27 Krisenmanagement – von der Handels

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27 Krisenmanagement – von der Handels- zur Währungsmacht
 Nach de Gaulles Rücktritt veränderte sich die französische Sicht
zum britischen EG-Beitritt. Jetzt sah Frankreich darin ein
Gegengewicht zu der wirtschaftlich starken und politisch immer
selbstbewussteren Bundesrepublik Deutschland.
Die französische Seite rechnete auch damit, dass Großbritannien seinen
Bedarf an Agrarprodukten in Zukunft stärker in Frankreich decken würde und
seine Sonderbeziehungen zum Commonwealth nach und nach aufgeben
würde.
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Die deutsche Politik, voran Kanzler Brandt, unterstützte den britischen Beitritt
in die Gemeinschaft mit Nachdruck. Genau wie Paris auch, erwartete Bonn
von London einen wirtschaftlichen Gewinn und politische Unterstützung, im
deutschen Fall bei der Ostpolitik.
Beide wurden von Großbritannien enttäuscht. Zwar legten die chronischen
Wirtschaftsprobleme Großbritanniens den Beitritt nahe, die britische Distanz
zum europäischen Kontinent und die Sonderbeziehungen zu den Vereinigten
Staaten und zum Commonwealth standen aber einer positiven Rolle in Europa
entgegen.
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
Die EG erreichte 1970 gemäß den Verträgen von Rom eine neue
Phase. Nach der Übergangsperiode begann nun das endgültige
Stadium der EG-Integration.
Zu lösen war die definitive Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik sowie
eine Erweiterung der Budgetkompetenz des Europäischen Parlaments. Für
beide Fälle bekam die EG nun eigene Einnahmen. Zur Agrarfinanzierung
sollten Einfuhrzölle für Agrarprodukte und alle Zolleinkünfte von Industrieimporten dienen. Auch die Gemeinsame Außenhandelspolitik trat nun in ein
entscheidendes Stadium.
Die Zahl der Assoziierungsabkommen nahm zu, die Beitrittsverhandlungen mit
Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Irland begannen.
Im Werner-Plan, nach Pierre Werner, dem Finanzminister von Luxemburg,
entwickelte die EG auch einen ersten Zeitplan für eine Währungsunion. Ein
gemeinsamer Währungsraum sollte die EG vom störenden Einfluss des
schwankenden Dollars lösen und den Binnenhandel erleichtern.
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 Die deutsche Seite bestand auf einem Junktim zwischen
Wirtschafts- und Währungsunion.
Das Problem mit dem Werner-Plan war, dass zwar alle seine Schutzfunktionen nach außen begrüßten, über die EG-interne Funktion aber
Uneinigkeit herrschte. Die Bundesrepublik wollte die wirtschaftlich
schwächeren EG-Partner nicht uneingeschränkt unterstützen, weil deren
Geldpolitik nicht ihren Stabilitätskriterien entsprach.
Die Monetaristen Frankreich und Belgien wollten zuerst eine Währungsunion
und dann eine Harmonisierung der Wirtschaftspolitik. Die Bundesrepublik und
die Niederlande, die „Ökonomisten“, wollten hingegen zuerst Stabilisierungsprogramme und die Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken.
Zwischen der Bundesrepublik und Frankreich bestanden klare Interessenunterschiede.
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Die Bundesrepublik wurde eine wirtschaftliche Großmacht. 1968 war sie zum
größten Kapitalexportland der Welt geworden. In Washington wurde schon
von einer deutsch-amerikanischen wirtschaftspolitischen Doppelhegemonie
gesprochen.
Aus deutscher Sicht bestand vor allem ein Interesse an wirtschaftlicher
Konsolidierung und Geldwertstabilität im eigenen Land. Frankreich war
hingegen wirtschaftlich zurückgefallen und wollte die deutsche Wirtschaftsmacht in der EG in seinem Sinne einbinden.
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 In der Bundesrepublik selbst herrschten Meinungsunterschiede
zwischen den „Regionalisten“ und den liberalen „Wirtschaftsglobalisten“.
Brandt war wie Adenauer eher regionalistisch eingestellt, sein Wirtschaftsminister, Karl Schiller, wie damals Ludwig Erhard auch, eher globalistisch.
Schillers Kurs war auch der der Deutschen Bundesbank.
Zwar kam der Werner-Plan sowieso nicht zum Zuge, aber die Debatte um ihn
verdeutlicht die Diskrepanz zwischen politischen und wirtschaftlichen Zielsetzungen. Noch kam die EG im Währungsbereich nicht voran.
Der Beitritt der neuen Mitglieder zur EG (9) erfolgte hingegen im Januar 1972.
Norwegen blieb auf eigenen Wunsch nach einer negativen Volksabstimmung
draußen.
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 1971 war das Jahr der Weltgeldkrise, die auch auf die EG
einwirkte. Der Dollar war Anfang der siebziger Jahre immer mehr
unter Druck geraten und die DM zum Spekulationsobjekt
geworden.
