12 Komplexe Zahlen

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Komplexe Zahlen
Wir fassen R als Teilmenge von R2 auf vermöge der Identifizierung
R={(x,
˜
0); x ∈ R} ⊂ R2
und setzen die Addition und Multiplikation von R fort zu Verknüpfungen
+
: R2 × R2 → R2 , (x, y) + (x0 , y 0 )
=
(x + x0 , y + y 0 ),
·
: R2 × R2 → R2 , (x, y) · (x0 , y 0 )
=
(xx0 − yy 0 , xy 0 + yx0 ).
Man prüft leicht nach, dass (R2 , +, ·) ein Körper ist, das heißt die Verknüpfungen + und · sind assoziativ,
kommutativ, distributiv und (R2 , +), (R2 \ {(0, 0)}, ·) haben neutrale Elemente und Inverse im Sinne von
Definition 2.1. Man nennt (R2 , +, ·) den Körper C der komplexen Zahlen.
Schreibt man x statt (x, 0) und i statt (0, 1), so gilt für alle x, y, x0 , y 0 ∈ R
(1) i2 = (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0) = −1,
(2) (x, y) = (x, 0) + (0, y) = x + (0, 1)(y, 0) = x + iy,
(3) (x + iy)(x0 + iy 0 ) = (xx0 − yy 0 , xy 0 + yx0 ) = (xx0 − yy 0 ) + i(xy 0 + yx0 ),
(4)
1
x+iy
=
x−iy
(x+iy)(x−iy)
=
x−iy
x2 +y 2
=
x
x2 +y 2
y
− i x2 +y
2 für (x, y) 6= (0, 0).
Definition 12.1. Für z = x + iy (x, y ∈ R) definiert man
Re z = x
(Realteil von z),
Im z = y
(Imaginärteil von z),
z = x − iy
p
|z| = x2 + y 2
(Komplex konjugierte Zahl zu z),
(Absolutbetrag von z).
Lemma 12.2. Für z, z1 , z2 ∈ C gilt
(a) zz = |z|2 , |z| = |z|, |z1 z2 | = |z1 ||z2 |, z1 =
(b) z1 + z2 = z 1 + z 2 , z1 z2 = z 1 z 2 ,
(c) Re z =
z+z
2 ,
Im z =
1
z
1
|z|
(z 6= 0),
= z1 (z 6= 0), (z) = z,
z−z
2i .
Beweis. Alle Formeln folgen mit einfachen Rechnungen direkt aus den Definitionen.
Der komplexe Absolutbetrag hat ganz ähnliche Eigenschaften wie der reelle Absolutbetrag.
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Lemma 12.3. Für z, w ∈ C gilt
(a) |z| ≥ 0 und |z| = 0 genau dann, wenn z = 0 ist,
(b) ||z| − |w|| ≤ |z + w| ≤ |z| + |w|.
Beweis. Teil (a) ist klar. Die zweite Ungleichung in (b) folgt aus
|z + w|2
=
(z + w)(z + w) = |z|2 + |w|2 + zw + (zw)
= |z|2 + |w|2 + 2Re (zw)
≤
|z|2 + |w|2 + 2|zw| = (|z| + |w|)2 .
Die erste Ungleichung in (b) folgt wie für den reellen Absolutbetrag aus der zweiten, denn
|z| = |z + w + (−w)| ≤ |z + w| + | − w| = |z + w| + |w|
impliziert, dass |z| − |w| ≤ |z + w|. Indem man die Rollen von z und w vertauscht, erhält man, dass auch
|w| − |z| ≤ |w + z| = |z + w| gilt. Damit folgt auch die erste Ungleichung in Teil (b).
Wie in R definiert man die Konvergenz von Folgen in C mit Hilfe des Absolutbetrages.
Definition 12.4. Sei (cn )n∈N eine Folge in C und sei c ∈ C.
(a) Man nennt (cn )n∈N konvergent mit Limes c (geschrieben limn→∞ cn = c), falls für jedes > 0 ein
n0 ∈ N existiert mit |cn − c| < für alle n ≥ n0 .
(b) Die Folge (cn )n∈N heißt Cauchy-Folge, falls für jedes > 0 ein n0 ∈ N existiert mit |cn − cm | < für
alle n, m ≥ n0 .
Aus der Definition des komplexen Absolutbetrages folgt, dass
max(|Re z|, |Im z|) ≤ |z| =
p
(Re z)2 + (Im z)2 ≤ |Re z| + |Im z|
für alle z ∈ C gilt.
Satz 12.5. Für eine Folge (cn )n∈N in C und c ∈ C ist
(a) limn→∞ cn = c genau dann, wenn limn→∞ Re cn = Re c und limn→∞ Im cn = Im c gilt,
(b) (cn )n∈N eine Cauchy-Folge genau dann, wenn (Re zn )n∈N und (Im zn )n∈N Cauchy-Folgen in R sind.
Beweis. Teil (a) folgt aus der Gültigkeit der Ungleichungen
max(|Re cn − Re c|, |Im cn − Im c|) ≤ |cn − c| ≤ |Re cn − Re c| + |Im cn − Im c|.
Dieselben Abschätzungen mit cm statt c implizieren Teil (b).
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Korollar 12.6. In C ist jede Cauchy-Folge konvergent (abkürzend dafür sagt man, dass C vollständig
ist).
Beweis. Die Vollständigkeit von C folgt mit Satz 12.5 direkt aus der Vollständigkeit von R
Auch in C gelten die Grenzwertsätze für Folgen.
