Ein schmaler Grat - Deutsches Ärzteblatt

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STATUS
Ein schmaler Grat
Seit fast 20 Jahren begleitet die Ärztekammer Hamburg
suchtkranke Mediziner.
ie ist denn die typische
Suchtkarriere eines Arztes?
Diese Frage stellen Journalisten,
die sich für das Suchtinterventionsprogramm der Ärztekammer Hamburg interessieren, eigentlich immer. Und sind enttäuscht, wenn sie
darauf die Antwort erhalten: „Nein,
die gibt es nicht.“ Dr. med. Klaus
Beelmann, Geschäftsführender Arzt
der Kammer und Leiter des Interventionsprogramms entgegnet, dass
es sehr unterschiedliche Wege in
die Sucht gibt. Obwohl Ärzte leichteren Zugang zu Opiaten und anderen Medikamenten haben, steht der
Alkoholmissbrauch als Suchtmittel
nach wie vor an erster Stelle.
Seit fast 20 Jahren begleitet die
Ärztekammer Hamburg suchtkranke Mediziner. „Mit dem Interventionsprogramm haben wir einen sehr
strukturierten Ablauf geschaffen“,
so Beelmann, den es freut, dass inzwischen auch alle anderen Landesärztekammern Hilfen für süchtige
Ärzte anbieten. „Wir bewegen uns
hier allerdings immer auf dem
schmalen Grat zwischen Fürsorge
für den einzelnen Arzt und dem
Schutz der Patienten.“ In Hamburg
beginnen circa sechs Ärzte jedes
Jahr neu mit einer Intervention.
„Leider meist sehr spät“, sagt Beelmann. Denn durch das Selbstverständnis des „unverwundbaren Helfers“ dauere es bei Ärzten oft länger, bis Hilfe gesucht werde. Oft
W
sind die Finanzen schon in Schieflage, oder es gibt familiäre Auseinandersetzungen und andere Auffälligkeiten, so dass sich Dritte an die
Kammer wenden. Die Angst vor
Aufdeckung ist groß und bedroht
die Existenz: Der Arbeitsplatz, die
Approbation sind in Gefahr, Regresse oft die Folge.
Das Interventionsprogramm hat
in der Hansestadt drei Phasen: Klärung, Therapie und Nachsorge.
„Wir
bewegen uns hier allerdings
auf dem schmalen Grat zwischen
Fürsorge für den einzelnen Arzt
und dem Schutz der Patienten.
“
Klaus Beelmann, Leiter des Interventionsprogramms
der Ärztekammer Hamburg
In der Klärungsphase – sie dauert etwa ein bis vier Wochen – werden Gespräche mit dem Betroffenen geführt. Die Ärzte sind meist in
einem desolaten Zustand, oft auch
aggressiv, intoxikiert. Deshalb sei
es notwendig, so Beelmann, eine
Gesprächsatmosphäre zu schaffen,
in der Abwehr und Aggression aufgefangen werden. In nahezu allen
Fällen kann das Bestehen einer Abhängigkeitserkrankung deutlich gemacht werden. Kommt man nicht
zu diesem Einvernehmen, versucht
Beelmann Betroffene zu überzeu-
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 43 | 26. Oktober 2012
gen, dass Untersuchungen objektive Ergebnisse bringen und so den
bestehenden Verdacht auf eine
Suchterkrankung bestätigen oder
entkräften.
In der etwa zwei Monate dauernden Therapiephase finden die Entgiftung, meist übernommen von der
Krankenversicherung, und Entwöhnung in einer Suchtklinik statt. Die
Kammer hilft bei der Auswahl und
unterstützt bei der Organisation der
Praxisvertretung. Sie spricht mit
dem Versorgungswerk über die
Kostenübernahme der Entwöhnungsbehandlung. In Hamburg
übernimmt das Versorgungswerk
die Kosten der ersten Entwöhnungsbehandlung (und gegebenenfalls bei einer zweiten 50 Prozent).
