Sabine Gensior - Dr. habil. Lothar Lappe

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Sabine Gensior
Lothar Lappe
Roald Steiner
„Das Spannungsfeld von Umwelt und Arbeit. Veränderungen in der natürlichen und
sozioökonomischen Umwelt im Wahrnehmen und Handeln einer regionalen
Bevölkerung“
1.
Zusammenfassung
Das Projekt zielt auf die Rekonstruktion umweltbezogener Bewußtseinsstrukturen. Untersucht
werden soll, ob und wie gravierende Beeinträchtigungen der natürlichen Umwelt von den
davon unterschiedlich betroffenen Subjekten verarbeitet und bewertet werden und welche
Handlungsfolgen daraus resultieren. Dabei geht es auch um die krisenhafte Konfrontation von
Einstellungen zur Umwelt mit gleichzeitig vorhandenen (z.B. wirtschaftlichen) Zielen und
Interessen handelnder Individuen und Gruppen. Ein grundlagentheoretisches Ziel der Arbeit
besteht darin, den durch das Individuum geleisteten, kognitiven und emotionalen Zusammenhang von Wahrnehmung, Verarbeitung, Handlungsantizipationen (innerem Handeln) und
äußerem Handeln in theoretischer Hinsicht zu analysieren.
Diese Zusammenhänge werden exemplarisch in einer Region – der Niederlausitz – untersucht. Diese Region an der Grenze zu Osteuropa ist hinsichtlich Umfang und Intensität der
Umweltbeeinträchtigungen durch wirtschaftliche Nutzung eine der bedeutendsten „gestörten“
Kulturlandschaften Europas; zugleich sind hier außergewöhnliche Anstrengungen zur
Umweltsanierung zu beobachten. Die Veränderungen der natürlichen Umwelt finden statt in
einem regionalen Kontext, der geprägt ist durch massive sozioökonomische Schrumpfungsund Abwanderungsprozesse sowie tiefgreifende Umbrüche in den Arbeitsmarktstrukturen und
Lebensverhältnissen.
Es werden quantitative und qualitative Methoden kombiniert: Mit Hilfe geschlossener
Erhebungsverfahren und damit gegebener Möglichkeiten quantitativer Auswertungen soll u.a.
dem Anspruch an Repräsentativität Rechnung getragen werden. Die Erfassung komplexer
Denk- und Einstellungsstrukturen erfordert den Einsatz (halb-) offener Instrumente und
qualitativ-hermeneutischer Auswertungen. - Die Anlage und Ergebnisse der Vorstudie
werden im Folgenden zusammengefaßt vorgestellt.
2.
Zielstellung
Ziel des Projekts war es zum einen, die komplexen Strukturen des Konzepts
„Umweltbewußtseins“ zu erhellen, zum anderen direkt an die vielfältigen konkreten
Umweltveränderungen in der „gestörten Kulturlandschaft“ Niederlausitz anzuknüpfen.
2
Untersucht wurden im Rahmen der Vorstudie die subjektiven umweltbezogenen
Bewußtseinsstrukturen von Menschen, die sich in der Interaktion mit ihrer sozialen Umwelt
herausbilden. Als Momente der Person-Umwelt-Interaktion werden folgende Aspekte
unterschieden: die subjektive Wahrnehmung umweltrelevanter Ereignisse, deren kognitive
und emotionale Verarbeitung und das bewußte zielstrebige Handeln der Individuen, das auf
die soziale Umwelt einwirken kann. Die Untersuchung des Umweltbewußtseins beschränkt
sich dabei nicht – wie in der Umweltforschung bislang üblich – auf die Erhebung von
Einstellungen zu ökologisch relevanten Sachverhalten oder die Analyse von Umweltwissen
und –einstellungen. Vielmehr besteht ein grundlagentheoretisches Ziel der Arbeit darin, den
durch das Individuum geleisteten, kognitiven und emotionalen Zusammenhang von
Wahrnehmung, Verarbeitung, Handlungsantizipationen (innerem Handeln) und äußerem
Handeln in theoretischer Absicht zu analysieren; diesen Gesamtzusammenhang nennen wir
Bewußtsein. Es soll vermieden werden, lediglich Kenntnisse und Wissenskomplexe – wie
bisher üblich – zur Umweltproblematik abzufragen, ohne die dahinter liegenden
Bewußtseinsstrukturen zu erfassen (Billig 1995; de Haan, Kuckartz 1996; Lappe u.a. 2000;
Poferl u.a. 1997).
Am Beispiel der gestörten Kulturlandschaft in der Niederlausitz geht es um die Frage, ob und
wie die Etablierung neuer Raumnutzungsstrukturen das Umweltbewußtsein der Bevölkerung
beeinflußt. Aus den wenigen vorliegenden Untersuchungen geht hervor, daß die bisherige
Nutzung und Gestaltung der vom Braunkohletagebau geprägten Landschaften
gruppenspezifisch und insbesondere generationell unterschiedlich gesehen und akzeptiert
wurde und wird. Übersetzt in die Bewußtseinsterminologie kann dies folgendes bedeuten:
Wirken sich die retardierenden Momente, die von altindustriellen Produktionskonzepten
ausgehen, auch im Bewußtsein und Handeln der individuellen Akteure aus oder deutet sich
an, daß die vorhandenen Handlungsspielräume im Bereich alternativer Produktionskonzepte
von bestimmten Gruppen zunehmend genutzt werden? Entsprechend dieser Frage wurden in
der Vorstudie, über die hier berichtet wird, Beschäftigte in Kontrastbetrieben befragt; das soll
in der weiteren Arbeit vertieft werden. Die Kontrastbetrieben selbst lassen sich entsprechend
ihrer Produktionskonzepte und ihrem Umweltbezug vier Clustern zuordnen:

