Klischees von der Muslima

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Klischees von der Muslima
Die islamische Frau aus westlicher Sicht von Shahin Awani
Das westliche Bild von der islamischen Frau ist geprägt durch Reiseberichte und Romane aus
früheren Jahrhunderten, die das Leben im Harem aus der Schlüsselloch-Perspektive schildern.
Märchen aus Tausendundeiner Nacht, Romane von Karl May und nicht zuletzt die Gemälde von
verführerisch blickenden, juwelenbehangenen orientalischen Schönheiten, die wir in vielen
Museen finden, geistern bis heute durch die Vorstellungswelt von Journalisten, Schriftstellerinnen
und Touristen. Teils sind sie fasziniert von den »Geheimnissen des Orients« und versuchen – meist
vergeblich – diese in der Lebensrealität muslimischer Frauen wiederzufinden. Teils schlägt diese
Faszination aber auch um in Abscheu vor dem finsteren Gegenbild von Haremsromantik, Pracht
und verschwenderischem Reichtum, nämlich vor Gewalt und Unterdrückung der Frau im Kontext
einer mittelalterlich-brutalen Gesellschaft.
D
iese Klischees von der Muslima,
die dem Mann in absolutem
Gehorsam unterworfen ist und die
sich in Familie und Gesellschaft allenfalls über ihre Kinder (Söhne) ein gewisses Maß an Respekt und Ansehen
zu erwerben vermag, ist in den letzten Jahren gegenüber der verführerischen Haremsschönheit in den Vordergrund getreten. Dass sie sich aus
dem Gefängnis dieser Rolle nicht –
oder, im Vergleich zu ihren europäischen und amerikanischen Schwestern,
nur unendlich langsam – zu emanzipieren vermag, wird dem Islam zugeschrieben, der Frauen (angeblich) zu
Demut und Gehorsam gegenüber Vater, Brüdern und Ehemann verpflichtet,
der ihnen Bildungschancen und elementare Menschenrechte vorenthält.
Seit der Revolution im Iran vor
zwanzig Jahren ist ein neues Klischeebild an die Seite der durch das islamische Patriarchat unterdrückten Frau
getreten: die Fanatikerin oder Fundamentalistin, die sich – verführt durch
falsche Versprechen »der Mullahs«
und oft auch durch materielle Vorteile
– in den Dienst einer frauenfeindlichen
Religion gestellt hat. Dass gebildete
Frauen sich freiwillig und bewusst für
ein Leben nach islamischen Werten
und Regeln entscheiden und dass sie
den Islam als Leitlinie gesellschaftlicher sowie kultureller Entwicklung
gegen die Dominanz des Westens
verstehen, scheint für Europäer und
Amerikaner nahezu unvorstellbar
zu sein. So finden wir in den Medien
überwiegend Artikel und Sendungen,
die zwischen Mitleid und Verachtung
schwanken. Und in den Buchhandlungen stapelt sich die so genannte
»Schleierliteratur«, in der Europäerinnen, Amerikanerinnen, aber auch
Autorinnen aus islamischen Ländern
von der Knechtschaft und dem Martyrium der Musliminnen berichten.
»West is best«
D
er Beitrag der wissenschaftlichen
Orientalistik zu diesem durch Klischees und Vorurteile bestimmten
Vorstellungsbild von der islamischen
Welt sei nicht verschwiegen: Bis heute
ist es durchaus gängige Praxis, »den
Islam«, das Leben in »islamischen
Ländern« oder eben »die Muslima«
auf der Basis von im Westen entwickelten Theorien und Methoden zu
erforschen. Aus der Perspektive westlicher Emanzipationsideale und gemessen an Werten und Lebensweise
der Autorinnen und Autoren läuft die
Bilanz in der Regel dann doch immer
wieder auf die Feststellung »West is
best!« hinaus – ohne zu fragen, ob
das von den Untersuchungsobjekten
ebenso gesehen wird.
Schließlich sei auf einen weiteren
Aspekt hingewiesen, der für die westliche Einstellung zum Islam und den
Muslimen von kaum zu überschät-
zender Bedeutung ist: In der Bundesrepublik wie in den anderen europäischen Ländern wird der Islam durch
Migranten und Migrantinnen aus
muslimischen Ländern repräsentiert.
In Frankreich sind das z.B. vorwiegend Einwanderer aus Nordafrika, in
Großbritannien aus den ehemaligen
indischen Kolonien, in der BRD aus
der Türkei. Sie kamen überwiegend
als Arbeitskräfte nach Europa, und
entsprechend stellt sich der Islam in
Europa als »Gastarbeiter-Islam« dar.
Deutsche kennen Muslime vor allem
als niedrig qualifizierte Arbeiter und
Arbeiterinnen, als Straßenkehrer und
Putzfrauen, kaum dagegen als wohlhabende Geschäftsleute, als Beamtinnen und Lehrer, als Künstlerinnen und
Journalisten. Erst seit die zweite und
dritte Generation, die das hiesige
Bildungssystem durchlaufen hat,
studiert oder in angesehenen Berufen
tätig ist, zeichnet sich darin eine
langsame Veränderung ab. Noch
wird »Islam« dagegen vorwiegend
mit niedrigem Bildungsniveau, kleinen, engen Wohnungen, vielen Kindern, Benachteiligung von Frauen
und Mädchen usw. gleichgesetzt.
