Vorgeschichte, Voraussetzungen und Ursachen der Säkularisation

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Sommerakademie St. Bonifaz 2011
„Das Ende der Bavaria Sancta: die Säkularisation von 1803 und ihre Folgen“
Vorgeschichte, Voraussetzungen und Ursachen der Säkularisation von 1803
Von Univ.-Prof. Mag. Dr. Reinhard A. Stauber
Säkularisation: Facetten eines Begriffs
Als terminus technicus des Staatskirchenrechts bezeichnet, so das fachnahe „Lexikon für
Theologie und Kirche“, „Säkularisation“ im weiteren Sinn „jede Verweltlichung geweihter
Personen oder Sachen“, im engeren Sinn „die ohne kirchliche Erlaubnis erfolgende Einziehung und Verwendung von Gütern, die kirchlichen Eigentümern gehören oder für kirchliche
Zwecke bestimmt sind, zu profanen Zwecken“. Enger ist die Bedeutung im geltenden kanonischen Recht und meint hier „weltgeistlich“ im Gegensatz zu „ordensgeistlich“ – es geht um
Verfahrensregeln für den Rücktritt eines Ordensmannes mit höheren Weihen vom Leben nach
der Ordensregel.
Weiter greift dagegen die „Säkularisierung“, also „Verweltlichung“ (so 1811 in einem
Lexikon ausdrücklich gleichgesetzt), als geschichtsphilosophischer Begriff aus, maßgeblich
formuliert von Max Weber zur Kennzeichnung einer Grundtendenz der Moderne: die „Entzauberung der Welt“ durch die kapitalistische Leistungsethik des Calvinismus, die Ausschaltung der „sakramentalen Magie als Heilsweg“, generell die nachlassende Verbindlichkeit religiöser Systeme überhaupt zugunsten innerweltlicher Werte wie Fleiß und Sparsamkeit.
Der lateinische Bedeutungskern von Säkularisation, „saeculum“ (Zeitalter), hat sich im
kirchlichen Gebrauch des Wortes früh verschoben auf die begrenzte Zeit des menschlichen
Lebens im Gegensatz zu den zeitüberspannenden Bögen der Heilsgeschichte. Von daher war
„saecularis“ als Rechtsbegriff schon in der Spätantike zur Unterscheidung des „weltlichen“
vom geistlichen Bereich im Allgemeinen, vom weltgeistlichen zum ordensgeistlichen Bereich
im besonderen in Verwendung.
Reinhard Stauber
So beginnt auch die nachweisbare Geschichte unseres Begriffs im engeren Sinn (in der
lateinischen Wortform „saecularisatio“) in der Begriffswelt französischer Juristen des 16.
Jahrhunderts, wo von Übertritten aus dem Regular- in den Säkularklerus, vom Mönchsstand
zum Weltgeistlichen die Rede ist.
Eingeführt in die politische Sprache des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation
findet er sich bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden, und zwar am Verhandlungsort Münster im Mai 1646 in einer Botschaft des französischen Gesandten, des Duc de
Longueville, der die Vertreter der evangelischen Stände davor warnte, die zur Debatte stehenden geistlichen Güter auf Dauer zu „secularisiren“, was die katholischen Mächte ohne Konsens des Papstes (der nicht zu erwarten sei) nicht zugestehen könnten.
Mit der endgültigen Regelung des Friedens (in Gestalt des „Normaljahrs“ 1624) wurde
dann aber doch eine unbefristete Umwandlung des zum 1.1.1624 in evangelischen Händen
befindlichen Kirchenguts in weltliche Güter geschaffen. Von der Spitze der Argumentation
des französischen Diplomaten gegen die evangelische Partei, von der bewußten Verwendung
des Worts „säkularisieren“ (das man im gegebenen Kontext nicht mit „veräußern“ oder „entfremden“, sondern geradezu mit „verunkirchlichen“ übersetzen müßte), von dieser Spitze also, die der evangelischen Gegenseite bewußt den Anspruch, selbst Kirche zu sein, in Abrede
stellte, ging in den deutschen Sprachgebrauch seit 1646 die Tatsache über, unter Säkularisation in erster Linie anti-katholische Maßnahmen zu verstehen. Und sofort wird, in vielen
Schriften der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert einschlägig abgehandelt, Säkularisation „der juristische Begriff für die Übernahme kirchlichen, in der Regel katholischen
Vermögens in weltliche Oberhoheit“. Eine Lieblingsquelle der Frühneuzeit-Historiker, das
64bändige „Universal-Lexikon“ des Leipziger Verlegers Johann Heinrich Zedler, formuliert,
„Secularisation“ sei „zwar weder ein deutsches noch gutes lateinisches Wort“, aber in seiner
jetzt eingeführten juristischen Verwendung bedeute es „nichts anderes, als gewisse Sachen
oder Güter, so erst geistlich gewesen, weltlich machen, oder welches gleich viel ist, geistliche
Personen, Stifter, und die darzu gehörigen Einkünfte oder Kirchengüter entweder dem fürstlichen Fisco zuschlagen, oder […] zu andern Bequemlichkeiten und Nutzungen des Staats […]
verwenden“.
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Vorgeschichte, Voraussetzungen und Ursachen
Die doppelte Bedeutung des Begriffs in der Verwendung 1803
Die Sache selbst hatte es natürlich schon länger gegeben; erinnert sei an die gepanzerten
Krieger des karolingischen Hausmeiers Karl Martell, die in der Schlacht von Poitiers 732 den
Vormarsch der Araber Richtung Frankenreich stoppten, aufgestellt auf Kosten der fränkischen Reichskirche oder an die Aufhebung des sagenhaft reichen Ordens der Tempelritter
durch den Papst 1312 auf Verlangen des französischen Königs Philipp IV.
Kritik am Reichtum der Kirche, auch der Klöster, übten schon mittelalterliche Reformbewegungen wie die Waldenser oder die sog. Spiritualen, die im Armutsstreit innerhalb des
Franziskanerordens eine radikale Richtung vertraten. Auch die Entstehung von Reformorden
wie der Zisterzienser im 11. Jahrhundert. hing regelmäßig mit Kritik an weltlichem Besitz der
Kirche zusammen.
Der Reichsdeputations-Hauptschluss vom 25.2.1803 setzt einleitend den Grundkonsens
für das Prinzip „Entschädigungen aus Säkularisationen“ voraus. Im spezielleren Wortgebrauch des Textes sind zwei Bedeutungsebenen deutlich voneinander zu unterscheiden: 1. die
Mediatisierung der bisher reichsunmittelbaren Herrschaft aller geistlichen Fürsten von den
Erzbischöfen von Köln, Trier und Salzburg bis hin zur Äbtissin des Gefürsteten Damenstifts
Lindau und zum Prior der Reichskartause Buxheim; Ausnahmen bildeten ein für den Kurerzbischof von Mainz, den Erzkanzler des Reiches, neu gebildetes Staatswesen, bestehend aus
Aschaffenburg (einem Rest des erzstiftischen Gebiets), Wetzlar sowie Stadt und Stift Regensburg; außerdem der Deutsche Orden (dessen Hochmeister Erzherzog Karl war, ein Bruder des
Kaisers) und der Malteserorden; 2. die Aufhebung der Klöster.
