Philosophie ist lehrbar - Fachverband Philosophie e.V.

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FACHVERBAND PHILOSOPHIE
Mitteilungen
Heft 45/2005
Anmerkung:
Die in den Mitteilungen enthaltenen Abbildungen wurde für diese
Internet-Ausgabe gelöscht, um die Datenmenge zu begrenzen.
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
3
Inhalt
Mitteilungen
4
Nachrichten aus den Landesverbänden
6
Silke Pfeiffer:
Philosophieren mit Kindern. Versuch einer Bestandsaufnahme
7
Ekkehard Martens:
Philosophische Methodenkompetenz – von Kindheit an
14
Bildungsstandards für die Fächer der Fächergruppe Ethik/Philosophie
in der Primarstufe
19
Winfried Kuchen:
Textfiguren. Dramatisierende und modellierende Verfahren der
Interpretation philosophischer Texte
24
Aufruf zum Bundeswettbewerb Philosophischer Essay
31
Logo für den Bundesverband gesucht
34
Das Einstein-Jahr 2005. Anregungen für den Philosophieunterricht
40
Die Global Marshall Plan Initiative
42
Tagungsberichte
Zwischen Hirnforschung und Philosophie - Anthropologie heute
47
Philosophie ist lehrbar - Eine Tagung zu Standards des
Philosophieunterrichts
Tagungsankündigungen
Kreativität – XX. Deutscher Kongress für Philosophie
48
51
Zwischen PISA und Athen – Antike Philosophie im Schulunterricht
53
Ethik als Brücke zwischen den Kulturen?
55
Änderung des Protokolls der letzten Mitgliederversammlung
55
Rezensionen
56
Beitrittserklärung (Vordruck)
61
Adressen des Bundesverbandes und der Landesverbände
63
Impressum
Mitteilungen des Fachverbands Philosophie e.V.
Herausgeber: Der Bundesvorstand des Fachverbands
Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes:
Dr. Bernd Rolf, Hubertusstr. 123, 47623 Kevelaer
Tel. 02832-7392, Fax 02832-970652, E-Mail: [email protected]
www.fv-philosophie.de
MITTEILUNGEN 45/2005
4
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Titelbild dieses Heftes, ein Porträt Albert Einsteins, verweist auf das EinsteinJahr 2005, zu dem sich in diesem Heft einige Beiträge finden. Neben Anregungen für
den Unterricht finden Sie verstreut im Heft Zitate des Wissenschaftlers und Denkers,
die man mit Schülerinnen und Schülern aufgreifen kann.
Ein Schwerpunkt dieses Heftes liegt beim Philosophieren mit Kindern. Abgedruckt
sind zwei Vorträge der Tagung „Philosophieren mit Kindern im Primarbereich“, die der
Fachverband Philosophie in Kooperation mit der GDSU und der Universität Oldenburg
im April 2004 veranstaltete. Darüber hinaus finden Sie einen Entwurf für
kompetenzbezogene Bildungsstandards für die Fächer der Fächergruppe
Ethik/Philosophie in der Primarstufe – das vorläufige Ergebnis einer längerfristigen
Zusammenarbeit von Vertretern der Fachverbände Philosophie und Ethik, des
Humanistischen Verbandes Deutschlands/Landesgruppe Berlin sowie Vertretern der
Fachdidaktik. Die Arbeitsgruppe erhofft sich davon einen bundesweiten Impuls zur
Einrichtung entsprechender Fächer in der Grundschule. Die gemeinsame Arbeit der
Verbände an den Bildungsstandards soll demnächst mit Blick auf die Sekundarstufe I
fortgesetzt werden.
Für den Unterricht in der Sekundarstufe II gibt es einen Beitrag zum Verhältnis von
anschaulichem und abstrakten Denken und Vorschläge für dramatisierende und
modellisierende Verfahren der Textinterpretation sowie einen Bericht über die
Global-Marshall-Plan-Initiative mit einschlägigen Quellentexten.
Der Fachverband Philosophie e.V. ist stolz darauf, Bundespräsident Horst Köhler als
Schirmherr für einen bundesweiten Wettbewerb philosophischer Essay gewonnen
zu haben. Bitte vervielfältigen Sie das Doppelblatt in der Mitte des Heftes, teilen Sie
es Ihren Schülern und Schülerinnen aus und ermuntern Sie sie, sich an dem
Wettbewerb zu beteiligen. Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2005. Sollte diese
Initiative des Fachverbandes erfolgreich sein, käme es in einem nächsten Schritt
darauf an, den Essay-Wettbewerb bundesweit zu institutionalisieren.
Bitte schenken Sie auch dem Aufruf zum Entwurf eines Logos Beachtung, der sich
an alle gestalterisch Kreativen richtet, an Lehrer/innnen Schüler/innen. Der
Fachverband
Philosophie
e.V.
benötigt
ein
markantes
Logo,
das
Wiedererkennungswert besitzt. Der Versuch, das Logo eines Landesverbandes
(NRW) auf den Bundesverband zu übertragen, hat sich als nicht tragfähig erwiesen.
Neben der Tagung des Bundesverbandes zum Philosophieren mit Kindern gab es im
zurückliegenden Jahr zwei regionale Tagungen. Zwischen Hirnforschung und
Philosophie – Anthropologie heute war das Thema einer Veranstaltung, die die
Vorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg vom 4.-6. Oktober 2004 in
Calw organisiert hatte. Philosophie ist lehrbar hieß eine Veranstaltung des
Landesverbandes Hamburg zu Standards des Philosophieunterrichts am
25./26.Februar 2005. Zu beiden Tagungen liegen Berichte vor.
In diesem Heft werden drei Tagungen des Jahres 2005 angekündigt: Vom 26.-30.
September findet in Berlin des XX. Deutsche Kongress für Philosophie zum Thema
Kreativität statt. Traditionell gibt es dabei eine Sektion zu Philosophie und Ethik in
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
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der Schule. Unmittelbar davor (23.-25.September) liegt – ebenfalls in Berlin – eine
Tagung des Fachverbands Ethik zum Thema Ethik als Brücke zwischen den
Kulturen? Die Gesellschaft für antike Philosophie (GanPh) veranstaltet am 16./17.
September in Hamburg eine Tagung mit dem Thema Zwischen PISA und Athen –
Antike Philosophie im Schulunterricht.
Eine Vorankündigung: Der nächste Kongress des Fachverbands Philosophie e. V.
(Bundesverband) soll vom 22.-24. September 2006 in Münster stattfinden. Der
Kongress wird Anlass sein, das 50jährige Bestehen des Fachverbandes Philosophie
zu feiern. Die Einleidung dazu werden Sie in den nächsten Mitteilungen finden. Bitte
merken Sie sich den Termin schon jetzt vor.
Ihr
Bernd Rolf
Mitgliedsbeitrag 2005
Mitglieder, die nicht am zentralen Einzug teilnehmen, werden gebeten, ihren
Jahresbeitrag 2005 auf das folgende Konto zu überweisen.
Konto-Nr. 3407-601 bei der Postbank Frankfurt (BLZ 500 100 60), Kontoinhaber:
Fachverband Philosophie e.V.
Der Mitgliedsbeitrag beträgt für Kolleginnen/Kollegen im aktiven Dienst 20 €/Jahr, für
Referendarinnen/Referendare und Kolleginnen/Kollegen im Ruhestand 8 €/Jahr, für
Studentinnen/Studenten und Arbeitslose 5 €/Jahr.
Wichtig: Bitte geben Sie auf dem Überweisungsträger auch den Landesverband
an (z.B. „LV SH“ oder „LV NRW“), damit der Ursprung der Überweisung ermittelt
und dem entsprechenden Landesverband der ihm gebührende Anteil am
Mitgliedsbeitrag überwiesen werden kann.
Dringende Bitte um
Aktualisierung der Mitgliedsdaten
Es ist nur zu verständlich, wenn Mitglieder es versäumen, dem Fachverband, mit dem
Sie ggf. nur einmal im Jahr (beim Erhalt der Mitteilungen) zu tun haben, Änderungen
ihrer persönlichen Daten mitzuteilen. Um so wichtiger ist es, an dieser Stelle daran zu
erinnern.
Geld ist allerorten knapp, auch im Fachverband Philosophie. Retouren beim zentralen
Einzug der Mitgliedsbeiträge kosten uns je 7,50 Euro.
Bitte vergessen Sie nicht, Ihrem Landesvorsitzenden alle relevanten
Änderungen Ihrer persönlichen Daten (Anschrift, Kontoverbindung, Art der
Mitgliedschaft) mitzuteilen.
MITTEILUNGEN 45/2005
6
Vielen Dank!
Nachrichten aus den Landesverbänden
Nordrhein-Westfalen
Zum neuen Vorsitzenden des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen wurde auf der
Mitgliederversammlung am 30. Juni 2004 in Bergisch-Gladbach Klaus Draken
(Wuppertal) gewählt. Stellvertretende Vorsitzende bleibt Brigitte Wiesen, Schriftführer
Andreas Siekmann, Kassierer Klaus Blesenkemper. Neu geschaffen wurden die
Ämter von zwei Beisitzern, in die Eva-Maria Sewing (Bonn) und Katrin Gülden-Klesse
(Werl) gewählt wurden.
In Nordrhein Westfalen wurde zum Schuljahr 2003/04 das Fach Praktische
Philosophie eingeführt für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I aller
Schulformen, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Ziel ist es vorrangig, das
Fach flächendeckend in der 9. und 10. Klassen einzurichten; Praktische Philosophie
kann aber auch schon in den Klassen 5 - 8 unterrichtet werden. - Seit dem
Wintersemester 2004/05 gibt es das Lehramtsstudium Philosophie/Praktische
Philosophie. Zur Zeit wird an einer Regelung gearbeitet, die Referendarinnen und
Referendare in den Studienseminaren für Praktische Philosophie auszubilden. - Die
zweijährigen Studienkurse für Praktische Philosophie an den Universitäten laufen aus.
Die Fortbildungskurse bei den Bezirksregierungen (halbjährig für ‚Philosophen’,
einjährig für ‚Nichtphilosophen’) sollen weiterhin stattfinden. – Die Aufgaben für die
schriftliche Abiturprüfung werden in Nordrhein-Westfalen ab 2007 zentral gestellt.
Entsprechende Vorgaben zu unterrichtlichen Voraussetzungen für das Fach
Philosophie sind seit Februar 2005 in Kraft. - Weiterhin ist geplant, die Abiturprüfung
ab 2011 bereits nach der 12. Klasse durchzuführen. Derzeit wird noch beraten,
welche Folgen dies für die Fächer Philosophie und Praktische Philosophie in der 10.
Klasse haben soll, die dann als Vorbereitungsphase auf die zweijährige Oberstufe
dient.
Hessen
Dr. Johann Maier hat nach mehr als zehnjähriger Tätigkeit im März 2005 nicht mehr
für den Landesvorsitz kandidiert. Da kein Nachfolger gefunden werden konnte, wird
seine Stellvertreterin Dr. Susanne Nordhofen für ein Jahr lang kommissarisch die
Geschäfte des Vorsitzenden übernehmen. Als Schriftführerin kam Dr. Roswitha Kant
neu in den Vorstand.
Die Zukunftschancen des Hessischen Landesverbandes werden zunehmend positiv
eingeschätzt. Dafür spricht vor allem die wachsende Studentenzahl für das Lehramt
am Gymnasium. Seit 2002 besteht dieser Studiengang an der Universität Frankfurt;
allein im letzten Semester haben sich mehr als 50 Studentinnen und Studenten
eingeschrieben.
Brandenburg
In Brandenburg gibt einige Mitglieder im Fachverband Philosophie und einige
Sympathisanten, die sich regelmäßig treffen und untereinander austauschen, ohne
dass sie sich als Verband organisiert haben. Ansprechpartner ist Reinhard Unverricht,
Am Sportplatz 47, 14482 Potsdam.
Bayern
In Bayern
existieren
Überlegungen
zur
Gründung
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
eines
Landesverbandes
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Philosophie. Interessenten mögen sich entweder bei Hubertus Stelzer, Markt
Rettenberg, melden ([email protected]) oder bei Dr. Klaus Zierer,
Regensburg ([email protected]).
Silke Pfeiffer
Philosophieren mit Kindern
Versuch einer Bestandsaufnahme
Das Philosophieren mit Kindern in Deutschland kann auf eine lange Tradition
zurückgreifen, die eng mit dem Austragungsort der Konferenz verbunden ist. Die Stadt
Oldenburg hat zwei Persönlichkeiten hervorgebracht, die zu den Begründern des
Philosophierens mit Kindern in Deutschland gehören.
Johann Friedrich Herbart, der über den deutschen Sprachraum hinaus als Klassiker
der Pädagogik gilt, ist 1776 in Oldenburg geboren und dort aufgewachsen. Unterricht
sollte nach Herbart erziehend sein und nicht nur Kenntnisse in Form von ruhendem
Wissen vermitteln, sondern geistige Tätigkeit. Der Unterricht habe das Kind zur
Tugend zu befähigen, indem es bei ihm ein vielseitiges Interesse hervorruft. Ziel ist
eine Systematisierung eigener Erfahrungen, die offen bleibt für künftige Erfahrungen,
Korrekturen, Erweiterungen und neue Systematisierungen des eigenen
Gedankenkreises. Die dabei ausgeübte Tätigkeit nennt Herbart „Philosophieren" (vgl.
Herbart 1984, S. 31 ff).
Eine Bronze Büste im Cäcilienpark erinnert an den Philosophen Karl Jaspers, der
1883 in Oldenburg geboren wurde. 1949 schreibt Karl Jaspers in seinem Vortrag „Was
ist Philosophie?":
„Ein wunderbares Zeichen dafür, dass der Mensch als solcher ursprünglich
philosophiert, sind die Fragen der Kinder. Gar nicht selten hört man aus
Kindermund, was dem Sinne nach unmittelbar in die Tiefe des
Philosophierens geht. Ich erzähle ein Beispiel:
Ein Kind wundert sich: 'Ich versuche immer zu denken, ich sei ein anderer,
und bin doch immer wieder ich.' Dieser Knabe rührt an einen Ursprung aller
Gewissheit, das Seins- des Ichseins, diesem aus keinem anderen zu
Begreifenden. Er steht fragend vor dieser Grenze.
Ein anderes Kind hört die Schöpfungsgeschichte: Am Anfang schuf Gott
Himmel und Erde ..., und fragt alsbald: 'Was war denn vor dem Anfang?'
Dieser Knabe erfuhr die Endlosigkeit des Weiterfragens, das „Nicht-haltmachen-Können des Verstandes, dass für ihn keine abschließende Antwort
möglich ist" (Jaspers 1980, S. 41).
Vor dem Hintergrund seiner Bewunderung für das unbefangene Philosophieren der
Kinder und seinem Verständnis der klassischen Philosophie kommt er im Nachdenken
über die grundsätzliche Frage: Was ist Philosophie? zu einer ambivalenten
Einschätzung:
„Was Philosophie sei und was sie wert sei, ist umstritten. Man erwartet von ihr
außerordentliche Aufschlüsse oder lässt sie als gegenstandsloses Denken
gleichgültig beiseite. Man sieht sie mit Scheu als das bedeutende Bemühen
ungewöhnlicher Menschen oder verachtet sie als überflüssiges Grübeln von
Träumern. Man hält sie für eine Sache, die jedermann angeht und daher
MITTEILUNGEN 45/2005
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einfach und verstehbar sein müsse, oder man hält sie für so schwierig, dass
es hoffnungslos sei, sich mit ihr zu beschäftigen" (ebd.).
Was Jaspers hier der Philosophie zuschreibt, trifft für die Sichtweisen auf die
Kinderphilosophie gleichermaßen zu. Die einen stellen heraus, dass schon kleine
Kinder Fragen stellen, die an die Gedanken großer Philosophen erinnern, dass sie
über seine Fähigkeit zum Staunen, Fragen und Weiterfragen verfügen, die man ihnen
gar nicht zugetraut hat. Die anderen fordern, dass sich die Schule den wirklich
wichtigen Dingen zuzuwenden habe, dass Kinder erst einmal über die
Basisfähigkeiten Lesen, Sehreiben, Rechnen verfügen müssen, bevor man sich dem
Luxus des Philosophierens zuwenden könne.
Fakt ist, Kinder haben Fragen, die auch ein philosophisches Interesse deutlich
machen. Dieses Interesse erwächst häufig aus Alltagssituationen, für die ein SichWundern, ein Unsicher-Sein, ein Nicht-Verstehen und Gründe-Wissen-Wollen
charakteristisch ist. Solche Fragen können sein: Warum machen Menschen
Feuerwerke? Warum machen manche Menschen Krieg? Gibt es Wunder?
Nicht immer erschließt sich dem Betrachter das Frageinteresse der Kinder sofort und
mitunter fällt es dem Kind gar nicht leicht Rückfragen zu beantworten.
Wie entsteht ein Hund? Zu dieser Frage erklärt Lisa: „Ich weiß schon, wie ein Hund
entsteht, wir haben selbst Hunde zu Hause. Aber mich wundert das trotzdem, dass ein
Hund wie ein Hund aussieht, dass der nicht z. B. Flügel hat. Wer hat sich denn das
ausgedacht, dass Hunde so aussehen?
Hinter einer scheinbar banalen Frage wurde ein grundsätzliches ontologisches
Interesse deutlich, das danach fragt, warum die Dinge so und nicht anders sind, ein
Interesse, das sich in alle Bereiche der Philosophie erstrecken kann. Die Vertreter der
unterschiedlichen kinderphilosophischen Konzepte eint die Überzeugung, dass die
Auseinandersetzungen mit grundsätzlichen Fragen der Kinder für die Herausbildung
tragfähiger Orientierungen von großer Bedeutung sind. In diesem Sinne kann
Philosophieren mit Kindern der Versuch sein, „durch Denken Unsicherheit zu
reduzieren" (Schmidt 1999, S. 80). Wie das im Kontext der Kinderphilosophie
geschehen kann, dazu gibt es differenzierte Standpunkte. In den letzten dreißig
Jahren haben sich international zwei Strömungen entwickelt: Philosophie für Kinder
und Philosophieren mit Kindern. Grundgedanke der Philosophie für Kinder, wie sie z.
B. Matthew Lipman vertritt, ist, dass sich die logisch-argumentative Denkfähigkeit von
Kindern durch die Auseinandersetzung mit Geschichten gezielt fördern lässt.
Philosophieren ist in diesem Zusammenhang durch drei Merkmale gekennzeichnet:
das Klären von Begriffen, das Anwenden bestimmter Denkfertigkeiten („reasoning
skills") und das Reflektieren über diese Denkfertigkeiten. Dieser Ansatz ist wesentlich
durch Methodisches bestimmt (vgl. Lipman 1978, 1988). Vertreter des
Philosophierens mit Kindern, wie z. B. Gareth Matthews, gehen von einem eher
inhaltlich-existentiellen Verständnis von Philosophie aus. Sie betonen das natürliche
Bedürfnis des Kindes zu philosophieren. Mit welchen Methoden gearbeitet wird, ist
dabei nicht entscheidend (vgl. Matthews 1991, 1995). Beide Ansätze stellen heraus,
dass es nicht darum gehen kann, fachwissenschaftliche Bestände der Philosophie auf
Kinderniveau zu bringen, sondern darum, das eigenständige kreative und kritische
Denken und selbstverantwortliche Handeln von Kindern zu fördern.
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
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Ausgehend von Lipman und Matthews, aber auch von anderen Philosophen, wie z. B.
Cassirer und Blumenberg, und im Rückgriff auf Ansätze der Reformpädagogik, hat
sich in den letzten Jahren ein grundschuldidaktischer und ein philosophiedidaktischer
Diskurs entwickelt, der das institutionalisierte Philosophieren mit Kindern als
durchgängiges Unterrichtsprinzip und das Philosophieren in einen eigens dazu zu
etablierenden Fach thematisiert (vgl. Pfeiffer 2002). Nicht zuletzt geht es dabei auch
um die
„Das Denken um seiner selbst willen ist wie die Musik! […] Die Triebfeder
wissenschaftlichen Denkens ist nicht ein äußeres Ziel, das man erstrebt, sondern
die Freude am Denken. Wenn ich kein Problem zum Nachdenken habe, dann leite
ich mit Vorliebe mathematische und physikalische Sätze wieder ab, die mir längst
bekannt sind. Hier ist also gar kein Ziel da, sondern nur die Gelegenheit, um sich
der angenehmen Tätigkeit des Denkens hinzugeben.“
Frage, ob der Begriff des Philosophierens im Kontext des Arbeitens mit Kindern im
bereits mehrfach angedeuteten Sinne überhaupt berechtigt ist. Helmut Schreier
formuliert, dass „Philosophieren" und „Nachdenken" in gewisser Weise austauschbare
Wörter sind, die mit der Intention der Abgrenzung zu einer Polarisierung zwischen
Fachphilosophie und Pädagogik führen können. Eine solche Polarisierung würde sich
z. B. auf Ansprüche an die Ausbildung auswirken und diejenigen, die „eine Lizenz zum
Philosophieren" haben, von solchen trennen, die es „ohne Lizenz" tun (vgl. Schreier
1999, S. 10). Das von Ekkehard Martens formulierte Philosophieverständnis weist
Philosophieren als eine bestimmte Form von Nachdenken aus, auf dessen Grundlage
über Voraussetzungen für das Philosophieren weiter nachgedacht werden kann.
„Philosophie umfasst als Inhalt die Fülle möglicher Deutungen von Dingen,
Ereignissen, Handlungen und uns selbst (Dabei kann es z. B. auch um solche Fragen
gehen: Wer bin ich? Was macht mich aus? Was ist ein guter Freund? S. P.); als
Haltung ist sie das ständige, prinzipiell unabschließbare Weiterdenken im Sinne eines
Deutens von Deutungen (was darauf verweist, dass es nicht eine Wahrheit gibt,
sondern dass die Suche danach ein individueller Prozess ist (S. P.); als Methode
enthält sie die begrifflich argumentative Analyse sowie das ästhetische Deuten im
weitesten Sinne zur Erweiterung, Vertiefung und Differenzierung von Deutungen (was
auf eine beträchtliche Methodenvielfalt verweist, S. P.)" (Martens 1994, S. 14).
Über die grundsätzliche Frage „Fach" oder „Prinzip" hinaus geht es im Diskurs um das
Philosophieren um weitere Fragen:
- Welchen Beitrag kann Philosophieren mit Kindern zur allgemeinen und
grundlegenden Bildung und Erziehung leisten?
- Lassen sich philosophische Interessen von Kindern inhaltlich näher bestimmen?
- Mit welchen Methoden des Philosophierens lassen sich z.B. logisch-argumentative Denkfähigkeiten und Fähigkeiten zum ästhetischen Wahrnehmen und
Deuten fördern?
- Können Fähigkeiten zum Philosophieren systematisch geschult werden?
- Wie können Lehrerinnen und Lehrer, die mit Kindern philosophieren, befähigt
werden, diesen Prozess kritisch zu reflektieren?
- Welche Auswirkungen hat regelmäßiges Philosophieren nicht nur auf die Kinder
sondern auch auf ihre Lehrerinnen und Lehrer?
MITTEILUNGEN 45/2005
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-
Philosophieren Jungen anders als Mädchen?
Diese Fragen tangieren mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung nicht nur das
Philosophieren mit Kindern im engeren Sinne, sondern alle Bemühungen mit Kindern
im Grundschulalter über Sinn- und Wertfragen zu reflektieren, also auch den
Religionsun-terricht, das Fach Ethik und des Lebenskundeunterricht, wie er vor dem
Hintergrund landesrechtlicher Regelungen in Berlin erteilt wird. Ich möchte im
Folgenden einige Überlegungen zum „Philosophieren mit Kindern" in MecklenburgVorpommern zur Diskussion stellen, die bei Befragungen von Lehrerinnen und
Kindern während der Einführung des Faches deutlich geworden sind und die auch für
die anderen bereits genannten Fächer von Bedeutung sein könnten.
Bei der Befragung von Lehrerinnen (vgl. Pfeiffer 2002) wurden folgende Motivationen,
eine Zusatzqualifikation für „Philosophieren mit Kindern" zu erwerben, benannt:
- Etwas Neues lernen wollen
- Schule verändern wollen
- Berufliche Chancen verbessern
- Mit den Fragen der Kinder besser umgehen lernen
- Eigene Sinnfragen haben und nach Antworten suchen
- Neue Menschen kennen lernen
- Interesse an der Fachphilosophie haben
Die Angaben legen die Schlussfolgerung nahe, dass hinsichtlich der Motivation eher
ein reformerisches pädagogisches Interesse als ein Interesse an der Fachphilosophie
dominiert. Am Ende der Ausbildung äußerten allerdings etwa 70 % der Befragten,
dass sie glauben, durch die Auseinandersetzung mit Philosophie, eher in der Lage zu
sein, philosophische Fragen (auch die der Kinder) zu verstehen und dass sie nicht
vermutet hätten, welche Vielfalt an Deutungsangeboten die Philosophie in ihrer
Geschichte hervorgebracht hat.
Das Fach „Philosophieren mit Kindern" wird von den unterrichtenden Lehrerinnen als
wichtig gegenüber anderen Fächern eingeschätzt; einige der Befragten halten es
sogar für wichtiger als andere Fächer. Als Gründe werden benannt:
- dass Kinder beim Philosophieren Probleme artikulieren, dass sie Dinge
anfangen zu beobachten, die sie vorher nicht beachtet haben,
- dass es einen wichtigen Beitrag zur Werteerziehung leistet, weil grundsätzliche
Werte, wie Vertrauen und Mitgefühl nicht nur besprochen sondern praktiziert
werden,
- dass die Kinder lernen zuzuhören, eigene Meinungen zu bilden und fremde
Meinungen zu akzeptieren,
- dass das Philosophieren einen wichtigen Beitrag zur Denk- und
Sprachentwicklung leistet,
- dass die Gefühlsseite der Kinder stärker angesprochen wird als in anderen
Fächern,
- dass die Kinder mehr Selbstvertrauen bekommen.
Hinsichtlich der Anforderungen im Unterricht bezogen auf die Fähigkeiten der Kinder
werden folgende Probleme benannt:
- Es mangelt den Kindern nicht an philosophischen Fragen und Ideen.
- Sie sind es aber nicht gewohnt, diese Fragen weiter zu entwickeln.
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-
Vielen Kindern fällt es aber schwer zuzuhören und Gedanken verständlich zu
formulieren.
Es gibt immer einzelne Kinder, die am Unterricht nicht interessiert sind und dann
stören.
Bezogen auf die Lehrerinnenrolle schätzen die Befragten ein:
- Man muss selber philosophische Fragen haben und nach Antworten suchen.
„Ich möchte nichts als meine Ruhe haben und wissen, wie Gott die Welt erschaffen
hat. Seine Gedanken sind es, die mich beschäftigen.“
„Was mich eigentlich interessiert, ist, ob Gott die Welt hätte anders machen
können; das heißt, ob die Forderung der logischen Einfachheit überhaupt eine
Freiheit lässt.“
-
Es ist schwer, über einen längeren Zeitraum konzentriert zuzuhören und den
Gedanken der Kinder zu folgen.
Es ist nicht möglich, viele Stunden Philosophieren hintereinander zu
unterrichten, da es ein Höchstmaß an Konzentration und Flexibilität erfordert.
Die Befragungen machten deutlich, dass die Lehrerinnen hohe Ansprüche an das
Fach und die eigene Person stellen, dass die sich aber auch mit vielfältigen
Problemen konfrontiert sehen.
Zusammenfassend stellt sich das folgendermaßen dar:
Problematisch wird empfunden:
- die als nicht umfassend genug empfundene Ausbildung für das Fach,
- kaum Fortbildungen,
- hermeneutische Schwierigkeiten, die das Verständnis der Denkhorizonte der
Kinder betreffen,
- mangelhafte
Rahmenbedingungen:
Einsatz
an
mehreren
Schulen,
Philosophieren in Randstunden, übervolle Klassen.
Der Blick auf die Perspektiven der Kinder macht deutlich, dass die Entscheidung für
das Fach „Philosophieren mit Kindern" und nicht für den Religionsunterricht
unterschiedlichen Motivationen folgt. Die Frage, warum sie sich für das Ersatzfach
„Philosophieren mit Kindern" entscheiden, beantworten Kinder wie folgt (nach
Häufigkeit der Nennung geordnet):
- Da geht es um Themen, die mich interessieren.
