Leitbilder und Leitlinien in Universitäten

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Plenarbeitrag zur Leitbilddiskussion am 16. März 2000
von Prof. Dr. Dieter Wagner
Leitbilder und Leitlinien in Universitäten
1. Für einen Betriebswirtschaftler, der den Schwerpunkt Organisation und Personalwesen
vertritt, ist es eigentlich banal, was zunehmend im Zuge der aktuellen Diskussion um
Hochschulreformen erkannt wird: Universitäten sind große Organisationen.
Organisationen haben Ziele, sie sind dauerhaft strukturiert und sie verfügen über
gewachsene Traditionen und Hierarchien.
Neben dem Aufbau werden die Prozesse immer wichtiger. Universitäten bilden Studenten
aus und erbringen Forschungsleistungen. Die wertvollste Ressource sind insofern die
Forscher und die Lehrer (nach Möglichkeit in Personalunion), aber auch die vielen
einzelnen Mitarbeiter auf allen Ebenen; häufig läuft ohne sie gar nichts. Nicht zu
vergessen ist aber auch ein Mindestmaß an finanziellen Ressourcen, um die Kreativität
und die Arbeitsbereitschaft des Personals und der Studenten produktiv nutzen zu können.
2. Es gibt eine bis in die Fünfziger Jahre zurückgehende Diskussion über den Sinn und den
Unsinn von Leitbildern. Ursprünglich sprach man übrigens von Richtlinien (50er/60er)
und Grundsätzen (60er/70er) bis eben hin zu Leitlinien und Leitbildern.
3. Insgesamt handelt es sich um Aspekte des Normativen Managements: Leitbilder geben
nämlich eine Orientierung vor dem Hintergrund der grundlegenden Politik einer
Universität (Abb.1), die wiederum aus der externen und der internen Hochschulverfassung
abgeleitet ist. Nicht zuletzt sind sie ein Element der Organisationskultur mit einer
unterschiedlichen, z.B. rigiden und strengen, oder einer flexiblen, offenen und toleranten
Ausprägung.
Prof. Dr. Dieter Wagner
Leitlinien und Leitbilder in großen Organisationen
Definition Leitbild:
Ein
Leitbild
beschreibt
insbesondere
Ziele
und
Wertvorstellungen
der
Organisation
und
formuliert
Prinzipien für die Bestimmung der Aufgabenfelder, für die
Gestaltung der Organisation und für den Umgang der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Führungskräfte
sowohl miteinander als auch mit ihren Kunden. Damit
bringt ein Leitbild zum einen die Erwartungen an die
Mitglieder der Organisation zum Ausdruck, zum anderen
wird das Selbstverständnis der Organisation nach außen
dokumentiert.
Abb. 1
4. Die bislang bekannt gewordenen
widersprüchlich (Abb. 2 und 3).
Erfahrungen
mit
Leitlinien
sind
durchaus
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Prof. Dr. Dieter Wagner
Leitlinien und Leitbilder in großen Organisationen
Die schriftliche Fixierung von Leitbildern weist Vor- und Nachteile auf :
Vorteile : Sie schafft einen
• Zwang zu genauerem, präzisen
Denken
• das Problembewußtsein wird
aktiviert
• eine höhere Verbindlichkeit und
Beständigkeit wird durch das
Niederlegen von Normen erreicht
• die Kommunikation wird erleichtert
Nachteile :
Die nicht unbegründete Meinung, daß
• persönliches Vorbild genügt
• die inhärente Tendenz zur
Formalisierung
• Verlust an Flexibilität gegenüber
abweichenden Entwicklungen
• Formulierungsprobleme beschäftigen
häufig mehr als Inhalte
• die Preisgabe von Firmengeheimnissen
 manche Formulierungen als banale
Selbstverständlichkeiten erscheinen
Abb. 2
Prof. Dr. Dieter Wagner
Leitlinien und Leitbilder in großen Organisationen
Funktionen von Leitbildern
• Entwurf eines Zukunftsfits von
Umwelt- und Unternehmensentwicklung
• Orientierungs- und Stabilisierungsfunktion
• Beitrag zur Sinnfindung
• Verhaltensentwicklung
• Motivation und Kohäsion
• Erleichterung der Koordination
• Imagebildung
• Unternehmenskulturelle
Transformationsfunktion
Mögliche Dysfunktionalitäten
• Irreale Wunschbilder vermitteln
Gefühl trügerischer Sicherheit
• Notwendiger Wandel wird blockiert
• Kosmetische Schönfärberei von
Stäben; unglaubwürdige Leerformeln
• „Kulturtechnokratie“ mit kontraproduktiven Wirkungen
Abb.: Funktionen und Dysfunktionalitäten von Leitbildern.
