Gedächtnis und Wissen

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Gedächtnis und Wissen
Spada Kapitel 3 (Thilo)
3.1.1 Unterteilung des Gedächtnisbegriffs
Das Gedächtnis ist die Menge aller Einflüsse vergangener Erfahrungen auf gegenwärtiges
Erleben und Handeln.
Sensorisches Register:
Speicherung der Wahrnehmung für bis zu 500 ms; wird nicht als Erinnerung, sondern als
ausgedehnte Gegenwart wahrgenommen.
Kurzzeitgedächtnis (KZS):
Speicherung von normalerweise 5-9 Elementen für einige Sekunden.
Langzeitgedächtnis (LZS):
Vermutlich unbegrenzter lebenslanger Speicher.
 Deklaratives Gedächtnis („knowing why“): Wissen, dass gelernt wurde und erinnert und
angegeben werden kann.
 Prozedurales Gedächtnis („knowing how“): Können, automatische Abläufe und
Handlungen, die normalerweise schwer mitzuteilen sind und durch Übung erlangt werden.
 Explizites Gedächtnis bezeichnet Gedächtnisinhalte, die der Person bewusst zugänglich
sind, was sich durch Nachfragen überprüfen lässt. Damit fällt das explizite Gedächtnis mit
dem deklarativen zusammen.
 Implizites Gedächtnis bezeichnet Gedächtnisinhalte, die nicht bewusst erinnert werden,
aber eine Auswirkung auf das Verhalten haben wie das nicht mitteilbare prozedurale Wissen
und Priming.
 Unterteilung des deklarativen Gedächtnisses in episodisches (Erlebnisse, entspricht dem
Alltagsverständnis von Gedächtnis) und semantisches (Wissen über die Welt) Gedächtnis.
3.1.2 Klassische Gedächtnistheorien
3.1.2.1 Atkinson und Shiffrin
Alle Stimuli aus den Sinnesorganen gelangen ins sensorische Register, von wo aus ein
kleiner Teil der gespeicherten Information seriell (eine Info nach der anderen) ins
begrenzte KZS weitergeleitet wird. Welche Informationen das sind wird durch die
Ausrichtung der Aufmerksamkeit bestimmt und unterliegt somit der willentlichen Kontrolle
der Person. Im KZS wird die sensorische Information zu einer kategorialen
Repräsentation (Zuordnung zu einer Kategorie: 3 Striche werden ein A); den Reizen wird
also Sinn gegeben. Dies geschieht mit Hilfe von Informationen aus dem LZS. Die
Überführung vom KZS ins LZS geschieht über die Rehearsal-Schleife. Informationen, die
nicht aktiv wiederholt werden, verschwinden nach 15 bis 30 Sekunden; werden sie wiederholt
und sind in der Schleife werden sie mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit automatisch ins
LZS überführt; d.h. je länger sie in der Schleife sind, desto wahrscheinlicher gelangen sie
ins LZS. Das LZS wird als unbegrenzter Speicher gesehen. Begrenzungen der Erinnerung
entstehen dadurch, dass die Informationen nicht gefunden werden. Erinnerung ist in diesem
Modell Rückführung von Information vom LZS ins KZS zur weiteren Verarbeitung, die als
Denken erlebt wird.
3.1.2.2 Die Theorie der Verarbeitungstiefe
Hier wird nicht zwischen KZS und LZS getrennt. Oberflächliche Verarbeitung der
Informationen führt zu schnell zerfallenden Gedächtnisspuren während tiefere Verarbeitung
dauerhafte Repräsentationen schafft.
Verarbeitung geschieht in mehreren Schritten:
1. Aufnahme der Reize und Verarbeitung ihrer physikalischen Merkmale (z.B. Stimmlage)
2. Verarbeitung struktureller Merkmale (z.B. Abfolge der Phoneme)
3. Analyse der Bedeutung
Nicht alle Reize durchlaufen alle Verarbeitungsschritte. Als besonders tief gelten die
verarbeitet, bei denen auch die Bedeutung analysiert wird. Sie sollten auch am längsten
behalten werden.
Experimentell lässt sich das durch Orientierungsaufgaben prüfen, die zusätzlich zu der
Aufgabe, sich eine Wortliste zu merken, gestellt werden. Manche Aufgaben legen eine
oberflächliche Verarbeitung nahe („Ist das Wort in Großbuchstaben geschrieben?“), andere
eine tiefe („Bezeichnet das Wort ein Tier?“). Effekte ließen sich finden.
 Sowohl Atkinson und Shiffrins Theorie als auch die Theorie der Verarbeitungstiefe sind
empirisch nicht haltbar, führten jedoch grundlegende Konzepte und Paradigmen der
Gedächtnisforschung ein.
3.2 Das Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis
Heute meist Arbeitsgedächtnis genannt, so dass nicht mehr die zeitliche Dauer der Erinnerung
im Vordergrund steht, sondern die Funktion, die es beim Denken übernimmt.
3.2.1 Unterscheidung von Kurz- und Langzeitgedächtnis
In der Kognitionspsychologie werden für Unterscheidungen zwischen zwei verschiedenen
Gedächtnissystemen so genannte doppelte Dissoziationen betrachtet.
Eine doppelte Dissoziation bedeutet, dass die messbaren Indikatoren für die beiden
voneinander zu unterscheidenden Systeme unabhängig voneinander variieren können.
Wenn also die Veränderung einer Variable A einen Einfluss auf die Leistung des KZS hat und
nicht auf das LZS, die Veränderung einer Variable B hingegen nur Einfluss auf das LZS hat
und nicht auf das KZS, liegt eine doppelte Dissoziation vor. Wenn viele solcher
Dissoziationen gefunden werden, führt dies zu der Annahme unabhängiger Systeme.
