Dehnen - Martin Hillebrecht

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Ist Dehnen out?
Dr. Martin Hillebrecht
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Strukturierung von
Beweglichkeit
statisch: Die dehnende Person hält die Dehnposition mehrere Sekunden.
dynamisch: Die dehnende Person bewegt sich in die Dehnposition z.B. durch leichtes Wippen hinein.
aktiv : Die Dehnung wird durch die Aktivität der beteiligten Muskulatur ausgelöst.
passiv: Es wirken zusätzliche äußere Kräfte auf den Körper ein (Helfer, Schwerkraft, Hände).
Strukturierung von
Beweglichkeit
Statisch vs. dynamisch
· Statische Dehnungen
- Langsames, kontrolliertes Einnehmen der Dehnposition, anschließendes Verweilen in
dieser Stellung
- Das Ausmaß der Dehnung ist maximal, allerdings sollen keine Schmerzen auftreten
(ULLRICH & GOLLHOFER 1994, 340); andere Autoren fordern nur submaximale
Dehnungen.
- Die Dehnposition soll je nach Autor zwischen 5 und mehr als 60s gehalten werden
(BLUM 1990, 61, FREIWALD 1991, 61).
- Danach erfolgt eine kontrollierte Entspannung der Muskulatur.
- Diese Prozedur wird 2- bis 3- mal wiederholt (BLUM 1990,61).
- Die in der Praxis beobachtbare Vielzahl der vorgeschlagenen Techniken entsteht durch
Erweiterung der hier beschriebene Grundform durch vorgeschaltete Anspannung (CR)
des zu dehnenden Muskels, gleichzeitige Antagonistenkontraktion (AC) oder eine
Kombination (CR-AC) (WYDRA 1993, 104).
· Dynamische Dehnungen
- Die Dehnposition wird eingenommen und sofort wieder gelöst. Es entsteht also keine
Halteposition.
- Nach HUTTON wird die Muskeldehnung durch schnelle, wippende und federnde
Bewegungen mit maximaler Amplitude erreicht (ULLRICH & GOLLHOFER 1994, 339f).
- FREIWALD dagegen fordert eine weiche und rhythmische, keinesfalls ruckartige und
schmerzhafte Bewegungsausführung (1991, 58).
Module der Dehnung
Entwicklung der Dehnmethoden
Vermutete Effekte eines
Dehntrainings
Kurzfristig und langfristig:
- Verbesserung der Bewegungsreichweite
- Erhöhung der Leistungsfähigkeit
- Verletzungsprophylaxe
- Förderung der Regeneration; Entspannung
Vermutete Effekte eines
Dehntrainings
Beweglichkeit
Messung einer Ruhedehnungsspannungskurve
Modifiziert nach Wiemann 1993
Beweglichkeit
Verlauf einer Ruhedehnungsspannungskurve
nach Dehnung?
Beweglichkeit
Bewegungsreichweitenerhöhung und
kurzfristig verringerte Ruhespannung?
Beweglichkeit
Bewegungsreichweitenerhöhung und
verringerte Ruhespannung (kurzfristig) ?
Wiemann und Hahn (1997, 343) wiesen nach, dass nach einem 15-minütigen Dehntraining
der unteren Extremität der Verlauf der Dehnungsspannung bei erneut ausgeführter Dehnung
der ischiocruralen Muskulatur im Vergleich zu dem vor der Dehnung nicht signifikant
verändert ist. Dies gilt sowohl für statisch als auch für dynamisch durchgeführte Dehnungen.
Gleichzeitig beobachtetet man eine hochsignifikante Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit.
Die Autoren vermuten, dass die Verbesserungen der Beweglichkeit mit einer erhöhten
maximal erträglichen Dehnungsspannung einhergehen und damit durch neuronale
Anpassungen verursacht werden müssen. Sie vermuten eine erhöhte Toleranz der
Schmerzrezeptoren des tendo-muskulären Systems als Ursache.
Fazit: Die Bewegungsreichweite ist nach Dehnen vergrößert, weil der
Schmerz der Dehnung schwächer wahrgenommen wird. In der MuskelSehneneinheit findet sich keine Verlängerung! Die Muskellänge ist sehr
stark vom alltäglich genutzten Bewegungsradius abhängig und passt sich
an diesen an.