Satz 12.7. Seien (zn )n∈N , (wn )n∈N Folgen in C und seien z, w ∈ C komplexe Zahlen mit limn→∞ zn = z
und limn→∞ wn = w. Dann gilt:
(a) limn→∞ (zn + wn ) = z + w, limn→∞ zn wn = zw.
(b) Ist w 6= 0, so gibt es ein n0 ∈ N mit wn 6= 0 für alle n ≥ n0 und für jedes solche n0 gilt n→∞
lim wznn =
z
w.
n≥n0
Beweis. Entweder führt man alle Aussagen mit Hilfe von Satz 12.5 (a) auf die Gültigkeit der reellen
Grenzwertsätze (Satz 4.7) zurück, oder man wiederholt den Beweis von Satz 4.7 mit komplexen Absolutbeträgen statt reellen.
Genauso wie in R definiert man die Konvergenz von Reihen in C.
Definition 12.8. Sei (cn )n∈N eine Folge in C und sei c ∈ C eine komplexe Zahl.
P
P∞
P∞
N
(a) Man definiert n=0 cn =
a
und nennt n=0 cn konvergent mit Grenzwert c (geschrien=0 n
P∞
PN N ∈N
ben n=0 cn = c), falls limN →∞ n=0 cn = c ist.
(b) Die Reihe
P∞
n=0 cn
heißt absolut konvergent, wenn die Reihe
P∞
n=0
|cn | konvergiert.
Da C vollständig ist, gilt auch die komplexe Version des Cauchy-Kriteriums (vergleiche mit Satz 6.2).
Folgerung 12.9. (a) Jede absolut konvergente Reihe
P∞
n=0 |cn | (vergleiche Satz 6.5).
(b) Ist
P∞
n=0 cn
P∞
n=0 cn
P∞
in C konvergiert und | n=0 cn | ≤
eine konvergente Reihe komplexer Zahlen, so gilt limn→∞ cn = 0 (siehe Satz 6.3).
(c) Das Majorantenkriterium (Satz 6.7), das Quotientenkriterium (Satz 6.9), das Wurzelkriterium (Bemerkung 6.10 (d)), der Umordnungssatz (Satz 6.14) und der Satz über das Cauchy-Produkt absolut
konvergenter Reihen (Satz 6.15) bleiben wortwörtlich richtig einschließlich der Beweise, wenn man
überall R durch C ersetzt.
Definition 12.10. Sei D ⊂ C und sei f : D → C eine Funktion. Man nennt f stetig in a ∈ D, falls
limn→∞ f (an ) = f (a) ist für jede Folge (an )n∈N in D mit limn→∞ an = a.
Im Folgenden wird die komplexe Exponentialfunktion eine wichtige Rolle spielen.
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Satz 12.11. Für alle z ∈ C ist die Reihe
exp(z) =
∞
X
zn
n!
n=0
absolut konvergent. Es gilt:
(i) exp(z + w) = exp(z) exp(w), exp(z) 6= 0, exp(−z) =
1
exp(z)
für alle z, w ∈ C,
(ii) exp(z) = exp(z), | exp(z)| = exp(Re z) für alle z ∈ C,
(iii) | exp(it)| = 1 für alle t ∈ R,
(iv) exp : C → C, z 7→ exp(z) ist stetig.
n
n
P∞ zn
Beweis. Wegen zn! = |z|
n=0 n! absolut für jedes
n! für alle z ∈ C und n ∈ N konvergiert die Reihe
P∞ zn
P∞ wn
z ∈ C. Da die Reihen n=0 n! und n=0 n! für alle z, w ∈ C absolut konvergieren, folgt mit dem Satz
über das Cauchy-Produkt und der komplexen Version des Binomialtheorems (Satz 1.6)
! ∞
!
!
!
∞
n ∞
n
∞
∞
X
X wn
X
X
X
X
zn
z k wn−k
1 X n k n−k
(z + w)n
=
=
z w
=
.
n!
n!
k! (n − k)!
n!
k
n!
n=0
n=0
n=0
n=0
n=0
k=0
k=0
Der Rest von (i) folgt wie im reellen Fall direkt aus der gerade bewiesenen Funktionalgleichung. Die
Verträglichkeit der komplexen Exponentialfunktion mit der komplexen Konjugation folgt aus
!
N
N
X
X
(z)n
zn
exp(z) = lim
= lim
= exp(z).
N →∞
N →∞
n!
n!
n=0
n=0
Dabei haben wir benutzt, dass die Funktion C → C, z 7→ z wegen
|z − w| = |z − w| (z, w ∈ C)
stetig ist. Der zweite Teil von (ii) folgt aus dem ersten, denn für alle z ∈ C gilt
| exp(z)|2 = exp(z)exp(z) = exp(z) exp(z) = exp(z + z) = exp(2Re z) = exp(Re z)2 .
Insbesondere erhält man | exp(it)| = exp(Re (it)) = exp(0) = 1 für alle reellen Zahlen t ∈ R. Zum Beweis
der in (iv) behaupteten Stetigkeit der Exponentialfunktion sei (zn )n∈N eine Folge in C mit limn→∞ zn = z.
Wegen der Funktionalgleichung gilt
| exp(zn ) − exp(z)| = | exp(z)| | exp(zn − z) − 1|
und für |zn − z| ≤ 1 ist
∞
∞
X
X
(zn − z)k |zn − z|k−1
| exp(zn − z) − 1| = ≤ |zn − z| exp |zn − z| ≤ e|zn − z|.
≤ |zn − z|
k!
k!
k=1
k=1
Beides zusammen ergibt limn→∞ exp(zn ) = exp(z). Also ist auch die komplexe Exponentialfunktion
stetig.
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