Nominierungsbegründungen

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Deutscher Theaterpreis DER FAUST 2016
Die Nominierten
Regie Schauspiel
Frank Castorf
Marta Górnicka
Tom Kühnel/Jürgen Kuttner
S. 2
Darstellerin/Darsteller Schauspiel
Kathrin Angerer
Franz Pätzold
Edgar Selge
S. 5
Regie Musiktheater
Jochen Biganzoli
Paul-Georg Dittrich
Peter Konwitschny
S. 7
Sängerdarstellerin/Sängerdarsteller Musiktheater
Nicole Chevalier
Kangmin Justin Kim
Ewa Wolak
S. 10
Choreografie
Alexander Ekman
Yuki Mori
Christoph Wieland
S. 13
Darstellerin/Darsteller Tanz
Tyler Schnese
Aoalii Naughton Tapu
Max Zachrisson
S. 15
Regie Kinder- und Jugendtheater
Liesbeth Coltof
Andrea Maria Erl
Markolf Naujoks
S. 17
Bühne/Kostüm
Achim Freyer
David Hohmann
Florian Lösche
S. 20
Regie Schauspiel
Frank Castorf
Nominiert für seine Inszenierung „Die Gebrüder Karamasow“ an der Volksbühne am RosaLuxemburg-Platz Berlin
Koproduktion der Wiener Festwochen & der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin
Geboren 1951 in Ost-Berlin, studierte Frank Castorf Theaterwissenschaft an der HumboldtUniversität in Berlin und hatte ein erstes Engagement als Dramaturg am Theater Senftenberg.
Später arbeitete er als Regisseur am Stadttheater Brandenburg, 1981 bis zur politisch
motivierten fristlosen Kündigung 1985 war er Oberspielleiter am Theater Anklam. In den
folgenden Jahren inszenierte er an Stadttheatern der DDR, seit 1988 auch in der
Bundesrepublik und der Schweiz. Von 1990 bis 1992 war er Hausregisseur am Deutschen
Theater Berlin. Seit der Spielzeit 1992/93 ist Frank Castorf Intendant der Volksbühne am
Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Er schuf seither dort sowie als Gastregisseur über 100
Inszenierungen, dazu die Verfilmungen seiner Inszenierungen von Dostojewskis „Dämonen“
und „Der Idiot“. 2013 inszenierte er zum 200. Geburtstag Richard Wagners bei den 102.
Bayreuther Festspielen den „Ring des Nibelungen“ (Musikalische Leitung: Kirill Petrenko).
Frank Castorfs Vertrag als Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz läuft bis ins
Jahr 2017. Seine Inszenierungen werden regelmäßig zu Gastspielen und Festivals weltweit
eingeladen. Seine Arbeit als Intendant und Regisseur wurde vielfach ausgezeichnet; mehrere
seiner Inszenierungen wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Frank Castorf ist
Mitglied der Akademie der Künste Berlin, der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste
und Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Im Januar 2015
löste seine „Baal“-Inszenierung am Münchner Residenztheater einen Urheberrechtsstreit aus.
Frank Castorf läuft gegen Ende seines Schaffens an der Berliner Volksbühne noch einmal zur
vollen Form auf. Alle Instrumentarien, wie intelligente Dekonstruktion, Kombination
begleitender Texte, Video-Slapstick und vieles mehr, fügt er nachvollziehbar in den SechsStunden Abend ein. Eine Werkschau seines Schaffens, die trotz der Länge wie ein Filtrat wirkt
und dennoch die Geschichte der Brüder Karamasow eindringlich erzählt. Auffällig an dieser
Inszenierung ist, dass sie deutlich weniger mit bloßen Effekten hantiert, wie man das bei
Castorf zuweilen sehen konnte. Die Inszenierung steht exemplarisch für die Arbeitsweise des
Regisseurs, indem sich die Schauspieler mit exzessivem physischem Einsatz den Zuständen
der Figuren nähern und damit eine große Nähe zur Textvorlage erreichen.
Marta Górnicka
Nominiert für ihre Inszenierung „M(other) Courage“ am Staatstheater Braunschweig
Marta Górnicka ist Regisseurin und Sängerin, Absolventin der Fakultät für Regie der
Theaterakademie Aleksander Zelwerowicz, der Musikhochschule Frédéric Chopin in
Warschau, der Warschauer Universität und der Staatlichen Schauspielschule in Krakau. Sie
arbeitete unter anderem mit Robert Wilson an seiner Warschauer Inszenierung „Symptome /
Akropolis“ von Gabriella Maione und Stanislaw Wyspiański. Von 2009 bis 2014 arbeitete sie
mit dem Warschauer Theaterinstitut Zbigniew Raszewski und entwickelte ihr eigenes
Konzept eines Chor-Theaters. 2010 gründete sie mit Unterstützung des Warschauer
Theaterinstituts den „Chor der Frauen“, mit dem sie ihre Form des chorischen Theaters
weiterentwickelte. Die erste Inszenierung „Hier spricht der Chor“ hatte im Juni 2010 in
Warschau Premiere. 2011 folgte ihre Inszenierung „Magnificat“. Marta Górnicka gastierte mit
ihren Inszenierungen weltweit. Ihre Inszenierungen „Magnificat“ und „Requiemachine“
wurden u. a. im Rahmen des europäischen Festivals „Foreign Affairs“ in Berlin (2014), beim
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„SPRING Performing Arts Festival“ in den Niederlanden sowie beim „Mess Festival“ in
Sarajewo gezeigt. Mit ihrer Arbeit „Magnificat“ gewann Marta Górnicka zahlreiche Preise.
