Versuch einer Bilanz des Wahljahres 2011

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Versuch einer Bilanz des
Wahljahres 2011
Dr. Harald Pätzolt
Gesprächskreis Parteien & Soziale Bewegungen der RLS
26. Oktober 2011, Berlin
Leitfragen
• Was sind die Ergebnisse der Landtagswahlen?
• Was bedeutet das für die Parteiensysteme der
Länder?
• Was bedeutet das für das Parteiensystem auf
Bundesebene?
• Was bedeutet das für die Machtverhältnisse im
Bund?
• Und die LINKE?
• Nachtrag:Über zwei kleine Parteien
Wahlanalysen
•Parteien- und Wahlforschung braucht noch Zeit
•Parteien wissen alles in „Echtzeit“, am Montag
steht das Urteil fest
•Analysen auf Basis der Vor- und Nachwahlbefragung (Meinungsforschung) sind unterkomplex
Touching the giant animal
Die sprichwörtlichen blinden Gelehrten, die ein
großes Tier berühren und untersuchen und sich
nicht über die Natur des ganzen Tieres einigen
können
In Demokratien ist das „ganze Tier“ das empirisch
beobachtbare System der Verantwortlichkeitsverhältnisse zwischen Bürgern als Prinzipals und
gewählten Politikern als Agents
Das System demokratischer Steuerung ist
hochkomplex
Der Kreis demokratischer Steuerung bei Wahlen
(Herbert Kitschelt, 2010)
Was sind die Ergebnisse der Landtagswahlen?
•Veränderungen in der Gesellschaft schlagen
sich in den Ergebnissen einzelner Parteien
nieder – nicht unmittelbar in Veränderungen des
Parteiensystems
•Wir registrieren Erträge und Verluste der
Parteien
•Wir bilanzieren auf Landes- und Bundesebene
Stimmen? Wähler?
CDU
SPD
Grüne
FDP
LINKE
HH
-667.079
-133.416
+332.870
+66.574
-22.164
-4.433
-7.605
-1.521
-36.562
-7.312
SA
+21.214
+5.136
+26.536
-33.024
+17.726
RP
+83.882
-132.711
+206.930
-61.502
+11.214
BW
+193.638
+155.652
+742.619
-159.474
+17.853
MV
-78.381
-5.061
+31.362
-59.497
-11.725
B
+47.132
-10.722
+76.198
-77.641
-14.135
-399.594
+345.164
+1.061.481
-398.720
-15.629
HB
Da 82% der Hamburger WählerInnen alle 5 Stimmen einer Partei
gaben lassen sich näherungsweise Stimmengewinne und verluste in Wählergewinne und –verluste umrechnen. Das
Bremer Wahlrecht erlaubt das eher nicht.
So finden wir marginale Gewinne bei der SPD und bei der CDU,
sogar DIE LINKE hätte, Bremen draußen, WählerInnen
gewonnen.
Die wichtigste Bewegung ist die bei Grünen (satte Gewinne und
der FDP (schmerzhafte Verluste).
Mandate
CDU
SPD
Grüne
FDP
LINKE
Andere
HH
-28
+17
+2
+9
-
SA
+1
+2
+9
-7
+3
RP
+3
-9
+18
-10
BW
-9
-3
+19
-8
HB
-3
+3
+7
-5
-2
DVU: -1
BIW: +1
MV
-4
+4
+7
-7
+1
NPD: -1
B
+2
-5
+7
-13
-3
Piraten: +15
-38
+9
+69
-41
-1
+14
Die Gewinne und Verluste der CDU und der SPD wären
ins Verhältnis zu ihren großen Mandatszahlen zu setzen,
erscheinen daher gering. Zudem gehen sie überwiegend
auf die Hamburgwahl zurück.
Die Verluste der FDP und die Gewinne der Grünen hingegen
Scheinen bedeutend und nicht auf eine einzige Wahl zurück
zu führen.
Präsenz in den LT
Grüne
HH
SA
RP
BW
HB
MV
B
FDP
Andere
gewonnen
gewonnen
verloren
gewonnen
verloren
verloren
gewonnen
DVU: verloren
BIW: gewonnen
verloren
verloren
Piraten: gewonnen
Macht
HH
CDU
SPD
Grüne
verloren
gewonnen
verloren
FDP
LINKE
SA
RP
BW
gewonnen
verloren
gewonnen
gewonnen
verloren
HB
MV
B
gewonnen
verloren
Veränderungen der Parteiensysteme der Länder?
