1. Kapitel

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1. Kapitel
„Es gibt keinen Weihnachtsmann“, Nikolaus brüllte seinen
Chefwichtel geradezu an, „der ist eine amerikanische Erfindung.“ Er
machte eine wegwerfende Handbewegung. „ Ach, schlimmer noch, die
Erfindung einer kapitalistischen Sprudelfabrik, die diese Figur für die
schamlose Steigerung ihres Umsatzes erlogen hat. Ich sage dir, wenn
ich mich politisch orientieren müsste, würde ich Kommunist.“
Die beiden wichtigsten Organisatoren für das Geschenkewesen saßen
sich an Nikolaus‘ riesigem Schreibtisch gegenüber und besprachen das
Weihnachtsgeschäft.
„Das weiß ich doch alles“, winkte Chefwichtel Eisenhauer müde ab,
„aber er hat sich nun mal in der Vorstellung unserer Kunden festgesetzt.
So gesehen also eine gelungene Werbekampagne.“
„Das heißt noch lange nicht, dass wir diesen Mist mitmachen“,
polterte Nikolaus weiter. „Wir haben unsere eigene Tradition, und die
ist ja wohl gewichtiger als so eine Witzfigur von einem
Brausepanscher.“
Eisenhauer nickte nur: „Du hast ja vollkommen Recht, lass uns das
Thema beenden. Wir haben genug anderes zu tun.“ Sie steckten mit der
Weihnachtsproduktion in der Hochphase, und er war ziemlich
geschafft. Vor allem aber wollte er nicht, dass sein Chef ihm schon
wieder seinen Lieblingssermon herunterleierte. Den hatte er nun
wirklich oft genug gehört.
Aber Nikolaus wollte offenbar mit dem Thema noch nicht aufhören:
„Den richtigen Geschenktag feiern ja eigentlich nur die Holländer, auch
wenn ich diese Wohnwagenjunkies nicht besonders mag. Bei ihnen
bringt der Sinterklaas am sechsten Dezember, also meinem Namenstag,
die Gaben. Und warum? Weil ich als Bischof von Myra bereits
großzügig Geschenke verteilt habe und daher für diese Tradition stehe.“
„Aber sind die ersten Geschenke nicht von den drei Weisen
gekommen?“ Eigentlich wollte der Chefwichtel dieses Gespräch gar
nicht, aber es war wohl die einzige Möglichkeit, aus der Geschichte
herauszukommen.
„Völlig richtig“, stimmte Nikolaus ihm zu, „deswegen werden ja die
Geschenke in einigen Ländern auch zum Dreikönigstag überreicht. Das
ist auch völlig in Ordnung so, sie waren schließlich die ersten.“
„Und wie kommen wir dann auf Weihnachten?“ fragte Eisenhauer
nach, obwohl er es natürlich wusste.
„Das ist eine delikate Geschichte“, der Bischof kraulte seinen
imposanten weißen Bart, „da hat der Meister ein bisschen dran gedreht.
Als er sich entschlossen hatte, die Menschheit zu erlösen, war ja seine
Geburt das ganz große Geschenk an sie. Aber wie die Menschen nun
mal sind, wollten sie gerne dieses Ereignis mit Symbolen feiern. Und
dazu eignen sich eben am besten Geschenke. Also wurde der
Geschenktag vom sechsten Dezember allmählich auf Weihnachten
verschoben, und dagegen hatte er natürlich auch nichts einzuwenden.
Kann man ja verstehen. Außerdem ist an meinem Ehrentag ja immer
noch ein voller Stiefel geblieben. Und er hat mir, dem Nikolaus,
weiterhin die ganze Geschenkeorganisation, auch für Weihnachten,
überlassen. Und deswegen werden wir diesen Brauseweihnachtsfuzzi
einfach ignorieren.“
„Immerhin fährt er mit einem imposanten Lastwagen, einem
beleuchteten blinkenden Truck, durch die Gegend“, wandte der
Chefwichtel ein, „und insbesondere die Kinder sind begeistert. Du
musst dir nur mal das Funkeln der Lichter in ihren Augen ansehen.“
„Ach, dabei geht’s doch nur um Reklame für die braune Brühe und
darum, die Kinder schon frühzeitig an den Konsum dieses Gesöffs zu
fesseln“, schnaubte der Bischof. „Ich sage dir, er ist ein elendiger
Seelenfänger, und es würde mich nicht wundern, wenn unter seiner
roten Mütze bereits krüppelige Hörner wachsen. Aber egal, für die
Geschenke sind immer noch wir zuständig, und damit basta!“
Eisenhauer grinste ein wenig in seinen ebenfalls imposanten Graubart.
