Den Vortrag - Phi Delta Phi

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Prof. Dr. Rüdiger Wulf
c/o Institut für Kriminologie der Universität Tübingen, Sand 7, D-7276 Tübingen
Telefon: 07071/297-2021, Email: [email protected]
Eliten 1
Titelfolie
Magistra, meine sehr geehrten Damen und Herren,
„der Onkel, der etwas mitbringt, ist beliebter als die Tante, die Klavier spielt“. Nach
diesem Motto möchte ich meinen Einstand bei Phi Delta Phi gestalten. Was bringe
ich mit?
1. Einen Kurs „Wissenschaftliches Schreiben“. Das hatte ich im Februar bereits
„geliefert“. Das kann ich nächstes Jahr wiederholen, wenn das gewünscht wird.
2. Diesen Vortrag: Er soll kurzweilig, aber auch wissenschaftlich sein.
3. Sekt und Wein aus dem Strafvollzug zum anschließenden Empfang im Kleinen
Senat.
Zunächst möchte ich mich aber herzlich für die Ehrenmitgliedschaft bei Phi Delta
Phi, Richard-v.-Weizsäcker Inn an der Universität Tübingen, bedanken. Das ist eine
große Ehre. Als Jurist und lesefreudiger Mensch habe ich mir die Satzung der
Fraternity angesehen, um meine neuen Rechte und Pflichten kennenzulernen. Ich
habe festgestellt, dass Sie mir damit bescheinigt haben, eine Prominenz im Recht zu
sein: „A member of the legal profession chosen for his prominence in the law“. Damit
nicht genug: Ich habe einen guten Charakter, eine gute Stellung in der Gesellschaft
und im gewählten Beruf: „Honory members must be of good moral character, be in a
good standing in the community und their chosen profession.“ Das sind natürlich
hohe – fast möchte ich sagen „elitäre“ – Ansprüche, die an Ehrenmitglieder gestellt
werden. Ich werde mich bemühen, dem einigermaßen zu entsprechen. Ich hoffe, Sie
werden es nicht bereuen, denn in der Liste der Ehrenmitglieder habe ich vornehmlich
1
Schriftliche Fassung des Vortrags in der Legal Fraternity Phi Delta Phi, Richard-v.-Weizsäcker Inn,
am 27. März 2013 in Tübingen. Die Vortragsfassung wurde beibehalten. Der Vortrag wurde durch
Folien unterstützt.
2
Persönlichkeiten aus dem Zivilrecht und dem öffentlichen Recht entdeckt, aber
keinen Kriminologen. Ich gehe davon aus, dass Sie sich das gut überlegt haben.
Umgekehrt habe ich mir gut überlegt, welches Thema ich zu meinem „Antrittsvortrag“
wähle. Vielleicht haben Sie gedacht, dass ich als Kriminologe ein kriminologisches
oder als Strafvollzugsrechtler ein Thema mit Menschenrechtsbezug wähle. Nein, ich
habe mich für „Eliten“ entschieden. Ich mag kurze Titel in meinen Vorträgen und
Veröffentlichungen und stelle fest, dass ich heute zum kürzesten Titel gegriffen habe,
an den ich mich erinnern kann. Ich habe mir überlegt, ob ich die sechs Buchstaben
noch um einen kürzen kann, wenn ich über „Elite“ spreche. Da es aber – wie ich
noch ausführen werde – sehr unterschiedliche Eliten gibt, bleibt es bei den sechs
Buchstaben.
Karriere
Als Sie die Einladung zum heutigen Vortrag erhalten haben, mögen Sie auch
gedacht haben, warum ein Kriminologe zu diesem Thema spricht. Kriminologen
befassen sich mit Tätern, Opfer und der Kriminalitätskontrolle, ich mich besonders
mit der Kriminologie auf der Einzelfallebene und mit der Kriminalprävention. Da
taucht man doch ab in die Welt des Bösen und ist von Eliten weit entfernt. Bei uns
Tübinger Kriminologen liegt – so behaupte ich – in der Tat „das Böse in guten
Händen“, wie Loriot es einmal Krimi-Autoren zugeschrieben hat. Lassen Sie mich mit
einem kriminologischen Begriff einsteigen, zu dem ich bereits in meiner Dissertation
geforscht habe: „Kriminelle Karrieren von Lebenslänglichen“.2 Eliten, insbesondere
Bildungseliten erreichen und durchlaufen berufliche Karrieren. Was ist eine
Karriere? Pferdefreunde wissen vielleicht, dass die Karriere ursprünglich eine
springende Gangart des Pferdes war, die man heute noch in der Dressur
bewundern kann. Dann übertrug man den Begriff auf Pferderennbahn, wo die
Carriére ausgeführt wurde. Andere gehen davon aus, dass der Begriff von der
Fahrstraße kommt, auf der Wagen (lat. „carrus“) fuhren.
2
Wulf, R.: Kriminelle Karrieren von Lebenslänglichen. Eine empirische Analyse ihrer Strukturen und
Verlaufsformen anhand 141 Straf- und Ermittlungsakten; München Minerva 1979, 341 S.
3
Berufliche Laufbahnen
Wie dem auch sein, irgendwann sprach man von der Karriere als berufliche
Laufbahn. Dabei kann man zwischen einer Managementkarriere, dem Aufstieg in
der Unternehmenshierarchie, und einer Fachkarriere, dem Aufstieg in einer
Expertenlaufbahn, unterschieden. Intuitiv und im Volksmund denkt man immer in
Richtung „nach oben“. Freilich soll es auch „Karriere-Knicks“ geben.
Profi-Laufbahn
Wenn ein erfolgreicher Amateur im Sport oder einem anderen Gebiet sich beruflich
ganz auf diesen Bereich konzentriert und als sogenannter „Profi“ seinen
Lebensunterhalt allein damit verdient, spricht man auch von einer „Profikarriere“,
zum
Beispiel
als
Fußballspieler,
Schauspieler,
Musiker
oder
in
der
Unterhaltungsbranche. Wenn dies ohne klassische Berufsausbildung geschieht,
spricht man von „Quereinsteigern“. Eine Karriere, die besonders schnell beginnt,
wird umgangssprachlich auch als „Senkrechtstart“ bezeichnet, die Betreffenden als
„Senkrechtstarter“ oder – vor allem im Musikbereich – als „Shooting Star“.