Ob mit Blick auf die Frauen in
muslimischen Ländern oder auf die
zugewanderten Musliminnen – der
Islam gilt im Westen allgemein als
repressiv und frauenfeindlich. Aber
stimmt das überhaupt? Ich meine,
dass die Beschäftigung mit dem
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Samira Bellil (li.) und Fadela Amara, zwei Leitfiguren der NPNS, auf ihrer Tour de France 2003
Koran und den islamischen Quellentexten sowie der Vergleich von islamischen Aussagen über Wesen und Rolle der Frau einerseits mit der Lebensrealität muslimischer Frauen andererseits rasch zeigen, dass die Misere vieler Frauen in muslimischen Ländern
oder im europäischen »Gastarbeiter«Milieu – die ich keineswegs abstreiten
will – andere Ursachen haben muss.
Diese Ursachen sind vielfältiger
Art, z.B. die Überlagerung islamischer
Werte und Gebote durch vor- und
außerislamische Sitten und Traditionen. D.h. man hat sich den Islam so
zurechtgebogen, dass er zu dem jeweiligen traditionellen Wertesystem
des Landes und zu der traditionellen
Lebensweise passte. Oder wir finden
– gerade unter muslimischen Migranten – Denk- und Verhaltensmuster,
die viel mehr mit Bildungsdefiziten,
mit ihrer Schichtzugehörigkeit und
mitgebrachten Sitten zu tun haben
als mit dem Islam. Fixiert man sich
nicht auf den Islam als Erklärungskonzept, erkennt man sofort deren
Verwandtschaft mit Ansichten und
der Lebensweise von »Gastarbeitern«
aus anderen Mittelmeerländern oder
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teilweise auch mit Deutschen der gleichen Schichtzugehörigkeit. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen oder
Lehrer gehen daher oft von völlig
falschen Voraussetzungen aus, wenn
sie den Islam als eine Religion betrachten, die Frauen zu einem Leben
in Unwissenheit und Abhängigkeit
zwingt, und folglich eine gute Tat
darin sehen, muslimische Mädchen
und Frauen aus den »Fesseln des
Islam« zu befreien.
Zukunftsweisende Perspektive
I
n allen muslimischen Ländern und
auch unter den muslimischen Migrantinnen in Europa gibt es seit einiger Zeit Bestrebungen, aus dem Islam
eine zukunftsweisende Perspektive
für Frauen wie auch für die gesamte
Gesellschaft zu entwickeln. Teilweise
ist daraus, wie im Iran, eine islamische
Frauenbewegung mit entsprechenden
Organisationen und vielfältigen Initiativen entstanden. Entgegen landläufigen Vorstellungen haben die iranischen Frauen beispielsweise in den
letzten zwanzig Jahren viel erreicht,
von einer enormen Erhöhung der
Alphabetisierungsquote und des Stu-
dentinnenanteils an den Universitäten
über Berufstätigkeit und Errungenschaften im Ehe- und Familienrecht
bis hin zur Partizipation in Politik und
öffentlichem Leben. All dies wurde
nicht gegen »den Islam« durchgesetzt, sondern auf der Basis islamischer Werte und Gebote. Ähnliche
Beispiele gibt es auch aus anderen
muslimisch geprägten Ländern.
Im Westen will man von solchen
positiven Entwicklungen bzw. der Tatsache, dass es oft gerade der Einfluss
amerikanisch-europäischer Machtinteressen ist, der eine Verbesserung
der Situation muslimischer frauen
verhindert, nach meinem Eindruck oft
gar nichts wissen. Es ist ja so viel bequemer und vielleicht auch angenehmer, am Vorstellungsbild vom Islam
als Gegenwelt zum freien, zivilisierten
Westen festzuhalten.
Medien, Politik, Pädagogik und
Wissenschaften tragen zum Fortbestehen der Klischeebilder vom Islam
und von der islamischen Frau, wie
ich sie skizziert habe, in vielfältiger
Weise bei. Und das keineswegs nur
aufgrund von Informationsdefiziten,
Thema
dummen Vorurteilen und Angst vor
dem »Fremden«, sondern auch aus
ganz handfesten Interessen, z.B. um
die zugewanderten Musliminnen und
Muslime auf dem sozialen Status von
»Gastarbeitern« festzuhalten oder
um wirtschaftliche und politische
Machtinteressen gegenüber der »islamischen Welt« durchzusetzen, ohne
mit den eigenen Idealen von Demo-
kratie, Freiheit und Menschenrechten
in Konflikt zu geraten. Nichtsdestoweniger plädiere ich im Vertrauen
auf Aufklärung und die korrigierende
Wirkung persönlicher Begegnungen
für mehr Information und eine Ausweitung des interkulturellen und
interreligiösen Dialogs.
