich zurück in die Innenstadt, stellte
meine Wagen auf den preiswerten Parkplatz an der Stadthalle
und wanderte durch den Bahnhof zurück in die Innenstadt.
Ich hatte bei meiner morgendlichen Telefonaktion auch
verschiedene Ortsvorsteher aus den einzelnen Stadtteilen und
einige unbedeutende Politiker angerufen und sie zu einem
Abendessen
als
„Roundtable-Gespräch“
zu
dem
Nobelitaliener eingeladen, um mit ihnen die Machbarkeit
meiner TV-Produktion zu diskutieren. Ich hatte sie gebeten,
die Presse von unserem Treffen nicht zu benachrichtigen, da
ich in Ruhe die Vorbereitungen für meine Arbeit abschließen
wolle.
Den Tisch hatte man mir wirklich zusammengestellt und als
ich zwanzig Minuten verspätet eintraf, waren sie alle
versammelt. Ich begrüßte sie einzeln per Handschlag und
machte ein großes Geschrei um die Hilfsbereitschaft jedes
Einzelnen. Die Martinis, die uns als Aperitif gereicht wurden,
waren inzwischen amerikanischen Zuschnitts. Während des
Essens versuchte jeder der Anwesenden seine ganz
persönlichen Verdienste für den jeweiligen Stadtteil
herauszukehren und es war ein munteres Durcheinander.
Fragen nach dem Projekt ging ich geschickt aus dem Weg und
war eigentlich enttäuscht, dass die Presse noch nicht
angerückt war. Als gerade das Dessert gereicht wurde,
stürmten sie herein. Die Herren Ortsvorsteher und Politiker
hatte es sich nicht nehmen lassen die Presse doch zu
281
informieren, damit sie auch ja abgelichtet wurden bei den so
bedeutsamen Verhandlungen über eine amerikanische TVProduktion. Ich hatte mich also doch nicht in der Eitelkeit der
Wichtigtuer getäuscht. Ich hatte eine meiner Visitenkarten
vorbereitet und darauf geschrieben, dass die Rechnung an
angegebene Adresse gesandt werden solle und dem
Oberkellner zugesteckt und hatte mich klammheimlich
verdrückt. In dem Chaos in dem Restaurant, wo sich jeder
kleine Politgehilfe ablichten lassen wollte, war es nicht
aufgefallen. Nur ein junger Mann stand ohne Fotoapparat vor
der Tür und hatte sich gerade eine Zigarette angesteckt als er
mich aus dem Eingang huschen sah. Er trat auf mich zu und
hielt mir ein Diktiergerät vors Gesicht.
„Bitte, Herr Teufel sagen Sie unseren Lesern ein wenig
mehr über das Projekt, das Sie starten wollen. Ich vertrete die
Ärmsten der Armen und wir möchten gerne etwas mehr
darüber wissen. Gerade nach den Skandalen der letzten Zeit.“
„Oh, das ist interessant. Es gab richtige Skandale hier in
dieser Stadt“, fragte ich ihn zurück und gab meiner Sprachen
einen kleinen amerikanischen Touch bei.
„Ja, reichlich! Es gab viel Missbrauch und die wahren
Schuldigen sind nicht mehr zu greifen. Nur die ganz Armen
wurden hart bestraft.“
„Das ist interessant. Vielleicht sollten wir auch darauf ein
Augenmerk in unserem Bericht richten. Ich habe jetzt leider
keine Zeit mehr, bitte geben Sie mir Ihre Karte, damit mein
Büro einen Termin mit Ihnen vereinbaren kann. Exklusiv
selbstverständlich. Vielleicht können wir uns Austauschen.
Geben Sie schon Ihre Karte, ich habe es wirklich eilig.“
Er gab mir seine Karte und sah zu, wie ich einem Taxi
winkte, das heran fuhr. Als ich im Einsteigen begriffen war,
rief er mir hinterher: „Haben Sie den nächsten Termin wieder
im „Francis“?“ Und dann fuhr das Taxi an.
282
Die Zeitungen waren am nächsten Tag mit Bildern von der
Versammlung gefüllt. Auf keinem der Bilder war ich deutlich
zu erkennen. Lediglich eines zeigte mich von Hinten, als ich
mit erhobenem Arm auf etwas zeigte. Die Gerüchteküche
brodelte und ich konnte mir vorstellen, dass in dem
Antiquitätengeschäft reger Verkehr war. Hoffentlich verkaufte
mein Freund bei der Gelegenheit einiges. Ich las mehrere
Ausgaben verschiedener örtlicher Zeitungen. Es mutete
abenteuerlich an, was ich alles gesagt haben sollte. Lediglich
das überregionale Boulevardblatt brachte wieder auf der
Lokalseite einen Bericht, dass ich mich nach dem Stress der
Vorbereitungen wohl im „Francis“ erholte.
Ich hatte für meine Reise die Verkleidung des Yuppies
abgelegt und flog in meiner normalen Kleidung. Als Gepäck
hatte ich nur einen kleinen Handkoffer dabei und so entfiel
das lange Warten an der Gepäckausgabe und ich konnte direkt
zur U-Bahn und fuhr zur Bank-Station. Während der Fahrt
hatte ich in einer „Sun“ gelesen und hatte festgestellt, dass
auch in London diverse Skandale im Zusammenhang mit
Sozialhilfebetrügereien aufgedeckt worden waren. Auch hier
war es nur möglich gewesen, weil sich höhere
Staatsbedienstete daran beteiligt und bereichert hatten. Der
Unterschied zu Deutschland war aber entscheidend: Man
hatte die Hilfsempfänger nicht bestraft, sondern die
Drahtzieher.
Meine Gespräche in der Bank waren dann nur sehr kurz
gewesen und man hatte mir die Möglichkeiten des
Internetzuganges zu meinem Konto freigeschaltet. Ich konnte
so meine Bankgeschäfte direkt vom Büro aus tätigen und
konnte außerdem mit meiner BankCard kostenlos
Bargeldverfügungen an deutschen Geldautomaten tätigen. Die
Auffüllung des Kontos hatte Wiesel in Frankfurt schon
veranlasst. Auch für die Rückfahrt zum Flughafen benutzte
283
ich wieder das U-Bahnsystem Londons, weil ich so wesentlich
schneller als mit dem Taxi ans Ziel kam. Der Flug nach
Frankfurt war verspätet und turbulent; aber das trübte meine
Laune nicht, denn ich hatte während des Fluges weitere
Planspiele für mein nächstes Vorgehen angestellt und sie
schriftlich niedergelegt.
Ich musste später mit Wiesel nur die Zielpersonen anhand
der vorliegenden Akten in mein Puzzle einfügen, um dann
den ersten Dominostein umzuwerfen um die Kettenreaktion,
die ich anstrebte, auszulösen. Aber noch fehlten mir einige
Puzzelteilchen, und hoffte sie in den Akten finden zu können.
Am Frankfurter Flughafen holte mich ein Fahrer aus Wiesels
Fahrbereitschaft ab und ich ließ mich zunächst zur Schweizer
Bank fahren und holte das Wertpapierbündel aus dem Safe.
Einen Teil der Papiere wollte ich dazu benutzen wesentliche
Anteile an einer kleinen TV-Firma in Holland zu erwerben.
Die Verkaufsanzeige hierfür hatte ich in der „Wall-StreetJournal“ gefunden und hatte mich mit dem Verkäufer schon
telefonisch in Verbindung gesetzt. Ich hatte den Kontakt in
den nächsten Tagen zugesagt und das endgültige Datum offen
gelassen.
Wiesel war abwesend als wir kamen und seine Frau sagte
mir, dass ihr Mann in den letzten Tagen auch nur wenig zu
den Akten gekommen sei, weil ein eigener dringender Fall
vorlag, an dem sie mit Hochdruck arbeiten müssten. Aber ich
würde mich ja an Computern auskennen und könne dort
weitermachen, wo er aufgehört hatte. Sie wies mir ein Büro
neben dem Chefbüro zu, indem auch Wilhelm Starck
gearbeitet hatte, wenn es um unseren Fall ging. Als erstes rief
ich meinen guten alten Freund Hinrich Burmester, den
Antiquitätenhändler an und erkundigte mich nach den
Vorkommnissen des Tages. Er kicherte ins Telefon und sagte:
„Junge, Junge, einen besseren Werbegag hättest du dir
wirklich nicht einfallen lassen können. Mein Geschäft boomt.
284
Was da alles für Leute plötzlich zu mir kommen und auch was
kaufen. Die kommen und sehen sich im Laden um, so ganz
scheinheilig, aber suchen immer nach dem US-TV Menschen.
Inzwischen kann ich es ihnen von der Stirn ablesen. Die
wollen aber nicht direkt fragen, also quatsch ich sie erst Mal
voll und verkauf denen Dinge, die sie gar nicht haben wollen.“
Jetzt kicherte er noch mehr. Er hatte offensichtlich etwas
getrunken.
„Das Schönste ist: Ich habe schon zwei echte Fälschungen,
zertifiziert von Dr. Keller verkauft.“
Er sagte nicht, wo er die aufgetrieben hatte und ich musste
ebenfalls grinsen.
„Das waren alles Leute, die ich sonst hier nicht sehe.
Gehobener Mittelstand, würde ich sagen. Mittlere Beamte, die
auch Mal was zu sagen haben möchten. Die Pressefritzen
kenne ich inzwischen auch alle. Die fragen dann direkt nach
deinem Büro, und ich muss sie immer gleich abwimmeln.
Wenn´se Hintergrundinformationen über dich haben wollen,
lass ich sie erstmal blechen. Bringt auch ganz schön was
nebenher“, kicherte er wieder.