Cluster I: altindustriell geprägte Produktionskonzepte mit problematischem Umweltbezug
(z.B. Bergbau- und Energiewirtschaft, Chemieindustrie)

Cluster II: altindustriell geprägte Produktionskonzepte mit unproblematischem
Umweltbezug (z.B. Betriebe der Bergbausanierung, Entsorgungsbetriebe, Baumschulen)

Cluster III: alternative Produktionskonzepte mit problematischem Umweltbezug (z.B.
Betriebe der Freizeit- und Touristikindustrie (z.B. Lausitzring mit Automobil- und
Motorradrennen)

Cluster IV: alternative Produktionskonzepte mit unproblematischem Umweltbezug (z.B.
Wertschöpfungsketten auf Basis nachwachsender Rohstoffe, Windkraftanlagenbau):
3.
Methoden
In methodischer Hinsicht konzentrierte sich die Vorstudie auf eine qualitative Befragung von
Beschäftigten in den vier Clustern ökonomischer Aktivitäten (s.o.). Damit sollten notwendige
3
Ausgangsinformationen für die Hauptuntersuchung als (a) qualitativ
Längsschnittstudie und (b) breit angelegte Repräsentativstudie erhoben werden.
angelegte
Diese für die Hauptuntersuchung vorgesehene Kombination aus quantitativen und qualitativen
Methoden konnte in der bisherigen Arbeit bereits umgesetzt werden. Im einzelnen handelt es
sich um

eine quantitative Erhebung, angelegt als repräsentative Bevölkerungsstichprobe sowie

eine qualitative Erhebung, angelegt als Befragung eines kleinen Samples mithilfe eines
halboffenen Fragebogens.
Für diese Modifikation der methodischen Vorgehensweise waren folgende Überlegungen
maßgebend: Bereits in den problemerschließenden Expertengesprächen und in den Interviews
mit Beschäftigten in den Clustern, die im Rahmen der Vorstudie durchgeführt wurden, zeigte
sich, daß für die Entwicklung des Umweltbewußtseins und -handelns in der
Untersuchungsregion aufgrund der sich zuspitzenden, durch zunehmende Arbeitslosigkeit,
Schrumpfungs- und Abwanderungsprozesse charakterisierten regionalen Problemlage eine
sehr viel höhere Zahl an Einflußfaktoren von Bedeutung sind als seinerzeit zu Beginn der
Arbeit abzusehen war: Neben demographischen und „arbeitsweltlichen“ Faktoren spielen
offenkundig im zunehmenden Maße eine Reihe weiterer Variablen, insbesondere die
berufliche Situation (beschäftigt, arbeitslos) sowie die Wohnsituation (ortsansässig, Pendler),
eine nicht unerhebliche Rolle als Erfahrungsbezug des Umweltbewußtseins und –handelns.
Insofern würde die ursprünglich vorgesehene Befragung eines relativ kleinen Samples von
Beschäftigten in den Clustern zu Ergebnissen führen, die nicht nur in ihrer statistischen
Auswertbarkeit, sondern auch hinsichtlich ihrer für die regionalen Problemlagen
flächendeckenden Aussagekraft stark eingeschränkt wären. Vor diesem Hintergrund wurde
eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe vorbereitet, die so gesteuert ist, daß für die
Entwicklung des Umweltbewußtseins und -handelns relevante sozialstatistische Merkmale
herangezogen werden.1
Auf Basis dieses quantitativen Erhebungsschritts wird ein relativ kleines Sample
herausgefiltert, das kontrastreiche Gruppen von Probanden enthält, deren spezifische
Problemlagen durch qualitative Interviews herausgearbeitet werden. Im Zuge dieses
qualitativen Erhebungsschritts werden neben den Beschäftigten in verschiedenen Clustern
ökonomischer Aktivitäten auch Kontrastgruppen wie Pendler vs. Ortsansässige, Beschäftigte
vs. Arbeitslose befragt. Es kann erwartet werden, daß diese Befragung eines relativ kleinen
Samples Ergebnisse liefert, die die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes deutlicher
hervortreten läßt als das mit dem Instrument der repräsentativen Bevölkerungsbefragung
erreichbar ist.
1
So soll die Stichprobe die Verteilung der Wohnbevölkerung nach den Merkmalen berufliche Situation
(beschäftigt, arbeitslos), Schulabschluss, beruflicher Abschluss, Alter, Geschlecht, Wohnsituation (ortsansässig,
Pendler) abbilden. Gruppen, die nicht genügend repräsentiert sind (z.B. Pendler) können nachträglich aufgefüllt
werden. Die Stichprobe wird zudem auch so gesteuert, dass für einen Vergleich hinreichend viele Beschäftigte in
traditionellen, alten Industriezweigen (z.B. Braunkohle, Chemie) und neuen Industrie- und
Dienstleistungszweigen (z.B. von Windkraftanlagenbau bis Baumschulen und Freizeit und Touristik) vertreten
sind, da wir uns von einer solchen sozialstatistischen Differenzierung signifikante Unterschiede im
umweltrelevanten Wissen bzw. im Umweltbewusstsein erwarten.
4
Diese Untersuchungsanlage bedingte eine entsprechende methodische Vorgehensweise auch
in der bisherigen Vorstudie, die problemerschließenden und vorbereitenden Charakter für
vorgesehene repräsentative Bevölkerungsstichprobe und die qualitative Erhebung hatte. Die
Pretests wurden daher für beide Erhebungsschritte durchgeführt. Zunächst wurden
Pilotgespräche mit zwei Expertengruppen geführt: Diese leitfadengestützten
Expertengespräche (1) mit Kollegen aus den verschiedenen Projektbereichen des SFB sowie
(2) mit Experten in den vier genannten Clustern dienten neben der Felderschließung vor allem
der Konzipierung und Ausarbeitung der Erhebungsinstrumente, das heißt zum einen (3) des
Fragebogens für die im Rahmen der Hauptstudie geplante repräsentative Befragung der
regionalen Bevölkerung, sowie (4) des halboffenen Fragebogens für die Interviews mit den
genannten Kontrastgruppen. Wir skizzieren die methodische Vorgehensweise nachfolgend
eingehender.
3.1
Expertengespräche in den Projektbereichen des SFB
In einem ersten Schritt entwarfen wir einen Leitfaden für Expertengespräche, mit dem
Kollegen aus den Bereichen A, B, C und D des SFB 565 nach ihrem engeren
wissenschaftlichen Forschungsbereich, den Fragestellungen in ihren verschiedenen Projekten
und nach allgemeinen Problemlagen zur Tagebausanierung befragt wurden. Es ging uns
darum, das Expertenwissen aus den genannten Forschungsbereichen (vgl. Tabelle 1)
Tab. 1: Expertenbefragung in den einzelnen Teilprojektes des SFB 565
TeilprojektNr.
Teilprojekt
befragter Experte
A2
Bedeutung von Umsatz, Qualität und Transport
organischer Substanz für die Entwicklung des
Stoffhaushalts gestörter Standorte
Dr. O. Bens
A3
Funktionen von Wurzelsystemen und Pilzen im
Nährstoffkreislauf gestörter Standorte
Dr. B.U. Schneider
B4
Analyse und Modellierung der Biomasse und
Vegetationsdynamnik im Offenland
Dr. T. Peschel
B6
Besiedlungsdynamik, Morphologie und
Hydraulik anthropogener Sandbäche in
Eigenentwicklung
Dr. M. Mutz
C2
Entwicklung von Sektoralmodellen für
verschiedene Stadien der Kippenentwicklung)
Dr. D. Biemelt
C6
Beeinflussung des regionalen Klimas durch
Landnutzungsveränderungen, untersucht am
Beispiel des Lausitzer Braunkohlereviers
Prof. Dr. E. Schaller
D6
Zur Dynamik der Entwicklung von Landschaft
unter Störeinflüssen – Analyse von
Raumstrukturen und Landschaftsfunktionen
Prof. Dr. H. Kenneweg
5
sprachlich so zu transformieren, daß wir es in allgemeinverständlicher Form den Probanden
beider Erhebungsschritte – des quantitativen und des qualitativen – als Fragekomplexe
präsentieren konnten.
Es konnten bislang mit sieben Experten aus anderen Projekten bzw. Projektbereichen je etwa
zweistündige Expertengespräche geführt werden. Die Gespräche wurden aufgezeichnet und
transkribiert. Aus diesem Antwortmaterial wurden dann in Form der Textinterpretation die
Wissens- und Bewertungsfragen zu den Folgen des Braunkohletagebaus und den
Sanierungsmaßnahmen herausgefiltert, die ungefähr eine Hälfte unserer Fragebögen
ausmachen. Im einzelnen handelt es sich um Fragen nach