Beweglichkeit
Warum verlängert sich der Muskel nicht?
Das Titin verhält sich wie eine Rückstellfeder. Nach einer
Dehnung sorgt es dafür, dass der Sarkomer wieder in seine
Optimallänge zurückkehrt. Ein verlängerter Sarkomer würde
nur geringere Kräfte produzieren können!
Beweglichkeit
Bewegungsreichweitenerhöhung und langfristig
verringerte Ruhespannung?
Auch langfristig ergeben sich diese Ergebnisse. Es zeigen sich sogar
signifikant erhöhte Ruhespannungen!
Leistungssteigerung nach statischem Dehnen?
Ergebnisse eines Experimentes
• Methodik:
Die Stichprobe setzte sich aus 35 Sportstudierenden der Uni Oldenburg zusammen.
Diese wurden in 3 Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe absolvierte ein statisches Dehnen
(VGSD), die zweite ein dynamisches Dehnprogramm (VGDD) und die dritte diente als
Kontrollgruppe (KG).
-Standardisiertes Aufwärmprogramm auf dem Fahrradergometer.
-Vortest (3 Tiefsprünge aus 24 cm Höhe)
-Beweglichkeitsvortest (Straight-Leg-Test)
-Dehnprogramm bzw. Pause
-Beweglichkeitsnachtest
-Nachtest 1 (3 Tiefsprünge)
-Nachtest 2 (nach 30 Minuten Pause erneut 3 Tiefsprünge)
-Erfasst wurden die Sprunghöhe und die Kontaktzeit bei jedem Sprung über eine
Kraftmessplattform.
Leistungssteigerung nach statischem Dehnen?
Ergebnisse eines Experimentes
• Ergebnisse:
Signifikante Leistungsverluste der VGSD gegenüber der KG.
Keine signifikanten Leistungsverluste bei der VGDD.
28
27,5
Sprunghöhe [cm]
27
26,5
VGSD
26
VGDD
KG
25,5
25
24,5
24
Vortest
Nachtest 1
Untersuchungsphase
Nachtest 2
Lassen sich Leistungsverluste nach statischem
Dehnen kompensieren?
Ergebnisse eines Experimentes
• Methodik:
Die Stichprobe setzte sich aus 208 Sportstudierenden der Uni Oldenburg zusammen.
Diese wurden in 13 Gruppen aufgeteilt. Die Gruppe absolvierten nach dem ersten
Nachtest verschiedene aktivierende Inhalte (Sprünge, Sprints, maximale
Kontraktionen etc.), von denen wir annahmen, dass die die Leistungsverluste nach
dem Dehnen wieder kompensieren könnten.
-Standardisiertes Aufwärmprogramm auf dem Fahrradergometer.
-Vortest (3 Tiefsprünge aus 24 cm Höhe)
-Dehnprogramm bzw. Pause
-Nachtest 1 (3 Tiefsprünge)
-Aktivierende Inhalte nach 20min)
-Nachtest 2 (5 Minuten nach Ende der aktivierenden Inhalte erneut 3 Tiefsprünge)
-Erfasst wurden die Sprunghöhe und die Kontaktzeit bei jedem Sprung über eine
Kraftmessplattform.
Kompensation von Leistungsverlusten?
• Ergebnisse:
- Maximale Kontraktionen bewirken weitere Leistungsverluste.
- Sprungformen wirken eher leistungserhaltend.
- Maximale Sprints können Leistungsverluste annähernd kompensieren.
- Die besten Ergebnisse zeigt die Sprintgruppe, die ihr Ausgangsniveau sogar
übertrifft.
35
StatMaximal
StatdynMax
StatSchnellk
33
Sprunghöhe [cm]
StatHüpfen
StatHürde
StatSprint
31
KGstat
DynSprint
Sprint
29
KGohneSL
StatDrop56
27
StatSprgl
StatSteiger
25
Vortest
Nachtest 1
Untersuchungsphase
Nachtest 2
Leistungssteigerung nach statischem Dehnen?
