Unser Kind hat AGS

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Unser Kind hat AGS
Eine Patientenbroschüre für betroffene Eltern, Verwandte und Freunde
AGS-Eltern- und Patienteninitiative Schweiz
1.
Herausgegeben von Brigitte Wyniger
Präsidentin der AGS- Eltern- und Patienteninitiative Schweiz
Auflage
Inhalt
Seite 1 Vorwort
Seite 2 Grundlagen
Geschichtlicher Hintergrund
Was ist ein Adrenogenitales Syndrom (AGS)
In welchen verschiedenen Formen tritt AGS auf?
Was läuft im Körper bei „AGS“ anders ab?
Welchen Einfluss hat AGS auf die vorgeburtliche Entwicklung des Kindes?
Wann tritt „AGS“ auf?
Seite 11 Das Neugeborenenscreening
Seite 12 Therapie
Welche Folgen wären für das unbehandelte Kind zu erwarten?
Warum muss mein AGSKind mit Cortisol behandelt werden?
Wie lange müssen die Tabletten genommen werden?
Wie wird die Einstellung der Hormonbehandlung überwacht?
Seite 17 Wichtige Hinweise
Welche Impfungen sind möglich und notwendig?
Darf man mit einem AGSKind ins Ausland reisen?
Seite 18 AGSMädchen
Welche Operationen sind bei AGSMädchen zur Behebung der Genitalveränderungen notwendig?
Wann erfolgen die notwendigen Operationen?
Seite 19 Vorgeburtlichen Diagnostik und Therapie
Seite 23 AGSKnaben
TART (testikuläre adrenale Resttumore)
Seite 24 Lebensqualität / Psychologische Betreuung
Wie wird sich mein Kind unter der Therapie körperlich entwickeln?
Welche Folgen hat AGS für die psychische Entwicklung meines Kindes?
Was soll man dem Kind über seine Krankheit erzählen
Seite 30 Empfohlene Link
Seite 32 Lexikon der medizinischen Ausdrücke
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-2-
Vorwort
Grundlagen
Liebe Eltern, Verwandte und Freunde von Betroffenen
Geschichtlicher Hintergrund
Es ist mir ein Anliegen, dass die Krankheit „Adrenogenitales
Syndrom“ für Sie gut verständlich wird, dass ein offener Umgang
mit der Krankheit „AGS“ möglich ist und die Angst um die Zukunft
für das Kind genommen werden kann. Deshalb habe ich dieses
kleine Nachschlagewerk für Sie erstellt.
Die Grundlage dafür gab mir das Informationsheft „Unser Kind hat
AGS“, erstellt ca. 1970, von der endokrinologischen Abteilung der
Universitäts-Kinderklinik München, damals unter der Leitung von
Professor Dr. med. D. Knorr.
Er hat mir die Broschüre vor einigen Jahren persönlich überreicht
und ich fand die Idee und die inhaltliche Gestaltung so gut, dass ich
es nun in einer überarbeiteten Form für die Betroffenen in der
Schweiz neu auflege.
Auszugsweise verwendete ich auch den Inhalt aus der neu
überarbeiten AGS-Informationsbroschüre der Eltern-und Patienteninitiative Deutschland sowie Bilder und Inhalt aus der Homepage
www.ags-initiative.ch .
Eine Herzensangelegenheit ist mir, dass eine gut funktionierende
Zusammenarbeit zwischen Eltern, Patienten und dem Arzt stattfindet. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung des
Kindes und einer guten Lebensqualität bis ins hohe Alter.
Ich hoffe, dass diese Broschüre Ihnen und Ihrem Umfeld eine Hilfe
sein kann, um die Herausforderung dieser Krankheit annehmen zu
können.
Dies wünscht Ihnen
Brigitte Wyniger
Präsidentin der AGS- Eltern- und Patienteninitiative Schweiz
Die ersten klinisch pathologischen Fallbeschreibungen, welche man
dem adrenogenitalen Syndrom (AGS) zuordnen kann, stammen
von Rudolf Virchow (1852) und vom Giuseppe De Crecchio
(1865).
1852 wurde der Physikalischen - Medizinischen Gesellschaft in
Würzburg ein Fall vorgetragen, bei dem ein weiblicher
Pseudohermaphroditismus beschrieben wurde. Giuseppe de
Crecchio, Anatom an der königlichen Universität in Neapel
beschrieb 13 Jahre später dasselbe Syndrom.
Der Nachweis erhöhter 17-Ketosteroid-Werte im Urin gelang
Wilhelm Zimmermann 1935.
Lawson Wilkins (amerikanischer Pionier der pädiatrischen
Endokrinologie) und seine Mitarbeiter beobachteten 1950, dass die
beim Adrenogenitalen Syndrom stark erhöhten 17- Ketosteroide
unter einer Behandlung mit dem eben erst entdeckten Cortison
erstaunlicherweise zur Norm abfallen.
Das war die Geburtstunde der aetiologischen (auf die Ursache
gerichtet) AGS-Therapie.
In den folgenden Jahren klärten Walter Eberlein und Alfred
Bongiovanni
die
verschiedenen
Enzymdefekte
des
Adrenogenitalen Syndrom auf.
Andrea Prader führte 1954 sein fünfstufiges Schema der
vorgeburtlichen Virilisierung des äusseren Genitale ein, welches bis
heute weltweit Gültigkeit hat.
-3-
-4-
Jürgen Bierich gab 1958 und 1960 eine umfassende Darstellung
aller damals bekannten Daten des Adrenogenitalen Syndroms.
Der zweithäufigste Defekt mit ähnlichem AGS Profil, aber ohne
Mineralcorticoid Mangel wird durch 11-Hydroxylase-Mangel
(CYP11B1) verursacht.
Im Gegensatz dazu können sich andere Enzymdefekte auch
klinisch verschieden manifestieren, z.B. fehlende Virilisierung eines
„eigentlichen Knaben“ mit Cortisol- und Sexualhormonmangel bei
CYP17A1 Gendefekt.
B. Dupont konnte dann 1977 den Genort des defekten 21-Hydroxylase-Enzyms auf dem kurzen Arm des Chromosoms 6 lokalisieren
und Y. Higashi gelang 1986 die Sequenzierung des C21A2-Gens.
1984 wurde der erste Fall einer erfolgreichen pränatalen Therapie
bei AGS publiziert (M.Forest).
Was ist ein Adrenogenitales Syndrom (AGS)?
Zur Vereinfachung bezieht sich aber diese Broschüre im weiteren
ausschliesslich auf AGS bei 21-Hydroxylase-Mangel CYP21A2
Gendefekt.
Dieser Name setzt sich aus folgenden Bestandteilen zusammen:
„ad reno“ - bei der Niere, bezeichnet den Sitz der Störung, die
Hormondrüse „Nebenniere“.
Nebenniere
auf lateinisch „glandula adrenalis“ ist
eine kleine Drüse, die oberhalb, neben der
Niere liegt und lebenswichtige Hormone
produziert.
„genital “- weist auf die Auswirkungen der
Krankheit auf das äussere Genital hin.
„Syndrom“ bedeutet ungefähr „Summe von Krankheitszeichen“.
Das Adrenogenitale Syndrom ist eine angeborene Stoffwechselstörung der Nebennierenrinde. Im engeren Sinne wird sie durch
einen Gendefekt im CYP21A2 Gen verursacht, der eine Verminderung der 21-Hydroxylase Aktivität nach sich zieht für die
Mineralocorticoid)- und Glucocorticoid-Biosynthese.
Entsprechend betrifft die Störung die Herstellung von Cortisol und
von Aldosteron (vgl. Abb. Seite 4) Allerdings sei zu bemerken, dass
in seltenen Fällen (meist seltener als 1:100‘000) auch andere
Gene/Enzyme einen angeborenen Schaden aufweisen und zu
einem AGS führen können.
Wikipedia
In welchen verschiedenen Formen tritt AGS auf?
Das klassische AGS besteht aus dem einfachen AGS, bei
welchem die Cortisolproduktion gestört ist und dem AGS mit
Salzverlust, bei welchem neben der Cortisolproduktion auch die
Aldosteronproduktion gestört ist.
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Beim klassischen AGS ist die Enzymrestaktivität kleiner als 5%.
Das nicht klassische AGS, das auch als „late-onset-AGS“ benannt
wird, ist in der Symptomatik wesentlich geringer ausgeprägt, da
noch ein Teil der Enzymaktivität vorhanden ist. Enzymrestaktivität
5%-30%. Symptome treten deshalb erst nach ein paar Jahren oder
erst in der Pubertät oder im Erwachsenenalter auf.
