Realienkunde

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Erschienen in: De litteris, manuscriptis, inscriptionibus … Fs. Walter Koch (hg. von
Theo KÖLZER u.a., Wien/Köln/Weimar 2007) 409–418.
Karl Brunner
Kontext der Dinge
Methodische
Anmerkungen
zur
Realienkunde
in
Texten
Über den klassischen Kanon hinaus ist innerhalb und außerhalb der Historie die Zahl der
Fächer und Fachgebiete, die als Hilfswissenschaften herangezogen werden können und oft
auch müssen, bekanntlich nahezu unbegrenzt.1 Aber es gibt einen bestimmten Kreis von
Methoden, die zum Grundrepertoire der historischen Disziplinen zu gehören. Daß die
Realienkunde dazugehört, ist für Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die sich in
ihrem Feld umtun, selbstverständlich,2 während immer noch manche Fachkollegen erst
einmal die Frage stellen, was das denn sei. Im folgenden geht es vor allem um die
Auswertung von Texten.3
In Österreich, wo schon Kulturwissenschaft betrieben wurde,4 als der Begriff
„Cultural Studies“5 noch nicht importiert war, gibt es eine ungebrochene und anerkannte
Tradition, die nicht von ungefähr auf dem Vorbild der Altertumskunde aufbaut. Auch wenn
der Begriff in Alphons Lhotskys „Quellenkunde“6 nicht ausdrücklich vorkommt und wohl
Vgl. die neue Reihe „Oldenbourg Historische Hilfswissenschaften“, hg. von A. Scharer, G. Scheibelreiter
und A. Schwarcz in Verbindung mit dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung, zuletzt erschienen
Georg SCHEIBELREITER, Heraldik (Wien 2006).
2
Für die Alltagsgeschichte methodisch grundlegend Gerhard JARITZ, Zwischen Augenblick und Ewigkeit
(Wien/Köln 1989). Vgl. z. B. Die Vielfalt der Dinge. Neue Wege zur Analyse mittelalterlicher Sachkultur
(Forschungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Diskussionen und
Materialien 3, Wien 1998).
3
Karl BRUNNER, Der Schweif am Roß und die Lilie im Garten. Symbole des Alltags, Alltag der Symbole (Fs.
H. Kühnel, Graz 1992) 683 – 700; DERS., Sachkultur im Kontext des lateinischen Mittelalters, in:
Realienforschung und Historische Quellen. Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland, Beih.
15 (1996) 29 – 35; DERS., Realienkunde als Mentalitätsgeschichte, in: Historische Anthropologie 6 (1998)
160 – 165.
4
Der kulturwissenschaftliche Ansatz in der Paläographie bei Heinrich FICHTENAU, Mensch und Schrift im
Mittelalter (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 5, Wien 1946) war
seinerzeit heftig umstritten.
5
Christina LUTTER und Markus REISENLEITNER, Cultural Studies. Eine Einführung (Wien 1968); vgl. auch
Otto Gerhard OEXLE, Historische Kulturwissenschaft heute, in: Interkultureller Transfer und nationaler
Eigensinn. Europäische und anglo-amerikanische Positionen der Kulturwissenschaften (hg. von Rebekka
Habermas und Rebekka v. Mallinckrodt, Göttingen 2004) 25-52.
6
Alphons LHOTSKY, Quellenkunde zur Mittelalterlichen Geschichte Österreichs (Mitteilungen des Instituts
für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 19, Graz/Köln 1963), vgl. besonders den
systematischen Teil 11–127.
1
Brunner, Fs. Koch - 2 -
auch über die dort erörterte Denkmalkunde hinausgeht, spielten seine Vorstellungen von
Kulturgeschichte für die Realienkunde doch eine maßgebliche Rolle. Er hat diese auch in
überaus anregenden Lehrveranstaltungen betrieben und betreiben lassen. Seine erste
Realisation einer kulturgeschichtlichen Ausstellung im modernen Sinn, 1966 zu
Persönlichkeit und Zeit Kaiser Friedrichs III., hat ein ganze Generation geprägt.7 Sein
Schüler Harry Kühnel hat dann 1969 ein Institut begründet, das den Begriff
„Realienkunde“ in seinem Titel führt und erfolgreich mit Inhalten füllt. Zu den physisch
erhaltenen Gegenständen in Museen und Sammlungen und zu den Funden und Befunden
der Archäologen trat die Analyse von Bildern und Texten.
