Dystonie oder Hysterie?

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Dystonie oder Hysterie?
KJP
München
Cornelia Gloger1 & Thomas Frodl2
Institut und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, München1
Institut und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München2
Kasuistik
Die 19-jährige Patientin leidet an einer hereditären generalisierten Dystonie. Der Krankheitsverlauf ist progredient. Sie wurde ab
dem Jahr 2000 nach mehrfacher medikamentöser Behandlung mit einer Tiefenhirnstimulation der Basalganglien behandelt.
Aufgrund von Schwindelattacken, die nicht krankheits- oder behandlungsbedingt seien, wurde sie 2004 in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie vorgestellt. Nach einer Re-Implantation der Elektroden Ende 2004 kam es schleichend zu krampfartigen
Anfällen. Bewegungen schienen dabei teilweise willkürlich gesteuert zu sein. Neue Situationen lösen große Ängste bei der Patientin
aus und fördern Bewegungsmuster, die sie als „Krämpfe“ wahrnimmt.
Fragestellungen
• Sind die von der Patientin beschriebenen Schwindelattacken und Krampfanfälle der Dystonie zuzuordnen?
• Welchen Einfluss hat die Stimulation tiefer Hirnregionen auf neuropsychologische Vorgänge wie die Regulation von Emotionen,
Wahrnehmungssteuerung und allgemeine Belastbarkeit?
• Handelt es sich um Konversionssymptome? Sind Symptome reaktiv als Stress- und Krankheitsbewältigung zu verstehen?
Dystonie: Tiefenhirnstimulation
„Hysterie“
Ende 19. Jh.
Elektroden
Basalganglien
2005
Die Tiefenhirnstimulation entwickelte sich in den letzten
Jahren zur einer wirksamen Behandlungsmethode bei
Patienten mit generalisierter Dystonie. Zwei Elektroden
werden stereotaktisch in Kerngebiete der Basalganglien
eingeführt. Die elektrische Hochfrequenzstimulation dieser
Gehirnstrukturen mindert die typischen Bewegungsstörungen der Dystonie.
Über
die
neuropsychologischen
Folgen
der
Grunderkrankung und dieser Behandlungsmethode liegen
bisher nur wenige, in den Ergebnissen unterschiedliche
Daten vor. Einige Studien beobachten bei einem geringen
Prozentsatz von Patienten negative Auswirkungen auf
Affekte (Angst, Depression) und Persönlichkeit (Zunahme
kindlicher
Verhaltensweisen,
Enthemmung,
erhöhte
Irritabilität).
Neurologisch
nicht
klar
einzuordnende
Bewegungsstörungen werden seit langem kontrovers
diskutiert. Briquet (1859) war der Auffassung, dass die
Auslöser der „hysterischen“ Symptome psychisch oder
sozial bedingt seien; sein Kollege Charcot (1873) ging von
einer neurologischen Verursachung aus.
Im vorgestellten Fall liegt die schwere neurologische Grunderkrankung einer generalisierten Dystonie vor. Nach den
gängigen Diagnosesystemen dürfte demnach keine
Konversionsstörung diagnostiziert werden, trotzdem zeigt
die Patientin Verhaltensweisen wie krampfartige Anfälle,
Schwindelattacken und starke Überstreckung des gesamten
Körpers, die diese Diagnose gerechtfertigt erscheinen
lassen.
Fazit
• Um der Patientin mit ihrer schweren Erkrankung gerecht zu werden, müssen die unterschiedlichen Einflussfaktoren und deren
Wechselwirkung berücksichtigt werden.
• Die Frage, ob die Symptome der „Dystonie oder Hysterie“ zuzuordnen sind, rückt für die Behandlung in den Hintergrund.
Das therapeutische Konzept
• Verhaltenstherapeutisches Training zur Stärkung vorhandener Kompetenzen (Erfolgskontrolle über Tagesprotokolle).
• Vorgehen in kleinen Schritten, um Überforderung zu vermeiden und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit aufzubauen.
• Entspannungsverfahren
• Medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva und angstlösenden Mitteln sowie eine anticholinerge Behandlung der Dystonie.
Korrespondenzadresse: Dipl.-Psych. Cornelia Gloger, KJP, Ludwig-Maximilians-Universität München,Lindwurmstr. 2a, 80337 München, Tel.: +49 +89 5160 5358, eMail: [email protected]
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