Der Herr ist mein Hirte-mir wird nichts mangeln

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Der Herr ist mein Hirte-mir wird nichts mangeln
Predigt zu Psalm 23,1 gehalten von Pfrn. Marianne Botschen am 3.April 2016 in Geroldswil
Liebe Gemeinde
Jeweils im Sommer bin ich dabei im Team der ‚Wachsen in der Liebe Gottes‘-Seminare. Gott
berührt in diesen rundum vom Gebet getragenen Gebetsseelsorgetagen Menschen immer
wieder auf eindrückliche Weise. (Ich habe einige wenige Flyer aufgelegt, das sie unser heutiges
Thema vielleicht gluschtig macht – bei Interesse mich ungeniert ansprechen!)
Angeboten werden diese Seminare vom Verein Seelsorge am ganzen Menschen und wie das in
der Schweiz so ist, gehört zu einem Verein auch eine offizielle Vereinsversammlung. Diese
trockene Materie wird –zum Glück- jeweils ergänzt durch einen thematischen Input und
Gottesdienst.
Vor Kurzem nun fand diese Retraite statt. Sie stand unter dem Thema von Psalm 23. Der Herr ist
mein Hirte. Mich hat der berühmte Psalm 23 seither wieder neu begleitet und bewegt; deshalb
möchte ich heute einige Gedanken dazu mit ihnen teilen.
Ich lese zuerst Psalm 23 in der bekannten Lutherübersetzung, bevor ich speziell auf den ersten
Vers näher eingehe. Im Kirchengesangbuch Nr. 113 können sie mitlesen.
Der Herr ist mein Hirte
Ich kann mich gut an jene Junitage erinnern, als mein Mann und ich unsere noch kleinen Kinder
bei den Grosseltern abgeben durften und dann wieder einmal zu Zweit in den Bündner Bergen
unterwegs waren. Ein Hirte mit seiner Herde kreuzte das enge Strässchen. Wir sassen im Auto;
um uns herum wuselten Schafe, und wir bestaunten sie fasziniert.
Hirten sind in unserer verbauten Landschaft etwas Besonderes geworden, doch im Gebiet rund
um Jerusalem sieht man bis heute viele Hirten. Judäa ist ein rauhes und steiniges Hochland. Für
Ackerbau eignet es sich nicht, aber für Schaf- und Ziegenherden liefert es genügend Futter. So
war das Bild vom Hirten für die Menschen der Bibel ganz alltäglich. Es begegnet uns in
verschiedenen Bibelstellen und Psalm 23 ist wohl eine der Bekanntesten.
David, der diesen Psalm geschrieben hat, war sogar selber ein Hirte, bevor Gott ihn zum König
von Israel gemacht hat. Deshalb wusste er genau, was Der Herr ist mein Hirte bedeutet.
Das sieht heutzutage anders aus. Beim Vorbereiten musste ich leider feststellen, dass viele
Menschen lieber ihre eigenen Hirten sind. Wozu braucht man denn heute noch Gott als Hirten?
– Wir sind tüchtige Schweizer und können unser Leben selbst in die Hand nehmen. Wer recht
lebt und nicht auf der faulen Haut herumliegt, der kann es trotz Rezession immer noch zu etwas
bringen.
Zudem haben Medizin und Technik in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, und es
gibt immer mehr Bereiche, die wir Menschen vermeintlich ‚im Griff‘ haben. Für die
unvorhersehbaren Dinge im Leben gibt es Krankenkasse und Versicherungen. Gerade erst habe
ich gelesen, die Schweizer seien für so viele Eventualitäten versichert, wie niemand sonst auf
der Welt…
Erst in Schwierigkeiten, wo offensichtlich wird, dass wir Menschen trotz schweizerischer
Tüchtigkeit und trotz Fortschritt nicht einfach alles ‚im Griff‘ haben, realisieren viele, dass sie
nicht ihre eigenen Hirten sein können. Leider stürzen sich immer mehr Menschen dann in die
Arme von menschlichen Pseudo-Hirten: Da gibt es Esoterikmessen; Geistheiler und
selbsternannte Wundertäter verzeichnen als ‚Hirten‘ Hochkonjunktur. Für andere Leute
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scheinen Sterne und kosmische Mächte wie Hirten zu sein. Astrologen und Wahrsager im TV
geben in teuren 0800 Telefonen Anweisungen.