Umgekehrt spricht man von einem „Karriereknick“, wenn sich der berufliche
Aufstieg abrupt verlangsamt, und von einer „Karrierefalle“, wenn in einer
beruflichen Situation wenig Aussicht auf Fortkommen besteht, etwa weil ein
Arbeitsplatz wenig Entwicklungsmöglichkeit bietet, die eigene Kompetenz nicht mehr
zum beruflichen Anforderungsprofil passt, das persönliche Ansehen das berufliche
Fortkommen behindert oder eine vorangehende berufliche Entscheidung negative
Auswirkungen auf die Karriere zeigt. Ein Paar (Ehepaar, Lebenspartner), bestehend
aus zwei beruflich ehrgeizigen Menschen, das versucht, seine Karrieren 'unter einen
Hut' mit der gemeinsamen Lebensplanung (z.B. gemeinsamer Wohnort) zu bringen,
nennt man Doppelkarrierepaar (wohl hergeleitet von der englischen Bezeichnung
'Dual Career Couple'). Wenn sie keine Kinder haben, sind sie „DINKS“: „double
income, no kids“. Und das „Ende der Karriere“ kann man wie folgt abkürzen: E-DeKa.
Juristische Karrieren
4
Wer zur beruflichen Elite gehören will, kann sich die Karrieren bzw. Lebensläufe
erfolgreicher Menschen anzuschauen. Wenn man also wissen will, wie man JuraProfessor wird, kann man sich die curricula vitae von Jura-Professoren analysieren.
Ostasiatische Studenten lernen sie auswendig. Das halte ich für übertrieben.
Außerdem: Ahmen Sie nichts und niemanden nach, sondern finden Sie Ihr eigenes
Profil. Interessant sind juristische Lebensläufe aber noch aus einem anderen Grund.
Manche juristische Meinung kann man nur vor dem Hintergrund des Lebensweges
des Verfassers verstehen, etwa von Juristen, die im Nazi-Regime aufwuchsen und
sich nach dem Krieg um den Aufbau der Demokratie verdient gemacht haben. Erst
neulich ist ein Band mit den Lebensgeschichten von Strafrechtswissenschaftlern
erschienen, den ich Ihrer Lektüre empfehle.3
Hinweisen will ich auch auf den Career Service an der Universität Tübingen.4 Er ist
an der Schnittstelle zwischen Studium und Beruf eine Abteilung im Dezernat Studium
und Lehre. Seine Angebote im Bereich des Kursangebotes zu überfachlichen
Kompetenzen und im Bereich der Beratung zu Berufsorientierung, Image, Praktika,
Bewerbung und wissenschaftlicher Karriere sowie Jobportal richten sich an
Studierende, an Absolvent/innen, an Mitarbeiter/innen und an die Fakultäten der
Universität Tübingen sowie an Unternehmen und andere Arbeitgeber/innen. Ich kann
es Ihnen empfehlen.
Deviante Laufbahnen
Lassen Sie mich zum Begriff „Karriere“ zurückkommen. In der Soziologie übertrug
man das Karriere-Konzept auch auf andere – negative – Verläufe, etwa
Drogenkarrieren, Glücksspielkarrieren und Karrieren von Prostituierten.
Dazu mehr oder weniger anekdotisch eine ernst zu nehmende und methodisch gut
gemachte Untersuchung5 zur Affinität von Studierenden zum horizontalen
Gewerbe. In Berlin, Kiew und Paris wurden Studierende befragt, ob sie sich
3
Hilgendorf, E. (Hrsg.): Die deutsche Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen; Berlin/New York:
de Gruyter 2010, 690 S. und Anhang
4www.uni-tuebingen.de/einrichtungen/verwaltung-dezernate/ii-studium-und-lehre/career-service.html,
besucht am 23.2.2013.
5
www.tagesspiegel.de/berlin/studie-jeder-dritte-berliner-student-kann-sich-prostitution-als-jobvorstellen/4186434.html, besucht am 23.2.2013.
5
vorstellen könnten, ihr Geld als Prostituierte oder Call-boy zu verdienen.6 In Berlin
bejahten das sage und schreibe 32 Prozent, in Kiew, wo die wirtschaftlichen
Verhältnisse weitaus schlechter sind, gerade einmal 19 Prozent. Erschrocken haben
mich die Antworten zur Frage, wer denn tatsächlich einer solchen Tätigkeit nachgeht.
In Berlin bejahten 3,2 Prozent der Studierenden diese Frage. Ich habe einmal
ausgerechnet, wie viele sich prostituierende Studierende wir in Tübingen hätten,
wenn die Verhältnisse ähnlich wären. Ich bin auf 400 weibliche Prostituierte und 400
Call-boys gekommen. Von daher kann ich jeden Dozenten nur warnen, im RotlichtMilieu
Leistungen nachzufragen.
Man
könnte
auf
die
Studentin
aus der
Fortgeschrittenenübung oder auf den Studenten im Seminar stoßen. Im Ernst: Die
Studie muss einem im Hinblick auf das Wertebewusstsein von Studierenden schon
zu denken geben. Möchten Sie sich einer Ärztin anvertrauen, die sich als Studentin
prostituiert hat. Oder möchten Sie Ihr Kind von einem Lehrer unterrichten lassen, der
als Student Freier hatte?
Kriminelle Karrieren
Nun aber zurück zu ausgeprägten kriminellen Karrieren. Wenn ich nun darauf
eingehe, wodurch sich eine kriminelle Karriere auszeichnet, dann habe ich unser
Thema „Elite“ immer im Hinterkopf, denn daraus kann man bestimmte Elemente
mitnehmen. Also: Kriminelle Karrieren zeichnen sich durch bestimmte objektive
Merkmale aus: Früher Einstieg in Delinquenz, Dissozialität und Kriminalität,
mehrfache oder gar häufige Tatbegehungen, kürzer werden Tatintervalle, Ansteigen
der Deliktschwere, so dass man auch von Mehrfach- und Intensivtätern spricht. Dem
stehen schwere Taten gegenüber, die gleichsam „wie der Blitz aus heiterem Himmel“
kommen und die wir als Übersprungstaten bezeichnen. Hinzu kommen subjektive
Merkmale: Die bewusste Wahl eines modus operandi, also eines Tatmittels, einer
Begehungs- oder Beteiligungsart, die Identifizierung mit Kriminellen und das
Selbstverständnis als Krimineller, also etwa als Zuhälter, Betrüger, Hochstapler oder
professioneller Einbrecher. Solche ausgeprägten kriminellen Karrieren sind selten.