Körpereigenes Cortisol ist ein lebenswichtiges Hormon, das für die
Stressbewältigung gebraucht wird.
So setzt es zum Beispiel Zucker frei, der eine wichtige Energiequelle für den Körper ist. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel auch
im Hunger konstant gehalten.
Dies ist besonders in Belastungssituationen von Bedeutung.
Cortisol muss im Blut vorhanden sein, damit Adrenalin wirken
kann.
Cortisol ist darüber hinaus an den Abwehrreaktionen des Körpers
beteiligt. Es beeinflusst die Abwehrreaktion und verhindert dadurch
eine vielleicht überschiessende Immunabwehr.
Deshalb wird es bei bestimmten entzündlichen Erkrankungen oder
autoimmunen Erkrankungen auch als Medikament eingesetzt, dann
allerdings in sehr hohen Dosen verglichen mit der körpereigenen
Produktion.
Körpereigene Mineralocorticoide sind für den Salz-/Wasserhaushalt des Körpers von grosser Bedeutung. Sie sorgen dafür, dass im
Körper genügend Salz (Natrium) zurückgehalten und nicht über die
Niere ausgeschieden wird.
Gleichzeitig führt es zur Ausscheidung eines zweiten wichtigen
Blutsalzes, dem Kalium.
Mit dem Salz wird auch Wasser im Körper gehalten und dadurch
bleibt der Blutdruck stabil.
Wenn der Körper zu wenig Mineralocorticoide bildet, dann verliert er
Salz und Wasser, der Blutdruck fällt und der Betroffene bekommt
eine „Salzverlustkrise “.
Die Konzentration des Kaliums steigt so stark an, dass ein
Herzstillstand die Folge sein kann.
Körpereigene Androgene sind Hormone mit „männlicher Wirkung“.
Sie verursachen bei Menschen beider Geschlechter (weiblich und
-6-
männlich) Haarwuchs, Akne, Muskelzuwachs, tiefe Stimme und
steuert die Libido.
Bei erwachsenen Frauen kommt es bei der Vermehrung dieser
Hormone zu einer meist recht unangenehmen verstärkten Behaarung (=Hirsutismus). Zu Regelstörungen und einer allgemeinen
„Vermännlichung“.
Was läuft im Körper bei „AGS“ anders ab?
Im menschlichen Körper gibt es mehrere Drüsen, die Hormone
herstellen. Eine davon ist die Nebennierenrinde, deren Hauptaufgabe es ist, Cortisol herzustellen.
Das endokrine System:
1 Zirbeldrüse
2 Hypophyse
3 Schilddrüse
4 Thymus
5 Nebennierenrinde
6 Bauchspeicheldrüse
7 Eierstöcke
8 Hoden
(aus Pflegewiki.de)
Der Bedarf an Cortisol ist nicht zu jeder Zeit gleich. Die
Hormonproduktion muss also gesteuert werden. Diese Aufgabe
übernimmt die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) im Gehirn.
Ist genügend Cortisol im Blut, sendet sie keine anregenden Stoffe
mehr zur Nebennierenrinde aus.
Befindet sich zu wenig Cortisol im Blut, so wird die Nebennierenrinde zu vermehrter Aktivität angeregt.
Soweit der Ablauf beim gesunden Menschen.
Bei den Patienten mit „AGS“ wird auf Grund eines angeborenen
Defektes der zweitletzte Schritt zur Cortisol Produktion nicht voll-
-7-
-8-
zogen. Seine Nebennierenrinde kann nur Cortisolvorstufen produzieren.
Aufgrund von negativem Feedback über die Hirnanhangsdrüse wird
jedoch die intakte adrenale Sex-Steroid-Synthese übermässig
stimuliert, was zu Androgen-Überschuss-Produktion führt.
Es herrscht also ein ständiger Zustand von Mangel an Cortisol.
Die Hypophyse im Gehirn registriert das und fordert von der
Nebennierenrinde mehr Cortisol.
Beim AGS ohne Salzverlust kann die Nebennierenrinde durch
Überaktivität den Bedarf an Cortisol noch decken.
Beim AGS mit Salzverlust führt der Cortisolmangel und der Mangel
des salzregulierenden Hormons Aldosteron zu einer lebensbedrohlichen Krise, an der die Kinder ohne Behandlung in den ersten
Lebenswochen sterben können.
Stoffwechselkreislauf bei AGS-Patienten ohne Cortisol / Florinef Therapie
Sowohl beim unkomplizierten AGS, wie ganz besonders beim AGS
mit Salzverlustsyndrom, bildet die überaktive Nebennierenrinde
grosse Mengen vermännlichender Hormone.
Die Nebennierenrinde kann trotz massiver Stimulation durch die
Hypophyse, beim gestörten Regelkreis der AGS-Patienten, die
benötigte Menge an Cortisol nicht herstellen. Stattdessen werden
Cortisolvorstufen und männliche Hormone in grosser Menge
ausgeschüttet.
Hypophyse
ACTH
AdrenoCorticoTropicHormon
Welchen Einfluss hat AGS auf die vorgeburtliche Entwicklung
des Kindes?
Cholesterin
Pregnenolon
Für viele Eltern von Mädchen mit adrenogenitalem Syndrom ist das
vermännlichte Aussehen des Genitales ihrer Tochter besorgniserregend.
Trotz des erheblichen Ausmasses, das die Vermännlichung manchmal annehmen kann, sind immer nur die äusseren Geschlechtsorgane betroffen.
Über den Einfluss der erhöhten Androgene auf die Entwicklung der
weiblichen Geschlechtsidentität wissen wir heute noch wenig. AGSFrauen fühlen sich jedoch grundsätzlich wohl in der Frauenrolle.
Exzess
Progesteron
Überschuss an Androgene +
Estrogene
21-Hydroxylase
Enzym-Defekt
Aldosteron




Östrogene / Gestagene
Regulierung des weiblichen Zyklus
Schwangerschaft
Reiftum + Wachstum
Reifung der inneren, weiblichen
Geschlechtsorgane, sowie den sekundären
Geschlechtsmerkmale
Bei Mädchen mit AGS sind die inneren weiblichen Genitalien
(Gebärmutter, Eierstöcke und Eileiter) immer normal entwickelt.
Knaben mit AGS zeigen keine Fehlbildungen in der Geschlechtsentwicklung.
Cortisol
Wie ist das zu erklären?
B. Wyniger, 14. Mai 2013
Mangel
Schon bei der Befruchtung fällt die Entscheidung über das
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Geschlecht des entstehenden Kindes. Von den 46 Chromosomen,
die beim Menschen Träger des Erbgutes sind, bestimmen zwei sein
Geschlecht.
In der Regel sind es für eine Frau zwei sogenannte X-Chromosomen und beim Mann ein X- und ein Y- Chromosom.
Diese beiden Geschlechtschromosomen steuern die Entwicklung
der Keimdrüsen, der Hoden bzw. der Eierstöcke (Ovarien), und
damit die weitere Bildung der Geschlechtsorgane.
Unter präziser Beachtung der ärztlichen Verordnung verläuft die
körperliche Entwicklung (Pubertät) der AGSKinder alters- und
geschlechtstypisch.
Der Weg zum Jungen oder Mädchen ist weit, eine Vielzahl von
Störfaktoren kann sich bemerkbar machen.
Beim AGSKind verläuft die Entwicklung zunächst normal. Es
werden die weiblichen bzw. männlichen Keimdrüsen angelegt und
dann die inneren Geschlechtsorgane (Eierstöcke, Eileiter und
Gebärmutter bei Mädchen, bzw. Hoden und Samenleiter bei
Jungen) wie bei einem gesunden Kind ausgebildet.
Diese Entwicklungsphase kann so störungsfrei ablaufen, weil die
Nebennierenrinde in dieser Zeit noch nicht entwickelt ist.
Sie kann daher noch keinen schädlichen Einfluss ausüben.
Mit fortschreitendem Wachstum des Embryos nimmt aber auch die
Nebennierenrinde ihre Arbeit auf und schickt beim AGSKind zu viel
männliche Hormone in den Organismus. Dieser Überschuss
männlicher Geschlechtshormone beeinflusst nun die weitere
Entwicklung der äusseren Genitalien (Labien Scheide und Klitoris)
beim Mädchen. Als Folge kommt es beim Mädchen zu einem
verstärkten Klitoriswachstum. Harnröhre und Scheide können
verlagert sein bzw. ineinander münden.
Beim AGSJungen fallen Veränderungen nicht auf (z.B. eher grosser
Penis), sie scheinen eben „gut entwickelt“ zu sein.
Trotz ihres „männlichen“ Aussehens sind die AGSMädchen also
genetisch weiblich, das heisst sie haben zwei X-Chromosomen
und sie besitzen normal entwickelte innere Geschlechtsorgane.
