Feministische Demokratie - Die Feministische Partei

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Politische Selbstbestimmung ist das Ziel:
Institutionen und Prozesse in einer feministischen Demokratie
von Bundessprecherin Dr. Anja Klauk
Unsere Demokratie ist von oben gedacht: Entscheidungen werden von Eliten, d.h. von Parteien und
Verbänden, vorbereitet und getroffen. Dabei liegt unserer Demokratie die Idee der Repräsentation
zugrunde: Das Volk - der eigentliche Souverän - überantwortet qua Grundgesetz gewählten
RepräsentantInnen die Entscheidungskompetenz zu politischen Sachfragen.
Meine These ist nun: Die Kehrseite der Repräsentation ist die Bevormundung. In immer weniger
transparenten Prozessen treffen die gewählten ParlamentarierInnen politische Entscheidungen,
während die eigentlichen Diskussionen an der Bevölkerung vorbeilaufen. Öffentliche Meinungsbildung
findet fast nur über anonyme Massenmedien oder an wenigen Stammtischen statt und häufig erst
dann, wenn "der Zug schon abgefahren" ist. Unterschriftensammlungen, die den politischen Willen
jedes einzelnes Bürgers scheinbar dokumentieren, werden nicht selten manipulativ eingesetzt, z.B.
durch die hessische CDU zum Thema doppelte Staatsbürgerschaft im Vorfeld der Landtagswahl 1999.
Nicht zuletzt kürzte die Bundesregierung der Bundeszentrale für Politische Bildung die Mittel.
Insgesamt läßt sich feststellen, dass sich die BürgerInnen zunehmend aus dem politischen System
ausklinken. Vor allem Frauen finden sich in den derzeit gültigen Strukturen nicht wieder. Die hat nicht
nur mit der Parteispendenaffäre zu tun, sondern beruht auf einem systematischen Defizit des derzeit
gültigen politischen Systems, denn: Das Grundgesetz bevorzugt einseitig Parteien. Den BürgerInnen
selbst räumt es keine politische Selbstbestimmung ein, denn es fordert die Entscheidungskompetenz
der BürgerInnen in Sachfragen weder aktiv noch verbindlich ein.
Was also ist zu tun?
Ein längst überfälliges Instrument ist der bundesweite Volksentscheid, für das sich der Verein Mehr
Demokratie e.V. seit Jahren einsetzt. Abhängig von seiner konkreten Ausgestaltung könnte der
Volksentscheid den geeigneten Rahmen schaffen, innerhalb dessen sich politisches Engagement
auch außerhalb von Parteien für jedeN EinzelneN lohnt. Zahlreiche Studien bescheinigen zumindest
dem kommunalen BürgerInnenentscheid, dass er zu einem Umdenken in Parteien und der Aktivierung
bestimmter Teile der Bevölkerung führen kann. Ob dies auch auf Bundesebene zutreffen wird, bleibt
allerdings abzuwarten.
In jedem Fall steht fest, daß der bundesweite Volksentscheid den BürgerInnen ein neues Recht auf
Mitwirkung einräumt. Wie Untersuchungen auf kommunaler Ebene zeigen, beteiligen sich
überproportional akademisch Gebildete, Betroffene, sog. Sozialaktive und - Männer. Wie sich mir in
verschiedenen Diskussionen mitteilte, verlangt ein solches Verfahren denen, die den Prozeß
vorantreiben wollen, einen Hürdenlauf und ein Höchstmaß an persönlichen Qualifikationen ab:
ständige Informiertheit, lokale Bekanntheit, Mut, ausgezeichnete Sachkenntnis der kommunalen
politischen Lager und EntscheidungsträgerInnen, Ausdauer, Zeit, Geld und
Verantwortungsbereitschaft über den eigenen Tellerrand hinaus. Dies alles sind Qualifikationen einer
Elite, die zu jeder Zeit und unabhängig von der jeweiligen politischen Kultur existiert hat. Mit einer
politischen Kultur, die auf grundsätzliche politische Partizipation jedes Bürgers und jeder Bürgerin
angelegt ist, hat dies jedoch erst einmal wenig zu tun.
These: Eine aktive Kultur der Beteiligung und der Auseinandersetzung braucht fördernde Strukturen
und Institutionen. Diese müssen stets und zuallererst beim direkten sozialen Umfeld der BürgerInnen
ansetzen.
Der Grund ist, dass die politische Meinungsbildung in erster Linie vom direkten sozialen Umfeld
geprägt wird, denn mit den Menschen, mit denen wir in direktem persönlichen Kontakt stehen, werden
am ehesten Argumente und Meinungen ausgetauscht. Damit jedes Thema und jegliche politische
Fragestellung besprochen werden kann, müssen die BürgerInnen sie jedoch in ihre eigene
Lebenswelt einordnen können. Dies bedarf nicht nur der Öffentlichkeitsarbeit durch Parteien, sondern
zusätzlicher Institutionen.