Gegenstand ist die mittelalterliche Sachkultur, jedoch auf eine spezifische Weise:
Es geht nicht bloß um die Sammeltätigkeit, durch die der historischen Forschung
umfangreiches Material zur Verfügung gestellt wird, sondern auch um die Untersuchung
der Rolle von Objekten im jeweiligen Kontext.8 Diese Rolle wird in Auswahl und
Stellenwert von den Gesetzen der jeweiligen Quellengattung mitbestimmt. Darum ist das
Team am Institut für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auch
interdisziplinär zusammengesetzt. Die Bedeutung einer Sache beschränkt sich nicht nur auf
ihre jeweilige praktische Funktion. Jedes in welchem Medium auch immer dargestellte
Objekt, aber auch – wie sich zeigen läßt – jedes Objekt in der alltäglichen Lebensrealität
selbst, verweist über sich selbst hinaus. Diese mediale Funktion kann das real erhaltene
Einzelobjekt kaum, das Objekt im archäologisch erfaßten Befund selten deutlich genug
repräsentieren. Sie wird durch den intentional hergestellten Kontext im Kunstwerk noch
am ehesten vermittelt.
Naturgemäß stand, schon wegen der methodischen Brücke zum realen Objekt, die
Bildquelle in der realienkundlichen Forschung zunächst im Vordergrund. Ein weiteres
Forschungsfeld
waren
und
sind
die
Sachverzeichnisse,
Inventare,
Testamente,
Rechnungsbücher, Abgabenlisten usw.9 Auch der Text selbst ist als Realie in das Blickfeld
7
8
9
Katalog des N.Ö. Landesmuseums N. F. 29 (Wien 1966). Vgl. Karl BRUNNER, Ein Fest für Bürger.
Historische Ausstellungen: Anmerkungen und Perspektiven. MIÖG 98 (1990) 329 – 344.
Aus dem „Leitbild“ http://www.imareal.oeaw.ac.at/ : „Da die materielle Kultur Medium gesellschaftlicher
Kommunikation ist, verstehen wir unter „Realien“ gleichermaßen Dinge wie Ideen, deren Kontext – etwa in
Form von Handlungen, Vorstellungen oder Bewertungen – Lebenswirklichkeiten konstituiert. Daher ist
Realienkunde nicht vorrangig Sachforschung, sondern Kulturforschung.“
Vgl. z. B. Die Wiener Stadtbücher 1395–1430, zuletzt erschienen Teil 3: 1406–1411 (hg. von Gerhard
Jaritz und Christian Neschwara, Fontes Rerum Austriacam 3. Abt. Fontes Iuris 10, Wien/Köln/Weimar
2006). Beispielhaft Gerhard JARITZ, Die Reiner Rechnungsbücher (1399–1477) als Quelle zur klösterlichen
Sachkultur des Spätmittelalters, in: Die Funktion der schriftlichen Quelle in der Sachkulturforschung
Brunner, Fs. Koch - 3 -
der Forschung geraten,10 im wörtlichen und metaphorischen Sinn.11 Die Inschrift, so
nebenbei, kann ebenfalls als Realie aufgefasst werden – das aber ist eine andere
Geschichte.
Die meisten der bisher genannten Quellen fließen aber erst im zweiten Mittelalter
ab dem 13. Jahrhundert reichlicher. Wie kommt man ins Hoch- und Frühmittelalter
zurück? Wie oft in unserer Disziplin eröffnet der Mangel auch Chancen, weil er zu neuen
Methoden und Fragestellungen zwingt.12 Da wären einmal die Urkunden, jedoch sind die
Auswahl der dort angeführten Realien und die Interpretationsmöglichkeiten ihrer
Bedeutung im Hinblick auf das jeweilige Rechtsgeschäft relativ eingeschränkt. Immerhin
bietet aber sogar die üblicherweise sehr stereotype Pertinenzformel in ihren jeweiligen
kulturspezifischen Abweichungen interessante Einblicke in die Kultur einer bestimmten
Region.13 So sind Almen nur in den Alpen, Bienen eher bei Wäldern und Mühlen an
bedeutenderen Flußläufen angeführt.14
Als besonders aufschlußreich für das Frühmittelalter haben sich die Formelbücher
erwiesen. Dort sind Vorbilder für Urkunden – meist Exempla von Stücken, die wirklich
verwendet wurden – überliefert, die aufgrund ihrer zeitlich beschränkten Geltung ansonsten
nur wenig Erhaltungschancen hatten. Hier seien nur zwei Beispiele angeführt. Zunächst
Dos-Urkunden mit den entsprechenden Verzeichnissen der offenbar für Frauen besonders
bedeutsamen Objekte. Die Dos ist im Frühmittelalter ein Teil des ehelichen Vermögens –
(Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 1, Wien 1976) 145–249 und
259–271. Vgl. auch Susanne FRITSCH, Die Küchenrechnungsbücher des Stiftes Klosterneuburg aus den
Jahren 1324–1337, in: Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg NF 17 (Wien/Klosterneuburg 1999) 173–202.
DIES., Das Refektorium im Jahreskreis. Norm und Praxis des Essens in Klöstern des 14. Jahrhunderts (phil.
Diss. Wien 2006).
10
Vgl. Text als Realie (Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen
Neuzeit 18, Wien 2003).