- Meine Freundin/mein Freund gehen auch zum Philosophieren.
- Ich finde die Lehrerin gut.
- Ich will nicht zum Religionsunterricht.
- Der Unterricht hat mir schon im letzten Jahr Spaß gemacht.
Kinder, danach befragt, was „Philosophieren mit Kindern" denn eigentlich sei,
beziehen sich an erster Stelle auf subjektive Erlebnisse.
- „Philosophieren ist mein Lieblingsfach, das kann ich gut."
- „Da kann man alles aus sich rauslassen."
- „Das ist manchmal ein bisschen langweilig."
An zweiter Stelle auf Handlungsmöglichkeiten, die sie im Unterricht erlebt haben.
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-
„Da kann man Fragen stellen, über die spricht man."
„Da kann man was erfinden."
„Manchmal malen wir auf, was wir denken."
Es folgen Definitionen primär über den Inhalt
- „Da spricht an über Fragen, die man nicht so einfach beantworten kann."
- „Da geht es um Zeit und Tod."
- „Wir haben auch über unsere Träume gesprochen."
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Erfahrungen von Lehrenden und
Kindern mit dem „Philosophieren mit Kindern" als Unterrichtsfach in MecklenburgVorpommern für das Philosophieren in der Grundschule insgesamt ziehen?
1. Die Akzeptanz des Philosophierens bei Lehrenden und Kindern resultiert erheblich
aus der aktuellen Schul- und Unterrichtssituation. Beide Seiten wünschen sich
eine stärkere inhaltlich-methodische Orientierung an den Fragen und Denkwegen
der Kinder, als das in der Grundschule gegenwärtig der Fall ist.
2. Lehrerinnen, die sich mit Möglichkeiten des Philosophierens im Rahmen einer
Ausbildung grundsätzlich auseinandersetzen und es in ihren Unterrichtsalltag
integrieren, fühlen sich herausgefordert, das eigene allgemeine Rollen- und
Unterrichtsverständnis kritisch zu reflektieren.
3. Eine vergleichsweise kurze berufsbegleitende Ausbildung, wie sie z. B. in
Mecklenburg-Vorpommern in Ansätzen realisiert wird, kann nur Aspekte des
Philosophierens mit Kindern thematisieren. Sie ist keine Garantie für erfolgreiches
Philosophieren mit Kindern, aber immerhin eine Grundlage. Unklar ist bislang
(zumindest mir), in welchem Verhältnis und welcher Bezogenheit aufeinander
dabei Fachphilosophie und Fachdidaktik stehen sollten.
4. Das Konzept des Philosophierens mit Kindern ebenso wie die anderen Konzepte
können nur erfolgreich sein, wenn allgemeindidaktische Überlegungen, z. B.
reformorientierte didaktische Modelle für Unterricht und Unterrichtsplanung, mit
reflektiert werden.
Die Vorstellung, das Philosophieren finde ausschließlich im Frontalunterricht statt,
erscheint mir in diesem Zusammenhang ganz abwegig.
5. Die Etablierung des Philosophierens als Fach bietet sowohl Möglichkeiten als
auch
Gefahren.
Die
Gefahren
resultieren
aus
traditionellen
Unterrichtsverständnissen von Lehrerinnen und Kindern, die sich nicht einfach
abstreifen lassen, und allgemeinen Rahmenbedingungen von Schule (45Minutentakt, Bewertungs- und Zensierungszwänge).
6. Eine wissenschaftliche Begleitung und Erforschung der zahlreichen offenen
Fragen ist dringend erforderlich, wird aber von den zuständigen Behörden nicht in
ausreichendem Maße unterstützt. Deshalb ist eine institutionelle Anbindung an
bestehende Verbände dringend erforderlich.
7. Das Philosophieren mit Kindern kann wie Ethik, Lebenskunde und Religion einen
wichtigen Beitrag zur Schulreform in der Grundschule leisten. Das ist in den
Neuen Ländern in besonderem Maße der Fall, da die Fächer dort neu eingeführt
wurden. Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch aller Beteiligten auf
unterschiedlichen Ebenen ist dringend erforderlich.
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
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Ich möchte zum Schluss meiner Ausführungen auf Herbart zurückkommen. Die
Denkbewegung des Philosophierens wird von ihm nicht nur dem Zu-Erziehenden
abverlangt, sondern gleichermaßen dem Erzieher. In der erfolgreichen
philosophischen Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand wird der Erzieher zum
echten Lernpartner des Schülers. Er verlässt die Rolle des Belehrenden, des
Überlegenen, die eine lange Tradition ihm zuerkannt zu haben scheint. Er betritt neue
Pfade - eine Notwendigkeit angesichts der aktuellen Schul- und Unterrichtspraxis, die
nur einen Schluss zulässt: Kinder und Erzieher brauchen das Philosophieren mit
Kindern als Fach und als Unterrichtsprinzip in allen Fächern.
Literatur
Bildungsministerium des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern: Rahmenplan
Philosophieren mit Kindern. Schwerin 2004
Herbart, J. F. (1824): Pädagogische Schriften. Bd. II. Stuttgart 1984 Jaspers, K.: Was ist
Philosophie? München, 1980
Lipman, M.: Growing up with Philosophy. Philadelphia 1978 Lipman, M.: Philosophy
Goes to School. Philadelphia 1988
Martens, E.: Philosophieren mit Kindern als Herzschlag (nicht nur) des Ethikunterrichts.
In: Martens, E./Schreier, H. (Hrsg.): Philosophieren mit Schulkindern. Philosophie
und Ethik in Grundschule und Sekundarstufe I. Heinsberg 1994
Matthews, G. B.: Denkproben. Berlin 1991
Matthews, G. B.: Die Philosophie der Kindheit; wenn Kinder weiter denken als
Erwachsene. Weinheim 1995
Pfeiffer, S.: Philosophieren mit Kindern - Versuch der Fundierung eines neuen
Unterrichtsfaches. Pädagogische Schriften, Band 11. Göttingen 2002
Schmidt, H. J.: Zum Philosophieren verpflichten? Unfrisierte Überlegungen eines
Nichtphilosophen. In: Hastedt, H./Thies, C. (Hrsg.): Philosophieren in der
Grundschule. Rostocker Philosophische Manuskripte, 1999, Heft 7, S. 79-84
Schreier, H. (Hrsg.): Nachdenken mit Kindern. Aus der Praxis der Kinderphilosophie in
der Grundschule. Bad Heilbrunn/Obb. 1999
Silke Pfeiffer
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pädagogik der
Universität Oldenburg.
Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Vortrags vom 23.04.04
an der Universität Oldenburg. Der vollständige Text ist nachlesbar in der Dokumentation der Tagung Philosophieren mit Kindern in der Grundschule (vgl. S.18).
Im Jahre 1932 sprach Einstein sein „Glaubensbekenntnis“ auf Schallplatte: Es endet mit folgenden Worten:
„Ich bin zwar im täglichen Leben ein typischer Einspänner, aber das Bewusstsein,
der unsichtbaren Gemeinschaft derjenigen anzugehören, die nach Wahrheit,
Schönheit und Gerechtigkeit streben, hat das Gefühl der Vereinsamung nie aufkommen lassen. Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das
Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in
Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn
nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder. Zu empfinden, dass hinter dem
Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichbares verborgen sei, dessen Schönheit
MITTEILUNGEN 45/2005
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und Erhabenheit uns nur unmittelbar und in schwachem Widerschein erreicht, das
ist Religiosität. In diesem Sinne bin ich religiös. Es ist mir genug, diese
Geheimnisse staunend zu ahnen und zu versuchen, von der erhabenen Struktur
des Seienden in Demut ein mattes Abbild geistig zu erfassen.“
Ekkehard Martens
Philosophische Methodenkompetenz von Kindheit an
Die Frage, was Philosophie ist oder sein soll, begleitet die Philosophie seit ihrem
Beginn und wird wegen der Offenheit des Weiterdenkens nie abschließend
beantwortet werden können, schon gar nicht durch Hinweis auf ein nebulöses
„Wesen“ der Philosophie. Philosophie kann vieles sein und zu vielem gut sein. Die
Antwortversuche reichen vom Denken des Weltganzen und rationalen
Rechenschaftgeben bis hin zur revolutionären Weltverbesserung und persönlichen
Lebenshilfe. Die Philosophen sind sich offensichtlich selber darüber uneins, was ihr
Geschäft eigentlich ist. Die Uneinigkeit in der Sache führt in der Geschichte der
Philosophie oft genug zu einer unsachlichen Polemik der sonst so vernünftigen
Philosophen: „Philosophen beschimpfen Philosophen" und denunzieren sich
wechselseitig als Pseudophilosophen oder „Afterphilosophen," so etwa Schopenhauer
über Hegel (vgl. Dietzsch 1996). Der Philosophenstreit lässt sich bis in die
gegenwärtige Szene zwischen den unterschiedlichen philosophischen Richtungen
verfolgen. Allerdings kann man den Streit nicht mehr oder weniger amüsiert als bloß
akademisch oder als Streit um Worte abtun, da er praktisch recht folgenreich sein
kann. In der Bildungspolitik etwa verschärft er die durchaus berechtigte skeptische
Frage, was man denn im Philosophieunterricht - auf überprüfbare Weise - überhaupt
lernen könne. Der interne Philosophenstreit kann aber auch die Unterrichtspraxis
selbst beeinflussen, indem man entweder in Form einer schlechten Akademisierung
wenigstens etwas an (welcher?)
wissenschaftlicher Philosophie zu vermitteln
versucht oder sich in eine schlechte Popularisierung alltagspraktischer Betroffenheit
flüchtet.
Was also ist und soll Philosophie, und dies speziell im Ethik- und Philosophieunterricht
von der Grundschule an, unter welchen Bezeichnungen auch immer? Philosophie hat
es zunächst mit bestimmten Inhalten oder Fragen zu tun, etwa was Erkennen,
Gerechtigkeit, Gott oder der Mensch ist. Derartige Fragen werden allerdings auch im
Alltag, in der Wissenschaft und in der Religion und Dichtung gestellt und machen
daher allein noch keine Philosophie aus. Dennoch hat es die Philosophie in ihrer
Tradition bis heute mit grundsätzlichen Fragen zu tun, für die Kant eine plausible
Einteilung vorschlägt, nach der gegenwärtig auch viele Lehrpläne und Unterrichtsbücher gegliedert sind: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich
hoffen? Was ist der Mensch? (Logik A 25/26) Sicher, Kants Fragen sind ihrerseits
auslegungsbedürftig und etwa um die Fragen nach dem Schönen oder der Wirklichkeit
zu ergänzen, auch müssen sie keineswegs im Sinne seiner Transzendentalphilosophie beantwortet werden. Dennoch stellen sie ein geeignetes
Suchschema bereit.
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
15
Philosophische Inhalte und Fragen allein reichen allerdings nicht aus, wenn man
Philosophie angemessen definieren will. Nicht derjenige kann bereits philosophieren,
der einfach nur grundsätzliche Fragen stellt und entsprechende Antworten versucht,
sondern erst derjenige, der auch in einer bestimmten Haltung mit seinen Fragen und
Antworten umgeht. Die typisch philosophische Haltung lässt sich als Fähigkeit zum
Staunen (Martens 2003b) charakterisieren. Im Unterschied zum Alltagswissen, zur
Religion oder zur Wissenschaft geht der Philosoph von keinen gesicherten
Phänomenen und Vormeinungen aus, sondern stellt sie gerade verwundert in Frage.
Allerdings reicht auch die Haltung des Staunens oder radikalen Infragestellens nicht
aus, um Philoso-phie zu definieren. Zum einen gibt es Alltagsskeptiker, denen
sowieso
prinzipiell alles fragwürdig oder ungewiss erscheint, und auch die
Wissenschaft ist durch eine radikale Fragehaltung des Erklärenwollens charakterisiert.
Zum anderen fragt die Philosophie nicht nur, sondern versucht auch Antworten zu
geben.
Die Fragestellungen und Antwortversuche der Philosophie aber und ihre Haltung sind,
wie bei jeder Wissenschaft, durch eine bestimmte Methode gekennzeichnet. Daher
gehört zur philosophischen Kompetenz nicht nur die Fähigkeit, grundsätzliche Fragen
zu stellen und sie in einer grundsätzlichen offenen Haltung auszuhalten, sondern sie
auch zu bearbeiten zu versuchen. Vor allem dies lässt sich unter den institutionellen
Bedingungen der Schule gradweise lernen und überprüfen. Kinder oder Laien können
zweifellos tiefsinnige Fragen stellen und
in einer Haltung der Offenheit zu
beantworten versuchen. Was ihnen aber in der Regel fehlt, ist die Fähigkeit, derartigen
Fragen und möglichen Antworten mit einem Zuwachs an Erkenntnis genauer
nachzugehen. Zur philosophischen Kompetenz gehört nach übereinstimmendem
Selbstverständnis der Tradition und der gegenwärtigen Fachdisziplin in erster Linie die
Fähigkeit, nicht nur etwas zu meinen, sondern seine Meinungen, wenn sie Anspruch
auf Erkenntnis haben sollen, auch zu erläutern und zu begründen. Die philosophische
Kompetenz ist daher nicht in erster Linie durch bestimmte Inhalte oder eine bestimmte
Haltung zu charakterisieren, sondern vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, durch
eine bestimmte Methode. Philosophische Kompetenz ist primär Methodenkompetenz.
Offensichtlich vollziehen alle Philosophen bei ihrem Erkenntnisstreben - mehr oder
weniger - folgende Reflexionshandlungen:
-
etwas genau und differenziert beobachten und beschreiben
jemanden verstehen, wie er etwas versteht oder ansieht
begrifflich und argumentativ prüfen, was jemand zu verstehen gibt
einander widersprechen und miteinander über Behauptungen streiten
sowie schließlich phantasieren und sinnieren, wie man etwas verstehen
könnte oder möchte.
Die genannten Reflexionshandlungen sind bereits von Kindheit an mit dem ersten
Sprechenlernen angelegt, indem wir die Wirklichkeit oder Welt, in der wir im weitesten
Sinne leben, zu begreifen versuchen. Schon Kinder im Vorschulalter können
beschreiben, verstehen, prüfen, streiten und sinnieren, und dies auch im Hinblick auf
grundsätzliche
Fragen.
Versteht
man
philosophische
Kompetenz
als
Methodenkompetenz unterschiedlicher Reflexionshandlungen, w i e man „sich über
etwas beugt" (lat. reflectere), um es besser erkennen zu können, lässt sie sich in einer
naiven, d. h. eher unbeholfenen und undurchdachten Weise bereits bei kleinen
Kindern ebenso wie bei jedem feststellen. Allerdings lassen sich diese ersten eher
MITTEILUNGEN 45/2005
16
unbeholfenen Reflexionshandlungen durchaus verbessern. Wir können mehr oder
weniger gut oder gekonnt philosophieren. Den Übergang von einem unbeholfenen,
naiven zu einem elementaren, einfachen Philosophieren kann man vor allem an den
sokratischen Frühdialogen Platons studieren, den Übergang zum wissenschaftlichen
Philosophieren dann an Platons späteren Dialogen, noch deutlicher an den
Vorlesungsschriften des Aristoteles - dem ersten Philosophieprofessor - sowie im
Laufe der Philosophiegeschichte bis hin zur Herausbildung der gegenwärtigen
Philosophie als einer wissenschaftlichen Disziplin. Dabei lässt sich verfolgen, wie sich
die elementaren zu wissenschaftlichen Reflexionshandlungen in den einzelnen
Denkrichtungen entwickeln:
-
zum phänomenologischen Philosophieren als Beobachtungen beschreiben
(z.B. Husserl, Merleau-Ponty)
zum hermeneutischen Philosophieren als fragen und verstehen von
jemandem (z.B. Schleiermacher, Gadamer)
zum analytischen Philosophieren als Begriffe und Behauptungen klären
(z.B. Wittgenstein, Frege)
zum dialektischem Philosophieren als jemandem widersprechen und
miteinander streiten (z.B. Marx, Hegel)
und schließlich zum spekulativen Philosophieren als sinnieren und
phantasieren (z.B. Bloch, Sloterdijk).
Die Behauptung, dass sich Philosophie letztlich aus der Umgangssprache heraus
entwickelt, ist generell keineswegs neu. So behauptet etwa - im Rahmen des von
Johannes Rohbeck durchgeführten Methoden-Projekts - auch der Dresdner
Philosophieprofessor Thomas Rentsch: „Alle genuin philosophischen Methoden
entspringen [...] konkreten alltäglichen Sprach- und Handlungszusammenhängen und
sind deren Hochstilisierungen: Dem Verstehen und Fragen entspringt die
Hermeneutik, dem Beschreiben die Phänomenologie, dem Streiten und
Widersprechen die Dialektik, dem Nachfragen, Klären und Erläutern das Analysieren
der Sprachanalyse" (vgl. Rentsch 2002, S. 26f). Zu ergänzen wäre aber noch das
spekulative Philosophieren, das aus dem Hang zum Phantasieren oder zum weit
ausholenden Verstehen der Welt und des Lebens entsteht.
Die beispielsweise in der sokratischen Methodenpraxis und in der aristotelischen
Methodenreflexion (Nikomachische Ethik VII 1) vorfindbaren fünf elementaren
Methoden des Philosophierens lassen sich quer zur Unterscheidung
mündlich/schriftlich folgendermaßen als Fünf-Finger-Modell lesen, mit dessen Hilfe
sich philosophische Probleme (auch in Texten) „händeln" oder bearbeiten lassen (vgl.
Martens 2003a). Dabei lassen sie sich allerdings im prinzipiell unabschließbaren
Prozess des Weiterdenkens in kein streng lineares Schema mit einem festen Anfang
und Ende pressen, wenn sich auch unterrichtspraktisch die angegebene Reihenfolge
von Phasen in den meisten Fällen empfiehlt. Die Methoden können helfen, einer der
Philosophie oft unterstellten Trennung des konkreten vom abstrakten Denken
vorzubeugen und den Blick auf die Phänomenfülle des Konkreten zu lenken, um so
den „Zusammenwuchs" (lateinisch: „concretio") der impliziten Deutungsmuster,
Begriffe und Argumente, kontroversen Sichtweisen sowie Spekulationen
abstrahierend herauszuarbeiten und zu klären. Dabei lassen sich die verschiedenen
Methoden ebenso wenig wie die verhandelten Probleme selbst nicht voneinander
isolieren, sondern sind lediglich Akzente oder, in einem Bild gesprochen, Finger der
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
17
gesamten Methoden-Hand. So ist die Phänomenwahrnehmung einer Situation oder
eines Gegenstands immer schon durch bestimmte Deutungsmuster von etwas als
etwas vorgeprägt; das Verstehen ferner basiert auf bestimmen Begriffen und
Argumenten, die im Hin- und Herüberlegen geprüft und von Anfang bis Ende von
Einfällen und Intuitionen durchzogen werden. Isoliert angewendet dagegen führen die
einzelnen Methoden sowohl in der Unterrichtspraxis als auch im universitären
Lehrbetrieb leicht zu den bekannten philosophischen Krankheiten des
Wahrnehmungsbreis, der Texthuberei, der Haarspalterei, des Gelabers und des
Herumspinnens.
Philosophische Methodenkompetenz ist - wie die üblichen Kulturtechniken des
Lesens, Schreibens und Rechnens - eine Kulturtechnik und kann schrittweise gelernt,
eingeübt und überprüft werden. Während das weit verbreitete Zwei-Klassen-Modell
„Der normale Erwachsene denkt über die Raum-Zeit-Problematik kaum. Das hat er
seiner Meinung nach bereits als Kind getan. Ich hingegen habe mich geistig derart
langsam entwickelt, dass ich erst als Erwachsener anfing, mich über Raum und Zeit
zu wundern. Naturgemäß bin ich dann tiefer in die Problematik eingedrungen als
die normal veranlagten Kinder.“
einer bloß vorläufigen, propädeutischen Philosophie einerseits und einer richtigen,
akademischen Philosophie andrerseits die Kinder- und Laienphilosophie „der Vielen"
von der wahren Philosophie „der Wenigen" ausschließt, ist Philosophieren als
Graduierungs-Modell im Prinzip für jeden möglich. Ähnlich wie bei Atem- oder
Maltechniken handelt es sich auch beim Philosophieren als Kulturtechnik ferner um
eine handwerklich-kreative, keineswegs aber um eine technizistische oder
mechanisch anwendbare Technik. Das Philosophieren ist stets auf Einfälle und
Intuitionen angewiesen, erst recht auf die freie Einsicht und Zustimmung der
Philosophierenden. Außerdem ist zu betonen, dass Philosophieren als Kulturtechnik
neben dem formalen Wissen und Können auch untrennbar bereits eine inhaltliche
Materialkunde mitenthält. Wer etwas, eine Situation oder ein Problem, genauer zu
beschreiben versucht, sollte auch Beobachtungen und Deutungen anderer Personen,
Zeiten und Kulturen kennen und einbeziehen (implizit ist unser Denken und Sprechen
sowieso immer schon – hermeneutisch – vorgeprägt). Schließlich bedeutet das
spezifisch kulturelle Moment der Kulturtechnik des Philosophierens dreierlei. Sie ist
zunächst ein Erbe unserer europäischen Kultur und zugleich Menschenrecht des
Selbstdenkens. Ferner ist sie ein Mittel zur Gestaltung unserer demokratischen Kultur,
das speziell in einer dramatischen Übergangszeit (Krise des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts, Multikulturalität, Globalisierung etc.) besonders nützlich ist.
Vor allem aber ist sie nicht nur ein nützliches und gutes Mittel zu einem guten Zweck
des (demokratischen) Zusammenlebens, sondern sie ist Selbstzweck unserer SelbstKultivierung oder Persönlichkeitsbildung. Philosophieren stärkt unseren freien Blick
und erweitert unseren Horizont. Auch philosophische Bildung aber will gelernt oder
geschult sein.
Zitierte Literatur:
Dietzsch, Steffen (Hrsg.): Philosophen beschimpfen Philosophen. Leipzig 1996
Martens, Ekkehard: Der Faden der Ariadne oder Warum alle Philosophen spinnen.
Leipzig 2000
MITTEILUNGEN 45/2005
18
Ders: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare
Kulturtechnik. Hannover 2003a
Ders.: Vom Staunen oder Die Rückkehr der Neugier. Leipzig 2003b
Rentsch, Thomas: Phänomenologie als methodische Praxis. Didaktische Potentiale
der phänomenologischen Methode. In: Rohbeck, Johannes (Hg.), Denkstile der
Philosophie. Dresden 2002, S. 11 - 28 (= Jahrbuch für Didaktik der Philosophie
und Ethik, Bd. 3)
Ekkehard Martens ist Professor für Philosophiedidaktik an der Universität Hamburg,
wissenschaftlicher Begleiter des Schulversuchs „Praktische Philosophie“ in NRW,
Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur Philosophie, zum Philosophieunterricht und
zum Philosophieren mit Kindern. – Abgedruckt ist eine gekürzte Fassung des Vortrags
vom 23.04.04 an der Universität Oldenburg. Der vollständige Text ist nachlesbar in der
Dokumentation der Tagung Philosophieren mit Kindern in der Grundschule (vgl. S. 18).
Dokumentation der Tagung
Philosophieren mit Kindern in der Grundschule
Zum ersten Mal trafen sich bundesweit Wissenschaftler/innen, Lehrkräfte und andere
Interessierte zu einer Tagung „Philosophieren mit Kindern in der Grundschule“ am
23./24. April 2004 in der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Dabei ging es um
eine Bestandsaufnahme des Philosophierens mit Kindern in Deutschland, sei es als
Fach wie in Mecklenburg-Vorpommern oder als Unterrichtsprinzip wie an einer
wachsenden Anzahl von Schulen in den übrigen Bundesländern. Die thematische
Bandbreite reichte von eher theoretischen Überlegungen zum Philosophieren als
elementarer Kulturtechnik über die Vorstellung neuerer Erfahrungen im Philosophieren
über Bilder bis zur Darstellung und Erprobung vielfältiger Unterrichtsbeispiele.
Die Dokumentation der Tagung ist im Buchhandel erhältlich:
Denken als didaktische Zielkompetenz. Philosophieren mit Kindern in der
Grundschule. Hrsg. von Hans-Joachim Müller und Silke Pfeiffer. Baltmannsweiler
2004
Inhalt:
Astrid Kaiser: Philosophieren mit Kindern – Besinnung in Zeiten der globalisierten
Entgrenzung
Ekkehard Martens: Philosophieren mit Kindern als elementare Kulturtechnik
Silke Pfeiffer: Philosophieren mit Kindern – Versuch einer Bestandsaufnahmen unter
besonderer Berücksichtigung des gleichnamigen Unterrichtsfachs in MecklenburgVorpommern
Barbara Brüning: Philosophieren in der Grundschule – Methoden und internationale
Bilanz
Hans-Joachim Müller: Gedanken symbolisieren – szenisches Interpretieren als
Methode des Philosophierens
Kerstin Michalik: Denken wir eigentlich immer im Unterricht?
Horst Gronke: „Frag mich was!“ – „Was denn?“ Mit freien Fragen Philosophieren
ermöglichen
Bettina Uhlig: 7777777 „Details“ eines Lebens. Zum Philosophieren von Kindern mit
Kunstwerken
Mechtild Ralla: Kann ich Natur fühlen?
Klaus Zierer: Mit Kindernh über Aspekte des Glücks Philosophieren
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
19
Grit Marin: Philosophieren über „Irgendwie anders“
Birgit Wegehaupt: Mit Kindern über die Natur nachdenken
Heike Pasch: Mit Grundschulkindern über Zeit philosophieren
Bezugsadresse: Schneider
Baltmannsweiler (Preis: 15 €)
Verlag
Hohengehren,
MITTEILUNGEN 45/2005
Wilhelmstr.
13,
73666
20
Arbeitsgemeinschaft Ethik/Philosophie
Bildungsstandards
für die Fächer Ethik, Humanistische Lebenskunde, LER
Philosophie, Philosophieren mit Kindern, Praktische
Philosophie, Werte und Normen
in der Primarstufe
Die Bildungsstandards für die oben genannten Fächer werden in Form von
Kompetenzen beschrieben, deren Differenzierung in Bezug auf Dimensionen
(Entwicklungsbereiche) erfolgt. Diese Kompetenzen werden durch ein
stufenspezifisches Spektrum von Methoden und an Hand stufenspezifischer Inhalte
vermittelt. Zwar werden die genannten Kompetenzen teilweise auch in anderen
Fächern ausgebildet; in der Fächergruppe Ethik/Philosophie sind sie jedoch
ausgerichtet auf eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit Lebensfragen und
Werthaltungen.
Kompetenzen
Die von den Schülerinnen und Schülern zu erwerbenden Kompetenzen umfassen
personale Kompetenz, soziale Kompetenz, Fachkompetenz und Methodenkompetenz.
Personale Kompetenz
Schülerinnen und Schüler entwickeln zunehmend Selbstvertrauen, erkennen die
eigene Rolle in bestimmten Lebenssituationen und lernen, die eigene Person mit ihren
Fähigkeiten, Gefühlen, Empfindungen zunehmend angemessen in soziale und
sachliche Zusammenhänge einzubringen. Verbunden damit ist die wachsende
Fähigkeit, die Folgen des eigenen Handelns abzuschätzen und Grundlagen für die
Entwicklung einer Persönlichkeit mit reflektierten Werten und Normen zu erwerben.
Soziale Kompetenz
Schülerinnen und Schüler erwerben die Fähigkeit, respektvoll und kritisch mit anderen