Die wichtigsten Befunde hierzu liefern selektive Ausfälle neurologisch geschädigter Patienten
und Experimente mit seriellen Positionskurven.
3.2.1.1 Primacy- und Recency- Effekte in seriellen Positionskurven
Eine serielle Positionskurve entsteht, wenn die Elemente einer Merkliste ihrer Reihenfolge
nach auf der x-Achse abgetragen werden und die jeweils dazugehörige
Erinnerungsleistung auf der y-Achse. Für eine Wiedergabe der Elemente direkt nach dem
Lernen ergibt sich normalerweise ein typisches Muster mit einer besseren Leistung am
Anfang und am Ende, was als Primacy- bzw. Recency- Effekt bezeichnet wird. Der
Primacy- Effekt wird durch häufigeres stilles Wiederholen der Elemente erklärt
(Rehearsal). Wenn die Häufigkeit des Rehearsals gemessen und als weitere Kurve in ein
Schaubild mit der seriellen Positionskurve eingezeichnet wird, verlaufen diese auch sehr
ähnlich bis der Recency- Effekt einsetzt. Dieser muss folglich anders erklärt werden. Da die
letzten Elemente der Liste meist als erstes wiedergegeben werden, geht man davon aus, dass
diese sich noch im KZS befinden.
Empirische Dissoziationen:
- Darbietungsrate (längere Lernzeit)
- Worthäufigkeit (seltene vs. häufige Worte)
- Inzidentelles Lernen (ohne bestimmte Aufgabe)
 Einfluss auf Elemente am Anfang und in der Mitte der Wortliste, nicht aber auf das
Ende
-
andere Aufgabe nach dem Lernen der Liste
 Einfluss auf Elemente am Ende, nicht aber auf Anfang und Mitte
 stützt Trennung der Systeme KZS und LZS
Wenn nach jedem Element der Liste Distraktionen kommen, zeigt sich der Recency- Effekt
wieder. Außerdem erinnerten sich Rugbyspieler an ihr letztes Spiel besser als an vorherige,
egal wie viel Zeit seither vergangen war.
 Recency- Effekt über längere Zeiträume; spricht gegen KZS als Auslöser
Daraus wurde wiederum von einigen Forschern die Annahme abgeleitet, dass es doch nur ein
Gedächtnissystem für kurz- und langfristige Erinnerungen gibt. Hier wird die bessere
zeitliche Diskriminierbarkeit jüngerer Elemente als entscheidend gesehen. Diese hängt vom
Intervall zwischen den verschiedenen Informationen (Liste: 1s; Rugbyspiele: 1 Woche) und
vom Intervall zwischen Information und Wiedergabe ab (Liste: Sekunden; Rugbyspiele:
Wochen)
Zeitliche Diskriminierbarkeit:
D = Intervall zwischen Elementen / Intervall zwischen Element und Wiedergabe
Diese Formel erklärt den Recency- Effekt auf allen Zeitskalen. Deshalb ist der RecencyEffekt keine ausreichende Evidenz für eine Trennung zwischen KZS und LZS.
Paradigmen der Gedächtnisforschung
Die traditionelle Gedächtnisforschung arbeitet fast ausschließlich mit Experimenten, bei
denen die VPn sich Listen mit Wörtern, Silben oder Buchstaben merken und wiedergeben
müssen.
Wiedererkennen (recognition): Elemente werden präsentiert und VPn muss entscheiden, ob
sie in der vorher gelernten Liste enthalten waren.
Frei Wiedergabe (free recall): Wiedergabe der Elemente in beliebiger Reihenfolge
Wiedergabe in vorgegebener Reihenfolge (serial recall): Wiedergabe in dargebotener oder
umgekehrter Reihenfolge
Wiedergabe mit Hinweisreizen (cued recall): Hinweisreize bei der Wiedergabe sollen VPn
an Elemente erinnern
Gezielte Wiedergabe (probed recall): Ein Indikator zeigt an, welches Wort als nächstes
wiedergegeben werden soll. Dieser kann die Listenposition, ein vorangegangenes Wort oder
ein vorher verknüpftes Wort (Paarassoziation) sein.
Wichtige UV solcher Aufgaben: Listenlänge, serielle Position, Lernzeit pro Element,
Intervall zwischen Lern- und Wiedergabephase, Art des Materials (Wörter, Silben)
Wichtige AV solcher Aufgaben: Reaktionszeit (v.a. beim Wiedererkennen), Anzahl richtiger
Antworten
Verfahren zur Messung der Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnisspanne
KZS:
VPn müssen sich Listen mit Ziffern merken, wobei man mit kurzen Listen (z.B. 3 Elemente)
beginnt und nach 2 bis 4 Listen dieser Länge Listen mit einem Element mehr verwendet. Das
geht so lange, bis weniger als die Hälfte der Listen korrekt wiedergegeben werden können.
Die KZS- Spanne ist also die Anzahl der Elemente der größten Listenlänge, bei der die
VP noch die Hälfte der Listen korrekt wiedergeben konnte. Normalerweise liegt diese
rund um die „magische Zahl 7 +/- 2“. Die Leistung ist bei Buchstaben und Wörtern etwas
schlechter, aber sehr ähnlich, was zu der Annahme geführt hat, dass verschieden große
Informationsmengen (ein Wort besteht aus mehreren Buchstaben), so genannte Chunks,
jeweils ein Element bilden können. Ein Chunk ist eine Informationsstruktur, die für eine
Person eine feste Einheit bildet. Hier zeigen sich deutliche interindividuelle Unterschiede
(z.B. ist nur für deutsch sprechende Menschen ein deutsches Wort ein Chunk).