11
Vgl. von germanistischer Seite z. B. Horst WENZEL, Hören und Sehen, Schrift und Bild: Kultur und
Gedächtnis im Mittelalter (München 1995), bes. 204–291.
12
Zu einem Projekt über den Klosterplan von St. Gallen informiert http://www.stgallplan.org/.
Rekonstruktionsversuche im Rahmen eines älteren Projektes findet man http://www.cad.architektur.tudarmstadt.de/st_gallen/index.html.
13
Vgl. Karl BRUNNER, Herzogtümer und Marken. Vom Ungarnsturm bis ins 12. Jahrhundert (Österreichische
Geschichte 907–1156, hg. von Herwig Wolfram, Wien 1994), allgemein 21 und in der Folge mehrfach im
einzelnen genutzt.
14
Ein einfaches Beispiel aus DO III 170 aus 995, Otto gibt dem Bischof Gottschalk von Freising sechs
Königshufen in Ulmerfeld zu Tausch (hg. von Theodor Sickel, MGH Diplomata 2, Hannover 1893) 582:
cum curtiferis, areis, pratis, pascuis, silvis, saginationibus, venationisbus, piscationibus, zidalweida,
molendinis. Der Hof Brixen war 901, DLK 12 (hg. von Theodor Schieffer, MGH Die Urkunden der
deutschen Karolinger 4, Berlin 1960) 114, hingegen mit parschalchis censibus vineis montanis planitiebus
collibus vallibus alpibus ruppibus forestibus venationibus etc. versehen.
Brunner, Fs. Koch - 4 -
bis zu einem Drittel, daher auch Tertia15 genannt –, der der Frau vor der Eheschließung zu
ihrer persönlichen Verfügung überschrieben wird.16 Die darin angeführten Güter, die nicht
aus der gemeinsamen Verwaltung ausgegliedert werden, und die Objekte dienen nicht nur
der Versorgung und Rechtssicherung der Ehefrauen, sondern markieren auch ihren
gesellschaftlichen Status, sind also nicht bloß gewöhnliche Alltagsgegenstände – auch
wenn sie fallweise als solche verwendet wurden –, sondern auch Zeichen ihres Prestiges.
Mit solchen Forschungen können auch archäologische Fundstücke besser eingeordnet
werden.17 Kostbar ist auch eine Anweisung an kirchliche Funktionsträger bezüglich der
Gastung des Bischofs anläßlich einer Reise nach Rom, vermutlich um 877 anzusetzen, die
erklärt, wie man praktisch Naturalabgaben an weiter entfernten Orten nutzte.18
Nun enthält nahezu jeder Text auch mehr oder minder deutliche Hinweise auf
Realien, sei es so nebenher zur Ausstattung der Handlung, sei es aber auch als
offensichtliche Symbole und Bedeutungsträger. Hier schließt sich wieder der Kreis zur
allgemeinen Quellenkunde: Setzt doch umgekehrt auch das Verständnis eines Textes
voraus, daß der Leser einigermaßen Bescheid weiß über die Bilder im Kopf der Autoren,19
die er beim Leser – nur zu oft unausgesprochen – voraussetzte, die aber für uns heute aus
weit entfernten Erlebniswelten stammen. Damit wird die Realienkunde, richtig aufgefaßt,
erneut zu einer wertvollen Hilfswissenschaft. Allerdings sind die Regeln der Quellenkritik
vielleicht noch strenger zu beachten, ansonsten wäre ihr Beitrag wertlos. Das soll an
Beispielen verdeutlicht werden.
15
Formulae Marculfi II 17 (hg. von Karl Zeumer, MGH Formulae, Hannover 1886) 87 et quod in tercia mea
accepi.
16
An die sponsa z. B. Formulae Sangallenses 13, Formulae (wie Anm. 15) 385; 16, 387 (an die futura uxor
dotis nomine und ihre Dienerin unter anderem cavallum cum essedo); 18, 388 (cavallum cum phaleris);
vgl. F. Aug. C 5f. Vgl. Régine LE JAN-HENNEBICQUE, Aux origines du douaire médiéval (Vie – Xe siècles),
in: Veuves et veuvage dans le haut Moyen Age (Göttingen 1993).
17
Diesem Zweck – und als meist nicht angegebene Fundgruben – dienten zwei ältere Sammlungen: Elsmarie
KNÖGEL, Schriftquellen zur Kunstgeschichte der Merowingerzeit (Bonner Jahrbücher des rheinischen
Landesmuseums in Bonn 140/141, Darmstadt 1936) und Margarete WEIDEMANN, Kulturgeschichte der
Merowingerzeit nach den Werken Gregors von Tours (Römisch-germanisches Zentralmuseum,
Monographien 3, Teil1 und 2, Mainz 1982).
18
Brunner, Herzogtümer (wie Anm. 13) 36f.; Formulae Salomonis (hg. von Ernst Dümmler, Das Formelbuch
des Bischofs Salomon III. von Konstanz, Leipzig 1857) 131ff. bzw. Collectio Sangallensis n. 34 und 35
Formulae (wie Anm. 15) 418f.