Die USA selbst hatten die Rolle des Dollar im Interesse ihrer eigenen
Fiskalpolitik missbraucht. 1970 hatten die USA ein Defizit von 10,7 Mrd. Dollar
gegenüber ausländischen Zentralbanken zu verzeichnen. Der Dollar galt als
überbewertet, und es begannen massive Kapitalbewegungen. Die alte Bindung
zwischen Dollar und Gold war für die USA nicht mehr haltbar.
Präsident Nixon hob daher im August 1971 die Goldkonvertibilität des Dollars
auf. Zudem verhängte er eine zehnprozentige Zusatzsteuer auf bestimmte
Importgüter. Die neue amerikanische Wirtschaftspolitik gab den Partnerstaaten
die Hauptschuld an den wirtschaftlichen Problemen der USA.
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 Die USA zielten besonders auf die Bundesrepublik. Im deutschamerikanischen Verhältnis waren Sicherheitspolitik und Währungspolitik eng verknüpft.
Konkret sah die amerikanische Seite in deutschen wirtschaftspolitischen
Zugeständnissen eine Lastenteilung. Über die Unterhaltskosten der amerikanischen Truppen in Deutschland hinaus wollten die USA, dass die Bundesrepublik währungspolitisch in ihrem Sinne verfuhr.
Aus deutscher und europäischer Sicht hatte sich jedoch der Eindruck verfestigt,
dass die Amerikaner die Europäer zur Finanzierung des Vietnam-Krieges
indirekt zur Kasse bitten wollten. Die USA wollten den Dollar möglichst nicht
abwerten, weil das ihre Weltpolitik verteuert und z. B. auch den Aufkauf
europäischer Firmen durch amerikanische Konzerne erschwert hätte.
Vor dem Hintergrund dieser Debatte schrieb der Franzose Jean-Jacques
Servan-Schreiber sein damals aufsehenerregendes Buch über die „Amerikanische Herausforderung“.
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 Das Weltwährungssystem stand zur Reform an, weil es die USA
allein nicht mehr garantieren konnten.
Zu einer kooperativ ausgehandelten Lösung waren die USA noch nicht bereit,
sie konnten nur das alte System durch die Aufhebung der Gold-Konvertibilität
sterben lassen. In dieser Krise waren die wirtschaftlichen und monetären
Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und Deutschland evident.
Die Bundesrepublik wollte im Gegensatz zu Frankreich einen Ausgleich mit den
USA finden. Die Bundesrepublik hatte also jetzt nach allen Richtungen harte
Verhandlungen zu führen.
Im Dezember 1971 gab Präsident Nixon nach und wertete den Dollar um 10
bis 12 Prozent ab. Die Deutsche Mark gewann dadurch um 13,5 Prozent an
Wert, der Französische Franc und das Britische Pfund um 8,6 Prozent. Das
sogenannte Smithsonian-Abkommen war allerdings nur eine kurzfristig
wirksame Lösung.
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 Nach der Demonetisierung des Goldes gab es jetzt einen Dollarstandard im Weltwährungssystem.
Auf deutscher Seite wurde dieses Abkommen im wesentlichen begrüßt. Die
Rolle der D-Mark im EG-Raum gewann immer mehr an Bedeutung.
Das Modell der „Währungsschlange“ sah Kursschwankungen zwischen den
EG-Währungen von 2,25 Prozent vor. Die „Schlange im Tunnel“, der Tunnel
wurde durch die Drittwährungen gebildet, war die Grundlage für ein späteres
gemeinsames Währungssystem in Europa.
Praktisch war das Schlangenmodell recht problematisch, weil es sich als stark
anfällig erwies. Ohne harmonisierte Wirtschafts- und Finanzpolitik der
Mitgliedsstaaten waren die Zentralbanken immer wieder gezwungen,
schwächere EG-Währungen in großen Mengen anzukaufen. Im Grunde waren
das kurzfristige Kreditvereinbarungen.
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 Im Frühjahr 1973 zerfiel das alte Bretton-Woods-Währungssystem. Ein gewaltiger Dollarzustrom in die Bundesrepublik
schwemmte das System der festen Wechselkurse weg.
Die Bundesbank musste am 1. März 1973 allein fast 2,7 Mrd. Dollar, das
waren damals fast 8 Mrd. Mark, aufkaufen. Es kam daraufhin zum
sogenannten allgemeinen Floaten. Die Bundesbank erhielt durch den Übergang zu freien Wechselkursen ein neues Maß an monetärer Selbstbestimmung.
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Jetzt konnte sie eine eigene Geldmengenpolitik betreiben. Nun waren nach
streng ökonomischen Kriterien die Binnenwirtschaften und deren Stabilität
Grundvoraussetzung für stabile außenwirtschaftliche Beziehungen. Unter
freien Wechselkursen spiegelten die nationalen Währungen das internationale Ansehen einer Wirtschaft wider.
In der Praxis waren diese Lehrbuchweisheiten jedoch nicht all zu viel wert.
Die Wechselkursschwankungen waren bald unberechenbar und sehr viel
größer als erwartet. Die D-Mark wurde stark aufgewertet, und der Dollar
schwankte erheblich im Wert. Das neue flexible System heizte nämlich die
Währungsspekulation an.