Seien wir also realistisch: Die Meisten folgen irgend einem Hirten, einem Leitbild im Leben (auch
einem selbstfabrizierten). Zu solch verschiedenen Hirten bezieht Jesus klar Stellung- wir haben
es in der Lesung gehört:
"Ich bin der gute Hirte. Ein guter Hirt ist bereit, für seine Schafe zu sterben. Jemand, dem die
Schafe nicht selbst gehören, ist kein richtiger Hirt. Darum lässt er sie im Stich, wenn er den Wolf
kommen sieht, und läuft davon. (...) Wer die Schafe nur gegen Lohn hütet, läuft davon; denn die
Schafe sind ihm gleichgültig. Ich bin der gute Hirt. Ich kenne meine Schafe und sie kennen mich
(…)Ich bin bereit, für sie zu sterben." (Joh. 10,11ff)
Das ist der grosse Unterschied vom christlichen Glauben zu einer Sekte oder einem
Wunderheiler! Wir dürfen einen Gott als Hirten haben, dem es nicht um ein möglichst dickes
Portemonnaie geht und der uns in heiklen Situationen dann doch im Stich lässt! Damit wir uns
besser vorstellen können, was es bedeutet, wenn wir Gott in der Bibel als gutem Hirten
begegnen, habe ich nachgeschaut, wie das Hirtenleben damals ausgesehen hat:
Es war alles andere als romantisch; ein 24/7 Job würden Amerikaner sagen. Man konnte eine
Herde nie allein grasen lassen, denn Judäa ist ein Hochplateau und auf beiden Seiten geht es
hinunter in die felsige Wüste. Zäune und Mauern zum Schutz gab es nicht. So bestand immer die
Gefahr, dass eines der Schafe verloren gehen könnte. Ein Hirte hatte also niemals richtig frei,
konnte niemals einfach abschalten. Ausserdem wuchs nur wenig Gras, und so war es nötig, mit
den Schafen herumzuwandern.
Ein Hirte lebte auch gefährlich: Er musste seine Herde gegen wilde Tiere, v.a. Wölfe, aber auch
gegen Räuber und Diebe beschützen. Bei seinen Verteidigungsaktionen riskierte er häufig sogar
sein Leben. Vor diesem Hintergrund ist es umso eindrücklicher, dass David sagt, Gott sei wie ein
Hirte. Das Bild vom Hirten zeigt praktisch, wie Gott über uns wacht und voller Geduld für uns
sorgt.
Jesus greift das auf und führt die totale Hingabe eines Hirten weiter: Durch seinen Tod am Kreuz
hat er bewiesen: "... ich bin bereit, für sie zu sterben". So unschuldig ans Kreuz genagelt hat er
alles, was uns Menschen von Gott trennt, auf sich genommen. Er hat damit jedem von uns den
Weg zu Gott wieder freigemacht. Auch wenn ich mit leeren Händen ohne grosse
Meisterleistungen dastehe, bin ich eingeladen, diesem göttlichen Hirten zu folgen und an ihn zu
glauben.
Der Herr ist mein Hirte
Und das macht den Unterschied. Dass ich voller Glaube sagen kann: "Der Herr ist mein Hirte".
Diese Betonung ist auch in der ursprünglichen Sprache da. Sie zeigt, wie Gott auf ganz
individueller Ebene mein und dein Hirte sein möchte. Natürlich ist er im Grunde auch unser
Hirte, der Hirte der Kirche als Ganzes; doch was nützt mir das, wenn ich als einzelner Mensch in
der grossen Gruppe untergehe; als einzelnes Schaf in der riesigen Herde?