19
Karl BRUNNER, Die Bilder im Kopf. Kulturwissenschaft jenseits der akademischen Fächer, in: Akten des
X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000 (hg. von P. Wiesinger und H. Derkits) 5 Mediävistik
und Kulturwissenschaften (betreut von Horst Wenzel, Stephan Jaeger und Alfred Ebenbauer, Bern etc.
2002) 27 – 34. Vgl. Augustinus, Confessiones X 15: Nomino quippe lapidem, nomino solem, cum res ipsae
non adsunt sensibus meis; in memoria sane mea praesto sunt imagines earum …
Brunner, Fs. Koch - 5 -
Asser, Bischof von Sherborne, betreute König Alfred († 899) beim Lesen, half ihm
bei Übersetzungen (c. 89) und schrieb seine Vita,20 die sich unter anderem an den Aufbau
von Einharts21 Vita Karoli anlehnt. Dort wird erzählt (c. 104), daß der König, als die
Kerzen in einer zugigen Kapelle vom Luftzug immer wieder ausgelöscht wurden, Laternen
aus umgedrehten Rinderhörnern erfand: Sie ähneln wohl nicht zufällig einerseits jenen seit
der Steinzeit bekannten Trichterlampen, die wir von den Bildern der klugen und törichten
Jungfrauen kennen,22 andererseits antiken Glasschalenlampen, denn der König ließ das
Horn bearbeiten, bis es durchscheinend war. Das Motiv der Verwendung von Hörnern für
alles Mögliche entspricht im übrigen dem Germanentopos.23 Es gibt auch eine nette
Variante: Insgesamt zwei Belege – die zum Glück voneinander völlig unabhängig sind –
fanden sich für frühmittelalterliche Babyfläschchen, einer in einer Heiligenvita – das
Umfeld ist deutlich als „barbarisch“ konnotiert – und ein anderer in Snorris
Heimskringla.24
Man kann sich vorstellen, was ein gewissenhafter Ausstatter historischer Filme aus
solchen Nachrichten machen würde. Was können wir aber nun ernsthaft aus diesen
zugegebenermaßen nicht gerade weltbewegenden – und gerade darum gewählten –
Beispielen entnehmen? Der Germanen-Topos evozierte offenbar nicht bloß das Bild des
wilden germanischen Kriegers, sondern betraf auch Vorstellungen von Gegenständen des
alltäglichen Bedarfs. Deutlich werden in den erwähnten Texten kulturelle Grenzsituationen
markiert, wobei der umgedrehte Bierhumpen bei Snorri noch einen spezifischen satirischen
Aspekt enthält. Es mag diese Lampen und die Behelfe für die Ernähung von Babys
20
Asser, De rebus gestis Aelfredi (hg. von William Stevenson, Oxford 1904).
Das wäre eigentlich die korrekte Schreibweise, wie er selbst sie in seinen Urkunden verwendet, vgl. z. B.
Urkundenbuch des Klosters Fulda (hg. von Edmund Ernst Stengel, Veröffentlichungen des Historischen
Kommission für Hessen und Waldegg 10/1, 1956/58) 240; 290. Zum sozialen Umfeld Einharts Karl
BRUNNER, Oppositionelle Gruppen im Karolingerreich (Veröffentlichungen des Instituts für
Österreichische Geschichtsforschung 25, 1979) 83–95.
22
Vgl. auch die Darstellung der Darbringung im Tempel im Perikopenbuch Heinrichs II., fol. 35v, Hermann
Fillitz, Rainer Kahsnitz, Ulrich Kuder, Zierde für die ewige Zeit, Das Perikopenbuch Heinrich II.
(Bayerische Staatsbibliothek, Ausstellungskataloge 63, Lachen am Zürichsee 1994) . Abb. auch auf der
CD Das Perikopenbuch Kaiser Heinrichs II., Bayerische Staatsbibliothek clm 4452 (Handschriften aus
bayerischen Bibliotheken auf CD-ROM, München 2002).
23
Vgl. z. B. Juvenal, Satiren 13, 164: Caerula quis stupuit Germanus lumina, flavam / caesariem et madido
torquentem cornua cirro? Isidor, Etymologiae 12 I 34: Uri agrestes boves sunt in Germania, habentes
cornua in tantum protensa ut regiis mensis insigni capacitate ex eis gerulae fiant.
24
Altfrid, V. Liudgeri I 7 (hg. von Wilhelm Diekamp, Die Geschichtsuqellen des Bisthums Münster 4,
Münster 1881) 12. Snorri, Heimskringla c. 25 (Slg. Thule 14, Düsseldorf/Köln 1965) 52 „Der Tod König
Auns“: „Jetzt [im hohen Alter] trank er sein Horn wie ein Säugling“ … „Da man hob hin zum Mund ihm
Ochsen-Schwerts äußeren Rand. Liegend sog … [er] oben am Horne.“ „Oben“ dürfte in diesem Fall die
Spitze meinen.
