Methoden der Chemie III WS 2010/11

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Methoden der Chemie III – Teil 1
Modul M.Che.1101 WS 2010/11 – 9
Moderne Methoden der Anorganischen Chemie
Mi 10:15-12:00, Hörsaal II
George Sheldrick
[email protected]
Verlauf einer Röntgenstrukturbestimmung
1. Kristalle züchten
2. Röntgendaten sammeln (Reflexpositionen und –intensitäten)
3. Reflexindices h, k und ℓ zuordnen und Elementarzelle bestimmen
4. Raumgruppe bestimmen
5. Phasen der Reflexe mit direkten bzw. Pattersonmethoden finden
6. Elektronendichte berechnen und Atome zuordnen
7. Struktur vervollständigen und verfeinern
8. Bindungslängen und -winkel berechnen und Strukturbilder erstellen
9. Struktur verifizieren (CHECKCIF) und deponieren
10. Paper schreiben
Das Ergebnis der Röntgenstrukturbestimmung
Die großen Vorteile der Röntgenstrukturanalyse im Vergleich mit
spektroskopischen Methoden sind, dass sie sehr objektiv ist und fast
beliebig komplizierte und völlig unerwartete Strukturen bestimmen kann.
Z.B.:
NSOC(CH3)3 + LiF
NSF + LiOC(CH3)3 in Pentan
{Li8[(CH3)3COS(F)N]4F2} {Li4[OC(CH3)3]5}2·4C5H12
In einem solchen Fall ist aber chemische Fantasie erforderlich. Das
Experiment bestimmt die Elektronendichte und diese ist bekanntlich
immer blau! Trotzdem ist das Ergebnis am Ende fast immer eindeutig.
Viele Strukturen sind unproblematisch, einige (ca. 10%) brauchen aber
sehr viel Geduld und Erfahrung.
Falsche Raumgruppen
Mindestens 1% der Strukturen in den Kristallstrukturdatenbanken sind
offenbar in einer falschen Raumgruppe veröffentlicht; häufig werden
Symmetrieelemente, vor allem Inversionszentren, übersehen.
Wenn ein Inversionszentrum übersehen wird, ist die Verfeinerung
mathematisch instabil. Bindungslängen bzw. Auslenkungsparameter,
die durch das Inversionszentrum äquivalent wären, fliegen
auseinander. Die Struktur ist wertlos.
Wenn andere Symmetrieelemente fehlen, werden (z.B.) zweimal so viel
Parameter verfeinert, aber gegen die doppelte Anzahl an Daten. Die
Struktur ist nicht grundsätzlich falsch, aber eine Verfeinerung in der
richtigen Raumgruppe gegen symmetriegemittelte Daten wäre
genauer.
Andere mögliche Probleme
1. Die Genauigkeit ist relativ bescheiden. Die Standardabweichung (esd)
einer Bindungslänge liegt im Bereich 0.02 – 0.001 Å (1.0 – 0.05%). Unter
günstigen Umständen kann z.B. die Rotationsspektroskopie Abstände
um zwei Zehnerpotenzen präziser bestimmen.
2. Die Struktur ist über Millionen von Elementarzellen und eine längere
Zeit (die Dauer der Messung) gemittelt; dynamische Vorgänge lassen
sich mit Röntgenbeugung nicht beobachten, können aber trotzdem ihre
Spuren hinterlassen.
3. Wenn die Inhalte der Zellen nicht identisch, aber die Abweichungen
statistischer Natur sind, werden Teile der Struktur als ungeordnet
betrachtet.
4. Der Kristall könnte kein Einkristall, sondern verzwillingt sein.
Die Schweratommethode
Die Lagen einer kleinen Anzahl von Schweratomen in der Zelle lassen
sich durch Interpretation der Pattersonfunktion bestimmen. Damit kann
man den berechneten Strukturfaktor als komplexe Zahl Fc oder Betrag
Fc und Phase c berechnen. Eine Differenz-Fouriersynthese mit
Koeffizienten |Fo–Fc| und Phasen c ergibt dann weitere Atome als Peaks
in der Differenzelektronendichtekarte; die Annäherung  = c wird
immer besser, je vollständiger die Struktur ist. Iterativ lässt sich auf
diese Weise die ganze Struktur bestimmen.
Obwohl es nicht mehr üblich ist, Schweratomderivate wie z.B.
Bromobenzoate herzustellen, um Kleinmolekülstrukturen zu lösen (die
direkten Methoden sind so effektiv), spielen sie eine wichtige Rolle in der
Proteinkristallographie.
Die Pattersonfunktion
F2
FT
FT
Patterson
Die Pattersonfunktion ist eine Fouriertransformation der gemessenen
F2-Werte, ohne Phasen. Die Dimensionen der Elementarzelle und der
Gittertyp der Patterson sind identisch mit denen der Kristallstruktur. Die
Patterson ist ein Vektordiagramm: Jeder Atom-Atom-Vektor in der
Struktur entspricht einem Peak in der Patterson. Die Peakhöhe ist
proportional zum Produkt der Ordnungszahlen der beiden Atome und
der Anzahl m gleicher Vektoren.