An dem eindeutig weiblichen Geschlecht dieser Kinder besteht also
kein Zweifel.
Ein Wachstum von Hoden oder gar die Änderung der beiden
weiblichen X – Chromosomen in ein X – und Y – Chromosom sind
bei der Krankheit „AGS“ unmöglich.
Wann tritt „AGS“ auf?
Das Adrenogenitale Syndrom ist eine Erbkrankheit. AGS kann
meist nur dann zustande kommen, wenn beide Eltern ihrem Kind
eine entsprechende Erbanlage vererbt haben. Nur selten gibt es
Spontanmutationen als Spielerei der Natur.
Das Auftreten der Krankheit steht in keinem Zusammenhang mit
höherem Alter der Eltern, Bluttransfusionen, Frühgeburt oder
anderen Geburtsschwierigkeiten.
Viele Eltern werden sich fragen: „Wieso hat ausgerechnet mein
Kind diese Krankheit? Weder in der väterlichen noch in der mütterlichen Familie ist je ein Fall von AGS bekannt!“
Für den Befruchtungsvorgang müssen sich der Chromosomensatz
der Eizelle und der Samenzelle halbieren, damit der Keimling
wieder 46 Chromosomen erhält und nicht das Doppelte. Welche
Hälften bei der Zeugung zusammentreffen, welche Erbanlagen
dem Kind also mitgegeben werden, ist zufällig.
Auf jedem der 46 Chromosomen sitzt eine Vielzahl von Genen, den
kleinsten Einheiten der Erbinformation. Das menschliche Baby hat
für jede seiner Funktionen und Anlagen zwei Gene mitbekommen,
eines stammt von den mütterlichen und das andere von den
väterlichen Chromosomen ab.
AGS ist eine rezessiv vererbte Krankheit. Das bedeutet, bei der
Befruchtung müssen zwei kranke Gene zusammentreffen, damit die
Krankheit zustande kommt.
Besitz ein Mensch nur ein AGS-Gen, so ist er zwar Träger der
Störung, aber selber völlig gesund.
Mutter und Vater eines AGS-Kindes müssen beide Träger eines
AGS-Gens sein. Bei der Zeugung des Kindes sind zufällig die
beiden kranken Gene der Eltern zusammengekommen. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zufall bei diesem Elternpaar
eintritt, beträgt 25% (eine von vier Möglichkeiten).
Das Risiko, ein weiteres AGSKind zu bekommen, ist bei jeder
Zeugung gleich gross, es liegt bei 25%.
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Genau so wahrscheinlich ist es, dass das Kind eines Trägerelternpaares nur die beiden gesunden Gene geerbt hat (eine von
vier Möglichkeiten), das Kind also gesund ist, obwohl beide Eltern
AGS-Träger sind.
dem „Schuldigen“ zu suchen, Vater und Mutter sind zu gleichen
Teilen beteiligt, keiner ist „schuld“.
Das Neugeborenenscreening
Ein AGS mit Salzverlust kann
bereits kurz nach der Geburt bei
beiden Geschlechtern zu einer
lebensbedrohlichen Krise führen.
Daher wurde in der Schweiz 1993
das AGS/21-Hydroxylase Neugeborenenscreening am 4. Lebenstag eingeführt.
Als Markersteroid wird aus einem Blutstropfen, welcher auf einem
Löschblatt aufbewahrt wird, das 17-Hydroxy-Progesteron bestimmt;
dieses ist bei Kindern mit AGS massiv erhöht.
Ohne Screening haben Kinder mit klassischem AGS nach den
ersten 10 Tagen bis 3 Wochen eine Krise mit:




Wikipedia
In 50% der Fälle wird das Kind nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung ein AGS-Gen mitbekommen. Es wird also, wie seine
Eltern AGS-Träger sein, aber keinerlei Krankheitszeichen aufweisen (zwei von vier Möglichkeiten).
Das AGS-Gen, welches jeder Elternteil besitzt, haben diese mit
hoher Wahrscheinlichkeit bereits von ihren Eltern geerbt.
Folgerung: „AGS“ tritt grundsätzlich nur auf, wenn beide Eltern dem
Kind ein krankes Gen vererbt haben. Es ist daher überflüssig, nach
Trinkschwäche
Erbrechen
Austrocknung
Kreislaufschock
Beim Neugeborenenscreening wird das Hormon bestimmt, das vor
dem defekten Enzym, der 21-Hydroxylase liegt. Ist das 17-Hydroxyprogesteron im Screening erhöht, wird eine genauere Analyse
der Konzentration dieses Hormons durchgeführt. Zusätzlich werden
die Natriumkonzentration und die Konzentrationen weiterer männlicher Hormone (z.B. Testosteron) gemessen.
Auch andere Hormone sind vor dem Enzymdefekt um ein
Vielfaches erhöht.
Die Verdachtsdiagnose wird dann mittels dieser laborchemischen
Analysen bestätigt. Im Blut liegen beim AGS mit Salzverlust ein
Mangel an Natrium und ein Überfluss an Kalium vor. So kann
bereits gegen Ende der ersten Lebenswoche das AGS sicher
diagnostiziert werden.
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Heute wird praktisch immer auch eine molekulargenetische
(Untersuchung der DNA) Untersuchung durchgeführt, da sie erst
wirklich den Gendefekt beweist und auch mithilft schwere und
mildere Formen zu unterscheiden und damit den Verlauf
voraussagen kann.
Therapie
Durchschnittsgrösse. Die Kinder würden ihr Wachstum wesentlich
früher als normal beenden, nämlich schon im Alter von acht bis
zehn Jahren, und so nur eine Körpergrösse von etwa 140cm
erreichen.
Durch die regelmässige Einnahme eines Cortisolpräparates können
diese sehr nachteiligen Folgen weitgehend vermieden werden,
wenn die Behandlung früh genug einsetzt.
Welche Folgen wären für das unbehandelte Kind zu erwarten?
Warum muss mein AGSKind mit Cortisol behandelt werden?
Die Nebennierenrinde des ungeborenen Kindes fängt ungefähr zu
der Zeit zu arbeiten an, zu der die äusseren Geschlechtsorgane
gebildet werden. Entsprechend wird beim AGS die Entwicklung der
äusseren Geschlechtsorgane durch den Überschuss an männlichen
Geschlechtshormonen aus der Nebennierenrinde beeinflusst.
AGSMädchen ähneln daher meist schon bei der Geburt in
erheblichem Ausmass männlichen Altersgenossen. Ohne
medizinische Behandlung würden sich, auch abgesehen vom
lebensbedrohlichen Aldosteron- und Cortisolmangel, andere
Folgeerscheinungen der Nebennierenrindenstörung immer stärker
bemerkbar machen.
Jungen wie Mädchen würden schon im Alter von vier bis fünf
Jahren in eine verfrühte Pubertät kommen. Das bedeutet, Penis
bzw. Klitoris würden verstärkt wachsen, es träten bei beiden
Geschlechtern verfrüht Schambehaarung und männliche Körperbehaarung auf. Die Kinder bekämen eine tiefere Stimme.
Die echte Geschlechtsreife mit Reifung der Keimdrüse bliebe
jedoch aus. Die Kinder würden als Erwachsene unfruchtbar sein,
Monatsblutungen setzten beim Mädchen nicht ein.
Wichtigster Bestandteil der Behandlung eines AGSPatienten ist die
Verabreichung von Cortisol und Aldosteron in Tablettenform.
Es handelt sich eigentlich um eine Ersatztherapie, welche möglichst
in niedriger Dosierung geführt werden soll.
Keimdrüsen =
Eine Gonade –von griech. gone (Geschlecht, Erzeugung, Same)
und aden (Drüse)– deshalb auch Keim- oder Geschlechtsdrüse
genannt, ist jenes Geschlechtsorgan, in dem Sexualhormone und
die Keimzellen gebildet werden. Beim männlichen Geschlecht
wird die Gonade als Hoden beim weiblichen Geschlecht als
Eierstock bezeichnet. (Aus Wikipedia)
Unbehandelte AGSPatienten würden als Kleinkinder sehr schnell
wachsen. Die Knochenentwicklung würde sehr schnell voranschreiten. Als Erwachsene blieben sie jedoch erheblich unter der
Stoffwechselkreislauf bei AGS-Patienten mit Cortisol / Florinef Therapie
ACTH
Keine Exzesse
Normalisierte
Produktion
von männlichen
Hormonen
Cholesterin
21-Hydroxylase
Defekt
Hydrocortison
Fludrocortison
Aldosteron
Cortisol
Kein Mangel
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Dem Organismus des Kindes wird dabei nur so viel Cortisol
zugeführt, wie sein Körper im Normalfall produzieren würde. Durch
diese Hormonzufuhr von aussen wird der gefährliche Kreislauf unterbrochen.