21
Brunner, Fs. Koch - 6 -
wirklich gegeben haben, sonst wäre ihre Schilderung für das Publikum auch nicht lebendig
geworden, aber wir wissen nicht, wie repräsentativ diese Nachrichten für den Alltag sind,
obwohl die scheinbare Nebensächlichkeit im Rahmen ihrer Kontexte für einen Sitz im
Leben spricht. Die Chance auf Verifikation von archäologischer Seite ist bei diesem
Material gering. Wenigstens bei Asser wird aus dem Zusammenhang die eigentliche
Botschaft des Textes deutlich, die das Objekt noch unterstreicht: König Alfred hat seinem
Land mit der Bemühung um das Christentum, den Übersetzungen und eben auch solchen
Leuchtern das Licht gebracht. Es würde doch eine wichtige Dimension abgehen, wenn eine
Quelleninterpretation nicht bis dorthin vordränge. Voraussetzung dafür ist aber eine relativ
aufwendige methodische Kontextualisierung.
Doch darf man mit der Skepsis bezüglich des Realitätsgehaltes nicht zu weit gehen.
Ich erinnere einen Bericht des Arztes Anthimus, der am Hof Theoderich Strabos († 481)
lebte und diesem in seinem Lehrbrief „De observatione ciborum“ auch von den Sitten der
Franken berichtete. Vor allem erstaunte den Griechen, was man dort alles mit Speck
(laredum) machte. Daß man rohen Speck auch auf Wunden auflegen könne und sie davon
gereinigt würden, erschien mir eher als Kuriosität – bis ein Arzt mir bestätigte, daß das
durchaus möglich sei.25
Auf eine sehr drastische Weise wird man damit an die klassischen Regeln der
Quellenkritik erinnert, scheinbare Selbstverständlichkeiten, gegen die aber im populären
wie im wissenschaftlichen Umfeld der Kulturgeschichte ständig verstoßen wird. Ein
weiteres Beispiel: Wer wäre z. B. nicht davon überzeugt, „die Alten“ hätten gerne und viel
Met getrunken? Sind nicht alle Quellen, besonders die Dichtungen, voll davon? Auch dem
Heiligen Paar Maria und Josef wird auf seiner Reise in der liebenswerten Dichtung des
Konrad von Fußesbrunnen môraz, wîn unde met serviert, unt daz aller beste lûter tranc,
wohlgekühlt.26 Das mußte man sich bei einem so prominenten Besuch wohl leisten –
ansonsten aber war Met wohl ein seltenes und, aufgrund des Ausgangsstoffes Honig und
eines sehr aufwendigen Herstellungsverfahrens, sehr teures Getränk, wie eine sorgfältige,
aber leider nicht gedruckte Untersuchung zeigen konnte.27 Zu der Versuchung, den Topos
25
Anthimus, De observatione ciborum ad Theodericum regem Francorum epistola c. 14 (hg. von Eduard
Liechtenhan, Corpus Medicorum Latinorum VIII/1, Leipzig/Berlin 1928) 9f.
26
Konrad von Fußesbrunnen, Die Kindheit Jesu (hg. von Hans Fromm, Berlin/New York 1973) 2391ff.
27
Hans Gerold KUGLER, Grundlegendes zum Trinkverhalten und zu den „minderen“ Getränken (Met, Lit,
Most, etc.) (Diplomarbeit, Klagenfurt 1995) 61–89. Vgl. George Robert GAYRE, Wassail! In Mazers of
Mead (London 1948).
Brunner, Fs. Koch - 7 -
„die Alten“ zu übersehen und die Großzügigkeit der Dichter ihren Helden gegenüber in den
Alltag zu übertragen, trug im übrigen bei, daß in vielen in Gräbern gefundenen Gefäßen
Honig aufgrund seiner besonderen Eigenschaften chemisch verhältnismäßig leicht
nachweisbar ist: Ein Göttergetränk für besondere Gelegenheiten also, aber keinesfalls für
den Alltag.
Umgekehrt kann man aus der Tatsache, daß Dinge des täglichen Bedarfs in
schriftlichen Quellen kaum vorkommen, nicht schließen, daß sie für die Menschen keine
Bedeutung hatten. Es gibt wohl keine Quelle, mit der Archäologen häufiger umgehen
müßten als die Keramik, wobei sie auf Grund der Gestaltung und der Technik
Kulturzusammenhänge und aufgrund des Rohmaterials und der Töpfermarken Gewerbe
und Handel belegen. Es gibt aber im gesamten lexikographisch erfaßten Material bis 1200
– und ich konnte auch im Apparat des mittellateinischen Lexikons in München nachsehen
– keinen Töpfer als Zeugen und nur eine einzige Stelle, die etwas über Töpfer berichtet.