AG:
Die Wiedergabe von einzelnen Elementen wird hier mit der Verarbeitung von Sätzen
kombiniert. Die Vpn lesen eine Liste von Sätzen, entscheiden direkt nach jedem Satz, ob
dieser wahr oder falsch ist und sollen am Ende der Liste jeweils das letzte Wort jedes Satzes
wiedergeben. Auch hier werden die Listen nach und nach verlängert.
3.2.1.2 Selektive Ausfälle des KZS und LZS
Es gibt Fälle von anterograder Amnesie, bei der der langfristige Erwerb neuer
Informationen gestört ist (Übergang vom KZS ins LZS), obwohl die Spanne des KZS völlig
normal ist. Andere Forscher berichten von Personen mit eingeschränkter Spanne des KZS,
die trotzdem normale Erinnerungsleistungen bei Wortlisten zeigten, allerdings keinen
Recency- Effekt. Diese Befunde stellen eine doppelte Dissoziation von KZS und LZS dar
und legen nahe, dass die verschiedenen Systeme verschiedene anatomische Grundlagen
aufweisen.
3.2.2 Zugriff auf das KZS: Die Experimente von Sternberg
Uns stehen Informationen im KZS direkt zur Verfügung und müssen nicht erst aus dem
LZS abgerufen werden. Sternberg untersuchte, wie schnell Informationen im KZS verwendet
werden können, indem er Personen kurze Listen lernen ließ, ihnen danach Elemente
präsentierte und sie entscheiden ließ, ob diese Teile der Liste waren. Dabei wurde die
Reaktionszeit gemessen.
Sternberg untersuchte zwei mögliche Prozesse für die Entscheidung:
Personen vergleichen mental das vorgelegte Element mit allen Elementen der Liste. Dieser
Prozess wird entweder abgebrochen, wenn eine Entsprechung gefunden wird (serielle
Suche mit Abbruch) oder in jedem Fall bis zum Ende der Liste fortgesetzt (serielle Suche
ohne Abbruch). In beiden Fällen müsste die Reaktionszeit mit der Listenlänge ansteigen,
wobei bei der Suche mit Abbruch die Reaktionszeit für negative Ergebnisse (Element nicht in
der Liste) schneller steigen sollte als für positive (da bei positiven Ergebnissen die Suche im
Schnitt in der Mitte der Liste endet).
Die Reaktionszeit steigt tatsächlich linear mit der Listenlänge an. Ansonsten entsprachen
seine Daten (im Gegensatz zu einigen späteren Experimente) eher der seriellen Suche ohne
Abbruch. Heute geht man sogar eher von einer parallelen Verarbeitung (gleichzeitiger
Vergleich aller Elemente) aus, da sich deutliche Recency- Effekte zeigen und die serielle
Suche mit Abbruch nur Primacy- Effekte zeigen sollte und bei der seriellen Suche ohne
Abbruch die Listenposition keine Rolle spielen dürfte. Allerdings lässt sich dadurch die mit
der Listenlänge ansteigende Reaktionszeit nur ungenügend erklären.
3.2.3 Probleme mit dem Modell von Atkinson und Shiffrin
Atkinson und Shiffrin wiesen dem KZS eine zentrale Rolle sowohl beim Lernen als auch
beim Informationen aus dem LZS Abrufen und zu Verwenden zu. Alle Probleme und
Ausfälle oder eine von Natur aus geringe Spanne sollten jegliches Lernen und Denken
erschweren oder unmöglich machen.
Es wurden verschiedene Evidenzen, die gegen diese Annahmen sprechen, gefunden: z.B. gab
es einige neurologische Patienten, die eine sehr kurze KZS- Spanne hatten und trotzdem gut
mit dem Leben und kognitiven Aufgaben zu Recht kamen. Außerdem wirkte sich bei
Experimenten weder eine Belastung des KZS mit 3 noch mit 6 Ziffern, die sich VPn
merken mussten, negativ auf die Leistung bei einer Aufgabe aus. Die versuchte Blockierung
verhinderte nicht einmal den Recency- Effekt. Andere Forscher fanden geringe
Korrelationen von KZS- Spanne und Leistungen bei komplexen Denkaufgaben.
3.2.4 Das Arbeitsgedächtnismodell von Alan Baddeley
Das Kurzzeitgedächtnis behält seine zentrale Rolle, wird aber jetzt Arbeitsgedächtnis
genannt und in drei Komponenten unterteilt, die zentrale Exekutive und die beiden
Sklavensysteme phonologische Schleife und visuell-räumlicher Notizblock.
Die zentrale Exekutive ist für die Arbeit des AG zuständig, die Sklavensysteme für das
kurzzeitige Speichern von Informationen.
Diese Unterteilung macht plausibel, warum z.B. die serielle Wiedergabe von Ziffern andere
Aufgaben, die Kapazität brauchen, kaum behindert: Die Ziffernliste wird von der
phonologischen Schleife verwaltet und die zentrale Exekutive bleibt frei. Auch die geringe
Korrelation von komplexen Denkaufgaben und der Spanne des KZS wird erklärt, da
Denkaufgaben eine gute zentrale Exekutive erfordern und die Spanne von der phonologischen
Schleife abhängt.
3.2.4.1 Die phonologische Schleife
Die phonologische Schleife besteht aus einem phonologischen Speicher und einem
Artikulationsprozess. Im Speicher kann sprachliches Material etwa 2 Sekunden gehalten
werden und wird dann vergessen, wenn es nicht durch den Artikulationsprozess (Rehearsal)
aufgefrischt wird.