Die Hypophyse registriert nämlich den jetzt ausreichenden Cortisolstand im Blut und hört nun auf, die Nebennierenrinde zur Produktion anzuregen, so dass diese ihre Überaktivität bezüglich
Androgenproduktion einstellt. Es werden also keine übermässigen
Mengen von männlichen Hormonen ausgeschüttet. Einer fortschreitenden Vermännlichung der AGSMädchen beziehungsweise
einer scheinbaren Frühreife kann somit Einhalt geboten werden.
Wie lange müssen die Tabletten genommen werden?
Die angeborene Störung der Nebennierenrinde lässt sich nicht
beheben. Die Cortisoltabletten müssen daher das ganze Leben
lang genommen werden. Das ist eine geringe Mühe für fast völlige
Beschwerdefreiheit.
Lediglich Männer jenseits des Zeugungsalters können unter Umständen die Behandlung beenden.
Wird bei Kindern und Frauen die Cortisolbehandlung abgebrochen,
so setzt die Vermännlichung erneut ein. Bei Frauen bleibt in solchen Fällen meistens die Periode aus. Neben dem wieder
Einsetzenden Klitoriswachstum kommt es zu fortschreitender männlicher Körperbehaarung.
Cortisol wird auch bei anderen Krankheiten eingesetzt, dabei wird
das Cortisol zusätzlich zu der körpereigenen Produktion und in
grossen Mengen verabreicht. Unter diesen hohen Dosierungen
können dann unter Umständen schädliche Nebenwirkungen
auftreten.
So etwas braucht man bei der Behandlung des AGS mit Cortisol
nicht zu befürchten.
Negative Begleiterscheinungen treten bei richtig dosierten AGSBehandlung selten auf, da nur die dem Kind fehlenden Hormonmenge gegeben wird und keine zusätzliche!
Bei einer kurzfristigen Über- oder Unterdosierung, etwa zum
Zeitpunkt einer notwendigen Therapieumstellung, sind keine
bleibenden Nebenwirkungen zu erwarten.
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Wie wird die Einstellung der Hormonbehandlung überwacht?
Die richtige Dosierung der Cortisolgabe ist von entscheidender Bedeutung für Wachstum und Entwicklung des AGSKindes. Die
tägliche Tabletten Dosen, die das Kind benötigt, muss dem Wachstum des Kindes angepasst werden. Mit steigendem Gewicht wächst
natürlich auch der Cortisolbedarf.
Die für Ihr Kind richtige Hormonmenge wird in den 3-6 monatlichen
klinischen und laborchemischen Kontrollen vom Spezialisten ermittelt.
In die Beurteilung mit einbezogen werden: Wachstum, Knochenalter, Leistungsfähigkeit, körperlicher Entwicklungszustand, Medikamentendosierungen (Florinef, Hydrocortone) und Blutwerte
(17Hydroxy-Progesteron, ACTH, DHEA-S, Androstendion, Testosteron, Renin).
Knochenalter: In 1/2 bis 1-jährlichen Abständen wird jeweils ein
Röntgenbild der Hand gemacht. Anhand dieser Aufnahme kann
festgestellt werden, ob die Knochenentwicklung normal verläuft.
Beim unbehandelten AGS ist die Knochenentwicklung stark
beschleunigt und führt zu vorzeitigem Wachstumsabschluss.
Langjährige Erfahrungen haben gezeigt, dass Patienten mit AGS in
den ersten 2 Lebensjahren alle 3 Monate, später alle 6 Monate und
im Erwachsenenalter mindestens einmal jährlich ärztlich untersucht
werden sollten.
Sie fragen sich „Wie ändert sich die Cortisolbehandlung bei
schweren Belastungen“?
Cortisol ist ein Notfallhormon des Körpers. Unter schweren
Belastungen braucht der Organismus grössere Mengen. Die
gesunde Nebennierenrinde kann den erhöhten Anforderungen
nachkommen, dem AGSKind muss in solchen Situationen eine
grössere Dosis Cortisoltabletten gegeben werden.
Bei allen zusätzlichen Erkrankungen, wie Infektionen, Operationen
(z.B. Blinddarm) oder Unfällen muss die Cortisoldosis kurzfristig um
das 2-3 fache gesteigert werden.
Bei Fieber über 39° muss die Cortisoldosis prinzipiell kurzfristig bis
zum Abklingen auf das Doppelte erhöht werden. Unter keinen
Umständen darf die Behandlung auch nur einen Tag ausgesetzt
werden. Lebensbedrohliche Zustände könnten die Folge sein!
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Besteht der Verdacht, dass eine Tablettendosis erbrochen wurde,
muss die Gabe wiederholt werden. Das Cortisol ist nach einer
Stunde vollständig im Blutkreislauf.
Eltern von AGSKindern müssen Ärzte, die mit dem Kind nicht voll
vertraut sind, auf diese zwingende Notwendigkeit hinweisen. In
Zweifelsfällen soll der Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufgenommen werden.
Folgende Symptome können auf eine nicht ausreichende
Dosierung hinweisen:
 Ungewöhnliche Müdigkeit und Schwäche
 Kopfschmerzen und Schwindelgefühl
 Übelkeit, Erbrechen
 Appetitlosigkeit
 Magenschmerzen
 Gewichtsverlust
 Langanhaltende Infekte
 Dunkle Pigmentierung der Haut
Folgende Symptome können auf eine zu hohe Dosis hinweisen:




Gewichtszunahme
Rundes Gesicht
Verlangsamtes Wachstum
Hoher Blutdruck
Wichtige Hinweise
Welche Impfungen sind möglich und notwendig?
Alle Impfungen können und sollen ohne weiteres vorgenommen
werden. Es ist sogar wichtig die AGS Kinder vor Kinderkrankheiten
zu schützen, da solche Krankheiten, die auch mit hohem Fieber
begleitet werden eine besondere Belastung für ihren Körper
darstellen.
AGSKinder sind nicht anfälliger für Infektionskrankheiten als andere
Kinder. Übermässige Schutzvorkehrungen vor Ansteckungen sind
daher nicht notwendig. Allerdings kann es bei Kindern mit AGS
durch die Störung des Hormonhaushalts leichter zu Komplikationen
kommen, insbesondere wenn die Cortisoldosis nicht erhöht worden
ist. Vor den Impfungen muss die Cortisoldosis nicht erhöht werden.
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Darf man mit einem AGS-Kind ins Ausland reisen?
Es bestehen grundsätzlich keine Bedenken,
mit AGS-Kindern ins Ausland zu fahren.
Informieren Sie sich aber bitte vor Antritt
Ihrer Reise, welcher Arzt des betreffenden
Landes über die Krankheit Ihres Kindes
Bescheid weiss. Der behandelnde Arzt an
der Kinderklinik wird Ihnen sicher bei dieser
Frage behilflich sein.
Weiter besteht die Möglichkeit für eine Reise ins Ausland vom behandelnden Endokrinologen ein Rezept für das Injektionspräparat
Solu-Cortef 100mg anzufordern.
Jeder Patient mit einem AGS sollte eine entsprechende SOSKapsel oder einen Notfallausweis, der Diagnose und laufende Therapie ausweist, immer mit sich führen und die wichtigsten Kontaktpersonen müssen wissen, dass es diesen Ausweis gibt.
AGSMädchen
Welche Operationen sind bei AGSMädchen zur Behebung der
Genitalveränderungen notwendig?
Mädchen mit AGS zeigen, in unterschiedlichem Ausmass, eine
Vergrösserung der Klitoris, welche in schweren Fällen wie ein Penis
aussehen kann. Ausserdem sind oft Veränderungen am Scheideneingang zu beobachten.
Unter Umständen können Scheide und Harnröhre ineinander
übergehen und in einem gemeinsamen Gang nach aussen
münden.
Einteilung nach Prader 1-5
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Einteilung
Erscheinungsform
PRADER I
Leichte Vergrösserung der Klitoris
Ausgeprägte Vergrösserung der
Klitoris in Penisgrösse
Nicht getrennter Scheiden- und
Blasengang
Zusammenwachsen der grossen
Schamlippen (ähnlich einem
Hodensack), Ausmündung des
Blasenausgangs unterhalb der
Klitoris, Klitoris nach unten gebogen
Ausbildung einer Harnröhre die in die
Klitoris mündet, die
zusammengewachsenen grossen
Schamlippen bilden einen Hodensack
PRADER II
PRADER III
PRADER IV
PRADER V
Die Praderstadien können auch fliessend auftreten und Operationen auch
bereits bei Praderstufe 2 erforderlich machen.
