Vortrag zur Einführungsveranstaltung „Werte und Normen unter

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Vortrag zur Einführungsveranstaltung „Werte und Normen unter Globalisierungsdruck“
Universität Bern, 16. November 2013
Volksinitiativen und Globalisierung
Meine Damen und Herren,
Volksinitiativen sind Instrumente des Protests. Volksinitiativen sind darüber hinaus
aber auch eine Art Frühwarnung, mit denen sich gesellschaftliche Veränderungen im
Verhalten der Stimmbürgerschaft ankündigen. Und solche sind nicht selten
überraschend. Das war auch der Fall bei der Minarett Initiative, welche mit im Jahre
2009 von 19 ½ Kantonen und mit 57,5 Prozent der Stimmen bei hoher
Stimmbeteiligung angenommen wurde.
Die tagespolitische Einschätzung war klar. Es ging den Befürwortern nicht nur gegen die
Eingewanderten muslimischer Religion. Vielmehr waren es all die ungelösten Fragen
der stets stärker werdenden Einwanderung, etwa die soziale Probleme der Integration,
oder schlechthin das Zusammenleben mit Angehörigen einer uns fremden Kultur, die zu
dem überraschenden Ergebnis beigetragen hatten. Nicht zu übersehen ist auch die
permanent negative Etikettierung des Islam, welche nach den Vorgängen um 9/11 die
westlichen Medien prägte. Denkzettel gegenüber der offiziellen Einwanderungspolitik,
ein Stück symbolische Politik, konnte man entschuldigend sagen. Aber es blieb die
Tatsache der gewollten und beabsichtigten Diskriminierung einer religiösen Minderheit.
Das verstiess- und verstösst- gegen die Tradition religiöser Toleranz, welche sich in der
Schweiz erst nach Jahrzehnten heftiger Auseinandersetzung durchsetzen konnte. Und
nicht wenige fanden es in höchstem Masse bedenklich, dass es eine Regierungspartei
war, welche der Minarett-Initiative zum Erfolg verhalf und damit die Errungenschaft des
religiösen Friedens aufs Spiel setzte.
Nun kamen in den letzten Jahren gleich mehrere Volksbegehren zum Erfolg, welche
gegen das Verfassungs- oder das internationale Recht zu verstossen scheinen, so die
Verwahrungs und Ausschaffungsinitiative. Auch diese waren geprägt von einer starken
Emotionalisierung gegenüber der Praxis der Behörden, sei es gegen angebliche die
Laxheit gegenüber Sexualverbrechern oder straffälligen Ausländern.
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Die Schwierigkeit, diese Initiativen ohne Verletzung des Verfassungs- oder des
internationalen Rechts umzusetzen, sind bekannt. Ich will darauf nicht eingehen. Aber
wir müssen damit rechnen, dass es künftig häufiger zu Kollisionen von Volksbegehren
mit dem internationalen Recht kommt. Dies aus zwei Gründen. Erstens nimmt das
internationale Recht einen immer grösseren Anteil an der Gesetzgebung ein. Und dieses
Recht wird mitunter nicht nur als fremdes Recht, sondern als Einmischung in die
eigenen Werte und Traditionen angesehen. Konflikte zwischen Landes- und
internationalem Recht sind also vorprogrammiert. Die Frage ist nur, wie wir damit
umgehen sollen.
Namhafte Juristen verlangten, allen rechtlich fragwürdigen Initiativen künftig einen
Riegel zu schieben. Sie schlugen vor, dass Volksbegehren schon vor ihrer Einreichung
geprüft und bei Völkerrechtswidrigkeit für ungültig erklärt werden, so dass sie gar nicht
mehr zur Abstimmung kommen. Das Parlament will dies nicht. Stattdessen will es bei
Volksinitiativen in der völkerrechtlichen Grauzone auf den Unterschriftenbögen
vermerken lassen, dass das Begehren völkerrechtlich fragwürdig ist und allenfalls von
Strassburg wegen Verstosses gegen die MRK für ungültig erklärt werden kann.
Mir scheint dieser Weg richtig, und zwar aus zwei Gründen. Erstens hält er an der
liberalen Praxis des Parlaments fest, die in der Vergangenheit nur in ganz seltenen und
eindeutigen Fällen eine Initiative wegen Verfassungswidrigkeiten ungültig erklärte. In
Zweifelsfällen, wie etwa bei den Armeeabschaffungsinitiativen, hatte das Parlement
stets auf den gesunden Menschenverstand des Volks in der Abstimmung vertraut und
damit Erfolg gehabt.
Zweitens gibt es ein grundsätzliches Problem, das über die Fragwürdigkeit einzelner
Volksinitiativen hinausreicht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
nämlich den Geltungs- und Anwendungsbereich der Menschenrechte stark ausgedehnt.