Er wusste, damit war das Thema eigentlich abgeschlossen. Aber weil
es ihn interessierte und vor allem die Existenz der ganzen Organisation
betraf, hängte er noch an: „Vielleicht sollten wir einfach öffentlich
machen, dass wir die Geschenke bringen, und nicht der
Weihnachtsmann. Das glauben nämlich sehr viele Leute, zumal die
Brausefritzen ihn geschickter Weise auch noch Santa Claus genannt
haben.“
„Ich weiß“, stieß Nikolaus zwischen den Zähnen hervor, „es ist eine
Unverschämtheit, meinen Namen für den Verkauf von brauner Brause
zu missbrauchen. Aber was sollen wir machen? Ich bin nicht
urheberechtlich geschützt.“
„Vielleicht solltest du öffentlich gegen ihn antreten und zeigen, dass
du der Gabenbringer bist“, schlug der Chefwichtel vor.
„Ich soll mich auf ein Niveau mit dem Brauseklaus begeben?“ der
Bischof schnaubte. „Niemals! Außerdem haben wir es doch gar nicht
nötig, uns mit diesen Kapitalisten zu messen. Die Menschen werden
schon wissen, von wem die Geschenke kommen.“
„Da bin ich mir allerdings nicht so sicher“, antwortete Eisenhauer,
„die Leute glauben der Reklame, und die gaukelt ihnen Santa Claus als
den großen Gabenbringer vor.“
„Müssen wir dann jetzt etwa auch Reklame machen?“ ereiferte
Nikolaus sich. „das ist doch lächerlich.“
„Das könnten wir gar nicht“, stellte der Chefwichtel fest, „zu einer
angemessenen Gegenreklame fehlt uns einfach der Etat. Aber wir haben
vielleicht eine andere Möglichkeit, die Dinge ins rechte Licht zu
rücken.“
Der Bischof horchte auf. Auch wenn er meisten so tat, als müsse allen
klar sein, wer die Geschenke bringt: es wurmte ihn gewaltig, wie dieser
Brauseklaus offenbar dabei war, seine Position zu übernehmen.
„Lass hören“, forderte er seinen Chefwichtel auf, „ich bin dabei, wenn
wir der Brause eins auswischen können.“
Eisenhauer machte eine kleine Pause und genoss die zunehmende
Spannung seines Chefs. Er schob seine Zipfelmütze etwas zurück und
kratzte sich ausgiebig an einer juckenden Stelle seines kahlen Schädels.
Dann schob er die Mütze wieder vor, nickte zweimal und fuhr grinsend
fort:
„Wie wäre es, wenn wir diesmal das Geschenkdatum um ein paar Tage
verschieben? Also nicht die Bescherung an Weihnachten machen,
sondern zum Beispiel erst auf Neujahr.“
Nikolaus schüttelte den Kopf: „Und was soll das bringen?“
„Nun, wenn die Leute glauben, der Weihnachtsmann bringt die
Geschenke“, erklärte Eisenhauer, „werden sie sich an ihn wenden,
wenn sie ausbleiben. Und dann muss diese Brausewitzfigur Santa Claus
zugeben, dass er gar nicht für die Geschenke zuständig ist. Und wenn
sich die Leute genügend gewundert und gefragt haben: ‚woher kommen
sie denn‘, dann verteilen wir wie gewohnt unsere Gaben, nur eben ein
bisschen später. Das würde ohnehin unsere angespannte
Arbeitssituation ein wenig entspannen. Und zu den Geschenken legen
wir eine Nachricht ‚vom Nikolaus im Auftrage des Christkinds‘, und
allen Leuten ist wieder klar, wer die Gaben bringt.“
Nikolaus hatte ein Auge zugekniffen und auf seinen umbarteten
Lippen spielte ein verschmitztes Lächeln. „Potz Blitz“, stieß er hervor,
„Eisenhauer, du bist ein gerissener Wicht. Die Vorstellung macht mir
Spaß, das ist eine Idee, so recht nach meiner Fasson.“ Er schlug mit
einer Hand auf die Schreibtischplatte und lachte ziemlich rau.
„Wir müssen nur ausschließen, dass Er etwas dagegen hat“, der
Chefwichtel deutete mit seinem Daumen nach oben, „schließlich ist es
sein Geburtstag, den wir boykottieren wollen.“
„Das lass mal meine Sorge sein“, beruhigte Nikolaus ihn, „ich rede
mit dem Meister. Und ich kann mir gut vorstellen, dass er gegen eine
Aktion, die klarstellt, wer für die Geschenke zuständig ist, nichts
einzuwenden hat.“
2. Kapitel
Osterhase lag träge im Stroh seiner großen Eierhalle, und im weiten
Umkreis um ihn herum kauerten seine ganzen Legehennen, die alle
einen ähnlich schlappen Eindruck machten.