Ich habe in meinem beruflichen Leben mit einer Reihe von „Berufskriminellen“
gesprochen. Zwei Formen will ich skizzieren: In meiner Dissertation hatte ich unter
anderem vier NS-Täter. Einige hatten in Ghettos Exzesse verübt, andere sich in
6
Vgl. auch www.stuz.de/nutz-stuz/studentische-prostitution-erst-das-studium-dann-die-moral-stuz-72okt-05, besucht am 23.2.2013.
6
Konzentrationslagern an
der Vernichtung der Juden beteiligt, einer – ein
sogenannter „Weiße-Kragen-Täter“ –die Judenvernichtung am Schreibtisch in Berlin
geplant. Alle zeichneten sich durch soziale Angepasstheit aus, im Dritten Reich und
auch danach. Es war und es ist erschreckend zu beobachten, wie dünn der Mantel
der Zivilisation ist und wie leicht das Böse im Menschen hervortritt. Wenn das noch
mit einer bestimmten Ideologe gepaart ist, etwa Rassenwahn und Nationalismus
(Stichwort: „Nordische Elite“), dann wird die Menschenwürde und werden die
Menschenrechte anderer ganz rasch missachtet.
Eine andere Gruppe von Tätern mit ausgeprägten kriminellen Karrieren sind manche
Wirtschaftskriminelle. Hier ist die Nähe von beruflicher und krimineller Karriere zum
Greifen nahe. Auch hier findet man sozial angepasste, ja bestens integrierte Täter.
Interessant wird es, wenn man sich ihre Wertorientierung ansieht. Dann kommt
wenig Empathie und viel Eigensucht zu Tage. Leider gibt es nur wenig gute
kriminologische Forschung an und über Wirtschaftsstraftäter. Im Fokus stehen junge
Gewalttäter. Ich wäre er Letzte, der diese Taten verharmlosen will. Wenn man die
Diskussion auf die materiellen Schäden verkürzt, so muss man feststellen, dass die
Schäden durch Wirtschaftskriminelle weit höher sind als die in der Jugendkriminalität.
Wir können über diese Zusammenhänge und über die Gründe und Hintergründe,
warum Wirtschaftskriminalität so wenig beforscht wird, gern diskutieren.
Ich habe in meinem Leben viele Begegnungen mit Menschen, die eine
ausgesprochen kriminelle Karriere durchlaufen haben. Immer wieder habe ich
festgestellt, dass diese durchaus auch Führungsqualitäten haben. Wer eine
Jugendgang anführt oder eine kriminelle Organisation leitet, der kann schon etwas.
Im Gefängnis tauchen diese „Führungspersönlichkeiten“ dann in die Subkultur ab
und setzen ihre Karriere dort fort. Wenn es gelingt, sie „umzudrehen“ und zu
resozialisieren, dann können sie selbst sehr gute Resozialisierungsarbeit mit anderen
leisten. Sie kennen sich aus und haben vielfach Charisma. Ein gutes Beispiel dafür
ist der Leiter der bekannten Glen Mills Scholl bei Boston, in der junge Straffällige in
einem noblen Ambiente, aber mit einer strengen Tageslaufstruktur resozialisiert
werden. Ihr charismatischer Leiter Sam Ferrainola war in seiner Jugend ein
Mehrfach- und Intensivtäter, der den Sprung auf die andere Seite geschafft hatte.
7
Aus meinen kriminologischen Anmerkungen zum Karrierekonzept nehmen wir für
eine Auslegung des Elitebegriff mit, dass beide Begriff durch objektive und subjektive
Elemente bestimmt werden müssen.
Elite
Zuvor möchte ich mich aber noch mit der geschichtlichen Entwicklung und der
grammatischen Auslegung des Elitebegriffs befassen. Der sprachliche Ursprung
liegt im lateinischen „electus“, „ausgelesen“. Ähnlich wie „Karriere“ kommt auch
„Elite“ aus einer Richtung, die man nicht vermutet. Das Wort „Elite“ tauchte erstmals
im 17. Jahrhundert auf und wurde zunächst zur Bezeichnung für hochwertige und
teure Waren. So spricht man noch heute von Elite-Garn. Früher gab es eine EliteQualität bei Gänseleber. Erst allmählich begann man, den Begriff auch auf soziale
Zusammenhänge anzuwenden. Bevor ich mich ernsthaft damit befasse, zur
Auflockerung doch noch einige Ausführungen zum Ergebnis meiner InternetRecherche „Elite“:
„Elite-Menschen“
„Akademiker und Singles mit Niveau“ wenden sich an „Elite-Partner“7, wenn sie einen
besonders gebildeten und kultivierten Partner suchen. Ich gehe allerdings davon aus,
dass die Anwesenden davon keinen Gebrauch machen müssen, weil sie ja innerhalb
von Phi Delta Phi – und dies ohne Kosten – einen entsprechenden Partner finden
können.
„EliteModel“8 ist das weltweit größte Netzwerk für weibliche und männliche Models
mit vier Dependancen in New York, Los Angeles und Toronto. Falls es mit einer
juristischen Karriere nicht klappt und Sie an eine Modell-Karriere denken, müssen
Sie aber beachten, dass man mit 25 plus kaum mehr in eine internationale Karriere
einsteigen kann.
„Elite-Produkte“
7
8
www.elitepartner.de, besucht am 23.2.2013.
www.elite-modelle.de, besucht am 23.2.2013.
8
Unter Produkten, die mit „Elite“ werben, habe ich Breitreifen für Autos, Fahrräder,
Yoghurt,
Laufschuhe,
Kondome
und
andere
Produkte
gefunden,
die
mit
hervorragender Qualität und Extravaganz werben. Das könnte für unsere Definition
von „Elite“ hilfreich sein.
Elite-Hotel
Vielleicht bleiben wir auch alle Juristen und treffen uns einmal in Heidelberg im
wirklich empfehlenswerten Elite-Hotel in der Bunsenstraße 15.9
Killer Elite
Oder wir gehen in den Film „Killer Elite“, der im Oktober 2011 Kinostart hatte, die
Verfilmung des biografischen Romans eines Abenteurers, Forschers und ehemaligen
Soldaten des britischen Special Air Service.10 Hier ist wieder die Kombination von
Elite mit Kriminalität bemerkenswert.