Menschen und deren Überzeugungen und Lebensweisen umzugehen. Sie lernen, sich
in andere einzufühlen, auf Argumente einzugehen und Konflikte zu lösen, Regeln zu
vereinbaren, Verantwortung zu übernehmen und üben Teamfähigkeit.
Fachkompetenz
Schülerinnen und Schüler verstehen zunehmend Inhalte und erkennen Ordnungen
und Strukturen in den verschiedenen Inhaltsbereichen der Fächergruppe Ethik/Philosophie, die sowohl ethische und philosophische als auch weltanschauliche,
religionswissenschaftliche,
psychologische
und
sozialwissenschaftliche
Fragestellungen umfassen. Dabei lernen sie, sich Informationen zu erschließen,
Zusammenhänge herzustellen und sie mit fachlichen Begriffen zu benennen. Sie
stellen Fragen, finden Lösungsansätze, erproben Anwendungsmöglichkeiten und
formulieren sachliche Kritik.
Methodenkompetenz
Die Schülerinnen und Schüler lernen fachbezogene und fächerübergreifende
Strategien, Verfahrensweisen und Arbeitstechniken kennen und wenden sie an.
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
21
Dimensionen
Die Dimensionen, in denen sich die genannten Kompetenzen ausdifferenzieren,
umfassen
die
Entwicklungsbereiche
Erfahrung,
Wahrnehmung,
Gefühl,
Kommunikation und Interaktion, Denken, Urteilen sowie Planen und Handeln.
Wahrnehmung
Schülerinnen und Schüler beobachten gezielt Körper- und Sinneswahrnehmungen,
Stimmungen und Affekte und deuten sie.
Erfahrung
Schülerinnen und Schüler tauschen Erfahrungen aus, lernen verschiedene (reale und
mediale) Erfahrungsräume kennen, beobachten, vergleichen und deuten
unterschiedliche Erfahrungen.
Gefühl
Schülerinnen und Schüler lernen es, Gefühle wahrzunehmen, auszudrücken, zu
verstehen, sich in andere einzufühlen, mit den Gefühlen anderer umzugehen und
erkennen die Bedeutung der Gefühle für das Menschsein.
Kommunikation und Interaktion
Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Möglichkeiten nonverbaler wie verbaler
Kommunikation, der Kommunikation mit Hilfe von Texten, Bildern und Symbolen und
mit geschlechtsspezifischen und kulturellen Unterschieden von Kommunikation
auseinander. Sie lernen, sich in Gruppen sowohl selbst zu behaupten als auch
einzuordnen und üben sich in Kooperationsfähigkeit und Teamfähigkeit.
Denken
Schülerinnen und Schüler lernen es, Merkmale zu erkennen und zuzuordnen,
Zusammenhänge zu erfassen, zu klassifizieren, Begriffe zu bilden und werden
angeregt, Phantasie zu entwickeln.
Urteilen
Schülerinnen und Schüler bewerten Eindrücke und Informationen, wägen Gründe und
Gegengründe ab, erkennen und benennen Widersprüche, bewerten Interessen und
Motive, wenden Regeln und Normen an.
Planen und Handeln
Schülerinnen und Schüler formulieren Interessen, begründen Entscheidungen,
entwickeln Handlungsmöglichkeiten und Handlungsstrategien in Auseinandersetzung
mit Normen und Wertmaßstäben des Handelns.
MITTEILUNGEN 45/2005
22
Kompetenzen Ethik/Philosophie - Primarstufe
Personale
Kompetenz
Soziale
Kompetenz
Wahrn  Selbstwahrnehmung
ehmu
entwickeln zu
ng
Körper, Sinne und
Sinnlichkeit,
Stimmungen,
Bedürfnissen,
Impulsen und
Absichten,
Gedanken
 Fremdwahrnehmung
entwickeln bei Mimik,
Gestik, Stimme und
Stimmung, Sprache
(z.B. die vier Ebenen
einer Botschaft)
 Absichten, Impulse
des Gegenüber
erkennen
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
Fachkompetenz
 Wahrnehmung und
Objekt in Beziehung
setzen
 Wahrnehmung und
Deutung unterscheiden
 Zusammenhang von
Einstellung und
Wahrnehmung
erkennen
23
Erfah
rung
 Eigene Erfahrungen  Erfahrungen
 Welterfahrungen und
äußern
austauschen: anderen
Weltdeutungen
und ihren
vergleichen
 Beobachtungen und
Darstellungen
Deutung
 Originale und mediale
zuhören
unterscheiden
Erfahrungen
unterscheiden
 Erlebnisse und ihre  Unterschiede
zwischen eigenem
Bedeutung
 Manipulation von
Erfahren und Erleben
darstellen
Erfahrung erkennen
und dem anderer
akzeptieren
Gefü
hl
 Grundgefühle (z.B.
Freude, Trauer,
Angst) bei sich
wahrnehmen,
ausdrücken und
verarbeiten
 Um die Bedeutung
von Gefühlen in der
jeweiligen Situation
wissen
Kom  Erlebnisse, Ermuni
fahrungen,
katio
Gedanken,
n und
Meinungen in
Intera
Bildern, Bewegung
ktion
und Sprache
darstellen
 Stimme und
Stimmung im
Sprechen
ausdrücken Sich in
Gruppenprozessen
behaupten
 Mit
unterschiedlichen
Arten der Redeund Schriftsprache
umgehen können
 Gefühle gegenüber
anderen erkennen,
ausdrücken,
akzeptieren
 Anteilnahme an den
Gefühlen anderer
(Mitfreude, Mitleid)
 Einfühlung in fremde
Lebenssituationen
 Formen von Gefühlen
(Freude, Trauer, Angst,
Aggression usw.)
unterscheiden (und
bewerten)
 Bedeutung von
Gefühlen für das
Menschsein erkennen
 Nonverbale Signale in
Stimme, Mimik und
Gestik registrieren
und deuten
 Zuhören und zusehen
 Unterschiede
zwischen der
Meinung anderer und
eigener akzeptieren
 Sich in Gruppenprozesse einordnen
 Probleme und
Konflikte ansprechen
und Konflikte verbal
lösen
 Fairness üben
 Kommunikationsformen
kennen und
unterscheiden
 Menschliche und
tierische
Kommunikation
vergleichen
 Geschlechtsspezifische
Ausprägungen von
Kommunikation
hinterfragen
 Kulturelle Unterschiede
in der Kommunikation
erkennen
 Regeln der
Kommunikation und
Interaktion in der
eigenen Kultur kennen
und anwenden
MITTEILUNGEN 45/2005
24
Denken
 Eigene Fragen
erkennen
 Sich wundern
 Die eigenen
Gedanken mit denen
anderer vergleichen
 Zum Probedenken
in der Lage sein
 Die Gedanken
anderer aufnehmen
und weiter denken
 Zusammenhänge
erfassen
Denk
en
(Fs.)
Urteil
en
 Neugier und Staunen
fördern
 Meinen, Wissen und
Glauben unterscheiden
 Konkretisieren,
zusammenfassen,
abstrahieren, Analogien
bilden
 Ordnungen erkennen
 Die eigene
Phantasie befragen
 Fremdes Denken
 Gewohnheiten
tolerieren oder kritisch
hinterfragen
in Frage stellen
 Philosophische Fragen
stellen
 Sich selbst
wertschätzen
 Andere wertschätzen
 Sich auf andere
Urteile einlassen
 Sich trauen,
Stellung zu
beziehen
 Eigene
Wertvorstellungen
entwickeln und
artikulieren
 Zwischen Person und
Meinung unterscheiden
 Urteile begründen
 Andere Perspektiven
einnehmen
 Widersprüche erkennen
 Andere kritisch und
fair beurteilen
 Regeln, Normen und
Werte im kulturellen
Kontext kennen lernen
und berücksichtigen
 Sich auf Regeln und
Normen verständigen
 Regeln und Normen
 Gruppenprozesse
akzeptieren
kritisch reflektieren
 Sich selbst
beurteilen lernen
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
 Alternativen bedenken
25
Unterrichtsinhalte
Die im folgenden aufgeführten Unterrichtsinhalte haben lediglich exemplarischen
Charakter; eine differenziertere Darstellung bleibt den jeweiligen Lehrplänen
überlassen. Aus der Aufzählung geht keine Reihenfolge für dir Behandlung im
Unterricht hervor.
-
Ich
Gefühle
Glück und Wünsche
Angst und Mut
Vertrautes und
Fremdes
Familie
Freunde
Abschied - Sterben Trauer
-
Sich streiten - sich vertragen
Geben und nehmen
Gut und böse - gut und
schlecht
Wahrheit und Lüge
Gerechtigkeit
Spielregeln und
Fairness
MITTEILUNGEN 45/2005
-
Fantasiewelten,
Medienwelten
Natur
Erfolg und Misserfolg
Tätig sein und arbeiten
Feste und Feiern in
verschiedenen Kulturen
und Religionen
26
Berlin, den 5. Februar 2005
Fachverband Ethik e.V.
Fachverband Philosophie e.V.
Peter Kriesel
Vorsitzender
Dr. Bernd Rolf
Vorsitzender
Gesine Fuß
Beauftragte für Grundschulen in Bayern
Dr. Rainer Bartholomai
Landesverband Sachsen-Anhalt
Humanistischer Verband Deutschlands,
Landesverband Berlin e.V.
Vertreter der Fachdidaktik an den
Hochschulen
Jaap Schilt
Vorsitzender
Dr. Silke Pfeiffer
Universität Oldenburg
Dr. Frank Witzleben
Technische Universität Berlin
„Die letzten Generationen haben uns in der hochentwickelten Wissenschaft und
Technik ein überaus wertvolles Geschenk in die Hand gegeben, das Möglichkeiten
der Befreiung und Verschönerung unseres Lebens mit sich bringt...Dieses
Geschenk bringt auch Gefahren für unsere Existenz mit sich, wie sie noch niemals
schlimmer gedroht haben. Mehr als je hängt das Schicksal der zivilisierten
Menschheit von den moralischen Kräften ab, die sie aufzubringen imstande ist.
Deshalb ist die Aufgabe, die unsere Zeit gestellt ist, nicht etwa leichter als die
Aufgaben, welche die letzten Generationen gelöst haben.“
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
27
Winfried Kuchen
Textfiguren
Dramatisierende und modellierende Verfahren
der Interpretation philosophischer Texte
1. Idee und Anschauung
Seit alters her sind die Philosophen auf die Idee gekommen, ihre Gedanken, abstrakte
Vorstellungen also, in bildlich-konkreter Form darzustellen.
Das mythologisch geprägte Denken vorsokratischer Zeit lebt mit und aus Bildern, so
beispielsweise in Homers Gleichnissen. Platon und Aristoteles sind ohne Metaphern,
Gleichnisse, Allegorien und Redefiguren nicht zu denken. Man erinnere nur die
platonischen Gleichnisse im „Staat“1 oder Allegorien, Analogien, Personifizierungen,
zum Beispiel die „elterlichen Gesetze im „Kriton“ oder das Gleichnis vom Sportler zur
Verdeutlichung der Leib-Seele-Analogie ebendort.2 Philosophische Bilderwelten sind
bis in die Gegenwart zu erkunden und zu bestaunen.
Die wohl bekannteste Verbindung der beiden Grundelemente des Vorstellens, des
figurativen und analytischen Modus, findet sich in Kants Satz: „Gedanken ohne Inhalt
sind leer. Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“3 Kants berühmtes Diktum kann,
obschon in die Jahre gekommen, die Leitlinie einer modernen Philosophiedidaktik
vorgeben, insofern das, was bei Kant als notwendige und korrespondierende Formen
des Erfahrens gedacht wird, auf das Verstehen, hier die unterrichtlichen Weisen des
Vorstellens und Begreifens, zu übertragen wäre. Denn: Wer möchte schon, im Leben
wie in der Schule, blind und gedankenlos zu Werke gehen?
Auf der Suche nach einem ersten didaktischen Ansatzpunkt bietet sich R. Arnheims
fast schon klassische Studie über „Anschauliches Denken“4 (Visual Thinking) an. Der
Gedanke der konstitutiven Einheit von Bild und Begriff bietet, zumal in
fächerübergreifender Hinsicht, ein brauchbares theoretisches Fundament, das
allerdings fachlich zu spezifizieren wäre. Hier sollen jedoch zunächst, in einem ersten
Zugriff, eher praxisbezogene Überlegungen und Erfahrungen zum Thema angeführt
werden.
2. Gedanken malen
Einen konkreten Versuch, „Ideen zu malen“, legt 1987 in Italien Emanuele Gennaro
vor, der die Teilnehmer einer Sommerakademie5 mit seiner „Filosofia per Imagini“6
und dem Werk „Pittura di Idee“7 verblüffte (vgl. Abb. 1 und das Titelbild dieses Heftes).
Was man auf den ersten Blick für eine methodische Spielerei, eine Arabeske nur,
halten konnte, entpuppte sich im Verlaufe des Vortrags als interessantes didaktisches
Experiment. Es war der konkrete Versuch, ’Eisthesis’ und ’Noesis’ miteinander zu
verknüpfen: „la raffiguratione estetica o anche poetico-emozionale“ einerseits und
“l’inspiratione dal pensiero speculativo o scientifico” andererseits. 7 (1985) Ausdrücklich
nicht intendiert wird dabei „la tendenza a banalizzare“, eine Banalisierung, ‚terrible
simplification’, der Philosophie.
Gennaro berichtet über seine Erfahrungen und praktischen Versuche mit Studenten,
bildliche Darstellungen selbst zu konzipieren, philosophische Ideen, Gedankengänge,
ja ganze Systeme („la filosofia di Kant“) zu malen. Dies mag verwundern, Puristen der
Abstraktion gar befremden. Doch ist ein gewisser Erfolg, der in der Attraktion,
Suggestion, dem Charme der Bildkraft liegt, nicht zu leugnen. Parallele Erfahrungen
mit deutschen Schülern in der Oberstufe bieten zum Teil überraschende Einsichten
über die (lern-) psychologische und didaktische Verknüpfung von Bild und Idee. Der
entscheidende Vorzug gegenüber dem diskursiven Denken dürfte dabei in der
Funktion des Bildmediums selbst liegen, das komplexe Sachverhalte, diffizile
begriffliche Unterscheidungen und Verknüpfungen sozusagen ’auf einen Blick’,
MITTEILUNGEN 45/2005
28
simultan und synoptisch zugänglich machen kann.
Abb 1: Emanuele Gennaro, Kant: Sintesi logo-schematico del criticismo, in: Ders.,
Filosofia per Imagini, Genova 1985, S. 39.
3. Die bildliche Gestalt des Textes
3.1 Textfigur
Der Begriff der „Textfigur“, den ich hier für die Visualisierung argumentativer
Textstrukturen im Philosophieunterricht vorschlage, lehnt sich formal an die
Redefiguren, genauer: „Satzsinnfiguren“ der klassischen Rhetorik an, z. B. Chiasmus,
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
29
Parallelismus, Antithese. Inhaltlich und dem Sinn nach stütze ich mich auf frühe
Versuche der Textlinguistik, z. B. den Sprachwissenschaftler und Strukturalisten H.
Weinrich, der abstrakte grammatische Phänomene der Verblehre, so die Tempuswahl,
durch die erhellende Metapher der „Reliefgebung“ veranschaulicht. 8 Er spricht z. B. im
Zusammenhang mit den französischen Tempusformen der Vergangenheit („imparfait“
oder „passé simple / composé“) von der Wahl eines Vordergrund- und
Hintergrundtempus, je nachdem, ob es sich in der Vorlage um einen Zustand und
eine andauernde Handlung („...il pleuvait depuis trois jours ...“) oder um eine neu
eintretende und punktuell abgeschlossene Handlung handelt. („Tout à coup le soleil
se leva.“)
Diese grammatischen und semantischen Unterscheidungen legen für Weinrich eine
Reliefgebung oder auch Dramatisierung von Texten in Form einer Bühnen- oder
Theatermetaphorik nahe : Vorder- und Hintergrundtempus, das sind Protagonisten,
Aktionen, Dialoge einerseits und Kulisse, Bühnenbild und Bühnenraum andererseits.
Textpartien wären somit nach ihrem jeweiligen dramatischen Wert, z. B. Spannung,
Klimax, Retardation, grammatisch und stilistisch zu differenzieren. Das Denkmuster
einer zweidimensionalen Textoberfläche, die es chronologisch linear, als eine
sequentiell abrufbare Information zu lesen gilt, hat damit zwar noch für die
Zeichenfolge Gültigkeit, nicht aber für das von ihr Bezeichnete, das durch die
Schriftzeichen semantisch Dargestellte.
Den Begriff der „Figur“ verwendet die Didaktik schon seit längerem, so im
Zusammenhang mit „Unterrichtsfiguren“, „Bauformen“, die K. Prange9 in seiner
Unterrichtslehre entwirft und die figurative Modelle von Unterricht mit je eigenen
Artikulationsschemata darstellen. (1983, 184) Vor allem aber ist J. Grzesik zu nennen,
der den pädagogisch-kognitionspsychologischen Begriff der „mental models“10
verwendet, die der Rezeption und dem Verstehen von Texten, im engeren Sinne dem
Lernen von Begriffen und Begriffszusammenhängen dienen. Geordnete
Informationsverarbeitung entsteht bei Texten nach diesem empirisch-psychologischen
Ansatz durch eben diese „mental models“, topologische Interpretationsmuster der
Interpreten. Grzesik behauptet eine funktionelle Komplementarität von Wort und Bild
im Prozess der Analyse des Textes durch den Leser. Er bezeichnet den „figurativen
Modus“ als notwendige Ergänzung zu dem „sequentiellen analytisch-synthetischen“
Format des Sprachmediums. (1990,91 f)
Vorzüge der bildlichen gegenüber der sprachlichen Repräsentation sind demnach vor
allem höhere Ökonomie, Integrationsleistung und Übersichtlichkeit der Darstellung
durch die simultane und ganzheitliche Verbildlichung im Unterschied zur sequentiellen
Anordnung. Lernpsychologisch begünstigt und fördert dies Aufmerksamkeit,
Verstehen und Behalten. (H. Engels)11
3.2 Text als Bildwerk
Unter der Vorstellung „Textfigur“ im Philosophieunterricht, die hier zu entwerfen ist,
soll das Phänomen Text (im Rahmen eines textlinguistischen Textbegriffs nach
Weinrich, d.h. Text verstanden als komplexes Geflecht immanenter Strukturen) wie
folgt gefasst werden:
Texte stellen dasjenige sprachliche Medium dar, durch das mehrdimensionale,
komplexe begriffliche Strukturen repräsentiert werden, die häufig hierarchisch oder
komplementär, zum Teil auch analog oder antithetisch zu einander arrangiert sind. Sie
ergänzen und durchdringen einander, sind Teil eines Geflechts, eines Netzwerkes,
das„unterhalb der Textoberfläche“ angelegt ist und als so genannte „Struktur“ durch
den Rezipienten (wie ehedem den Autor selbst) allererst zu entdecken bzw. zu
konstruieren ist. Entscheidend ist dabei die Vorstellung, dass Texte nicht simpel
MITTEILUNGEN 45/2005
30
lineare und eindimensionale Gebilde sind. Als Prämisse gilt vielmehr die These von
der Mehrdimensionalität von Texten, welche allererst deren figurative Darstellung
erlaubt.
Dies gilt, wie die Anwendung zeigen wird, überraschenderweise auch und gerade für
so genannte „paradigmatische“ oder „auratisierte“ Texte, Texte philosophischer
Klassiker also, fast schon kanonisierter Autoren, womit alte und moderne, zum Teil
auch zeitgenössische Philosophen gemeint sein können. Texte eines gehobenen und
dichten argumentativen Standards, den philosophische Texte gemeinhin
beanspruchen, eignen sich durchaus für eine figurative Repräsentation. Keineswegs
reduziert sich die anschauliche Darstellung auf literarisch-poetische Vorlagen eines
Schiller und Nietzsche – oder neuerdings J. Gaarders „Sofies Welt“. (1993)
4. Textgeometrie und Textverstehen
4.1 Lineare Textstruktur und deren Rezeption und Darstellung in Sprache und Bild
Am häufigsten angewandt wird in der Unterrichtspraxis bekanntlich dasjenige
Lektüreverfahren, welches strikt der Textchronologie folgt. Zugrundeliegendes Prinzip
ist dabei die Linearität, Eindimensionalität von Information und Entschlüsselung. Das
bedeutet, dass die vordergründige Textinformation in ihrem sequentiellen Format
rezipiert wird. Es handelt sich dabei häufig um das Verfahren der Paraphrase, des so
genannten „textadäquaten“, meist parataktischen Nachvollzugs der Textvorlage, z. B.
in einem Textreferat.
Dieses vergleichsweise einfache Verfahren, fast schon Standardmethode des
textgebundenen Unterrichts (zumindest in einer ersten Annäherung), stellt keine
besonderen Anforderungen an die Selbstständigkeit des Interpreten. Bildlich
gesprochen ist diese „Nacherzählung“ des Textes mit dem Aufreihen von Perlen auf
einer Kette zu vergleichen. Im Blick steht die additive Rezeption und parataktische
Wiedergabe – eine Struktur, die z. B. der Ethnologe C. Lévi-Strauss der „Pensée
sauvage“, dem Fabulieren der Naturvölker bzw. generell naiv-unreflektiertem Denken
zuordnet. Der Terminus „Re-produktion“ bietet sich wegen seiner aktiven, produktiven
Bedeutung hier nicht einmal an, obwohl die Lerntheorie ihn als unterste Zielstufe
verwendet.
4.2 Figürliche Textstruktur und mögliche Formen der Rezeption und Darstellung in
sprachlich-begrifflicher und visueller Form
Dehnt man den Textbegriff in die Zweidimensionalität aus, so erhält man die
Vorstellung der Textoberfläche, die sich aus vielen sequentiellen Formen
zusammensetzt und bereits eine differenzierte Struktur, ein z. B. zeitlich oder logisch
strukturiertes System, enthält (vgl. Abb. 2). Als Vergleich führe ich Brettspiele an,
deren Spielsteine jeweils einen konkreten Wert, eine bestimmte Bedeutung (Klasse
von Zügen) besitzen, wie z.B. Dame und Bauer im Schachspiel, die über ihre
Beziehung zu anderen Spielsteinen und damit über ihre Funktion im gesamten Spiel
entscheidet.
Im Text sind die Spielsteine die Begriffe. Wir haben es auf diesem Niveau bereits mit
einer Analyse des Textes im eigentlichen Sinne zu tun, die im philosophischen Text z.
B. über das Erfassen des Begriffsinventars dieses Textes sowie der Begriffsnetze und
–systeme verläuft. Durch die Analyse kann sich eine Art „Strukturgitter“ ergeben, ein
System von Hypotaxen und logischen Hierarchien, das einen „fokussierenden“ Zugriff
der Interpretation ermöglicht. (vgl. N. Diesenberg: „Focus-Methode“12)
Die dieser Textdimension zugeordnete Technik der Begriffsnetze verlangt mehr als
eine „synonyme Reproduktion“ des Textes (M. Gatzemeier), 13 nämlich die aktive
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
31
Reorganisation der Textoberfläche unter leitenden Vorstellungen z. B. der
Begriffshierarchie oder der „vorgängigen Frage“ (Gadamer)14, der Frage also, die dem
Text vor Abfassung durch den Autor zugrunde und voraus liegt. Als Beispiel mag
Gehlens These vom „Mängelwesen“ Mensch sowie das Bild des Menschen als
„Prometheus“ dienen. Die Frage könnte lauten: Wodurch wurde – entgegen dem
Prinzip der Evolution – das frühzeitige Aussterben des Mängelwesens verhindert? Eine
derartige
vorgängige
MITTEILUNGEN 45/2005
32
Abb. 2: Schema der Textdimensionen (Textgeografie)
1. Textlinie:
Textinformation in additiver, textchronologischer Folge
Verfahren:
Kursorische Lektüre, Paraphrasen, Textreferate
Lernziel:
Textrezeption, sukzessive Wiedergabe
2. Textfeld:
Zweidimensionale Textstruktur, Text als System von Aussagen mit
topologischer bzw. logisch-argumentativer Struktur
Verfahren:
Entwicklung von Begriffsnetzen, Clustern, Leitfragen, Antithesen
Lernziel:
Re-Produktion, Re-Organisation
3. Textrelief:
Textmodell in dreidimensionaler Auffaltung
Verfahren:
Aufdecken von Textfiguren, Bildnetzen, Dramaturgien, Angel- und
Wendepunkten der Argumentation, Begriffskreisen, -pyramiden
Lernziel:
Kreative, dialogisierende,
Textproduktion
4. Expansion in
die Zeitdimension:
dramatisierende
Textrezeption
Hermeneutisch-historisierende Reflektion:
Problemherkunft, Deutungswandel, Historisches Verstehen
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
und
33
Problemfrage überspannt als didaktische Leitfrage die Textanalyse. Sie liefert den
Anfang und das vorweggenommene Ende des Denkweges und erzeugt die
methodische Spannung einer Unterrichtsstunde auf immanente, intrinsische Weise.
Die Vorstellung des dreidimensionalen Textprofils (Abb. 2) orientiert sich am Begriff
der „Reliefgebung“ (s. o. Weinrich). Gemeint ist ein produktives Erfassen und
Erarbeiten von Textinformation in einer eigentlichen Interpretation, nicht bloß Analyse:
Modellierung statt Zergliederung. Die Verbindung von Horizontale und Vertikale
erlaubt eine neue und zum Teil überraschende Perspektive, wie sie sich beim Schnitt
durch einen Baumstamm (horizontal oder vertikal), als inneres Muster von
charakteristischer Form (z. B. Jahresringe) ergibt. Der Text erscheint als profilierte
Landschaft, ein Gebirge etwa, dessen Gipfelpunkte und Talsohlen ein eigenes und
unverwechselbares Profil bilden. Dieses Profil, die innere Textgestalt, gilt es nun in der
Auslegung, Interpretation des Textes zu entdecken, zu „entbergen“. Die dieser
Dimension zugeordnete Technik ist eine weitgehend produktionsorientierte Erfassung,
Veranschaulichung und Diskussion – „Dialog“ mit dem Autor. Der Text wird sozusagen
an Hand von Extrema, bewusst anvisierten Fixpunkten, neu begriffen, modelliert.
In diesem Sinne ist Textinterpretation ein kongenialer Akt des Interpreten zu dem des
Autors und dadurch unterschieden von der so genannten „autoradäquaten“, den
Argumentationsgang rekonstruierenden Technik. Sichtbar werden in diesem
Verfahren logische Hierarchien, argumentative Zusammenhänge, rhetorische oder
psychologische Leitsätze (’headlines’), welche die topologische Struktur, z. B. auch
die Sprechakte des Textes, offen legen. Diese Struktur ist häufig nicht konform mit der
eher monolitisch wirkenden Struktur der dargestellten Sache. Ziel ist es, ein Netzwerk
aufzuspannen, das sich ausgehend von einfachen Behauptungen und ihrer
Begründung über Folgerungen und Zwecksetzungen reflektierend erstreckt bis hin zu
Axiomen und so genannten Letztbegründungen, zum Beispiel zum Kategorischen
Imperativ Kants oder Platons Idee der Gerechtigkeit. In dem gesamten Vorgang
konzentriert und spiegelt sich die genuin philosophische Denkbewegung der
potenzierten Reflexion.
In einer vierten Dimension lässt sich die bisher synchrone Textgeometrie um eine
weitere Stufe, die der Zeitachse (Diachronie), erweitern. Thematisiert werden somit
beispielsweise Epoche machende Denkmodelle, Schemata, Leitbilder. Konkret wäre
zu nennen: Descartes’ Methode in ihrer Wirkung für die Entwicklung der
naturwissenschaftlichen Weltsicht oder Platons Kosmos-Chaos-Modell als Leitbild
einer teleologischen Geschichtstheorie.
Hier wendet sich der Blick auf die Problemherkunft. z. B. auf Begriffsfiliationen,
vorgängige Fragestellungen im Sinne Gadamers, welche die Textgenese bestimmen
und heuristisch zu nutzen sind. Es geht also vor allem um den Primat der Hermeneutik
im Sinn der Wirkungsgeschichte des Textes.
5. Das Verfahren der Visualisierung von Textinterpretationen im Philosophieunterricht
- Unterrichtsziele und -verfahren
Angestrebt wird – in einer gestuften Reihenfolge – die aktive, produktive
Textinterpretation in mehreren Dimensionen. Dies schließt einen kreativen Umgang
mit Texten des Philosophieunterrichts, also auch mit Texten der ’auratisierten’ Sorte,
durchaus ein. Die so genannten Klassiker sind für kreative – und zugleich
verantwortungsbewusste! – didaktische Verwendung keineswegs zu schade. Vielmehr
scheinen gerade die Platon, Descartes und Kant aufgrund des immanenten
didaktischen Interesses und der markanten Anschaulichkeit ihrer Schriften eine
Herausforderung für die didaktische Transformation darzustellen.
Als Ziel unterrichtlicher Behandlung lässt sich nennen:
 kongeniale Produktion versus („adäquate“) Rezeption
MITTEILUNGEN 45/2005
34