Soziales Umfeld für die politische Diskussion schaffen
Um zu zeigen, wie diese Institutionen beschaffen sein müssen, werfen wir zunächst einen Blick auf
das direkte soziale Umfeld, in dem die politische Meinungsbildung hauptsächlich stattfindet: Familie,
FreundInnen, Nachbarn, Bekannte, ArbeitskollegInnen, VereinskameradInnen, in seltenen Fällen
Mitglieder einer politischen Partei.
Was ist nun das Kennzeichen dieser sozialen Bezugsgruppen? Sie sind meistens von überschaubarer
Größe und frei von organisationsspezifischen Machtinteressen, wie sie typisch für Verbände und
Parteien sind. Sie sind netzartig strukturiert und setzen auf persönliche Kommunikation mit dem
Gegenüber, auf Beziehung und auf Konsens, um die soziale Integration ihrer jeweiligen Mitglieder zu
gewährleisten. Ihre Gesprächsthemen orientieren sich in der Regel an lebensweltlichen Kontexten.
Eine zentrale feministische Forderung ist nun, dass sich nicht nur die private Kommunikation, sondern
politisches Handeln und politische Entscheidungen generell an lebensweltlichen Erfahrungen und
Kontexten orientieren sollen, und nicht nur an davon abgehobenen, abstrakten Prinzipien bzw.
organisationsspezifischen Machtinteressen. Dies bedeutet umgekehrt: Demokratische
Meinungsbildungsprozesse müssen so thematisiert und gestaltet werden, dass BürgerInnen jegliche
politische Fragestellung in ihre eigene Lebenswelt einordnen und vor ihren eigenen Erfahrungen mit
der Umwelt gewichten können.
Was bedeuten diese Forderungen nun? Sie bedeuten, dass politische Institutionen geschaffen werden
müssen, die sich die Mechanismen, die im privaten, sozialen Umfeld greifen, zunutze machen.
Sie legen nahe, dass politische Meinungsbildungsprozesse inszeniert werden müssen, die auf das
persönliche Gespräch zwischen gleich-berechtigten Menschen setzen.
Kontextorientierung als demokratisches Grundprinzip
Überlegungen und Erkenntnisse aus dem feministischen Umfeld können nun eine Antwort darauf
geben, wie diese Meinungsbildungsprozesse ausgestaltet werden müssen:
- die Reduktion auf ein definiertes Thema, zum Beispiel im Rahmen eines direktdemokratischen
Entscheidungsverfahrens. Diese Begrenzung macht es möglich, sich auf ein Thema zu konzentrieren
und gewährleistet Überschaubarkeit: Diese ist nötig, um sich mit dem Thema in Beziehung zu setzen
und Argumente vor dem eigenen Erfahrungshintergrund abzuwägen.
- Rahmenbedingungen zur authentischen und unabhängigen Artikulation eigener Interessen.
Authentisch heißt: von der eigenen Person ausgehend, und nicht an den (unterstellten) Interessen der
Umgebung orientiert, zu der eine Abhängigkeit besteht. Diese Forderung ergibt sich aus den
Erfahrungen von Institutionen der feministischen Mädchenarbeit und der Frauenpartizipation, die
erleben, dass gerade Frauen und Mädchen die authentische Artikulation erst spät erlernen. Daher
liegt es nahe, geschlechtsspezifische Gruppen zu bilden, in denen Dritte weder bevormunden noch
besondere Vorteile genießen dürfen.
Diese Argumentation läßt sich leicht auf andere marginalisierte gesellschaftliche Gruppen übertragen.
- vielfältige und ausführliche Diskussionsprozesse unter möglichst vielen Blickwinkeln. Ständiger und
freier Zugang zu Informationen sowie ein Höchstmaß an Transparenz auf jeder Stufe der
Auseinandersetzung bilden hier unverzichtbare Grundvoraussetzungen. Die seit kurzem praktizierte
Veröffentlichung von Gesetzesvorschlägen von Seiten des Deutschen Bundestags im Internet bildet
dann nur einen winzigen Baustein. Wie wichtig Transparenz gerade für diejenigen ist, die sonst nicht
Ernst genommen werden und kein Gehör finden, läßt sich an zahlreichen Fallbeispielen belegen, z.B.
auch an unserer Partei.
- die Diskussion in kleinen und hierarchiefreien Gruppen aus LaiInnen, Betroffenen, ExpertInnen und
BürgerInnen, z.B. nach dem Modell der Planungszelle von Peter Dienel, als kleinste und
überschaubare Einheiten politischer Gemeinschaft. Sie ermöglichen im Idealfall die ergebnisoffene
kontroverse Diskussionen ohne organisationsspezifische Eigeninteressen, außerdem die
gleichwertige Integration. Aufgrund von Face-to-face-Kommunikation ermöglichen sie persönliche
Sichtwechsel und machen den/die andere/n in seiner/ihrer Argumentation erfahrbar - ein
Beziehungsaspekt, auf den viele Frauen besonderen Wert legen. Zahlreiche Fallbeispiele belegen
zudem eine hohe Zufriedenheit der Beteiligten, ihre starke Identifikation mit dem verhandelten Thema
(Beziehungsaspekt!) - und ihre Bereitschaft, sich grundsätzlich mehr politisch zu engagieren.