Nachdruck (leicht gekürzt) mit freundlicher
Genehmigung aus dem Buch von Dorothee
Palm (Hg.): Frauengeschichten – Musliminnen in Deutschland erzählen aus ihrem
Leben, Teiresias Verlag, Köln 2000,
ISBN: 3-934305-10-5
Shahin Awani ist Religionswissenschaftlerin,
Philosophin und Übersetzerin.
Den weiblichen Koran entdecken
Das Zentrum für islamische Frauenförderung und Frauenforschung
Das Kölner Zentrum für islamische
Frauenförderung und Frauenforschung (ZIF) versucht, Frauen einen
selbstständigen Umgang mit dem
Koran zu vermitteln. Sie sollen lernen, eine kritische Haltung gegenüber Aussagen zu entwickeln, die in
Moscheen über Frauen im Islam
verbreitet werden. In Sure 4, Vers
34 heißt es: »Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen,
dann vermahnt sie, meidet sie im
Ehebett und schlagt sie! Wenn sie
euch daraufhin wieder gehorchen,
dann unternehmt weiter nichts gegen sie! Gott ist erhaben und groß.«
Gewalt gegen Frauen
Dieser Koranvers stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung, die das
Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung (ZIF)
in Köln organisiert hat. Das Thema
Gewalt gegen Frauen sollte dabei
nicht nur aus islamischer Sicht diskutiert werden. Schnell wurde klar,
dass das Phänomen länder- und religionsübergreifend ist. Ein geringer
Trost für die muslimischen Frauen in
der Runde. Sie verstehen sich als
emanzipierte Frauen, die dennoch
vom Koran, in dem so ein Vers vorkommt, überzeugt sind.
Für Fatma Sagir, Islamwissenschaftlerin und Mitarbeiterin von ZIF, steht
der zitierte Vers im Widerspruch zu
anderen Stellen im Koran, die von
der Gerechtigkeit Gottes sprechen.
Die junge Muslimin empfindet es
als hilfreich, dass auch andere Frauen mit der Erlaubnis, Frauen zu
schlagen, ein Problem haben: »Das
hat mir geholfen zu sagen: Ich nehme das erst mal als Vers hin. Und
verstehe es als eine Sache, die ich
untersuchen muss.« Seit einigen
Jahren steht das Zentrum jungen
muslimischen Frauen mit Rat zur
Seite. Rabia Müller vom ZIF hat immer wieder festgestellt, dass die
herkömmliche Interpretation des
Korans junge Musliminnen in
Deutschland in große Konflikte
stürzt.
doppelten Anteil einer Tochter erbt.
Von den meisten Muslimen wird
diese Regelung kaum hinterfragt.
Für Rabia Müller ist der Vers jedoch
ein Ansporn weiterzudenken. Denn
es war der Islam, der die Frau im 7.
Jahrhundert überhaupt erst zu einer erbberechtigten Person gemacht hat. Und weil die Umstände
heute völlig anders seien als vor
1.400 Jahren, könne man getrost
davon ausgehen, dass Frauen bei
der Erbschaft gleichberechtigt seien.
Männerfreundliches Gottesbild
Es werde ihnen ein Gottesbild vermittelt, das Männer eindeutig bevorzugt. Sie müssten so den Eindruck bekommen, dass sie
zweitrangige Wesen seien: »Sie sagen, ich kann doch nicht zu jemandem beten, der mich für minderwertig hält.« Das sei mit ihrem Bild
einer gerechten Gottheit nicht zu
vereinbaren und führe oft
zu seelischen Belastungen bei den
jungen Frauen. Müller versucht,
Mädchen und Frauen in Beratungsgesprächen einen selbstständigen
Umgang mit dem Koran zu vermitteln. Sie sollen lernen, eine kritische
Haltung gegenüber Aussagen zu
entwickeln, die in hiesigen Moscheen und im Familienkreis über
Frauen im Islam verbreitet werden.
In einem Studienkreis wird, wie Rabia Müller es nennt, »feministische
Theologie« betrieben. Koranverse,
mit denen man die Benachteiligung
von Frauen über Jahrhunderte legitimiert hat, werden unter die Lupe
genommen. Zum Beispiel bei der
Erbschaftsregelung. In einem Vers
wird festgelegt, dass der Sohn den
Eines stellen die ZIF-Frauen allerdings nicht in Frage: Auch für sie ist
der Koran das offenbarte Wort
Gottes. Aber sie betonen, dass die
Instrumente ihrer Neuauslegung
des heiligen Buches aus dem Fundus der islamischen Gelehrsamkeit
stammen.
Mona Naggar
Nachdruck mit freundlicher
Genehmigung aus qantara.de
Zum Weiterlesen
Das arabische Wort »qantara« bedeutet Brücke. Mit dem gleichnamigen Internetportal wollen die
Bundeszentrale für politische Bildung, die Deutsche Welle, das
Goethe-Institut und das Institut für
Auslandsbeziehungen zum Dialog
mit der islamischen Welt beitragen.
Ein aktuelles Dossier auf der Website widmet sich auch dem Thema
Frauen. Das Dialog-Projekt wird
vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland gefördert.
www.qantara.de
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