Elite-Bücher
Oder Sie kaufen sich das Buch von Julia Friederich: „Gestatten: Elite“.11 Auf den
Spuren der Mächtigen von morgen ist die fünfundzwanzigjährige, als McKinsey ihr
ein lukratives Job-Angebot unterbreitet – sie soll künftig zur Elite des Landes
gehören. Was man sich darunter vorstellt, erlebt sie bei einem Edel-AssessmentCenter – und ist geschockt. Doch das Wort »Elite« lässt sie nicht mehr los. Sie
schlägt den Job aus und recherchiert ein Jahr lang an Elite-Universitäten, EliteAkademien, Elite-Internaten. Sie taucht ein in eine Welt, in der Menschen, die
weniger als siebzig Stunden pro Woche arbeiten, »Minderleister« heißen, in der
zwanzigjährige
Eliteanwärter
Talkshow-Auftritte
trainieren
und
Teenager
Karriereberatungen buchen.
Ein ganz ernsthafter Beitrag zur Eliteforschung ist das Buch von Heike Schmoll: Lob
der Elite.12 Mit Blick auf die Geschichte von Eliten und ihre Bildung zeigt die Autorin,
warum heutige Gesellschaften nicht auf Eliten verzichten können und wie diese
9
www.hotel-elite-heidelberg.de, besucht am 23.2.2013.
http://de.wikipedia.org/wiki/Killer_Elite, besucht am 23.2.2013.
11 Friedrich, J.: Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen. Hamburg: Hoffmann und
Campe 2008. 255 S.
12 Schmoll: H.: Lob der Elite. Warum wir sie brauchen. München: Beck 2008, 173 S.
10
9
beschaffen sein müssen. Denn Eliten sind für keine Staatsform so unentbehrlich wie
für die Demokratie. Der Zugang zur Elite muss daher prinzipiell offen, die
Auswahlmethode transparent sein. Sobald sich Eliten abschließen, ihre Vorrechte
genießen und für sich behalten wollen, verfehlen sie ihren gesellschaftlichen Auftrag.
Weder Tradition und Herkunft noch Bildung oder Leistungsstärke entscheiden allein
über die Zugehörigkeit zu Elite. Daher müssen nach Schmoll Weitsicht,
Verantwortungs-
und
Pflichtbewusstsein,
aber
hinzukommen. Dem kann ich mich gut anschließen.
auch
Mut
zum
Alleingang
10
Elite-Universitäten
Es ist in Tübingen zwingend, dass ich meinen Streifzug durch die Eliten dieser Welt
mit einem Hinweis auf Elite-Universitäten beschließe, ehe ich mich Eliten
wissenschaftlich nähere.
Begrifflich richtiger wäre es freilich, ich würde von Exzellenz-Universitäten
sprechen, weil die Bundesregierung eine solche Initiative beschlossen hatte, um den
Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken. Es war und ist bereits im Ansatz
umstritten, ob es wissenschaftspolitisch richtig ist, erhebliche Mittel einigen wenigen
Universitäten zuzuwenden, weil dies zu einem Zwei-Klassen-System unter den
Universitäten und unter den Wissenschaften führen könnte, weil es eben vor allem
die Lebenswissenschaften sind, die Chancen haben, exzellent zu werden, und die
Geisteswissenschaften nicht. Wie dem auch sei, die deutschen Universitäten haben
einen regelrechten Wettlauf gestartet, um „exzellent“ zu werden. Ich erinnere mich an
die Weltuntergangsstimmung in Tübingen, als wir es im ersten Anlauf nicht geschafft
hatten. Umso größer war die Freude, als die Universität Tübingen im Juli
vergangenen Jahres in den erlauchten Kreis der elf deutschen ExzellenzUniversitäten aufgenommen wurde.
Dies bringt unserer Universität in der fünfjährigen Förderperiode Mehreinnahmen
vom
Bund
in
Höhe
von
ca.
110
Mio.
Euro.
Damit nicht
genug,
das
Selbstbewusstsein der Universität Tübingen ist im Innern gestiegen: „Wir sind
exzellent“. Und nach außen hat das Ansehen der Universität Tübingen in der
Hochschullandschaft zugenommen, Spitzenforscher hierher bringen und Tübingen
bei Studierenden attraktiv macht. Das sind Prozesse, die sich gegenseitig verstärken
und schon jetzt positive Effekte zeigen. Die Universität Tübingen ist damit auf dem
Weg in eine gute Zukunft. Dies könnte noch verstärkt werden, wenn ein Antrag der
Universitätsstadt Tübingen Erfolg hätte, die mittelalterliche Streuuniversität in ihrer
Einbindung in die Stadt in das Weltkulturerbe aufzunehmen. Warten wir es ab.
Abgrenzungen
Damit möchte ich mich dem Elitebegriff wieder wissenschaftlich nähern und ihn
zunächst von ähnlichen Begriffen abgrenzen.
11
Soziologisch versteht man unter einer Elite eine Gruppe tatsächlich oder mutmaßlich
überdurchschnittlich
qualifizierter
Personen
oder
die
herrschenden
bzw.
einflussreichen Kreise der Gesellschaft. Schon hier bitte ich um eine Differenzierung.
Im Grunde gibt es „die“ Elite nicht, es gibt - je nach bestimmendem Merkmal - eine
Reihe
von
unterschiedlichen
Eliten.
In
Stichworten:
Bildungseliten;
Einkommenseliten; Führungseliten; Machteliten; Militäreliten; Parteieliten; Sporteliten;
Wissenseliten; Unternehmenseliten. Ich werde darauf zurückkommen.
Ich möchte an dieser Stelle auch einflechten, dass man das Wort „Elite“ neutral
beschreibend und wertfrei verwenden kann, oder aber auch in gesellschaftskritischer
Absicht, wenn man „elitäre“ Strukturen kritisieren möchte.
Ich habe Ihnen eine ganze Reihe von Begriffen auf die Folie gezogen, die gleichsam
den „Begriffshof“ für „Elite“ bilden. In der vorgegebenen Zeit kann ich mich nicht mit
allen Begriffen befassen. Ich möchte „die Akademiker“ und die „Oberschicht“
exemplarisch herausgreifen.
Bei „Akademiker“ gibt es eine enge und eine weite Wortbedeutung. Nach der
engen Wortbedeutung sind Akademiker das wissenschaftliche Personal einer
Hochschule, nach der weiten Definition die Absolventen einer akademischen
Hochschule. Hier im Raum sehe ich nur wenige Hochschulangehörige und die
meisten haben ihre „akademische Ausbildung“ wohl noch nicht abgeschlossen.