Abb. 3
Wichtig ist, welche Diskussionsprozesse angestoßen werden und was man auch
programmatisch aus ihnen macht. Entscheidend ist also der Einführungsprozeß. Insofern ist
dieser Prozeß auch das eigentliche Ziel. Der Text eines Leitbildes und erst recht seine genaue
Formulierung ist zunächst einmal überhaupt nicht wichtig. Um so mehr kommt es darauf an,
daß möglichst viele Universitätsmitglieder sich „ein Bild“ machen und daraus Schlüsse
ziehen, über die man sich verständigt hat. Insofern ist die Beziehungsebene mindestens so
wichtig wie die Sachebene.
Sonst gibt das Leitbild primär die Vorstellungen von wenigen Experten wider, die sich in
ihrem kleinen Kreis mit dieser Thematik beschäftigen und deshalb genau wissen, was sie
wollen. Nur: was ist mit den vielen anderen Organisationsmitgliedern?
Die Einführung von Leitlinien umschließt einen schwierigen, konfliktvollen, längeren Prozeß.
Es ist nicht damit getan, wenn auch nachvollziehbar und zumindest auf den ersten Blick sehr
verständlich, wenn z.B. in einem sehr frühen Stadium mit vorgefertigten Texten gearbeitet
wird. In späteren Stadien können sie allerdings sehr wohl sehr nützlich sein. Vielmehr ist
zunächst auf geeignete Weise zu ermitteln, wie ein einigermaßen repräsentatives
Meinungsbild bei den einzelnen Universitätsgruppierungen über den aktuellen Stand,
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insbesondere die Stärken und die Schwächen der Universität aussieht. Erst dann kann man
über Veränderungen reden.
Hinzu kommt, dass durch ein partizipativ entwickeltes Leitbild auch die Kooperation
zwischen den Disziplinen erleichtert wird.
2. Meine Vision einer modernen Universität
- einige persönliche Vorbemerkungen Mein persönliches Bild einer modernen Universität ist natürlich nicht von meinem
Werdegang und meiner persönlichen Situation zu trennen: kaufmännische Lehre, Zweiter
Bildungsweg, Integriertes Studium der Wirtschaftswissenschaften und auch der Soziologie,
Führungspraxis in einem Wirtschaftsunternehmen, aber auch Leitung mehrerer Drittmitelbzw. DFG-Projekte, Mitglied in mehreren Beiräten und Studienleiter der Verwaltungs- und
Wirtschaftsakademie Potsdam, bislang tätig in eher überschaubaren, reformorientierten
Universitäten (Gießen, Bundeswehr-Universität Hamburg), drei Kinder, zur Zeit im
Grundstudium sehr unterschiedlicher Fächer (jedenfalls nicht Wirtschaftswissenschaften!)
Ich finde, dass (nicht nur) ein BWL-Professor zunächst eine vielseitige Lehre anbieten sollte,
die sowohl auf sauberen theoretischen Grundlagen aufbaut, aber auch die Brücke zur Praxis
bildet und (eine entsprechende Hochschulreife vorausgesetzt) verständlich ist. Wenn sie gut
systematisiert und didaktisch gut strukturiert ist, kann sie sich m.E. ruhig mit dem Vorwurf
der „Verschulung“ und des „Fachhochschulniveaus“ auseinandersetzen. Ich glaube nämlich,
dass es alleine mit scharfen Prüfungsbedingungen und mathematischen Formeln auch nicht
getan ist, um Universitätsniveau zu repräsentieren. Auch die Fähigkeit zum analytischen und
zum kreativen Denken ist gefragt und denkbarer Bestandteil eines entsprechenden
Unterrichts.
Ein Universitäts-Professor oder eine Universitätsprofessorin sollte natürlich auch ein guter
Forscher sein. Drittmittel-Einwerbung spielt dabei auch eine wichtige Rolle, aber auch die
externe Vermittlung der Ergebnisse sowie ihre interne Einbeziehung in die Lehre.
Auch der Mitarbeit in der akademischen Selbstverwaltung sollte man sich nicht verschließen.
Arbeit gibt es hier genug. Wirklich engagierte Kollegen sind eher selten, und auf Dauer
brauchen sich die Kollegen Hochschullehrer nicht zu wundern, wenn sogenannte „Profis“ aus
den Hochschul-Organisationen die akademischen Schlüsselfunktionen übernehmen werden.