Öffnung, Visualisierung versus Hermetik abstrakter Terminologie


Dynamisierung, Dramatisierung versus Statik und Monotonie
ganzheitlich-synoptischer Zugriff statt kleinschrittiger („elementenhaft-synthetischer“) Vorgehensweise, cf. “kursorische Lektüre“
Fazit:
Wo die Anschauung im Philosophieunterricht fehlt (dem Schüler nach Hegel „Hören
und Sehen“ vergehen soll15), da verkommt dieser, wenngleich zum Teil auf „hohem“,
nämlich abstraktem Niveau.
Die Anstrengung des Begriffs – und auch ohne diese taugt alles nichts! – missrät zum
bloßen „Verbalismus“. (Püllen16) Vielleicht „besitzt“ oder gewinnt der Lehrer die
philosophische Sache in ihrem fachlichen Kontext, doch verliert er den Schüler, um
den es doch geht!
Es gilt der Hilf- und Ideenlosigkeit so genannter Abbilddidaktik zu begegnen, die
akademische Inhalte ungefiltert, ohne didaktisches Raffinement, in die Schule
transportiert und den Schüler gleich welcher Stufe und Schulform – damit oft
überfordert.
6. Beispiele für Textfiguren
Im folgenden werden unterrichtserprobte Beispiele inklusive der im Unterricht
erstellten Skizzen und Grafiken vorgestellt.
6.1 Descartes, Universaler Zweifel
Descartes’ 1. Meditation - „Das Drama der Erkenntnis“
Modellierung/Dramatisierung anhand von Textfiguren (gem. Synopse, Abb. 3)
FIGUR 1
ANTITHETIK (Aufbau einer Problemspannung)
Methode:
Dialogisierung (fiktiver Dialog): Skeptiker – Realist
Thema: Gewissheit der Außenwelt, Produktion schülereigener Dialoge;
Textreorganisation unter antithetischem Aspekt; Auflösung der
literarischen Form des Solilogs im Originaltext; selbständige
Textredaktion
Zweck/
Identifikationsangebot;
Veranschaulichung
durch
den
Motivation: Perspektivenwechsel zweier Opponenten (Opposition von Skepsis und
Alltagsverstand in einem Bewusstsein, vgl. Stefan Zweig: Schachnovelle,
1941)
FIGUR 2
KLIMAX – GEDANKENEXPERIMENT 1
Methode
Dramatisierung: Schürzung des Knotens – die dreifache Intrige im
Gedankenexperiment der radikalen Negation der Außenwelt:
Sinnestäuschung – Traum – Deus malignus; Ziel: Falsifizierung der
Realismus-Hypothese des natürlichen Bewusstseins
Zweck/
Verstärkung des Problemdrucks und äußerste Denkprovokation
Motivation: (advocatus diaboli) durch schrittweise Beraubung der Außenwelt;
Destruktion des natürlichen Bewusstseins: Subjekt als Theater-Metapher
im Welt-Spiel
FIGUR 3
STAFFEL-SCHACHTELMODELL („Matrioschka-Figur“)
Methode:
Radikalisierung und Universalisierung des Arguments (Zweifel an allem),
Rückgriff auf Klimax und Vergleich der dreifach gestaffelten
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
35
Negationsversuche mit zunehmend
Belastung der Hypothese
universalem
Wert;
maximale
Zweck/
Descartes’ „Umsturz aller Meinungen“; extreme Erschütterung des
Motivation: Subjekts durch Generalangriff auf die Realität
Bundeswettbewerb philosophischer Essay
für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I / II
unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten
Denken – Weiterdenken – Selber Denken
Hast Du Lust, selbst zu philosophieren? Nicht nur die Gedanken anderer
nachzuvollziehen, sondern weiter zu denken, selbst zu denken und die
eigenen Gedanken aufzuschreiben? Dann ist dieser Essay-Wettbewerb des
Fachverbandes Philosophie das Richtige für Dich!
Er steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Horst Köhler und
hat das Ziel, das Interesse an philosophischen Problemen fördern und zum
eigenständigen und originellen Denken beizutragen.
Themen
Es werden drei Themen vorgegeben, Zitate von Montaigne (1533-1592), der
die Tradition des philosophischen Essays begründet hat, von Friedrich
Schiller, dessen 200. Todestages in diesem Jahr gedacht wird, und Albert
Einstein, dessen Todestag sich zum 50. Male jährt.
„Man darf die Maske und den Schein nicht mit dem wirklichen Wesen verwechseln.
(Montaigne)
„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
(Friedrich Schiller)
„Krieg kann man nicht humanisieren. Er kann nur abgeschafft werden.“
(Albert Einstein)
Aufgabe
Zu einem der drei Themen ist ein Essay zu schreiben. Er soll in einer
MITTEILUNGEN 45/2005
36
Arbeitszeit von ca. vier Zeitstunden verfasst werden und darf maximal vier
Seiten umfassen (bezogen auf die Schriftart Times New Roman in Größe 12,
drei Zentimeter Rand, einzeilig geschrieben).
Im Kopf sollten der Name der Verfasserin bzw. des Verfassers, die Klasse
bzw. Jahrgangsstufe, der Name der zuständigen Lehrkraft, die Schul- und
Privatadresse (möglichst mit E-Mail- und Telefon-Verbindung) sowie das
Bundesland angegeben werden.
Einsendetermin
Der Text sollte (möglichst maschinegeschrieben) bis zum 31. Oktober 2005
eingesandt werden an den Vorsitzenden des Fachverbands Philosophie, Dr.
Bernd Rolf, Hubertusstr. 123, 47623 Kevelaer, Stichwort Essay-Wettbewerb.
Teilnahmebedingungen
Teilnahmeberechtigt sind alle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen
I und II, die im laufenden Schulhalbjahr am Philosophie- oder EthikUnterricht oder Unterricht in Praktischer Philosophie teilnehmen.
Philosophieschülerinnen und -schüler aus NRW werden gebeten, sich
vorzugsweise am dortigen Landeswettbewerb Philosophischer Essay zu
beteiligen, zu dem alljährlich im Oktober von den Bezirksregierungen
aufgerufen wird, um eine Konkurrenz zwischen den beiden Wettbewerben
zu vermeiden.
Falls Lehrkräfte ihre gesamte Klasse oder ihren gesamten Kurs Essays
schreiben lassen, sollten sie nur die zwei, allenfalls drei besten Essays
einsenden, um die Jury zu entlasten.
Prämierung
Die Bewertung erfolgt zunächst auf Landesebene. Eine Jury, die sich aus
Lehrerinnen und Lehrern des Fachverbandes Philosophie zusammensetzt,
wählt unter den eingesandten Essays die jeweils besten drei der
Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II aus, die dann in den
Bundeswettbewerb geschickt werden.
Die im Bundeswettbewerb prämierten Arbeiten werden im Mitteilungsheft
des Fachverbandes Philosophie veröffentlicht. Die Verfasser aller auf
Landes- und Bundesebene prämierten Essays erhalten eine Urkunde.
Bewertungskriterien
Kriterien der Bewertung sind: Konzentration (Fokussierung) auf das Thema,
Kohärenz (innere Stimmigkeit) der Arbeit, argumentative Überzeugungskraft,
Anschaulichkeit (Absicherung durch Beispiele), Lebensweltbezug und
Originalität.
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
37
Zur Frage, ob Lehrkräfte inhaltliche, methodische oder redaktionelle
Hilfestellung leisten dürfen: Jede allgemeine Beratung ist erwünscht: Wie
erschließe ich ein Thema? Wie kann man einen Essay aufbauen? Aber
konkrete (auf eine Wettbewerbsaufgabe bezogene) inhaltliche und
sprachliche Verbesserungsvorschläge müssen aus Fairnessgründen
unterbleiben.
MITTEILUNGEN 45/2005
38
Hier noch einige Tipps zum Verfassen von Essays

Lies die Aufgabe mehrmals genau.

Du kannst Ideen dazu in einer mind-map sammeln.

Überlege, ob es zentrale Begriffe gibt, die zu klären sich lohnt.

Mache Dir klar, welche These Du in seinem Essay vertreten möchtest.

Überlege dir Pro- und Contra-Argumente zur These.

Grundsätzlich gilt: Jede Position sollte man so stark machen, wie es geht.
Andernfalls kämpft man leicht gegen zu schwache oder selbst erdachte
Gegner.

Überlege, welche philosophischen Kenntnisse Du in deine
Argumentation einbauen kannst. Beachte dabei, dass Du diese
Kenntnisse für die Argumentation fruchtbar machst und nicht nur
deine Belesenheit zur Schau stellst. Wenn Du das Zitat, zu dem Du
schreibst, nicht philosophiegeschichtlich einordnen kannst, muss das
kein Nachteil sein.

Suche nach Beispielen, durch die Du deine Aussagen
veranschaulichen kannst. (Denke z.B. an literarische Beispiele,
biblische Geschichten und vor allem an eigene Alltagserfahrungen.)

Neben den Beispielen solltest Du auch abstrahierende Sätze
formulieren (Prinzipien, Regeln formulieren oder zitieren).

Überlege Dir den Aufbau deines Essays. In der Einleitung sollte das
Interesse des Lesers geweckt werden. (Was will ich überhaupt beim
Leser erreichen?) Am Ende ist oft eine Zusammenfassung hilfreich.

Meist ist es für den Leser hilfreich, wenn Du dein methodisches Vorgehen
explizit angibst.

Gliedere deinen Essay bei gedanklichen Einschnitten durch Absätze.
(Mach nicht nach jedem Gedanken einen Absatz.)