„Elite“
unterscheidet
sich
vom
Begriff
„Oberschicht“,
obwohl
es
häufig
Schnittmengen gibt. Eine Elite muss aber nicht notwendigerweise aus Mitgliedern
privilegierter sozialer Schichten bestehen. Konzepte wie Schicht und Klasse betonen
die ökonomische Dimension sozialer Strukturen, während mit dem Konzept „Elite“
deren politische Dimension betont wird. Zudem zielt der „Schicht“-Begriff auf
industrielle Gesellschaften ab, während der „Elite“-Begriff auf alle möglichen Formen
gesellschaftlicher Differenzierung Anwendung gefunden hat.
Formen von Eliten
Mit Stichworten habe ich bereits angedeutet, dass es unterschiedliche Formen von
Eliten gibt.
Eng zusammen hängen Bildungs- und Wissenseliten. Die Begriffe vor „-elite“
deuten an, dass es hierbei auf die kognitiven Fähigkeiten der Mitglieder ankommt.
12
Das steht bei Führungs- und Unternehmenseliten nicht im Vordergrund. Das soll
nicht heißen, dass gute Führung und gute Unternehmerfähigkeiten nichts mit
Intelligenz zu tun hätten.
Bei den Einkommenseliten kommt es dagegen nur darauf an, dass das Einkommen
überdurchschnittlich sind.
Bei den Machteliten steht im Zentrum, dass sie an der Macht sind und an der Macht
bleiben wollen.
Die Militäreliten sind herausgehobene Teile des Militärs.
Bei Parteieliten geht es wohl um bestimmte Kader. Beispiele aus der Gegenwart in
Deutschland kann ich Ihnen leider aus keiner Partei vorstellen.
Den Begriff „Sporteliten“ kann man wohl mit „Spitzensportler“ übersetzen. Hier
kommt es auf die erreichte sportliche Leistung an.
Merkmale von Eliten
Nach meinem Verständnis lässt sich eine Elite zunächst dadurch kennzeichnen, dass
es sich um eine Gruppe von Menschen handelt. Wie groß die Gruppe in absoluten
Zahlen oder in Prozentsätzen von der Grundgesamtheit sein muss, lässt sich schwer
allgemein bestimmten. Ich würde einmal annehmen, dass es - in Köpfen - keine ganz
kleine
Gruppe
sein
darf.
Hinsichtlich
des
Prozentsatzes
von
allen
der
Grundgesamtheit müsste es sich demgegenüber um einen kleinen Prozentsatz
handeln, der meines Erachtens nicht über zehn Prozent von allen liegen dürfte.
Ein weiteres Merkmal eine Elite ist, dass es sich um Mitglieder handelt, die in den
qualitätsbestimmenden Merkmalen „über dem Durchschnitt“ liegt. Mitglieder von
Eliten wollen unter Umständen besonders gebildet sein, wollen besonders erfolgreich
sein, wollen besonders viel Geld haben oder verdienen, wollen besondere sportliche
Leistungen vollbringen oder im Militär bzw. in ihrer Partei eine hervorgehobene
Stellung haben. Die Elite will damit einen bestimmten Zweck erfüllen.
Zu den objektiven Merkmalen möchte ich noch zählen, dass die Elite eine auf Dauer
angelegte Gruppe ist.
Zu diesen objektiven Merkmalen kommen subjektive Merkmale hinzu. Ein wichtiges
Merkmal ist der Wunsch der Mitglieder, zur dieser Elite dazugehören, sich mit ihren
13
Zielen zu identifizieren und diese Ziele in das Selbstbild aufgenommen zu haben.
Dabei besteht für eine Elite die Gefahr, sich nach außen abzuschotten und
überheblich zu werden. Das wären „elitäre“ Züge im schlechten Sinne.
Ethik von Eliten
Was kennzeichnet aber eine echte, positive Elite. Für mich muss jede Elite eine
hochstehende Ethik haben, die abstrakt im Leitbild und praktisch in den Aktivitäten
zum Ausdruck kommen sollte.
Da sind zunächst einmal die Werte, zu denen sich die Elite selbst bekennt. Bei einer
juristischen Elite könnten die Grund- und Menschenrechte der Maßstab sein.
Dann geht es um die Toleranz gegenüber anderen Gruppen und Vereinigungen in
der Horizontale. Hier ist Offenheit der Maßstab.
Und schließlich ist mir der Respekt einer Elite vor anderen, insbesondere „nach
unten“: wichtig. Eine Bildungselite muss sich daher zum Sozialen bekennen und
soziale Verpflichtung verspüren. Auch darauf werde ich noch zu sprechen kommen.
Juristische Eliten
Nun möchte ich mich noch juristischen Eliten zuwenden. Ein Blick auf die Folie zeigt,
dass es keine eindeutig definierbare juristische Elite gibt, die auch organisatorisch
eindeutig zuordnen könnte. Institutionen mit hervorragenden Juristen gibt es vielen
Orten, so dass man auch insoweit wieder in den Plural gehen und von Juristischen
Eliten sprechen muss.
Da sind zunächst einmal staatliche und private Institutionen. Wer es als
Rechtswissenschaftler zu einer Habilitation, einem Ruf und einem Lehrstuhl
gebracht hat, den findet man in einer der 42 Juristischen Fakultäten an deutschen
Universitäten.
Wer in der juristischen Praxis erfolgreich ist, sitzt in einem Oberlandesgericht oder
einer
Generalstaatsanwaltschaft,
in
einem
Bundesgericht
oder
beim
Generalbundesanwalt, beim Bundesverfassungsgericht oder beim Europäischen
Gerichtshof. Hervorragende Juristen in der Landesjustizverwaltung sitzen in den
Justizministerien des Bundes und der Länder, denken Sie etwa an die Präsidenten
14
der Landesjustizprüfungsämter oder an die Justitiare des Landes in der öffentlichrechtlichen
Abteilung
des
Justizministeriums.
Spitzenjuristen
findet
man
selbstverständlich auch in renommierten Anwaltskanzleien, in Unternehmen und
Banken. Je besser die Wirtschaft floriert, desto eher zieht es junge Juristen dorthin.
In schlechteren Zeiten haben es die Landesjustizverwaltungen und die Universitäten
leichter, Spitzenkräfte zu bekommen. Nach meinen langjährigen Beobachtungen ist
das ein ständiges Auf und Ab. Man kann das auf der einen oder anderen Seite
beklagen. Im Ergebnis mittelt sich die Verteilung der guten Juristen. Das ist für mit
Blick auf die Ausgewogenheit der gesamten „Juristischen Familie“ insgesamt gut.