dem faktischen Wissen über die vielfältigen Aspekte des Braunkohletagebaus und der
Sanierung (sind die Gefahrenmomente der Bodenvernutzung, der Gewässer- und
Luftbelastung kognitiv präsent und sind die Verfahren der Sanierung, ihre Probleme und
der hierfür notwendige Aufwand bekannt?);

der Bewertung von durch den Tagebau entstehenden Umweltproblemen (auch in
Abwägung zu anderen regionalen Problemen), Sanierungsmaßnahmen und
unterschiedlichen Flächennutzungskonzepten.
3.2
Expertengespräche in vier Clustern ökonomischer Aktivitäten
Ein weiterer Expertenleitfaden diente dazu, in Interviews mit Geschäftsleitungen und
Interessenvertretungen der Beschäftigten in den genannten vier Clustern insbesondere
umweltrelevante Besonderheiten des Arbeitsmarktes, der Betriebe oder bestimmter
Tätigkeitsstrukturen zu spezifizieren. Ausgangspunkt dieser Vorgehensweise war die
Überlegung, daß Individuen hinsichtlich ihres Umweltbewußtseins und -handelns durch die
ihre verschiedenen Lebensweltbereiche spezifisch geprägt sind: Dies gilt für Beschäftigte, die
in Betrieben mit unterschiedlich die Umwelt belastenden Produktionskonzepten tätig sind, für
Pendler, die zur Erreichung ihres Arbeitsplatzes auf die Nutzung umweltbelastender
Transportmittel angewiesen sein können oder für Nichterwerbstätige, die im Gegensatz zu
Beschäftigten durch andere Kontexte als ein Arbeitsumfeld geprägt sind. Folgende
Fragekomplexe standen hier im Mittelpunkt:

Allgemeine Angaben zu den Betrieben (Beschäftigungs- und Qualifikationsstruktur,
Produkt- bzw. Leistungsangebotspalette, stoffliche und Regionalstruktur auf der
Beschaffungs- und Absatzseite, Leistungsverflechtungen bzw. Position in der
Wertschöpfungskette, Marktssituation und geschäftliche Perspektiven);

relevante Akteure bzw. Akteurssysteme in der Umwelt der Betriebe (Unternehmen,
Verbände, staatliche Institutionen, Arbeitnehmervertretungen, Mediäre); Bedeutung des
regionalen Umfelds sowie des umweltrechtlichen und –politischen Rahmens und
Kontextes;

Auswirkungen der betrieblichen Prozesse auf die natürliche Umwelt (vgl. nachstehende
Tabelle D 5-2), wobei insbesondere auf umweltrelevante Aspekte einzelner Stufen der
Leistungserstellung bzw. von Tätigkeiten abgestellt wurde; gefragt wurde auch, soweit
6
Tab. 2: Stufen des ökologischen Produktlebenszyklus
Prozesse auf die natürliche Umwelt
Stufen des ökologischen
Produktlebenszyklus
-
Auswirkungen betrieblicher
Umweltrelevante Aspekte
Prozesse der Leistungserstellung (betriebliche Prozesse)
-
-
Verbrauch von Energie, Roh-, Hilfs- und
Betriebsstoffen
Produktions-/Leistungserstellungsprozeß:
Freisetzung von Staub, Wärme, Lärm, Geruch,
Abwasser, Abfall
Gefahrstoffe
Wahl der Beschaffungs- und Vertriebswege
(Verpackung und Transportmittel)
Gesundheitsvorsorge, Arbeitsschutz
Konsum bzw. Betrieb der
erstellten Leistungen
-
Ressourcenverbrauch (Energie, Rohstoffe)
Freisetzung von Staub, Wärme, Lärm, Geruch,
Abwasser, Abfall
Entsorgung
-
Ressourcenverbrauch (Energie)
Freisetzung von Staub, Wärme, Lärm, Geruch,
Abwasser, Abfall
Gefahrstoffe
-
vorhanden, nach den Erfahrungen mit einem betrieblichen Umweltmanagement, da hier von
einer für Umweltbelange sensibilisierenden Wirkung ausgegangen werden kann.
Auf diese Weise wurden Arbeitsstrukturen und -inhalte sowie ‘betriebliche und
regionalspezifische Kontingenzen’ in den Blick genommen, die die Einstellungen der Akteure
beeinflussen.
Das mit den Arbeitsschritten (1) und (2) gewonnene Expertenwissen hat direkten Eingang
gefunden in die Entwicklung der beiden – qualitativ und quantitativ ansetzenden –
Erhebungsinstrumente: Auf Basis der ausgewerteten beiden Expertengesprächskomplexe
wurde sowohl (3) ein halboffener Fragebogen für die qualitative Befragung als auch (4) ein
geschlossener Fragebogen für die quantitative Erhebung konstruiert.
3.3
Erhebungsinstrument - Fragebogen für die repräsentative (Telefon-) Befragung
der regionalen Bevölkerung
Mit Hilfe des geschlossenen Fragebogens und der damit einhergehenden Möglichkeit einer
quantitativen Auswertung soll u.a. dem Anspruch an Repräsentativität Rechnung getragen
und sollen Hypothesen falsifiziert werden. Aus Kostengründen wird diese Befragung als
Telefonbefragung durchgeführt. Der Fragebogen gliedert sich in einen Wissens- und einen
Bewertungsteil, bezogen auf umweltrelevante Aspekte des Braunkohletagebaus und der
Sanierungsmaßnahmen sowie in einen sozialstatistischen Teil:
7

Ausgehend von den Problemlagen, die in den Projektbereichen A, B, C und D des SFB
bearbeitet werden, wurden das Wissen über die vielfältigen Aspekte des
Braunkohletagebaus und der Sanierung abgefragt (z.B. Probleme der Wasserqualität und knappheit; der Versauerung von Wasser und Boden; Stand, Methoden und Kosten der
Sanierung von Kippenstandorten). Dabei interessieren neben dem Grad der Informiertheit
auch die Informationswege sowie der Erfahrungsbezug des Umweltwissens.

Gefragt wird weiter nach der Bewertung der Umweltbeeinträchtigungen durch den
Braunkohletagebau und verschiedener Möglichkeiten der Flächennachnutzung; von
Bedeutung ist weiterhin, wie die Probanden allgemein, aber auch bezogen auf die
Problematik der Region, den Stellenwert von Natur und Umwelt gegenüber anderen
Interessenlagen (z.B. Arbeitsplatz) abwägen.