Du kannst deinem Essay auch eine eigene Überschrift geben. (Es ist
ratsam, die Überschrift erst nach Beendigung der Niederschrift zu
formulieren.)

Unterscheide zwischen Wissen und Meinung.

Unterscheide empirisch zu lösenden Fragen von Fragen der
philosophischen Reflexion.

Du darfst Fehler machen - schreibe ohne Perfektionsdruck („essai“
heißt bekanntlich „Versuch“).
Weitere Anregungen zum Essay-Schreiben:
http://www.learnline.nrw.de/angebote/essaywettbewerbephilo/
landeswettbewerb/hinweise.htm
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
39
Landesverband
Hessen
Landesverband
Bremen
Landesverband
Hamburg
Landesverband
NRW
Logo für den Bundesverband gesucht
An dieser Stelle
könnte das Logo
des Fachverbands
Philosophie e.V.
stehen.
Entwerfen Sie ein Logo für den Fachverband Philosophie e.V. !
Dieser Aufruf richtet sich an Mitglieder des Fachverbandes und alle, die dem
Fachverband verbunden sind, an Lehrerinnen und Lehrer wie an
Schülerinnen und Schüler.
Das Logo soll einen Bezug zum Fach Philosophie aufweisen, markant sein
einen hohen Wiedererkennungwert haben.
Beispiele von Landesverbänden des Fachverbands Philosophie, von
anderen Verbänden und philosophischen Institutionen finden Sie auf dieser
Seite.
Ihren Entwurf senden Sie/Deinen Entwurf sende bitte bis zum 31.Oktober
2005 an:
Fachverband Philosophie, Dr. Bernd Rolf, Hubertusstr. 123, 47623 Kevelaer
Der vom Vorstand des Fachverbandes Philosophie ausgewählte Entwurf
wird mit einem Buchgeschenk im Wert von 50 € prämiert.
MITTEILUNGEN 45/2005
40
FIGUR 4
Methode:
APORIE – GEDANKENEXPERIMENT 2 (Der Strudel des Nihilismus)
Potenzierung der Reflexion und Perpetuierung des Zweifels (das
„Spiegelkabinett“) durch Selbstanwendung auf das Subjekt des
Zweifelns; „Regressus ad infinitum“
Zweck/
Äußerste Anspannung; Zuspitzung der Denkprovokation durch die
Motivation: zynische Vorstellung der Negation des Ichs (extremste Form des
Selbstexperiments); Gorgias: Es gibt nichts – Descartes: Nicht einmal
mich!
FIGUR 5
Methode:
LÖSUNG DES KNOTENS („Deus ex machina“)
Abweis des infiniten Regresses (der Katastrophe des Ich) und
Selbstvergewisserung des Zweifelnden Im Akt des Zweifelns selbst
Zweck/
Entspannung, Auflösung, Befreiung vom Selbstexperiment des
Motivation: methodischen, radikalen und universalen Zweifels
6.2 Sartre, Existentialismus
Sartres Aufsatz: „Ist der Existentialismus ein Humanismus?“17 (Vortrag: L’existentialisme est un humanisme, Paris 1945, Maintenant-Club; deutsch: 1975) kann zu den
Klassikern des Philosophieunterrichts gezählt werden, nimmt man die Häufigkeit
seiner Behandlung in den verschiedenen Jahrgangsstufen als Grundlage.
Mögliche Gründe liegen in der Anschaulichkeit und der immanenten Didaktisierung
dieses Textes, der mit einem einprägsamen Beispiel, besser, einer Analogie (Mensch
– Papiermesser), induktiv einsetzt und die habituelle Schrittfolge der Lernprogression
einhält: Vom Einfachen, Bekannten, (Essenz-These der Tradition) zum Schwierigen,
Neuen (Sartres Existenz-These). Zudem ist der Text relativ voraussetzungslos
(historische Verweise sind ggf. eliminierbar) und damit anspruchslos. Kultureller und
zeitgeschichtlicher Deutungshintergrund ist die existentialistische Strömung im Paris
der Nachkriegszeit. Diese ist den Schülern wie schon das „Papiermesser“ („le coupepapier“), unerlässliches Handwerkszeug des Intellektuellen, weitgehend unbekannt
und dennoch nicht auszublenden. Schwierigkeiten bietet auch die Figur der Analogie.
Zu dem Unterrichtsthema: „Die Umkehrung der traditionellen Pole ’Essenz’ und
’Existenz’ in Sartres philosophischer Anthropologie“ werden Schüler der Stufe 11 nach
vorläufiger Präparation der Begriffe „Essenz“ und „Existenz“ (Arbeitsdefinitionen:
Synonyma im Text und eigene Paraphrasen) zu individuellen Versuchen der
Veranschaulichung, grafischen Strukturierung der Textpassage, aufgefordert (vgl. Abb
4).
Den Schülern, die derartige Verfahren nicht erstmalig erproben, wird als methodisches
Ziel eine „einprägsame und allgemeinverständliche“ Darstellung vorgegeben, die auch
„nach Wochen“ noch nachvollziehbar“ sein soll. Dazu gelten, als Konsequenz aus
früheren, z. T. sehr verwirrenden und letztlich kontraproduktiven Ansätzen, gewisse
formale Regeln, die im wesentlichen dem allgemeinen Verständnis und einer
dauerhaften Sicherung der Ergebnisse dienen:

einfache, übersichtliche Anlage (Format DIN-A 4)

sparsamer verbaler Anteil

eindeutige Verwendung von Zeichen/Symbolen
Eine enge thematische Leitung ist durch den überschaubaren Text ohnehin gegeben.
Diese ist allerdings unverzichtbar, da ansonsten lediglich eine „ungeregelte Evokation“
von „wuchernden“ Vorstellungen, jedoch kein produktiver methodischer Effekt zu
erzielen ist. (Grzesik, 1990, 247) Figurative Vielfalt hingegen ist ausdrücklich
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
41
erwünscht. Die Aufgabe soll gerade in Ergänzung zum analytischen Modus
begrifflicher Anstrengung eine Herausforderung für Assoziation, Imagination, formales
Gestalten und Kreativität darstellen. Die Schüler sollen Texte und damit
philosophische Ideen “anschaulich begreifen“ lernen.
Abb. 3: Descartes’ 1. Meditation - Schema komplementärer Textfiguren
MITTEILUNGEN 45/2005
42
Abb. 4: Sartre, Existentialismus
Optimierte Strukturskizzen aus einem Schülerprotokoll
Um Irrtümern vorzubeugen, sei gesagt, dass dieses Verfahren nicht als
Universalmethode zu verstehen, sondern sparsam, im Sinne methodischer Variation,
einzusetzen ist. Im anderen Fall drohen baldige Ermüdung der Schüler und
Überdruss: Sie wollen (analytisch) lernen, „was Sache ist“.
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
43
Ferner ist der Zeitaufwand nicht zu unterschätzen. Entwicklung, Präsentation und
Auswertung im Unterricht (durch die Schüler selbst) verlangen, da „Ideallösungen“
unwahrscheinlich und auch nicht intendiert sind, ein erhebliches Zeitkontingent und
selbstverständlich lehrerseits sorgfältige Antizipation und Lernorganisation. Letzteres
gilt vor allem für eine möglichst breite und damit allgemein motivierende Auswertungsphase, in der gerade die „stilleren“ bzw. ansonsten weniger aktiven Schüler ein Forum
erhalten. Dass Sachlichkeit und Solidarität die Kritik von Mitschülern bestimmen, sollte
selbstverständlich sein. Für den Lehrer ist zudem möglichste Zurückhaltung und
behutsame Kommentierung geboten. Die Erfahrung zeigt, dass Schüler selbst alsbald
anschauliche und ansprechende von weniger hilfreichen Darstellungen unterscheiden
und selbst verbindliche Kriterien für ihr Urteil entwickeln können. 18,19
Als Qualitäten, die grafische Veranschaulichungen der Mitschüler als besonders bzw.
weniger gelungen erscheinen lassen, gibt eine entsprechend vorbereitete Lerngruppe
(Stufe 11) an:
Einfachheit der Struktur, Anschaulichkeit, Orientierung am Text,
Kombination begrifflicher und bildlicher Elemente, Konzentration
auf wesentliche Momente, Komposition um ein Zentrum herum,
relative Voraussetzungslosigkeit, leichte Verständlichkeit;
ferner: Einfachheit, Übersichtlichkeit, Ordentlichkeit,
Symmetrie der Komposition, Einsatz von ’Leitbegriffen’, Kreativität,
Neugier weckend, Farbigkeit (Damast, 2000, S. 19 und 26)
Die Vielzahl der Kriterien, wenn auch von einer begrenzten Probandenzahl relativ
zufällig gesammelt, zeigt, dass Schüler selbst im Anfangsunterricht durchaus treffende
Vorstellungen darüber entwickeln können, welchen Ansprüchen eine „Optimallösung“
genügen sollte.
Didaktisches Prinzip: Schüler- bzw. Dialogorientierung
Bisherige Erfahrungen im Umgang mit visualisierenden Verfahren im
Philosophieunterricht lassen sich in der Maßgabe zusammenfassen, dass die
Lernorganisation konsequent am Schüler orientiert werden sollte.
Mehr als in hergebrachten Verfahren des textgebundenen Unterrichts bildet der
einzelne Schüler Ausgangspunkt und Zentrum des produktiven Geschehens, zu dem
der Lehrer ’nur’ die Anleitung bietet. Der Lehrer schafft den Rahmen für das, was der
Schüler mit zunehmender Übung immer anschaulicher und treffender ins Bild setzt.
Voraussetzung ist ein großes Vertrauen in die Kraft der Vorstellung, das Potenzial an
Imagination und Kreativität, jene „produktive Urteilskraft“, die nach Kant jedem
Vernunftwesen eignet.
Mindestens ebenso wichtig ist es, die Arbeit nicht mit der Präsentation möglichst
zahlreicher Bild- und ’Kunstwerke’ zu beschließen. Der gerade für den Lernfortschritt,
das Verstehen und Kommunizieren innerhalb der Lerngruppe ebenso wichtige Schritt
besteht in der gründlichen sprachlichen Kommentierung durch den präsentierenden
Schüler und der Diskussion der angesprochenen Mitschüler. Erst in diesem
diskursiven Prozess arbeiten die Schüler ihr Verstehen an der Bildvorlage heraus. Das
beharrliche Rückfragen, Erläutern und Verbessern ist konstitutiv für dieses Verfahren.
Es dient zugleich der Klärung der Sachstruktur und der Herausbildung einer
Dialogkultur.
Unterrichtsschritte
Um einen effektiven Einsatz visualisierender Textinterpretation zu ermöglichen, sollte
auf ein ökonomisches Verhältnis von Aufwand und Ertrag, Produktion und
MITTEILUNGEN 45/2005
44
Präsentation, geachtet werden. In der Artikulation der Lernschritte ist die Abfolge wie
die Ausdehnung der Elemente genau zu bedenken. Ein mögliches
Artikulationsschema verläuft wie folgt:
1. Zusammenfassung der (wesentlichen) Interpretationsmomente:
begrifflich abstrakte Komprimierung – Inventar der Zentralbegriffe
2. Thematische Fokussierung der Interpretation im Tafelanschrieb:
Problemreduktion und Begrenzung des Vorstellungsrahmens – Problemfrage etc.
3. Visualisierung nach schülereigenen Vorstellungen (Einzel- bzw.
Hausarbeit), sparsame, aber verbindliche formale Vorgaben des Lehrers
4. Präsentation ausgewählter Arbeiten (bzw. Ausstellung aller Arbeiten) durch die
jeweiligen Produzenten.
5. Erläuterung bzw. Kommentierung der Vorlagen durch Mitschüler (freiwillig)
ggf. Fragen zum Verständnis
6. Kritische Beurteilung von Einzelentwürfen, ggf. Ergänzung und Korrektur
7. Evaluation ausgewählter Vorlagen; Vergleich, Bewertung nach festen Kriterien
Anmerkungen
1 Platon, Der Staat, 6. und 7. Buch (508 a – 518 a)
2 Platon, Kriton, Kp. 13; Kp. 7 und 8
3 Kant, I., Kritik der reinen Vernunft, A 51
4 Arnheim, Rudolf, Anschauliches Denken (Visual Thinking, dt.). Zur Einheit von Bild und Begriff, Dt. Köln
1972
5 AIPPH – Association des Professeurs de Philosophie, Tagungsbericht 9 (Hg. E. Moll) Innsbruck 1988
6 Gennaro, Emanuele / Vittorio Telmon (Hrsg.): Filosofia per Immagini, Savona, 1985
7 Santagata, Antonio, Pittura di Idee, Genua 1983
8 Weinrich, Harald, Tempus. Besprochene und erzählte Welt, Stuttgart (3)1977
9 Prange, Klaus, Bauformen des Unterrichts, Bad Heilbrunn 1983, S. 184 f.
10 Grzesik, Jürgen, Textverstehen lernen und lehren, Stuttgart 1990
11 Engels, Helmut, „Anschauung, Anschaulichkeit“ in: H. Becker / W.D. Rehfus, Handbuch des
Philosophieunterrichts, Düsseldorf 1986, S. 365
12 Diesenberg, Norbert, „Immanuel Kant: Das Beispiel des falschen Versprechens. Vorschläge zur
Anwendung der Focus-Methode“ in: N. Diesenberg /H.G. Neugebauer, Unterrichtsideen, Stuttgart 1996,
S. 201 f.
13 Gatzemeier, Matthias: „Methodische Schritte einer Textinterpretation in philosophischer Absicht“, in:
Kambartel/Mittelstraß (Hrsg.), Zum normativen Fundament der Wissenschaft, Frankfurt/M. 1973, S. 281 f.
14 Gadamer, Hans-Georg, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik,
Tübingen (2)1965
15 Hegel, G.W.F., „Über den Vortrag der Philosophie auf Gymnasien. Privatgutachten für den Königlich
Bayrischen Oberschulrat Niethammer (1812)“. In:Werke (Suhrk. TB) Bd. 4, S. 403-417
16 Püllen, Karl, Die Problematik des Philosophieunterrichts an Höheren Schulen, Düsseldorf o. J. (1957),
S. 88
17 Sartre, J. P., “Ist der Existentialismus ein Humanismus?“ in: Ders., Drei Essays (Hg. W. Schmiele),
Frankfurt / M. 1975: neu übers.: Hamburg, Rowohlt 2000 (22713)
18 Damast, Thomas, Lesen, Sehen und Verstehen. Textverständnis und graphische Veranschaulichung
im Philosophieunterricht, Siegburg 2000, Studienseminar (Examensarbeit)
19 Seng, Martin, Subjektivität als freier Selbstentwurf – erarbeitet mit Hilfe von Strukturskizzen zu
zentralen Textabschnitten aus Sartres Schrift „Ist der Existentialismus ein Humanismus?“, Düsseldorf
1998, Studienseminar (Examensarbeit)
Winfried Kuchen ist Lehrer am Einhardt-Gymnasium in Aachen, Fachleiter für
Philosophie an den Studienseminaren Aachen und Jülich, Veranstalter des Projekts
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
45
„Philosophieunterricht in der Euregio“ (Deutschland/NRW-Frankreich-LuxemburgBelgien).
Das Einstein-Jahr 2005
Anregungen für den Philosophieunterricht
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat 2005 zum Einstein-Jahr erklärt.
Der polnische Physiker und Friedensnobelpreisträger Joseph Rotblat ist der Initiator
eines Appells führender Wissenschaftler zu einem International Einstein-Year. Anlass
sind der 100. Geburtstag der Relativitätstheorie und der 50. Todestag des
weltberühmten Wissenschaftlers. Zu würdigen ist aber nicht nur der geniale Physiker,
sondern auch der Bürger und Pazifist, der Humanist und Visionär Einstein. Hier einige
Anregungen, wie man das Denken Einsteins im Philosophieunterricht thematisieren
kann.
Wissenschaftstheorie:
Die Spezielle Relativitätstheorie gilt als Musterbeispiel für einen Paradigmenwechsel
(Kuhn): Das Newtonsche Weltbild wurde abgelöst mit der Besonderheit, dass die
Gesetze der klassischen Physik als Spezialfall aus der neuen Theorie hervorgingen. Die
tausendfache Verifizierung der relativistischen Gesetze durch Beobachtungen bzw.
Messungen (in vielen Beschleunigern der Welt) verdeutlicht die Leistungsfähigkeit aus
der - auf Gedankenexperimenten und strengen Deduktionen - beruhenden Theorie. Die
theoretisch hergeleitete Formel E = mc2 fand in der Hiroshima-Uran-Bombe und in der
Nagasaki-Plutonium-Bombe eine furchtbare Bestätigung.
Erkenntnistheorie/Ontologie
Wie hängen Kants Anschauungsformen von Raum und Zeit mit Newtons Auffassung
einerseits und Einsteins andererseits zusammen? Kants transzendentale Frage nach der
"Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung" vertiefte die epistemische Diskussion
zwischen Einstein und der Kopenhagener Schule (Niels Bohr, Werner Heisenberg, Carl
Friedrich von Weizsäcker) um die Erkennbarkeit von Realität.
Diese Frage drängt sich auch auf im Zusammenhang mit Einsteins Deutung des
Fotoeffekts durch den Teilchencharakter des Lichtes - bis dahin wurde das Licht als
Wellenphänomen aufgefasst (Welle-Teilchen-Dualismus).
Ethik/Politik
Bereits beim Ausbruch des 1. Weltkriegs war Einstein über den nationalistischen
Militarismus seiner Kollegen tief erschüttert. Sein Pazifismus und Antimilitarismus
begleitete ihn - trotz des Briefes an Roosevelt, den er aus Angst vor Hitler schrieb, um
die Prüfung anzuregen, ob eine Atombome gebaut werden könne, - durch sein ganzes
Leben. Der bekannte Brief an Russell von 1955, der auf die Abschaffung von Kriegen
schlechthin zielte, war auf diesem langen Wege nur noch die letzte Handlung. Einstein
unterstützte den Völkerbund nach dem 1. Weltkrieg und bedauerte dessen Versagen.
Nach dem 2.Weltkrieg förderte er den Aufbau der UNO als internationale Institution, die
den Krieg abschaffen sollte.
Facherübergreifender Unterricht
Die Beschäftigung mit Einstein bietet nicht nur fächerübergreifende Verbindungen zu
Physik, Geschichte, Politik, Sozialwissenschaften, Religion (s.o.), sondern auch zu
Deutsch/Literatur. Dürrenmatts "Die Physiker", Kipphardts "In Sachen Oppenheimer",
und Michael Frayns "Kopenhagen" greifen die mit der Atombombe verbundenen
ethischen Fragen, die erst durch die Einstein-Formel E=mc2 erst möglich wurde,
literarisch auf.
Ideen für Referate und Facharbeiten
MITTEILUNGEN 45/2005
46
-
Einstein und die Atomwaffen
Einstein und der Pazifismus
Albert Einstein und Albert Schweitzer
Einstein und die Gemeinschaft der Völker Einstein und die (Bürger)Rechte
Einsteins gesellschaftliche Visionen und die Zukunft
Projektideen
Herstellung von Plakaten zum Thema Bürger Einstein
Erarbeitung eines Theaterstücks, das Jugendlichen Einstein in allen Aspekten
seiner die Persönlichkeit nahe bringt
Drehen eines Video-Films zu Leben und Werk des Wissenschaftlers
Literatur (Auswahl)
Carl Seelig (Hrsg.): Albert Einstein - Mein Weltbild. Frankfurt/M; Berlin 1959
Alice Calaprice (Hrsg.): Einstein sagt. Zitate – Einfälle – Gedanken, München
1999
Ernst Peter Fischer: Einstein für die Westentasche. 2. Auflage, München 2005
Jürgen Neffe: Einstein. Eine Biografie. Reinbek 2005
Harald Fritsch: Eine Formel verändert die Welt. Newton, Einstein und die
Relativitätstheorie. München 2001
Max Born: Die Relativitätstheorie Albert Einsteins. Berlin 2003
Dietmar Strauch: Onkel Albert und der Urknall. Frankfurt 1994 (Einsteins
Theorien für Kinder erklärt)
Internet:
http://www.einsteinjahr.de
(Informationen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Einstein-Jahr)
http://einstein.bits.de/deutsch/buerger.htm
(Projektseite zum Einstein-Jahr)
http://einstein.bits.de/deutsch/presse/pk080604-1.htm
(Presseinformationen und Downloads zum International Einstein-Year)
www.quarks.de/relativ
(Quarks und Co. zu Einstein und seinen Theorien)
www.tat.physik.uni-tuebingen.de/~weiskopf/gallery/index.html
(Seite der Uni Tübingen zu Einstein)
Bernd Rolf
„Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt,
für den Aufbau einsetzten! Ein Zehntel der Energien, die die Krieg führenden
Nationen im Weltkrieg verbrauchten, ein Bruchteil des Geldes, das sie mit
Handgranaten und Giftgas verpulvert haben, wäre hinreichend, um den
Lebensstandard in allen Ländern zu erhöhen sowie die Katastrophe der
Arbeitslosigkeit in der Welt zu verhindern. Wir müssen darauf vorbereitet sein, für die
Sache des Friedens die gleichen heroischen Opfer zu bringen, die wir widerstandslos
für die Sache des Krieges gebracht haben. Es gibt nichts, das wichtiger ist und mir
mehr am Herzen liegt. Was ich sonst mache oder sage, kann die Struktur des
Universums nicht ändern. Aber vielleicht kann meine Stimme der größten Sache
dienen: Eintracht unter den Menschen und Frieden auf Erden."
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
47
Die Global Marshall Plan Initiative
Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit sind gegenwärtig vor allem durch eine
extreme wirtschaftliche Ungleichheit gefährdet. 50 Prozent der Weltbevölkerung
müssen von weniger als 2 Euro pro Tag auskommen, 26.000 Menschen sterben
täglich an Hunger und Mangel an sauberem Wasser. Die reichsten 20 Prozent der
Staaten – das sind die Industriestaaten - besitzen über 85 Prozent des
Welteinkommens Erschwerend kommt das rasche Wachstum der Weltbevölkerung in
Richtung der 10-Milliarden-Grenze hinzu sowie das Hineinwachsen hundert Millionen
weiterer Menschen in die ressourcenintensiven Lebensstile der großen
Wirtschaftsnationen. Die Konsequenzen dieser Entwicklung werden die ökologischen
Systeme überfordern und zu politischen Spannungen bis hin zu Terror und Krieg
führen.
Solche Einsichten sind nicht neu, dennoch wurde bislang kaum etwas unternommen,
um die Weltordnung in eine friedenserhaltende und zukunftsfähige Richtung zu
steuern. Schon vor gut zehn Jahren hat Klaus-Michael Meyer-Abich hat die Absurdität
der ökonomisch-ökologische Lage der Welt durch folgenden folgendem Dreisatz
gekennzeichnet: „Wir wissen, dass es so nicht weiter gehen kann – wir wissen, was zu
tun ist – und doch geschieht nichts.“ Dies mag vielfältige Ursachen haben. Ein
wesentlicher Faktor dabei ist die Tatsache, dass sich das weltweite Wirtschaftssystem
als
Konsequenz
der
wirtschaftlichen
Globalisierung
von
nationalen
Rahmenbedingungen ablöst und der Primat der Politik verloren geht, insofern die
politischen Kernstrukturen nach wie vor national oder kontinental, aber nicht global
sind.
In dieser Situation ist die Zivilgesellschaft gefordert. So hat sich am 16. Mai 2003 in
Frankfurt eine Gruppe von Nicht-Regierungs-Organisationen zu einer Initiative für
einen Global Marshall Plan zusammengeschlossen. Zu denen, die diese Initiative
unterstützen, gehören beispielsweise der Club of Rome, der Club of Budapest, die
Stiftung Weltethos, der BUND. Ziel der Allianz ist es, weltweit Zivilgesellschaft,
Wirtschaft und Politik für eine neue Ära der Zusammenarbeit zu gewinnen, um die
Globalisierung sozial gerechter und ökologisch vertretbar zu gestalten.
Die Initiative möchte dabei an den Erfolg des Marshall Plans der USA für Europa nach
dem 2. Weltkrieg anknüpfen: George Marshall, Ökonomieprofessor der Universität
Harvard, hatte 1947 einen Entwicklungshilfeplan für das vom Krieg zerstörte Europa
aus der Taufe gehoben. Fast 12 Milliarden Dollar stellten die amerikanischen
Steuerzahler zwischen 1948 und 1952 zur Verfügung, um den Aufbau einer
friedlichen,
stabilen,
demokratischen
und
wirtschaftlich
prosperierenden
Völkergemeinschaft auf dem alten Kontinent zu garantieren. Was damals in Europa
erfolgreich war, könnte nach Überzeugung der Gründer der Global Marshall Plan
Initiative gegenwärtig als Modell dienen, den drohenden globalen Problemen zu
begegnen.
Die Überlegungen sind inspiriert durch Al Gores „Marshall Plan für die Erde“ 1, Michael
Gorbatschows „Manifest für die Erde“2, Hans Küngs „Projekt Weltethos“3 und das von
Kofi Annan initiierte Dokument „Brücken in die Zukunft“4 sowie schließlich durch die
„Erdcharta“5. Aufbauend auf diesen Ideen und Vorschläge wurde im Sommer 2003 die
MITTEILUNGEN 45/2005
48
„Stuttgarter Erklärung“6 für eine Global Marshall Plan Initiative erarbeitet. Sie fand die
Unterstützung von über hundert prominenten Persönlichkeiten wie Ernst Ulrich von
Weizsäcker, Johan Galtung, Vittorio Hösle, Hans-Peter Dürr, Jakob von Uexküll u.a.
2004 legte der Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef
Radermacher in Zusammenarbeit in einem Bericht an die Global Marshall Plan
Initiative einen
(Abb. Einstein)
"Was ein Mensch für seine Gemeinschaft wert ist, hängt in erster Linie davon ab,
inwieweit sein Fühlen, Denken und Handeln auf die Förderung des Daseins anderer
Menschen gerichtet ist."
„Was können wir dazu beitragen, das Dasein der Menschen auf dieser
kleingewordenen Erde zu sichern und erträglich zu machen?
umfassenden
Plan
in
Bezug auf das institutionelle
Finanzierungsinstrumente sowie die Umsetzungsmethodik vor7.
Design,
die
Langfristig strebt die Initiative an, die Regierungen aller Weltregionen, die Vereinten
Nationen und internationale Organisationen für einen Planetary Contract für eine
ökosoziale Marktwirtschaft zu gewinnen, in der Ökonomie, Soziales und Ökologie ein
strategisches Dreieck bilden8. Es geht darum, wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern,
ohne den sozialen Frieden und die Natur zu gefährden. Wirklicher Friede, so die
Überzeugung der Initiatoren, nur auf der Basis wirtschaftlicher Entwicklung, sozialer
Gerechtigkeit und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, gedeihen.
In einem ersten Schritt gilt es, die Umsetzung der Millennium Developement Goals zu
erreichen, auf die sich vor fünf Jahren beim Milleniumsgipfel der Vereinten Nationen
150 Staatsoberhäupter geeinigt haben. Bis zum Jahre 2015 soll die Anzahl jener
Milliarde Menschen, die hungern oder keinen Zugang zu sauberem wasser haben,
halbiert werden. Weiterhin ist angestrebt, die Kindersterblichkeit um ein Drittel zu
senken und allen Kindern den Besuch der Grundschule zu ermöglichen.
Zur Finanzierung dieser Maßnahmen bedarf es über die bisher weltweit
ausgegebenen 56 Milliarden Dollar für Entwicklungshilfe zusätzlicher 50 Milliarden
Dollar pro Jahr (zum Vergleich: zur Finanzierung des Krieges in Afghanistan und Irak
gaben die USA 2003 allein 87,5 Milliarden Dollar aus). Die erforderlichen Mittel sollen
durch eine hochkomplizierte Mechanik des internationalen Finanzsystems
(Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds, Tobin-Abgabe auf
globale Finanztransaktionen, Terra-Abgabe auf den Welthandel) aufgebracht werden.
Die daraus entstehenden Wachstumsimpulse würden rund um den Globus die
Grundlage für Wohlstand und Frieden bilden. Nach Untersuchungen von Franz Josef
Radermacher könnte das Weltbruttosozialprodukt in 50 bis 100 Jahren verzehnfacht
und gleichzeitig eine soziale Balance erreicht werden, wie sie heute beispielsweise in
Europa vorliegt. Die Bruttoinlandsprodukte der Industrieländer würden sich dabei um
das 4fache, die der ärmeren Länder um den Faktor 34 erhöhen.
Dass ein solcher Plan gelingt, hängt nicht allein von einigen Entscheidern in Politik
und Wirtschaft ab. Ein grundlegender Wandel kann nicht „von oben“, sondern muss
„von unten“ kommen. Dazu bedarf es der Entwicklung eines allgemeinen
Bewusstseins für die gegenwärtigen Weltprobleme. Ervin Laszlo, der Gründer des
Clubs of Budapest, hat darauf aufmerksam gemacht, dass das menschliche
Bewusstsein ein Schlüsselfaktor für den Weg unserer Handlungen und die
Entscheidungen über unsere Zukunft ist.9 Daher kommt es darauf an, die Probleme
unseres Heimatplaneten ins Bewusstsein möglichst vieler Menschen zu bringen,
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
49
gleichsam ein planetarisches Bewusstsein zu entwickeln.
Hier stehen natürlich die Lehrer und Erzieher in einer besonderen Verantwortung, an
einer solchen Bewusstseinsbildung mitzuwirken. Insbesondere sind auch wir
Philosophielehrer/innen gefordert. Friede, soziale Gerechtigkeit, Verantwortung
gegenüber der Natur sind genuine Themen des Philosophie- und Ethikunterrichts.
Material dazu kann man den folgenden Literaturangaben entnehmen. Anregungen
finden sich aber auch unter den unten genannten Internetadressen.
1
Gore, Al: Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde, Frankfurt/M. 1992
Gorbatschow, Michail: Mein Manifest für die Erde. Jetzt handeln für Frieden, globale
Gerechtigkeit und eine ökologische Zukunft. Frankfurt/M. 2003
3
Küng, Hans: Projekt Weltethos, 2. Aufl., München 1993.
4
Annan, Kofi (Hrsg.): Brücken in die Zukunft. Ein Manifest für den Dialog der
Kulturen. Frankfurt/M. 2001
5
The Earth Charter Initiative (Hrsg.): The Earth Charter. Costa Rica 2000
http://www.earthcharter.org
6
abgedruckt in: Möller, Uwe u.a.: Global Marshall Plan. Mit einem Planetary Contract
für eine Ökosoziale Marktwirtschaft weltweit Frieden, Freiheit und nachhaltigen
Wohlstand ermöglichen. Stuttgart 2004
7
Radermacher, Franz Josef: Global Marshall Plan – A Planetary Contract, Hamburg
2004
8
Riegler, Josef; Moser, Anton: Ökosoziale Marktwirtschaft, Graz und Stuttgart 1996;
Radermacher, Franz Josef: Balance oder Zerstörung. Ökosoziale Marktwirtschaft als
Schlüssel zu einer weltweit nachhaltigen Entwicklung, Wien 2002
9
Ervin Laszlo: can change the world. Gemeinsam eine bessere Welt schaffen. Report
des Club of Budapest, Stuttgart 2002
2
Informationen im Internet:
www.globalmarshallplan.org
www.philosophers-today.com/whats-going-on/krieg-frieden.html
www.gmpanschulen.org - www.gmpeducation.de
Die Wahl unserer Zukunft:
Zusammenbruch oder Durchbruch?
Die Startbedingungen






