Emotionsverarbeitung

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Emotionsverarbeitung
Proseminar: Klassische Fälle der
Neuropsychologie
Prof. Dr. Axel Mecklinger
Referent: Andreas Zins
Emotionsverarbeitung
1.
Psychologie der Emotionen
1.1 Was sind Emotionen?
1.2 Motivationale Organisation von
Emotionen
1.3 Emotionale Bahnung
2.
Physiologie und Anatomie
2.1 Tierexperimentelle Untersuchungen
2.2 Untersuchungen am Menschen
1. Psychologie der Emotionen
1.1 Was sind Emotionen?




Emotionen sind Reaktionsmuster, ausgelöst
durch spezifische Personen oder Objekte
Sie werden (von Menschen) als Gefühle erlebt
Sie werden ausgedrückt (durch Gestik, Mimik
Vokalisation etc.)
Sie sind begleitet von Neurovegetativen
Veränderungen, die vom endokrinen System
(v.a. Glukokortikoidsystem und
sympathikoadrenerges System) unterstützt
werden
1.1 Was sind Emotionen?

Sie dienen der Handlungsvorbereitung
durch: - generelle Aktivierung des Organismus
(Mobilisierung von Ressourcen)
-spezifische Erregungsveränderungen
(Vorbereitung auf Angriff, Flucht etc.)
1.1 Was sind Emotionen?
Die James-Lange-Theorie (1884)
Wahrnehmung des Auslösers  Körperliche Reaktion  gefühlte Emotion
„Wir sind traurig, weil wir weinen.“
„Wir fürchten uns, weil wir
wegrennen.“
1.1 Was sind Emotionen?
Die James-Lange-Theorie (1884)
Kritik (Cannon, 1920er):
•Pharmakologisch induzierte viszerale Veränderungen
führen nicht zu Emotionen
•Durchtrennung viszeraler Afferenzen führen nicht
vollständig zum Verlust von Emotionen
•Viszerale Afferenzen sind zu langsam und unsensibel, um
die gesamte Dynamik emotionaler Erfahrungen zu erklären
1.1 Was sind Emotionen?
Emotionsempfinden ist kein Epiphänomen
körperlicher Veränderungen, sondern
diese werden durch das (vom situativen
Kontext abhängige) Verhaltensprogramm
determiniert, welches von der Emotion
voraktiviert wird.
Beispiel: „Furcht“
1.1 Was sind Emotionen?
Beispiel: „Furcht“
Reaktion auf Konfrontation mit
gefürchteten Objekten…
…bei Tierphobikern:
•Anstieg der Herzrate
(Furchttachykardie)
•Erhöhung des Blutdrucks
 Vorbereitung auf
Fluchtreaktion
…bei Blut- und
Injektionsphobikern:
•Senkung der Herzrate
(Bradykardie)
•Blutdruckabfall
 Vorbeugung von
Blutverlust durch Verletzung
1.1 Was sind Emotionen?
Beispiel: „Furcht“
Reaktion auf Konfrontation
mit gefürchteten Objekten…
1.2 Motivationale Organisation von
Emotionen
Das Emotionssystem hat sich aus dem
Motivationssystem entwickelt.

Die motivationalen und emotionalen Systeme
entscheiden über die Bedeutsamkeit der, vom kognitiven
System gelieferten Informationen

Menschen reagieren vor allem dann emotional, wenn
Ereignisse bedeutsam für ihr Überleben sind (z.B:
feindliche Umgebung  Fluchtverhalten oder
angenehme Umgebung  appetitives Verhalten)
1.2 Motivationale Organisation von
Emotionen
Motiviertes Verhalten…

…aktiviert den Organismus (nicht ein eindimensionales,
sondern mehrere differentielle Aktivierungsmuster!)