H  m Zi Zj
Üblicherweise wird der Ursprungspeak (Höhe  Zi2) auf 999 skaliert, d.h.
für die restlichen Peaks gilt:
H = 999 m Zi Zj /  Zi2
Die Summation erfolgt über alle Atome in der Elementarzelle.
Ein Schweratom in P1
Für jedes Atom auf x, y, z gibt es ein symmetrieäquivalentes Atom auf
–x, –y, –z und somit einen Pattersonpeak 2x, 2y, 2z.
Bei der Verbindung C32H24AuF5P2 gibt es zwei Moleküle in der Zelle. Die
zwei Goldatome sind durch das Inversionszentrum miteinander
verwandt. Abgesehen vom Ursprungspeak (999) gibt es einen Peak mit
der Höhe 374 und X = 0.318, Y = 0.471, Z = 0.532, der viel höher ist als
alle anderen (145). Die Peakhöhe ist in guter Übereinstimmung mit dem
berechneten Wert von 377 für einen Au—Au Vektor.
Um x aus 2x zu berechnen, wäre es zu einfach, nur durch zwei zu teilen!
Wir müssen berücksichtigen, dass es zwangsläufig auch einen Peak bei
X = 2x+1 usw. gibt, d.h. in der nächsten Elementarzelle der Patterson.
Wir bekommen dann für die Koordinaten des Goldatoms:
x = 0.318/2 oder 1.318/2 = 0.159 oder 0.659
y = 0.471/2 oder 1.471/2 = 0.236 oder 0.736
z = 0.532/2 oder 1.532/2 = 0.266 oder 0.766
Diese acht äquivalenten Lösungen entsprechen den acht möglichen
Lagen des Inversionszentrums in der Raumgruppe P1.
Zwei unabhängige Schweratome in P1
Die Verbindung [C24H20S4Ag]+ [AsF6]– kristallisiert in P1 mit einem
Zellvolumen von 1407 Å3. Zwei Formeleinheiten pro Zelle (72 Atome)
entsprechen 19.5 Å3 pro Atom. Eine Differenztabelle hilft:
x1
–x1
x2
–x2
x1
–x1
x2
–x2
0
2x1
x1–x2
x1+x2
–2x1
0
–x1–x2
x2–x1
x2–x1
x1+x2
0
2x2
–x1–x2
x1–x2
–2x2
0
(x1+x2) und (x2–x1) haben m = 2, die Null-Vektoren (0) haben m = 4;
Mit Z(Ag) = 47, Z(As) = 33,  Z2 = 11384 und H = 999 m Zi Zj /  Z2 kann
man folgende Peakhöhen vorhersagen:
Ag—As m = 2 Höhe = 272;
Ag—Ag m = 1 Höhe = 194;
As—As m = 1 Höhe = 96.
Interpretation der Patterson
Nr.
X
Y
1
2
3
4
··
··
14
0
0.765
0.392
0.159
··
··
0.364
0
0.187
0.099
0.285
··
··
0.077
Z
0
0.974
0.325
0.298
··
··
0.639
Höhe
Erklärung
999
310
301
250
··
··
102
Ursprung
x(Ag)+x(As)
x(Ag)–x(As)
2x(Ag)
··
··
2x(As)
Eine konsistente Lösung lautet:
Ag:
As:
x = 0.080, y = 0.143, z = 0.149
x = 0.682, y = 0.039, z = 0.820
Für das erste Atom (Ag) gibt es 8 äquivalente Lösungen, man kann
einfach 2x durch zwei dividieren. Das zweite Atom (As) muss aber mit
dem Ag konsistent sein, am besten subtrahiert man x(Ag) vom Peak 2
und kontrolliert, ob alle Peaks dann erklärt werden können.
Zwei unabhängige Schweratome in P21
x1 y1 z 1
x1 y1 z 1
–x1+x2 –y1+y2 –z1+z2 –2x1 ½ –2z1
0
x1–x2 y1–y2 z1–z2
x2 y2 z 2
–x1 ½+y1 –z1
–x1 ½+y1 –z1
x2 y2 z 2
2x1 ½ 2z1
0
2x2 ½ 2z2
–x1–x2 ½–y1+y2 –z1–z2
–x1–x2 ½+y1–y2 –z1–z2
x1+x2 ½–y1+y2 z1+z2
–x2 ½+y2 –z2 x1+x2 ½+y1–y2 z1+z2
–x2 ½+y2 –z2
0
–2x2 ½ –2z2
x1–x2 –y1+y2 z1–z2
–x1+x2 y1–y2 –z1+z2
In der Tabelle steht immer +½ statt –½, weil sie äquivalent sind.