[…] wachsender Bevölkerungsdruck: Jedes Jahr kommen 70 Millionen
Erdenbewohner hinzu, 97 Prozent davon in den armen Ländern.
zunehmende Armut: 2,8 Milliarden Menschen leben von täglich weniger als zwei
US-Dollar, mehr als eine Milliarde davon unterhalb des Existenzminimums.
sich erweiternde Kluft zwischen reichen und armen Menschen sowie zwischen
reichen und armen Ökonomien: 80 Prozent der Weltbevölkerung verbraucht 14
Prozent der Güter und Dienstleistungen, während die oberen 20 Prozent 86 Prozent verbrauchen.
wachsende Drohung eines sozialen Zusammenbruchs und eines Aufblühens
blinder Gewalt in reichen wie armen Ländern […]
Nahrungs- bzw. Wasserknappheit, zum Beispiel in Afrika südlich der Sahara,
China, Südasien, Mittelamerika
zunehmender Klimawandel (extreme Hitze- und Kältewellen, gewaltige Stürme,
MITTEILUNGEN 45/2005
50


verändertes Niederschlagsverhalten)
zunehmende industrielle, städtische und landwirtschaftliche Verschmutzung:
veränderte chemische Zusammensetzung der Erdatmosphäre, Verarmung der
landwirtschaftlichen
Nutzflächen,
Senkung
und
Vergiftung
des
Grundwasserspiegels
Ansteigen des Meerwasserspiegels: Verlust von niedrig gelegenen Küsten- und
Flusslandschaften in Südasien, Überflutung von Inselstaaten im Pazifik und
Bedrohung von Küstenstädten in aller Welt
Szenarien eines Zusammenbruchs
 häufigerer Ernteverlust aufgrund der Wetterveränderungen
 Hunger und sanitäre Probleme lassen HIV/AIDS und andere Epidemien wachsen
 Kriege um den Zugang zu frischem Wasser und zu Hauptnahrungsmitteln in Asien,
Afrika und Lateinamerika
 Millionen von Klimaflüchtlingen aus überfluteten Küstenstädten und tief gelegenen
Regionen
 große Menschenströme von verarmten Migranten auf dem Weg nach Nordamerika
und Europa […]
 zunehmende Unsicherheit und Gewalt infolge von individuellem wie organisiertem
Terrorismus
 Ausweitung von internationalen und interkulturellen Konflikten zu lokalen und
regionalen Kriegen […]
 Einsatz von Nuklear-, chemischen und biologischen Waffen […]
Szenarien eines Durchbruchs

Bevölkerungsdruck, Armut, Fanatismus und die unterschiedlichen ökologischen
Bedrohungen und Katastrophen lösen positive Veränderungen in der Denkweise
der Menschen aus, ähnlich wie in England und Russland während des Zweiten
Weltkrieges und in Amerika in der Nachwirkung des 11. September die Menschen
zusammenstanden, um der Bedrohung gemeinsam zu begegnen.
 Nichtregierungsorganisationen vernetzen sich durch das Internet und entwickeln
gemeinsame Strategien zur Wiederbelebung dezentraler Wirtschafts- und
Sozialstrukturen und fördern eine sozial und ökologisch verantwortungsvolle
Politik in den Kommunen und Nationen sowie in den Unternehmen. Ein
Weltzukunftsrat der Nichtregierungsorganisationen wird etabliert und gleichzeitig
ein E-Parlament, das alle Parlamentarier der Welt miteinander verbindet für
Debatten über die besten Wege zur Umsetzung gemeinsamer Interessen.
 Ein neues Denken führt zu verstärkter Unterstützung von Regierungsinitiativen
und Unternehmensstrategien, die sich eine höhere soziale und ökologische
Verantwortlichkeit zum Ziel gesetzt haben.
 Das neue Denken ermutigt ferner Regierungen und Unternehmen zur Erforschung
von Wegen und Mitteln einer fairen Kooperation mit nicht-westlichen und
traditionellen Kulturen auf der Basis echter Wechselseitigkeit. […]
(Ervin Laszlo: You can change the world, Horizonte Verlag, Stuttgart 2002, S. 28-30)
Global Marshall Plan
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
51
Stuttgarter Erklärung vom 11. Oktober 2003
Mit einem Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft
eine neue Art von Wirtschaftswunder ermöglichen
Nach dem zweiten Weltkrieg entschieden sich die Vereinigten Staaten von Amerika zu
einem historischen Schritt: Die USA erhöhte ihren Etat für wirtschaftliche
Unterstützungsmaßnahmen anderer Länder auf die Rekordhöhe von 1,3 Prozent ihres
Bruttosozialprodukts (zum Vergleich heute: 0,1 Prozent). Sie finanzierte damit den so
genannten Marshallplan für das kriegszerstörte und ausgezehrte Europa. Der
Marshallplan trug entscheidend zum europäischen Wirtschaftswunder bei, zu einer sehr
erfolgreichen inneren wie äußeren Befriedung und zu einem erfolgreichen breiten
Wohlstandsanstieg.
Heute sind Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit vor allem durch eine extreme
wirtschaftliche Ungleichheit gefährdet. 50 Prozent der Weltbevölkerung müssen von
weniger als 2 Euro pro Tag auskommen, 26.000 Menschen sterben täglich an Hunger
und Mangel an sauberem Wasser. Auch die noch immer wachsenden globalen
Umweltprobleme lassen sich nicht lösen ohne eine Perspektive für alle auf eine
bessere Welt.
Unser Aufruf gilt heute vor allem Europa, sich an die Spitze einer weltweiten
Bewegung für einen Global Marshall Plan zu setzen. Ein Global Marshall Plan kann

erstens das solideste Fundament für einen neuen, nachhaltigen weltweiten
Wirtschaftsaufschwung sein, denn im Aufholen der bisher wenig entwickelten
Länder steckt ein enormes weltweites Wirtschaftswachstumspotential, von
dem gerade auch entscheidende neue Nachfrageimpulse für Exportländer
ausgehen würden. Ein Global Marshall Plan kann
 zweitens ein besonders intelligenter und effizienter Weg zu einer weltweit
sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung sein: Das Beispiel der EUErweiterung zeigt, welcher ökologische, soziale, demokratische und
friedensstiftende Kreislauf in Gang gesetzt werden kann, wenn
wirtschaftsfördernde Co-Finanzierung an die Erhöhung von ökologischen,
sozialen und demokratischen Standards in den Nehmerländern gebunden
wird.
Das erfolgreiche Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft, das nicht umsonst in nahezu
jedem Programm jeder konservativen, sozialdemokratischen, liberalen oder grünen
Partei in Europa wiederzufinden ist, ist ein glaubwürdiges Konzept und könnte als
Vorbild für die Rahmenbedingungen eines neuen globalen Miteinanders dienen. Eine
europäische Initiative für einen Global Marshall Plan zur weltweiten Förderung dieses
Erfolgsmodells wäre zweifelsohne ein historischer Schritt, der das Ansehen und den
Erfolg Europas auf Jahrzehnte hinaus sichern kann.
Wir fordern daher die Einrichtung eines Beratungsgremiums der Europäischen Union
zur Entwicklung eines ökosozialen Global Marshall Plans.
Die Inhalte eines solchen Global Marshall Plans sollen schrittweise und unter starker
Einbeziehung aller Bereiche der Gesellschaft von Politik und Wirtschaft über
Wissenschaft und Kultur bis zur Zivilgesellschaft entwickelt werden, besonders wichtig
erscheinen uns dabei beispielsweise


die Vereinbarung global verbindlicher Normen für den Schutz der natürlichen
Lebensgrundlagen,
die besondere Prüfung bester ökologischer und sozialer Projekte in der Welt
MITTEILUNGEN 45/2005
52