In der zwei Jahre dauernden
Nachsorgephase werden in einer
Vereinbarung Maßnahmen festgelegt. Direkt nach dem Klinikaufenthalt verpflichtet sich der Arzt, monatlich eine gutachterliche Untersuchung durchführen zu lassen. Die
Kammer führt ebenfalls monatlich
mit dem Betroffenen ein Gespräch
zur Situation und initiiert Abstinenzkontrollen, auch unangemeldet. Die
Kammer behält zudem im Blick, ob
die Psychotherapie und die Selbsthilfegruppe regelmäßig besucht werden. Bei Rückfällen muss neu entschieden werden, inwiefern das
Suchtinterventionsprogramm weitergeführt werden kann oder ob ein
Abbruch notwendig ist. Denn die
Gesundheitsbehörde – in Hamburg
für Erteilung und Entzug der Approbation zuständig – ist über die Teilnahme am Interventionsprogramm
informiert. Das war in den ersten
Jahren anders. Damals gab es keine
A 2151
Foto: mauritius images
SUCHTINTERVENTION BEI ÄRZTEN
STATUS
Meldung von der Ärztekammer an
die Behörde. Inzwischen wird die
Durchführung des Interventionsprogrammes gebilligt, und approbationsrechtliche Schritte werden nur
dann eingeleitet, wenn der Arzt
nicht gut mitarbeitet und sich den
vereinbarten Auflagen entzieht.
Diese Absprachen sichern das Interventionsprogramm rechtlich ab und
schaffen eine solide Basis für die
Rückkehr in den Beruf.
Einer Reihe von Fragen wird
sich die Kammer künftig widmen:
Wie gelingt ein guter Übergang in
der Betreuung von einer Kammer
zu anderen? Wie sollte präventiv
der Sucht bei Ärzten vorgebeugt
werden? Lassen sich Kriterien entwickeln, unter welchen Bedingungen die Kammer die Kosten für das
Programm trägt? „Wir suchen verstärkt den Kontakt zur betrieblichen
Suchtintervention“, sagt Beelmann.
Der Gedanke „ich möchte meinen Kollegen nicht verpetzen“
ist leider noch immer weit verbreitet.
Den Erfolg des Suchtinterventionsprogramms – bisher wegen der
kleinen Fallzahlen nicht wissenschaftlich evaluiert – statistisch zu bemessen, fällt schwer. Beispielsweise
gab es den tragischen Fall eines Arztes, der die Intervention nach zwei
Jahren erfolgreich abgeschlossen hatte, aber nur zwei Monate darauf durch
einen Rückfall starb. Doch etwa
75 Prozent schaffen es, die Suchtintervention erfolgreich abzuschließen,
und weitere 15 Prozent schaffen es
trotz eines oder mehrerer Rückfälle.
Der Austausch kann helfen, dass
Kolleginnen und Kollegen den Mut
finden, Betroffene selbst anzusprechen oder dass sie die Kammer informieren, wenn eine Suchterkrankung vorliegt. Denn der Gedanke,
„ich möchte meinen Kollegen nicht
verpetzen“, ist leider noch immer
weit verbreitet – Verdachtsfälle
werden von Kollegen meist nur genannt, wenn vorher zugesichert
wurde, dass der Betroffene nicht erfährt, wer „gemeldet hat“. „Das ist
falsch verstandene Solidarität“,
meint Beelmann, der es aber auch
für den besseren Weg hält, zunächst
frühzeitig den Betroffenen selbst
anzusprechen und dann erst Kammer oder Vorgesetzte zu informieren. „Der hohe Grad an Verantwortung für die Patienten lässt keinen
anderen Weg zu, und letztlich sieht
der Betroffene das im Nachhinein
meist sehr positiv.“
Eine wichtige Neuerung auf
Bundesebene wird demnächst Auswirkungen auf das Interventionsprogramm haben. In § 21 der Zulassungsverordnung war bis Ende
2011 geregelt, dass ein suchtkranker Arzt nicht geeignet ist, die vertragsärztliche Tätigkeit auszuüben
– und hier drohte dann tatsächlich
der sofortige Entzug der Zulassung,
wenn die Suchterkrankung bekannt
wurde. Im neuen Gesetz befindet
sich nun eine etwas weichere Formulierung: Danach gilt ein Arzt als
ungeeignet, wenn er aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht
in der Lage ist, die vertragsärztliche
Tätigkeit auszuüben. Dadurch wird
es nun eine Frage der Begutachtung, ob ein Arzt arbeitsfähig ist. ▄
Dorthe Kieckbusch, Ärztekammer Hamburg
GOÄ-RATGEBER
Gesondert berechnungsfähig: Kopfeinspannung mittels Mayfield-Klemme
Bei vielen neurochirurgischen Eingriffen (zum
Beispiel am Kopf oder an der Halswirbelsäule)
wird eine Einspannung in eine Mayfield-Halterung („Mayfield-Clamp“) vorgenommen. Dabei
taucht häufig die Frage auf, ob dieser Eingriff
eine gesondert berechnungsfähige Leistung im
Sinne der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte
(GOÄ) darstellt und – falls dies bejaht wird –
wie diese Leistung auf Grundlage der GOÄ zutreffend abzubilden ist.