Partizipationsinstrumente dieser Art können die politische Aktivierung der BürgerInnen bewirken und
die Bildung von Konsens und Gemeinwohlorientierung fördern - eine Leistung, die unser einseitig auf
Parteien fixiertes System immer weniger erbringt. Face-to-face-Kommunikation ermöglicht das
persönliche Sich-Einlassen, Identifikation und nicht zuletzt die Integration ihrer Mitglieder - eine
Leistung, die eine anonyme Medien-berichterstattung kaum erbringt.
- das aktive Inszenieren von Meinungsbildungsprozessen sowie das Einfordern der
Entscheidungskompetenz der BürgerInnen. Denn aller Erfahrung nach glauben diejenigen, die vorher
nicht beteiligt wurden, nicht so recht daran, dass nun alles anders wird; im schlimmsten Falle gehen
sie erst gar nicht hin. Daher sind aus meiner Sicht besondere Institutionen zu fordern, z.B. kommunale
Beteiligungsbeauftragte, die je nach der Größe der Kommune mit eigenem Budget und Personal
ausgestattet sind. Ihre Aufgabe wäre es, im Vorfeld eines Volks- oder BürgerInnenentscheids eine
Mindestanzahl an Diskussionsveranstaltungen bzw. Planungszellen zu organisieren. Die
Diskussionsforen müssen wenigstens teilweise geschlechtsspezifisch angeboten werden. Sie sollten
die Entscheidungs-kompetenz der BürgerInnen aktiv einfordern, zum Beispiel in Form eines
Gutachtens bzw. einer Stellungnahme, das/die die TeilnehmerInnen im Konsens formulieren. Das
Gutachten könnte den Vertrauensleuten eines BürgerInnenentscheids zugehen und zusammen mit
anderen ausgewertet werden. Wie wichtig das Zugehen auf eine sonst benachteiligte Zielgruppe ist,
belegen Institutionen, die sich mit Jugendpartizipation beschäftigen: Jugendliche, vor allem Mädchen,
fühlen sich erst dann einbezogen, wenn SozialarbeiterInnen o.ä. zu ihnen hingehen, anstatt sie nur
kommen zu lassen ("Geh-Struktur").
- Kontrolle: Gerade, wenn Partizipationsinstrumente für die Beteiligten glaubwürdig sein sollen,
müssen sie idealerweise zu jedem Zeitpunkt Mitwirkungsmöglichkeiten am Meinungsbildungsprozess
erlauben sowie die Aufklärung über den Stand der Dinge gewährleisten. Vor dem Hintergrund der
Parteienkrise ist klar, dass die Sensibilität und das Misstrauen der BürgerInnen gegenüber mehr
Demokratie versprechenden Instrumenten sehr hoch sein wird. Dafür sprechen auch die Erfahrungen
der Mitfrauen der Feministischen Partei DIE FRAUEN, die hohe Forderungen an die innerparteiliche
Demokratie stellen: Zahlreiche Satzungsänderungsanträge zeigen, wie sehr kleine und kleinste
Machtungleichgewichte registriert werden.
- die Neudefinition der politischen Rolle von Parteien, vielleicht als Moderatoren politischer Prozesse.
In einer Beteiligungsdemokratie, in der die BürgerInnen das direktdemokratische Recht auf politische
Selbstbestimmung nutzen, kommt ihnen wahrscheinlich eine bedeutende Rolle in der Vermittlung
politischer Inhalte zu - eine Rolle, die bisher meistens nur vor Wahlen wahrgenommen wird.
- die Politisierung öffentlicher Räume: Diese Forderung macht nicht nur eine geeignete Stadtplanung
nötig, sondern die feste Quotierung der Medien mit Sendungen, die sich ausschließlich der
Auseinandersetzung im Vorfeld eines Volks- bzw. BürgerInnenentscheids widmen.
Insgesamt kann eine Neuausrichtung der Demokratie an den feministischen Prinzipien Integration,
Prozeß und Beziehung langfristig dazu führen, dass die unglückselige Polarisierung zwischen
Individuum und Gemeinschaft bzw. Gemeinwohl überflüssig wird. Konsens wird im Face-to-FaceDiskurs von politisch selbstbestimmenden Menschen erzeugt. Die direkte Demokratie als
BürgerInnenrecht im Grundgesetz zu verankern, bildet dabei meiner Meinung nach eine
unverzichtbare Grundvoraussetzung.
Die Feministische Partei DIE FRAUEN setzt auf die politische Selbstbestimmung kritischer und
konfliktfähiger BürgerInnen. Wir glauben, dass eine tragfähige Gesellschaft an einer entsprechenden
demokratischen Entwicklung nicht vorbeikommt. In der Wirtschaft und bei der privaten Altersvorsorge
wird bereits auf den selbstverantwortlichen Menschen gesetzt. Warum sollte unsere Demokratie dann
nicht auch auf den politisch selbstbestimmten Menschen setzen?
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