…ist zielgerichtet (daher Unterteilung in aversives und
appetitives Motivationssystem)
1.2 Motivationale Organisation von
Emotionen
Emotionale Bahnung (Lang 1995)
Bei Aktivierung des aversiven motivationalen Systems
wird defensives Verhalten, bei Aktivierung des
appetitiven motivationalen Systems wird die Bereitschaft
zur Annäherung an angenehme Reize gebahnt.
 Wird das aversive System aktiviert, sollten Schutz- und
Abwehrreflexe verstärkt und appetitive Reflexe gehemmt
werden.
1.2 Motivationale Organisation von
Emotionen
Emotionale Bahnung (Lang 1995)


Empirischer Beleg: Die Schreckreaktion
Welle von Flexorbewegungen, die sich von kranial nach
kaudal ausbreitet
Wird durch ein plötzliches sensorisches Ereignis
ausgelöst, dessen Intensitätsmaximum nach ca. 10 ms
erreicht sein sollte
1.2 Motivationale Organisation von
Emotionen
Emotionale Bahnung (Lang 1995)
Furchtkonditionierungsexperiment von Brown et al. (1951):
Elektroschock (US)
Versuchsratte
Licht-TonVerbundreiz
(NS/CS)
Schreckreiz
(Schreckschusspistole)
AV= durch Zusammenzucken der Ratte verursachte Bewegung des Käfigbodens
1.2 Motivationale Organisation von
Emotionen
Emotionale Bahnung (Lang 1995)
Furchtkonditionierungsexperiment von Brown et al. (1951):

Paarung von Licht-Ton-Reiz (CS) mit Elektroschock (US)

Abfeuern der Pistole bewirkt in Verbindung mit CS eine
stark potenzierte Schreckreaktion bei der Ratte
 Bahnung des Schutzreflexes durch den, vom CS
verursachten, defensiven Emotionszustand der Ratte.
1.2 Motivationale Organisation von
Emotionen
Konditionierungsstudien am Menschen
(Hamm et al. 1993)
1.3 Emotionale Bahnung
Modulation der Schreckreaktion

Beim Menschen lösen bereits Bilder unterschiedlicher
semantischer Kategorien stabile, unterscheidbare
emotionale Reaktionsmuster aus (Lang et al. 1993).

Diese Modulation der Schreckreaktion ist von der
Darbietungsmodalität des Schreckreizes und des
emotionsauslösenden Reizes unabhängig.
1.3 Emotionale Bahnung
Modulation der Schreckreaktion

Das Modell der emotionalen Bahnung impliziert die
Verstärkung der Schreckreaktion bei unangenehmen
und ihre Inhibition bei angenehmen Stimuli.

Je größer der Erregungsgehalt dieser Stimuli, desto
deutlicher ist ihre verstärkende, bzw. inhibitorische
Wirkung auf die Schreckreaktion.
1.3 Emotionale Bahnung
Lidschlagreaktionen
Befund zur affektinduzierten Schreckreaktion
(Hamm et al. 1997):
1.3 Emotionale Bahnung
Und was bedeutet das…?!?
Man weiß: der primäre Reflexweg zwischen akustischem
Schreckreiz und motorischer Reaktion des Organismus
besteht aus nur drei Synapsen.
Die affektinduzierte Schreckreaktion legt nun die
Existenz eines weiteren, modulatorischen Schaltkreises
nahe.
Befunde belegen, dass die Amygdala die zentrale
Regulationseinheit dieses Schaltkreises ist.
1.3 Emotionale Bahnung
Aversives Konditionierungsexperiment (Hamm et al.)
Links: Patienten nach unilateraler Resektion der Amygdala
Rechts: Kontrollgruppe
Zusammenfassung

Emotionen entstehen aus der Wechselwirkung
physiologischer und psychologischer Vorgänge

Sie sind motivational organisiert
(aversiv/appetitiv)

Sie dienen der Bahnung der auf jeweilige
Umwelteinflüsse angemessenen Reaktion
Emotionsverarbeitung
2. Physiologie und Anatomie der Emotionen
2. Physiologie und Anatomie der
Emotionen
Einteilung des Begriffs „Emotion“ in drei
Arten von Prozessen:

Perzeption eines Stimulus

Veränderungen im Körper

Fühlen der Emotion
2.1 Tierexperimentelle
Untersuchungen
„Pseudowut“ (Bard, Cannon 1920er):

Decortizierte Katzen reagieren schon auf sanfte Reize unangebracht
aggressiv

Aber: Kein Auftreten von Pseudowut, bei zusätzlicher Läsion des
lateralen Hypothalamus

Gezielte Läsionen des lateralen Hypothalamus führten zu sanftem
Verhalten, gezielte Läsionen des medialen Hypothalamus zu
erhöhter Reizbarkeit
2.1 Tierexperimentelle
Untersuchungen
„Pseudowut“ (Bard, Cannon 1920er):