Wandalbert von Prüm († um 870) erzählt von den Wundern seines Heiligen Goar, eines
Südfranzosen im rheinischen Exil, dessen Kloster gegenüber dem Loreley-Felsen liegt. Der
ansonsten
recht
liebenswürdige
Heilige
ist
eifersüchtig
darauf
bedacht,
von
Vorbeifahrenden besucht und verehrt zu werden. Wer ihm die Reverenz verweigert, dem
kann es – wie jenen, die den Gesang der von Clemens Brentano 1801 erfundenen Fee
hören – schlecht ergehen. Das mußten quidam figuli ollas praetio distrahendas in navicula
erleben.28 Weil sie sich nicht die Zeit zu einem Gebet nahmen, erreichte sie die ultio
divina, sie gingen unter und fanden, weil sie wie die meisten Zeitgenossen nicht
schwimmen konnten, den Tod. Die Gefäße schwammen auf dem Wasser davon, und nur
ein kleines Kind wurde wegen des Gebetes seiner Mutter gerettet.
Nun sind wir ein wenig ratlos. Ist doch auch noch Gott selbst als figulus im
Paradiese tätig gewesen. Gleichnisse mit Töpfern aus dem Alten Testament sind bekannt.29
Aber erst im 13. Jahrhundert wird ein solches Motiv wieder aufgegriffen.30 Das Wortspiel
28
Wandalbert, Miracula s. Goaris c. 20 (hg. von Oswald Holder-Egger, MGH SS 15/1, Hannover 1837) 368.
Eine jüngere Edition bietet Heinz Erich STIENE, Wandalbert von Prüm. Vita et Miracula sancti Goaris c. 21
(Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 11, Europäische Hochschulschriften, Reihe 1, Deutsche
Sprache und Literatur 399, Frankfurt am Main/Bem 1981) , Text auch benützbar unter http://onlinemedia.uni-marburg.de/ma_geschichte/reisen/Quelle01.html#21.
29
Belege bei Ernst Robert CURTIUS, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (Bern 1948) 529–531.
Vgl. auch Is 29, 16 und Jer 18, 2ff.
30
Stricker, Die Kleindichtungen (hg. von Wolfgang Wilfried Moelleken, Göppinger Arbeiten zur
Germanistik 107, Göppingen 1973–1978) 151. Freidanks Bescheidenheit 6 (hg. von Heinrich Ernst
Bezzenberger, Halle 1872) 23f.: Waz mac der haven sprechen, will in sîn meister brechen?
Brunner, Fs. Koch - 8 -
zwischen fingere (auch im Sinne von componere) und figulus müßte von den
Kirchenvätern her bekannt gewesen sein.31 Anscheinend hemmte das mangelnde Prestige
der Tonwaren im Mittelalter trotz des biblischen Textmaterials die Verwendung im
literarischen und theologischen Kontext.
Der „Kontext der Dinge“ ist also vom Forscher in vielfältiger Hinsicht zu beachten.
Daß zu diesem Kontext zumeist doch die Bibel gehört,32 braucht nicht extra betont zu
werden. Dieser Kontext ist unermüdlich aufzusuchen, und der Nachweis der Bibelstellen in
den Editionen ist angesichts der ständig sinkenden Kenntnisse wichtiger denn je, doch ist
die Beziehung, wie am Töpfer-Beispiel zu sehen war, keineswegs geradlinig. Das eine wird
ignoriert, für das andere wird ein Ersatz geschaffen, wie z. B. für die Narde, aus der im
Mittelalter Lavendel wurde.33 Manchmal weiß man nicht recht, ob das erwähnte Objekt im
Mittelalter überhaupt einen Sitz im Leben hatte oder nur wegen seiner Erwähnung in der
Bibel und bei den Kirchenvätern wieder zur Sprache kommt, wie beim pannus
menstruatae, dessen Belege sehr stereotyp sind und für den unsere geistlichen Autoren ja
wohl keine ausgesprochenen Fachleute waren.34
Dichter statten leicht ihre Helden mit Prunk aus, der Zeitgenossen an Kostbarkeit
überfordert hätte oder, wie der häufig erwähnte Karfunkel, ganz aus der Sagenwelt
stammte. Aber es ist zu vermuten, daß ein Teil des Publikums bei diesem leuchtenden
Edelstein genauso wie beim Einhorn glaubte, daß es ihn in Wirklichkeit doch irgendwo
gäbe. Dann gehören beide in gewisser Weise doch zu den „Realien“.