Die vermögensrechtlichen Konsequenzen lagen in den beiden Fällen allerdings ganz unterschiedlich. Ad 2): ein Kloster geht als Rechtsträger unter, das Eigentum am Klostergut geht
auf den neuen Inhaber über, der aus eigenem Ermessen Versorgungsregelungen für die betroffenen Personen trifft; ad 1): Die Regentenfunktion eines geistlichen Fürsten geht auf den
reichsgesetzlich bestimmten weltlichen Fürsten über, dazu das gesamte Vermögen des Hochstifts und des Domkapitels. Dagegen verblieb das geistliche Amt des Diözesanbischofs unverändert beim bisherigen Amtsträger, doch hatte dieser keinerlei Mittel für die Ausübung dieses
Amtes mehr zur Verfügung. Die gegenwärtigen Amtsinhaber wurden finanziell abgesichert,
die offene Frage des Amtsunterhaltes für die Nachfolgergeneration sollte rasch durch ein
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Konkordat geregelt werden. Auch die Aufhebung der Herrschaft geistlicher Fürsten aber war
keine Neuentwicklung der Epoche um 1800.
Die Aufhebung der Herrschaft geistlicher Fürsten im 16. und 17. Jahrhundert
Bemerkenswert ist hier zunächst ein Fall von Selbst-Säkularisation, nämlich die Umwandlung
eines Teils des Deutschordenslandes an der Ostsee (samt den beiden Bistümern Samland und
Pomesanien) in das weltliche Herzogtum Preußen 1525 durch den Hochmeister Albrecht von
Brandenburg unter gleichzeitiger Durchführung der Reformation und Anerkennung der Lehenshoheit des polnischen Königs. Dieses „Herzogtum Preußen“, seit dem 18. Jahrhundert in
der Regel „Ostpreußen“ genannt, fiel 1618 an die brandenburgischen Kurfürsten und wurde
1701 zur Basis für deren Königswürde.
Eine ganze Reihe von Bistümern in Nord- und Mitteldeutschland wurde von zur Reformation übergetretenen Landesherren im 16. Jahrhundert aufgehoben, so Meißen, Merseburg
und Naumburg-Zeitz durch Kursachsen zwischen 1539 und 1565, Brandenburg, Havelberg
und Lebus durch Kurbrandenburg zwischen 1555 und 1598. Eine weitere Säkularisationswelle sanktionierte der Westfälische Frieden von 1648, betreffend u.a. Bremen und Verden (die
an Schweden kamen), Magdeburg, Halberstadt, Minden und Cammin (an Brandenburg, dabei
ausdrücklich als „Entschädigung“ für den Verlust Vorpommerns deklariert), Schwerin und
Ratzeburg (an Mecklenburg) und die Reichsabtei Hersfeld (an Hessen-Kassel). Eine merkwürdige, an die Paritätsreglung für die Reichsstädte gemahnende Regelung wurde für das
Hochstift Osnabrück eingeführt: Hier wechselten regelmäßig ein katholischer, vom Domkapitel gewählter, Bischof und ein protestantischer Administrator aus dem Herzogshaus Braunschweig-Lüneburg in der Verwaltung des Landes ab.
Auch im katholischen Bereich gab es einen Parallelfall: Fürstbischof Heinrich von Utrecht,
ein kurpfälzischer Prinz, übertrug 1528 seinem kaiserlichen Schirmherrn Karl V. die weltliche
Verwaltung seines Hochstifts, das daraufhin in den Herrschaftsverband des burgundischen
Herzogtums inkorporiert wurde.
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Die Aufhebung von Klöstern (1):
„pro fisco“: England und die anglikanische Reformation
Schon vor dem Erlass der Suprematsakte (3.11.1534), mit der König Heinrich VIII. sich zum
„Protektor und Obersten Haupt der Kirche von England“ erklärte und den offiziellen Bruch
mit der römischen Kirche vollzog, hatte er, 1531, unter dem gleichen Rechtstitel und unter
Berufung auf angeblich unzulässige Einmischungen in seinen laufenden Scheidungsprozess,
beim englischen Klerus eine Zwangsanleihe von 120.000 Pfund durchgesetzt; es folgte die
Übernahme des Zehnten (ca. 40.000 Pfund pro Jahr). 1536, kurz nach den Prozessen gegen
Bischof John Fisher, Lordkanzler Thomas More und einige Ordensleute, ernannte der König
Schatzkanzler Thomas Cromwell zu seinem „Generalvikar in geistlichen Angelegenheiten“.
Cromwell ließ alle bischöflichen Jurisdiktionsrechte aufheben und in allen englischen Diözesen die Klöster visitieren, mehr als 800 an der Zahl. Die größeren von ihnen hatten Grundbesitz weitum, den sie verpachteten, was schon lange zu Begehrlichkeiten geführt hatte, den
Reichtum dieser Einrichtungen zu reduzieren, nicht freilich, sie aufzuheben. In den Augen
Cromwells, der persönlich von Luthers reformatorischen Grundanliegen überzeugt war,
schienen Klöster eine Vergeudung von Menschen, Zeit und Geld zu sein, außerdem ein potentieller Geldhort für die Krone, an dem man sich ohne lästige Verhandlungen (wie im Fall der
Steuern im Parlament nötig) bedienen konnte.
Cromwell ließ zunächst ein Güterverzeichnis anlegen und die Visitationen von ordensfeindlichen Weltgeistlichen durchführen; ihre Berichte fielen wunsch- und erwartungsgemäß
– und natürlich tendenziös – aus und brandmarkten Nichtbeachtung der Ordensregeln,
schlechten Lebenswandel der Konventualen usw. In einer ersten Runde beschloss das Parlament daraufhin 1536 die Aufhebung der kleineren Klöster mit weniger als 200 Pfund Jahreseinkünften – das waren 304 Konvente, von denen aber 67 noch Aufschub gewährt wurde.
Nach einer erfolglosen katholischen Rebellion im Norden Englands konfiszierte die Krone
zahlreiche Klöster und Priorate unter dem Rechtstitel des Verrats, andere suchten 1538/39
„freiwillig“ um ihre Aufhebung an, um günstige Abfindungsregeln zu erreichen. 1539/40
folgte das Schlussgesetz der Aufhebung („dissolution of the monasteries“), das die reichsten
Abteien (z. B. Glastonbury; Reading; Westminster bei London, umgewandelt von Abtei- zur
Kathedralkirche) aufhob und das Ordensleben abschaffte.
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Beim Übertritt in den Weltpriesterstand erhielten die Mönche ab 1539 eine sehr geringe
Entschädigungszahlung, die Konventualen der Bettelorden gar nichts. Etwa ein Drittel von
ihnen fand, regional unterschiedlich, eine neue Anstellung im Pfarrklerus.