Ergebnisse der Stimulationsexperimente von Walter
Hess stimmen mit diesen Befunden überein

Folge: Annahme des Hypothalamus als Organisator und
Integrator emotionaler Antworten
2.1 Tierexperimentelle
Untersuchungen

Klüver-Bucy-Syndrom (Klüver, Bucy 1939):
Bilaterale Läsionen des anterioren Temporallappens
(einschließlich Amygdala) führten bei Rhesusaffen zu
Störungen der emotionalen Bewertung bestimmter Stimuli.
Insbesondere Verlust von Furcht, beispielsweise vor
Schlangen.
2.1 Tierexperimentelle
Untersuchungen

Limbisches System (MacLean 1955):
System, dass überlebensrelevante Ereignisse prozessiert,
indem es zwischen neokortikalen Systemen
(Wahrnehmen, Denken) und Hirnstamm/Hypothalamus
(emotionales Reagieren)
vermittelt.
Limbisches System
2.1 Tierexperimentelle
Untersuchungen
Amygdala:



Empfängt Signale aus allen Sinnesbereichen
Verfügt über reziproke Verbindungen zu vielen
emotional modulierbaren Hirnstrukturen
Verknüpfung von ursprünglich unbedeutenden
Stimuli mit emotionalem Verhalten auf der Basis
von potentiell schädlichen Zusammenhängen
(Angstkonditionierungs-experimente von LeDoux)
2.1 Tierexperimentelle
Untersuchungen
Amygdala:
Mechanismus der
Angstkonditionierung
(LeDoux et al. 1990)
2.1 Tierexperimentelle
Untersuchungen
Orbitofrontaler Kortex:

Läsionen haben ähnliche Folgen wie Schädigung der
Amygdala

Auch hier werden Reizantworten durch emotionale
Bedeutung der Reize moduliert

Bidirektionale Verbindung zur Amygdala. Unterbrechung
bewirkt ähnliche Defizite wie Läsion der Amygdala und
des OK
2.1 Tierexperimentelle
Untersuchungen
Ventrales Striatum:

Erhält Afferenzen aus der Amydala

Wichtig für Prozessierung von Belohnungsreizen

Steuert gemeinsam mit Amygdala und
orbitofrontalem Kortex die erfahrungsbasierte
Belohnungserwartung
2.1 Tierexperimentelle
Untersuchungen
Weitere Trigger-Strukturen:



Kerngebiete in der Nähe der Amygdala (Stria terminalis,
Substantia innominata, Septum pellucidum  innervieren
vermutlich über Acetylcholin)
Locus coeruleus (noradrenerge Innervation)
Raphé-Kerne (serotonerge Innervation)
 Diese Strukturen verändern die Informationsverarbeitung
im Gehirn. Diese Veränderungen sind ebenso wichtig und
spürbar, wie somatische Bestandteile emotionaler
Reaktionen.
2.1 Tierexperimentelle
Untersuchungen
Effektorstrukturen:

Prinzipiell alle Strukturen, die motorischen, endokrinen und
vegetativen Output kontrollieren
Z.B.: motorische Strukturen in den Basalganglien
(somatische Komponenten emotionaler Reizantworten),
Regionen im Hypothalamus (Ausführung emotionaler
Angst- und Aggressionsreaktionen) und das
Periaquaeductale Grau (Auslösung panikartigen
Verhaltens und vegetativer Veränderungen)
2. Physiologie und Anatomie der
Emotionen
2.2 Untersuchungen am Menschen
2.2 Untersuchungen am Menschen
Amygdala:

Erkenntnisse hauptsächlich aus Läsionsstudien und
Arbeiten mit bildgebenden Verfahren

Angstkonditionierungsstudien (Bechara et al 1995)
belegen die Beeinträchtigung beim Erwerb von
Reizantworten auf konditionierte Stimuli
2.2 Untersuchungen am Menschen
Amygdala:
Patientin „SM046“:
 Selektive, beidseitige Schädigung der Amygdala

Defizite beim Erkennen und Bewerten der Intensität von
emotionalen Gesichtsausdrücken