Wann erfolgen die notwendigen Operationen?
Bisher wurde eine erste Operation im ersten Lebensjahr empfohlen,
da die Operation zu diesem Zeitpunkt technisch einfacher durchzuführen ist und die psychologischen Auswirkungen wahrscheinlich
geringer sind als zu einem späteren Zeitpunkt.
Diese Empfehlung, sowie alle unten genannten, werden kontrovers
diskutiert (vergleiche Stellungnahme der Ethikkommission in
www.ags-initiative.ch / aktuell) Vorteile einer frühen Operation sind:
Verwandte und Babysitter, die das Kind nackt sehen, werden nicht
verunsichert und das Kind fällt unter Gleichaltrigen, z.B. beim
Baden, nicht auf.
Eine Durchführung operativer Maßnahmen zwischen dem zwölften
Lebensmonat und der Pubertät ist nicht ratsam.
Eine vergrösserte Klitoris (Prader I+II) wird heute meist nicht mehr
operiert. Die in der Tiefe liegende Mündung der Scheide kann durch
eine sogenannte Vaginaleingangsplastik freigelegt werden, damit
später Geschlechtsverkehrt möglich ist.
Bei einigen Mädchen wurde in der Vergangenheit von Zeit zu Zeit in
Kurznarkose untersucht, ob der geschaffene Scheideneingang angemessen mitwächst. Eine gut verstandene und gewünschte
Dehnungsbehandlung kann nach Pubertätsbeginn erfolgen. Oder
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gegebenenfalls wird eine operative Korrektur auf Wunsch der AGSPatientin im Pubertätsalter durchgeführt.
Bei AGSJungen sind keine Operationen notwendig, da ja die
Genitalentwicklung geschlechtstypisch verläuft, trotz Gendefekt.
Vorgeburtlichen Diagnostik und Therapie
Vorgeburtlichen Diagnostik und Therapie beim Adrenogenitalen Syndrom
Wird eine Pränataldiagnostik und Therapie gewünscht, sollte
grundsätzlich schon vor einer Schwangerschaft von Eltern, die
bereits ein AGSKind haben die Überträgerschaft genetisch
abgeklärt sein.
Eine genetische Abklärung kann sinnvoll sein bei:




Eltern, die bereits ein Kind mit AGS haben
Frauen/Männern, die selbst AGS haben und ihren Partnern
(Träger-Suche)
Geschwistern von AGS-Patienten und ihren Partnern
Geschwistern von betroffenen Eltern (Trägern)
Die Überträgerschaft muss vorab genetisch gesichert sein. Hat die
betroffene Frau z. B. ein nicht-klassisches AGS und der Partner ist
gesund, dann kommt überhaupt keine pränatale Diagnostik oder
Therapie in Frage.
Jede genetische Untersuchung braucht eine gute Aufklärung!
Man sollte bei Kinderwunsch, die genetische Untersuchung in Ruhe
und ohne Zeitdruck lange vor einer geplanten Schwangerschaft
durchführen lassen. Eine rechtzeitige Beratung durch einen
Humangenetiker ist wichtig, um den Zeitablauf und die Vorgehensweise der pränatalen Diagnostik und Therapie zu koordinieren.
Beim Genetiker, Hausarzt oder Kinderendokrinologen, der das
erste AGSKind betreut, oder beim Frauenarzt, der die
Schwangerschaft begleiten wird, sollte man Blut abnehmen lassen
zur DNA-Analyse. Die Blutprobe sollte an ein erfahrenes Molekulargenetisches Labor mit Spezialisierung auf AGS geschickt
werden, da die Genanalyse nicht banal ist und auch in erfahrenen
Händen mit ca. 5% falsch-negativen Resultaten gerechnet werden
-21-
-22-
muss. Glücklicherweise sind positive Resultate, d.h. der Nachweis
eines Defektes immer zu 100% verlässlich
Sind beide Elternteile „Überträger“ (z.B. Eltern, die schon ein Kind
mit AGS haben oder Geschwister von AGS-Patienten, die Träger
sind und einen Partner haben, der auch Träger ist), so ist die
Wahrscheinlichkeit bei jeder Schwangerschaft 25%, dass das Kind
AGS hat (autosomal rezessiver Erbgang).
Hat die werdende Mutter selbst AGS und ihr Mann ist Träger (oder
umgekehrt), so ist die Wahrscheinlichkeit ein Kind mit AGS zu
bekommen bei jeder Schwangerschaft 50%.
Das Medikament Dexamethason ist ein
Cortisonpräparat, das über die Plazenta in
den Körper des Kindes gelangt. AGSPatientinnen, die bis zur Schwangerschaft
auf Hydrocortison eingestellt waren,
müssen in der Schwangerschaft auf
Dexamethason umgestellt werden, wenn
Sie ein erhöhtes Risiko für ein eigenes
AGSKind haben und eine Pränataltherapie
anstrebt.
Beginnt die Therapie zu spät, also nach
der embryonalen Differenzierung des äusseren Genitals, bzw. nach
der 6. Schwangerschaftswoche oder erst wenn die vorgeburtliche
Diagnostik des Kindes abgeschlossen ist, ist eine Therapie nicht
mehr angezeigt, weil dann die eventuelle Virilisierung des
Mädchens bereits ihren Höhepunkt überschritten hat ist.
Therapiegrund
Die pränatale Therapie beim Adrenogenitalem Syndrom hat das
Ziel, beim ungeborenen Mädchen mit AGS, die Vermännlichung
des äusserlichen Genitale während der Schwangerschaft zu
verhindern und den Mädchen spätere aufwendige GenitalkorrekturOperation zu ersparen.
Somit ist die vorgeburtliche Therapie für Eltern eine mögliche
Option.
Wird dem Kind in diesem Zeitraum Dexamethason via die Mutter
zugeführt (über die Plazenta), kann die kindliche Nebenniere ruhig
gestellt und eine Vermännlichung bei einem Mädchen verringert
und manchmal vollständig verhindert werden. Wird dies versäumt,
ist häufig eine chirurgische Genitalkorrektur bei diesen Mädchen
nach der Geburt notwendig. Man kann also mit einer
vorgeburtlichen Therapie AGSMädchen behandeln.
Vorgeburtliche Therapie
Aber: Die vorgeburtliche Therapie mit Dexamethason gilt betreffend
der Nebenwirkungen heute noch als „nicht wissenschaftlich“
vollständig gesichert, da noch nicht alle möglichen Nebenwirkungen
für Mutter und Kind auf Langzeit studiert sind. Entsprechende
Studien laufen immer noch.
Entscheidet man sich zur Therapie, so muss so früh wie möglich
begonnen werden. Das heisst, sofort nach Bekanntwerden der
Schwangerschaft in der 5. – 6. Schwangerschaftswoche.
Wichtig!
Der Informationsaustausch und eine enge Zusammenarbeit
zwischen den Eltern und allen beteiligten Ärzten (Gynäkologe,
Hausarzt, Pädiatrischer Endokrinologie, Humangenetiker) sind
wichtig, um den Erfolg der Therapie zu sichern.
Die Vorgehensweise
Weiss eine Frau mit dem Risiko ein AGSKind zu bekommen, dass
sie schwanger ist und hat den Wunsch, nach eingehenden
Überlegungen und Gesprächen mit Fachärzten, nach der Pränataltherapie, könnte sie auf Dexamethason eingestellt werden.
Ab der 7. Schwangerschaftswoche kann dann mittel spezieller
Blutuntersuchung bei der Mutter das Geschlecht des Kindes
ermittelt werden („fetal Sexing“). Innerhalb von Tagen kann dann
bei Nachweis eines männlichen Feten die Dexamethason Therapie
wieder abgesetzt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist dieser Bluttest
noch kein routinemässiger Untersuch und soll unbedingt unter
Aufsicht von Spezialisten ausgeführt werden!
-23-
Ab der 10. Schwangerschaftswoche (Gewebeentnahme aus der
Plazenta), sollten dann kindliche Zellen via Chorionzottenbiopsie
oder
ab der 14. Schwangerschaftswoche via Amniozentese (Fruchtwasserpunktion) entnommen und genetisch untersucht werden.
Aufgrund der früheren Diagnosestellung wird die Chorionzottenbiopsie eher empfohlen.


Ist das Kind ein Mädchen mit klassischem AGS, wird die
Dexamethasontherapie bis zum Ende der Schwangerschaft
fortgesetzt. Nach der Geburt muss das Mädchen natürlich
weiterbehandelt werden mit Florinef und Hydrocortison.
