Material zur 10. Vorlesung vom 26.6.2007

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Zivilgesellschaft und politische
Kultur
PD Dr. Silvia von Steinsdorff
Vorlesung:
Demokratien, Autokratien,
Grauzonenregime. Die politischen
Systeme in Ost- und Südosteuropa
26. Juni 2007
Zusammenfassung
Parteien(systeme) (1)
•
Kritik in Westeuropa: Zuviel Bedeutung der Parteien als Gefährdung für
die Demokratie (Stichworte: Parteienstaat, Kartellisierung)
• Kritik in Osteuropa: Zuwenig Bedeutung der Parteien als Gefährdung
für die Demokratie (Stichworte: Pseudo-Parteien, Personalisierung)
• Parteien und Wahlen
- relativ geringe Proportionalität
- starke Fragmentierung/effektive Parteienzahl
- teilweise extreme Volatilität
• Parteien in den Parlamenten
- starker „Fraktionstourismus“
- zerfallende Regierungskoalitionen, Minderheitenregierungen etc.
- ineffiziente Arbeit der Parteien/Fraktionen in den Parlamenten
 allenfalls langsame Stabilisierungstendenzen, nach wie vor
widersprüchliche Entwicklungen, demokratische Konsolidierung der
Parteiensysteme mit wenigen Ausnahmen nicht abgeschlossen
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Zusammenfassung
Parteien(systeme) (2)
Gründe für die Defizite
• Sozio-kulturelle Erklärungsansätze
Cleavage-Theorie, Interessenstruktur
• Institutionelle Begründungen
fluide Rahmenbedingungen; Informalität
• Akteurs- und wählerzentrierte Erklärungen:
unklare Programmatik der Parteien; keine
Programmparteien
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Gliederung
1.
1.1
1.2
1.3
Zivilgesellschaft
Definition und Abgrenzung der Begriffe
Funktionen und Typen der Zivilgesellschaft
Sozialkapital – ein geeigneter Gradmesser der
Zivilgesellschaft?
2.
2.1
2.2
2.3
Politische Kultur
Paternalismus und autoritäres Erbe
Hang zur Informalität
Institutionenvertrauen / Demokratiezufriedenheit
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Zivilgesellschaft
• Ebene der „Verhaltenskonsolidierung“
(nach W. Merkel)
 Akteure
 Bevölkerung
• Oft schwer zu trennen
 Konzept der Zivilgesellschaft
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Definition und Abgrenzung der
Begriffe (1)
Zivilgesellschaft:
• Alle Formen der gesellschaftlichen
Selbstorganisation, die STAATSFERN
geschehen (= nur Handeln)
• inhaltliche Ausrichtung am Gemeinwohl
• gewaltfrei, im Idealfall den Prinzipien der
demokratischen Gesellschaftsordnung
folgend (inklusiv, binnendemokratisch,
transparent…)
 Mezo-Ebene
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Definition und Abgrenzung der
Begriffe (2)
Politische Kultur:
Summe der Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen der
Bevölkerung im Bezug auf das politische Gemeinwesen
(= Fühlen, Denken und Handeln)
 Mikro-Ebene
• Politische Kultur bestimmt mit über die Art und Weise, wie die
Zivilgesellschaft funktioniert
• Wandel von politischer Kultur dauert länger als der Wandel der
politischen/ökonomischen/sozialen Institutionen
• Jede Gesellschaft hat eine politische Kultur (patrimoniale,
partizipatorische, autoritäre, demokratische…)
 Frage der Ausrichtung entscheidend
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Funktionen und Typen der Zivilgesellschaft
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Analytische Grundprobleme
• Wie bestimmt man den Typus der
Zivilgesellschaft?
• Wie kann man „Art und Ausmaß“ der
Zivilgesellschaft messen?
„Versuch, den Pudding an die Wand
zu nageln“
Sozialkapital als Antwort
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Sozialkapital – ein geeigneter Gradmesser der
Zivilgesellschaft?
Robert Putnam 1993: “Making democracy work”
• “Sozialkapital” als Erklärung der unterschiedlichen
Effizienz politischer Institutionen
(Regionalverwaltungen) in Nord- und Süditalien
• Bestandteile von Sozialkapital:
- Ausmaß von Vertrauen in die Mitbürger
- Akzeptanz von Normen (Verhaltenserwartungen)
- Grad der sozialen Vernetzung
• Messinstrumente:
- Zeitungslektüre (Abonnements von
Regionalzeitungen)
- Vereinsmitgliedschaften
- Wahlverhalten (Beteiligung bei Referenden)
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ABER…
• Auswahl geeigneter Messinstrumente von Land zu
Land sehr verschieden  Problem der
Vergleichbarkeit
• In Transformationsgesellschaften muss Sozialkapital
NICHT immer demokratieförderlich sein
 „dark sides of civil society“
Einerseits: Systemwandel von innen funktioniert
umso besser, je stärker die „strategische“
Zivilgesellschaft ist (Extremfall: Guerilla-Taktik)
Andererseits: Nach dem Systemwandel muss sich
die Zivilgesellschaft wandeln (von „strategisch“ zu
„reflexiv“)
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Vereinsmitgliedschaften in MOE (2002)
Estland
Litauen
Polen
Vereine (%)
33,5
18,6
25,0
Ehrenamt (%)
18,0
15,8
13,9
Ungarn
Tschechien
Slowakei
30,8
60,2
65,0
15,4
33,2
51,4
Kroatien
Russland
Belarus
43,1
31,5
45,8
23,6
7,8
18,8
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Beispiele (1)
• Russland:
„Gesellschaft als staatliche
Veranstaltung“  Versuch,
Zivilgesellschaft von oben zu schaffen
und zu lenken
 Wie strategisch muss die
Zivilgesellschaft agieren (Bürgerforum,
Gesellschaftskammer…)?