Im sozialstatistischen Teil werden, da wir davon ausgehen, daß „lebensweltliche
Unterschiede“
in
den
umweltrelevanten
Wahrnehmungs-,
Wissensund
Bewußtseinsstrukturen existieren, vor allem Indikatoren herangezogen, die die
Identifizierung folgender Gruppen ermöglichen sollen: Beschäftigte – Arbeitslose, Pendler
– „Seßhafte“, Beschäftigte in verschiedenen Clustern ökonomischer Aktivitäten ;
weiterhin werden als sozialstatistische Merkmale Informationen zu Alter, Schulabschluß,
beruflichem Abschluß und zur Wohnsituation erhoben.
Aufgrund der verkürzten Aufmerksamkeitsspanne bei Telefoninterviews mußte die Anzahl
der Items einer Frage begrenzt, die Fragelänge möglichst kurz gehalten und die Anzahl der
Merkmalsausprägungen eingeschränkt werden. Der Pretest des elfseitigen Fragebogens, der
insgesamt 43 Fragen und Fragebatterien mit einer Gesamtzahl von 95 Items umfaßte, wurde
bei 40 Probanden in Form eines Telefoninterviews durchgeführt. Die 40 Interviews, die aus
einer Bruttostichprobe von 160 Telefonnummern realisiert werden konnten, dauerten
durchschnittlich je 22 Minuten. Die Vorgabe, durch eine möglichst breite Streuung
beispielsweise eine Abdeckung sowohl städtischer als auch dörflicher Wohnlagen in der
Region, aber Ortschaften in nächster Nähe und größerer Entfernung zu Kippenstandorten zu
gewährleisten, wurden in angemessener Weise erreicht.
Die im Rahmen des Pretests geführten telefonischen Interviews wurden je zur Hälfte als
Standardinterviews und als evaluative Interviews unter Einsatz kognitiver Techniken, die der
Analyse der Verständlichkeit einzelner Items dienten, durchgeführt. Bei den
Standardinterviews wurden jedoch alle relevanten Bemerkungen, Fragen und lauten
Gedanken der Befragten, die auf ein mangelndes Frageverständnis deuteten, sowie
Anmerkungen der Interviewer notiert. Diese Praxis wurde auch bei den folgenden 20
Interviews beibehalten. Diese Interviews wurden weiterhin mit der Technik des Behaviour
Codings evaluiert. Dabei wurde vom Interviewer jedes Item des Fragebogens nach dem
beobachtbaren Antwortverhalten des Befragten codiert. Das Behaviour Coding eignete sich
besonders für den Einsatz im Rahmen dieses Pretests, da es im Feld eingesetzt werden kann
und nicht wie andere Verfahren zur Evaluation von Fragebogen-Items auf Laborsituationen
angewiesen ist. Weiterhin gingen bestimmte Charakteristika des Antwortverhaltens der
Befragten in die Gesamtbewertung der Güte eines Items ein; aufschlußreich kann in dieser
Hinsicht beispielsweise ein hoher Anteil an fehlenden Werten bzw. „weiß nicht“-Antworten
sein oder ein konformes Antwortverhalten über alle Befragten hinweg.
8
Insgesamt hat der Pretest gezeigt, daß sich der entwickelte Fragebogen mit einigen
Änderungen für den Einsatz im Feld eignet. Um ein valides Erhebungsinstrument zu erhalten,
waren im Anschluß an die Auswertung des Pretests insbesondere folgende Aspekte in die
Überarbeitung des Fragebogens einzubeziehen:

eine Verbesserung der Prägnanz der Rating-Skalen, mit denen die telefonisch befragten
Personen teilweise Schwierigkeiten hatten,