gemeinsam mit den Nicht-Regierungs-Organisationen der globalen Zivilgesellschaft auf Möglichkeiten zu einer massiven Effizienzsteigerung in der
Förderung ökologischen und sozialen Wandels,
die Verwirklichung fairer Wettbewerbsbedingungen für die weniger
entwickelten Länder im Rahmen der WTO-Verhandlungen,
die besondere Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen und
Akteuren im Rahmen dieses Global Marshall Plans sowohl in den Industriewie in den geförderten Ländern,
die
Nutzung
des
Angebots
der
diese
Initiative
tragenden
Nichtregierungsorganisationen, einen solchen Global Marshall Plan mit ihrem
Potential zu unterstützen.
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
53
Tagungsberichte
Zwischen Hirnforschung und Philosophie – Anthropologie heute
Eine Tagung der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung
an Schulen Standort Calw 4. bis 6. Oktober 2004
Der Fachverband Philosophie hatte bei der letzten Sitzung des Bundesvorstandes
beschlossen, regionale Tagungen zum Thema Standards des Philosophieunterrichts
zu veranstalten. Die Überlegungen im Fachverband gehen dahin, dass wir sehr
interessiert sind an klaren Formulierungen von Kompetenzen und Standards, weil wir
das Fach Philosophie nur so im Fächerkanon halten können. Leider gibt es ja in
Deutschland eine fatale Tendenz, die Oberstufenreformen zurück zu fahren und zu
einem Klassensystem mit zwei Grundprofilen zurück zu kehren. Nicht etwa, weil die
Fachleute, das für lerntheoretisch begründet halten – das Gegenteil ist der Fall -,
sondern, weil es die billigste Lösung ist, Schule zu machen. (Überall im europäischen
Ausland geht man den umgekehrten Weg, wenn man eine frühe Spezialisierung und
Vertiefung im Bereich der individuellen Fähigkeiten zulässt.) Für manche
Bundesländer führt dies zu einem immensen Verlust für das Fach Philosophie, weil die
Möglichkeit Leistungskurse oder zumindest dreistündige Grundkurse einzurichten,
damit abgeschafft wird. Es muss also im Interesse des Faches deutlich gemacht
werden, welche Rolle der Philosophie im Fächerspektrum zukommt und zu zeigen,
welche Bedeutung dem Unterrichtsfach Philosophie bei der Entwicklung von
Grundkompetenzen zukommt.
In diesem Sinne traf es sich gut, dass die Landesvorsitzende in Baden-Württemberg –
Dr. Eva Hirtler - für den Herbst bereits eine Tagung in Calw geplant hatte.
Dieser Ort ist für mich verbunden mit Erzählungen von nächtlichen philosophischen
Debatten in Calwer Weinstuben und von alten Freundschaften philosophierender
Kollegen aus Baden Württemberg, die hier gepflegt und immer wieder erneuert
wurden. Das gepflegte Haus bietet denn auch ausgezeichnete Voraussetzungen für
eine gelungene Tagung.
Den Anfang machten Barbara Stewens und Dr. Werner Schiffer, die die Standards für
das Fach Philosophie in Baden-Württemberg entwickelt haben. Gelungen ist hier die
klare Abgrenzung von Leitgedanken, Kompetenzen, Inhalten und einer gut nutzbaren
Beschreibung von erreichbaren Niveaus. Diese Standards beschreiben einen
problemorientierten Unterricht, der die Schüler vor allem zum Selbstdenken und zur
kritischen Rezeption der philosophischen Tradition auffordert. Sie enthalten genug
Offenheit, dass der einzelne Lehrer durchaus lerngruppenorientiert arbeiten kann, und
sie stiften gleichzeitig ein hohes Maß an Verbindlichkeit, um die Vergleichbarkeit der
Bildungsabschlüsse zu gewährleisten.
Die anschließenden Vorträge und Workshops boten den Teilnehmern ein spannendes
Spektrum zeitgenössischer philosophischer Fragen. Sie wurde eingeleitet mit dem
Vortrag eines Physikers – Dr. Michael Decker vom Karlsruher Institut für Folgenabschätzung und Systemanalyse - zur Nano-Technologie. Für den Philosophielehrer
spannend war, neben den technischen Details, einmal mehr zu sehen, dass häufig die
Ethik weit hinter der Möglichkeiten der Technologie hinterher hinkt, wie wir es ja auch
im Bereich der Gentechnologie immer wieder beobachten können. Der Workshop von
MITTEILUNGEN 45/2005
54
Eva Hirtler hatte das Thema „Heilbehandlung oder Anthropotechnik? Medizin und der
Traum vom vollkommenen Menschen“. Hier wurden Unterrichtsmaterialien vorgestellt,
ausgetauscht und diskutiert. Nach dem obligatorischen Wein am Abend ging es am
nächsten Tag weiter mit einem Vortrag von Dr. Herbert Rommel zum Thema „Der
Freie Wille des Menschen – Illusion oder Faktum“, der zum Teil heftige Kontroversen
auslöste, weil es für den Philosophen schlichtweg unmöglich scheint, den
Hirnforschern in ihrem Verdikt zu folgen, die Willensfreiheit sei eine Illusion. Die
folgenden Workshops gaben interessante Anregungen für den Unterricht oder die
Arbeit mit Kindern. So der Beitrag von Dr.Mechthild Ralla „Philosophieren mit Kindern
am Beispiel „Tod““, mein Beitrag „Bioethische Urteilsbildung“ sowie am dritten Tag
der Workshop von Irene Neuendorf „Franz von Moor begegnet Dr. Emmenberger. IchWahrnehmung und Weltwahrnehmung“. Fächerübergreifende Annäherung aus
Bildender Kunst und Deutsch zu einem philosophischen Thema.
Die gelungene Tagung hat mir in Gesprächen leider auch deutlich gemacht, dass das
Fach Philosophie in Baden-Württemberg eine Art exotischer Randexistenz führt, was
den Vorteil hat, dass die Reglementierungen gering sind. Gleichzeitig muss ich aber
aus meiner Hamburger Sicht bedauern, dass die Philosophie die ihr zustehende
zentrale Rolle beim Vernunfterwerb und als Orientierungswissenschaft hier bereits zu
Gunsten eines mehr anwendungsorientierten Faches Ethik verloren hat. (Auch wenn
der Ethik-Lehrplan in Baden –Württemberg viele philosophische Bezüge aufweist.) In
Hamburg soll in drei Jahren die Oberstufenreform abgeschafft werden und das auf
Kosten vieler Fächer, die nicht dem vorgegebenen Hauptfächerkanon entsprechen.
Auch hier ist deutlich, dass dies einzig aus Gründen der Kostenersparnis stattfindet.
Ich persönlich bedaure, dass sich der Geist zunehmend aus unseren Kulturbürokratien
zu Gunsten eines rein ökonomischen Denkens verabschiedet. Das ist sicher langfristig
zu kurz gedacht!
Martina Dege
Philosophie ist lehrbar
Eine Tagung zu Standards des Philosophieunterrichts.
Die politische Forderung dieser Tage heißt Standardisierung von allgemeinen
Schulabschlüssen. Deshalb hat der Vorstand des Fachverbands Philosophie
beschlossen Regionaltagungen zu diesem Thema abzuhalten. Den Auftakt machte
eine Tagung in Calw in Baden Württemberg und Hamburg folgte mit einer
Norddeutschlandtagung. Angesprochen waren Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein
und Niedersachsen. 100 Lehrerinnen, Lehrer, Lehramtsstudenten und
Universitätskollegen kamen, um sich an zwei Tagen in Workshops und Fachvorträgen
zu über Standards des Philosophieunterrichts auszutauschen.Alle, die täglich mit der
Lehre des Faches Philosophie beschäftigt sind, neigen vermutlich eher zu der Frage
„Ist Philosophie lehrbar?“ als zu der lapidaren Feststellung, dass es so sei. Was ist
es denn, was wir lehren können? Wie viele der selbst gesteckten Ziele, ganz zu
schweigen von den Lehrplanzielen, erreichen wir denn? Woran wollen wir messen, ob
wir die Ziele erreicht haben? Ob uns da Standards - Kompetenzen Niveaukonkretisierungen wohl weiter bringen?Das gab es in der Ausbildung der 70ger
Jahre alles schon einmal. Damals hieß das Credo „Operationalisierbarkeit der
Lernziele“. Dafür wurden kleinschrittige Überprüfungskriterien entwickelt und man
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
55
glaubte sich am Ziel der pädagogischen Wünsche. Dann kam die Praxis und die war
ganz anders. Sicher gibt es viel Methodisches zu lernen, zu
(Abb. Einstein) „Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne
Wissenschaft blind.“
wissen und anzuwenden, aber die eigentlichen Momente, in denen plötzlich
philosophiert wird, in denen sich Schüler von einem Text berühren lassen, in denen
sie einen Gedanken entdecken, der ihnen lohnenswert erscheint, das sind andere
Momente. Da treten denkende Menschen miteinander in Beziehung, Texte werden zu
Denkpartnern, zu Freunden, die man wieder aufsucht, und mache werden auch zu
Feinden. Hier waltet häufig ein unplanbarer pädagogischen Eros, diese Beziehungen
herzustellen. Was also heißt – Philosophie ist lehrbar? Wie soll es möglich sein, etwas
ungeheuer Individuelles, nämlich das Denken, zu standardisieren? Gegenwärtig
erleben die Geisteswissenschaften in Deutschland, dass man sie flächendeckend mit
dem Rotstift attackiert, an den Hochschulen, aber auch durch die Rücknahme der
Oberstufenreform in mehreren Bundesländern, wodurch die Philosophie zunehmend
an den Rand gedrängt wird. Es liegt also im Interesse des Fachverbands Philosophie
die Position unseres Faches möglichst zu stärken. Bildungsstandards: So widersinnig
es scheint, diese Standards könnten ein Vehikel der Freiheit sein, wenn, ja wenn es
die Bürokratie zuließe. Wenn wir verbildliche Zielvorstellungen, Kompetenzen,
Niveaufestlegungen und einige inhaltliche Festlegungen – also Standards benennen
könnten - könnte es uns befreien von den kleinschrittigen, inhaltsüberfrachteten
Lehrplänen. Wir könnten selbst bestimmen, auf welchem Wege unsere Schüler die
Standards erreichen. Ich denke, dass das Zentralabitur hier auch hilfreich sein kann,
wenn es – wie der neue Rahmenplan Philosophie in Hamburg es auch tut – wirklich
Kompetenzen abfragt und nicht kanonisierte Inhalte. Freiheit auf dem Weg zu einem
definierten Ziel, wäre ein Gewinn, den ich mir von der Standardisierung verspreche.
Die Tagungsreferenten beleuchteten nun verschiedene Aspekte dieser Fragestellung.
Prof. Dr. Dorothea Frede (Universität Hamburg) beleuchtete in ihrem Vortrag
„Philosophie als Grundlage der Wissenschaften“ die Entwicklung des Faches
Philosophie durch die Jahrtausende. Die „Mutter aller Wissenschaft“, aus der sich erst
über zwei Jahrtausende nach und nach Einzeldisziplinen herauslösten, erstand vor
unserem geistigen Auge und es wurde die prinzipiell grundlegende Bedeutung des
Faches vor- und die Forderung aufgestellt, die philosophische Bildung zu stärken.
Frau Frede konnte auch aus ihrer reichen amerikanischen Erfahrung berichten, wo die
Philosophie durchaus einen sehr hohen Stellenwert in der universitären Bildung
habe.Prof. Dr. Ekkehard Martens (Universität Hamburg) hielt uns mit dem Titel
„Philosophieren als elementare Kulturtechnik“ einen Vortrag über die Lehrbarkeit der
Philosophie. Ausgehend von seiner „Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts“
arbeitete er die unterschiedlichen methodischen Schritte deutlich heraus und ergänzte
sie durch einen „Philosophischen Werkzeugkasten“ und eine „Schatztruhe“. Es war
ein pragmatischer Zugang zur Lehrbarkeit, die zum Teil aus der amerikanischen
Philosophiedidaktik befruchtet wurde, und es war ein Plädoyer für die Lehrbarkeit der
Philosophie sowie für die Notwendigkeit diese Kompetenzen an Lernende weiter zu
geben, weil es grundsätzliche Denkkompetenzen sind. Hermeneutisches,
phänomenologisches, analytisches und spekulatives Philosophieren wurden uns in
ihrer jeweiligen Methodik umrissen. Die detaillierte Ausarbeitung der Schatztruhe und
MITTEILUNGEN 45/2005
56
des Werkzeugkastens erwarten wir mit Ungeduld.
Aus Bayreuth kam Prof. Dr. Lutz Koch nach Hamburg, um über die Frage zu
philosophieren, ob man standardisiert Philosophieren könne. Er führte uns mit Kant,
Hegel, Platon und Aristoteles durch eine philosophische Reflexion, die sich schließlich
von Standards entfernte um am Ende doch bei einem kleinen Kanon zu landen. Es sei
wohl kaum denkbar philosophieren zu lernen ohne Platon und Kant. Hierauf folgte
eine äußerst lebhafte Debatte. Gerade der Begriff Kanon wird ja gern ideologisch
diskutiert Von daher war es sehr bedauerlich, dass das Diskussionsforum „Kanon“
wegen der Krankheit des Referenten abgesagt werden musste.
Prof. Dr. Heiner Hastedt (Universität Rostock) berichtete von der Umstellung auf
Bachelor-Studiengänge an der Universität Rostock. Im Vergleich mit
Studienbedingungen in England wurde die neue Situation vorgestellt. Es wurde
diskutiert, welche „Module“ der Philosophie grundlegend sind und wie solche
Studiengänge aufzubauen sind. Es war für die ältere Lehrergeneration sehr
interessant Informationen über die gegenwärtige Hochschuldebatte zu erlangen, denn
wir müssen ja unsere Schüler beraten und sinnvoll auf ihre weitere Ausbildung
vorbereiten.
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass andere
Hochschulen ganz ähnliche Wege gehen und ähnliche Probleme sehen, es wurde
aber auch deutlich, dass von Standardisierung der Bachelor-Studiengänge bisher
keine Rede sein kann. Der Deutsche Kulturfleckerlteppich wird eher noch bunter als
bisher schon. Um hier Abhilfe zu schaffen planen die Hochschulen verstärkt über
Eingangsprüfungen ein zu setzen, weil die Abschlüsse bisher eben nicht auf
einheitlichen Standards basieren.
Aus dem vermutlich gegenwärtig brisantesten Anwendungsfeld der Philosophie
berichtete Prof. Dr. Volker Gerhardt (Humboldt-Universität zu Berlin) in seinem Vortrag
„Ethik in Kommissionen“. Als Mitglied des Nationalen Ethikrats steht er mitten in einer
heißumkämpften Debatte. Seine philosophische Reflexion bewegte sich im
Spannungsfeld von individueller Moralität und gesellschaftlich zu verantwortender
Ethik. Hier wurde klar, dass die begründete philosophische Argumentation gegen die
Kompromisse der Politik wenig ausrichten kann. Es wurde aber auch deutlich, dass
das individuelle Engagement davon nicht zu erschüttern ist und mit guten Gründen
auch philosophisch verteidigt wird.
Die Workshops boten den angereisten sowie den Hamburger Lehrerinnen und
Lehrern ein Forum, um über ihre Praxis zu diskutieren. Ein Vortrag über den Stand der
Standardisierung der Lernziele in der KMK des Fachreferenten Philosophie der
Hamburger Behörde für Bildung Dr. Christian Gefert brachte uns auf den neusten
Stand der bundesweiten Debatte. Der Workshop von Dr. Markus Tiedemann
„Methodische Auflagen des neuen Rahmenplans: Konkretisierung am Beispiel Platon
„Apologie“ und „Höhlengleichnis“ wurde zu einem Diskussionforum für Hamburger
Lehrer, die den neuen Rahmenplan kontrovers diskutierten und es auch schätzten,
sich einmal wieder über ihr Verständnis von Philosophieunterricht aus zu tauschen.
Mein Workshop „Bioethische Urteilsbildung“ führte zu einer Kontroverse über die
Frage, ob sich nicht bioethische Handlungsnormen formulieren ließen. Mein Ansatz
einer im Individuum wurzelnden Moralität sei doch zumindest riskant. Darin konnte ich
nur zustimmen, sehe aber keine Lösung des Problems. Philosophieren ist riskant.
Insgesamt war es eine gelungene Tagung. Die dank der gepflegten Räume an der
Universität, die Ekkehard Martens uns besorgen konnte, einen angenehmen Rahmen
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
57
hatte. (Wenn sie uns nicht am Samstag die Heizung abgestellt hätten.!) Am Abend
kamen vor allem die Auswärtigen noch zu einem gemütlichen Abendessen zusammen
und stärkten das Gefühl, einer sehr kommunikativen Veranstaltung.
Martina Dege
Tagungsankündigungen
(Abb.)
Deutsche Gesellschaft für Philosophie
XX. Deutscher Kongress für Philosophie
Berlin 26.-30. September 2005
Thema: Kreativität
Kreativität, vormals in seiner Relevanz in erster Linie auf den Bereich der Künste, der
Religion und der Psychologie beschränkt, ist zu einem Schlüsselbegriff der modernen
Wissenschaften, der technologischen Forschung, der Wirtschaft und der Medien
aufgestiegen. Kreativität ist verborgenes Grundwort nicht nur hinter Stichwörtern wie
Innovation, Fortschritt, virtuelle Welten, künstliche Intelligenz oder Zukunft der
Wissensgesellschaft. Der Bezug auf kreatives Denken und kreative Problemlösungen
ist ausschlaggebend in Kulturleistungen verschiedenster Art, in Fragen der
Wissenschaftsförderung und der Stärkung von Wissenschafts-, Technologie- und
Industriestandorten. Zugleich sind wir mit dem Phänomen der Kreativität in Alltag,
Natur, Kunst, Wissenschaft, Technik und Gesellschaft bestens vertraut. Sie begegnet
allerorten, in den Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen, im menschlichen
Sprechen, Denken und Handeln, in allen Prozessen der Generierung und Anwendung
von Wissen. Diese herausragende Rolle der Kreativitätsprozesse und der Entstehung
von Neuem in nahezu allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens ist Anlass
und Herausforderung für die Philosophie, die unterschiedlichen Formen, Praktiken und
Dynamiken von Kreativität sowie deren Bedingungen ins Blickfeld zu heben, eine
grundbegriffliche Klärung des Themenfeldes Kreativität vorzunehmen und die
eigentümlichen heuristischen Muster im Blick auf die Hervorbringung und Gestaltung
von Neuem herauszuarbeiten.
SEKTIONEN
Sektion 1: Das Neue in mentalen Prozessen, Zuständen und Phänomenen Kreativität als Thema der Philosophy of Mind
Sektion 2: Kreativität und Logik - Kreativität der Generierung formaler Strukturen
Sektion 3: Utopien - Kreative Entwürfe der Staatsphilosophie
Sektion 4: Prozeßphilosophie - Kreativität als Schlüsselbegriff religionsphilosophischer
Entwürfe
Sektion 5: Verstehen und Erfinden - Die Kreation von Sinn als hermeneutisches
Problem
Sektion 6: Invention und Innovation - Konzeptionen von Kreativität in der
Technikphilosophie
MITTEILUNGEN 45/2005
58
Sektion 7: Der "neue" Mensch - Ethische Probleme der Genforschung und
Biotechnologie
Sektion 8: Virtuelle Welten - Kreativität und Phantasie in Mathematik,
Naturwissenschaften und anderen Künsten
(Abb. Einstein) "Wer den Krieg wirklich abschaffen will, muß mit Entschiedenheit
dafür eintreten, daß der eigene Staat zugunsten internationaler Institutionen auf
einen Teil seiner Souveränität verzichtet; er muß bereit sein, den eigenen Staat im
Falle irgendeines Konfliktes dem Schiedsspruch eines internationalen Gerichtes zu
unterwerfen."
Sektion 9: "Creatio ex nihilo" und "Creatio continua" - Der Schöpfungsgedanke in der
Philosophie des Mittelalters
Sektion 10: Funktionen und Dimensionen der Einbildungskraft - Zur Entwicklung eines
transzendentalphilosophischen Grundbegriffs
Sektion 11: Kreativität und Kultur - Der Kreativitätsgedanke im interkulturellen
Vergleich
Sektion 12: Kreativität im Denken Albert Einsteins [Kooperation mit BMBF und MPG
im Rahmen des Einstein-Jahres]
Sektion 13: Das kreative Gehirn - Kreativität als Problem der Hirnforschung
Sektion 14: Kreative Universen - Das Neue in Naturphilosophie und Kosmologie
Sektion 15: Kreatives Handeln - Freiheit, Determinismus und Kreativität als Probleme
der Handlungstheorie
Sektion 16: Entelechia, Emanation, Dynamis - Kreativitätsbegriffe in Antike und
Spätantike
Sektion 17: Kreativer Sprach- und Zeichengebrauch - Metapher, Fiktion und Ironie
Sektion 18: Kreativität in Bildern - Organisationskraft bildlicher Strukturen
Sektion 19: Können Computer kreativ sein? - Möglichkeiten und Grenzen des
Computermodells des Geistes
Sektion 20: Selbstorganisation und Kreativität - Paradigma gegenwärtiger
Naturwissenschaften?
Sektion 21: Das Neue und die Institutionen - Kreativität und Organisation des Wissens
Sektion 22: Klugheit und Kreativität - Klugheit als kreative Reaktion auf ethische
Problemsituationen
Sektion 23: Perzeption und Gestalt - Kreative Elemente in Wahrnehmungsprozessen
Sektion 24: Kreativität und Ökonomie - Wirtschaftliches Handeln und menschliche
Kreativität
Sektion 25: Kreativität und Kunst - Kunst als Paradigma von Kreativität?
Sektion 26: Kreativität und feministische Philosophie - Differenz bei der Entwicklung
des Neuen?
Sektion 27: Philosophie und Ethik in der Schule - Förderung philosophischer
Kreativität im Unterricht
Sektion 28: Philosophische Editionen
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
59
Weitere Informationen: http://dgphil.de
Vorankündigung: International Whitehead Conference
The Importance of Process – System and Adventure
Universität Salzburg, 3. - 6. Juli 2006
Universität Hamburg - Philosophisches Seminar
(Dr. Burkhard Reis)
Institut für Didaktik der Sprachen/Philosophiedidaktik
(Prof. Dr. Ekkehard Martens)
Zwischen PISA und Athen –
Antike Philosophie im Schulunterricht
16./17.9.2005, Warburg-Haus Hamburg, Heilwigstraße 116
Ausgelöst durch die Ergebnisse der PISA-Studie und die Einführung des achtstufigen
Gymnasiums mit Zentralabitur ist vielerorts eine neue Debatte über gymnasiale
Bildung entbrannt. Lehrpläne werden mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit ihrer Inhalte
entrümpelt und revidiert. Fächer wie Philosophie und Ethik, aber ebenso die Alten
Sprachen müssen von neuem ihre Nützlichkeit unter Beweis stellen. Der Zwang zu
größerer curricularer Verbindlichkeit und Standardisierung bietet aber auch die
Chance für eine schärfere Profilierung gegenüber anderen Fächern, etwa durch die
Besinnung auf die eigene Tradition. Dabei kommt den Texten und dem Gedankengut
der griechisch-römischen Antike aus verschiedenen Gründen eine besondere
Bedeutung zu:
1. In den philosophischen Texten der Antike kommen häufig zum ersten Mal in der
Geschichte philosophische Probleme zur Sprache, die – wenn auch meist in veränderter Form – selbst nach zweieinhalb Jahrtausenden aktuell sind. Unter den in der Antike
vertretenen philosophischen Positionen lassen sich z.B. die Prototypen zahlreicher
ontologischer und erkenntnistheoretischer Ismen finden, die auch heute noch die
Debatten beherrschen (z.B. Idealismus, Materialismus, Realismus, Relativismus,
Skeptizismus).
2. Der Tatsache, dass jene Fragen zum ersten Mal gestellt werden, verdanken die antiken Texte einerseits eine besondere Frische in der Argumentation, die den häufig mit
Fachausdrücken überladenen Dokumenten späterer Epochen abgeht, und andererseits eine Aura existenzieller Betroffenheit in Bezug auf die sprachliche und literarische Gestaltung (z.B. Fragmente der Vorsokratiker, der Tod des Sokrates bei Platon).
3. Die Methoden und die Inhalte des antiken Philosophierens stehen bei allen Gemeinsamkeiten oftmals in einem aufschlussreichen Gegensatz zum Philosophieren in
der Neuzeit. Indem sie sich als historische, aber konkrete Alternative zu Letzterem
präsentieren, bieten sie bisweilen überraschende Perspektiven auf die Aporien und
Krisen des gegenwärtigen Denkens und liefern Ideen zu deren Überwindung (z.B.
Tugendethik vs. Prinzipienethik).
4. Antike Philosophie stellt als der historische Anfang der westlichen Rationalität –
nicht zuletzt auch in den Naturwissenschaften – ein Kulturen übergreifendes Erbe der
Menschheit dar. Ihre intensive und kreative Rezeption durch die mittelalterlichen Theologen aller drei großen monotheistischen Weltreligionen könnte sich in den Zeiten
MITTEILUNGEN 45/2005
60
erneuerter religiöser Konflikte als Gemeinsamkeit erweisen, deren pädagogisches
Potenzial bislang noch gar nicht ausgeschöpft wurde.
Ohne den modernen Philosophie/Ethik-Unterricht historisieren bzw. den
altsprachlichen Unterricht mit Philosophie überfrachten zu wollen, möchte die Tagung
erkunden, welche besonderen Chancen eine zeitgemäße Beschäftigung mit antiker
Philosophie im Schulunterricht für das Erreichen fachspezifischer und allgemeiner
Lernziele eröffnet.
Ziel der Tagung ist es, (a) im Rahmen einer Bestandsaufnahme Umfang, Intensität
und Methodik, mit denen antike Philosophie gegenwärtig im Philosophie/Ethik- und im
Altsprachenunterricht schon präsent ist, unter Berücksichtigung von Lehrplänen, Unterrichtswerken und Unterrichtspraxis möglichst präzise zu bestimmen, (b) die Tragfähigkeit der vier angeführten Argumente an ausgewählten Beispielen für die
theoretische und praktische Philosophie fachwissenschaftlich zu untermauern und (c)
aktuelle Konzepte für eine gelungene Vermittlung von antiker Philosophie zur Diskussion zu stellen sowie ggf. Empfehlungen für Unterricht und Lehrplanrevision zu
formulieren.
Die Tagung wird durch Mittel der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung
finanziert und in Kooperation mit der Gesellschaft für antike Philosophie e.V.
(GANPH),
dem
Fachverband Philosophie
e.V.
und
dem
Deutschen
Altphilologenverband e.V. (DAV) durchgeführt.
Vorläufiges Programm
Freitag, 16.9.2005 (9.00-18.00 Uhr)
Bestandsaufnahme
– Dieter Belde, OStR (Universität Hamburg), Antike Philosophie im gegenwärtigen
Unterricht in den Alten Sprachen
– Dr. Bernd Rolf, StD (Universität Essen), Platon, Aristoteles & Co – Welche Rolle
spielen sie heute noch im Philosophie- und Ethikunterricht?
– Prof. Dr. Ekkehard Martens (Universität Hamburg), Sokrates im Schulunterricht
Fachwissenschaftliche Begründung I: Theoretische Philosophie
– Prof. Dr. Arbogast Schmitt (Universität Marburg), Platonismus und Empirismus. Ein