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Beispiele (2)
• Tschechien:
Glorifizierung der Zivilgesellschaft als
Gegenkonzept zu den politischen
Institutionen (Vaclav Havel)
 Übergang von der konstruktiven zur
reflexiven Zivilgesellschaft kann nicht
gelingen
 Gefahr für die demokratische
Konsolidierung?
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Beispiele (3)
• Serbien:
extrem leicht zu mobilisierende Gesellschaft
 hohes Maß an Sozialkapital
Positiv: Absetzung des Regimes
Milosevič 2000
Negativ: Militarisierung der Gesellschaft im
Vorfeld des Bürgerkrieges
(Fussball-Fanklubs  paramilitärische Gruppen)
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Politische Kultur
• Individuelle Ebene: nicht (nur) Handlungen 
Problem der Messung
• Umfragen- und Meinungsforschung
 methodische Schwierigkeiten in MOE
- wenig strukturelle Vorkenntnisse über die
Gesellschaften
- starker Wandel  wenig Aussagekraft
- Begrifflichkeiten unklar (z.B. „Demokratie“)
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Paternalismus und autoritäres Erbe
• „Staatspaternalismus“ als Grundprinzip des
Realsozialismus
 Versorgungsstaat, wenig
Eigeninitative, egalitäre Wertordnung
• Hang zu autoritären Führungsstrukturen
 Dominanz der Exekutive
 Autorität von Polizei, Militär etc.
• „Die da oben – wir da unten“
 Gegensatz Staat/Partei und
Gesellschaft
 politische Ohnmachtsgefühle
 Doppeldenken (offiziell/privat)
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Informalität (1)
• Problematische Definition
Formell = alle geschriebenen UND
ungeschriebenen Regeln, Verhaltensmuster,
feststehenden „Übungen“ (z.B. im Parlament)
Informell = Verhaltensweisen, die formelle
Regeln bewusst oder unbewust „umgehen“
Informalität ist zur Organisation sozialer
Strukturen NOTWENDIG
Entscheidende Frage: Unterfüttern oder
untergraben der formellen Strukturen?
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Informalität (2)
• Grundsätzlich: Wenn informelle Strukturen zu
Funktionsäquivalenten formeller Institutionen werden,
beginnt das Untergraben
 Klientelismus/Patronage
 Korruption
• In MOE:
- Unsicherheit formeller Strukturen leistet der
informellen Organisation Vorschub (gilt in allen
Transformationsgesellschaften)
- historische Tradition (Doppeldenken, „blat‘)
- zentrale Frage: Vertrauen in formelle Institutionen
(input- und output-Legitimation!)
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Institutionenvertrauen
• Grundsätzlich relativ niedrige Werte (im
Vergleich zu Westeuropa)
• Regierungsinstitutionen (President,
Regierung) vergleichsweise hoch
• Parlament genauso niedrig wie in
Westeuropa
• Stellung der Medien und der Justiz von
Land zu Land sehr unterschiedlich
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Demokratiezufriedenheit
• Problem der Fragestellung!
• Im Vergleich zu Westeuropa erscheint
Autokratie in einigen Ländern als deutlich
populärere Alternative
• Demokratiezufriedenheit generell nimmt leicht
zu
• ABER: größere Skepsis gegenüber den
Funktionsträgern (fehlende
Professionalisierung, Korruption etc.) 
Übertragung auf die Institutionen‘!
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Fazit (1)
• Konzept der Zivilgesellschaft in MOE
überstrapaziert?
• Auch Westeuropa sehr unterschiedliche
Formen von Zivilgesellschaft
 pluralistische Demokratie basiert gerade
auf dem Prinzip der Vielfalt/des Wettbewerbs
gesellschaftlicher Interessen
 „DIE“ Zivilgesellschaft kann es eigentlich
gar nicht geben
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Fazit (2)
• Gibt es „Demokratie ohne
Demokraten“?
• Frage nach dem nötigen Zeitrahmen für
den Wandel der politischen Kultur von
parternalistischen Formen zu stärker
liberalen/partizipatiorischen Formen
 BRD: rd. 20 Jahre!
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