Daß normative Quellen nicht direkt die Realität wiedergeben, sondern oft nur auf
einen Regelungsbedarf hinweisen, wenn sie nicht überhaupt einer intertextualen Logik
folgen, gehört zum Grundbestand rechtshistorischen Wissens. Ähnliches gilt auch für
wissenschaftliche Handbücher, die aus der Antike bis in die Neuzeit tradiert wurden: Sie
überliefern Ordnungsvorstellungen und Relationen, und gelehrte Nutzer waren gewohnt,
die dort gelesenen Anweisungen in ihre aktuellen Verhältnisse umzudeuten, wie ein
Richter des Mittelalters und der frühen Neuzeit das normative Recht an die Gegebenheiten
31
Gregor d. Gr., Homiliae in evang. II 23, 1 (übers. und eingeleitet von Michael Fiedrowicz, Fontes
Christianis 28/2, Freiburg/Basel/Wien 1998) 420 und Augustinus, Enarratio in Ps 93, 23 (hg. von D.
Eligius Dekkers und Jean Fraipont, Corpus Christianorum, ser. lat. 39, Turnholt 1980) 1324.
32
Vgl. den Klassiker von Beryl SMALLEY, The Study of the Bible in the Middle Ages (Notre Dame 1978).
33
Brunner, Schweif (wie Anm. 3) 689.
34
Die Belege sind leicht mit dem CLCLT 5 (Turnholt 2002) nachzuprüfen.
Brunner, Fs. Koch - 9 -
seines Verantwortungsbereiches anpaßte, ohne im Geringsten das Gefühl zu haben, das
Recht zu biegen oder zu brechen.35
So brauchte niemand die Preisangaben frühmittelalterlicher Leges umzurechnen,
und die Handschriften blieben doch oder gerade deshalb für spätere Verfahren nützlich.
Wandalbert brauchte in seinem Martyrologium die Kalenderangaben zur Landwirtschaft36
weder auf Prüm noch auf Köln abzustimmen. Petrus des Crescentiis konnte wieder einmal
auf die antiken Agrarschriftstelle zurückgreifen37 und aus Vitruv38 konnten sowohl Einhart
für Aachen als auch Suger für St. Denis39 und viele andere lernen. Nur wir sind in der
Verlegenheit, bei der Interpretation – auch für die Realienkunde –, alle diese Kontexte neu
rekonstruieren zu müssen und damit immer noch und mehr denn je auf die Kunst kritischer
Editoren angewiesen. Eine rasche Suche nach Belegen in elektronischen Medien gibt wohl
Anregungen, ersetzt die Lektüre aber nicht, ja verstärkt noch das Bedürfnis nach
sorgfältigen und kenntnisreichen Kommentaren.40
Da in den meisten Fällen für die Darstellung der puren Handlung streng genommen
Subjekt und Verbum genügen würden – jemand reitet, redet, tötet –, weist die
ausdrückliche Erwähnung eines Objektes fast immer über seine schiere Existenz hinaus:
Wenn es heißt, auf einem Pferd, von einem Hügel aus, mit einer Keule, dann ist das etwas
Besonderes, weil erzählenswert, auch wenn es wirklich so stattgefunden hat. Sollte er, etwa
als Geistlicher, besser ein Maultier oder einen Esel benützen? Funktion und Repräsentation
sind meist eng miteinander verbunden.41
35
Zum Verhältnis der habsburgischen Gesetzgebung, vgl. dazu Joseph PAUSER, Landesfürstliche
Gesetzgebung (Policey-, Malefiz- und Landgerichtsordnungen, in: ders./Martin Scheutz/Thomas
Winkelbauer (Hg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches
Handbuch. Wien/München 2004, 216-257, zur alltäglichen Rechtspraxis zuletzt Andrea GRIESEBENER,
Diebe und Diebinnen  und DIES., Konkurrierende Wahrheiten. Malefizprozesse vor dem Landgericht
Perchtoldsdorf im 18. Jahrhundert (Frühneuzeit-Studien, Neue Folge 3, Wien/Köln/Weimar 2000).
36
Wandalbert von Prüm, Das Reichenauer Martyrologium für Kaiser Lothar I., Faksimile-Ausgabe des Cod.
Reg. Lat. 438 und Kommentarband von Hans-Werner STORK (Zürich 1997); in der Ausgabe von Ernst
Dümmler (MGH Poetae Latini 2, Berlin 1884) 578ff.
37
Petrus de Crescentiis, Ruralia commoda. Das Wissen des vollkommenen Landwirts um 1300 (Editiones
Heidelbergenses 25, Heidelberg 1995).
38
Vitruv, De Architectura (übers. und kommentiert von Curt Fensterbusch, Bibliothek klassischer Texte,
Darmstatt 51991).
39
Abt Suger von Saint-Denis. Ausgewählte Schriften (hg. von Andreas Speer und Günther Bindung,
Darmstadt 2000).
40
Vom Nutzen des Edierens (hg. von Brigitte Merta, Andrea Sommerlechner und Herwig Weigl, Mitteilngen
des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Erg. Bd. 47, Wien/München 2005). Karl BRUNNER,
Ein Krieg mit Texten. Anmerkungen an Stelle fälliger Rezensionen, in: MIÖG 113 (2005) 392–398.