These: Es zeigen sich einerseits Veränderungen,
von denen sich heute nicht sagen lässt, ob sie
temporäre Fluktuationen (grün) oder einen
begrenzten Wandel (gelb) anzeigen und
andererseits Veränderungen, die auf einen
grundlegenderen Wandel (weiß) hindeuten
Eintritt/Austritt
von Parteien
HH
X
SA
X
RP
X
BW
HB
X
MV
X
B
X
Ideologische
Polarisierung
Volatilität
im System
(10%)
Cleavages
X
X
X
X
X
X
X (?)
Ist da eine Partei, die relevante Gruppen entlang
eines strukturellen Bruchs neu organisiert?
Cleavagekonzept – bezieht sich auf
• Interessenorientierungen, gründend in Sozialstruktur und
• kulturelle/ideologische Orientierungen, gründend in
Wertesystemen und
• Verhaltensmuster, die sich in Mitgliedschaften und
Handeln äußern.
Ein struktureller Bruch wird dann zur Cleavage, wenn eine
Partei dem einen kohärenten und organisatorischen Ausdruck
gibt, was sonst unvollständige, fragmentarische
Überzeugungen, Werte und Erfahrungen von Mitgliedern
sozialer Gruppen wären. (H. Kriesi 2010)
Relevanz fürs Parteiensystem auf Bundesebene
These: Die Grünen haben die seit 2009 gewachsene
Zustimmung in Wahlverhalten, in Stimmen und
Mandate umsetzen können. Das deutet auf eine
langfristige Veränderung der Konfliktlinien und
damit auf eine wirkliche Veränderung des
Parteiensystems hin.
(Hildebrandt/Pätzolt 2011)
Sonntagsfrage Bund
Infratest
dimap
Jan. 2011
CDU SPD Grüne FDP
35% 27%
19%
4%
Sept. 2011 34% 30% 18,5% 4%
LINKE
8,5%
7%
Machtverhältnisse im Bund
These: Am Ende des Wahljahres sind die
Machtverhältnisse nicht entscheidend verändert...
Bundesrat – sichere Stimmen
Anfang 2011
Oktober 2011
B.Reg.
Rotgrün
31
13
25
22
...aber deren Basis in den Parteien und Ländern
schon!
Und die LINKE?
These: DIE LINKE stagniert
Stimmanteil (%)
Mandate
Präsenz in LT
HH
+/-0
+/-0
unverändert
SA
-0,4
+3
unverändert
RP
+0,4
-
unverändert
BW
-0,3
-
unverändert
HB
-2,8
-2
unverändert
MV
+1,6
+1
unverändert
B
-1,7
-3
unverändert
Macht
verändert
Veränderungen der
Wählerschaft
HH
Keine sicher erkennbar
SA
Evtl. leichte Verluste bei gewerksch. org. Arbeitern
RP
Keine sicher erkennbar
BW
Keine sicher erkennbar
HB
Verluste in allen Gruppen, bes. bei gewerksch. org. Arbeitern
und bei Arbeitslosen
MV
Gewinne bei gewerksch. org. Arbeitern und bei Angestellten
B
Verluste in fast allen Altersgruppen, bei Angestellten,
Beamten, Arbeitslosen, Muslimen
Zerfallserscheinungen der Parteiendemokratien
(H. Kriesi 2011)
•Erfolge von Protest- und Spaßparteien
•Erfolge von EinzelbewerberInnen
•Zunehmende Wahlabstinenz
Gründe: Bürgerinteressen vernachlässigt, geringe
Spielräume großer Parteien
Prognose: Arbeitsteilung zwischen großen Parteien
(Regieren) und Protestparteien (Bürger vertreten)
Gegenmaßnahmen: Klartext reden, supranat. Ebene
demokratisieren, Direkte Demokratie stärken
These: Deutschlands hochgradig
institutionalisiertes Parteiensystem ist stabil
und zwingt neue Akteure zu rascher
Institutionalisierung (Parteienförmigkeit)
Freie Wähler und Piraten –
Konkurrenten im Bund 2013?
BY 2008
TH 2009
HH
SA
RP
BW
HB
MV
B
FW
10,2%
3,9%
O,7%
2,8%
2,3%
0,2%
1,1%
Piraten
2,1%
1,4%
1,6%
2,1%
1,9%
1,9%
8,9%
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