Evidenz:
- Die Spanne des AG ist kürzer, wenn klanglich ähnliche Konsonanten oder Wörter als
Material verwendet werden. Inhaltliche Ähnlichkeit hat keinen Effekt 
phonologischer Ähnlichkeitseffekt (sogar beim Merken visueller Darbietungen oder
Bildern)
- Längere Wörter führen zu kürzeren Gedächtnisspannen, da es mehr Zeit braucht, sie
zu artikulieren (Spanne ist etwa die Anzahl an Wörtern, die man in 2 Sekunden
aussprechen kann, um die Gedächtnisspur aufrecht zu erhalten)  Wortlängeneffekt
Wenn Versuchspersonen während des Hörens einer Wortliste eine sinnlose Silbenfolge
nachsprechen müssen (artikulatorische Suppression) verschlechtert sich die Spanne.
Außerdem verschwindet der Wortlängeneffekt, während der phonologische
Ähnlichkeitseffekt erhalten bleibt. Das wird dadurch erklärt, dass die Suppression sich auf
den Artikulationsprozess auswirkt, dem man auch den Wortlängeneffekt zuordnen kann,
während der Speicher, dem man den Ähnlichkeitseffekt zuschreibt, nicht gestört wird. Bei
der Darbietung visuellen Materials verschwinden beide Effekte, da man schon für die
phonologische Repräsentation der Elemente den Artikulationsprozess benötigt.
-
Die Spanne des AGs wird durch gesprochene Sprache im Gegensatz zu sonstigen
Hintergrundgeräuschen erheblich beeinträchtigt (auch Fremdsprache). Nach Baddeley
ist Sprache für uns Menschen so wichtig, dass sie obligatorischen Zugang zum
phonologischen Speicher hat (evolutionär entstandener Filter)
3.2.4.2 Der visuell- räumliche Notizblock
Auch hier wird zwischen einem passiven Speicher und einem aktiven Prozess, der
Informationen in diesen Speicher hineinschreibt oder zeichnet, unterschieden.
Ein Ähnlichkeitseffekt ließ sich bei Versuchen mit abstrakten Mustern finden (abstrakt, da
sonst VPn automatisch sprachlich kodieren). Die VPn sahen eine Reihe von Mustern und
mussten danach auf einer Vorlage auf die richtigen Muster zeigen. Das fiel ihnen leichter,
wenn die gesehenen Muster sich unähnlich waren.
Eine Entsprechung des Wortlängeneffekts ließ sich für räumliche Positionen nicht finden.
Analog zur artikulatorischen Suppression müssen Vpn bei Experimenten zum visuellräumlichen Notizblock regelmäßig ein vorgegebenes Muster auf der Tastatur tippen
(„tapping“). Dies soll räumliches Rehearsal unterdrücken. Es gab bei einigen Studien Effekte.
Studien zu Effekten irrelevanter Stimuli ergaben doppelte Dissoziationen zwischen primär
visuellen und primär räumlichen Informationen, was eine weitere Unterteilung des visuellräumlichen Notizblocks in ein visuelles und ein räumliches System nahe legt. Im Gesamten
lässt sich sagen, dass der Speicher des visuell- räumlichen Notizblocks viele Parallelen
zum Speicher der phonologischen Schleife aufweist. Für eine analoge aktive Komponente
steht der Nachweis noch aus.
3.2.4.3 Die zentrale Exekutive
Die zentrale Exekutive ist für die kognitive Arbeit des AG zuständig. Sie überwacht
Denkprozesse und Handlungen und greift gegebenenfalls korrigierend ein. Routineaufgaben
werden von Aktionsschemata erledigt, die die in den Sklavensystemen gehaltenen
Informationen verwenden, um einfache Handlungen auszuführen. Nur wenn die übliche
Verarbeitung der Daten zu Fehlern führt, ist die zentrale Exekutive wirklich gefordert (wenn
z.B. nicht vorwärts, sondern rückwärts wiederholt werden soll, muss ein anderes
Aktionsschema die Arbeit übernehmen).
Eine Aufgabe zur Operationalisierung der zentralen Exekutive ist das Generieren von
Zufallsfolgen von Buchstaben. Menschen neigen dabei dazu, bekannte Abkürzungen oder
Sequenzen aus dem Alphabet zu verwenden. Diese bekannten Muster müssen von der
zentralen Exekutive unterdrückt und durch andere ersetzt werden. Kombiniert man diese
Aufgabe mit einer anderen, reicht die Kapazität nicht aus und die Sequenzen werden
regelmäßiger. Außerdem sinkt die Leistung bei der anderen Aufgabe.
Weitere Aufgaben der Exekutive sind die Planung komplexer kognitiver Tätigkeiten, die
Koordination der Sklavensysteme und die Allokation begrenzter kognitiver Ressourcen.
Schädigungen der zentralen Exekutive werden als „dysexekutives Syndrom“ bezeichnet
und zeigen sich darin, dass Menschen in Routinen verhaftet bleiben, die ganz offensichtlich
nicht weiter führen und besondere Schwierigkeiten mit zwei gleichzeitig auszuführenden
Aufgaben haben.
3.2.5 Die Fraktionierung des AG
Nachweise für die von Baddeley postulierte Fraktionierung des AGs liefern doppelte
Dissoziationen, die bei Doppelaufgaben festgestellt wurden.