definitorische Präzisierungen bei einigen Fragestellungen.
Diese Problematiken sowie die spezielle Thematik des Fragebogens verweisen auf die
besondere Notwendigkeit einer ausführlichen Interviewerschulung und kontinuierlichen
Supervision der Arbeit der Interviewer. Die Ergebnisse des Pretest sollen im Folgenden
vorgestellt werden (vgl. 4.).
3.4
Erhebungsinstrument - halboffener Fragebogen (strukturierter
Interviewleitfaden) für die Interviews mit Kontrastgruppen (Beschäftigte in den
vier Clustern, Pendler – Ortsansässige, Beschäftigte – Arbeitslose)
Der themenbezogene, strukturierte Interviewleitfaden dient der Erfassung komplexer Denkund Einstellungsstrukturen im Spannungsfeld zwischen Umwelt und Arbeit, dessen relevante
Dimensionen kurz skizziert werden sollen:
(1) Ökologisches Bewußtsein und vor allem ökologisches Handeln setzt ein mehr oder
weniger ausgeprägtes Umweltwissen voraus. Dementsprechend wurden in einem
Themenkomplex folgende Fragen gestellt:
Inwieweit ist ein faktisches Wissen über ökologische Sachverhalte vorhanden? Werden
die vielfältigen, den Boden, die Gewässer und die Luft betreffenden Probleme überhaupt
wahrgenommen,
sind
die
Gefahrenmomente
der
Bodenvernutzung,
der
Gewässerbelastung, der Abgasentwicklung kognitiv präsent und sind die Verfahren und
Methoden ökologischer Entsorgung bekannt? Uns interessieren der Grad der
Informiertheit, die Informationswege (z.B. verschiedene Medien, Kollegen), der
Erfahrungsbezug des Umweltwissens und das Zeitbudget, das die Probanden für die
Erlangung von Umweltinformationen aufwenden.
(2) Umweltbewußtsein entsteht aus dem Zusammenspiel vielfältiger Einflüsse in unterschiedlichen Lebensbereichen. Dabei spielt der Stellenwert von Umwelt und Natur im
Alltag der Befragten eine große Rolle. Hier vor allem soll versucht werden, die subjektiven, emotionalen Verarbeitungsmuster der Probanden zu ermitteln, indem sie nach
ihrem individuellen Erlebniswert von Natur gefragt werden und dies mit der Aufforderung
verknüpft wird, Erlebnisschilderungen geschädigter, gefährdeter oder auch wiederhergestellter Umwelt zu geben (Wiederaufforstung von Kippenstandorten, Nutzung
von Industriebrachen, Tagebauen, faunistische Besiedlung gestörter Landschaften). Uns
interessierte auch, wie stark auf der affektiven Ebene die persönliche Betroffenheit durch
Umweltprobleme ausgeprägt ist?
(3) Im betrieblichen Alltag (Ausbildung und Arbeit) wird das Umweltwissen wesentlich
erweitert. Es kann angenommen werden, daß am Ausbildungs- und Arbeitsplatz der
alltägliche Umgang mit Schadstoffen zur Herausbildung von Bewertungsstandards und
9
umweltbezogenen Urteilen führt. Es ist zu fragen, inwieweit das einmal in der Schule
erworbene, eher abstrakte Wissen mit zusätzlichen konkreten Umwelterfahrungen
konfrontiert wird.
Ausgehend von den vorhandenen Umwelterfahrungen der Probanden wurde zunächst
einmal das Wissen um im näheren Umfeld auftretende Gefahrenstoffe und Umweltzerstörungen abgefragt, beispielsweise ob Probanden schon damit zu tun hatten und wie sie
damit umgehen. Weitere Fragenkomplexe richteten sich auf ihr "Entsorgungswissen”, d.h.
ob sie über die Entsorgungspraxen informiert sind, ob sie schon einmal an Bildungsmaßnahmen zum Thema Umwelt innerhalb oder außerhalb des Betriebes teilgenommen haben, ob sie schon einmal außer- und innerbetriebliche Umweltkonflikte
wahrgenommen haben und wie sie die Aktivitäten ihres Betriebes in puncto Umwelt
einschätzen. Hinsichtlich der Entsorgungspraxen und der Restituierungsmaßnahmen
dienten uns die in den einzelnen Projektbereichen vorgeschlagenen wissenschaftlichen
Arbeiten und Maßnahmen als Anregung für unseren Fragebogen (vgl. 1).
4.
Ergebnisse und ihre Bedeutung
Die Ergebnisse der Expertengespräche mit den Experten / Kollegen aus anderen Teilprojekten
bzw. Projektbereichen des SFB sowie mit Experten aus den „Clustern ökonomischer
Aktivitäten“ fanden – wie skizziert (vgl. 3.) –direkten Eingang in die Entwicklung der beiden
Erhebungsinstrumente. Nachstehend werden die bisher vorliegenden Ergebnisse dieser
Pretests der beiden Erhebungsinstrumente – des Fragebogens für die repräsentative (Telefon) Befragung der regionalen Bevölkerung und des halboffenen Fragebogens für die Interviews
– vorgestellt.
4.1
Ergebnisse des Pretests - Repräsentative (Telefon-) Befragung der regionalen
Bevölkerung
(1) Die Ergebnisse des Pretests zeigen zunächst einen außerordentlich hohen Wissensstand
der Befragten. Ein hohes Maß zutreffender Einschätzungen findet sich insbesondere bei
Fragen nach allgemeinen ökologischen Bedingungen in der Lausitz sowie nach dem Einfluß
des Tagebaus auf den Grundwasserspiegel. Auch die Fragen nach der Wasserqualität in den
Tagebauseen, nach der Bodenqualität auf den Kippenstandorten, der Zeitspanne, in der sich
die Natur ohne menschliche Eingriffe „erholen“ würde, werden von relativ vielen Probanden
zutreffend beantwortet. Mit Abstrichen gilt dies auch für die Einschätzungen zum finanziellen
Aufwand der Sanierungsmaßnahmen (vgl. Tabelle 3).
Das vorgefundene hohe Maß an Umweltwissen der Probanden basiert offenkundig auf dem
hohen Grad der unmittelbaren Betroffenheit: Drei Viertel der Probanden hatten persönliche
Kenntnisse, entweder durch den Wohnsitz in unmittelbarer Nachbarschaft oder aber aus der