Nicht vergessen möchte ich dass sich (gute) Juristen auch außerhalb der beruflichen
Institutionen in berufsständischen und juristischen Institutionen engagieren. Das
ist wichtig. Mit einiger Sorge muss man aber feststellen, dass das ehrenamtliche
Engagement von Juristen für Ihre Interessen nachlässt. Den Gründen kann ich hier
leider nicht nachspüren. Für ganz wichtig halte ich die Juristenvereinigungen, die
Brücken von deutschen Juristen ins Ausland und zurück bauen. Hier besteht
Gelegenheit, unser Recht zu exportieren. Deutschland hat keine Bodenschätze, die
wir exportieren können, aber den Schatz unseres Rechts. Wer Sprache und Recht
exportiert, der hat auch die Chance, in der Wirtschaft des anderen Landes erfolgreich
zu sein. Hier können wir von den USA eine Menge lernen.
So wie Vereine und Parteien Jugendorganisationen haben, haben vielleicht auch
juristische Eliten Jugendorganisationen. Diese müssten dann auf dem Campus zu
finden sein. Hier in Tübingen haben wir außerdem die Freie Fachschaft Jura, die
unabhängige Liste Fachschaft Jura (ULF), die European Law Students' Association
(ELSA), die christliche Vereinigung Cross ´n Law und eben Phi Delta Phi. Das
„Forum Junge Rechtswissenschaft“
Juristischen
Fakultät
der
ist eine Initiative von Habilitierenden der
Universität
Tübingen.
Es
bietet
Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern eine Plattform,
Forschungsprojekte zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Da sich hier
juristische Nachwuchswissenschaftler zusammengeschlossen haben, kann man hier
ohne weiteres von einer juristischen Nachwuchselite sprechen.
Das kann ich von studentischen Verbindungen, in denen man viele Jurastudenten
findet leider nicht behaupten. Ich habe auf der einen oder anderen Verbindung, auch
in Burschenschaften, schon Vorträge über kriminologische und juristische Themen
15
gehalten. Es wurde danach auch sachlich diskutiert, was mir gefallen hat. Mit Sorge
muss man
aber
zur
Kenntnis nehmen,
dass
studentische
Verbindungen,
insbesondere Burschenschaften, rechtsextreme Kontakte haben und dass solche
Gedanken in studentischen Verbindungen kursieren sollen. Das schließt für mich
jeden Anspruch auf eine Elite im positiven Sinne aus.
Juristische Eliten sind sicher die Doktoranden und Habilitanden an einer
Juristischen
Fakultät.
Promovieren
und
habilitieren
darf
nur,
wer
überdurchschnittliche Leistungen in den Examina bzw. bei der Promotion gezeigt hat.
Wir haben an der Juristischen Fakultät nicht weniger als 300 Doktoranden, die mit
unterschiedlichen Lebensentwürfen promovieren. Das Spektrum reicht von der
Assistentenstelle, über ein Stipendium bis hin zum berufstätigen Rechtsanawalt der
am Feierabend und am Wochenende promoviert. Alle verdienen meiner Meinung
nach hohen Respekt und sollten viel mehr gefördert werden. Langsam erkennt die
Fakultät, dass die Doktorväter und Doktormütter zu wenig sind und es auch nicht
reicht, wenn die Doktoranden im Seminar bevorzugte Plätze haben. Meines
Erachtens gehört jeder Doktorand in einen Doktorandenkreis, der von einem
Professor betreut wird und wo man sich mit anderen Doktoranden vernetzen kann.
Ich habe daher einen Doktorandenkreis gegründet, der einmal im Monat im Institut
für Kriminologie auf dem Sand tagt, damit die Doktoranden ihre Arbeit nicht in
denselben setzen. Ich freue mich besonders, dass einige heute gekommen sind.
Nur mit einem Satz will ich mein Bedauern zum Ausdruck bringen, dass durch einige
schwarze Schafe, ich meine die Plagiatoren, die vielen, die mit fleißiger und ehrlicher
Arbeit promovieren, in den Schmutz gezogen werden. Das Thema würde einen
eigenen Vortrag füllen.
Elite-Soziologie: Selektion
In seiner empirischen Studie „Der Mythos von den Leistungseliten“13 untersucht
Michael
13
Hartmann
den
Zusammenhang
von
sozialer
Herkunft
und
Hartmann, M.: Der Mythos von den Leistungseliten: Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in
Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft; Frankfurt/M.: Campus 2002, 196 S. und Anhang.
16
Zugangschancen zu Elitepositionen in Deutschland. Er kommt zu dem Ergebnis,
dass die Chancengleichheit diesbezüglich erhebliche Defizite aufweist.14
Dazu hat er die Biografien von 6500 Doktoren der Promotionsjahre 1955, 1965,
1975 und 1985 in der Bundesrepublik Deutschland anhand deren Lebensläufen
untersucht.
Dabei
konzentrierte
er
sich
wegen
ihrer
Bedeutung
für
die
Herrschaftstruktur in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz und Politik auf
Juristen, Wirtschaftswissenschaftler und Ingenieure. Zum einen stellt Hartmann fest,
dass bereits die Promotion sozial hoch selektiv ist. Es zeige sich bei Betrachtung des
weiteren Karriereverlaufs der Promovierten, dass Spitzenpositionen in den
untersuchten
Bereichen
in
überrepräsentativen
Ausmaß
von
Kindern
des
Großbürgertums und des gehobenen Bürgertums besetzt werden. Dabei unterliege
der Wirtschaftsbereich einer stärkeren sozialen Selektion als die Bereiche Justiz und
Politik. Hartmann begründet dies mit der Wahlmöglichkeit der aus ‚Großbürgertum‘
und ‚gehobenen Bürgertum‘ stammenden Kinder, die vorwiegend in Positionen der
Wirtschaft drängen und sich erst dann für Justiz und Politik entscheiden, wenn die
gesamtwirtschaftliche
Situation
die
Aussichten
auf
eine
Wirtschaftskarriere
schmälert.
Die in der Eliteforschung vertretene Position, die Rekrutierung der Eliten erfolge
vorrangig anhand der individuellen Leistung, hätten sich insoweit nicht bestätigt.