Ergebnisse eines Experimentes
• Methodik: Die Stichprobe setzte sich aus 8 Sprinterinnen des niedersächsischen DKaders zusammen. Die wesentlichen Gruppendaten sind in der Tabelle
zusammengefasst:
Parameter
M
SD Minimum Maximum
Alter
15,5 0,76
15
17
Größe [cm]
170,4 5,8
161
180
Masse [kg]
57,8 6,3
46
63
100m-Bestl. [s] 12,63 0,15
12,4
12,8
Tab. 1: Gruppendaten (Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Minimum und
Maximum
Wer es noch einmal genauer nachlesen möchte: Ein ausführlicher Artikel ist im Novemberheft der Zeitschrift
Leistungssport 2007 erschienen.
Leistungssteigerung nach statischem Dehnen?
Ergebnisse eines Experimentes
Methodik:
• Individuelles Aufwärmprogramm, auf statische Dehnungen wurde
verzichtet.
• Im Anschluss liefen alle Sprinterinnen zunächst zwei 50m-Läufe
zwischen denen eine 15-minütige Pause lag.
• In der darauffolgenden 15-minütigen Pause absolvierten die
Läuferinnen ein statisches Dehnprogramm
• Danach erfolgten 2 weitere Läufe über 50m.
• Mittels in einen Startblock eingebauter Kraftmessplatten konnten
die Kraft-Zeitverläufe des linken und des rechten Beins beim Start
erfasst werden.
• Die Sprintzeiten wurden durch Doppellichtschranken im Abstand
von jeweils 10m ermittelt, so dass 5 Teilzeiten für die Analyse zur
Verfügung standen.
Leistungssteigerung nach statischem Dehnen?
Messstartblock
Fres
Fz
Fx
Fhor
Leistungssteigerung nach statischem Dehnen?
Ergebnisse eines Experimentes
Eingesetzte Dehnübungen:
Haltedauer: 15 s
Maximale Dehnung bis an die Schmerzgrenze
Dehnung der vortriebswirksamen Muskulatur (Hüft-, Knie- und
Fußstrecker; Hüft- und Kniebeuger)
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Ergebnisse
M±SD
NT1
1,95±0,08
3,28±0,10
4,51±0,13
5,73±0,17
6,95±0,21
M±SD
NT2
1,94±0,07
3,27±0,09
4,49±0,10
5,71±0,13
6,91±0,17
7
6,95
Laufzeit [s]
Parameter
S10m [s]
S20m [s]
S30m [s]
S40m [s]
S50m [s]
M±SD
VT
1,93±0,07
3,22±0,10
4,42±0,12
5,61±0,15
6,80±0,19
sign.
sign.
Veränderung Veränderung
VT - NT1
NT1 - NT2
*
**
***
***
-
6,9
6,85
6,8
6,75
Vortest
Nachtest 1
Untersuchungsphase
Nachtest 2
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Ergebnisse
Fazit:
Die Parameter des Starts verändern sich kaum, es existieren leichte
Tendenzen zu einer Verlängerung des Kontaktes am Startblock (eher
ungünstig!). Die Maximal- und Schnellkraft, die im Beschleunigungsabschnitt
von großer Bedeutung sind, erscheinen daher wenig beeinflusst.
Die Sprintzeiten sind massiv verschlechtert! Insbesondere in späteren
Abschnitten verlieren die Athletinnen 0,03-0,04 s auf 10m! Auf einen 100mLauf hochgerechnet, könnten sich Verschlechterungen um 0,3s ergeben. Da
es im Höchstgeschwindigkeitsabschnitt insbesondere auf kurze, reaktive
Bodenkontakte ankommt, scheint die Reaktivkraft massiv beeinflusst zu sein.
Dies korrespondiert mit den Ergebnissen anderer Experimente.
Eine Kompensation der Leistungseinbußen durch den dritten Lauf gelingt
nicht! Die Läuferinnen erreichen nicht mehr ihre Ausgangsleistungen des
Vortests.
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Individuelle Reaktion auf das Dehnen!