VPn müssen zwei Aufgaben gleichzeitig erledigen, was normalerweise zu einem
Leistungsabfall bei beiden führt, der Doppelaufgaben- Interferenz genannt wird. Diese
Interferenz sollte deutlich größer sein, wenn beide Aufgaben dem gleichen Subsystem (z.B.
phonologische Schleife) zugeordnet werden können, was sich auch in vielen Studien zeigen
ließ. Weitere Forschung legte eine noch feinere Differenzierung des AGs nahe, die eventuell
sogar von der Lerngeschichte abhängig ist (Trennung zwischen AG für Sprache und Musik
nur bei Musikern).
3.2.6 Die Kapazität des AG
Die Kapazität des AG ist für komplexe kognitive Leistungen ein wichtiger Faktor und
korreliert mit Ergebnissen von IQ- Tests, Textverständnis und dem Erwerb neuer Fertigkeiten.
Es stellt sich die Frage, warum das AG überhaupt begrenzt ist. Eine Erklärung ist, dass das
AG nur mit begrenzten kognitiven Ressourcen ausgestattet ist. Was zur Verfügung steht, ist
eine konstante Menge an Aktivierungen, die auf die Speicherung und Verarbeitung von
Informationen verteilt werden muss. Es muss z.B. bei einer Wortliste jedem Element ein
Quantum an Aktivierung zugewiesen werden und außerdem muss Aktivierung verwendet
werden, um die weiteren Wörter zu lesen oder zu hören. Repräsentationen mit zu wenig
Aktivierung werden vergessen und Prozesse mit zu wenig Aktivierung werden zuerst
verlangsamt und dann fehlerhaft.
Diese Theorie sagt vorher, dass jede weitere Anforderung an den Speicher des AG zu Lasten
der Verarbeitung geht und umgekehrt, was zwar oft, aber nicht immer der Fall ist.
Eine alternative Annahme ist, dass Gedächtnisspuren im AG schnell zerfallen und dadurch
Informationen verloren gehen.
Eine weitere Annahme ist, dass sich die Informationen gegenseitig überschreiben, vor
allem, wenn sie ähnlich sind.
Wieder andere Forscher vermuten, dass die Kapazität unseres AG gleichbedeutend mit
unserer Fähigkeit ist, unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge zu konzentrieren: z.B.
Aufgaben zur Lesespanne verlangen von VPn, sich sowohl auf die erinnerten Wörter, als auch
auf den Prozess der Verarbeitung weiterer Sätze zu konzentrieren, was nur Personen mit
großer Kapazität können.
In weiteren Experimenten zeigte sich, dass Leute mit geringer Lesespanne auch in Aufgaben,
die ein hohes Maß an Aufmerksamkeit verlangten, schlechter abschnitten als Leute mit großer
Lesespanne, was diese Theorie stützt.
3.2.7 Die Grundlagen des AG im Gehirn
Fast alle Teile der Großhirnrinde waren in MRT- Studien bei VPn, die AG- Aufgaben
bearbeiteten, überdurchschnittlich aktiviert. Gewisse Tendenzen zeigen sich allerdings
trotzdem:
Sprachliches Material aktiviert eher die linke Hemisphäre, visuell- räumliches Material
eher die rechte. Außerdem aktivierten Aufgaben, bei denen nur Informationen gespeichert
werden mussten, vor allem die hinteren Regionen des Kortex, während Aufgaben, die
komplexere Verarbeitungsschritte erforderten, mehr die vorderen Regionen, vor allem den
dorsolateralen Präfrontalkortex, in Anspruch nahmen. Es wird also vermutet, dass dort die
exekutiven Funktionen zu finden sind und von der neuronalen Aktivität des PFC auch die
Kapazität des AGs abhängt.
3.3 Enkodierung und Abruf von Gedächtnisinhalten
3.3.1 Enkodierung von neuem Wissen
3.3.1.1 Die Rolle semantischer Verarbeitung
Viele Studien belegen, dass das bloße Durchlesen eines Textes nicht zu dauerhaften
Erinnerungen führt, was auch dazu führte, dass das klassische Modell von Atkinson und
Shiffrin ersetzt wurde.
Eine Studie hierzu beinhaltete das Lernen von Wortlisten mit der Aufgabe, sich das letzte
Wort der Liste, das mit B anfängt, zu merken. Das heißt, jedes Wort mit B musste immer so
lange im KZS behalten werden, bis das nächste Wort mit B folgt. Wenn der Übergang ins
LZS nur von der Verweildauer im KZS abhinge, sollten sich die VPn die B-Worte besser
gemerkt haben können, nach denen länger kein weiteres B- Wort folgte. Dies war nicht der
Fall, als die VPn am Ende des Experiments noch aufgefordert wurden, alle B- Wörter
wiederzugeben.
Nun ist die Frage, wie man Informationen verarbeiten sollte, dass sie tatsächlich den Weg ins
LZS finden. Hier wird noch einmal auf die Theorie der Verarbeitungstiefe verwiesen
(3.1.2.2), die sich zwar in ihrer eigentlichen Form nicht halten konnte, aber drei Einsichten
hinterließ:
1. Die Art der Lernaktivität spielt für die Behaltensleistung eine entscheidende Rolle,
was eine klare Abkehr vom Behaviorismus und seiner Sicht vom Lernen als passiver
und stimulusabhängiger Prozess darstellte.
2. Eine neues experimentelles Paradigma: Kombination aus inzidenteller Lernsituation
und Orientierungsaufgabe
3. Eine neue Forschungsrichtung: Was genau ist semantisches Verarbeiten?
3.3.1.2 Die Rolle der Lernabsicht
Hauptmerkmal des Verarbeitungstiefenparadigmas ist die inzidentelle Lernsituation, d.h.
die VPn wissen nicht, dass ihr Gedächtnis geprüft wird und verwenden keine Strategien, die
ein Schüler oder Student für das Lernen von Inhalten verwenden würde. Deshalb stellt sich
die Frage, ob diese Erkenntnisse auf „echte“ Lernsituationen übertragbar sind.