„Gut, mach so weiter. Wenn du noch mehr echte
Fälschungen haben willst, solltest du dich mal mit ein paar
Typen aus Brüssel in Verbindung setzen. Ich glaub die haben
noch eine ganze Reihe davon. Und jetzt lass mich weiter
arbeiten, ich melde mich wieder.“
Dann hörte ich den Anrufbeantworter für den neuen
Anschluss, der ja hier auf dem Schreibtisch stand ab. In der
Mehrzahl kamen die Anrufe von Journalisten, die diese
Nummer herausgefunden hatten. Stutzig machten mich nur
zwei Anrufe von Leuten, deren Namen ich nicht kannte. Ich
notierte sie und schrieb mir auch die hinterlassenen
Telefonnummern auf. Ich musste herausfinden, wo sie erstens
die Nummer herhatten, und zweitens, wer sie waren und
drittens, was sie von mir wollten. Den zweiten Punkt klärte
ich mit einem Rufidentifizierungsprogramm und ließ mir die
285
Adresse der Anrufer anzeigen. Beide wohnten in
Schwachhausen, einem teureren Wohnviertel der Stadt.
Berufsbezeichnungen waren leider nicht vermerkt, aber aus
dem Tonfall und der Art wie sie telefonierten waren sie
gebildet und gewohnt Befehle zu erteilen. Sollten sich die
ersten etwas höheren Beamten eingeschaltet haben, die zudem
Zugang zu den Telekomregistrierungen besaßen? Ich war
neugierig geworden und sah mir die Einträge der
abgearbeiteten Erpressungsakten auf dem Computer Wiesels
an. Ich konnte ihre Namen nicht finden. Dies bedeutete zu
diesem Zeitpunkt aber noch nichts, denn ich stellte fest, dass
Wiesel bisher nur dazu gekommen war, etwa ein Drittel der
Akten zu bearbeiten.
Die hartnäckigste Anruferin war eine gewisse Kannebieter
gewesen. Ich nahm an, sie war die Reporterin, die von Wiesel
informiert worden war. Der letzte Anrufer war Kim Vrede
gewesen, der junge Mann, der mich als Einziger wirklich
gesprochen hatte. Er hatte nur gesagt: „Sie wollten mich
anrufen, oder anrufen lassen. Ich bin noch bis 22:00 Uhr
unter dieser Nummer zu erreichen. 97 03 445, danach nur
noch über Handy 0172 – 52 54 783. Vielen Dank für den
Rückruf.“
Wie er das machte fand ich gut. Kühl, sachlich,
nachforschend aber nicht zu aufdringlich. Der junge Mann
war mir auch bei der ersten Begegnung sympathisch gewesen.
Der Anruf verstärkte meine Sympathien und ich beschloss,
mich ein wenig näher mit ihm zu beschäftigen.
Frau Starck holte mich dann zu einem gemeinsamen
Abendbrot und wir sprachen über Evas Zustand. Sie machte
es sehr behutsam, dennoch konnte ich die aufsteigende Trauer
nicht verbergen. Ich sagte nur: „Ich hätte besser auf sie
aufpassen müssen.“
„Waldi, du hast gar nichts verhindern können. Ihr habt
Euch nur zu spät kennengelernt. Ihre Krankheit war schon zu
weit fortgeschritten. Wir wollen nur hoffen, dass sich ihr
286
Zustand bald ein wenig bessert und sie weiß, dass du an ihrer
Seite bist.“
Ich lächelte ein wenig versonnen und sagte ihr: „Es klingt
zwar merkwürdig, aber es ist so. Nicht ich bin an ihrer Seite,
sie ist an meiner Seite und gibt mir die Kraft weiter zu
machen, das Alles zu Ende zu bringen. Endlich die
Hintermänner und Frauen zur Strecke zu bringen, die an der
Not anderer Menschen verdienen und sich der übelsten
Methoden bedienen ihre Macht und Geldgier zu befriedigen.
Die Menschen, kranke Menschen, wie Eva, missbrauchen und
ausbeuten. Immer wenn ich sie ansehe, wie sie gebrechlich
dort liegt, spüre ich ihre innere Kraft, die mich beflügelt.“
Frau Starck war aufgestanden und hatte mir über den Kopf
gestrichen und leise gesagt: „Du schaffst das schon. Und sie
wird dir die Kraft geben, das wiederum spüre ich.“
Sie war in Wiesels Arbeitszimmer gegangen und war mit
zwei großen Cognacschwenkern zurückgekommen, die
großzügig gefüllt waren. Wir hatten uns schweigend
zugeprostet und wir hatten beide unseren Gedanken
nachgehangen. Ich konnte mich nicht an meine Mutter
erinnern, aber so musste sie gewesen sein, wie diese Frau die
mir jetzt gegenüber saß, und ich fühlte mich plötzlich
geborgen.
In diese Stimmung platze Wiesel. Er sah erschöpft aus. Es
war immer wieder bewundernswert welch Arbeitspensum
dieser Mann, der gerade 60 Jahre alt geworden war, leistete. Er
hatte sich ebenfalls schweigend eine Scheibe Brot geschmiert
und ein Bier aus dem Kühlschrank genommen und als er
gegessen hatte, war Frau Starck hinüber gegangen und hatte
auch ihm ein Glas Cognac geholt. Er hatte sich eine Zigarre
angesteckt und ich eine Zigarette und wir rauchten immer
noch schweigend. Als ich meine Zigarette im Aschenbecher
ausdrückte, hatte Frau Starck angefangen abzudecken und uns
ins Arbeitszimmer gescheucht. „Ihr wollt doch bestimmt
noch weiter arbeiten. Ich möchte aber schon in mein Bett. Ich
287
habe Waldi schon das Gästezimmer bereitet. Er braucht nicht
ins Hotel.“ Dann hatte sie ihren Mann geküsst und war ins
obere Stockwerk gegangen.
Ich berichtete ihm detailliert was ich vorhatte und er
unterbrach mich nur einmal und sagte mir: „Du musst aus
dem Hotel wieder raus. Das ist zu exponiert. Wenn du deine
nächsten Schritte in Ruhe tun willst, dann brauchst du einen
Unterschlupf. Lass mich morgen darüber nachdenken, jetzt
bin ich zu müde. Aber berichte noch zu Ende.“
Ich schloss meinen Bericht mit dem Vorhaben in
Amsterdam die TV-Firma zu übernehmen und dass ich den
jungen Vrede gerne näher durchleuchten, und wenn geeignet,
in mein Boot holen wollte. Dann legten auch wir uns schlafen.
Um sechs Uhr in der Frühe war ich wieder hoch. Wiesel
kam nur wenig später. Ich saß schon an dem Computer und
hatte gerade die Struktur der Datenbank bewundert, die
Wiesel angelegt hatte. Wenn alle Daten eingegeben waren,
konnten wir nach den verschiedensten Kriterien unsere Daten
abrufen und sortieren. Angefangen von Personen, über
Dienstverhältnisse und Zugehörigkeiten zu Organisationen,
bis hin zu den verschiedensten Beweismitteln, wie Fotos,
Zahlungsbelegen usw. Er hatte selbstverweisende Links zu
anderen Personen des gleichen Kreises geschaffen und damit
die Suchfunktionen noch erweitert. Jetzt ging es nur noch
darum, sämtliche Daten einzugeben. Wir arbeiteten an zwei
Eingabegeräten und kamen zügig voran. Um acht Uhr
klingelte mein Handy und ich sah auf dem Display, dass es
Lars war. Als ich mich meldete, war er furchtbar aufgeregt.
„Man hat mich heute zur Dienststellenleitung beordert. Ich
soll da über meine Kontakte zu dir berichten. Zu dem TVMenschen. Wie ich zu den Kontakten käme und was man von
mir wollte. Was soll ich denn nur sagen?“
288
„Ganz einfach. Sage, dass ich dich angerufen hätte und zu
einem Essen eingeladen hätte weil mir bekannt geworden
wäre, dass in der letzten Zeit gerade in deinem Bereich die
verschiedensten Missbräuche aufgedeckt worden seien. Ich
hätte dir gesagt, dass es natürlich nicht besonders gut
aussehen würde, wenn wir über das vorbildliche System der
Deutschen berichten wollten, aber es sich scheinbar Lücken
ergeben hätten, die man in den Staaten gerade vermeiden
wolle. Sage denen, dass du dich angesprochen gefühlt hast,
diese Missstände als absolute Ausnahmen dem Mann
hinzustellen und damit den guten Ruf der Einrichtung hättest
retten wollen. Ich wäre aber immer wieder auf die Vorfälle
zurückgekommen und hätte nach weiteren Einzelheiten
gefragt, die dir aber unbekannt seien. Du hättest mich auf die
Gerichte angesprochen, die diese Fälle bearbeitet hätten und
die Schuldigen bestraft hätten. Du hättest mir immer wieder
versichert, dass die Fälle des Missbrauchs aufgeklärt seien und
nicht wieder vorkommen könnten. Ich hätte aber den
Eindruck erweckt, dass ich mit diesen Auskünften nicht
zufrieden gewesen sei. Und außerdem sei ich ein großer
Widerling, der scheinbar nichts anderes im Kopf hätte als Sex
und eigenes Vergnügen.“
„Ach, du meine Güte, da kommen die Herren und wollen
mich in die Sitzung mitnehmen. Ich muss Schluss machen“,
und dann war die Leitung tot.
Ich würde gerne Mäuschen spielen bei dieser Befragung
und hätte gerne die Reaktion der Herren gesehen, wenn Lars
die Unterhaltung zwischen mir und ihm, so schilderte, wie ich
es ihm aufgetragen hatte. Ob sie wohl nachdenklich würden?
Nachdenklich, ob ich weiter recherieren wolle, was da wirklich
abgelaufen war?