kritischer Durchgang durch eine die europäische Geistesgeschichte bestimmende
Kontroverse
– Prof. Dr. Dorothea Frede (Universität Hamburg), Wie begründet man Wissenschaft?
Über Sinn und Nutzen der Prinzipienforschung bei Aristoteles
Samstag, 17.9.2005 (9.00-18.00 Uhr)
Fachwissenschaftliche Begründung II: Praktische Philosophie
– Prof. Dr. Christoph Horn (Universität Bonn), Platon über Güter, Tugend und Glück
– Prof. Dr. Dorothee Gall (Universität Hamburg), Amicitia vera et perfecta - Ciceros
Lehre von der Freundschaft
Fachdidaktische Perspektiven
– Prof. Dr. Volker Steenblock (Universität Bochum), Die Antike ins Bild bringen –
Bildungszugriffe anhand von Raffaels ‚Schule von Athen’
– Reinhard Bode, StR (Eisenach), ... aber mit der Zeit finden die Menschen suchend
das Bessere heraus: Vorsokratikerlektüre im
Erfahrungen, Reflexionen und eine Textausgabe
Griechisch-Leistungskurs
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
–
61
– Dr. Burkhard Reis (Universität Hamburg), Antike Philosophie interkulturell –
didaktische Vorschläge für die Einbeziehung ihrer Rezeption bei islamischen
Denkern
Abschlussdiskussion
Kontakt & Anmeldung: Dr. Burkhard Reis, Philosophisches SeminarUniversität
Hamburg, Von-Melle-Park 6 /X., D-20146 Hamburg, T. ++49-0-40-42838-2685 F.
++49-0-40-42838-3983E-Mail: [email protected]
Auswärtigen Teilnehmern wird nach der Anmeldung die Adresse eines preisgünstigen
Hotels in unmittelbarer Nähe zum Hamburger Dammtor-Bahnhof mitgeteilt.
Fachverband Ethik e.V.
Ethik als Brücke zwischen den Kulturen?
23. – 25. September 2005
Verdi Bildungs- und Begegnungszentrum,
Koblanckstr.10, 14109 Berlin
Freitag, 23.9. (16 – 20:15 Uhr)
- Ethik als Brücke zwischen den Kulturen? Prof. R. Roetz, Universität Bochum
- Podiumsdiskussion zum Tagungsthema mit den Kulturattachés der Botschaften
der Türkei, Chinas und Spaniens (Moderation: P. Kriesel)
Sonnabend, 24.9. (9 – 20:30 Uhr)
-
-
Arbeitsgruppen:
Ethnischer und religiöser Hintergrund von Problemen und Konflikten – ein Thema
im Ethikunterricht
Kinder und Kinderrechte in der Einen Welt der Vielfalt
Ethik, Grundgesetz, Menschenrechte – Was ist die integrative Klammer in unserer
Gesellschaft? (Dr. Barbara Brüning, Hamburg)
Erarbeitung von bundesweiten Bildungsstandards für den Ethikunterricht in der
Sekundarstufe I (Werner Fuß/Peter Kriesel)
Ethik als integrierendes Pflichtfach für alle (Vortrag mit Diskussion, N.N.)
Menschen als Brücken zwischen Kulturen (Kurzfilm,Frau Zylla vom Sichtwechsel
e.V. für gewaltfreie Medien, Berlin)
Sonntag, 25.9. (9-12 Uhr)
- Zur Politisierung kultureller Unterschiede – Wertorientierungen in Kulturen (Prof.
Thomas Meyer, Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn - angefragt)
-
Brücken zwischen den Kulturen in Berlin – Podiumsdiskussion (Barbara John –
ehem. Ausländerbeauftrage, Berlin und Vertreter aus Bildung und Kultur: z.B. vom
Haus der Kulturen, Kultursenator)
Kosten: für die Tagung mit zwei Übernachtungen (23. und 24.9.) im Einzelzimmer plus
Vollverpflegung = 195 € pro Person, im Doppelzimmer plus Vollverpflegung = 169 €
pro Person,Tagungsbetrag ohne Übernachtungf 119 €.
Anmeldung durch Überweisung auf das Konto Nr. 9901423 des Fachverbands Ethik
e.V., Bank: Kreissparkasse Ludwigsburg, BLZ: 60450050
MITTEILUNGEN 45/2005
62
Anmeldeschlusstermin ist Ende Juli.
Änderung des Protokolls der letzten Mitgliederversammlung
des Fachverbands Philosophie
Das Protokoll der Mitgliederversammlung des Fachverbands Philosophie e.V. in
Schwerin am 20.9.2003 wird wie folgt geändert: Die beiden letzten Sätze von TOP 2
werden gestrichen. Stattdessen wird eingefügt: „Während TOP 3 hebt Herr
Müllenmeister als Kassenprüfer auf Nachfrage durch den Vorsitzenden die
Transparenz und große Sorgfalt des Kassierers bei der Kassenführung hervor.“
gez. Jürgen Mühlstädt (Schriftführer)
Bernd Rolf (Vorsitzender)
Rezensionen
Jahrbücher für Didaktik der Philosophie und Ethik
Im Dresdner Thelem Verlag ist unter der Herausgeberschaft von Johannes Rohbeck
mit dem Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik eine für Lehre und Unterricht
wichtige Reihe entstanden. Besondere Beachtung verdienen die Bände 2 - 4 dieses
Jahrbuches, die sich dem didaktischen Projekt „Denkrichtungen der Philosophie und
Methoden des Unterrichts“ widmen.
(Abb.)
Philosophische Denkrichtungen, hrsg. v. Johannes Rohbeck, Jahrbuch für Didaktik
der Philosophie und Ethik, Bd. 2, Dresden: Thelem Verlag, 2001
Während das erste Jahrbuch vorwiegend allgemeine Methoden wie Heuristik, Kritik
oder argumentatives Gespräch behandelte, geht es im zweiten Jahrbuch um die
besonderen Methoden philosophischer „Denkrichtungen“, nämlich der Analytischen
Philosophie, der Hermeneutik und Dekonstruktion sowie der Phänomenologie. Unter
Methoden werden hier nicht Unterrichtsmethoden in einem technischen Sinne
verstanden, sondern bestimmte Grundeinstellungen des Philosophierens, die sich mit
diesen Denkrichtungen verbinden.
Die analytische Philosophie, die sich an der Logik und an den exakten Wissenschaften
orientiert, bezweckt ausdrücklich, den Sprachgebrauch und die Argumentationsweise
zu reflektieren, um in das Denken, Sprechen und Kommunizieren möglichst viel
Klarheit zu bringen. Dem entspricht Helmut Engels in seinem Beitrag, der das breite
Spektrum sprachanalytischer Methoden im Unterricht vorstellt (Mittel der Kritik, Hilfe
beim Verstehen und Erkennen, Schutz vor den Fallstricken der Sprache) und detailliert
aufzeigt, wie Schülerinnen und Schüler die entsprechenden Kompetenzen erwerben
können. Volker Pfeiffer bezieht die analytischen Methoden auf das Feld der ethischen
Argumentation, indem er das Problem der Normenkonflikte analysiert und dafür
unterrichtspraktische Lösungen vorschlägt („Kohärentismus und ethisches
Argumentieren“).
Die Hermeneutik bietet im Unterschied zu dem an den Naturwissenschaften
orientierten analytischen Philosophieren das Paradigma der intersubjektiven
Verständigung auf und eröffnet zugleich den alternativen Themenbereich historisch
entstandener Kulturen. Dementsprechend zeigt Volker Steenblock in seinem Beitrag
„Hermes und die Eule der Minerva“ die Rolle der Hermeneutik in philosophischen
Bildungsprozessen auf, die darin besteht, die je eigene Wahrnehmung und subjektive
Erfahrung freizulegen. In den Umfang der hermeneutischen Verfahren schließt er
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
63
dabei die Dekonstruktion ein. Auch Christian Gefert befasst sich mit dem Verhältnis
von Hermeneutik und
Dekonstruktion und gelangt zu einem innovativen Verfahren szenischer Darstellung
als Strategie der Texteröffnung sowie zu Grundsätzen eines theatralen
Philosophierens. Lothar Ridder vertritt in seinem über „Methoden der Interpretation im
Philosophieunterricht“ einen intentionalistischen Ansatz und leitet daraus ein
beachtenswertes Schema der Interpretationsarten ab.
Dittmar Werner repräsentiert in diesem Band den phänomenologisch ausgerichteten
Philosophieunterricht. Er thematisiert den Zusammenhang von Philosophie und
Pädagogik, um vor diesem Hintergrund neuartige Unterrichtsvorschläge im Sinne
phänomenologischer Übungen (beispielsweise zur Wahrnehmung des Anderen, zur
Wahrnehmung von Gegenständen) zu entwerfen. In arbeitsteiliger Kooperation sind
auf diesem Feld erste Ergebnisse entstanden, die für unsere Fachdidaktik
erfolgversprechend sind.
(Abb.)
Denkstile der Philosophie, hrsg. v. Johannes Rohbeck, Jahrbuch für Didaktik der
Philosophie und Ethik, Bd. 3, Dresden: Thelem Verlag, 2002
Das 3. Jahrbuch setzt die Darstellung der besonderen Methoden der philosophischen
Denkrichtungen fort mit den Strömungen Phänomenologie, Dialektik, analytische
Philosophie, Konstruktivismus, Diskursethik und Strukturalismus. Der Titel „Denkstile“
will darauf aufmerksam machen, dass die untersuchten Verfahren nicht ausschließlich
in einer philosophischen Strömung zum Ausdruck kommen, sondern dass es sich um
konkrete Gestalten des Philosophierens handelt, die sich in unterschiedlichen
Richtungen ausprägen und Berührungspunkte zwischen ihnen darstellen können.
In der Phänomenologie geht es nach Thomas Rentsch um die Freilegung von
Alltagserfahrungen, die sich dem Bewusstsein durch wissenschaftliche Einstellung
häufig entziehen. In seinem Beitrag „Phänomenologie als methodische Praxis“ zeigt er
an ganz einfachen Beispielen, alltäglichen Situationen und Gegenständen der
gewöhnlichen Umwelt die didaktischen Potenziale der phänomenologischen Methode
auf.
Johannes Rohbeck schlägt in: „Verkehrte Welt – Dialektik als Methode der Kritik“ eine
phänomenologische Lesart der Dialektik vor. Er demonstriert die vielfältigen
Möglichkeiten des dialektischen Denkens, die sich im Unterricht realisieren lassen,
etwa beim Schreiben dialektischer Texte, im Umgang mit dialektischen literarischen
Geschichten, beim Spiel mit Paradoxien und in der Kritik am alltäglichen Schein.
Das didaktische Potenzial der analytischen Philosophie wird von Monika Sänger am
Beispiel der Ethik von Richard M. Hare expliziert. Den analytischen Denksteil in den
Unterricht zu übertragen, versteht sie als ‚Putzkolonne gegen semantische
Verschmutzung’, um in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler eine unverzichtbare
‚Sauberkeit’ im Denken und Argumentieren zu bewirken. Vom Goldene-RegelArgument über das Gläubiger-Beispiel zum Fanatiker-Argument enthält ihr Beitrag
zahlreiche Anregungen für die Unterrichtspraxis.
Auch der methodische Konstruktivismus, den Silke M. Kledzik mit ihrem Beitrag
„Konstruktive Verfahren im Philosophieunterricht“ repräsentiert, verfolgt das Ziel, zu
begründetem theoretischem Wissen und gerechtfertigten praktischen Orientierungen
zu gelangen. Für die Unterrichtspraxis ist diese Richtung ergiebig, weil sie an der
Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler und damit an deren alltägliches Wissen
(z.B. über Toleranz, Pflicht, Menschenwürde) anknüpft.
In diesem Kontext steht auch die Diskurstheorie, die von Gisela Raupach-Strey in ihrer
Sokratisch-diskursiven Philosophie-Didaktik entfaltet wird. In Rückgriff auf das
sokratische Paradigma schlägt sie ein Unterrchtsverfahren vor, das von
lebensweltlichen Erfahrungen aus, um diese schrittweise konsens- und in diesem
MITTEILUNGEN 45/2005
64
Sinne wahrheitsfähig zu machen.
Neuland auf dem Feld der Denkstile betritt Donat Schmidt, der mit der
strukturalistischen Methode im Unterricht experimentiert. Durch dieses Verfahren
ergeben sich unerwartete Einblicke in die Struktur derTexte, was das inhaltliche
Verständnis erleichtert.
(Abb.)
Didaktische Transformationen, hrsg. v. Johannes Rohbeck, Jahrbuch für Didaktik der
Philosophie und Ethik, Bd. 4, Dresden: Thelem Verlag, 2003
Mit dem vierten Jahrbuch kommt das mit dem 2. Band begonnene Projekt,
Denkrichtungen der Philosophie in ganz spezifische Verfahren zu transformieren und
in eigenständigen Übungen zu präsentieren, zum Abschluss. Im Zentrum stehen
Verfahren der Phänomenologie, des Pragmatismus und des Konstruktivismus.
Philipp Thomas entfaltet „Phänomenologie als negative Hermeneutik“. Das Verfahren
eignet sich, um bei Schülerinnen und Schülern ein Wahrnehmen freizulegen, das erst
auf der Grundlage der Zurückweisung theoretischer Alltagsmodelle und
Verstehensangebote möglich ist. Dieser Ansatz wird an zahlreichen Beispielen wie
Raumerfahrung, Leibempfindung etc. demonstriert. - Renate Schröder-Werle knüpft in
ihrem Beitrag über didaktische Potenziale des phäönomenologischen Denkens kritisch
an die bisherigen Unterrichtsvorschläge zur Phänomenologie an, indem sie den Kern
einer vermeintlich unverstellten Lebenswelt problematisiert und dabei auf
gehirnphysiologische und sprachpsychologische Voraussetzungen der Wahrnehmung
verweist. Sie konkretisiert ihren Ansatz sie für den Unterricht durch Beispiele für
Schreibaufgaben zur Erfassung der Umwelt, zur Interpretation literarischer Texte und
zur Analyse alltäglicher Symbole.
Der Pragmatismus ist in dieser Reihe erstmals durch Marie-Luise Raters vertreten, die
– ausgehend von konkreten Unterrichtserfahrungen – John Deweys Modell der
Ausbildung praktisch-kritischer Intelligenz vorstellt und in ein schrittweise
anwendbares Verfahren der Entscheidungsfindung für den Unterricht transformiert.
Dem Konstruktivismus ist Steffen Kurpierz verpflichtet; er konzentriert sich auf das
Thema „Metaphern“ und schlägt vor, die Mehrdeutigkeit von Metaphern zu nutzen, um
neue Denkhorizonte zu entfalten und so heuristische Wirkungen im Sinne eines
eigenständigen und kreativen Philosophierens zu ermöglichen. – Thomas Rentsch
bietet mit seiner „Proto-Ethik“ eine Einführung in den dialogischen Konstruktivismus.
Er schlägt ein Verfahren vor, das ethische Begriffe und Sätze werden einführt und
verständlich gemacht, indem es sie an die alltägliche Lebenspraxis zurückbindet. –
Johannes Rohbeck expliziert schließlich die Methode des genetischen
Konstruktivismus. Am Beispiel der Theorie des Gesellschaftsvertrages rekonstruiert er
die Übertragung von Modellen aus der alltäglichen und wissenschaftlichen Praxis in
philosophische Theorien und setzt dies für den Unterricht um.
Jeweils im Anhang der Bände 2 und 3 finden sich interessante Essays von
Schüler(inne)n und Student(inn)en zur Phänomenologie, zur Dialektik, zum
Konstruktuvismus und zur analytischen Philosophie, die die praktischen Möglichkeiten
der genannten Verfahren demonstrieren.
Insgesamt ist festzustellen, dass den Autoren das Projekt, die Denkstile der
Philosophie in praktikable Unterrichtsverfahren zu transformieren, gelungen ist. Die
vorliegenden Beiträge stellen aber nicht nur einen Beitrag zur Vermittlung von Theorie
und Praxis dar, sondern markieren darüber hinaus mit ihrer Öffnung für neue Wege
einen Neuaufbruch der Fachdidaktik. (Bernd Rolf)
(Abb.)
Helmut Engels: „Nehmen wir an …“ Das Gedankenexperiment in didaktischer Absicht.
Weinheim und Basel : Beltz Verlag, 2004,
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
65
Seit seinem gleichnamigen Beitrag zum Handbuch des Philosophieunterrichts von
1986 hat sich Helmut Engels in zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen immer wieder
mit dem Gedankenexperiment befasst. In diesem Buch fasst er seine Überlegungen
zusammen und verleiht ihnen gleichsam endgültige Gestalt.
Er beginnt mit einer Bestimmung des Begriffes Gedankenexperiment und analysiert
seine Struktur . Dabei untersucht er zunächst reine Gedankenexperimente, d.h.
solche, deren Prämissen irreal und kontrafaktisch sind, z.B. „Stelle dir vor, du könntest
dein Leben von vorn anfangen“, oder „Nehmen wir an, wir könnten uns unsichtbar
machen“. Sodann zeigt er auf, dass der Begriff des Gedankenexperimentes erweitert
werden muss durch Ausweitung auf Annahmen, die realitätsbezogen sind (etwa bei
Searles Das chinesisches Zimmer) und auch Utopien (etwa Huxleys Eiland) im
Grunde Gedankenexperimente darstellen. Im dritten Teil werden Beispiele verdeckter
Gedankenexperimente untersucht, die sich besonders in fiktionaler Literatur (bei
Brecht, Thomas Mann u.a., aber auch in der Science Fiction) und im Film (z.B. Lola
rennt) finden.
Engels betrachtet Gedankenexperimente nicht nur als didaktische Instrumente,
sondern möchte Lehrende in Stand zu setzen, selbst Gedankenexperimente
entsprechend ihren Zwecken zu erfinden. So stellt er im vierten Teil zusammen mit
entsprechenden Beispielen, eine Reihe von Tricks vor, deren sich die
Experimentatoren bedienen. Viele Gedankenexperimente beruhen z.B. auf der fiktiven
Nichtung, also darauf, dass man etwas als nicht existent annimmt, andere auf dem
Prinzip der hypothetischen Verallgemeinerung oder der Umkehrung; Transformationen
sind ebenso fruchtbar wie Perspektivwechsel oder Spiele mit der Zeit.
Im fünften Teil wird es explizit didaktisch. Hier geht es darum, wie
Gedankenexperimente im Unterricht eingesetzt werden können (etwa, indem man
Schülern Textfragmente als Denkanreiz vorlegt), an welcher Stelle einer
Unterrichtsreihe dies geschehen kann, wie man Aufgaben formuliert und
Gedankenexperimente bewertet. Im letzten Teil schließlich wird die Frage gestellt,
wozu man überhaupt Gedankenexperimente vornimmt. Acht didaktische Funktionen
werden unterschieden, von der Anregung, über bestimmte Themen nachzudenken bis
hin zur Ermöglichung von Kritik.
Das Buch ist nicht nur theoretisch das beste, was es bisher zum Thema
Gedankenexperiment im Philosophie- und Ethikunterricht gibt, es stellt einen sehr
brauchbaren Fundus für den Unterricht dar. 65 Gedankenexperimente werden
entweder wörtlich wiedergegeben oder in Form einer Nacherzählung oder
Zusammenfassung vorgestellt werden (hilfreich die Übersicht und Zuordnung zu
philosophischen Disziplinen und Themenbereichen am Schluss); dazu gibt es eine
Fülle von unterrichtspraktischen Anregungen. Meines Erachtens ein unentbehrliches
Buch für Lehrer, die Philosophie und Ethik unterrichten, für ihre Arbeit in Schule,
Fachseminar, Erwachsenenbildung und Hochschule. (Bernd Rolf)
(Abb.)
Heller, Bruno: Glück. Ein philosophischer Streifzug. Darmstadt: Primus Verlag, 2004,
Wir alle wollen glücklich sein, aber wie können wir das erreichen? Bruno Heller,
unternimmt hier einen philosophischen Streifzug, in dem er die Antworten aufzeigt, die
die großen Philosophen auf diese Frage gegeben haben, und verschiedene
Glückskonzepte vorstellt. Ihm geht es darum, jenseits der billigen Glücksbringer, die
hinter jeder Ecke lauern, das Thema auf eine philosophische Weise zu behandeln, es
auf die Ebene kritischer Reflexion zu heben.
Ausgehend von Alltagsvorstellungen über das Glücks wirft er zunächst einen Blick in
die Geschichte, referiert antike Glücksvorstellungen (Epikur, Sokrates, Platon,
Aristoteles, Seneca), schreibt über das Glück der Glaubenden (Augustinus, die
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Mystiker) sowie neuzeitliche Vorstellungen vom Glück (u.a. Montaigne, Thomas
Morus). Im folgenden Kapitel geht er das Thema systematisch an: Er unterscheidet
zwischen Glück haben und glücklich sein, reflektiert über Glück im Unglück und den
glücklichen Augenblick usw.
Was man als Glück ansieht, hängt davon ab, wie man vom Menschen denkt. Daher
unternimmt Heller eine Untersuchung der Menschenbilder: der Aristotelische
Eudämonismus kommt hier ebenso zur Sprache wie der Schopenhauersche
Pessimismus, der naturwissenschaftliche Reduktionismus, das östliche und das
westliche Menschbild, der Mensch als Gehirnwesen.
Einen breiten Raum nehmen die Auseinandersetzung mit dem Hedonismus sowie die
Frage der Lebenskunst ein: Lebensgestaltung, aber wie? Selbstbestimmung und
Selbstverwirklichung werden thematisiert, das Verhältnis von Glück und Moral
untersucht. Selbstverständlich darf die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht fehlen,
die ausgehend von einem kurzweilig geschriebenen, auf tatsächlichen Äußerungen
beruhenden „Talk über die Wahrheit“ aufbereitet wird, in dem ein Theologe, ein
Psychotherapeut, eine Isis-Priesterin, ein Mystiker und ein Ufologen zu Wort kommen.
Heller gelingt, es, die vielfältigen Facetten dieses Themas auf ansprechende Weise
darzustellen. Dabei kommt er ohne den Ballast philosophischen Fachvokabulars, zielt
offenbar nicht primär auf einen philosophisch vorgebildeten Leserkreis. Gelegentlich
hätte ich mir mehr noch etwas mehr Tiefgang gewünscht, etwa bei der Goldenen
Regel, die Heller wirklich nur „streift“. Als hilfreich hätte ich auch empfunden, wenn der
Autor deutlicher Stellung bezogen und sich nicht primär auf die Darstellung
unterschiedlicher Positionen beschränkt hätte. Dennoch kann dieses Buch gute
Dienste tun bei der Unterrichtsvorbereitung leisten. Empfehlenswert ist es für
KollegInnen, die sich einen Überblick über die Thematik verschaffen, sich in den
Gegenstandsbereich einarbeiten wollen. Darüber hinaus kann ich mir vorstellen, dass
sich aus ihm dem der eine oder andere interessante Text für den Philosophie- und
Ethikunterricht gewinnen lässt. (Bernd Rolf)
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
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Antrag auf Mitgliedschaft im Fachverband
Philosophie
(Bitte an die/den Landesvorsitzende/n senden. Anschriften auf den nächsten Seiten.)
Hiermit beantrage ich die Mitgliedschaft im Fachverband Philosophie,
Landesverband ________________________________________ .
Name: _______________________________________________________________
Straße: ______________________________________________________________
PLZ, Ort: _____________________________________________________________
Tel.: ________________________________________________________________
Ich bin
 im aktiven Dienst
(Mitgliedsbeitrag 20 €/Jahr)
 Referendar(in)/Teilzeitbeschäftigte(r)
(Mitgliedsbeitrag 8 €/Jahr)
 Student(in)
(Mitgliedsbeitrag 5 €/Jahr)
 im Ruhestand
(Mitgliedsbeitrag 8 €/Jahr)
 zur Zeit arbeitslos
(Mitgliedsbeitrag 5 €/Jahr)
(Zutreffendes bitte ankreuzen!)
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Die Einzugsermächtigung ist beigefügt.
Mit der Weitergabe meiner Adresse an einen philosophischen Verlag (betrifft
Zusendung der Verbandsmitteilungen)
 bin ich einverstanden
 bin ich nicht einverstanden.
(Zutreffendes bitte ankreuzen!)
____________________________________________________________________
(Ort)
(Datum)
(Unterschrift)
FACHVERBAND PHILOSOPHIE E.V.
69
Fachverband Philosophie e.V.
Einzugsermächtigung
Einzug von Forderungen mittels Lastschrift
Hiermit ermächtige ich Sie widerruflich, die von mir zu entrichtenden
Beitragszahlungen für den Fachverband Philosophie e.V. bei Fälligkeit zu Lasten
meines Kontos
Nr.: ________________________________________________________________
Kontoinhaber:________________________________________________________
bei Kontoinstitut: ______________________________________________________
Bankleitzahl: _________________________________________________________
mittels Lastschrift einzuziehen. Wenn mein Konto die erforderliche Deckung nicht
aufweist, besteht seitens des Kreditinstitutes keine Verpflichtung zur Einlösung.
Zur Sicherheit des Kontoinhabers ist gesetzlich geregelt, dass für jede Lastschrift
vom Kontoinhaber innerhalb von sechs Wochen die Rückbuchung verlangt werden
kann. Sollte die Lastschrift mangels Kontodeckung nicht ausgeführt werden können
oder nehme ich eine ungerechtfertigte Rückbuchung vor, so werden die dadurch
entstehenden Buchungskosten durch den Fachverband Philosophie e.V. von mir
zurückgefordert.
Name: _______________________________________________________________
Straße: ______________________________________________________________
PLZ, Ort: _____________________________________________________________
Tel.: ________________________________________________________________
____________________________________________________________________
(Ort)
(Datum)
(Unterschrift)
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F A CHV E RBA ND
PHI LO S O P HIE
E. V
Bundesvorsitzender
Stellv. Bundesvorsitzende
Bundeskassenwart
Schriftführer
Dr. Bernd Rolf
Hubertusstr. 123
47623 Kevelaer
E-Mail: [email protected]
Martina Dege
Heinrich-Barth-Str. 8
20146 Hamburg
E-Mail: [email protected]
Edgar Fuhrken
Seeadlerweg 10
24159 Kiel
E-Mail: [email protected]
Jürgen Mühlstädt
Klattenweg 17
28213 Bremen
E-Mail: [email protected]
L A N D E S V E R B Ä N DE
Baden-Württemberg
Berlin
Bremen
Hamburg
Hessen(kommissarisch)
Mecklenburg-Vorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Ansprechpartner Brandenburg
Dr. Eva Hirtler
Südendstr. 30
76137 Karlsruhe
E-Mail: [email protected]
StD Jürgen Mühlstädt
Klattenweg 17
28213 Bremen
E-Mail: [email protected]
Dr. Susanne Nordhofen
Stifterstr. 28
61130 Nidderau
[email protected]
Till Warmbold
Granastr. 6
30823 Garbsen
E-Mail: [email protected]
Dr. Ernst Georg Renda
Am Damsberg 12
55130 Mainz
E-Mail: [email protected]
Jutta Kähler
Adolfplatz 1
23568 Lübeck
[email protected]
Ansprechpartner Bayern
Manfred Zimmermann
Niebuhrstr. 77
10629 Berlin
E-Mail: [email protected]
Martina Dege
Heinrich-Barth-Str. 8
20146 Hamburg
E-Mail: [email protected]
Torsten Köpp
Ahornweg 40
19069 Seehof
E-Mail: [email protected]
Klaus Draken
Am Dönberg 65 h
42111 Wuppertal
E-Mail: [email protected]
Dr. Rainer Bartholomai
Dorfstr. 20
29485 Lemgow-Simander
E.Mail: [email protected]
Reinhard Unverricht
Heinestr. 18
14482 Potsdam
Tel. 0331-715482
Dr. Klaus Zierer, Regensburg
Hubertus Stelzer, Markt Rettenbach
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71
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E-Mail:[email protected]
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