Jüngst hat sich das englische Parlament offiziell über die zunehmenden Eingriffe des
Strassburger Gerichts in die britische Gesetzgebung beklagt. Auch das schweizerische
Bundesgericht hat verschiedentlich seinem Kopfschütteln über Richtersprüche aus
Strassburg Ausdruck gegeben.
Nun sind Menschenrechte sind stets eingebettet in die wirtschaftlich-sozialen
Strukturen einer Gesellschaft. Sie in Europas Vielfalt fortzuentwickeln ist daher ein
fundamental politischer Prozess, der nicht der juristischen Dogmatik höchster Richter
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überlassen bleiben kann. Es sind die europäischen Parlamente – und in der Schweiz
auch das Volk—welche demokratisch legitimiert sind, diese Ausgestaltung der
Grundrechte vorzunehmen. Richterliche Korrekturen haben zwar auch ihre
Legitimation, aber nur in letzter Instanz und wenn sie mit gebotener Zurückhaltung
vorgenommen werden.
Sie sehen nun, wie ich die Frage des Spannungsfeldes zwischen Demokratie und
Menschenrechten beantworten möchte, nämlich als politischen Prozess, der die vollen
verfassungsmässigen Kompetenzen von Parlament und Volk unangetastet belässt, aber
richterliche Korrekturen aus Strassburg als Teil der vertraglichen Verpflichtungen aus
der EMRK hinnimmt.
Ich möchte die näheren juristischen Aspekte gerne dem nächsten Redner, meinem
Kollegen Andreas Kley überlassen, und wende mich den politologischen Aspekten des
Konflikts zwischen Landesrecht und internationalem Recht zu.
Minarett-, Ausschaffungs- oder Verwahrungsinitiative sind völkerrechtlich in der roten
oder der Grauzone, aber wirtschaftlich gesehen allesamt ohne Bedeutung. Die Annahme
der Abzocker-Initiative kündigt nun aber an, dass sich auch in ökonomisch relevanten
Themen gesellschaftliche Veränderungen ankündigen. Die Stimmbürgerschaft scheint
weniger wirtschaftsfreundlich zu sein als früher. Davon zeugt der Erfolg der AbzockerInitiative, und noch bis vor einer Woche wurden der 1: 12 Initiative grosse Chancen
eingeräumt. Auf kantonaler Ebene gab es in der Vergangenheit Steuerprivilegien für
reiche Ausländer- von Besitzern grosser Unternehmen bis zu Formel-1 Piloten und Stars
der Unterhaltungsindustrie. Den Einheimischen waren diese Zuzüger während langem
willkommen. Sie sagten sich nämlich: diese Reichen haben zwar einen günstigen
Sondertarif, aber sie bezahlen einen Teil jener Steuern, die wir sonst selber bezahlen
müssten. Heute geht dieser Deal nicht mehr auf. Die Stimmbürger glauben nicht mehr,
dass dies ein gutes Geschäft ist, und mit Initiativen schaffen sie solche Privilegien ab.
Hinter solchen Veränderungen steht keine generelle Wirtschaftsfeindlichkeit. Aber
Konflikte um die Einkommens- und Vermögensverteilung nehmen eben zu, wenn die
sozialen Ungleichheiten stärker und augenscheinlicher werden.
Noch deutlicher wird dies in Fragen der Einwanderung. Im nächsten Februar stimmen
wir über die SVP- Einwanderungs-Initiative ab. Diese will die Zahl der
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Aufenthaltsbewilligungen durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzen.
Bundesrat und Parlament haben die Initiative abgelehnt, doch scheinen ihre Chancen in
der Volksabstimmung durchaus intakt. Dabei steht ausser Zweifel, dass bei Annahme
des Begehrens ein Konflikt mit Brüssel vom Zaun gerissen würde, der uns im
schlechtesten Fall die Kündigung aller bilateralen Verträge mit der EU kosten könnte.
Die Auseinandersetzung um die Einwanderung offenbart die aktuell grösste Spaltung in
der schweizerischen Gesellschaft, und der Ausgang der Volksabstimmung hat
weitreichende wirtschaftlich-soziale Folgen.