„Da scheinen ein paar Leute in Spitzenpositionen unruhig
zu werden“, sagte ich zu Wiesel und schilderte warum Lars
derart aufgeregt war.
289
Wiesel grinste und meinte nur: „Wir sollten noch ein wenig
mehr Öl ins Feuer gießen. Ich rufe gleich die Kannebieter an
und frag sie, ob sie es für möglich hält, dass du gar nicht über
das prima System der deutschen Sozialhilfe berichten willst,
sondern eigentlich hinter den Vorfällen des Missbrauchs her
seiest. Wir wollen doch einmal sehen, was sie daraus macht.“
Das gefiel mir ausgezeichnet. Der Bienenstock würde
wieder summen.
Wir arbeiteten weiter und gaben Daten ein. Zwischendurch
hatte ich das Hotel angerufen und mein Zimmer gekündigt
und mitgeteilt, dass ein beauftragtes Unternehmen meine
Sachen abholen würde. Der Abholer würde sich mit einer
Faxanweisung bei Ihnen legitimieren und auch die Rechnung
begleichen. Ich hoffte, bald wieder ihr Gast sein zu dürfen
und legte auf.
Den Rest organisierte Wiesel. Er bat einen Bekannten die
Sachen abzuholen und die Rechnung zu zahlen. Er würde
zehntausend DM für Spesen sofort auf sein Konto
überweisen. Die Sachen sollten bei ihm im Büro gelagert
werden. Dann sandten wir ein Fax, das ich mit meinem neuen
Titel und Unterschrift versah.
Wiesel hatte sich danach mit seinen Mitarbeitern
zusammengesetzt und den Abschlussbericht in der eigenen
Sache durchgesprochen und diktierte ihn jetzt nebenan.
Ich erkundigte mich inzwischen nach Flügen nach
Amsterdam und buchte für den Spätnachmittag. Mit dem
Verkäufer der TV-Firma machte ich einen Termin für den
nächsten Vormittag aus.
Wiesel hatte gestern Abend noch Anweisungen an einen
weiteren Bremer Bekannten gegeben und hatte ihn gebeten
Nachforschungen über den jungen Vrede anzustellen. Gegen
11 Uhr kamen die Ergebnisse per Fax und Wiesel brachte sie
mir. Es sah nicht schlecht aus, was ich da las. Vrede studierte
in Hamburg Journalismus und hatte während der
290
Semesterferien
einen
Praktikantenjob
bei
einer
Stadtteilredaktion bekommen und war auf Gerichts- und
Sozialfälle spezialisiert. Er hatte einige Artikel über die
Verhandlungen gegen die Bezieher von ungerechtfertigten
Leistungen geschrieben. Zwei der Artikel waren dem Fax
beigefügt. Der Tenor dieser Artikel war für mich interessant,
denn er verurteilte die Menschen weniger als andere
Zeitungen es getan hatten und fragte hintergründig, wie es
überhaupt zu diesen Missständen hatte kommen können. Er
ließ diese Frage aber offen.
Er war 24 Jahre alt und ungebunden. Gebürtig war er im
westfälischen Raum, wo seine Eltern eine kleine
Regionalzeitung betrieben. Er galt als guter Student mit
überdurchschnittlich guten Noten, war aber als eigensinnig
und manchmal schlampig verschrien. Dass er jetzt bei keiner
größeren Zeitung ein Praktikum absolvieren konnte, war
scheinbar das Ergebnis seiner aufmüpfigen Art gegenüber
Vorgesetzten. Seine Vermögensverhältnisse waren eher
bescheiden und er hatte neben dem Studium als
Aushilfskellner gejobbt.
Der Bericht war nach meinem Geschmack und ich
beschloss ihn direkt auf die Probe zu stellen. Ich rief ihn über
Handy an. Er meldete sich sofort und an den
Nebengeräuschen konnte ich hören, dass er auf einer Straße
sein musste.
„Wenn Sie daran interessiert sind weiteres über meine Pläne
zu erfahren, kommen Sie heute Abend nach Amsterdam.
Hotel „Grotenhuis“. Ich werde sie dort an der Bar erwarten.“
Seine Antwort kam prompt, wenn auch ein wenig
deprimiert: „Tut mir leid, aber den Termin werde ich nicht
wahrnehmen können. Mein persönliches Budget gibt das nicht
her, und meine Zeitung wird mir keine Spesen dieser Art
bezahlen. Schade. Können wir uns nicht in den nächsten
Tagen hier in Bremen treffen. In Ihrem Hotel zum Beispiel.
Den Drink an der Bar könnte ich dann sogar übernehmen.“
291
Ich musste über seine Ehrlichkeit und seine
Ausdrucksweise grinsen. Er war zwar brennend interessiert;
aber versank auch nicht in Ehrfurcht vor dem Namen, wie die
meisten seiner Kollegen.
„Nehmen Sie nur ein kleines Handgepäck mit und melden
sich am Ticketschalter des Bremer Flughafens. Dort ist ein
Ticket auf Ihren Namen für den 18:00 Uhr Lufthansa Flug
hinterlegt. Wie Sie zum Hotel kommen ist Ihre Sache. 20 Uhr
an der Bar“, und damit legte ich auf.
Ich hatte zwar schon herausgefunden, dass ein Flug um
diese Zeit von Bremen nach Amsterdam ging, hatte aber keine
Reservierung vorgenommen und hoffte darauf, dass noch ein
Platz frei sei. Es gab noch einen Platz in der Businessklasse,
den ich buchte. Ich war gespannt ob er kommen würde. Zwei
Zimmer im Hotel hatte ich ebenfalls gebucht.
Ich arbeite mit einer kurzen Unterbrechung für das
Mittagessen weiter mit der Eingabe von Daten und machte
mich um 15 Uhr reisefertig und wurde von einem Fahrer zum
Flughafen gebracht.
Im „Grotenhuis“ war ich bekannt. Während der letzten
Aufenthalte in Amsterdam hatte ich immer hier gewohnt, vor
zwei Jahren durchgehend zwei Monate. Zu der Zeit hatte ich
langwierige Ermittlungen in einem größeren Betrugsfall, der
grenzübergreifend zwischen England und Holland gelaufen
war, angestellt. Als ich an die Bar kam, stellte mir der
Barkeeper ungefragt ein Mineralwasser hin und streckte mir
die Hand entgegen. „Herzlich Willkommen, Sind Sie auch
endlich Mal wieder da?“
„Leider nicht für lange. Ich muss morgen schon wieder
weiter.“
„Ja, ja, die Verbrecher laufen auch immer schneller.“
„Die meisten brauchen noch nicht einmal zu Laufen, die
erledigen es vom Schreibtischsessel aus, und holen sich ihre
292
Beute nachher nur noch von ihrem Bankkonto“, meinte ich
grienend.
„Hier sind die immer noch altmodisch, die rennen immer
noch mit dem Packet Heroin vor den Polizisten weg.“
Er drehte sich um, weil an der anderen Seite der Bar eine
Schar von Gästen erschien.
Ich sah Vrede schon von weitem. Er schlenderte, einen
modischen Rucksack über eine Schulter gehängt durch die
Hotelhalle zur Bar herüber. Sportlich gekleidet, schlank,
selbstbewusst und geschmeidig, kam er daher. Er ließ den
Blick über die Gäste gleiten und blieb mit seinem Blick an mir
hängen. Dann kam er zu mir.
„So sehen Sie mir sympathischer aus“, waren seine Worte
zur Begrüßung.
„Schön, dass sie kommen konnten. Was wollen Sie trinken?
Wir setzen uns rüber an einen der Tische.“ Er wollte ein Bier
und ich orderte zwei und sagte, dass wir an einen Tisch gehen
würden.
Er hatte mich die ganze Zeit prüfend angesehen und
beobachtete mich auch nachdem wir uns gesetzt hatten. Dann
meinte er nur: „Haben Sie auch für Quartier gesorgt, oder
muss ich mir die Nacht in einem Coffee-Shop um die Ohren
schlagen? Der Rückflug ist erst für morgen 11 Uhr gebucht.“
Ich griff in die Tasche und gab ihm den Zimmerschlüssel.
„Sie wohnen ebenfalls hier im Hotel, und ich glaube wir
werden ein längeres Gespräch führen müssen. Wenn Sie Ihr
Bier ausgetrunken haben, können Sie Ihre Sachen aufs
Zimmer bringen und wir werden zum Essen in ein
indonesisches Restaurant gehen. Einverstanden?“
„Einverstanden“, er zündete sich dabei genüsslich eine
Zigarette an.
„Wieso haben Sie mich eigentlich nach Amsterdam gelockt.
Was sollte ihre Masche in Bremen und warum sind Sie sofort
wieder verschwunden?“
293
„Später, genießen Sie erst Ihr Bier. Ich werde zunächst
Ihnen ein paar Fragen stellen, und dann werden wir
weitersehen.“
„Okay. Ich bring dann eben nur die Sachen aufs Zimmer“,
damit verschwand er.
Wenn er jetzt vom Zimmer aus eine Meute anderer
Journalisten anrief und hierher bestellte, war ich ganz schön
aufgeschmissen; aber ich ging davon aus, dass er einen
solchen Schritt nicht unternehmen würde, da seine eigene
Neugier siegen würde.
Er war rasch wieder zurück und setzte sich mir wieder
gegenüber und nuckelte weiter an seinem Bier und sagte:
„Bevor Sie mich nun Löchern, ist was daran, dass Sie es nicht
auf das Sozialsystem des Landes abgesehen haben, sondern
auf die Skandale des Missbrauchs?“
Ich grinste ihn jetzt offen an, denn die Kannenbieter hatte
gute Arbeit geleistet. Selbst der Reporter einer
Stadtteilredaktion war schon über die neuesten Gerüchte
informiert.