Deshalb schreibt David mein Hirte: Gott sieht uns nicht nur mitten in der grossen Masse. Wir
haben einen Gott, der zu jedem von uns in eine persönliche Beziehung treten möchte, so dass
jeder das auch für sich in Anspruch nehmen kann: Gott ist mein Hirte. Was heisst das? Von
Gottes Seite her heisst es: Gott wacht rund um die Uhr über mir, möchte rund um die Uhr
Beziehung zu mir pflegen. Der Hirte hat nie Feierabend! Wir haben es gehört.
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Was bedeutet der Herr ist mein Hirte von unserer Seite her praktisch? Wir drücken damit etwas
Grundsätzliches aus: "Ich gebe mein Leben mit all´ seinen Sorgen und Nöten in die Hand eines
Grösseren. Ich will aufhören, alles ganz und gar selbst organisieren, versichern und
zurechtbiegen zu wollen und vertraue auf meinen göttlichen Hirten." Das ist ja sooo
entspannend! Ich wünsche für uns alle, dass wir das immer wieder neu sagen und umsetzen
können. Für uns persönlich und auch für unsere Kirchgemeinde...
…mir wird nichts mangeln
Nun geht unser Vers weiter. Es kann durchaus sein, dass ich über die zweite Hälfte stolpere.
Wenn ich mich und meinen Glaubensweg anschaue, fordert mich persönlich diese zweite Hälfte
mehr heraus. Hören sie zu und hören wir gleichzeitig in unser Herz hinein:
Der Herr ist mein Hirte – mir wird nichts mangeln…
Mir wird nichts mangeln – setze ich da überzeugt ein Ausrufezeichen dahinter, oder eher ein
Fragezeichen?
Klar, wenn wir uns mit den Ärmsten in Afrika, oder den Flüchtlingen aus Syrien vergleichen,
haben wir so viel, da gehört klar ein Ausrufezeichen hin.
Aber vielleicht bleibt innerlich doch ein Fragezeichen: „Ich glaube grundsätzlich wirklich an Gott
als guten Hirten. Doch es fällt schwer, echt anzunehmen und zu verinnerlichen, dass Gott
tatsächlich und praktisch für mich sorgt, dass mir nichts mangelt.“
So kann ich mir vorstellen, dass einige von uns durchaus auch Mangel empfinden – im
physischen Bereich, wegen körperlicher Gebrechen oder Krankheit: Warum muss das
ausgerechnet mir passieren?!
Oder Mangel im Psychischen, weil man mit depressiven Gedanken kämpft, weil man resigniert
und denkt: Es hat ja doch keinen Sinn. Es geht alles bachab…
Und nicht zuletzt: Mangel im geistlichen Bereich: Wofür investiere ich Zeit, Geld und Kraft?
Wohl ab und zu eher ins aufwändige Hobby als in meinen Glauben. Dann verwundert es auch
nicht, dass dieser mich innerlich nicht so ausfüllt und erfüllt, wie Jesus es verspricht…
Tut jemand etwas Unangebrachtes, so sagt man salopp: Wo fehlt’s dir eigentlich? Diese Frage
hat mich an der Gebetsseelsorge Retraite gepackt und ich stelle sie auch uns: Wo fehlt’s mir grad in den aufgezählten Bereichen? Physisch, psychisch und geistlich? Wo leide ich an diesem
Fragezeichen, wo leide ich und empfinde Mangel?
Und dann als herausfordernder zweiter Schritt: Wo fehlt‘s mir eigentlich wirklich?