Der schwindende Konsens in wirtschaftlichen Fragen kommt allerdings nicht von
ungefähr. Die Langfrist-Analyse von Volksabstimmungen zeigt, dass zwei
gesellschaftliche Spaltungen seit mehr als zwei Jahrzehnten zunehmen, nämlich der
Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit und der Stadt-Land-Konflikt. Ich sehe die
Zunahme beider Spaltungen als Folge der Globalisierung. Globalisierung ist in der
Schweiz besonders stark, und sie findet vor allem in der Form der Europäisierung auf
dem bilateralen Weg statt. Die Schweiz hat damit wirtschaftlich wachsen und ihre
Wettbewerbsfähigkeit verbessern klnnen. Europäisierung hat aber nicht nur Gewinner,
sondern auch Verlierer hervorgebracht, und die Liste der Verlierer ist lang. Dazu
gehören die Landwirtschaft, grosse Teile des Gewerbes, die Ungelernten und
einfacheren Berufe. Hinzu kommen soziale Begleiterscheinungen. Einst verdankte ein
grosses Unternehmen wie die Migros seinen Erfolg tüchtigen Berufsleuten, die von der
Pike auf bis in die Unternehmensleitung aufstiegen. Heute zählen in vielen Unternehmen
immer mehr die akademischen und sonstigen Diplome. Langjährigen Berufsleuten
werden Jungakademikern vor die Nase gesetzt; wir erleben eine neue Hierarchisierung
in der Berufswelt. In diesem Prozess gehen gleich zwei wichtige Erfolgsfaktoren der
schweizerischen Wirtschaft verloren—nämlich die geringe Sozialgefälle zwischen
Akademikern und Nichtakademikern, und das Vertrauen in die Kompromisse der
Sozialpartnerschaft. Noch bedeutsamer scheint mir das Problem der Einwanderung, die
mit 60-80 Tausend Personen noch nie so gross war wie heute und gemessen am Anteil
der Bevölkerung höher ist als derjenige klassischer Einwanderungsländer wie Kanada,
Australien oder der USA. Wenn uns das SECO und andere Ministranten des heiligen
Marktes vorsingen, wie segensreich der Markt in der Personenfreizügigkeit doch sei, so
machen sich die Globalisierungsverlierer darauf einen ganz anderen Reim: „Wenn der
Markt wirklich spielt“, so sagen sich diese, wird die Einwanderung so lange andauern,
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bis die Löhne und die Sozialleistungen auf das tiefere europäische Niveau gesunken
sind, die Steuern jedoch so hoch sind wie in Deutschland oder Frankreich“.
Die Ungewissheit über den Ausgang der Einwanderungsinitiative und ihre Folgen zeigt
beispielshaft die Verletzbarkeit der Schweiz in der Aussenpolitik. Diese ist nicht zuletzt
eine Folge der Ausdehnung des Staatsvertragsreferendums, die heute alle Verträge mit
wichtigen rechtlichen Bestimmungen der Möglichkeit der Genehmigung durch das Volk
unterstellt. Diese Ausdehnung des Referendums hat ihre guten Gründe. Denn nicht nur
nimmt die Bedeutung des internationalen Vertragsrechts zu, sondern Innen- und
Aussenpolitik sind heute nicht mehr trennscharf zu unterscheiden. Wir müssen aber
wissen, dass wir mit der Ausdehnung der Volksrechte im aussenpolitischen Bereich
beträchtliche Risiken eingehen. Im Landesrecht kann man eine Vorlage ablehnen und
eine bessere fordern. Und die bessere Vorlage wird dann in zwei oder drei Jahren
bestimmt kommen. Nicht so im internationalen Recht. Ob der internationale Partner- in
unserem Fall die EU- nach zwei Jahren der Schweiz eine bessere Vorlage zur
abgelehnten Personenfreizügigkeit bringt, ist mehr als fraglich. Wir sehen: wir können
zwar über jeden bilateralen Vertrag abstimmen, aber wir dürfen auf keinen Fall Nein
stimmen, weil sonst der ganze Bilateralismus dahinfallen kann. Im Falle der
Beziehungen zur EU könnten wir diese Verletzbarkeit vermeiden, wenn wir ein
institutionelles Verhältnis zu Brüssel hätten wie beispielsweise mit dem ehemaligen
EWR. Wir hätten dann die Möglichkeit, einzelne Verträge abzulehnen, ohne dass man
uns aus dem EWR ausschliessen könnte.
Ich habe nun in meinem Vortrag nicht nur zum Spannungsfeld von direkter Demokratie
und Menschenrechten gesprochen, sondern auch zum Spannungsfeld zur Globalisierung
und Europäisierung. Aber diese gehören meiner Ansicht nach zusammen. Die MinarettInitiative hat nicht nur Bezug zu den Kulturwerten der religiösen Toleranz, sondern
auch zu den sozialen und wirtschaftlichen Interessen jener, die in unserer
Einwanderungsgesellschaft benachteiligt sind. Und umgekehrt hat die Europäisierung,
geprägt von neo-liberalen Wirtschaftsinteressen, starke Bezüge zu Kulturwerten
schweizerischer Gesellschaft, die vielen gefährdet scheinen. Die Politik sollte dies nicht
übersehen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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