Der klösterliche Grundbesitz wurde von der Krone eingezogen und bis 1554 als Sondervermögen verwaltet, dessen Einkünfte (150.000 Pfund pro Jahr) diejenigen von den königlichen Gütern um das Dreifache übertraf. Der Großteil wurde relativ rasch verkauft, vor allem
an die mittlere Schicht des Landadels, die gentry, um die Krone mit Geld zu versorgen (ca.
1,4 Mio. Pfund). Von klösterlichen Gütern und Einkünften wurden sechs neue Diözesen samt
Kapitel, Kathedrale, Chor und Schule eingerichtet, darunter Oxford und Westminster. Die
Klostergebäude wurden ausgeschlachtet, Metalle und Ziegel als Baustoffe verkauft und der
Rest teilweise abgefackelt – Sie alle kennen die großartigen Klosterruinen Englands. Die Bibliotheken gingen zu größten Teilen verloren.
Unter der Regierung Eduards VI. folgten um 1550 die Abschaffung der SeelgerätsStiftungen („chantries“), die Aufhebung der Kollegiatskirchen, die Konfiszierung aller Kirchengebäude und Beschlagnahmungen von Kirchenschätzen.
Die Aufhebung von Klöstern (2):
die Änderung der Zweckbindung – die Reformation in Deutschland
In Martin Luthers Ansichten vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen war für die spezifische Lebensform von Mönchen und Nonnen kein Platz. Bereits 1518 hatte sich Luther von
der Gehorsamspflicht gegenüber seinen Oberen im Augustinereremiten-Orden entbinden lassen und 1525 die frühere Zisterzienser-Nonne Katharina von Bora geheiratet. Im Zuge der
Herausbildung des Kirchenregiments der protestantischen Landesfürsten, denen Luther die
Stellung oberster Bischöfe zubilligte, übernahmen diese auch Kompetenzen im geistlichen
Bereich, vor allem hinsichtlich der Ordnung des neuen Kirchenwesens.
Als Rechtsnachfolger der katholischen Bischöfe, deren Amtsautorität nicht mehr anerkannt wurde, verfügten die evangelischen Fürsten auch über das Kirchengut ihres Territoriums. Dabei kam es, am frühesten in Sachsen und Hessen, zur Aufhebung vieler Klöster und
zur Umwidmung des Vermögens geistlicher Organisationen. Charakteristischerweise fand das
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Vorgeschichte, Voraussetzungen und Ursachen
Klostergut vor allem für die Besoldung evangelischer Prediger und Pastoren, für Schulzwecke
und für Einrichtungen der Armenpflege und Fürsorge Verwendung.
So entstand ein staatliches Sondervermögen wie die (1818 in der heutigen Form gegründete) Klosterkammer Hannover, seit 1542 Treuhänderin vormals klösterlichen Vermögens im
Herzogtum Braunschweig-Calenberg. Landgraf Philipp von Hessen (1518–1567) wandelte
1530/40 drei wohlhabende Klöster (Haina, Gronau, Merxhausen) und die Pfarre Hofheim zu
Landes-Hospitälern um, in denen kranke und gebrechliche Personen versorgt werden sollten.
Der Landgraf, früh zum neuen Glauben konvertiert, hatte schon 1525, in einem gewollt inszenierten Traditionsbruch und wiederum über das Mittel einer landesherrlichen Visitation, Vorbereitungen für die Aufhebung der 37 Klöster in seinem Gebiet treffen lassen. Viele der eingezogenen Güter wurden rasch zur Besicherung des landesherrlichen Kreditbedarfs verwendet. Aus vormaligen Klostergütern der Dominikaner und Franziskaner stiftete Philipp in Marburg 1527 die erste protestantische Universität im Reich samt Gymnasium und Stipendienanstalt. Erinnert sei auch an die Stiftung der kursächsischen „Fürstenschulen“ Pforta, Meißen
und Grimma mittels Umwandlung von Klöstern durch den Kurfürsten Moritz 1543/50.
Ein solches „Umstiften“ ist übrigens kein protestantisches Spezifikum: Auch die bayerische Landesuniversität ist 1472, damals in Ingolstadt, so entstanden. 1465 hob Herzog Ludwig der Reiche von Bayern-Landshut die großen Mess- und Gebetsstiftungen auf, die Herzog
Ludwig der Bärtige von Ingolstadt zwischen 1429 und 1441 für sein Seelenheil an der dortigen Marienkirche errichtet hatte. Unter Zustimmung – das war entscheidend – des zuständigen Ortsbischofs Wilhelm von Eichstätt inkorporierte der Herzog die freiwerdenden Gelder
der Vermögensmasse der zu gründenden Hochschule. Bis 1475 wurden die größten Pfarren
des Landes zu Jahresabgaben von 15 Mark Silber für die Besoldung von Professoren verpflichtet, schließlich folgte die Einverleibung der Güter und Renten des Ingolstädter Franziskanerklosters. So kam die Neugründung, eröffnet am 26. Juni 1472, auf einen verfügbaren
Jahresertrag von 2.500 Gulden und war damit die damals bestdotierte Universität des Reiches.
Noch ein weiterer Parallelfall sei erwähnt, diesmal aus England: Kardinal Thomas
Wolsey durfte mit päpstlicher Erlaubnis 1523 vierzig kleine Klöster schließen, um damit seine Stiftung eines neuen Colleges an der Universität Oxford zu finanzieren – Cardinal College,
das heutige Christ Church College. Ähnlich gelagerte Fälle zugunsten von Colleges hatte es in
England auch schon im 15. Jahrhundert gegeben.
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Die Aufhebung von „Klöstern“ (3):
ideologische Motive – die Aufklärung
In der Kirchenfeindschaft der Aufklärung hatte die Kritik an den Orden ihren festen Platz. Ein
besonders bemerkenswertes Kapitel in der Geschichte der Aufklärung wie der Säkularisationen war die Aufhebung des Jesuitenordens im 18. Jahrhundert. Alles, was die „Gesellschaft
Jesu“ bei ihrer Gründung im 16. Jahrhundert neu und modern hatte wirken lassen, schien jetzt
verzopft und aus der Zeit gefallen: die territorienübergreifende Organisation, die Hinordnung
auf das Zentrum Rom ohne Mitsprache des lokalen Episkopats, das Bildungsmonopol im höheren Schulwesen (in katholischen Gebieten) mit einer überlebt scheinenden scholastischen
Methodik und einer hochkonservativen Theologie. Damals paßte der Orden besonders
schlecht in die Schemata einer Kirchenpolitik auch und gerade der katholischen Fürsten, die
auf ein Staatskirchensystem, die Einordnung des Klerus unter die Staatsgewalt und die Ausschaltung von Mitentscheidungsrechten Roms setzten. Politische und wirtschaftliche Skandale, in die die Jesuiten angeblich in den südamerikanischen Kolonien verwickelt waren, führten
zunächst, zwischen 1759 und 1767, zu ihrer Ausweisung aus den von den Bourbonen regierten Königreichen Portugal, Spanien, Frankreich und Neapel. Der 1769 neu gewählte Papst
Clemens XIV. verkündete unter Druck aller katholischen Höfe Europas schließlich am 21. Juli 1773 die Aufhebung der Societas Iesu.