7,6
7,4
7,2
t [s]
50m Vortest
7
50m Nachtest 1
50m Nachtest 2
6,8
6,6
6,4
A
B
C
D
E
Athletin
F
G
H
Es zeigen sich
individuelle
Unterschiede in der
Reaktion auf das
Dehnen. Insofern
sollte die Reaktion
auch individuell
überprüft werden,
um Schlüsse für die
Trainings- und
Wettkampfpraxis
daraus zu ziehen!
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Auswirkungen auf die Kraftausdauer?
Definition Kraftausdauer:
„Fähigkeit des neuromuskulären Systems, eine
möglichst hohe Impulssumme (Kraftstoßsumme) in
einer gegebenen Zeit gegen höhere Lasten zu
produzieren“ (Güllich & Schmidtbleicher 1999, 226)
Widerstände von mindestens 30-50% der
Maximalkraft bei einer Dauer von bis zu 2 Minuten
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Auswirkungen auf die Kraftausdauer?
Stichprobe: 22 Oldenburger Sportstudierende
Geamt
(n=22)
Frauen
(n=7)
Männer
(n=15)
Mittelw ert SD
Alter (Jahren)
Min
Max
25,2
3,2
23
34
181,6
6,8
170
195
Masse (kg)
81,5
8,6
67
95
Alter (Jahren)
23,1
1,6
20
25
Körpergröße (cm)
170
6,2
160
180
Masse (kg)
68,7
10,8
58
87
Alter (Jahren)
24,5
2,9
20
34
177,9
8,5
160
195
77,5
10,9
58
95
Körpergröße (cm)
Körpergröße (cm)
Masse (kg)
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Auswirkungen auf die Kraftausdauer?
Bewegungsaufgabe:
24 Wiederholungen innerhalb von 60 Sekunden mit
maximaler Intensität bei 40% von KMAX
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Untersuchungsablauf
•Voruntersuchung
•Versuchstag 1
•Versuchstag 2
•Aufwärmen
•Fünfminütiges
Aufwärmen
•Fünfminütiges
Aufwärmen
•Maximalkrafttest
am BKM
•Vortest
(24 Wiederholungen
an der Beinpresse)
•Vortest
(24 Wiederholungen
an der Beinpresse)
•30minütige Pause
mit Dehnprogramm
•30minütige inaktive
Pause
•bzw.
•30minütige inaktive
Pause
•30minütige Pause
mit Dehnprogramm
•Nachtest
(24 Wiederholungen
an der Beinpresse)
•Nachtest
(24 Wiederholungen
an der Beinpresse)
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Statisches Dehnprogramm
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Modellhafter Kraft-Zeit-Verlauf
Kraft [N]
750
500
250
0
Zeit [s]
0
-250
5
10
15
20
25
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Hypothesen
H1:
H2:
H3:
Zwischen der Maximalkraft- und der Kraftausdauerleistung besteht ein
signifikanter positiver Zusammenhang.
Der Mittelwert der Impulssummen verringert sich bei der Dehngruppe
vom Vortest zum Nachtest signifikant.
Die Differenz zwischen erstem und letztem Impulsmittelwert
vergrößert sich bei der Dehngruppe vom Vortest zum Nachtest
signifikant.
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Zusammenhang KMAX-Impulssumme
(r=0,86)
Im pulssum m e
[Ns]
7000,00
6000,00
5000,00
4000,00
3000,00
2000,00
1000,00
0,00
0
500
1000
1500
2000
2500
KMAX [N]
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Impuls-Mittelwerte
Im puls [Ns]
200,00
Mit Dehnung
190,00
180,00
Vortest
170,00
Nachtest
160,00
IMPMW8
IMPMW7
IMPMW6
IMPMW5
IMPMW4
IMPMW3
IMPMW2
140,00
IMPMW1
150,00
Im puls [Ns]
200,00
190,00
180,00
Vortest
170,00
Nachtest
160,00
IMPMW8
IMPMW7
IMPMW6
IMPMW5
IMPMW4
IMPMW3
IMPMW2
140,00
IMPMW1
150,00
Ohne Dehnung
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Impulssumme
Im pulssum m e
[Ns]
4300,00
4250,00
4200,00
KG
DG
4150,00
4100,00
4050,00
Vortest
Nachtest
Messzeitpunkt
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Fazit
H1: Es besteht eine hoher Zusammenhang zwischen der Maximalkraft
und dem produziertem Impuls
H2: Die Impulssumme wird signifikant durch das Dehnen verringert.