„Würde es für Sie einen Unterschied machen?“
„Ja, eindeutig. Die Aburteilung der Hilfsempfänger ist
schon ein weiterer Skandal. Wenn Menschen gezwungen
werden den Staat zu schröpfen und das meiste Geld
weitergeben müssen und dafür in vollem Umfang bestraft und
zur Rückzahlung verdonnert werden, dann ist das schreiende
Ungerechtigkeit. Diejenigen, die das eingefädelt hatten, sind
nicht mehr zu greifen und diejenigen, die das überhaupt erst
ermöglichten, bleiben weiter im Dunkeln und reiben sich die
Hände“, ereiferte sich Vrede.
„Kommen Sie, wir gehen Essen.“ Ich hatte dem Barkeeper
ein Zeichen gegeben und er wusste, ich würde wiederkommen
und meine Rechnung zeichnen.
Trotz einsetzenden Regens gingen wir zu Fuß. Wir hatten ja
beide Lederjacken an und mir tat das Wasser von oben, nach
vier Wochen knallender Sonne ganz gut. Das sagte ich dem
294
jungen Mann, der mich eher unverständliche ansah. Er
brannte darauf meine Stellungnahme zu den Dingen zu
erfahren, war aber geduldig genug nicht während des
Fußmarsches weiter zu insistieren.
Erst als wir unsere Plätze eingenommen hatten,
thailändisches Bier aus Literflaschen tranken und auf die
Reistafel warteten, begann ich seine wirkliche Gesinnung zu
testen: „Was veranlasst Sie zu der Annahme, dass mich die
Hintergründe überhaupt interessieren? Ich habe mich ein
wenig über Sie erkundigt und dabei nur feststellen können,
das einige Ihrer früheren Chefs meinten, dass Sie gelinde
gesagt, etwas zu eigenwillig Ihre Ermittlungen führen und
entgegen der Meinung Ihrer Chefs in falsche Richtungen
fahndeten und auch schrieben. Wieso meinten die das?“
Sehr selbstbewusst meinte: „Wenn meine bisherigen Chefs
sich mit blöden oberflächlichen Meinungen zufrieden geben,
dann ist es deren Sache. Ich meine, dass die Allgemeinheit,
und Leser sind immer die, oder, in der Allgemeinheit, das
Recht auf vollständige Aufklärung haben und dass
Berichterstattung sich nicht nur auf offensichtliche Dinge
beschränken sollte. Wenn wir derart berichten, wie einige
meiner früheren Chefs es von mir verlangten, dann verzerren
wir doch nur in den meisten Fällen die Wahrheit. Es wird
doch überall nur noch manipuliert und ich möchte nicht ein
Teil dieser Manipulation sein.“
„Aber
die
Gerichte
und
die
Polizeiund
Staatsanwaltschaftsbehörden ermitteln doch die Wahrheit
über die Sie berichten sollen.“
Jetzt sah er mich geradezu bösartig an: „Sind Sie ebenfalls
ein derartiger Narr zu glauben, dass dort die Wahrheit
ermittelt wird? Das dort für Gerechtigkeit gesorgt wird? Sind
Sie vielleicht gar einer, der von eben diesen Behörden gekauft
wurde, um die schöne heile Welt in einem TV-Bericht
darzustellen. Wollen Sie helfen, hier ein Mäntelchen drüber zu
hängen, dort den Teppichrand anzuheben, damit kräftig
295
darunter gekehrt werden kann, oder wollen Sie gar mit Ihrem
amerikanischen Gehabe und falscher Identität als großer
Saubermann auftreten, der die Ungerechtigkeiten einfach
beiseite wischen kann? Ich habe jedenfalls ermittelt, dass eine
derartige TV-Gesellschaft in Malibu nicht angesiedelt ist. Kein
Mensch kennt dort einen solchen Schuppen, noch nicht Mal
zu Herstellung billiger Werbespots oder was weiß ich,
vielleicht Pornostreifen. Ihr Auftreten im „Francis“ hätte
wenigstens einen derartigen Schluss zugelassen. Was also
wollen Sie wirklich?“
„Schon besser Herr Vrede. Gibt es sonst noch was, was
Ihnen aufgefallen ist?“
Jetzt war er richtig in Rage und merkte nicht, dass er sich
um Kopf und Kragen geredet hätte, wenn ich wirklich der
war, für den er mich hielt.
„Und ob. Ich gehe fast davon aus, dass Sie zu dieser
Kirchengang gehören, die den ganzen Betrug überhaupt
eingefädelt hat. In den Anmeldelisten für Sozialhilfe wurde
der Name Teufel sowohl in Bremen als auch in Rothenburg
gefunden; aber der Herr saß nicht mit auf der Anklagebank,
als die anderen armen Schlucker verdonnert wurden.“
„Und wenn ich wirklich derjenige bin? Der jetzt anhand
eines wunderschönen TV-Projektes die Dinge im Sinne der
Behörden wieder ins rechte Licht rücken soll. Der weitere
auch nur angedachte Verdachtsmomente zerstreuen soll. Was
wollten Sie dann schon tun? Demonstrationen von
Sozialhilfeempfängern organisieren, die als Betrüger verknackt
worden sind? Steine werfende Randalierer mobilisieren, die
auch nur wieder verknackt werden? Was wollen Sie also tun?“
Ich hatte mich drohend über den Tisch gebeugt und hatte
ihn scharf fixiert. Er wollte sich empört erheben und schrie
mich an: „Haben Sie mich deswegen hierher gelockt, damit
Sie mich einschüchtern können. Das klappt mit mir nicht. Mit
mir nicht, Sie Schwein!“
296
„Setzen Sie sich wieder hin und seien Sie etwas ruhiger.
Unnötige Aufmerksamkeit sollten wir nicht erregen. Und
beruhigen sich erstmal wieder. Ich wollte Ihnen damit nur die
Hilflosigkeit derjenigen vor Augen führen, die immer
benachteiligt sind. Wenn Sie Ihren Kopf gebrauchen wollen
und wirklich Gerechtigkeit möchten, dann sollten Sie
zuhören. Wenn ich der wäre, für den Sie mich halten, würden
Sie nicht mit mir reden, sondern wären tot. Tot wie der
ehemalige Verwalter der Kirchengemeinde, Möbius, der sich
außerdem Dr. Keller und Schiewerski nannte. Erschossen.
Nicht etwa von hinterhältigen unbekannten gedungenen
Mördern, sondern von diensteifrigen Polizisten. Vielleicht
wieder auf Autobahnraststätten.“
Ich hatte diese Worte ruhig, leise, aber äußerst scharf
gesprochen und er reagierte prompt. Er ließ sich auf seinen
Stuhl zurückfallen und sah mich groß an.
„Ja, wer sind Sie dann?“
„Ihre Recherchenansätze waren schon mal gut. Sie haben
mehr herausgefunden als die anderen Schreiberlinge. Ich war
wirklich in die Dinge der Kirchengemeinde verstrickt, aber auf
der anderen Seite. Ich will auch die Hintermänner.“
„Aber wie soll das gehen?“
„Zunächst muss ich mir Klarheit über Sie verschaffen. Wo
Sie wirklich stehen und was Sie können. Ob Sie nur ein
idealistischer Hitzkopf sind und sich selbst und andere damit
in Gefahr bringen, oder ob Sie realistischer Journalist sind, der
mit Taschenspielertricks umgehen kann, um die Masse zu
beeinflussen und die Dunkelmänner herausfordern kann, um
sie Fehler machen zu lassen. Erst wenn ich mir darüber
wirklich im Klaren bin, kann ich Sie einsetzen oder lahm
legen.“
Unsere Reistafel wurde aufgetragen und gab uns beiden
eine kleine Verschnaufpause und ich hakte während des
Essens nach.
297
„Sie schildern mir bitte jetzt Ihre bisherige Laufbahn ohne
Beschönigungen und erklären mir auch Ihr Verhältnis zu der
Kannebieter, denn die hat Sie schon über meine mögliche
Rolle informiert, dass ich eher Skandale ausgraben möchte, als
über das System zu berichten. Das haben wir nur ihr gesteckt.
Allerdings in der Hoffnung, dass Sie es möglichst bald
herumerzählt.“
Seine Augen waren fragend auf mich gerichtet, aber es
schien ihm zu dämmern, dass manipuliert wurde. Nach einer
zweiten Aufforderung fing er dann an über seinen Werdegang
und seine Stationen im Zeitungsgeschäft zu berichten. Von
dem kleinen Verlag seiner Eltern über die Stationen bei
einigen renommierten Zeitungen, wo er jedes Mal wegen zu
großem sozialen Engagement angeeckt war und sich gegen
seine Vorgesetzten aufgelehnt hatte. Mit den Erfolg, dass er
rausgeflogen war. Bei diesen Gelegenheiten war er mehrfach
mit der Kannenbieter zusammengekommen. Die hatte ihm
zwar bisher keinen Job bei ihrer Zeitung besorgen können;
aber er genoss ihren Schutz. All die Dinge, die sie selbst nicht
in Angriff nehmen konnte, weil auch ihr, redaktionelle Fesseln
angelegt waren, gab sie ihm weiter und wollte natürlich über
seine Ergebnisse informiert werden.
Ich fragte ihn prompt, ob er sie schon über die
Namensgleichheit Teufel bei den Hilfsempfängern und der
TV-Gesellschaft informiert hätte. Er hatte noch nicht, weil
seine Nachforschungen erst am Anfang stünden.