Ist das Kind ein Mädchen ohne AGS oder mit einer nichtklassischen AGS-Form kann die Dexamethason Therapie
beendet werden.
Vorsicht: Ausschleichen der Medikamentengabe!

Ist das Kind ein Junge, (egal ob mit oder ohne AGS) kann
die Therapie abgebrochen werden.

Sollte der Junge eine klassische AGS-Form haben, muss
das Kind nach der Geburt und nach der Diagnosesicherung
sofort mit Florinef und Hydrocortone behandelt werden um
eine lebensbedrohliche Salzverlustkrise zu verhindern.
Therapiekontrolle während der Schwangerschaft
Beim Therapiebeginn und dann im Abstand von 4 Wochen sollte bis
zum Termin die Bestimmung von Cortisol (zum Nachweis der
Unterdrückung der mütterlichen Nebennierenrinde) sowie Östradiol
(zum Nachweis der Unterdrückung der fötalen Nebennierenrinde)
im Serum der Mutter durchgeführt werden.
Die Schwangerschaft gilt als Risikoschwangerschaft und sollte
entsprechend überwacht werden.
Die Schwangere sollte vorteilhaft in einer grossen Frauenklinik
durch eine Fachperson mit Kenntnissen in Pränatalmedizin /
gynäkologischer Endokrinologie betreut werden.
-24-
Medizinische Unterstützung
Abschliessend ist zu erwähnen, dass die Erfahrungen jeder neuen
AGS-Risikoschwangerschaft und die Dokumentation des klinischen
Verlaufs der pränatalen Therapie unabdingbare Voraussetzungen
für den Erfolg der Behandlung sind.
Es ist also für alle Beteiligten, sowohl für die Mütter, als auch für die
betreuenden Frauenärzte wichtig, sich über die Zeiträume und
Vorgehensweisen zur vorgeburtlichen Therapie beim AGS intensiv
zu informieren.
Inselspitals; Prof. Dr. med. P. Mullis „ Pränatale Diagnostik und Therapie der klassischen Form des Adrenogenitalen
Syndroms (AGS) bei CYP21A2 Gendefekt (21-Hydroxylasemangel“) erschien in PAEDIATRICA Vol. 21, No. 1, 2010
AGSKnaben
TART (testikuläre adrenale Resttumore)
Männliche AGS-Patienten entziehen sich öfter im Erwachsenenalter
den Nachsorge-Untersuchungen. Das fiel früher auch nicht weiter
auf, da die Steroide-Substitution meist nach Abschluss des
Längenwachstums und der Pubertät beendet wurde.
Da TART, wenn auch selten, bereits im Kleinkindalter auch bei
guter Behandlung nachgewiesen werden konnte, scheint bereits
eine geringe und nur zeitweise schlechte Einstellung ein Wachstum
der nebennierenartigen Zellen im Hoden zu fördern. Unter
Umständen spielen erhöhte ACTH-Konzentrationen bereits im
Mutterleib eine ganz entscheidende Rolle bei der Entwicklung von
TART.
Aufgrund der zentralen Lage der Tumoren im Hoden kann man sie
in der Regel nicht tasten.
Die meisten TART werden daher in der klinischen Routineuntersuchung ohne zusätzliche Hodenultraschalluntersuchung übersehen. Im Ultraschall, hingegen, lassen sich die Tumore zuverlässig
nachweisen.
Man geht davon aus, dass TART aus entwicklungsgeschichtlich
versprengtem Nebennierengewebe entstehen, das mit den Hoden
mit gewandert ist.
TART sind immer gutartig. Problematisch ist jedoch, dass sie
mittels Bildgebung nicht von Leydigzell-Tumoren der Hoden zu
unterscheiden sind, die in etwa 10% bösartig sind und klare
Massnahmen (Operation) erfordern.
-25-
Leydig-Zellen sind ein Zelltyp im Hoden. Sie sind nach ihrem
Entdecker Franz von Leydig benannt.
Die Leydig - Zellen produzieren Testosteron, das die Spermienproduktion stimuliert. Sie besitzen einen runden Zellkern, einen
Zellleib, umschließen Blutkapillaren und enthalten als Abfallprodukte die sogenannten Reinke-Kristalle.
Die Ähnlichkeit mit Nebennierengewebe wird auch dadurch
deutlich, dass TART sich durch eine Therapie mit dem
Cortisonpräparat „Dexamethason“ verkleinern lassen und zum Teil
sogar ganz verschwinden können. Man geht davon aus, dass vor
allem erhöhte ACTH-Konzentrationen aus der Hirnanhangdrüse die
Tumore zum Wachstum anregen.
Bei TART sollte keine operative Entfernung der Hoden
stattfinden.
Selbst eine hodenerhaltende Tumorentfernung führt weder zu einer
Normalisierung der Hormonwerte noch einer Verbesserung des
Spermienanzahl und -qualität.
Eine Operation ist daher aktuell nur bei sehr grossen Tumoren, die
Beschwerden verursachen, empfohlen.

TART können ein Problem bei Männern mit AGS sein

TART sind ein klinisch wichtiges Problem, da sie unfruchtbar
machen können

TART sind immer gutartig und sollten daher primär nicht
operiert werden
Teilauszug aus Frau Dr. Nicole Reisch, adaptiert nach medreport „The adult man with CAH – an unrecognized problem oder
Männer mit AGS – das vernachlässigte Geschlecht“ zum 53. Symposion der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und
der Jahrestagung der Slowakischen Gesellschaft für Endokrinologie (SES) 2010 in Leipzig
Lebensqualität / Psychologische Betreuung
Wie wird sich mein Kind unter der Therapie körperlich
entwickeln?
Grösse
Durch frühzeitige Cortisolbehandlung kann die beschleunigte Knochenreifung wirksam aufgehalten werden. Das ohne Therapie sehr
-26-
starke Wachstum kehrt zum normalen Tempo zurück. AGSKinder
werden daher als Erwachsene eine Körpergrösse erreichen, die im
Allgemeinen im unteren Bereich der Normalgrösse liegt.
Pubertät
Die Geschlechtsreifung kann unter Umständen etwas früher als bei
gesunden Kindern einsetzen. Die Pubertät verläuft normal und führt
zu einer echten Reifung der Keimdrüsen. Mädchen werden regelmässige Monatsblutungen bekommen, solange die Cortisolbehandlung fortgeführt wird.
Aussehen
Abgesehen von Veränderungen am Genitale wird kein Aussenstehender bei einem frühzeitig behandelten AGS-Patienten die hormonelle Störung erkennen. Gut eingestellte AGSMädchen unterscheiden sich in Figur, Brustentwicklung und Körperbehaarung
nicht wesentlich von gesunden Gleichaltrigen.
Fruchtbarkeit
AGS-Patienten können als Erwachsene Kinder bekommen.
Behandelte AGSJungs werden zeugungsfähig sein, sofern sie
keinen TART haben Bei erwachsenen AGS-Patientinnen sind
zahlreiche gut verlaufene Schwangerschaften bekannt. Allerdings
ist mit einer grösseren Neigung zu Fehlgeburten und einer
geringeren Empfängniswahrscheinlichkeit zu rechnen, vor allem bei
ungenügender Medikamenten Einstellung. Eine bestmögliche
Einstellung der Hormonbehandlung ist für eine normale Schwangerschaft Voraussetzung.
Empfängnisverhütung
Zur Empfängnisverhütung kommen bei AGS-Frauen alle üblichen
Methoden in Betracht. Die Minipille führt manchmal zu verstärkten
Blutungsunregelmässigkeiten. Zwei-Phasen-Pillen (Sequenzpillen)
regulieren dagegen die Monatsblutungen.
Ehe
Es bestehen absolut keine Einwände gegen eine Eheschliessung
eines AGS-Patienten. Wünscht sich das Paar Kinder, kann sich der
Partner untersuchen lassen, ob er nicht Träger eines AGS-Gens
ist. In diesem Fall würden Kinder dieses Paares mit 50%
Wahrscheinlichkeit an AGS leiden, mit 50% Wahrscheinlichkeit
wären sie AGS-Gen-Träger, jedoch gesund. Eine vorgeburtliche
-27-
-28-
Diagnose des AGS wäre möglich.
Ist der Partner des AGS-Patienten jedoch kein AGS-Gen-Träger, so
werden die Kinder des Paares mit Sicherheit gesund sein, aber alle
ein AGS-Gen besitzen. Sie können also die Anlage zu dieser
Krankheit mit ihren Chromosomen auf spätere Generationen
übertragen.