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 Die Europäer bewegten sich auf Grund dieser Situation langsam
aber sicher auf ein regionales System zu.
Helmut Schmidt, der Willy Brandt 1974 nachfolgte, stellte die Wirtschaftsprobleme jetzt in den Vordergrund der deutschen Außenpolitik. Das deutsche
Exportgeschäft blühte, die Arbeitslosigkeit und die Inflation zählten zu den
niedrigsten im OECD-Bereich.
Auch den ersten Ölpreisschock von 1973/74 hatte die deutsche Wirtschaft gut
überstanden. Helmut Schmidt wollte ein guter Europäer sein, dazu gehörte
nach seinem Verständnis aber auch, dass er die lockere Budget- und
Ausgabenpolitik der meisten EG-Staaten geißelte.
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 Nach der Ölkrise war die Liquidität durch die vagabundierenden
Petro-Dollars rapide gewachsen.
Die massiven Kapitalbewegungen entzogen sich weitgehend der Steuerung
durch nationale Zentralbanken und internationale Währungsorganisationen.
Diese Instabilitäten brachten die Bundesrepublik und Frankreich dazu, die
Währungskoordination der Gemeinschaft zu verbessern.
Die persönlich guten Beziehungen zwischen Helmut Schmidt und dem
französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing waren der Schaffung eines
Europäischen Währungssystems (EWS) im Sommer 1978 förderlich.
Die Währungsschlange war praktisch in eine D-Mark-Zone geschrumpft.
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
Anfangs ohne britische Beteiligung wurde eine Europäische
Währungseinheit (European Currency Unit, ECU) geschaffen,
die als Bezugsgröße für die Leitkurse diente. Sie war ein
Währungskorb, an dem alle Währungen je nach ihrem Gewicht
beteiligt waren.
Das EWS war in der Praxis eher ein System fester Wechselkurse als eine
Währungsunion. Der ECU selbst war kein Zahlungsmittel und sollte allenfalls
langfristig zu einer Gemeinschaftswährung werden. Änderungen der Leitkurse
machten die Zustimmung aller Beteiligten erforderlich.
Die zentralen Merkmale des EWS waren Regelungsmechanismen, um die
Kursschwankungen zwischen den EG-Währungen zu begrenzen. Ferner
bildete der ECU eine Verrechnungseinheit für Interventionsmaßnahmen in den
Währungsmärkten und für Kredithilfen bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten.
Aus deutscher Sicht verteilte das EWS die Währungsrisiken von der D-Mark
auf das gesamte System. Das EWS hatte also einen transnationalen
europäischen Akzent.
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 Das EWS richtete sich nicht dezidiert absichtlich gegen die USA,
schuf aber praktisch doch einen Euro-Block, der die Reservewährung DM gegen die destabilisierenden Wirkungen des Dollars
stärkte.
Der Dollar wurde dadurch noch mehr geschwächt. Er verfiel in der Endphase
der Regierung Carter immer mehr. Europäer und Japaner mutmaßten, dass
dies von den USA hingenommen würde, um die Exportkraft zu stärken.
In der Außenwirkung war das EWS unbestreitbar ein symbolischer und
praktischer Schritt zu einem selbstbewussteren Europa.
Von außen wurde das EWS vielfach als ein deutscher Währungsblock
angesehen. Andere Zentralbanken seien nur noch Satelliten der Deutschen
Bundesbank. Aus deutscher Sicht hatte die Stabilitätszone Vorrang.
Für die Bundesrepublik war nämlich das EWS nicht nur ein Vorteil, weil die
verstärkte Rolle der DM als Reservewährung die interne Geldpolitik
erschwerte.
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 Die politisch-psychologische Seite dieses EWS als DM-Zone hieß,
dass die Bundesrepublik besonders in Frankreich verdächtigt
wurde, monetäre Stärke in politische Einflussnahme umzusetzen.
Schmidt reagierte auf solche Vorwürfe gegen das Modell Deutschland äußerst
empfindlich und strich heraus, dass die Bundesrepublik vielmehr eine positive
Stabilitätsleistung für Europa erbringen würde. Solange Schmidt und Giscard
d'Estaing das EWS politisch absicherten, hielt es in Europa.
Für die Bundesrepublik tauchte aber das alte Problem wieder auf, dass eine
Euro-Lösung die Spannungen mit den USA intensivierte. Mit Carter verstand
sich Schmidt sowieso nicht. Bonn setzte jetzt mehr auf Europa und weniger auf
die USA, die Ende der siebziger Jahre in eine neue unübersehbare
Schwächephase geraten waren.
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Der zweite Ölpreisschock von 1979/80 traf die USA besonders hart. Die
sowjetische Invasion in Afghanistan, der Sturz des Schahs im Iran und das
Teheraner Geiseldrama unterminierten das politische Vertrauen in die USA.
Für die Bundesrepublik sollte daraus in den achtziger Jahren wieder eine
Zerreißprobe werden, weil die unentrinnbare Sicherheitsabhängigkeit Deutschlands der amerikanischen Seite nach wie vor einen starken Hebel in die Hand
gab.
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