Am interessantesten war für mich aber die Information,
dass er Kontakte zu zwei unabhängigen privaten kleinen
Radiosendern unterhielt, die in der norddeutschen Region ihre
Programme ausstrahlten. Ich wusste, dass hier häufiger
scharfzüngige Glossen und Kommentare gegen die
Politikstruktur und dem Gekungel innerhalb der
Gemeindeverwaltungen gesendet wurden. Als er seinen
Bericht geendet hatte, sah er mich fragend an und drückte es
direkt aus: “Und was wollen Sie jetzt damit anfangen?“
298
Ich hob meine Literflasche Bier und prostete ihm zu und er
trank verblüfft mit.
„Prost auf Ihre neue Karriere als Chefredakteur bei der
„Devils-Hunting-TV“. Sie sind nur den Eignern gegenüber
verantwortlich und die einzige Aufgabe, die diese
Produktionsfirma hat, ist die Aufdeckung der üblen
Machenschaften innerhalb der Verwaltung. Die reichen von
Bestechlichkeit über Begünstigung von Straftaten, besonders
auf dem Sektor Prostitution und verbotenen Glücksspielen,
Rauschmittelschmuggel bis hin zur Anstiftung zum Mord. Sie
werden dabei nicht ungefährlich leben. Die Beweise für unsere
Behauptungen sind zwar vorhanden aber würden vor Gericht
zu einer Anklage nicht zu gebrauchen sein, weil sie im Sinne
der Gesetze unrechtmäßig erworben wurden. Aber um diese
Hintermänner bloß zu stellen und in der Öffentlichkeit
unmöglich zu machen, reicht das Material aus.
Sie werden im Dreck waten. Es ist der reinste Horror; aber
das Ziel ist es, ein für alle Mal, wenigstens diese verlogenen
Typen unschädlich zu machen. Wir müssen uns darüber im
Klaren sein, dass wir zwar die jetzigen Schuldigen entlarven
können; aber dass Hunderte schon wieder in den Startlöchern
stehen, um dort weiter zu machen, wo wir gerade Lücken
schlagen. Vielleicht passt man danach zunächst besser auf,
dass solche Machenschaften nicht so einfach wieder
eingefädelt werden können, aber auch das lässt nach einiger
Zeit wieder nach und neue Strukturen wachsen wieder heran.
Wir können nicht die Welt verbessern; aber wir können im
Kleinen saubermachen.“
„Und wieso machen Sie das?“
„Ich habe in der letzten Zeit soviel Elend und Dreck
gesehen. Meine Frau ist dabei draufgegangen und ich durfte
zusehen, wie ein Verbrecher, den ich mühsam eingefangen
hatte und der Aussagen hätte machen können, den Dreck zu
lichten, vor meinen Augen hingerichtet wurde, um genau das
299
zu verhindern. Und wenn derartige Dinge unter den Teppich
gekehrt werden, dann ist das die eine Tat zuviel.“
„Dann meinen Sie das tödliche Feuergefecht auf der
Autobahnraststätte?“
„Feuergefecht? Haben Sie schon Mal davon gehört, dass
ein unbewaffneter Mann, mit auf den Rücken durch
Kabelbinder gefesselten Händen ein Feuergefecht liefern
kann? Das ist wie der bösartigste rassistische Witz, den ich je
gehört habe, bei dem ein Farbiger in den Südstaaten der USA
von fünfzig Kugeln aus Polizeiwaffen auf einer Kreuzung
niedergestreckt wird und der Sheriff sich das ansieht und sagt:
„Das ist der grausigste Selbstmord, den ich je gesehen habe.“
Er starrte mich gebannt an. Er hatte die ganze Bitterkeit
und meine Wut heraushören können und war erschrocken.
„Wollen Sie persönliche Rache?“
„Nein, der Zustand meiner Frau wäre möglicherweise auch
ohne deren Zutun eingetreten. Der Mann der erschossen
wurde, war ein Mörder. Viele die auf der Strecke bleiben
werden, sind üble Gewohnheitsverbrecher. Es ist keine
persönliche Rache, ich möchte nur den Sumpf für einige Zeit
trocken legen.“
„Ja, wer sind Sie und wer finanziert die ganze Aktion?“
„Finanzierung aus den Mittel, die Verbrecher auf ihren
Konten angehäuft hatten und ich bin zugelassener
Privatdetektiv. Und ich heiße wirklich Teufel und ich gedenke
gegenüber einigen Herrschaften meinem Namen alle Ehre zu
machen.“
Jetzt starrte er mich mit offenem Mund an und murmelte:
„Ich glaub es nicht. Ich kann es nicht fassen. Dann sind Sie
der Mann den man mir geschildert hat, der in der
Hochhaussiedlung aufgetaucht war und scheinbar ein
vorbestrafter großer Typ, der die Schuld hat, dass die
Sozialhilfeempfänger auf die Anklagebank gekommen sind?
Und Sie sind Privatdetektiv?“
300
„Ja, ich hatte die Aufgabe den Missbrauch der
Kirchengemeinde aufzuklären und zu stoppen. Dass ein
derartiges Ergebnis daraus entstehen würde, war nicht
abzusehen. Nicht gegen die kleinen Empfänger waren die
Ermittlungen gerichtet, sondern gegen die Hintermänner. Was
man daraus gemacht hat, ist die absolute Verdrehung der
wirklichen Umstände. Ein weiterer Grund für meine jetzige
Säuberungsaktion.“
„Und wie stellen Sie sich meine Rolle bei diesen Dingen
vor?“
„Zunächst werde ich morgen hier eine reale TVProduktionsfirma übernehmen. Sie wird zwar nicht wie auf
meiner Visitenkarte angegeben in Malibu beheimatet sein,
sondern auf einer niederländischen Insel in der Karibik. Es
stehen aber die technischen Ressourcen und die geschulten
Techniker zur Verfügung um wirkliche TV-Produktionen zu
erstellen. Dieses Team wird in einiger Zeit in Bremen
auftauchen. Sie werden die Redaktion über eine Serie über die
Arbeit des Sozialamtes übernehmen. Sie werden mit den
Ämtern und den Verantwortlichen über Drehgenehmigungen
verhandeln und Sie werden sich auch mit den armen Hunden
in der Hochhaussiedlung und auch in anderen Teilen der Stadt
in Verbindung setzen und versuchen von Ihnen Fallbeispiele
vor die Kamera zu bekommen. Auch bei den
Verantwortlichen soll ankommen, dass nicht kritiklos
berichtet wird, sondern auch Fragen offen bleiben.“
„Sie wollen wirklich einen Film darüber machen?“
„Ja, das ist aber nur ein Nebenprodukt. Die Dokumentation
können wir dann vielleicht später Radio Bremen oder dem
NDR verkaufen. Aber ich will vor Allem die Möchtegerne, die
sich so gerne in den Vordergrund spielen, aus der Reserve
locken, durch ihre Eitelkeiten, um sie dann öffentlich mit den
Beweisen zu konfrontieren. Wir werden mit kleinen
Mitläufern starten, damit die Großen sich in die Hosen
machen. Sie sollen Bibbern.“
301
Er guckte skeptisch und ich fragte weiter. „Verstehen Sie
vom Fernsehmachen so viel, dass Sie eine vernünftige Story
zusammenkriegen, die nicht ausgesprochen sozialkritisch ist?“
„Ja, und notfalls kann ich auf die Kenntnisse einiger
Radioleute zurückgreifen. Da seh ich keine große
Schwierigkeit.“
„Denken Sie aber immer daran, dass ich keine Alleingänge
dulden kann, denn damit wäre das ganze Projekt gefährdet.
Ich muss mich voll und ganz auf Ihre Loyalität verlassen
können.“
„Wenn es wirklich der Sinn ist, die wahren Hintermänner
bei diesen Betrügereien zu entlarven, dann können Sie sich auf
mich verlassen“, sagte er mit Nachdruck.
„Auch wenn Sie sich mit den größten Tieren der Stadt
anlegen müssen. Wenn Ihnen viel Geld geboten wird die
Wahrheit zu verbiegen, oder wenn Ihnen der Posten des
Mediendirektors der Stadt, des Rundfunks, des Fernsehens
angeboten wird?“
„Dann erst recht!“
Jetzt war er Feuer und Flamme. Es würde für mich nur
schwer werden, seinen Feuereifer zu dämmen, damit er nicht
unnötig in Gefahr geriet, denn mit welchen Mitteln unsere
Gegner kämpften, hatte ich schon gesehen.
„Bevor wir unsere TV-Aktivitäten überhaupt starten,
sollten Sie sich die Fotos von dem erschossenen Gangster von
der Autobahn besorgen. Nicht die offiziell schon in den
Zeitungen erschienen sind, sondern die, welche nicht zur
Veröffentlichung freigegeben wurden. Ich nehme nicht an,
dass diese Fotos mit einer digitalen Kamera gemacht wurden,
sondern auf gewöhnlichem Film. Dann wären die Negative
wichtig. Falls doch eine digitale Kamera zum Einsatz
gekommen ist, die Daten der Computer. Ich bekomme sie
bestimmt nicht, deshalb lassen Sie sich etwas einfallen, wie Sie
daran kommen. Es sollten die gefesselten Hände zu sehen
sein.“
302
Wir hatten während wir sprachen uns reichlich von der
Reistafel bedient; aber es standen immer noch Unmengen
köstlicher Speisen auf dem Tisch, als wir streiken mussten. Es
ging nichts mehr in uns hinein. Wir bestellten noch ein
weiteres Bier und einen Verdauungsschnaps und während
abgeräumt wurde, fragte ich Ihn weiter nach seinen
Trinkgewohnheiten und seinen Kontakten zum weiblichen
Geschlecht aus. Er beantwortete meine Fragen in einer
Offenheit, die mir gefiel. Er sagte mir, dass es schon
vorgekommen sei, dass er fürchterlich mit Alkohol abgestürzt
sei, aber er im Allgemeinen nur gemäßigt Bier trank und er ein
Faible für dunkelhäutige Mädchen hätte. Dabei hatte er
sehnsüchtig unserer hübschen Bedienung nachgesehen.