Starke Ausprägung dieser Defizite bei der Emotion „Angst“
2.2 Untersuchungen am Menschen
Amygdala:
Patientin „SM046“:
 Bewertungen des Erregungsgrads von
Gesichtsausdrücken (niedrig/hoch) weichen von der Norm
ab
Aber:

Normale Ergebnisse bei Bewertung der
Gesichtsausdrücke (positiv/negativ)
2.2 Untersuchungen am Menschen
Amygdala:
Studie zum Wiedererkennen emotionaler
Gesichtsausdrücke, durchgeführt an Patienten
mit beidseitiger Läsion der Amygdala (n=9).
Bewertete Emotionen
Helligkeitswert entspricht den
Intensitätsbewertungen.
Gesichtsstimuli
2.2 Untersuchungen am Menschen
Amygdala:
Implizierte Vermutungen:

Die Amygdala spielt eine Rolle beim Erkennen von
Emotionen, die dem Organismus Gefahr signalisieren

Sie spielt eine Rolle beim schellen Triggern von
entsprechenden physiologischen Zuständen
(Verhaltensreaktionen, Bewusstsein der „Bösen“
Bedeutung solcher Reize)
2.2 Untersuchungen am Menschen
Orbitofrontaler Kortex:
Ventromedialer frontaler Kortex ist beteiligt an der
Verknüpfung von Reizen mit emotionaler und sozialer
Bedeutung
 Weniger reizabhängig und weniger spezifisch, als die Rolle
der Amygdala, die vorwiegend auf aversive Reize
spezialisiert ist
 Läsionen beeinträchtigen gefühlsgeleitete Entscheidungen
(Phineas Gage)
 VMF-Kortex spielt eine Rolle bei Erwerb, Repräsentierung
und Wiederabruf von Handlungswertigkeiten und bei
Verknüpfung von Emotion mit dem Denken und
Entscheidungsfindung.

2.2 Untersuchungen am Menschen
Rechte Hemisphäre:



Bei Menschen und Primaten vermutlich vorwiegend an der
Prozessierung von Emotionen beteiligt
Läsionen des rechten Temporal- und Parietallappens
führen zu Störung der emotionalen Erfahrung und der
Fähigkeit, sich Emotionen vorzustellen
Beteiligt am Erkennen von Emotion anhand von
Gesichtsausdrücken und sprachlichem Tonfall
2.2 Untersuchungen am Menschen
Rechte Hemisphäre:
Rechte Hemisphäre-Hypothese VS
Wertigkeits-Hypothese
Alle Arten von Emotionen
werden in der rechten
Hemisphäre prozessiert.
Die Erfahrung von Emotionen ist
scheinbar lateralisiert (negative in
der rechten, positive in der linken
Hemisphäre.
Bsp.: Läsion des rechten
somatosenorischen Kortex führt
zu gestörtem Wiedererkennen
aller Arten von Emotionen
(Adolphs et al. 2000).
Bsp.: Rückzugsverhalten korreliert
mit Aktivität in der rechten,
Annäherungsverhalten mit Aktivität
in der linken Hemisphäre (Davidson
1992).
2.2 Untersuchungen am Menschen
Rechte Hemisphäre:

Wiedererkennen von Emotionen anderer Personen
erfordert möglicherweise deren Simulation durch
Rekonstruktion somatosensorischer Repräsentationen
(„Spiegelneurone“)
Diskussion: „theory of mind“ VS „Simulationstheorie“
2.2 Untersuchungen am Menschen
Weitere beteiligte Strukturen:


Kortikale Strukturen (anteriores Cingulum, mediofrontaler
Kortex, retrospenialer Kortex)
Subkortikale Strukturen (Basalganglien, Kerngebiete in
Mittelhirn und Hirnstamm)
 Die genaue Funktion dieser Strukturen bei der
Emotionsverarbeitung ist noch nicht hinreichend bekannt.
Zusammenfassung




Emotionale relevante Stimuli werden in Arealen der
primären sensorischen- und Assoziationskortizes
wahrgenommen
Triggerstrukturen verknüpfen Perzeption mit Emotion
Effektorstrukturen verursachen emotionale
Veränderungen im Körper
Strukturen, die somatosensorische und viszerale
Information abbilden repräsentieren den momentanen
emotionalen Zustand des Körpers als „Gefühl“.
Recht schönen Dank, für eure
Aufmerksamkeit!!!
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