In Bayern verwendete Kurfürst Karl Theodor die Erträge von den Jesuiten-Gütern (in
Höhe von ca. 150.000 Gulden pro Jahr; die Vermögensbasis der 21 Niederlassungen wird auf
7,4 Mio. Gulden geschätzt) nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, als Sondervermögen („corpus pium“) zum Zweck der Neuorganisation des höheren Schulwesens, sondern zur Ausstattung eines neuen Gebietszweiges („Zunge“) des Malteser-Ritterordens (1781/82), der hauptsächlich als Versorgungsanstalt für seine illegitimen Kinder und nachgeborene Söhne des
bayerischen Adels diente.
In der Habsburgermonarchie, wo die Gesellschaft knapp 100 Niederlassungen hatte, beriet ein Ausschuss des Staatsrats über die Verwendung ihrer Patres und Besitzungen, seit dem
Wiener Hof im März 1773 ein Entwurf des römischen Aufhebungs-Breves übermittelt worden war. Der gesamte Güterbesitz blieb hier in einem neuen staatlichen Sondervermögen erhalten, dessen Bezeichnung zugleich seinen Zweck auswies, dem „Studienfonds“ (1774), der
von den Landesregierungen verwaltet und 1782 in die Staatsgüteradministration überführt
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wurde. Obwohl sie von Universitätspositionen offiziell ausgeschlossen waren, spielten die
„Exjesuiten“ in Bildung und Wissenschaft weiter eine wichtige Rolle; wer seine Stelle nicht
behielt, wurde mit relativ großzügigen Pensionen versorgt.
Die Aufhebung von Klöstern (4):
ein katholisches Gebiet – Österreich unter Joseph II.
Im Rahmen der Staatskirchenpolitik katholischer Landesherren mit dem Ziel einer immer
weitergehenden „Einstaatung“ der Kirche unter gleichzeitiger Begrenzung ihres Aktionsbereichs auf geistlich-pastorale Fragen im engeren Sinn waren in Österreich (wie im benachbarten Bayern) die Klöster in den Fokus staatlicher Reformmaßnahmen geraten. Dafür stand,
auch bei einer persönlich tiefgläubigen Herrscherin wie Maria Theresia, seit den 1760erJahren eine Fülle einseitig angeordneter, regulierender Maßnahmen, etwa die Begrenzung des
Erwerbs weiteren Eigentums an Grund und Boden, die Kontrolle und Beschränkung der Aufnahme neuer Novizinnen und Novizen (Professalter 1770 24 Jahre), die Überwachung des
Briefverkehrs zwischen den Klöstern und den römischen Ordenszentralen, die Regulierung
der Ordensstudien und die Inanspruchnahme eines generellen landesherrlichen Visitationsrechts durch Staatskanzler Fürst Kaunitz und Hofrat Franz Joseph von Heinke. In Anwendung
dieser Erlasse wurden in der Lombardei 1769 erstmals sieben Ordenshäuser geschlossen (mit
Zustimmung des Papstes), 80 weitere dann im Lauf des nächsten Jahrzehnts, wobei die Einkünfte großteils auf die Pfarren übertragen wurden.
Über diesen „Standard“ katholischer Reformpolitik gingen die Maßnahmen Kaiser Josephs II. in der Zeit seiner Alleinregierung ab 1780 dann bekanntlich weit hinaus. Bis 1787
verschwand in den deutschsprachigen Erblanden und Galizien etwa die Hälfte der Klöster
(299 von 572), in der Gesamtmonarchie ein gutes Drittel (ca. 700 von 2.000). In den Klöstern
lebten 1780 etwa 11.000 Regularen (davon 10.000 Männer – vgl. die Zahl von 6.500 Säkularklerikern), sie verwalteten etwa die Hälfte aller kirchlichen Besitzungen an Grund und Boden, entsprechend etwa einem Fünftel des gesamten Grundbesitzes in der Monarchie (Vergleichswert für Bayern: knapp ein Drittel). In Josephs Todesjahr 1790 war die Zahl von Regularklerikern auf die Hälfte zurückgegangen.
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Das erste Aufhebungspatent vom Januar 1782 zielte auf die „beschaulichen“ Orden, die
nicht durch seelsorgerliche, fürsorgerische oder schulische Aktivitäten dem Staat nützlich erschienen. Von den Männerorden waren dies vorerst nur die Kartäuser, bei den Frauen Karmelitinnen, Klarissinnen, Kapuzinerinnen, Franziskanerinnen. In der zweiten Phase 1783–86
rückten fiskalische Bedürfnisse in den Vordergrund, jetzt waren nicht nur alle Bettelorden,
sondern auch die alten, reichen Orden, wie die Benediktiner oder Zisterzienser betroffen, insofern eine Niederlassung als für die Seelsorge entbehrlich erschien. Eine dritte Welle von
Aufhebungen war geplant, wurde aber vor Josephs Tod Anfang 1790 nicht mehr realisiert –
mit einer Ausnahme, jener des hoch verschuldeten Zisterzienserstifts Lilienfeld 1789.
Die aus der Veräußerung der Gebäude und Grundstücke, des Inventars und der Rechtstitel fließenden Erträge (ca. 90 Mio. Gulden) dotierten einen „Religionsfonds“. Daraus wurden
einerseits Pensionen für die Ex-Religiosen, andererseits neue Pfarrstellen dotiert. Das sachlich
korrepondierende Gegenstück zur Klosteraufhebung war in der josephinischen Kirchenpolitik
nämlich die Stärkung der Weltgeistlichkeit, der „säkularen“ Seelsorge, durch Errichtung von
fast 1.700 neuen Pfarrstellen und Kaplaneien zwischen 1782 und 1787, die das pastorale Netz
gerade in schwierig zugänglichen Gegenden verdichteten. Mit Recht sagte der Kaiser daher
im Dekret über die Einrichtung des Religionsfonds (28.2.1782), das Vermögen der aufgehobenen Klöster werde keinesfalls „zu fremdem, blos weltlichem Gebrauch“ verwendet, sondern „ganz zur Errichtung einer Religions- und Pfarrkasse“ gewidmet. Die großen Klöster
und Stifte an der Donau, die bereits ein Netz von umliegenden Pfarren aus ihren Konventen
betreuten, wurden ebenfalls verpflichtet, neue Kuratien einzurichten (Melk z.B. fünf Pfarren
und sieben Kaplaneien). Dafür waren sie nicht von der Aufhebung betroffen und überlebten in
einer im heutigen Mitteleuropa einzigartigen Kontinuität vom Frühmittelalter bis auf den heutigen Tag.