Später gingen wir trotz inzwischen strömenden Regens
durch die Altstadtgassen, tranken noch in einem weiteren
Genever und ein Bier in einer der vielen Kneipen und
besprachen die Grundzüge des Manuskriptes der
Fernsehsendung. Den offiziellen Arbeitsvertrag würde ich ihm
in den nächsten Tagen zusenden oder übergeben. Über
Gehaltsfragen waren wir uns schnell einig geworden. Vorher
solle er sich nur auf die Vorfälle an der Raststätte
konzentrieren und auch versuchen sich in das Vertrauen des
jungen Beamten, der ja ebenfalls gelinkt worden war, zu
schleichen. Über diese Ermittlungen sollte er auch nicht mit
der Kannenbieter sprechen. Später wollten wir ihr einen
vollständigen Bericht zuspielen, damit sie in Ihrem
Revolverblatt den nötigen Wirbel veranstalten konnte.
Ziemlich nass erreichten wir dann das Hotel und jeder
verschwand in seinem Zimmer. Ich sann noch einige Zeit, ob
meine Entscheidung, ihn ins Boot zu holen, sinnvoll gewesen
sei; aber mein Gefühl sagte mir, dass er ein Volltreffer sein
würde.
Die Verhandlungen am nächsten Tag gingen rasch über die
Bühne, nachdem ich mich vom Zustand der Firma und den
303
technischen Einrichtungen überzeugt hatte. Der jetzige
Inhaber war ein Mann von etwa 65 Jahren, der keine
Nachkommen hatte. Die Firma spielte gerade eben ihre
Kosten ein und die Aufträge für die nächsten Monate waren
zwar vorhanden, aber lasteten die Firma auch nicht aus. Den
Verkaufspreis fand ich angemessen und der Inhaber war
außerordentlich davon angetan, dass ich die Summe mit nicht
registrierten Wertpapieren zahlen wollte. Ein ihm bekannter
Notar übernahm die Ausfertigung des Vertrages und die
Anmeldung auf der Karibikinsel. Am Nachmittag saß ich
schon wieder in einer KLM-Maschine auf dem Rückflug nach
Frankfurt. Wir hatten vereinbart, dass wir in der nächsten
Woche erneut zusammentreffen wollten, um die Produktion
in Deutschland in Angriff nehmen zu können. Mein
Redakteur würde ebenfalls anwesend sein und die
behördlichen Grundlagen der Umschreibung der Firma
sollten bis dahin geregelt sein.
In Bad Homburg half mir in den nächsten Tagen eine
Sekretärin die Daten einzugeben. Sie hatte schon viele Dinge
während ihrer Tätigkeit für Wiesel zu sehen bekommen, aber
derartig viel Dreck, wie sie sich ausdrückte, noch nie. Nach
Beendigung unserer Eingaben hatte sie angewidert die Akten
zusammengebunden, damit wir sie wieder in den Tresor
verbringen konnten. Die gesammelten Daten brannten wir auf
CD.
Dann hatte das Ehepaar Schiewerski aus Monschau
angerufen auf der Suche nach mir. Die Häuser in Bremen
waren inzwischen von der Polizei freigegeben und sie sollten
das Erbe Dr. Kellers antreten. Sie könnten aber die
Erbschaftssteuer nicht aufbringen, was sie denn nun machen
sollten. Sie riefen von Bremen aus an, weil sie zur
Testamentseröffnung dorthin beordert worden waren. Ich
sagte zu, dass ich am nächsten Tag dort sein würde, und
fragte, wo sie während der Zeit wohnen würden. Sie nannten
304
mir ein kleines Hotel in der Nähe ihrer Häuser und wir
verabredeten uns dort am nächsten Nachmittag. Ich flog
zurück. Drei der gebrannten CDs hatte ich dabei.
Vom Flughafen war ich mit einem Taxi zum
Langzeitparkplatz vor der Stadthalle gefahren und hatte mein
Auto ausgelöst und war direkt in die Klinik gefahren. Eva
wurde immer noch künstlich ernährt und sie war immer noch
nicht zu sich gekommen, das wusste ich schon aus
verschiedenen Telefonaten. Man hatte sie zwar aus der
Intensivstation in eine normale Pflegeabteilung verlegt, aber in
einen geschlossenen Bereich. Man riet mir sie in eine private
Anstalt am Rande der Stadt zu verlegen, weil man sich dort
besser um sie kümmern könne. Ich war damit einverstanden
und der Oberarzt sprach mit seinem dortigen Kollegen und
wir wurden uns über die Bedingungen einig. Eva sollte in zwei
Tagen verlegt werden. Als ich in ihr Zimmer kam, brannten
meine Augen wieder. Sie war noch weniger geworden. Ich
küsste ihre Stirn und ihren Mund und hielt es eine halbe
Stunde aus, neben ihr zu sitzen und ihre Hand zu halten.
Dann war das Verlangen die einzelnen Verantwortlichen für
ihren Zustand eigenhändig zu erwürgen so groß, dass ich den
Raum verlassen musste. Ich lief in der nächsten Stunde blind
über das Krankenhausgelände durch den auch hier
herrschenden starken Regen. Ich hatte nicht bemerkt, dass
mein Anzug völlig durchgeweicht war. Erst als ich mich
pitschnass in mein Auto setzte, um Nach Hause zu fahren,
wurde es mir bewusst.
Zu Hause bemerkte ich die zweite unangenehme
Überraschung. Man war in meine Wohnung eingebrochen.
Die Wohnungseinrichtung war völlig zerstört. Mein Büro war
nur noch ein Abfallhaufen. Die Aktenordner waren aus den
Regalen gerissen worden, die einzelnen Blätter aus den
Ordnern lagen im ganzen Raum verstreut. Sämtliche
Disketten und CD-Rom`s waren gestohlen. In den anderen
305
Räumen herrschte das gleiche Chaos. Ich rief die Polizei,
damit der Schaden gemeldet war. Ich benachrichtigte die
Schiewerskis, dass es später werden würde und wartete auf die
Beamten des Einbruchdezernates. Meinen durchnässten
Anzug hatte ich ausgezogen und ins Badezimmer gehängt. Mit
meiner Digitalkamera, die merkwürdigerweise noch
vorhanden war, fotografierte ich den Tatort aus den
verschiedensten Blickwinkeln. Später gab ich neben den
Phono- und Fernsehgeräten auch meine Computeranlage
samt Disketten und CDs als gestohlen an.
Das dies kein gewöhnlicher Einbruch war, war sicher und
die Verantwortlichen dafür würden ihre Helfershelfer
verdächtigen, den Computer für eigene Zwecke zu nutzen.
Vielleicht war damit schon wieder ein kleines Feuerchen
gelegt worden. Ich musste nur noch in der Unterwelt ein paar
Umfragen starten und vielleicht ein paar Gerüchte streuen.
Dann konnte Vrede sehen was dabei zum Vorschein kam. Ich
hatte den richtigen Riecher gehabt und den Computer in
Sicherheit gebracht.
Erst nach zwanzig Uhr konnte ich dann schließlich mein
Treffen mit den Schiewerskis wahrnehmen. Es war tatsächlich
eine merkwürdige Tatsache, dass sie zwar Erbe von gleich
zwei Häusern geworden waren, aber das Erbe nicht antreten
konnten, weil sie das Geld für die Steuer nicht hatten. Banken
hatten es bisher abgelehnt für die Steuerbelastung einen
Kredit zu gewähren, weil die zu erwartenden Sicherheiten, ja
noch nicht eingetragen werden konnten. Über soviel
Unverstand konnte ich nur grinsen und vereinbarte mit den
Eheleuten, dass ich die Steuerbelastung übernehmen würde
und dafür die Häuser an einen ausländischen Investor zu
einem angemessenen Preis verkauft würden. Insgesamt bot
ich Ihnen eine Viertelmillion plus Steuerbelastung und sie
waren einverstanden.
Am nächsten Tag bat ich den holländischen Notar, der
gleichzeitig der Zeichnungsbevollmächtigte der neuen
306
karibischen TV-Gesellschaft war, den Kaufvertrag für das
hiesige Grundbuchamt vorzubereiten und mit einem
deutschen Kollegen die Umschreibung und Abwicklung des
Kaufs vorzunehmen. Ich stellte den Schiewerskis das Geld zur
Begleichung der Steuerschuld zur Verfügung und ich nahm
das Haus als ihr vorläufiger Untermieter samt Einrichtungen
in Besitz. Ich fragte die beiden, ob sie Dinge aus dem
persönlichen Besitz des Bruders an sich nehmen wollten, aber
sie lehnten ab. Sie wollten nur so schnell wie möglich wieder
zurück nach Monschau und übergaben mir sämtliche
Schlüssel. Der holländische Notar hatte mir noch telefonisch
die Adresse seines Bremer Kollegen mitgeteilt, bei dem sich
die Schiewerskis morgen einfinden sollten.
Ich bezog mir ein Bett in meinem neuen Domizil und legte
mich schlafen. Am nächsten Morgen bekam Frau Winter zwar
fast einen Schlag, als sie ins Haus kam, denn sie war immer
noch nicht darüber informiert worden, dass ihr früherer
Arbeitgeber tot war. Ich übernahm ihren Arbeitsvertrag und
zahlte ihr den rückständigen Lohn und sagte ihr, dass sie jede
Menge Arbeit bekommen würde in den nächsten Tagen.