H3: Die Differenz des ersten und achten Impulsmittelwertes verringert
sich nicht signifikant bei der Dehngruppe.
Leistungseinbußen nach statischem Dehnen!
Diskussion
Vermutlich führt das Dehnprogramm zu einer Kompression der
Muskulatur und verschlechtert dadurch die Durchblutung. Die
Laktatelimination ist behindert und es kommt zu verlängerten
Regenerationszeiten, die die Leistungen im Nachtest negativ
beeinflussen.
Verletzungsprophylaxe durch Dehnen?
Ergebnisse von Überblicksartikeln
In Untersuchungen, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, konnte
keinerlei verletzungsprophylaktische Wirkung eines Dehnens (Aufwärmens)
festgestellt werden. Die größte amerikanische Studie mit über 1200 Rekruten der
US-Army kam ebenso zu diesem Ergebnis (Herbert, R.D. und Gabriel, M.: Effects of stretching
before and after exercising on muscle soreness and risk of injury: systematic review. Brit. Med. J., 325, 468-473 (2002).
„Das durchschnittliche Subjekt müsste 23 Jahre Stretching betreiben, um einer
Verletzung vorzubeugen“.
Einschränkend muss man allerdings festhalten, dass häufig nicht zwischen den
Verletzungsarten unterschieden wird. Eine Differenzierung nach Muskel- und
Gelenkverletzungen lässt evtl. doch den Schluss zu, dass nach
Dehnprogrammen Muskelverletzungen etwas seltener auftreten.
Verletzungsprophylaxe durch Dehnen?
Ergebnisse von Überblicksartikeln
Es wäre allerdings evolutionär völlig unsinnig, wenn man sich ohne vorheriges
Dehnen/Aufwärmen häufiger verletzen würde. Da Fluchtreaktionen von Tieren
grundsätzlich sofort eingeleitet werden müssen, würden alle Tiere, die sich dort
verletzen, eine dankbare Beute. Oder haben Sie schon mal eine Katze gesehen,
die ein Stretching-Programm absolviert, bevor Sie vor dem Pittbull flüchtet?
Fazit: Eine Verletzungsprophylaxe lässt sich nicht eindeutig nachweisen! Eine
Differenzierung nach der Verletzungsart muss noch genauer untersucht werden.
Ein allgemeines Aufwärmen kann aber eine erhöhte Leistungsbereitschaft zur
Folge haben. (Die Katze wäre also etwas schneller, wenn Sie sich vor der Fluchtreaktion spezifisch aufgewärmt
hätte...)
Regeneration durch Dehnen?
Ergebnisse
In Untersuchungen, in denen statische Dehnungen vor, während und nach
einem Krafttraining eingesetzt wurden, konnten verlängerte
Regenerationsphasen beobachtet werden. Die Dehnung ist ein intensiver Reiz:
eine statische Dehnung ist mit einer Maximalkontraktion vergleichbar! Dieser
Reiz produziert Ermüdung und damit verlängerte Regenerationszeiten.
(Thienes, G. (2003). Zum Einfluss interserieller Beweglichkeitsübungen auf die Kraftausdauer. Spectrum der
Sportwissenschaft, 15 (1), 71-93. Janssen & Hillebrecht 2010)
Fazit: Eine Regenerationsbeschleunigung durch Dehnübungen findet sich nicht!
Es kann individuell aber eine Art Entspannungseffekt eintreten, der subjektiv
immer wieder beschrieben wird und als angenehm empfunden werden kann.
Beweglichkeit
Empirisch nachgewiesene Effekte eines Dehntrainings
Kurzfristig (Sekunden, Minuten, Stunden)
- Verbesserung der Bewegungsreichweite?
Ja! Etwa gleiche Effekte der Methoden.
- Erhöhung der Leistungsfähigkeit?
Vermutlich nein, sogar Leistungseinbußen beobachtbar nach
statischen Dehnungen.
- Verletzungsprophylaxe?