Aber nicht nur bewusste Erziehungseinflüsse fördern die Ausprägung bestimmter Verhaltenszüge und Talente, sondern auch
unbewusste. Wie Sie sicher schon bemerkt haben, ahmen Kinder
häufig Eltern, Geschwister, Spielkameraden oder andere Personen
nach. Da sagt man dann beispielsweise „ganz der Vater“!
Umwelteinflüsse sind auch ganz wesentlich bei der Ausformung der
Verhaltungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen beteiligt.
Welche Folgen hat AGS für die psychische Entwicklung
meines Kindes?
AGS hat keinen negativen Einfluss auf die geistigen Fähigkeiten
Ihres Kindes.
Bei später oder ungenügender Behandlung können AGS-Kinder
körperlich ihren Altersgenossen etwas voraus sein und werden erst
im Laufe der Pubertät von Ihnen eingeholt. Die Intelligenzentwicklung ist davon nicht betroffen. Im Bereich der geistigen
Fähigkeiten kommt es zu keiner beschleunigten Entwicklung und
auch nicht zu einem frühen Stillstand. Die Intelligenzentwicklung
verläuft nicht parallel zum körperlichen Wachstum, sondern
entspricht dem Lebensalter. Die Schulleistungen entsprechen
denen in der Familie üblichen. Die Eltern sollten sich von Anfang an
intensiv mit der Diagnose ihres Kindes auseinandersetzen. Um
Ihnen dies zu erleichtern, ist häufig eine ärztliche und / oder
psychologische Unterstützung notwendig oder sinnvoll. Nur so
können die Eltern altersgemäss und offen mit ihrem Kind über die
Besonderheit der Erkrankung sprechen und die gesunde
psychische Entwicklung ihres Kindes unterstützen.
Welchen Einfluss haben
menschliche Verhalten?
Geschlechtshormone
auf
das
Diese schwierige Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Zur
Erklärung nur folgendes:
Menschen wie Tiere werden Anlagen und auch komplexe Verhaltensmuster vererbt. Während jedoch selbst höhere Säugetiere nur in
sehr geringem Ausmass von Umweltreizen beeinflussbar sind,
spielen beim Menschen die nachgeburtlichen Erziehungseinflüsse
die entscheidende Rolle bei der Ausbildung der Persönlichkeit.
Anlagen, die das Kind geerbt hat, bedürfen der Ausformung und
Lenkung durch die Umwelt, damit sie sich entfalten können.
Das bedeutet natürlich nicht, dass keine angeborenen psychischen
Unterschiede zwischen den Geschlechtern vorhanden wären.
Einige gibt es schon. Aber selbst diese angeborenen geschlechtsspezifischen Unterschiede sind nicht absolut zu sehen. Nicht jeder
Junge ist z.B. aggressiver als jedes Mädchen. Es gibt einen weiten
Bogen des „normalen“ Verhaltens für Mädchen, der sich in einem
grossen Teil mit dem Verhaltensbereich für Jungen überschneidet.
Was bedeutet das für Sie als Eltern eines AGSKindes?
Es ist ungeklärt, inwieweit sich das überschüssige männliche Geschlechtshormon auf die Psyche des ungeborenen Kindes auswirkt,
ob sich einige Verhaltenszüge auf die hormonelle Beeinflussung
zurückführen lassen können.
An dieser Stelle möchten wir Ihnen kurz die Ergebnisse einer
amerikanischen und deutschen Studie von
Erhardt, A.A.; Baker, S.W. Males and females with congenital adrenal hyperplasia:
A family study of intelligence and gender related behaviour In: Lee, P.A.; Plotwick,
L.P.; Korworski, A.A.; Migeon, C.J. (Eds.): Congenital Adrenal Hyperplasia
Iniversity Park Press, Baltimore: 447-461 (1977)
Dittmann R. W. Pränatal wirksame Hormone und Verhaltensmerkmale von
Patientinnen mit den beiden klassischen Varianten des 21-Hydroxylase-Defektes
(1988)
zu diesem Thema berichten.
In der Studie wurde das Verhalten der betroffenen Mädchen mit
dem der gesunden Mütter und Schwestern verglichen.
AGSMädchen unterschieden sich in dieser psychologischen
Untersuchung nur in wenigen Punkten von ihren Familienangehörigen:
Sie wurden öfter und länger als Wildfang bezeichnet, sie spielten
lieber mit Jungen, hatten weniger Interesse am Puppenspiel und
am Babysittung, Äusseres, Kleidung, Haartracht und Schmuck,
wurden weniger beachtet.
-29-
Jedoch waren die Patientinnen klar mit ihrem weiblichen Geschlecht identifiziert, ihr Verhalten wurde von der Umwelt nicht als
abnormal bezeichnet, sie zeigten vielmehr ein Wildfangverhalten,
das dem gesunden Mädchen nicht unähnlich ist, nur bei AGS
bedeutend häufiger auftritt.
Die unter Umständen (nicht bei allen Kindern) zu beobachtenden
Verhaltensunterschiede zu gesunden Gleichaltrigen sind also auf
keinen Fall so stark, dass die Kinder in einer Gruppe auffallen
würden.
Manche Eltern werden an dieser Stelle einwerfen:
„Aber ich sehe doch, dass meine Tochter aggressiver als ihre
Freundinnen ist!“
Wir möchten dazu sagen: es ist verständlich, dass Eltern eines
AGSMädchens ihr Kind genau auf etwaige „männliche“ Eigenschaften hin beobachten und sehr betroffen sind, wenn sie glauben,
wieder eine solche entdeckt zu haben. Man sollte sich aber
vielleicht bemühen, nicht nur die „jungenhaften“ Züge des Kindes
zu registrieren, sondern auch die „mädchenhaften“. Umgekehrt
sollte man bei den gesunden Spielkameradinnen der Töchter nicht
nur deren grössere „Weiblichkeit“ beachten, sondern auch deren
Wildheit.
Falls Ihre Tochter ein lebhaftes und vitales Temperament hat,
möchten wir Ihnen davon abraten, sie auf Zurückhaltung und
Sanftheit zu trimmen. Respektieren Sie das Temperament Ihres
Kindes. Bedenken Sie, dass es schwierig ist, Energien und einen
starken Willen zu unterdrücken. Solche Versuche können dazu
führen, dass das Kind seine Eigenschaften erst recht verstärkt oder
sie ganz verleugnet. Nichts davon nützt ihm. Helfen Sie Ihrer
Tochter, ihre eigenen Interessen und Fähigkeiten zu entwickeln.
Freuen Sie sich, wenn sie lebhaft und voller Energien ist. Halten Sie
ihr nicht das Beispiel eines ruhigen und passiven Mädchens vor,
das sie nie sein wird.
Dann gewinnt Ihre Tochter an Sicherheit und entwickelt Stolz
darauf, ein Mädchen zu sein.
Sie sollten sich die Freude an Ihrem Kind nicht durch übermässige
Sorgen um eine „männliche“ Entwicklung beeinträchtigen lassen.
Auch wenn Ihre Tochter in ihrem Verhalten etwas anders sein sollte
als viele Gleichaltrige, so gibt es doch genügend andere Mädchen,
die ähnliches Verhalten zeigen.
-30-
Was soll man dem Kind über seine Krankheit erzählen?
Ein grosses Problem ist für viele Eltern die Frage, wann und wie viel
soll ich meinem Kind von seiner Krankheit erzählen. Für Eltern von
AGSMädchen ist natürlich die Schwierigkeit wesentlich grösser als
für Eltern von AGSJungen.
Eine Aufklärung zu diesem Thema kann nur Stück für Stück erfolgen. Mit einem einmaligen Gespräch über dieses Gebiet ist die
Sache nicht abgehandelt. Um vor unvorgesehenen Ereignissen
geschützt zu sein, sollte das Kind immer so viel Information erhalten, wie es gerade verstehen kann. Grundsätzlich ist es wichtig, alle
Fragen immer offen zu beantworten. Was genau man dem
einzelnen Kind erzählen soll, was es schon verstehen kann, ist natürlich individuell verschieden.
Sollte bei Mädchen mit AGS doch einmal Unsicherheit über ihre
Geschlechtszugehörigkeit aufkommen braucht man im Grunde nur
die Hintergründe mit Hilfe des behandelnden ärztlichen Teams zu
besprechen.
Im Vordergrund eines Gesprächs sollte immer die Störung der
Nebennierenfunktion stehen, nicht die daraus resultierende Genitalfehlbildung.
So empfehlenswert es ist, der nahen Umgebung nur beschränkt
über die Erkrankung des Mädchens zu erzählen (Nebenniereninsuffizienz!), so wichtig ist es, dass das Kind selbst genau darüber
Bescheid weiss.