Der Weltklerus, in den relativ viele ehemalige Regularen übertraten, erhielt den Charakter eines für Seelsorge, Morallehre und allgemeine Bildung (institutionalisiert in der Schulaufsicht) sowie für die Vermittlung obrigkeitlicher Anordnungen zuständigen Segments der
Beamtenschaft, besoldet vom Staat und ausgebildet in neuen, den Universitäten zugeordneten
General-Seminaren (1783).
1783 erfolgte noch die Aufhebung aller mildtätigen Stiftungen; ihre Vermögen wurden
pro Pfarre zusammengefasst zu einer einheitlichen, quasi amtlichen Bruderschaft „Von der
thätigen Liebe des Nächsten“, die die Aufgaben der Armenfürsorge zu übernehmen hatte.
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Die Französische Revolution und die Enteignung der Kirche
Zum Zentralbegriff einer politischen Diskussion wurde Säkularisation in den kontroversen
Erörterungen um Existenzberechtigung und künftiges Schicksal der geistlichen Staatswesen
in Deutschland seit 1785. Die Preisgabe geistlicher Herrschafts- und Besitztitel war im Lauf
des 18. Jahrhundert generell eine an Realitätsnähe gewinnende politische Option geworden.
Umgesetzt wurde sie mit einem revolutionären Paukenschlag, 1789 in Frankreich. Das Vorgehen gegen den kirchlichen Besitz im revolutionären Frankreich war vor allem eine politische Entscheidung als Antwort auf ein existentiell drängendes Problem: die Staatsverschuldung.
Die Finanznot des französischen Staates, das beherrschende Thema der Innenpolitik der
1780er-Jahre, war ja auch der Grund für die Einberufung der Generalstände nach Versailles
gewesen, die sich im staatsrevolutionären Akt des 17. Juni 1789 zur Nationalversammlung
erklärten. Unter dem Druck der Ereignisse in Paris gewann die Gesetzgebungsarbeit dieser
Nationalversammlung bald eine eigene Dynamik: Nach Rankes schönem Diktum hat die Versammlung mit ihrer Arbeit dann so ziemlich alles an Altem in Frankreich vernichtet – außer
dem Finanzdefizit.
Der Klerus hatte schon auf die Einhebung des Zehnten und das entbehrliche Kirchensilber verzichtet. Nachdem ein neues Steuerrecht beschlossen worden war, ergriff der Bischof
von Autun, Charles-Maurice de Talleyrand, in der Nationalversammlung am 10.10.1789 die
Initiative, die gesamten Kirchengüter zum Eigentum der Nation zu erklären, und zwar ohne
Entschädigung für die bisherigen Besitzer, denn der Klerus sei nicht Eigentümer, sondern nur
Nutznießer des Kirchenvermögens. Die Nation, gleichgesetzt mit der Gemeinschaft der Gläubigen, könne diese Güter in andere Hände legen, wenn es ihren Zwecken diene – konkret war
dieser Zweck im Moment der Abbau der öffentlichen Schulden. Auf Antrag Mirabeaus wurden die Kirchengüter daraufhin zu Nationaleigentum erklärt.
Die Kirche wurde in diesen Beschlüssen, die Anfang November mit großer, aber doch
nicht überwältigender Mehrheit (568:346) verabschiedet wurden, deutlich schlechter gestellt
als der Adel bei der Aufhebung des Feudalsystems im August. Sie sollte als Rechtskörperschaft ausgeschaltet werden und keine Ansprüche auf Entschädigung haben. Der Staat mußte
dafür, wie von Talleyrand gefordert, die Kosten für Pfarrer, Kultus und Armenfürsorge übernehmen. Die zu erwartenden Erträge aus dem Verkauf der Nationalgüter dienten als Deckung
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von 5%igen Staatsschuldverschreibungen, den „Assignaten“. Ende 1790 beschloß die Nationalversammlung die Veräußerung sämtlicher Nationalgüter zu günstigen Zahlungsbedingungen; die geschuldeten Beträge konnten in 12 Jahresraten beglichen werden. Knapp 10% des
Grund und Bodens Frankreichs wechselten daraufhin den Besitzer.
Im Februar 1790 erfolgte durch Beschluss der Verfassunggebenden Versammlung die
Auflösung aller Orden, die nicht der Krankenpflege, Erziehung oder Wissenschaft dienten.
Eine Versorgungsrente wurde gezahlt. Ebenfalls 1790 kam es zur Aufhebung von 52 Bistümern, die sich nicht in die Grenzen der neu eingerichteten staatlichen Verwaltungsbezirke
(Departements) einpassen hatten lassen. Die Priester wurden „Kirchenbeamte“, von Wahlmännern gewählt, vom Staat besoldet für die Sicherstellung von Moral und Erziehung. Um
die Eidesleistung dieser Priester-Beamten auf die Verfassung sollte sich ab 1791 einer der
schärfsten innenpolitischen Konflikte der Revolutionsepoche entwickeln.
Zur Vorgeschichte der Säkularisation in Bayern 1798–1803
Einzug in die internationale Staatenpolitik hielt das Säkularisationsprinzip mit den europäischen Kriegen gegen das revolutionäre Frankreich. Das Ausscheiden Preußens aus der antifranzösischen Koalition im Frieden von Basel 1795 war verbunden mit der Anerkennung des
linken Rheinufers für Frankreich und dem Anspruch Preußens auf eine Entschädigung für die
dort verlorenen Gebiete; in einer Zusatzerklärung von 1796 wurde das Prinzip der „Entschädigung aus Säkularisationen“ explizit genannt und von beiden Seiten als „unverzichtbar“,
„absolument indispensable“ festgeschrieben.
Für die Pfalz und Bayern entwickelte Maximilian Freiherr von Montgelas, außenpolitischer Chefberater des Prätendenten auf die Nachfolge von Kurfürst Karl Theodor, Herzogs
Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken, seit 1797 Pläne für die Mediatisierung bzw. Herrschaftssäkularisation der bayerischen Bistümer, die Napoleon 1801 grundsätzlich akzeptierte. Vorerst aber fielen die Entscheidungen zur Kirchen- und Klosterpolitik noch in München. Wenden wir uns nun der Vorgeschichte des Endes der Bavaria Sancta zu und beginnen mit dem
Plan einer geistlichen Sondersteuer von 1798.
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In diesem Jahr hatte Papst Pius VI. dem Münchner Kurfürsten Karl Theodor erlaubt, zur
Deckung von Kriegsausgaben in Bayern und der Pfalz geistliche Güter im Wert von 15 Millionen Gulden zu verkaufen. Die Summe war ein Phantasieprodukt, ca. ein Drittel davon hielt
eine in München eingesetzte Kommission hochrangiger bayerischer Finanzexperten für beitreibbar. Unantastbar waren die Güter der Pfarren und der Domkapitel. Laut Kommissionsexpertise vom November 1798 sollten die Dotierung einer langfristigen, zugunsten des Staats zu
verzinsenden Zwangsanleihe und eine der Geistlichkeit auferlegte Sondersteuer (die es 1757
schon einmal gegeben hatte) ca. 4 Millionen Gulden erbringen. Von Klosteraufhebungen
wurde dezidiert abgeraten, aus einer Reihe von Gründen, von denen die wichtige Rolle der
Orden im Schulwesen und als Arbeitgeber, die zu erwartende Schmälerung des Nettoertrags
durch Versorgungszahlungen und ganz grundsätzlich die Rechtmäßigkeit einseitiger Eingriffe
des Staates in die Eigentumsrechte der Kirche mit Nachdruck vorgebracht wurden. Der Ingolstädter Rechtsprofessor Johann Gottfried von Krenner wies auf eine zu erwartende Stellungnahme der Reichsgerichte zugunsten der kirchlichen Eigentumsrechte hin und empfahl die
Einigung über einen Sonderbeitrag der Kirche „in via amicabili“. Allerdings wurde bereits
über Mittel und Wege zur Verkleinerung des Personalstands der Klöster nachgedacht.