In einer Studie wusste die Hälfte der VPn, dass später die Wörter der gelernten Liste
reproduziert werden müssen (intentionale Lernsituation) und die andere Hälfte wusste es nicht
(inzidentelle Lernsituation). Außerdem gab es verschiedene Orientierungsaufgaben
(semantische und phonemische). Semantisches Lernen führte zu besseren
Erinnerungsleistungen. Zwischen der intentionalen und der inzidentellen ließ sich
darüber hinaus kein Unterschied feststellen, was nahe legt, dass die Lernintention nur
dadurch wirkt, dass sie einen normalerweise dazu bringt, wirksamere (z.b. semantische)
Verarbeitungsstrategien zu verwenden.
3.3.1.3 Lernen durch Aufbau verständnisorientierter Repräsentationen
VPn in einer inzidentellen Lernsituation mussten bewerten, wie gut ein Wort in einen Satz
passt. Dazu müssen sowohl das Wort als auch der Satz semantisch verarbeitet werden. Je
komplexer die Sätze waren, desto besser war die Erinnerungsleistung. Entscheidend für die
Gedächtnisleistung ist also die Repräsentation, die durch die Verarbeitung gebildet wird.
Diese Repräsentation beinhaltet eine Verknüpfung des fraglichen Wortes mit allen
Wörtern des Satzes, d.h. für den komplexen Satz müssen mehr Beziehungen geknüpft
werden. Das Erstellen derartiger Verknüpfungen nennt man auch Elaboration. Die
Repräsentation spiegelt also das individuelle Verständnis eines Satzes wieder.
Erinnerungsleistung kann also hier als Nebenprodukt von Verständnis gesehen werden.
3.3.1.4 Der Aufbau verständnisorientierter Repräsentation erfordert Zugriff auf
semantisches Langzeitwissen
Semantische Elaboration bringt neue Informationen ins LZG und erfordert gleichzeitig
Informationen aus dem LZG.
Die Rolle des Zugriffs auf das Langzeitwissen wird auch durch MRT- Studien bestätigt, bei
denen sich bei VPn, die Wortlisten lernen, meist eine Aktivierung im linken, inferioren,
präfrontalen Kortex zeigt. Je größer diese Aktivierung, desto besser die
Gedächtnisleistung. Die gleiche Region ist beim Abruf semantischen Wissens aktiv.
Der Zugriff auf semantisches Langzeitwissen ist also entscheidend für das Erlernen neuen
Materials. Es kann dabei auch zu Fehlern kommen. Wenn eine Wortliste Wörter enthält, die
stark mit einem bestimmten anderen Wort assoziiert sind, wird dieses Wort genauso
häufig als Erinnerung genannt wie dir Wörter, die wirklich auf der Liste waren (z.B. Bett,
Kissen…  Schlaf). Beim Aufbau einer verständnisorientierter Repräsentationen der
Wörter auf dieser Liste wird Wissen aus dem LZG abgerufen. Da alle Elemente der Liste mit
Schlaf in semantischen Beziehungen stehen, wird es vermutlich mit abgerufen. Ob die
Quelle der Information von den Stimuli kommt oder aus dem LZG ist scheinbar nicht Teil
der Repräsentation.
3.3.1.5 Der Aufbau verständnisorientierter Repräsentationen braucht Aufmerksamkeit
Semantische Elaboration geschieht nicht automatisch und gelingt auch intentional nicht
immer.
In einer Studie mussten VPn Listen mit auditiv dargebotenen Wörtern lernen und dabei
eine visuelle Reaktionszeitaufgabe machen. Die beiden Aufgaben waren also so unähnlich
wie möglich. Trotzdem nahm die Leistung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die nur die
Listen lernen musste, deutlich ab, was für eine allgemeine Ressource, die für beide Aufgaben
nötig ist, spricht. Man geht davon aus, dass diese Ressource die Fähigkeit ist, die
Aufmerksamkeit auf momentan relevante Stimuli zu lenken. Die Überführung von
Informationen ins LZG benötigt also Aufmerksamkeit.
Bei solchen Doppelaufgaben verschwindet auch die Aktivierung des linken, inferioren,
präfrontalen Kortex oder lässt zumindest nach, was noch einmal anatomisch zeigt, dass
semantische Elaboration nicht automatisch geschieht.
Über längere Zeiträume hinweg sind solche aufmerksamkeitsintensiven Prozesse sowohl
subjektiv als auch objektiv messbar anstrengend. Lernen ist also Arbeit.
3.3.1.6 Verteilte Repräsentationen müssen zu Gedächtnisspuren zusammengebunden
werden
Es sind allerdings noch weitere Schritte erforderlich, um eine adäquate Gedächtnisspur
abzulegen. Dies zeigt sich vor allem an Patienten, die aufgrund von Schädigungen am
Hippocampus unter Amnesie leiden. Sie können Gespräche führen, d.h. ihre kognitiven,
aufmerksamkeitsgesteuerten Prozesse sind intakt. Allerdings erinnern sie sich schon
Minuten später nicht mehr an das Gesagte. Elaborative Prozesse sind also notwendige, aber
keine hinreichenden Prozesse für das Ablegen von Gedächtnisspuren.
Jede Situation, die wir erleben, wird an verschiedenen Stellen im Kortex kodiert.