Vielleicht finden Sie in diesem Büchlein Hinweise, wie Sie Ihrer
Tochter ihre Krankheit erklären können. Im Übrigen ist das DSDTeam in den Kinderspitäler gerne bereit, Sie persönlich zu beraten
und eventuell auftretende Fragen Ihnen und Ihrem Kind / Jugendlichen zu beantworten.
-31-
Empfohlene Link
-32-
www.glandula-online.de
Netzwerk Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen
www.netzwerk-dsd.de
Forum für Ärzte und Patienten mit Informationen über angeborene
Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung (Disorders of Sex
Development - DSD)
www.neoscreening.ch
Informationsseite über das Neugeborenenscreening vom Kinderspital Zürich
www.ags-initiative.ch
Homepage der AGS-Eltern- und Patienteninitiative in der Schweiz
www.ags-initiative.de
Homepage der AGS-Eltern- und Patienteninitiative in Deutschland
www.krankheiten.ch
Informationsseiten über die wichtigsten Krankheiten
www.sprechzimmer.ch
Internetportal für Gesundheit und Medizin
-33-
-34-
Lexikon der medizinischen Ausdrücke
AGS
Adrenogenitales
Syndrom
ACTH
Adreno
Adipositas
Aldosteron
Amenorrhö
Androgene
Aromatase
Autosomal rezessiv
Bougie / bougieren
Cortisol
Dexamethason
DHEAS Dehydroepiandrosteronsulfat
Endokrinologie
ist ein Enzymdefekt bewirkt, dass nicht
ausreichend Cortisol produziert werden
kann. Dadurch fallen vermehrt Vorstufen
des Cortisols an, diese sind meist androgen
wirksam
Abk. für adrenocorticotropic Hormone =
Kortikotropin. Hormon, das im
Vorderlappen der Hirnanhangsdrüse
gebildet wird. Und die Funktion der
Nebennierenrinde reguliert
bei der Niere
Übergewicht
Den Mineralstoffwechsel regelndes Hormon
der Nebenniere
Ausbleiben der Blutung
Überbegriffe für männliche Hormone(z.B.
Testosteron)
Enzym, dass die Umwandlung von
Androgenen in Östrogen vermittelt
Autosom: Bezeichnung eines
Chromosoms, das nicht an der
Geschlechtsbestimmung beteiligt ist.
Rezessiv: nicht in Erscheinung tretend,
verdeckt
eine Dehnsonde zur Erweiterung enger
Körperkanäle / bougieren mit einer Bougie
behandeln
ist ein Glukokortikoid der Nebennierenrinde
ist ein Cortison-Präparat. Es wird in sehr
niedrigen Dosierungen zur Behandlung von
erhöhten männlichen Hormonen eingesetzt
ist ein Androgen, welches hauptsächlich in
der Nebennierenrinde gebildet wird
ist die Lehre von den Drüsen mit innerer
Sekretion, ihrer Funktion und ihren
Hormonen
Enzyme
In der lebenden Zelle gebildete organische
Verbindung, die als Katalysator die
Stoffwechselvorgänge im Organismus
entscheidend beeinflussen
Fruchtbarkeit (von fero = ich trage; gebäre); also
ursprünglich die Fähigkeit, eine Schwangerschaft
Fertilität
auszutragen. Heute allgemein: Fähigkeit zur
Reproduktion (= Fortpflanzung)
Follikelstimulierendes Hormon. Ein Hormon der
Hypophyse, welches die Eizellreifung am
FSH
Eierstock bewirkt. (gebildet in der
Hirnanhangsdrüse)
Zu den Geschlechtsorganen gehörende. Zur
Genital
Erzeugung, zur Hervorbringung oder zur Geburt
gehörend
Wirkstoff der Nebennierenrinde, der regelnd in
Glukokortikoid
den Zuckerhaushalt des Körper eingreift
Hormone der Hirnanhangsdrüse, welche die
Funktion der Eierstöcke regulieren (Eizellreifung
Gonadotropine
und Eisprung). Es gibt zwei Gonadotropine: LH
und FSH
Hormone der Hirnanhangsdrüse, welche die
Funktion der Eierstöcke regulieren (Eizellreifung
Gonadotropine
und Eisprung). Es gibt zwei Gonadotropine: LH
und FSH
Hirsutismus
Hormon
Vermehrte Behaarung, an für Frauen unüblichen
Stellen (Bauch, Brust, Kinn). Meist bedingt durch
erhöhte männliche Hormone
Ein Botenstoff, welcher von einem
hormonproduzierenden Organ gebildet wird und
meist über die Blutbahn das Zielorgan erreicht (z.
B. Hirnanhangsdrüse -Ovar). Östrogen ist
bekanntes Beispiel
-35-
Hyperandrogenämie
Hypertonie
Hypertrophie
Hypophyse
Hypothalamus
Infertilität
Intrauterine
Virilisierung
Müllersche Gänge
Mutation
Nebennierenrinde
Östrogen
erhöhte Blutspiegel männlicher Hormone
Bluthochdruck
Übermässige Grössenzunahme von
Geweben oder Organen infolge
Vergrösserung der einzelnen Zellen
Hirnanhangsdrüse
Sitz mehrerer vegetativer
Regulationszentren
bedeutet Unfruchtbarkeit. Meint
medizinisch gesehen aber die Unfähigkeit,
ein lebendes Kind zu bekommen trotz der
Fähigkeit, schwanger zu werden
(habituelle Aborte)
Intrauterin: Innerhalb der Gebärmutter
erfolgend
Virilisierung: Vermännlichung der Frau
Paarig angelegte Organe, aus denen sich
in der embryonalen Entwicklung des
Mädchens die Eileiter und die Gebärmutter
entwickelt
Veränderung in der Erbinformation
der Produktionsort wichtiger Hormone für
den Stoffwechsel (Glucocorticoide wie
Cortisol) und Mineralhaushalt
(Mineralcorticoide wie Aldosteron) des
Körpers. Bildet außerdem Androgenvorstufen
(Östrogen) vereinfacht: weibliche Hormone.
es gibt zwar keine "weiblichen" und
"männlichen" Hormone, aber Östrogene
sind bei der Frau in sehr viel höheren
Blutspiegeln vorhanden. Das bekannteste
Östrogen ist das Östradiol, welches
ausschließlich von den Granulosazellen im
reifenden Eibläschen gebildet wird
-36
PCOSyndrom
primäre
Amenorrhö
Progesteron
Pränatal
Screening
sinus
urogenitalis
Syndrom
Testosteron
Virilisierung
Polycystische Ovarien. Polyzystische heißt "viele
Zysten". Das Bild ist geprägt durch viele kleine
Follikel, welche jedoch nicht heranreifen. Meist im
Zusammenhang mit einer Hyperandrogenämie
ergibt sich dadurch ein Ausbleiben des Eisprungs.
Oft auch verbunden mit Übergewicht und/oder
Zuckerstoffwechselstörungen
Frauen, die noch nie eine Blutung hatten, haben
eine primäre Amenorrhö
Hormon, das die Schwangerschaftsvorgänge
reguliert.
vor der Geburt, der Geburt vorausgehend
Reihenuntersuchung einer Bevölkerungsgruppe zur
Entdeckung von Erbkrankheiten mittels einfacher,
nicht belastender Diagnosemethode
gemeinsame Ausführung beider Strukturen
(Harnröhre / Scheide)
Gruppe von gleichzeitig auftretenden
Krankheitszeichen
bekanntestes "männliches" Hormon. Wird im
Hoden gebildet. Es wird aber auch im Eierstock,
der Haut und der Nebenniere gebildet
Vermännlichung (abnorm bei Frauen; normal bei
Knaben in der Pubertät
Dank der Verfasserin
Die Entstehung dieses Büchleins und seine Fertigstellung wären
ohne die Hilfe der folgenden Personen nicht möglich gewesen:
Prof. Dr. med. D. Knorr, † Januar 2012 in München und
seine damaligen Mitarbeiter der Kinderklinik der Universität
München,
alle Ärzte die bei der Entstehung meiner Homepage
www.ags-initiative.ch und mit Beratungen bei der Patientenbroschüre mitgeholfen haben, wie
Dr. med. Christa Flück, Bern, Dr. med. D. L’Allemand,
St. Gallen, Frau C. Friedrich, St. Gallen, DSD-Team des
KISPI Zürich, Dr. med. E. Christ, Bern,
sowie viele Freunde und Bekannte, die mit Ihren zahlreichen
Anregung zur Gestaltung dieser Patientenbroschüre
beigetragen haben.
Ihnen Allen danke ich herzlich.
Dieses Büchlein ist meiner einstigen Ärztin aus dem Kinderspital
Zürich, Frau Dr. med. Gertrud Knorr- Mürset gewidmet.
Bülach im April 2014
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