Direkt neben ihm hockte die schwarze Lola, ein üppiges
pechschwarzes Sachsenhuhn mit einem feurigen Kamm. Sie war schon
seit einiger Zeit nicht nur seine Lieblingshenne, sondern auch in der
Eierproduktion überaus erfolgreich.
Er hatte eine Pfote unter ihr Federkleid geschoben und streichelte
geistesabwesend über ihre Hühnerhaut, während er sich mit der anderen
Pfote eine Karotte in den Mund schob. Eine gewisse Ähnlichkeit mit
Bugs Bunny war beim Kauen durchaus gegeben.
Er konnte es sich mit seiner Truppe leisten, im Stroh abzuhängen. Es
war Anfang Dezember und für sie tote Hosensaison. Außerdem
schmerzte seine Hinterpfote noch von dem Tritt gegen die Wand.
Derzeit war die Weihnachtsfraktion unter Nikolaus im Einsatz, und
damit hatten sie nichts zu tun. Dafür waren die jetzt im Dauerstress, so
wie es seiner Mannschaft dann vor Ostern wieder gehen würde.
Allerdings musste er zugeben, dass sein Osterstress mit dem
Weihnachtsstress nicht zu vergleichen war. Die Nikolaustruppe hatte
viel mehr zu tun als sein Hennenhaufen, und er hatte sich schon oft
gefragt, warum das so war.
Warum gab es zu Weihnachten mehr Geschenke als zu seinem Fest?
War doch vom praktischen Aspekt her der Tod des Erlösers viel
gewichtiger als seine Geburt. Schließlich hatte er damit am Karfreitag
die Menschen von ihrer Schuld befreit und mit seiner Auferstehung zu
Ostern das Leben über den Tod, das Gute über das Böse siegen lassen.
Also wäre es doch nur logisch, dass es zum Osterfest viel mehr
Geschenke geben musste als zu Weihnachten. Aber so war es nicht.
Sein Fest hing in der zweiten Reihe, und das wurmte den Osterhasen.
„Warum gibt es Weihnachten mehr Geschenke als Ostern?“ fragte er
seine Lieblingshenne unvermittelt. Schwarze Lola öffnete ihre Augen
und drehte langsam den Kopf zu ihm: „Wie bitte?“
„Ich frage dich“, sagte Osterhase langsam und betont, „warum verteilt
Nikolaus mit seiner Truppe mehr Geschenke als wir, obwohl unser Fest
das wichtigere ist?“
„Keine Ahnung“, antwortete sie ziemlich gelangweilt,
„wahrscheinlich hat es sich im Laufe der Zeit einfach so ergeben.“
„Aber das ist ungerecht und entspricht nicht der Bedeutung der
Feiertage“, beharrte er.
„Ach komm, Hasi! Ich glaube nicht, dass man die Bedeutung auf die
Menge der Geschenke übertragen muss“, meinte Lola. „Das eine hat
doch mit dem anderen nichts zu tun. Weihnachten ist das Geburtsfest
des Erlösers und zu Geburten schenkt man sich halt etwas. Ostern
dagegen das Fest seiner Auferstehung, und ich habe noch nie gehört,
dass man sich zu Auferstehungen etwas schenkt. Sie sind halt so selten.
Also können wir doch froh sein, dass wir überhaupt etwas zu verteilen
haben.“
„Du weißt genau, dass da noch andere Einflüsse eine Rolle spielen“,
warf Osterhase ein. „Bei Weihnachten geht es auch um die
Wintersonnenwende und die Geburt des Lichts, und unser Osterfest hat
ganz viel mit dem Frühlingsanfang zu tun, also der Wiedergeburt der
Natur und ihrer Fruchtbarkeit. Nicht umsonst sind eure Eier und ich als
Hase die Symbole dieses Festes.“
„Und was genau willst du mir jetzt damit sagen?“ fragte die schwarze
Henne, immer noch ziemlich gelangweilt.
„Dass wir an der Geschenkeverteilung etwas ändern müssen“, stellte
Osterhase fest. „Wir müssen zu Ostern die meisten Geschenke verteilen
und die Weihnachtstruppe eben weniger.“
„Und wie willst du das hinkriegen?“ Lola war überhaupt nicht
begeistert von dieser Idee. Das würde sicher eine Menge Mehrarbeit für
sie und ihre Mithennen bedeuten, und sie fand, sie arbeiteten schon
genug. Außerdem sah sie überhaupt keinen Vorteil für ihre Mannschaft
dabei.