Nicht zuletzt ist in unserem Fach, wie auch in manchen anderen Fächern, der Bezug zur
Praxis wichtig. Durch Vortrags- und gelegentliche Beratungstätigkeiten kann dabei ein
wechselseitiger Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis erfolgen.
- Wie sieht nun meine Universität der Zukunft aus? 1. Per Hochschulgesetz ist eine Stiftungslösung ermöglicht worden. Der Stiftungsrat besteht
aus unabhängigen Personen, aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung,
gewählt von den Abgeordneten des Landtags. Die Universität hat einen Globalhaushalt:
die Kameralistik ist abgeschafft. Hinzu kommt die Transfer-GmbH, deren Einnahmen aus
der Verwertung von Patenten und Lizenzen sowie aus mehreren Summer-Schools und
Aufbaustudiengängen langsam, aber stetig gestiegen sind. Auch die Anzahl der
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Stiftungsprofessuren hat sich inzwischen erhöht, nachdem das Beispiel von Hasso Plattner
sich als erfolgreich und nachahmenswert erwiesen hat.
Die ersten Alumnis helfen der Universität in finanzieller und in ideeller Hinsicht. Die
Mitglieder der Universität sind grundsätzlich auf Zeit angestellt. Bei langjähriger
Bewährung sind Daueranstellungen gleichwohl die Regel. Allerdings hat in letzter Zeit
der Wechsel zwischen Wissenschaft einerseits, Wirtschaft, Verwaltung, Kunst, Kultur
andererseits zugenommen, nachdem der Beamtenstatus erstens für viele neue Mitglieder
nicht mehr gilt und andererseits viele Angleichungen in der Kranken- und in der
Rentenversicherung stattgefunden haben. „Ossis“ und Wessis“ erhalten dieselben Bezüge.
So kann man Pensionsansprüche seit dem 01.07.2009 in andere Organisationen
„mitnehmen“.
2. Die meisten Mitglieder der Universität arbeiten viel offener und fairer miteinander als
früher. Auch die einfachen Mitarbeiter werden als wertvoll und wichtig anerkannt. Der
Umgang auf den verschiedenen Hierarchieebenen und mit den Studierenden ist wesentlich
verbindlicher geworden. Man hat sich an eine neue Streitkultur gewöhnt und eingesehen,
dass gerade bei programmatischen Fragen viel Zeit für Diskussionen erforderlich ist.
Serviceorientierung wird großgeschrieben. Was kann ich für die Universität tun, und das
ist wichtiger als umgekehrt. Externe Kooperation gilt als genau so wichtig wie die interne.
Was erbringen andere Fakultäten und Institute für uns, und was erbringen wir für sie?
3. Meine Universität der Zukunft hat ein markantes Profil. Das Profil hat sich immer stärker
an den Besonderheiten der jeweiligen Region, den Stärken herausragender
Wissenschaftler und den vorhandenen Ressourcen orientiert. Insofern haben die
verschiedenen außeruniversitären Einrichtungen schon seit längerem eine wichtige
Bedeutung erlangt. Aber auch die geografische Situation Potsdams als Verwaltungs- und
Dienstleistungsmetropole und als Medienstandort, als Anziehungspunkt für Sport, Freizeit
und Kultur haben dazu beigetragen, dass entsprechende Forschungs- und
Lehrzusammenhänge entstanden sind, die auch international einen guten Ruf genießen.
4. Eine herausragende Grundlagenforschung hat in dem beschriebenen Kontext ebenso ihren
Platz gefunden, wie eine gute anwendungsorientierte Forschung. Hier haben sich sowohl
in als auch zwischen den Fächern unterschiedliche Schwerpunkte entwickelt. Als wichtig
haben sich immer mehr Forschungsverbünde herausgestellt, die z.B. in gemeinsamen
Doktorandenseminaren, Drittmittelprojekten, Graduiertenkollegs etc. zum Ausdruck
kommen. War dies vor einigen Jahren in mehreren Fächern eher selten, hat sich hier in
den letzten Jahren ein deutlicher Wandel ergeben.
5. Die Lehre hat einen stärkeren Stellenwert bekommen als früher. Sie ist didaktisch besser
aufbereitet und wird durch moderne Medien in geeigneter Form unterstützt. Obwohl der
Gebrauch moderner Informations- und Kommunikationstechnologien selbstverständlich
geworden ist (Multimedia, Internet, E-Mails, On-line-Learning etc.), hat man mittlerweile
auch die Grenzen dieser Techniken erkannt und eingesehen, dass „soft skills“ nicht nur in
entsprechenden Lehrveranstaltungen, die aus dem Hochschuletat finanziert werden,
vermittelt werden, sondern auch in Lehre, Forschergruppe und akademischer
Selbstverwaltung wie selbstverständlich eingesetzt werden.