Vrede hatte in der Zwischenzeit hervorragende Arbeit
geleistet. Er hatte es geschafft sich mit dem jungen
degradierten Beamten anzufreunden und hatte es nebenher
noch geschafft wirklich Bilder des Toten mit gefesselten
Händen zu besorgen. Außerdem war er dahinter gekommen,
wie die Pistolen der Beamten vertauscht worden waren. Der
als Beifahrer agierende Dicke hätte während der Fahrt seine
Pistole verloren und hatte die Waffe des jungen Fahrers an
sich genommen. Als er seine eigene im Fußraum des
Einsatzfahrzeuges wieder gefunden hatte, wurde sie in den
Halfter des jungen Mannes geschoben. Lediglich anhand der
Seriennummern war dann der Besitz der Waffen festgehalten
worden. Auf Fingerabdrücke wurden die Waffen natürlich
nicht untersucht.
307
Ich hatte Vrede beauftragt, den jungen Mann zu überreden
in Urlaub zu fahren und das hatte geklappt. Er war nach
Mallorca geflogen.
Die Fotos wurden mit kurzem Kommentar durch eine
Unterwelttype der Reporterin des Revolverblattes zugespielt
und nach ihrem reißerischen Artikel über mögliche
Falschinformationen der Öffentlichkeit im Zusammenhang
mit Verhaftungen ließ die Staatsanwaltschaft kochen.
Schmücker beschimpfte mich am Telefon und ich konnte ihm
wahrheitsgemäß sagen, dass ich überhaupt nicht in der Stadt
sei. Ich war wieder einmal in Amsterdam und Frankfurt
unterwegs.
In der Unterwelt hatte sich auch eine ungewöhnliche
hektische Suche nach einem Computer angebahnt, nachdem
ich durch einige Leute verbreiten ließ, dass eine ungewöhnlich
hohe Belohnung von mir ausgesetzt sein würde, und dass auf
der Festplatte die verschiedensten Daten über gewisse Zweige
der Unterwelt gespeichert seien, die nicht unbedingt der
Staatsanwaltschaft in die Finger fallen sollten. Ich hätte die
Daten nur gesammelt um im Falle eines Falles für meine
Untersuchungen aus der Unterwelt Unterstützung zu
bekommen. Ich hätte nichts gegen diese Leute unternehmen
wollen, sondern die Daten nur als Druckmittel für eine
Zusammenarbeit zusammengestellt. Auch von anderer Seite
schien die Suche angekurbelt worden sein, denn man
berichtete mir, das mindestens zwei verschiedene Seite nach
der Kiste suchten. Mein Freund, der Clubbesitzer hatte mich
erschrocken angerufen, ob es der Computer sei, die bei ihm
stünde. Ich bejahte dies und ließ ihn wissen, dass alles nur ein
Märchen war, und er ja nicht verraten dürfe, dass er dort
stünde.
Schmücker hatte festgestellt, dass es sich bei den
Zeitungsbildern um Fälschungen handelte, aber er hatte jetzt
die Originalbilder sämtlich in Händen. Das Zurückhalten von
Beweismitteln war nun endgültig vorbei. Die nachträgliche
308
Untersuchung der Waffen war natürlich ein Reinfall und den
Einsatzgeber für den Streifenwageneinsatz konnte er auch
nicht ermitteln. Man hatte jetzt beide Beamten vorläufig
suspendiert. Der junge Beamte erfuhr es an seinem
Urlaubsort. Vrede machte es sehr geschickt als
Stadtteilreporter der Staatsanwaltschaft unangenehme Fragen
zu stellen. Die Kannebieter ließ jetzt auch nicht mehr locker,
obwohl ihr ein Prozess wegen Informationsmanipulation
angehängt werden sollte. Gerade das machte sie noch bissiger.
Lars und einige anderen Bekannte aus der städtischen
Verwaltung informierten mich über die ungewohnte Hektik
der Führungsetagen.
Über ein Nachrichtenmagazin lancierten Wiesel und ich
dann die Kopien der Zahlungsbelege von Lewinski an einen
Beamten der Führsorge, der sich mit diesem Geld ein
größeres Auto gekauft hatte. Ein paar Bremer Fotografen
hatten das Haus und den Wagen des Beamten abgelichtet und
das Wochenblatt, druckte die Kontoauszüge.
Vrede hatte in der Woche davor schon sämtliche Termine
für die Dreharbeiten der TV-Dokumentation ausgemacht und
die mediengeilen Beamten hatten bei ihm Schlange gestanden,
um ja auch bei seiner Berichterstattung berücksichtigt zu
werden.
Als Probeaufnahmen getarnt hatte Vrede schon jede Menge
Filmmaterial im Kasten. Jeder dieser Typen stellte sich in den
Vordergrund agierte vor der Kamera, als seien sie die wahren
Wohltäter dieser Stadt.
Ich hatte mich während der ganzen Zeit im Hintergrund
gehalten. Zweimal die Woche war ich hinausgefahren in die
Privatklinik und hatte die Hand Evas gehalten und so langsam
war sie aus dem Koma gekommen. Sie war nicht ansprechbar
und erkannte weder mich noch Frau Starck, als sie einmal zu
Besuch kam. Aber sie war aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht
und konnte wieder feste Nahrung zu sich nehmen. Sie wurde
gefüttert, aber sie schluckte allein und sie war nicht mehr an
309
Schläuche gefesselt. Aber dennoch wurde sie von den Ärzten
immer noch mit Beruhigungsspritzen in Trance gehalten. Man
konnte oder wollte mir auch keine Angaben darüber machen,
wann diese Behandlungsmethode geändert würde. Den
Auftraggeber für den Einbruch in mein Haus konnte ich
ermitteln.
Es
war
ein
mittlerer
Beamter
des
Justizvollzugswesens, der in unseren Lewinskiunterlagen nicht
aufgetaucht war. Wir nahmen an, dass er nur auf Weisung
eines seiner Vorgesetzten gehandelt hatte, aber es ergab sich
keine klare Verbindung nach oben. Auf die Spur war ich
gekommen durch Hinweise, dass die Phonogeräte bei einem
Händler angeboten worden waren. Die Täter, die den
Einbruch verübt hatten, waren „alte Bekannte“ des Beamten,
ehemalige Häftlinge, aus der Betreuung des Mannes. Sie waren
scheinbar auf der Flucht, weil ihnen unterstellt wurde, den
vermissten Computer unterschlagen zu haben. Sie waren
bisher spurlos untergetaucht.
Ich benutzte meine alte Wohnung nur noch selten. Mein
Büro hatte ich fast vollständig im ehemaligen Studio im
Möbiushaus eingerichtet. Der Spieltisch war einer gemütlichen
Sitzecke gewichen, im Hintergrund immer noch die Bar. Den
Büroteil hatte ich wesentlich vergrößert und die Bühne mit
dem Bett war rausgeflogen. Dennoch konnte der Raum
schnell wieder in ein Foto- und Filmstudio verwandelt
werden. Die aufgebrochen Tür zum Nachbargrundstück war
erneuert worden und das Haus, in dem Keller unter dem
Namen Möbius gewohnt hatte, war inzwischen an eine
Wohngemeinschaft vermietet, in der auch Vrede wohnte. Frau
Winter betreute weiterhin meinen Haushalt und sie wäre fast
in Ohnmacht gefallen, als sie das erste Mal das Studio betreten
hatte. Es war immer noch in dem Zustand gewesen, wie er
nach der Flucht Evas und ihrer Anwesenheit hier geherrscht
hatte. Beim Ausräumen der Kleiderschränke hatten wir
gemeinsam Wäsche, Anzüge, Oberhemden, Krawatten und
310
sonstige Kleidung durchgesehen und, in großen
Plastikbehältern verpackt, einem Heim für bedürftige Bürger
zukommen lassen. Die würden die Kleidung direkt verteilen.
Jede Tasche seiner Anzüge und sonstigen Jacken hatten wir
umgedreht und untersucht. Gefunden hatten wir nichts. Im
Fußraum des einen Kleiderschranks hatte ich einen
Schuhkarton entdeckt, der zu schwer für ein Paar Schuhe war.
Es lagen ein Goldbarren und viele gebündelte Briefe darin. Sie
waren mit einem Paketband verschnürt und an einen Walter
Schiewerski an eine Adresse in Schwachhausen gerichtet. Es
war eine schöne geschwungene Frauenhandschrift. Die Tinte
war schon ein wenig verblasst und als ich auf den Poststempel
sah, stellte ich fest, dass dieser Brief aus dem Jahr 1984
stammte. Ich stellte alles zunächst zur Seite und räumte die
anderen Schuhkartons, die wirklich nur Schuhe enthielten,
aus. Den Briefkarton mit dem Goldbarren stellte ich später in
mein Büro und hatte ihn für Tage vergessen.
Frau Winter war eine großartige Hilfe. Unsere
Zusammenarbeit klappte hervorragend und sie sorgte dafür,
dass meine Wäsche, die ich aus meiner alten Wohnung
herbeibrachte, zunächst aufgebügelt und gesäubert wurde,
bevor sie in die Schränke gehängt wurde. Auch während
meiner Abwesenheit hielt sie den Haushalt und das Büro in
bestem Zustand.
Während der Dreharbeiten die Vrede inzwischen mit dem
holländischen Team begonnen hatte, tauchten in
verschiedenen Redaktionen über ganz Deutschland verteilt
immer Mal wieder Dokumente über bestechliche Beamte in
der Bremer Verwaltung auf. Es tauchten erstmals
Originaldokumente auf und verschiedene Abteilungen
entzogen
plötzlich
Vrede
die
zuvor
erteilten
Drehgenehmigungen. Der Bienenkorb summte. Ein zweites
Team Kameraleute, das ich in Tschechien angeheuert hatte
und vorgeblich Bremens Architektur filmte, konnte heimlich
311
Aktionen von Aktenvernichtung filmen. Die Container mit
den geschredderten Akten brachten wir in unseren Besitz
bevor sie im Verbrennungsofen der Müllverbrennung
landeten. Diesen Containerinhalt ließ ich, wie schon alle
anderen Unterlagen notariell versiegeln und stellte ihn in einer
internationalen Frachtzentrale unter.