Aufmerksamkeitsbasierte Prozesse im frontalen Kortex bauen mit Hilfe gespeicherter
Wortbedeutungen aus den posterioren Gehirnregionen verständnisorientierte
Repräsentationen auf (z.B. einer Vorlesung). Außerdem werden auch irrelevante Aspekte
gespeichert (Tageszeit, Gesicht des Vortragenden usw.) und zwar in den für die jeweiligen
Sinne zuständigen Regionen des Gehirns. All diese Bruchstücke zu Gedächtnisspuren zu
vereinigen ist die Aufgabe des Hippocampus, der für diese Aufgaben bestens positioniert ist
und dessen Neuronen spezielle Kodiereigenschaften haben. Man geht davon aus, dass durch
bestimmte Reize (z.B. die Frage nach gewissen Vorlesungsinhalten) bestimmte
Informationsbruchstücke im Kortex aktiviert werden, die wiederum die integrierte
Repräsentation im Hippocampus aktivieren. Diese integrierte Repräsentation wiederum
sorgt für die komplette Aktivierung des an der Erinnerung beteiligten kortikalen
Netzwerks, was von uns dann als Erinnerung wahrgenommen wird.
Unsicher ist, ob der Hippocampus die komprimierte und integrierte Repräsentation dauerhaft
oder nur für eine bestimmte Zeit erhält, nach der Gedächtnisspuren autonom funktionieren
können.
Assoziative und relationale Repräsentationen
Bei relationalen Repräsentationen sind die Hauptmerkmale der Repräsentation mit
anderen Merkmalen in Beziehung gesetzt (z.B. eine mentale Landkarte, bei der Start und
Zielort mit anderen Merkmalen der Umgebung verknüpft sind). Sie erlauben eine flexible
Nutzung des Wissens. Für diese ist der Hippocampus zuständig.
Parallel dazu gibt es einfachere, rein assoziative Repräsentationen. Tolman zeigte den
Unterschied mit Rattenexperimenten. Diese lernten, dass sie ihr Futter im Labyrinth durch
einmal rechts abbiegen erreichen. Setzte man sie auf die andere Seite des Labyrinths, merkten
sie dies und bogen nach links zum Futter ab (spricht für relationale Repräsentation), außer, ihr
Hippocampus wurde mit Medikamenten außer Kraft gesetzt (dann nur noch assoziative
Repräsentationen).
Für Erinnerungen sind relationale Repräsentationen entscheidend. Zum Beispiel muss im
Satz „Tanja lädt Karl zum essen ein.“ „einladen“ als Relation verstanden werden, die Tanja
und Karl bestimmte Rollen zuordnet. Bei einer assoziativen Relation wäre nicht klar, wer wen
eingeladen hat. Relationen sind vermutlich das Grundgerüst unseres deklarativen
Gedächtnisses.
3.3.1.7 Enkodierung ohne Beteiligung des Hippocampus: Implizites Lernen
In welchen Situationen kann ohne Hippocampus gelernt werden?
Ein experimentelles Paradigma zum impliziten Lernen ist die serielle
Reaktionszeitaufgabe, bei der Personen auf ein X, dass an vier verschiedenen Positionen des
Bildschirms erscheinen kann, per Tastendruck reagieren sollen. Die Abfolge der Stimuli ist
nicht zufällig, sondern ein bestimmtes Muster (z.B. 4-2-3-1-4…) wiederholt sich immer
wieder. Ein Block umfasst 20 oder 40 Wiederholungen, gefolgt von einem Transferblock mit
Wiederholung einer anderen aber gleich langen Sequenz. Die Reaktionszeit verlangsamt
sich im Transferblock, was auf einen gewissen Lernerfolg bei der ersten Sequenz hindeutet.
Dieser Effekt zeigt sich auch bei VPn, die hinterher angaben,ihnen seien keine
Regelmäßigkeiten aufgefallen. Es handelt sich als um einen impliziten Lerneffekt.
Hier werden unbewusste, aber die Handlungen beeinflussende assoziative
Repräsentationen aufgebaut.
Anamnestische Patienten, die große Schwierigkeiten mit expliziten Gedächtnisaufgaben
haben, zeigen in seriellen Reaktionsaufgaben eine normale Lernleistung. Der Hippocampus
wird hier also nicht benötigt.
Viele Befunde sprechen dafür, dass es für das implizite Lernen kein einheitliches
Lernsystem gibt. Versuchspersonen können zwei voneinander unabhängige Sequenzen
gleichzeitig lernen, wenn sie verschiedenen Dimensionen zuzuordnen sind (z.B. einmal
räumlich und einmal verschiedene Objekte an der gleichen Stelle). Es können verschiedene
implizite Repräsentationen gleichzeitig existieren, ohne sich gegenseitig zu stören, da sie
nicht an einer bestimmten Instanz (bei expliziten Repräsentationen: Hippocampus)
zusammenkommen müssen, sondern über verschiedene kortikale Regionen verteilt sind.
Anamnestische Personen zeigen für die meisten Lernleistungen, die unter das prozedurale/
implizite Gedächtnis fallen, eine normale Lernleistung. Dies sind Lernleistungen, bei denen
verbal beschreibbare Repräsentationen nicht nötig oder möglich sind, sondern die
Gedächtnisenkodierung durch die Ausführung der zu lernenden Handlung erfolgt (learning by
doing – z.B. Fahrrad fahren). Implizites Lernen ist ein gradueller Vorgang und geschieht
durch häufige Wiederholungen der Handlungen. Explizites Lernen ist im Gegensatz dazu sehr
schnell.
3.3.2 Die Beziehung zwischen Enkodierung
Die Trennung zwischen Enkodierung und Gedächtniszugriff ist künstlicher und didaktischer
Natur.
3.3.2.1 Enkodierspezifität und „Transfer Appropriate Processing“
Hier soll spezifiziert werden, warum semantische Verarbeitung in den meisten Fällen der
beste Weg zu guten Gedächtnisleistungen ist.