Die Pattersonpeaks können wie folgt zusammengefasst werden:
0
0
0
±{ 2x1 ½ 2z1 }
±{ 2x2 ½ 2z2 }
±{ x1–x2 y1–y2 z1–z2 }
±{ x1–x2 –y1+y2 z1–z2 }
±{ x1+x2 ½+y1–y2 z1+z2 }
±{ x1+x2 ½–y1+y2 z1+z2 }
m=4
Ursprung
m=1
m=1
Harker-Schnitt bei y = ½
m=1
m=1
m=1
m=1
Kreuzvektoren
0
Die Symmetrie der Pattersonfunktion
Da es für jeden Vektor i  j auch einen Vektor j  i gibt, besitzt die
Patterson immer ein Inversionszentrum.
Im allgemeinen wird die Symmetrie der Patterson durch die Symmetrie
des Beugungsbildes (das auch ein Inversionszentrum besitzt) bestimmt.
Gleitspiegelebenen der Raumgruppe werden, wie im reziproken Raum,
zu normalen Spiegelebenen, Schraubenachsen werden Drehachsen
ohne Translation. Mit anderen Worten, die Patterson besitzt die gleiche
Symmetrie wie die Lauegruppe.
Harker-Schnitte
Die Symmetrie der Raumgruppe führt zu einer Häufung der
Pattersonmaxima in bestimmten Ebenen (oder Linien). Z.B.
P21: Atome auf x y z; –x ½+y –z. Eigenvektoren bei 2x ½ 2z,
Harkerebene bei Y = ½.
P2: Atome auf x y z;
Harkerebene bei Y = 0.
–x y –z.
Pm: Atome auf x y z; x –y
Harkerlinie bei X = 0, Z = 0.
z.
Eigenvektoren bei
Eigenvektoren bei
2x
0
2z,
0
2y
0,
P2 und Pm hätten identische systematische Auslöschungen, ließen
sich aber mit Hilfe der Harker-Schnitte voneinander unterscheiden.
Die 21-Achse in P21 verursacht eine Harkerebene bei Y = ½; die
systematischen Auslöschungen k = 2n+1 wären aber eine sicherere
Methode, diese Raumgruppe zu erkennen.
Ein Schweratom in P21
Eine Organoselenverbindung mit einem unabhängigen Selenatom
(zwei in der Zelle) in P21 ergab den folgenden Y = ½ Harker-Schnitt.
Die Peaks bei ±(2x ½ 2z) = ±(0.36 0.50 0.36) ergeben ein Se-Atom auf
0.18 0 0.18 und sein Symmetrieäquivalent auf –0.18 0.50 –0.18.
In diesem Fall reicht aber ein
Schweratom nicht, um die
restlichen Atome zu finden;
eine Differenzsynthese
wäre ein Doppelbild, weil
die Se-Anordnung noch
zentrosymmetrisch ist!
Probleme bei der Schweratommethode
Häufig reicht ein Schweratom, um mit Hilfe einer Fouriersynthese mit
Amplituden |Fo–Fc| und Phasen c die restlichen Atome (iterativ) zu
finden. Ausnahmen sind nicht-zentrosymmetrische Raumgruppen, wenn
die Schweratome eine zentrosymmetrische Anordnung haben; dann
sind alle c-Werte 0º oder 180º und die daraus berechnete
Elektronendichte behält ein Inversionszentrum, d.h. stellt ein Doppelbild
dar.
Ein anderes Problem – auch bei der Strukturlösung mittels direkter
Methoden – ist die Zuordnung der Atome, weil die Elektronendichte
immer blau ist. Die Dichte ist zwar proportional zur Ordnungszahl, aber
isoelektronische Spezies sind besonders schwer zu unterscheiden.
Übungsfragen
1. Ein Atom auf x, y, z in der Raumgruppe P21/c erzeugt drei
Symmetrieäquivalente: –x, ½+y, ½–z; –x, –y, –z; x, ½–y, ½+z.
Berechnen Sie mit Hilfe einer 4x4 Differenz-Tabelle die Koordinaten
der Patterson-Maxima, die von einem Atom verursacht werden.
2. Fassen Sie diese Vektoren in einer Tabelle mit den Spalten X, Y, Z
und m zusammen. Symmetrieäquivalente Vektoren sollen wie in der
unteren Tabelle mit Klammern und ‘’ gekennzeichnet werden.
3. Für eine organische Goldverbindung in P21/c wurden folgende
starke Patterson-Peaks gefunden. Wo liegt das Goldatom (es gibt
mehrere gleich gute richtige Lösungen)?
X
0.00
± { 0.16
± { 0.00
± { 0.16
Y
0.00
0.50
0.04
±0.46
Z
0.00
0.14 }
0.50 }
0.64 }
Höhe
1.0
0.4
0.4
0.2
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