Halbherzig wurden einige Untersuchungsausschüsse
gebildet um den Unregelmäßigkeiten in der Sozialverwaltung
und den Justizbehörden auf die Spur zu kommen. Gegen den
ersten Beamten, den wir belastet hatten, war endlich von der
Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet
worden.
Dann schien für einige Wochen wieder Ruhe einzukehren.
Man konnte das Aufatmen in den oberen Etagen der
Verwaltung geradezu hören. Das TV-Projekt der Amerikaner
war offiziell abgeschlossen und sollte Anfang Oktober in einer
Galaveranstaltung, gesponsert von der amerikanischen
Gesellschaft, in der Stadthalle vorgestellt werden. Gleichzeitig
war diese Gala mit einem Spendenaufruf an die Wirtschaft
und die Gutverdienenden der Stadt zu Gunsten sozialer
Einrichtungen verbunden.
Evas Zustand hatte sich soweit gebessert, dass sie im
Rollstuhl ausgefahren werden konnte. Sie war bei
Bewusstsein, aber völlig entrückt und zu keiner eigenen
Leistung fähig. Ihre Augen blickten in unendliche Fernen.
Manchmal stahl sich das scheue Lächeln auf ihre Lippen,
wenn ich ihre Hand hielt.
In der Zwischenzeit wusste ich ein wenig mehr über ihr
Leben. Die Briefe, die ich in dem Schuhkarton gefunden
hatte, waren von Eva. Sie offenbarten die tiefe Liebe zu dem
vorgeblichen Walter Schiewerski. Zu dem Zeitpunkt war sie
bei
einer
internationalen
Handelsfirma
als
Fremdsprachensekretärin tätig. Schiewerski war auch der
Grund ihrer Scheidung gewesen. Im Laufe der nächsten Jahre
312
war sie durch den Einfluss von ihm immer mehr dem Suff
erlegen. Scheinbar hatte sie Schiewerski eine zeitlang auch mit
Drogen versorgt und sie war immer tiefer gesunken. Nach
einer Abtreibung war sie dann endgültig zerbrochen. Ihr
ganzer Leidensweg war in den Briefen dokumentiert und die
letzten waren kaum noch leserlich. Mit jedem Brief, den ich
las, wurde ihre Qual offensichtlicher und meine Qual größer.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich als Heranwachsender
oder später als erwachsener Mann jemals derart geweint zu
haben. Ich verbrannte alle Briefe, aber die Worte würden für
immer in meinem Gedächtnis eingebrannt bleiben. Die Briefe
hatten auch einige mir bis dahin unverständliche Reaktionen
in Monschau erklärt. Auch wenn Eva sich innerlich von
Schiewerski getrennt hatte, war der Schock für sie groß
gewesen, dem einäugigen Bruder ihres ehemaligen Geliebten
gegenüberzustehen. Auch ihr Erschrecken vor dem Bild des
„Möbius“ ließ sich dadurch erklären. Während der Zeit in der
Kirchengemeinde war sie zu abgestumpft gewesen und hatte
erst dann wieder reagiert, als sie nüchterner wurde. Warum sie
dennoch mir gegenüber geschwiegen hatte, würde ich wohl
nie erfahren.
Mein Hass auf diejenigen, die später diesen Menschen
ausgenutzt hatten, wuchs mit jeder Zeile die ich gelesen hatte.
Und meine Vorfreude auf mein geplantes Finale wuchs
ebenfalls ins Unermessliche.
Die Vorbereitungen auf die Gala der Filmvorstellung liefen
auf Hochtouren. Die Verantwortlichen der Stadt bekamen
eine Vorabversion mit Ausschnitten des Films auf
Videokassetten zugestellt. Der Andrang nach Karten für diese
Veranstaltung war enorm. Die Stadtvorderen und alle Beamte,
die an dem Projekt beteiligt gewesen waren, erhielten
Freikarten für sich und ihre Ehepartner. Auch andere Beamte
kamen in den Genuss dieser Vergünstigungen. Die Ton- und
Filmtechniker hatten reichlich zu tun. Der Halleninnenraum
war begrenzt mit vielen Leinwänden, die Zwischenräume mit
313
Grünpflanzen festlich geschmückt und die Bestuhlung
bestand aus nach allen Seiten drehbaren Sesseln.
Auf der Bühne stand seitlich der Riesenleinwand, auf der
jetzt schon das Logo der Firma neben dem Bremer Wappen
abgestrahlt wurde, ein Rednerpult. Ich hatte vor die
Moderation selbst zu übernehmen. Neben dem Rednerpult
war ein Zwischenraum und dann türmten sich unter
Vorhangstoffen und Blumen einige futuristisch anmutende
Gebilde, wie Weihnachtsgeschenke unter dem Tannenbaum.
Hinter der Bühne waren weibliche Stimmen zu vernehmen.
Die Stimmen meiner Überraschungsgäste. Das Publikum
erwartete sicherlich einen großen Chor. Der Innenraum war
schon fast gefüllt, als auch auf den Rängen oberhalb der
Leinwände Menschen hereinströmten. Sie kamen über die
Nebeneingänge und waren in Bussen herangefahren worden.
Sie waren wesentlich einfacher gekleidet, als die festlich
gekleidete Schar der Innenraumgäste. Von dort aus konnte
man auch nur schemenhaft wahrnehmen, was sich auf den
Rängen
geschah.
Fernsehkameras
verschiedenster
Sendeanstalten waren an strategisch wichtigen Standorten
aufgebaut, als ich um 20 Uhr die Veranstaltung eröffnete.
Ich begrüßte die Ehrengäste und dankte den weiteren
Gästen für ihr Erscheinen und ihre fantastischen Spenden. Ich
verkündete stolz die Zwischensumme, denn es konnte weiter
gespendet werden, über Fax und Internet. Dann bedankte ich
mich artig bei den Beamten und der Stadt für die
Ermöglichung dieses Projektes und der Saal wurde langsam
abgedunkelt. Der Vorspann des Filmes lief und ich hatte alle
Beamten, die in die Machenschaften der Kirchengemeinde
verstrickt gewesen waren, als Gönner dieses Projektes im Bild
vorstellen lassen. Es herrschte gespannte Erwartung wie es
wohl weitergehen sollte, als auf der Leinwand riesengroß das
Bild eines kleinen blonden Mädchens erschien. Aus den
Lautsprechern ertönte mit übergroßer Lautstärke meine
Stimme:
314
„Dies ist das kleine 8 Jährige belgische Mädchen Simone.
Weiß jemand von Ihnen, wo sie vielleicht zuletzt gesehen
wurde? Herr Oberregierungsrat Schlüter, wissen Sie etwas
über den Verbleib dieses süßen Mädchens?“
Dann liefen nach Überblendung auf allen Leinwänden
ringsum des ganzen Saales gezielt herausgesuchte Szenen aus
dem pornografischen Belastungsmaterial, der alle Beamten
zeigte, die an der Affäre beteiligt gewesen waren. Auf der
Hauptleinwand wurde die Aktivität des Justizsenators mit Eva
und Virginia gezeigt. Der Tumult der nun einsetzte, war
entsetzlich.
Der Saal wurde total verdunkelt und nur ein Spot strahlte
die im Rollstuhl sitzende Eva an und ich donnerte ins
Mikrofon: „Und dies ist sie heute; meine Frau! Erkennen Sie
sie wieder, Herr Senator? Und hier: - Die Damen mit denen
Sie sich, wie eben gezeigt, früher regelmäßig vergnügt haben
und deshalb erpressbar waren, und erpresst wurden.“
Die Leinwände waren nach oben gezogen worden und da
standen sie, die Liebesdienerinnen, die ich noch hatte
auftreiben können. Die Scheinwerfer hatten auch die jungen
Frauen in grelles Licht getaucht.
„Und dies hier sind die gesammelten Beweise“, und die
Scheinwerfer erfassten die überquellenden Behälter mit den
Akten aus den Tresoren Lewinskis und den Sicherstellungen
aus Schiewerskis Studio und dem Container mit den
geschredderten Akten.
„Und dies hier sind die eigentlich immer wieder Betrogenen
und jetzt auch noch Bestraften“, ich ließ die Scheinwerfer auf
die Ränge leuchten, auf der die Hilfeempfänger saßen und
schrieen und buhten.
Die ganze Vorstellung, letzter Akt, hatte keine Minute
gedauert. Die Menschen in festlicher Kleidung versuchten aus
den jetzt wieder aufgeflammten Lichtern zu fliehen. Ganz
rigorose Staatsdiener versuchten über die Bühne zu fliehen,
315
unter ihnen auch der Senator, als sie von einer metallisch
klingenden Stimme gestoppt wurden.
„Bleiben Sie, wo Sie sind. Hier spricht die Polizei und die
Bundesanwaltschaft. Der ganze Saal ist umstellt.
Fluchtversuche zwecklos. Setzen Sie sich wieder auf Ihre
Plätze zur Feststellung ihrer Personalien.“
Inzwischen wurden die oberen Ränge von Polizeibeamten
geräumt, weil die ersten Gegenstände in den Innenraum
geworfen wurden. Ich hatte Eva in ihrem Rollstuhl aus dem
Saal rollen dürfen und befand mich mit ihr schon auf der
Rückfahrt in die Privatklinik. Mir schien ihr Lächeln intensiver
als jemals zuvor.
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