Vermutlich nein, da Dehnungen intensive Belastungen sind, die
sogar Verletzungen provozieren können.
- Förderung der Regeneration?
Vermutlich nein, da Dehnungen weitere intensive Reizungen
darstellen.
Beweglichkeit
Empirisch nachgewiesene Effekte eines Dehntrainings
Langfristig (Tage, Wochen, Monate)
- Verbesserung der Bewegungsreichweite?
Ja! Etwa gleiche Effekte der Methoden.
- Erhöhung der Leistungsfähigkeit?
Könnte sein, da Dehnung wie ein Krafttraining wirken könnte.
- Verletzungsprophylaxe?
Könnte sein, da Dehnung Kräftigung erreichen könnte und
neuronale Anpassungen hervorrufen kann.
- Förderung der Regeneration?
Vermutlich nein, da Dehnung ein weiterer Reiz für den Muskel
ist, der die Regeneration verzögert. Vielleicht aber über einen
eintretenden Entspannungseffekt oder einen eintretenden
Kräftigungseffekt individuell unterschiedlich.
Ist Dehnen out?
Nein, aber es muss zielgerichtet (kurzfristig, langfristig) eingesetzt
werden und bedarf einer gewissen Methodenvielfalt!
1. Es können sowohl dynamische als auch statische Dehnungen
eingesetzt werden. Sie führen kurz- und langfristig zu den gleichen
Ergebnissen bezüglich der Verbesserung der Bewegungsreichweite!
Dies zeigen mittlerweile eine Fülle von Studien.
2. Dehnungsspannungen werden durch Dehnen nicht dauerhaft
reduziert, so dass die erweiterten Bewegungsamplituden wohl nur auf
neuronaler Ebene erklärbar sind. Vermutlich verändert sich die
Schmerzempfindung.
3. Soll die langfristige Verbesserung der Beweglichkeit im Vordergrund
stehen, ist es sinnvoll, in einer separaten Einheit ohne folgende
intensive Belastungen zu trainieren. Dehntraining ist eine hohe
Belastung für die beteiligte Muskulatur und kann daher sogar
Verletzungen verursachen!
Ist Dehnen out?
4. Ein statisches Dehntraining sollte nicht in der unmittelbaren
Wettkampfvorbereitung eingesetzt werden, da es kurzfristig
negative Auswirkungen auf die Kraft- und
Schnelligkeitsfähigkeiten hat! Das Ziel der kurzfristigen
Steigerung der Leistungsfähigkeit scheint nicht erreicht zu
werden. Wenn überhaupt gedehnt werden soll, sollte man es
dynamisch tun. Aus den Ergebnissen unserer Experimente in
Oldenburg würden wir sogar einen Verzicht auf Dehnübungen
empfehlen.
5. Eine Verletzungsprophylaxe durch Dehntraining im Rahmen des
Aufwärmens ist mittlerweile sehr umstritten (siehe auch 3.)!
6. Da während des Dehnens massive Dehnungsspannungen
entstehen und diese vergleichbar sind mit den Dehnspannungen
bei maximalen Kontraktionen, kann ein Dehntraining
(insbesondere statisches Dehnen!) langfristig theoretisch sogar
einen Kräftigungseffekt verursachen.
7. Eine Förderung der Reneration ist nicht erkennbar, im Gegenteil
kann durch Dehnen sogar die Erholungszeit verlängert werden!
Ist Dehnen out?
Überlegen Sie sich beim Einsatz von Dehnübungen immer,
welche Ziele Sie erreichen wollen!
- Geht es um eine langfristige oder eine kurzfristige
Perspektive?
- Haben Sie es mit Leistungssportlern oder
Freizeitsportlern zu tun?
- Soll die Beweglichkeitsverbesserung und vielleicht auch
Kräftigung eher im Vordergrund oder eher im
Hintergrund ihres Trainings stehen?
Je nach Ausgangssituation sollten Sie die Platzierung und
Dauer von Dehneinheiten und die einzusetzenden
Methoden mit den jeweiligen Belastungsparametern
wählen.
Ist Dehnen out?
Und nun weiterhin viel Spaß beim Dehnen!
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