„Wir müssen eine Werbekampagne starten“, schlug er vor, „nach dem
Motto: Schenkt mehr zu Ostern!“
„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du damit die Geschenkeflut der
Weihnachtsleute übertrumpfen kannst“, sagte sie jetzt leicht amüsiert
über die Naivität ihres Chefs.
„Das kommt darauf an, wie wir es anstellen“, behauptete Osterhase.
„Wenn es uns zum Beispiel gelänge, die neue Frühjahrsmodekollektion
mit in die Geschenke einzubinden, dann hätten wir schon mal einen
schönen großen Batzen mehr. Auf diese Weise könnte man immer neue
Konsumbereiche in unser Frühlingsfest einbauen, und wir wären ganz
schnell auf der Gewinnerspur.“
„Du hast dich offenbar schon ziemlich intensiv mit dem Thema
beschäftigt“, stellte Lola mit einer gewissen Bewunderung fest.
„Und ob ich das habe“, bestätigte Osterhase, „schließlich gab es sonst
nichts zu tun, und ich will einfach der Größte werden.“
„Und was ist, wenn die Nikolausseite kontert und ähnliche Strategien
entwickelt“, gab die Henne zu bedenken. „Wer hindert sie daran, ihre
Geschenkaktionen ebenfalls durch Werbekampagnen auszuweiten?“
„Ich glaube, mit der Personaldecke sind sie bereits am Limit ihrer
Kapazitäten bei der Kundenzahl, die sie jährlich zu bedienen haben.
Und sie haben nicht solch einen Werbestrategen wie mich, den
Osterhasen.“
Die schwarze Sachsenhenne schaute ihn etwas schief an. „Aha,
Werbestratege“, bemerkte sie trocken, „und wer sagt, dass wir nicht
auch an unsere Kapazitätsgrenzen geraten?“
„Ach, meine liebe Lola“, er streichelte über die Hühnerhaut an ihrem
Bauch, „das ist doch für uns gar kein Problem. Dann wird eben die
nötige Menge Eier von euch nicht gekocht und bemalt, sondern
ausgebrütet. Und schon haben wir mehr Personal und größere
Kapazitäten. Das geht bei den Wichteln von Nikolaus nicht so einfach.“
Sie musste zugeben, dass er nicht nur Recht hatte, sondern auch diese
Idee zum Aufstocken des Personals brillant war. Selbst wenn man das
Problem der Versorgung und Unterbringung berücksichtigte.
Außerdem mochte sie ihre Eier als Küken viel lieber denn als bunte
Zierde an irgendeinem Weidenstrauch oder gekocht und bemalt in
einem Osternest.
Trotzdem hatte sie noch einen letzten Einwand: „Und was meinst du,
wie schnell wir die Weihnachtsmannschaft überholen können?“
Osterhase sah sie an, während er den letzten Rest seiner Mohrrübe
mümmelte. „Das könnte ein Problem sein“, er nickte nachdenklich,
„eine gewisse Zeit wird das Ganze wohl kosten.“
„Eine gewisse Zeit?“ fragte Lola ungläubig. „Jahre, ach Jahrzehnte
würde es dauern, bis wir die Nikoläuser geknackt hätten. Mich gäbe es
dann auf jeden Fall nicht mehr. Du hast da ja deine gewissen
Privilegien, von wegen Zeitlosigkeit und so, aber ich, ich würde das
nicht mehr erleben.“
Sie hatte recht. Sich mit dieser Strategie an die Spitze zu setzen, würde
ziemlich lange dauern, und eine Garantie, dass es gelang, barg sie auch
nicht. „Mist“, stieß er hervor, „dabei war ich so überzeugt von meinem
Plan.“
„Vielleicht gibt es ja noch eine andere Möglichkeit, dein Ziel zu
erreichen“, lächelte Lola, und er blickte sie erwartungsvoll an. „Indem
wir das Weihnachtsgeschäft übernehmen und Nikolaus dafür ins
Ostergeschäft einsteigt.“
„Aber darauf wird er sich doch nie einlassen, so weihnachtsgeil wie
der ist“, wandte der Hase ein.
„Das kommt darauf an, wie schmackhaft wir ihm den Wechsel
machen können. Und wenn uns das nicht gelingt, müssen wir eben zu
härteren Bandagen greifen. Deine Idee mit dem Eierausbrüten kommt
uns auch dabei gelegen. So kriegen wir in kurzer Zeit eine stattliche
Armee zusammen, gegen die Nikolaus mit seinen paar Wichteln keine
Chance hat.“ Lola hielt ihm ihren schwarzen Flügel hoch, damit er sie
abklatschen konnte.
Seine Pfote landete dagegen. „Ok, übernehmen wir Weihnachten“,
sagte der Osterhase.
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