Entschieden wurde Ende 1798, von allen geistlichen Grundbesitzern im Land, also von
den Hochstiften der Bischöfe, von den Domkapiteln, den Ritterorden und allen Klöstern und
Stiften, eine Zwangs-Sondersteuer in Höhe von 3,3 Mio. Gulden einzuheben. Zu diesem
Zweck sollte die unter Leitung Stephan von Stengels stehende Experten-Kommission in den
Wintermonaten 1798/99 Vertreter aller betroffenen Einrichtungen nach München laden, um
ihre Vermögensverhältnisse festzustellen.
Der Erfolg war sehr bescheiden: Die benachbarten Bischöfe, die ja selbst reichsfürstlichen Rang genossen, verweigerten jede Zahlung in die Landeskasse des bayerischen Kurfürsten. Die neue Regierung unter Kurfürst Max IV. Joseph und Außenminister Montgelas brach
alle Pressionen in diese Richtung Anfang 1799 sofort ab und erhielt dafür die „freiweillige“
Zusage der Bischöfe, mit 165.000 Gulden zu helfen.
Die Äbte der vier alten bayerischen Prälatenorden (Benediktiner, Augustiner-Chorherren,
Zisterzienser und Prämonstratenser), denen die wichtigsten und reichsten Klöster unterstanden und die den ersten Stand in der ständischen Vertretung Kurbayerns bildeten, organisierten
rasch eine effektive Kampagne zur Verteidigung ihrer überkommenen Rechte. In gedruckten
Protestschriften und in arbeitstechnisch effizient unterfütterter Standessolidarität wies der Prä-
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latenstand auf die Unvereinbarkeit des geplanten Vorgehens der Regierung mit der ständischen Verfassung Kurbayerns und mit der Praxis des Reichsrechts hin und verlangte Verhandlungen über eventuelle staatliche Sonderforderungen in den überkommenen Formen. Die
neue Administration Montgelas gab auch hier rasch nach und erbat eine freiwillige Finanzhilfe des geistlichen Standes, die in Höhe von 500.000 Gulden Ende März zugesagt wurde. Diese Summe (etwa ein Drittel des Jahresaufkommens an direkten Steuern in Bayern) betrachtete
der Prälatenstand als einen Vorschuss auf die Steuerveranlagung des Jahres 1799, während
die Regierung sie als eine zusätzliche Unterstützungszahlung wertete. Diese Differenz sollte
noch eine große Rolle spielen. Vorerst aber gab Kurfürst Max Joseph eine Garantieerklärung
für die Existenz der ständischen Klöster ab.
Nur den kleinen, nicht-ständischen Klöstern konnte man allein durch die Zitation nach
München einen gewissen Schrecken einjagen, weswegen sie sich bereit fanden, im Rahmen
ihrer sehr bescheidenen Möglichkeiten Zahlungen zu leisten – als Beispiel sei das UrsulinenKloster in Landshut genannt, das 1.500 Gulden zahlte, aber auf das knapp zehnfache veranlagt gewesen war.
Neuanlauf 1799
Bis Mai 1799 war das 15-Millionen-Projekt vom Ministerium Montgelas liquidiert worden.
Zuletzt hatte man gehofft, wenigstens ein Fünftel dieser Summe tatsächlich mobilisieren zu
können, 3 Millionen Gulden, aber stattdessen hatte München nur vage Zusagen über gerade
einmal ein Fünftel dieses Betrags in der Hand und dafür jede Menge politischen Ärger am
Hals.
Und die Gutachten der eigenen Rechts- und Finanzexperten rieten von allen Formen eigenmächtigen Vorgehens gegen geistlichen Besitz entschieden ab, so etwa der Hofkammerrat
Franz von Krenner (Februar 1799): Die Klostergüter seien vollgültiges Eigentum der Kirche.
Aufgabe des Staates sei es, die Kirche zu erhalten, umgekehrt sei es Schuldigkeit der Kirche,
dem Staat mit allen möglichen Mitteln zu helfen, wenn dieser in Gefahr gerate. Nötig sei dazu
vor allem eine stetige und einvernehmliche Kooperation unter Einbeziehung der zuständigen
Instanzen der kirchlichen Obrigkeit. Es gab freilich – wie so oft bei den Juristen – auch andere Ansichten: Georg Friedrich Zentner, Jura-Professor in Heidelberg, etwa, entwickelte 1798
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Vorgeschichte, Voraussetzungen und Ursachen
Argumente zur Rechtfertigung von Säkularisationsmaßnahmen, indem er unter Verweis auf
das harte Diktat der französischen Friedensbedingungen eine Notlage des Reichs wie im
Dreißigjährigen Krieg konstruierte. Ein Grundsatzargument der Naturrechtslehre der Aufklärung aufgreifend, postulierte er eine mindere Rechtsqualität des kirchlichen Eigentums gegenüber dem Adel: Grund und Boden seien der Kirche nur zur Nutzung überlassen, daher bestehe seit je im Notfall ein Durchgriffsrecht des Staats auf das Kircheneigentum.
Wenngleich unmittelbare Maßnahmen gegen den geistlichen Stand vorerst offensichtlich
nicht mehr drohten, blieben doch die Probleme der aktuellen Finanzlage Kurbayerns auf der
Prioritätenliste der neuen Regierung Max Joseph / Montgelas an erster Stelle (1799 standen
Ausgaben von 10,5 Mio. Gulden Einnahmen von 5,7 Mio. Gulden gegenüber). Tatkräftig bearbeitet wurden diese Probleme von einem neuen Geheimen Referendär im Finanzministerium, Joseph Utzschneider, der auch für die Steuerverhandlungen mit den Landständen zuständig war. Er empfahl einige gewagte Maßnahmen, etwa die Gründung einer Hypothekenbank
auf Aktienbasis, die Gelder zur Tilgung kurzfristiger Schulden des Staates aufbringen und an
deren Kapitalstock sich die Prälatenorden mit Zahlungen in Millionen-Höhe beteiligen sollten
(hypothekarisch abgesichert auf eigenen Grundbesitz), außerdem die Einberufung einer allgemeinen Versammlung der bayerischen Landstände – seit 1669 tagte nur noch ein ständischer Ausschuss.