Ist eine Mayfield-Halterung indiziert, so wird
die Anlage in der Regel als eine zusätzliche und
zeitlich getrennte ärztliche Maßnahme vor der
Desinfektion und Abdeckung des Operationsfeldes und Beginn der Operation durchgeführt. Zur
Frage der gesonderten Berechnungsfähigkeit der
Anlage einer Mayfield-Klemme (oder vergleichbarer Kopffixierungen mittels Schraubenfixation an
der Schädelkalotte) kann zum Beispiel auf das
Urteil des Landgerichts München I vom 22. Oktober 2003 (Az.: 9 S 23524/02) verwiesen werden:
A 2152
Das LG München verwarf die Berufung der
Beklagten gegen das Urteil des AG München
(Az.: 282 C 18468/01), in dem unter anderem festgestellt wurde „. . ., dass neben der
eigentlichen Operationsleistung für verschiedene schwierige oder umfangreiche Halterungen diese gesondert berechnet werden können“. Die gesonderte Berechnungsfähigkeit
der Anlage einer Mayfield-Halterung vor neurochirurgischem Eingriff wurde auch durch
eine Reihe von Amtsgerichtsurteilen bestätigt
(zum Beispiel Arbeitsgericht Merzig, Zweigstelle Wadern, Az.: 13 C 134/06, vom 5. Dezember 2007).
Mit der Nr. 2183 wird das „Operative(s) Anlegen einer Extension am Schädel bei Behandlung von Halswirbelverletzungen/-instabilitäten
(z. B. Crutchfieldzange)“, mit der Nr. 2184 GOÄ
hingegen das „Anlegen von Halo-Extensionen
zur Vorbereitung der operativen Behandlung
von Skoliosen und Kyphosen“ in Ansatz ge-
bracht. Der Leistungsinhalt der Nr. 2183 bildet
insoweit die Extension als „Behandlung …“
bei Halswirbelsäulenverletzungen/-instabilitäten ab. Die Leistung nach Nr. 2184 GOÄ als
Extension dient gemäß Leistungslegende hingegen der „Vorbereitung der operativen Behandlung …“ bei anderen Eingriffen. Sie ist
von daher, unter Berücksichtigung der Vorschriften in § 6 Absatz 2 GOÄ (nach „Art, Kosten- und Zeitaufwand …“), als eine für die Fixierung des Kopfes in der aufwendigen
(Sitz-)Position mittels Mayfield-Klemme gleichwertige Leistung heranzuziehen. In den vorstehend genannten Gerichtsurteilen wird für die
Anlage einer (Mayfield-) Halterung vor neurochirurgischem Eingriff eine Zuordnung zu Nr.
2184 GOÄ für Recht erkannt.
Eine ausführliche Kommentierung der Abrechnung neurochirurgischer Leistungen kann
der Kommentierung nach Brück et al. (Deutscher Ärzte-Verlag, 3. Auflage, 24. Ergänzungslieferung [in Vorbereitung]) entnommen
werden.
Dr. med. Tina Wiesener
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 43 | 26. Oktober 2012
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