Ausübung von Freizeitaktivitäten; ein etwa ebenso hoher Prozentsatz war zudem über die Art
der Sanierungsarbeiten informiert. Zudem gaben vier Fünftel der Befragten an, von
umweltbezogenen Folgen des Tagebaus betroffen zu sein; dabei wurde die Staubbelastung vor
Veränderungen des Grundwasserspiegels und der Lärmbelästigung am häufigsten erwähnt. In
10
Tab. 3: Umweltwissen der Probanden (Pretest)
Umweltwissen
Beurteilung der Einschätzungen
unzutreffend
mittel
zutreffend
Ökologische Bedingungen der Region
(Beispiel: Klima)
Wasserqualität in den neu entstandenen
Tagebauseen
Einfluß des Tagebaus auf den
Grundwasserspiegel
Bodenqualität auf den Kippenstandorten
Erholung der Natur ohne Eingriff des
Menschen
Finanzielle Aufwendungen für Sanierung
diesem Zusammenhang sah etwa die Hälfte der Befragten eine deutliche Veränderung zum
Besseren, nur jeder Zehnte sah für sich eine Verschlechterung der Situation. Immerhin ein
Sechstel der Befragten hatte zudem auch beruflich mit den Bergbaufolgelandschaften zu tun.
(2) Die durch den Braunkohlebergbau entstehenden Umweltprobleme halten die Befragten
ganz überwiegend für ein gravierendes Problem der Region – allerdings mit einem
signifikanten Abstand zu den Problemen „Arbeitslosigkeit“, „fehlende Ausbildungsplätze für
Jugendliche“ und die „Abwanderung aus der Lausitz“, die als drängendste Probleme der
Region gesehen werden. Die Liste der Umweltprobleme in der Region wird angeführt von
den Gefahren, die von rutschenden Böschungen an den Tagebaurestlöchern ausgeht, gefolgt
von der geringen Wasserqualität. Als eher problematisch wird auch der monokulturelle
Baumbestand, die Luftverschmutzung durch die Verfrachtung von Sand und Schmutz aus den
Tagebauen bzw. Sanierungsgebieten sowie die Wasserknappheit angesehen. Die
Luftverschmutzung durch den Kraftwerksbetrieb erscheint hingegen weniger gravierend; hier
schlagen sich offenkundig auch in der Wahrnehmung der regionalen Bevölkerung die
Modernisierungsanstrengungen zur Emissionsminderung nieder (vgl. Abbildung 1).
Vergleicht man die Aussagen zum Spannungsfeld „Umwelt“ und „Arbeit“, ergibt sich ein
weiterer interessanter Befund: Die Frage, „Was hat für Sie ganz allgemein einen höheren
Stellenwert, intakte Natur oder Arbeitsplätze?“, beantworten mehr zwei Drittel der Probanden
mit einer Präferenz für die Schaffung bzw. den Erhalt von Arbeitsplätzen. Wird hingegen
gefragt, „ob bei der Umgestaltung der Tagebauregion die Schaffung von Arbeitsplätzen oder
die Belange der Natur im Vordergrund stehen soll“, entscheidet sich ein gleicher Prozentsatz
11
Abb. 1: Bewertung von Umweltproblemen in der Region (Pretest)
rutschende Böschungen an
Tagebaurestlöchern
schlechte Wasserqualität
monokultureller Baumbestand
Luftverschmutzung durch
Sand, Schmutz
Wasserknappheit
1,8
2
2,2
2,4
2,6
Luftverschmutzung durch
Kraftwerksbetrieb
der Befragten für die Option „beides sollte gleichermaßen berücksichtigt werden“. Zugleich
herrschen aber offenkundig erhebliche Zweifel, daß durch die Rekultivierung neue
Arbeitsplätze entstehen; dies halten zwei Drittel der Befragten für unwahrscheinlich. Es
scheint so zu sein, daß eine „intakte“ natürliche Umwelt offenkundig im Nahbereich, das
heißt mit zunehmender direkter Betroffenheit im Wohn- und Lebensumfeld auch gegenüber
dem unstrittigen Hauptproblem der Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen an
Bedeutung gewinnt.
(3) Unter der regionalen Bevölkerung findet die Umgestaltung der ehemaligen
Tagebaugebiete allem Anschein nach sehr weitreichende Unterstützung. Nahezu alle
Befragten beantworten die Frage, inwieweit sie die Sanierung der Tagebauregion für sinnvoll
halten, positiv; auch die finanziellen Aufwendungen hierfür werden ganz überwiegend für
angemessen bzw. sogar für zu gering gehalten. Bezogen auf gewünschte Nachnutzungen
finden sich vor allem Unterstützer für forstwirtschaftliche und touristische Nutzungskonzepte,
danach auch für eine Nutzung durch traditionelle Landwirtschaft oder die Entwicklung neuer
Nutzungskonzepte (z.B. eine Nutzung für den Anbau nachwachsender Rohstoffe (vgl.
Abbildung 2).
(4) Dieser Befund wird auch bestätigt, fragt man differenzierter nach, welcher Typ von
Landschaft für die Lausitz bevorzugt wird: Die Vorstellung, die Lausitz könnte nach den
Tagebauaktivitäten als durch Kippen charakterisierte „bizarre Mondlandschaft“
zurückbleiben, findet keine, die Einrichtung von Monokulturen – Sinne einer für
Südbrandenburg seit mehr als hundert Jahren eher typischen Landschaft – wenig
Zustimmung. Deutlich gewünscht wird hingegen ein gemischter, abwechslungsreicher
Landschaftstyp, der durch Mischwälder und Seen geprägt ist, mithin eine Kulturlandschaft,
die den menschlichen Eingriff im Sinne einer „Entstörung“ voraussetzt (vgl. Abbildung 3).
12
Abb. 2: Möglichkeiten der Landschaftsgestaltung - Gewünschte Entwicklung (Pretest)
überwiegend für die Jagd
nutzbar machen
Landschaft sich selbst
überlassen
neue Ansätze ermöglichen
traditionelle Landwirtschaft
betreiben
überwiegend für touristische
Zwecke nutzbar machen
0
1
2
3
4
Landschaft forstwirtschaftlich
nutzen
Abb. 3: Bevorzugter Landschaftstyp für die Lausitz (Pretest)
überwiegend Mischwald
überwiegend Seenlandschaft
überwiegend
Felder/Wiesen/Weiden
überwiegend Laubwald