In einem Experiment wurde das Verarbeitungstiefeparadigma variiert. Es gab eine
semantische und eine phonemische Orientierungsaufgabe (die Frage, ob sich das
Wortpaar reimt). Dann gab es in einer Bedingung einen Wiedererkennungstest, bei dem
sich der übliche Effekt zeigte (Erinnerungsleistung semantisch > phonemisch). In einer
zweiten Bedingung mussten die VPn Wörter identifizieren, die sich mit solchen aus der
Enkodierphase reimten. Hier kehrte sich der Effekt um und die Vpn in der phonemischen
Bedingung zeigten bessere Erinnerungsleistungen. Es ist also nicht grundsätzlich so, dass
semantische Verarbeitung zu besseren Erinnerungsleistungen führt, sondern der
entscheidende Faktor ist die Passung zwischen den kognitiven Prozessen der Enkodierund der Abrufphase.
Ein neuer Begriff, der hier eingeführt wird, ist das Zugriffssignal („retrieval cue“). Gemeint
ist damit eine Repräsentation im Fokus der Aufmerksamkeit, die als eine Art Anfrage an das
LZG verstanden werden kann. Sieht eine VPn ein bestimmtes Wort, so führt dies zum
Zugriff auf semantisches Wissen, das gemeinsam mit der Repräsentation des Wortes das
Zugriffssignal bildet. Je ähnlicher das Zugriffssignal der ursprünglich enkodierten
Information ist, desto mehr wird von ihr aktiviert. Dieser Effekt wird Enkodierspezifität
genannt.
Effekte der Passung zwischen Enkodierung und Abruf beziehen sich nicht nur auf die
Repräsentation des zu lernenden Materials, sondern auf den gesamten Kontext (externe
Umgebung wie Ort, an dem gelernt wird und interne Umgebung wie Stimmung).
Ein berühmtes Beispiel war eine Untersuchung mit Tiefseetauchern, die sowohl an Land als
auch unter Wasser Wortlisten lernen und wiedergeben mussten. An Land wurde besser
gelernt; entscheidend aber der Effekt der Passung. Wenn Lernen und Abruf in
verschiedenen Kontexten statt fanden, sank die Leistung deutlich. Kontextuelle
Informationen werden also sowohl beim Enkodieren als auch beim Abruf mit in die
Repräsentationen aufgenommen. Bei Marihuanakonsum lassen sich ähnliche Effekte
feststellen.
Der Passungseffekt verschwindet, wenn Hinweisreize oder Paarassoziationslernen
verwendet werden. Der Kontext geht scheinbar vor allem dann in die Repräsentation mit ein,
wenn diese ohne klare externe Vorgaben aufgebaut werden soll. Auch die Stimmung spielt
eine Rolle, aber eigentlich nur dann, wenn die zu merkenden Wörter von den VPn selbst
generiert werden.
3.3.2.2 Enkodierspezifität und Inhaltsadressierbarkeit
Computermetapher des Gedächtnisses (nicht zutreffend):
Der Computer findet abgespeicherte Informationen wieder, da jeder einzelne Ort auf dem
Speichermedium eine eindeutige Adresse hat. Diese Adresse ist völlig unabhängig von der
Information, die am entsprechenden Ort gespeichert ist. Das Betriebssystem muss exakt
festhalten, wo welche Information gespeichert ist. Wenn das schief geht, ist die Information
verloren (Absturz).
Das Gedächtnis kann nicht in der Art abstürzen, da es inhaltsadressierbar ist, was bedeutet,
dass der Inhalt einer Gedächtnisspur selbst die abgespeicherte Adresse ist. Als Inhaltsadresse
können auch Bruchstücke von Repräsentationen einer Erinnerung dienen, die dann größere
Teile der Gedächtnisspur aktivieren. Dieser Vorgang läuft vermutlich über den
Hippocampus. Ein einzelnes Bruchstück (z.B. die Sonne schien) reicht dazu allerdings meist
nicht aus, da es auch mit vielen anderen Gedächtnisspuren assoziiert ist. Je mehr
Komponenten der ursprünglichen Erinnerung wieder als Zugriffshinweise gegeben werden,
desto besser kann das gesamte Muster der ursprünglichen Erinnerung rekonstruiert werden.
3.3.2.3 Warum semantische Elaboration beim Gedächtniszugriff hilft
Sowohl in Experimenten als auch in Prüfungssituationen muss man sich bestimmte Dinge
merken. Normalerweise werden diese sprachlich enkodiert und nicht über phonemische oder
graphemische Aspekte. Bei Listenelementen in Experimenten denken Versuchspersonen
vermutlich an gelernte Bedeutungen und konstruieren dadurch Zugriffshinweise, beim
Lernen auf eine Klausur geht es meist um semantische Zusammenhänge des Gelernten.
In „normalen“ Zugriffssituationen besteht also eine gute Passung zwischen semantischer
Elaboration und dem nötigen Abruf. Es gibt natürlich auch Ausnahmen (z.B. Gedichte
rezitieren).
Nun ist auch klar, warum die Anzahl der bei der Elaboration kreierten semantischen
Verknüpfungen eine Rolle spielt (3.3.1.3). Entscheidend für den erfolgreichen Zugriff ist die
Passung von Zugriffssignal und abgelegter Gedächtnisspur. Je mehr Begriffe beim Lernen
mit dem zu lernenden Begriff verknüpft wurden, desto größer ist die Chance, dass der
Zielbegriff bei der Abfrage aktiviert wird, da alle verknüpften Begriffe sozusagen
Zugangswege sind.
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