Auch die Hoffnungen Ralf Dahrendorfs und der meisten anderen Eliteforscher, die
Bildungsexpansion mit ihrer sozialen Öffnung der Hochschulen werde an der
Bedeutung der sozialen Herkunft bei der Rekrutierung der Eliten Wesentliches
ändern, hätten sich dementsprechend nur unzureichend erfüllt. Zwar sei es zunächst
durchaus zu einer Öffnung der Promotion für breitere Teile der Gesellschaft
gekommen, doch habe bei den untersuchten Jahrgängen inzwischen eine weitere
soziale Selektion bei der Verteilung von Spitzenpositionen eingesetzt.
Zusammenfassend habe also die Bildungsexpansion zwar den Zugang zu den
Bildungsinstitutionen für breite Gesellschaftsteile erleichtert, nicht aber den zu den
Elitepositionen.
14
Hierzu und zum Folgenden http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Hartmann_(Soziologe); besucht am
23.2.2013.
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Nach Hartmann stammen die deutschen Eliten überproportional aus den Reihen des
Bürgertums. In der Vätergeneration der heutigen Eliten stellten diese Berufsgruppen
zirka 3,5 % der männlichen Erwerbstätigen. Weitgehend einig sei man sich in der
Einschätzung, dass die politische Elite sozial am durchlässigsten und die
Wirtschaftselite am geschlossensten sei.
Es besteht ein prinzipieller Zusammenhang zwischen der sozialen Selektivität
des deutschen Bildungssystems und der sozialen Rekrutierung der deutschen
Eliten
Verantwortlich für das soziale Ungleichgewicht seien zwei Aspekte. Zum einen gebe
es
eine
Vielzahl
Bildungssystems,
von
das
Schülerleistungsstudie
Auslesemechanismen
sich
PISA
im
deutlich
innerhalb
internationalen
gezeigt
hat
Vergleich
-
durch
des
eine
deutschen
wie
die
besonders
ausgeprägte soziale Selektion auszeichnet. Die Dreigliederung des Schulwesens
spielt nach ihm in dieser Hinsicht eine entscheidende Rolle. Nach einer Erhebung
unter allen Hamburger Fünftklässlern benötigt zum Beispiel ein Kind, dessen Vater
das Abitur gemacht hat, ein Drittel weniger Punkte für eine Gymnasialempfehlung als
ein Kind mit einem Vater ohne Schulabschluss. Bei Versetzungsentscheidungen
seien dieselben Mechanismen zu beobachten.
Elite-Soziologie: Habitus
Zum anderen spielten Selektionsmechanismen während des Berufslebens eine
Rolle, die sich im Wesentlichen auf unbestimmte „Persönlichkeits“-Merkmale
beziehen. Die Bedeutung der ‚richtigen Chemie‘ oder des ‚Bauchgefühls‘ hängt
wesentlich mit dem Bedürfnis der führenden Kader zusammen, sich mit Personen zu
umgeben, denen man vertrauen und in dessen Folge auch besser einschätzen kann.
Man müsse sich einen Vorstand, so ein interviewter Topmanager, in der Regel als
eine Schicksalsgemeinschaft vorstellen, die gemeinsam erfolgreich sei oder aber
scheitere. Maßgeblich dafür, ob man glaubt, jemandem vertrauen zu können, und
damit auch für die Entscheidung, ob diese Person als Vorstandskollege akzeptiert
wird, sei somit letztlich der Habitus der Person. Der gewünschte Habitus wird in den
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Chefetagen
der
deutschen
Großunternehmen
an
vier
zentralen
Persönlichkeitsmerkmalen festgemacht:
1. Man sollte eine intime Kenntnis der Dress- und Benimmcodes aufweisen, weil
dies aus Sicht der Entscheider anzeigt, ob der Kandidat die geschriebenen und vor
allem die ungeschriebenen Regeln und Gesetze in den Chefetagen der Wirtschaft
kenne und auch zu beherzigen gewillt sei.
2. Eine breite Allgemeinbildung sei erwünscht, weil sie als ein klares Indiz für den
berühmten und als unbedingt notwendig erachteten ‚Blick über den Tellerrand‘
angesehen werde.
3. Notwendig sei auch eine breite unternehmerische Einstellung und der damit als
notwendig erachteten optimistischen Lebenseinstellung.
4. Persönliche Souveränität in Auftreten und Verhalten als wichtigstes Element
schließlich zeichne in den Augen der Verantwortlichen all diejenigen aus, die für
Führungsaufgaben dieser Größenordnung geeignet seien.
Solche habituellen Persönlichkeitsmerkmale werden in erster Linie von dem Milieu
vermittelt, in dem man aufgewachsen ist, und sind nicht durch fachliche persönliche
Leistung zu erwerben.
Phi Delta Phi als Elite
Lassen Sie mich in einem letzten - interessanten - Schritt untersuchen, ob und
gegebenenfalls man die Fraternity Phi Delta Phi und ihre Mitglieder als Elite
bezeichnen kann.
Fangen wir mit dem Namen an: „Freunde von Gerechtigkeit und Weisheit“. Das sind
sicherlich nur wenige Menschen. Viel mehr Menschen handeln ungerecht und sind
dumm; das gilt auch für Juristen: „Er war Jurist und auch sonst von mäßigem
Verstand“. Das Zitat stammt von Ludwig Thoma und lautet richtig: „Er war ein guter
Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand“ (aus der Kurzgeschichte „Der Vertrag“
über den königlichen Landgerichtsrat Alois Eschenberger). Hierzu gibt es übrigens
einen Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 24. Mai 2007.
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Ein
Gewerkschaftssekretär
hatte
das
über
den
Vertreter
eines
Arbeitsgeberverbandes gesagt. Wer sich als Freund von Gerechtigkeit und Weisheit
definiert, ist sicherlich nicht von mäßigem Verstand.
Wenden wir uns wieder unserer Frage zu: Ist Phi Delta Phi eine Elite? Dafür spricht,
dass Richard von Weizsäcker Namensgeber des Inns ist. Unter den mittlerweile elf
Bundespräsidenten nimmt er eine besondere Stellung ein, nicht nur weil er ein
Adeliger ist. Weizsäcker wirkte integrierend und erlangte hohe Anerkennung im
Ausland mit seiner Rede vom 8. Mai 1985, in der er den 8. Mai 1945 als „Tag der
Befreiung
vom
menschenverachtenden
System
der
nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft“ bezeichnete. Er trat für ein behutsames Zusammenwachsen von
Ost und West ein und mahnte in seiner Rede zur Wiedervereinigung am 3. Oktober
1990 „Sich zu vereinen, heißt teilen lernen.“ Hervorzuheben ist auch ein
gesellschaftliches
Engagement,
insbesondere
als
Präsident
des
Deutschen
Evangelischen Kirchentages. Er hat zahlreiche Ehrungen erfahren, unter anderem im
Jahr 2000 den Dr. Leopold-Luca-Preis der Universität Tübingen erhalten. Diese
Auszeichnung würdigt hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Theologie, der
Geistesgeschichte, der Geschichtsforschung und der Philosophie, außerdem das
Engagement für Völkerverständigung und Toleranz.