Als die Finanzlage in einer Konferenz der Minister und der Geheimen Referendäre des
Finanzministeriums beim Kurfürsten am 4. November 1799 diskutiert wurde, kam eine
Zwangsbelastung der Klöster zwar wieder ins Spiel, doch war die Meinung der Fachleute
noch nicht einhellig. Utzschneider verwies auf die Klöster in der Oberpfalz, die nicht den
Schutz der ständischen Verfassung genossen; Franz von Krenner mahnte wieder vor den praktischen Problemen bei der Durchführung von Zwangsmaßnahmen und riet auch zur Rücksicht
auf die öffentliche Meinung. Es siegten die Bedürfnisse des Augenblicks: Die Staatskonferenz
beschloss 14 Tage später „zu Rettung des Staates“ den Verkauf geistlicher Güter im Wert von
drei Millionen Gulden; eine vierköpfige Kommission von Geheimen Referendären wurde erneut damit beauftragt, „mit aller Verschwiegenheit“ einen Weg zur Durchführung vorzubereiten.
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Die Planungen des Jahres 1800
Der dazu schon Anfang Januar 1800 erstattete Bericht über die Möglichkeiten, aus Verkäufen
geistlicher Güter rasch zu Geld zu kommen, musste auf das Ministerium sehr ernüchternd
wirken. Zentner als Vertreter des Außenministeriums konstatierte nun, abweichend von seinen Grundsatzerörterungen des Jahres 1798, dass einseitige Maßnahmen gegen die bischöflichen Reichsstände wie gegen die landständischen Klöster ohne Aussicht auf Erfolg seien. Die
Schulorden seien „gemeinnützig“ und deswegen erhaltenswert. Man müsse sich daher auf die
nicht-ständischen Klöster (also jene der Bettelorden) und die Abteien der Oberpfalz konzentrieren, wo man aus Veräußerungen anderthalb Millionen Gulden zu erzielen hoffte. Die gleiche Summe sollte vom Prälatenstand beigetrieben werden, wieder in Form einer „freiwilligen
Zwangsabgabe“, wobei man auch an die Möglichkeit dachte, Frauenklöster aufzuheben, das
genaue Verfahren aber ausdrücklich der Entscheidung der Standesvertretung unterstellte.
Die Entscheidung gegen die nicht-ständischen Klöster 1801/02
Der Krieg des Jahres 1800 und die Besetzung Münchens durch französische Truppen führten
zwischen Juli 1800 und April 1801 zu einem Stillstand des Regierungshandelns in Bayern.
Sofort danach brachte der Streit um den Zugriff auf das Kirchensilber, das zur Deckung der
horrenden Kontributionsforderungen der Franzosen verwendet werden sollte, das Thema der
klösterlichen Eigentumsrechte neu auf die Agenda. Zentner gab nun als Generallinie vor „die
Einziehung und Umwandlung bisher geistlicher Güter in weltliche, bei Fortdauer ihrer Verwendung für öffentliche, besonders milde Zwecke“, also die uns bereits bekannte zweckgebundene Enteignung aus landesfürstlichem Recht, was er überdies vorerst strikt auf die nichtständischen Klöster begrenzt wissen wollte. Vorerst wurde den Münchner Karmeliten die
Rückkehr in ihr Kloster bei der Maxburg nicht gestattet; die Hälfte der Einkünfte der Zisterzienserinnenabtei Seligenthal in Landshut wurde auf den Fonds der Landesuniversität umgewidmet. Utzschneider schlug im Mai 1801 französische Töne an, indem er die Kirchengüter
als „Gemeinguth der Nation“ ansprach. Zuerst nicht-ständische Klöster, dann die ständischen
Frauenkonvente sollten in staatliche Verwaltung übernommen, ihr Besitz veräußert werden.
Hinsichtlich der (nirgends konkret bezifferten) Erlöse war gedacht an einen doppelt zweckge-
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Vorgeschichte, Voraussetzungen und Ursachen
bundenen Einsatz für, erstens, Verbesserungen im Schulwesen und an der Universität sowie,
zweitens, als separat dotierter Fond, zur Tilgung der beim Zinszahlamt anhängigen Staatsschulden.
Die Experten-Kommission von 1799 wurde im Sommer 1801 erneut aktiviert und sollte
nun konkrete Zahlen liefern. Die vier Referendäre (Franz von Krenner, Hubert Steiner, Georg
von Zentner und Maximilian von Branca) hielten aus der Aufhebung von sämtlichen nichtständischen Konventen (beginnend mit den Kapuzinern und Franziskanern), von 14 ständischen Klöstern in Bayern und einem in der Oberpfalz (Reichenbach) einen Jahresertrag von
750.000 Gulden zugunsten des Staates für erzielbar, auf vier Jahre gerechnet also 3 Mio. Gulden. Montgelas trug diese Empfehlung dem Kurfürsten unter vier Augen am 10. November
1801 vor – mit der wichtigen Abschwächung, von Maßnahmen gegen ständische Klöster vorerst noch abzusehen; es seien zu viele politische Schwierigkeiten zu erwarten. Noch Ende
1801 begann die Auflösung der Bettelordens-Konvente, die sich auch der Kurfürst zur persönlichen Angelegenheit gemacht hatte, mit der endgültigen Aufhebung der Münchner Karmeliten und kam ab 1802 auf breiter Front ins Rollen. Am Ende dieses Jahres waren 91 formelle Aufhebungen zu verzeichnen.
Die Außenpolitik und das Ende der ständischen Klöster 1802/03
Auch gegen die Klöster der vier Prälatenorden wurden noch vor dem Jahresende 1802 Maßnahmen ergriffen. Kurfürstliche Kommissare nahmen Inventar und Vermögenswerte der großen Klöster auf und schränkten die Verfügungsrechte der Oberen ein. Neue Proteste der Ständevertretung wurden nicht mehr beantwortet und mit dem bezeichnenden Vermerk „Einsweilen ad acta“ beiseite gelegt.
Das Schicksal der ständischen Klöster Bayerns entschied sich im Windschatten der europäischen Mächtepolitik, in Regensburg und in Paris. In Regensburg befanden sich um die Jahreswende 1802/03 jene Verhandlungen einer außerordentlichen Reichsdeputation gerade in
der Schlussphase, die – auf der Basis der Vorschläge Frankreichs und Rußlands – die Verteilung der Gebiete der Reichskirche und der Reichsstädte auf jene weltlichen Fürsten vornahmen, die Gebiete an Frankreich hatten abtreten müssen. Der „Reichsdeputationshauptschluss“
sollte die seit 1796 offene Frage der Entschädigungen für die Abtretung des linksrheinischen
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Gebiets an das expandierende Frankreich endgültig regeln. Hier eröffnete sich Bayern in letzter Minute die diplomatische Chance, den Zugriff auf die eigenen ständischen Konvente, die
Reichs- und Landesverfassung bisher geschützt hatten, durchzusetzen.