überwiegend Nadelwald
0
4.2
1
2
3
4
Kippenlandschaft
Ergebnisse des Pretests - Interviews mit Kontrastgruppen (Beschäftigte in den
vier Clustern, Pendler – Ortsansässige, Beschäftigte – Arbeitslose)
Unsere Hypothese, daß Beschäftigte in Betrieben mit umweltproblematischen/traditionellen
Produktionsverfahren bzw. Produkten im Konflikt „Ökologie versus Ökonomie“´ eher den
Arbeitsplatzgesichtspunkt in den Vordergrund stellen, bestätigt sich – weil sie bei der
verschärften Arbeitsmarktsituation gar keine Wahl haben. Die verschlechterte Lage auf dem
Ausbildungs- und Arbeitsmarkt führt dazu, daß die ökologischen Motivationen etwas in den
Hintergrund geraten und statt dessen die Vermeidung von Arbeitslosigkeit (durch Pendeln
oder Wegzug bei den Jüngeren) und das berufliche Fortkommen stark in den Vordergrund
rückt. Vor allem die älteren Befragten haben die gewaltigen Umbrüche und
Schrumpfungsprozesse in diesem Wirtschaftszweig selbst erfahren, so daß der Arbeitsplatz
absolute Priorität erhält. Allerdings werden aber gerade im Bereich der
13
Braunkohleverarbeitung die enormen umwelttechnischen Verbesserungen gesehen und positiv
bewertet: (Frage: Empfinden Sie das, was so über die Schornsteine hier in die Umwelt geht,
auch als Umweltbelastung?) „Das war früher in Ostzeiten war’s eine Belastung, aber jetzt
nicht mehr...Die ham so viel Dreck hier in die Luft geblasen, daß man keine Wäsche
raushängen konnte, daß die Fensterbretter total dreckig waren...das war ganz schlimm. (Und
warum ist das jetzt nicht mehr so?) Weil früher, so wie ich das mitgekriegt habe, durch die
Filteranlagen, daß die nicht in Betrieb genommen wurden und jetzt ... wird alles gefiltert. Und
der Schwefel genauso. Das hat früher immer gewaltig gestunken hier und das is’ jetzt nicht
mehr so.“
Bei den Beschäftigten in Betrieben mit umweltunproblematischen/alternativen
Produktionsverfahren und Produkten (Cluster II und IV) bestätigt sich unsere Hypothese, das
Umweltprobleme von den Befragten auf dem Hintergrund ihrer beruflichen und betrieblichen
Erfahrungen beurteilt werden. Trotz der geringen Anzahl von Interviews haben wir den
Eindruck, daß diese Probanden ein ausgeprägteres Problembewußtsein für die Umwelt
entwickelt haben. Von ihnen wird das Spannungsverhältnis von Ökonomie und Ökologie
nicht als absoluter Gegensatz gesehen; zugleich mit der Kritik an gravierenden
Umweltproblemen werden Lösungsmöglichkeiten thematisiert: (Halten Sie die
Tagebauförderung auch für eine Umweltschädigung oder Umweltzerstörung?) „Es is’ ne
Umweltzerstörung, würd’ ich sagen, aber wenn man das ordentlich wieder rekultiviert und
Bäume anpflanzt, dann geht das. Aber es gibt immer zwei Seiten der Medaille, erst müssen
die Leute und die Wohnungen, müssen ja alles weg und die kämpfen ja auch die Leute
dagegen und das woll’n se ja nicht. Man sollte doch da vielleicht andere Möglichkeiten
finden, da irgendwie an die Kohle ranzukommen.“
Es bestätigen sich ebenfalls unsere Vermutungen hinsichtlich der Altersgruppierung bzw. des
Generationengegensatzes: Bei den älteren Beschäftigten ist das Umweltbewußtsein und
Umwelthandeln relativ schwach ausgeprägt, Handlungsnotwendigkeiten werden für die
Schaffung von Arbeitsplätzen und weniger für die Sanierung oder Schonung von Umwelt
gesehen; Braunkohle wurde und wird gebraucht und die Arbeitsplätze im Braunkohletagebau
waren und sind notwendiger denn je. Sie können die erlebten Veränderungen in ihrem Betrieb
und in ihrem Umfeld auf Grund der Vergleiche mit der Vergangenheit besser beurteilen.
Die Jugendlichen Befragten sind dagegen aufgrund der verstärkten Diskussion von
Umweltproblemen in Schule und Ausbildung weitaus kritischer gegenüber der Vernutzung
der Umwelt. Die jüngeren Befragten verfügen heute schon beim Eintritt in den Betrieb
selbstverständlich über umweltbezogenes Wissen und entsprechende Orientierungen, die dann
positiv
verstärkt
werden,
wenn
der
(Ausbildungs-)
Betrieb
über
eine
Unternehmensphilosophie verfügt, die den Umgang mit Umweltproblemen im Betrieb regelt
und beispielsweise Eingang in das Ausbildungskonzept gefunden hat.
Abschließende Bemerkungen
Aufgrund des Pretestcharakters der bisherigen quantitativen und qualitativen Erhebungen
können die vorgestellten Ergebnisse ein Schlaglicht auf die weitere Arbeit werfen. Allerdings
haben sich die regionalen Problemlagen zugespitzt. Dies betrifft insbesondere Faktoren wie
14
zunehmende Arbeitslosigkeit, Schrumpfungs- und Abwanderungsprozesse, die für die
Entwicklung des Umweltbewußtseins und -handelns in der Region nicht ohne Bedeutung
sind. Aus diesem Grund sind nunmehr neben den demographischen und „arbeitsweltlichen“
Variablen auch weitere Einflußfaktoren in die Untersuchung einzubeziehen (vgl. 2.). Hierzu
liegen bislang kaum Primärdaten vor, so daß im Rahmen der Untersuchung eine Reihe von
Primärdaten erst generiert werden muß. Dies betrifft beispielsweise die Bestimmungsgründe
von Wanderungs- und Pendlerbewegungen und deren Bedeutung für Umwelteinstellungen
und -handeln der regionalen Bevölkerung. Erst auf der Grundlage der im Zuge der
repräsentativen Bevölkerungsstichprobe gewonnen Primärdaten ist daher eine adäquate
Bearbeitung des Untersuchungsgegenstandes möglich.
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