Leider gibt es im Massenstudium nur begrenzte Möglichkeiten, aktivierende Lehr- und
Lernmethoden umfassend zu praktizieren. Deshalb wurden die Studienberatung
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intensiviert, die Auswahlmechanismen verstärkt und maßvolle Studiengebühren
eingeführt. Die Zusammenarbeit zwischen Akademien, Fachhochschulen und
Universitäten wurde auch hier intensiviert, um „die richtigen Studierenden“ an den
„richtigen“ Platz zu bringen.
In einigen Fächern haben sich Bachelor- und Master-Degrees durchgesetzt. Deshalb
wurden viele Lehrpläne entrümpelt und umgestellt. Speziell in der
Betriebswirtschaftslehre gibt es sowohl einen anwendungsorientierten Bachelor-Abschluß
als auch einen Abschluß, der wegen der nachgewiesenen wissenschaftlichen Qualifikation
den unmittelbaren Zugang zu entsprechenden Masterstudiengängen erlaubt.
Masterstudiengänge werden sowohl für Bewerber mit mehrjähriger Berufspraxis
angeboten als auch im Hinblick auf einen „Master of Science“, der inhaltlich an den in der
Fakultät vorhandenen Forschungsschwerpunkten anknüpft. Werden ausreichend viele
Credits erzielt, wird auch noch der altbewährte Begriff „Diplom-Kaufmann“ verliehen.
Dies erfolgt häufig nach dem erfolgreichen Abschluß eines mehrwöchigen ManagementSeminars. Die Wirtschaft hat sich inzwischen an die neuen „Grade“ gewöhnt. Der
Bachelor ist für sie fast zum Äquivalent einer etwas längeren, teilweise damit
kombinierbaren Berufsausbildung geworden, nachdem das Abitur ohnehin immer weniger
als Allgemeine Hochschulreife anzusehen ist. Und die „Master of Business
Administration“ hatte ja schon immer ein recht gutes Image in der Praxis. Manche
Programme finden auch abends statt und gute bis sehr gute Absolventen von
Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien können nach entsprechender Erbringung der
Voraussetzungen an der Universität mit dem anwendungsorientierten Bachelor
abschließen und/oder sich um einen Studienplatz für den anwendungsorientierten
Masterstudiengang bewerben.
Jedenfalls gehört die klassische Unterscheidung zwischen „Volkswirt“ und „Betriebswirt“
der Vergangenheit an. Gerade die nationale und die internationale Verbindung bzw.
Verflechtung zwischen Recht, Wirtschaft und gesellschaftlichen Institutionen wurde von
allen Ökonomen aufgegriffen, um innovative Studienkonzepte und internationale
Forschungsverbünde zu schaffen. Nach mehreren Jahren wurde es auch geschafft, die
Juristen stärker in gemeinsame Studiengänge zu integrieren.
Seit einigen Jahren ist die Nachwuchsförderung in der „Uni 2010“ als Schlüsselaufgabe
anerkannt. Sie gilt für das gewerbliche, das kaufmännische und das technische ebenso wie
für das wissenschaftliche Personal. Große Defizite sind in der Vergangenheit aufgearbeitet
worden, wo sich viele in Wissenschaft und Verwaltung wie Autisten verhielten und
glaubten, dass der Austausch von schriftlichen, tendenziell unverständlichen Texten den
geduldigen Diskurs mit anderen ersetze. Damals war „Interdisziplinarität“ vielfach nicht
mehr als ein modisches Feigenblatt, manchmal aber auch ein Beispiel für die exzellente
Zusammenarbeit von wenigen.
Inzwischen ist auch die Einsicht in „fremde, andere“ Wissenschaftskulturen gestiegen und
auch der „einfache“ Mitarbeiter beklagt sich nicht mehr beim Personalrat über seinen
arroganten Institutsdirektor.
In meiner Universität der Zukunft sind auch mehrere neue Aufbaustudiengänge eingeführt
worden. Abendstudium ist ebenso selbstverständlich wie Fernstudium. Der Wissens- und
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Technologietransfer wird mittlerweile als selbstverständlich angesehen. Maßgeblich hat
hierzu die Stiftungsprofessur für Existenzgründungsforschung beigetragen, wo die
Stelleninhaberin eng mit den anderen Kollegen in den Regionalwissenschaften
zusammenarbeitet.
Ach, nun klingelt der Wecker! War es nur ein Traum? Hoffentlich nicht.
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