Wie sieht es mit der Organisationsform des Tübinger Inns aus. Phi Delta Phi ist
eine „fraternity“, also eine Studentenverbindung in angloamerikanischer Tradition.
Mitgliedschaften in fraternities oder sororities sind in den USA verbreiteter als in
Deutschland. Sie gelten in der Regel nicht als „konservativ“, haben stattdessen
jedoch den Ruf, viele und zum Teil exzessive Partys zu veranstalten. Der Ruf hängt
zum Teil mit einer anderen Partykultur als an deutschen Hochschulen zusammen,
die vor allem in den USA durch das höhere Mindestalter für legalen Alkoholkonsum
mitgeprägt ist. Das würde eigentlich nicht für eine Elite sprechen. Der Tübinger Inn
grenzt sich als „professional fraternity“- zumindest auf der Homepage - davon ab.
Man kann dort lesen: “Während deutsche Studentenverbindungen von Studenten der
Heimatregionen zum Selbstschutz und gegenseitiger Unterstützung begründet
wurden, haben sich amerikanische Professional Fraternities (zeitlich viel später)
sogleich mit dem Kernziel der Weiterbildung. Und mit Stolz verweist man darauf,
dass keine andere Studentenverbindung in den USA so viele Mandatsträger
hervorgebracht hat, mehrere US-Präsidenten, zahllose Supreme Court Richter,
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Senatoren, Kongressabgeordnete und einflussreiche Mitglieder des juristischen
Standes.“
Das spiegelt sich auch im aufwändig gestalteten Wappen wider. Dabei stutzt man
zunächst über den Totenschädel und die gekreuzten Knochen. Zu meiner Beruhigung konnte ich aber darüber lesen: „This emblem reminds every member of Phi Delta Phi that life is fleeting and that we are all hastening toward a common estate in
death. It teaches that we should so regulate our daily life and conduct as to be worthy
of the esteem of our fellow men.“ Das wiederum spricht für eine Bildungselite, denn
gebildete Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie über den Menschen
nachdenken: Wo kommen wir her? Wer sind wir? Wo gehen wir hin?
Ziel der Vereinigung ist „to promote a higher standard of professional ethics and
culture in this and other law schools and in the profession at large.” Auch hier wieder
ein Hinweis auf Ethik und Kultur und damit ein Zeichen für Strebsamkeit im besten
Sinne.
Gut gefallen hat mir auch, dass die studentischen Mitglieder Ihres Inns ehrenamtlich
Rechtsunterricht an Schulen und verschiedenen Einrichtungen erteilen und
arbeitslose Jugendliche betreuen. „Nutzung unseres Wissens in einem sozialen,
gesellschaftlichen Kontext.“ Hier können Sie etwas Sinnvolles für andere tun.
Zugleich können Sie Ihre Rechtskenntnisse anwenden und weitergeben; wenn man
anderen etwas erklärt, profitiert man selbst davon. „Und schließlich haben Eliten richtig verstanden - immer auch das Gemeinwohl im Sinn, also auch hier ein Plus in
Sachen „Elite“.
Dann habe ich gehört, dass Sie nicht jeden Jurastudenten aufnehmen, sondern nur
solche, die gute Noten haben. Nach der Satzung muss man die kleinen Scheine mit
der Note „vollbefriedigend“ bestanden haben. Dagegen ist grundsätzlich nichts
einzuwenden. Als langjähriger Prüfer und Praktiker warne ich aber davor, Juristen
nur nach ihren Noten zu beurteilen. Ich kenne einige mit guten Noten, die in der
Praxis gescheitert sind oder mit denen ich nicht gern zusammenarbeiten würde, und
ich kenne andere mit weniger guten Noten, die in der Praxis hervorragende Arbeit
leisten und die ich gern zu meinen Kollegen zählen würde. Die sozialen
Kompetenzen zählen auch. Ich empfehle Ihnen daher, auch darauf zu achten.
Nun noch ein Blick auf Partner, Sponsoren und Ehrenmitglieder. Da haben Sie
wirklich zwei führende Sozietäten an der Hand. Und die Liste der Ehrenmitglieder ist
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auch respektabel: Angesehene Rechtsanwälte, führende Persönlichkeiten aus der
Wirtschaft, erfolgreiche Männer im Bankenwesen, hochrangige Verwaltungsbeamte,
Wissenschaftler mit Reputation und verdiente Politiker. Bei Recherchen im Internet
habe ich allerdings auch kritische Stimmen vernommen: "Was ist nun von einem
Netzwerk zu halten, in dem sich viele gewichtige Interessengruppen der Befürworter
von Stuttgart21 wiederfinden? … Die Liste der "Ehrenmitglieder" dieser NetzwerkJuristen-Vereinigung … liest sich wie eine Liste der Projektbefürworter.”15 Ob das so
ist, weiß ich nicht, jedenfalls stimmt die Meinung nicht, seitdem Sie mich als
Ehrenmitglied aufgenommen haben. Ich oute mich jedenfalls als K21-Befürworter
und kann Ihnen das gern in kleinen Diskussionsgruppen erläutern. Ich hoffe, dass
meine Haltung mich nicht die neue und schöne Ehrenmitgliedschaft kostet.
Fazit: Lassen Sie mich nach alledem abschließend feststellen, dass es sich bei Phi
Delta Phi nach meiner Überzeugung um eine studentische Grupperung handelt, die
innerhalb der Gruppe der Gleichaltrigen bereits eine Bildungselite darstellt, und
deren Mitglieder anstreben, nach Abschluss ihrer Ausbildung in die Führungs- und
Unternehmenselite in Deutschland und darüber hinaus aufzusteigen. Das in der
Fraternity praktizierte soziale Engagement verdeutlicht das ethisch erfreulich
hochstehende Leitbild. Ich wünsche Ihnen und mir, dass Phi Delta Phi es sich
bewahrt.
15
http://zwuckelmann.posterous.com/verschworungstheorie-oder-verschworungspraxis, besucht sm
23.2.2013.
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