41
Karl BRUNNER, Einführung in den Umgang mit Geschichte (Wien 42004) 98.
Brunner, Fs. Koch - 10 -
Die Bedeutung von Objekten wird aber von zwei Seiten her bestimmt: Der Autor
stattet damit seine Szene aus, um die Handlung zu konkretisieren und – meist zugleich –
sie in ein Beziehungsgeflecht zu bestimmten Lebenswelten, aber auch zu anderen Texten
zu stellen. Diese seine Intention wird aber erst wieder lebendig, wenn der Rezipient solche
Kontexte in seinem Kopf realisieren kann. Wir fragen daher nicht nur nach dem Horizont
der Autoren, sondern auch jenem des erwarteten Publikums, auf das sich der Autor
einstellt. Viele Autoren, unter ihnen große Dichter wie Wolfram von Eschenbach,42
sprechen gleichzeitig ganz verschiedene Gruppen im Publikum an, weil die einen nur die
offenkundige Handlung verstehen, während die anderen z. B. auch intertextuelle Bezüge zu
anderen Werken genießen können. Das ist auch eines der Geheimnisse des Minnesanges:
Man kann ihn zur Unterhaltung trällern, aber auch die Feinheiten der Überbietung
gegenüber Vorgängern genießen.
Am Anfang war bekanntlich der λόγοϛ (verbum), nicht der Buchstabe; diesem
mißtraute schon Sokrates.43 Der Geist, der lebendig macht (2 Cor 3, 6), braucht dazu
Bilder. Wir nehmen die meisten von ihnen, wie sie im Text auf uns kommen, als
gemeinverständlich hin. Aber welche Vielfalt bildet sich in den Vorstellungen beim Wort
„Wald“, wie fremd ist eigentlich die mittelalterliche Vorstellung von „Straße“! Küche,
Kind und Kirche, in der Moderne zum Symbol der Beschränktheit von Frauenrollen
geworden, umfassten im Mittelalter Bedingungen der Existenz und Statuserhaltung, und
die Zusammenhänge dürfen, wenn Objekte aus ihrem Umfeld genannt werden, keinesfalls
„betulich“ ausgelegt werden. Textilarbeit produziert eine der höchsten Wertschöpfungen
im Haushalt und darf keinesfalls mit dem Nadelwerk im 19. und 20. Jahrhundert
gleichgehalten werden.
Oft, daran sei noch einmal erinnert, bezieht das Objekt seine Bedeutsamkeit nicht
allein aus der Lebenswelt. Beim Autor wie beim Publikum stehen textuale Bezüge bereit,
die über die Lebenswelt, wie sie zur Abfassungszeit wahrnehmbar war, weit hinausführen:
In eine besonders legitimierte Vergangenheit oder in eine Welt der Phantasie, die aber nicht
nur märchenhafte Flucht ist, sondern der Lebenswelt Sinn und Hintergrund verleihen kann.
Manchmal ist das Objekt auch der Stolperstein, der durch seine vorgestellte Dinglichkeit
den Text für das Publikum auf eine besondere Aufmerksamkeitsebene stellt, wie die drei
42
Vgl. z. B. die Abhandlung über das literaturtheoretische Konzept Wolframs in: Walter HAUG,
Literaturtheorie im deutschen Mittelalter (Darmstadt 21992) 155–178.
43
Phaidros 274c – 275b; 275a: οὔκουν μνήμης, ἀλλα ὑπομνήσεωϛ sei die Schrift.
Brunner, Fs. Koch - 11 -
Blutstropfen im Schnee für Parzival (282, 11). Manchmal wird der Text selbst zum Objekt,
wie am Brackenseil in Wolframs Titurel-Fragmenten,44 oder in jenen bildlichen
Darstellungen, in denen „das Wort“ als Buch materiell verkörpert und verschlungen wird.45
Realienkunde, besonders die Erforschung von „Realien im Kontext“, ist also nicht
bloß eine antiquarische Disziplin, die mit ihrem gesammelten kulturgeschichtlichen
Material
Farbe
in
die
Geschichtebücher
bringt,
sondern
eine
unverzichtbare
Hilfswissenschaft bei der Interpretation von Quellen aller Art.
44
Wolfram von Eschenbach, Titurel. Lieder. Mittelhochdeutscher Text und Übersetzung 142ff. (hg. von
Wolfgang Mohr, Göppinger Arbeiten zur Germanistik 250, Göppingen 1978) 60ff.
45
Horst WENZEL, Die Schrift und das Heilige, in: Die Verschriftlichung der Welt. Bild, Text und Zahl in der
Kultur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Schriften des Kunsthistorischen Museums 5, Wien 2000)
15–58 mit Abb. 16 (Buch als Wiege, 13. Jh.) und 22 (Gott im Buch, Wolfenbüttener Sachsenspiegel, 14.
Jh.).
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