Der Schlüssel dazu lag in Paris, wo Napoleon dem österreichischen Kaiser im Dezember
1802 zusagte, die Gebietsentschädigung für dessen Bruder, den Großherzog Ferdinand III.
von Toskana zu vergrößern, und zwar zusätzlich zu Salzburg um größere Gebietsteile der
Hochstifte Eichstätt (das „Unterstift“ an der Altmühl) und Passau (rechts der Ilz). Das
Eichstätter Gebiet aber war im Entschädigungsplan des Pariser Außenministeriums vom
Sommer 1802, auf dessen Grundlage in Regensburg gearbeitet wurde, für Bayern vorgesehen
gewesen. Außenminister Montgelas instruierte daher seinen Pariser Gesandten Anton Freiherrn von Cetto, aufgrund dieses Verlustes bei Napoleon auf neue Entschädigungen für Bayern zu dringen; neben den großen Reichsstädten Nürnberg und Augsburg oder an die
Reichsritterschaft war auch an eine Neufassung des Artikels 35 des in Regensburg beratenen
Hauptschlusses gedacht, in dem es um den Grundbesitz jener geistlichen Einrichtungen ging,
die den Landesherrn unterstanden.
Nur unter Mühen verschaffte sich Cetto im Januar 1803 in St. Cloud Zutritt zu Napoleon,
der ihn zuerst vergessen hatte und ihn dann kurz mit einem Hinweis auf seine mangelnde Vertrautheit mit den Details des Entschädigungsgeschäfts zu Außenminister Talleyrand weiterschickte. Dieser wollte von einer Aufhebung der Reichsritter nichts wissen, sagte aber hinsichtlich der Mediat-Kirchengüter seine Unterstützung zu. Die endgültigen Formulierungen,
die aus München stammten, wurden von den Gesandten Frankreichs und Russlands in einem
letzten Paket von Änderungsvorschlägen am Text des Hauptschlusses am 12. Februar 1803
vorgelegt, drei Tage später angenommen und am 25. Februar endgültig verabschiedet.
Die auf die bayerische Intervention zurückgehenden textlichen Erweiterungen des Art. 35
waren knapp, in ihren rechtlichen Konsequenzen aber äußerst weitreichend, und zwar nicht
nur für Bayern: Die Aufhebung der „Güter der fundirten Stifter, Abteyen und Klöster“ („mittelbarer“ und „unmittelbarer“) war nun landesweit möglich, nicht mehr wie ursprünglich auf
die zugewiesenen Entschädigungsgebiete begrenzt. Und die Befreiung der Erträge aus diesen
Aufhebungen von allen kirchlichen oder sozialen Zweckbindungen bedeutete den Abschied
vom gemeinnützigen Modell des „Umstiftens“ von kirchlichen Gütern; die Gelder durften in
Staatshaushalt und Schuldentilgung frei eingesetzt werden („zur Erleichterung ihrer Finanzen“).
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Vorgeschichte, Voraussetzungen und Ursachen
Mit dem 25. Februar 1803, dem Datum des Reichsdeputationshauptschlusses, entfiel
nicht nur der reichsrechtliche Schutz für die 67 altbayerischen Prälatenklöster, die bereits unter staatlicher Kuratel standen und ab März 1803 von den kurfürstlichen Beamten übernommen wurden. „Zugleich wurde […] ein Eckstein aus der landständischen Verfassung herausgebrochen – mit der Perspektive, das landständische System in seiner Gesamtheit auszuhebeln“ (Winfried Müller). Man darf annehmen, daß sich Montgelas dieser verfassungspolitischen Dimension der Klostersäkularisation bewußt war und sie in ihren strukturpolitischen
Resultaten dem territorialen Gewinn aus der Säkularisation der Hochstifte gleichgestellt hat.
In den Gutachten seiner Mitarbeiter waren ihm ja mehrfach die rechtlichen Grenzen der landesherrlichen Macht gegenüber dem Prälatenstand vor Augen geführt worden, und bis zuletzt
waren die Klöster nicht nur Zentren geistigen und geistlichen Lebens, sondern auch Knotenpunkte wirtschaftlicher und politischer Macht geblieben. Jetzt aber, 1803, machte der bürokratische Verwaltungsstaat Montgelasschen Typs mit der Ausschaltung der kirchlichen Korporationen eigenen Rechts einen entscheidenden Schritt in Richtung der eigenen unteilbaren
Souveränität.
Bemerkung
Das Manuskript gibt den Wortlaut des Vortrages wider, der am 29. Juni 2011 im Rahmen der ersten
Sommerakademie der Abtei St. Bonifaz in München gehalten wurde; er wurde für die Präsentation im
Netz nicht eigens überarbeitet; die Angabe von Belegen und Literatur lag im Ermessen der Referenten,
ebenso die Verwendung von alter oder neuer Rechtschreibung. Das Manuskript ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt.
Literatur:
Bayern ohne Klöster? Die Säkularisation und 1802/03 und die Folgen, Ausstellungskatalog München
2003.
BLICKLE, Peter / SCHLÖGL Rudolf (Hrsg.): Die Säkularisation im Prozess der Säkularisierung Europas, Epfendorf 2005.
CRUSIUS, Irene (Hrsg.): Zur Säkularisation geistlicher Institutionen im 16. und im 18./19. Jahrhundert,
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DECOT, Ralf (Hrsg.): Säkularisation der Reichskirche 1803. Aspekte kirchlichen Umbruchs, Mainz
2002.
DECOT, Ralf (Hrsg.): Kontinuität und Innovation um 1803. Säkularisation als Transformationsprozess.
Kirche – Theologie – Kultur – Staat, Mainz 2005.
DEMEL, Walter: Reich, Reformen und sozialer Wandel 1763–1806, Stuttgart 2005 (Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., Bd. 12).
Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, Stuttgart 1985, S. 789–829, s.v. Säkularisation, Säkularisierung.
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HAUSBERGER, Karl: Reichskirche – Staatskirche – „Papstkirche“. Der Weg der deutschen Kirche im
19. Jahrhundert, Regensburg 2008.
KLUETING, Harm (Hrsg.): 200 Jahre Reichsdeputationshauptschluss. Säkularisation, Mediatisierung
und Modernisierung zwischen Altem Reich und neuer Staatlichkeit, Münster 2005.
MÜLLER, Winfried: Die Säkularisation von 1803, in: Walter BRANDMÜLLER (Hg.): Handbuch der
bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 3, St. Ottilien 1991, S. 1–84.
OER, Rudolfine Freiin von (Hrsg.): Die Säkularisation 1803. Vorbereitung – Diskussion – Durchführung, Göttingen 1970.
RAUSCHER, Anton (Hrsg.): Säkularisierung und Säkularisation vor 1800, Paderborn 1976.
Säkularisation und Säkularisierung 1803–2003, Münster 2004.
SCHMID, Alois (Hrsg.): Die Säkularisation in Bayern 1803, München 2003.
WEIS, Eberhard: Montgelas, Bd. 1: Zwischen Revolution und Reform 1759–1799, Bd. 2: Der Architekt des modernen bayerischen Staates, München 21988 / 2005.
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