Es stimmt uns vielleicht im ersten Moment etwas traurig, wenn wir darüber nachdenken. Ich
möchte mit der Frage nicht in versteckten Wunden ‚rumwühlen‘. Es kann uns weiterführen,
wenn solche Wunden da sind, dass wir uns nicht mehr davor drücken, ehrlich hinzuschauen: Ja,
da habe ich das Gefühl, es fehlt mir was; da leide ich an einem Mangel. Und dann kann eben
dieser zweite Schritt ‚Was fehlt mir wirklich?‘ etwas in Bewegung setzen.
Mein Gefühl, was mir fehlt und das was mir wirklich fehlt sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Manchmal ist man im Selbstmitleids Strudel und sieht nur noch, was alles nicht ist; was fehlt.
Das ist ganz menschlich und lauert vor allem als Gefahr, wenn etwas Neues auftaucht, was uns
fordert: Ein Krankheitsdiagnose, ein Problem in der Familie. Da hilft‘s, Stopp zu sagen zu dem
‚Abwärts-Mangel-Strudel‘ und sich ganz konkret zu überlegen: Was habe ich, was habe ich
nicht? Wenn ich mir das so aufliste, dann merke ich vielleicht, dass die Seite, wo das ‚Haben‘
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drauf ist, viel länger ist, als diejenige, auf der ein Mangel aufgeführt ist. Dankbar zu realisieren,
was ich habe, kann mich dann auch in dem trösten, was mir fehlt.
Später im Psalm 23 lesen wir: Du deckst mir den Tisch im Angesicht meiner Feinde. (Ps. 23,5) Das
gehört auf die Haben Seite: Gott deckt uns den Tisch! Sehen wir unseren Lebenstisch? Siehst du,
was Gott alles für dich bereitet hat, extra für dich? Dein Leben, deine Begabungen, deine Eltern,
Partner, deine Kinder, Grosskinder, Freunde, Lebenswege?
Kannst du dafür danken, auch wenn nicht alles nach deinen Wünschen gelaufen ist?
Mich hat die moderne englische ‚Good News‘ Übersetzung angesprochen. Dort heisst es: The
Lord is my shepherd. I habe everything I need. Der Herr ist mein Hirte. Ich habe alles, was ich
brauche.
Wenn ich auch hier weiterfrage: Was brauche ich wirklich? Dann werde ich bescheiden: Essen,
ein Dach über dem Kopf, Menschen rundherum…
Der Herr ist mein Hirte, ich habe alles, was ich brauche. - Machen wir uns auf den Weg, das von
Herzen sagen und glauben zu lernen?
AMEN.
Zum Abschluss lese ich Psalm 23 in einer Übertragung von Reiner-Friedemann Edel.
Der HERR selbst ist mein guter Hirte, und deshalb habe ich weder Not noch Mangel.
Er hütet mich auf einer grünen Weide. Er führt mich zur frischen Wasserquelle.
Und Er gibt meiner Seele neue Kraft und neues Leben.
Er führt und leitet mich auf seinem guten Weg. Und dafür bürgt Er selbst mit seinem
guten Namen.
Und führt mein Lebensweg auch durch ein dunkles Todesschatten-Tal,
so fürcht‘ ich deshalb noch kein Unglück, HERR, denn Du bist bei mir!
Du hast als guter Hirt meine Führung und Bewahrung übernommen:
Du leitest mich mit Deinem sanften Hirtenstab. Und auch Dein harter Stock zur Abwehr
aller Feinde tröstet mich, denn Du bist wirklich jedem Feind und jeder Not gewachsen!
Du deckst mir Deinen Tisch im Sichtfeld meiner Feinde.
Du salbst mein Haupt mit Öl und füllst mir Deinen Freudenbecher ein.
Du hast mich so schon jetzt bei Dir mit grosser Liebe aufgenommen.
Ich sehe all das Gute, die Barmherzigkeit und Deine Gnade:
Sie werden mich mein Leben lang begleiten und verfolgen!
Und ab sofort will ich für immer bei Dir bleiben, HERR,
und ganz bei Dir daheim sein und in Deinem Hause wohnen.
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