Ihre Arbeit mit dem Titel „Mother Courage won´t remain silent. A chorus for awar time“
hatte im Dezember 2014 im Museum für Moderne Kunst in Tel Aviv Premiere. Marta
Górnicka vereinte für diese Inszenierung 60 sowohl arabische als auch jüdische Mütter,
israelische Tänzer im Kriegsdienst und arabische Kinder in ihrem Chor.
Ästhetisch auch beeinflusst durch eine Assistenz bei Robert Wilson, entwickelte die junge
polnische Regisseurin ein ganz eigenes Konzept eines modernen Chortheaters, bevorzugt für
Frauen – eine Theaterform, für die sie ein eigenes Vokal- und Aktionstraining erfand. Ihre
Produktionen zeigt sie weltweit. Marta Górnicka wurde bereits mehrfach ausgezeichnet –
zuletzt beim Festival „Fast Forward“ am Staatstheater Braunschweig. „M(other) Courage“,
eben dort entstanden, ist eine hoch beeindruckende, sprachlich perfekte Arbeit mit sechs
Schauspielerinnen und 17 weiblichen Laien zum Thema Krieg. Diese Inszenierung zeigt eine
neue Form der Bürgerbühne – gerade auf dem Gebiet der Sprache, das oft als Schwachstelle
der Arbeit mit Bürgern gesehen wird. Sie zeigt die Bereicherung, die unser deutsches
Theatersystem durch Künstler aus anderen Ländern erfährt, rückt eine Regisseurin in den
Fokus, deren Arbeit gerade angesichts der neuesten Entwicklungen in ihrem Heimatland dort
durchaus umstritten ist und die sich beispielhaft gesellschaftlich engagiert.
Tom Kühnel / Jürgen Kuttner
Nominiert für ihre Inszenierung „Der Auftrag“ bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen
Eine Produktion des Staatsschauspiel Hannover in Koproduktion mit den Ruhrfestspielen
Tom Kühnel wurde 1971 in Cottbus geboren. Von 1992 bis 1996 studierte er Regie an der
Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Schon während des Studiums
bildete er mit Robert Schuster ein Regie-Team und arbeitete auch mit der Puppenspielerin
Suse Wächter zusammen. 1994 erhielten Kühnel/Schuster den Friedrich-Luft-Preis. Danach
inszenierten beide in Berlin und Frankfurt am Main. 1998 begannen sie, gemeinsam mit
Soeren Voima, Klassiker zu bearbeiten und eigene Stücke zu schreiben. Von 1999 bis 2002
übernahm Tom Kühnel mit Robert Schuster und Bernd Stegemann die künstlerische Leitung
des Theaters am Turm (TAT) in Frankfurt. Seit 2000 inszeniert er solo. Seit der Spielzeit
2009/10 ist Tom Kühnel Hausregisseur am Schauspiel Hannover, wo er die Uraufführung
von „Götter, Kekse, Philosophen“ sowie „Helden des 20. Jahrhunderts“ und „Alkestis“
inszenierte. Es folgte „Bauern, Bonzen, Bomben“, die Komödie „Schöne Bescherungen“ von
Alan Ayckbourn, das Projekt „Die Französische Revolution - born to die“ sowie die Komödie
„Der Vorname“, „John Gabriel Borkman“ und „Torquato Tasso“ in der Spielzeit 2014/15.
Jürgen Kuttner wurde 1958 in Ost-Berlin geboren. Er ist Kulturwissenschaftler und freier
Kunstschaffender. 1987 promovierte er an der Humboldt-Universität Berlin. Bis 1989 war er
beim Verband Bildender Künstler der DDR beschäftigt. 1990 war Kuttner maßgeblich an der
Gründung der Ostausgabe der „tageszeitung“ beteiligt, für die er bis 1992 arbeitete. Neben
seiner langjährigen Tätigkeit als Moderator des Rundfunksenders Fritz (RBB) tritt der
Performer auf deutschen Theaterbühnen vom Wiener Burgtheater bis zum Schauspiel Köln
mit seinen Videoschnipselabenden auf, die er seit 1996 an der Berliner Volksbühne zeigt. Ihn
verbindet eine enge Arbeitsbeziehung mit Tom Kühnel, mit dem er u.a. am Theater Basel und
am Deutschen Theater Berlin zusammen inszenierte und am Schauspiel Hannover „Götter,
Kekse, Philosophen“ sowie „Die Schöpfer der Einkaufswelten“ erarbeitete. In der Spielzeit
2010/11 inszenierte er am Schauspiel Hannover „die bunte Kunst-Wut-Show Kunst wird
woanders gebraucht, als wo sie rumsteht“ und 2011/12 seine analytische Hitparade
„Kollateralschlager“. Es folgte die Polit-Operette „Ein Staat, ein guter Staat“ nach Motiven
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von Jura Soyfers Astoria.
Tom Kühnel und Jürgen Kuttner arbeiten seit mehreren Jahren als Regieteam, u.a. am
Deutschen Theater Berlin, am Schauspiel Hannover und am Münchner Residenztheater. Die
jüngere (deutsche) Geschichte als Show – so ließen sich ihre Arbeiten auf einen (einfachen)
Nenner bringen. „Die Toten sind anwesend, wenn die Lebenden agieren“, sagte Heiner
Müller einmal. In ihrer gefeierten Inszenierung „Der Auftrag“ nehmen Kühnel und Kuttner
diese These Müllers ernst, indem sie den Mitschnitt einer Lesung des „Auftrags“ durch den
Autor selbst zur Grundlage der Aufführung machen. Dazu entfesseln sie ein melancholischskurriles Revolutionskabarett, in dem die Darsteller weitgehend stumm agieren. Dadurch
erhalten die wenigen Momente, in denen sie doch sprechen, besonderes Gewicht. Heiner
Müllers „Erinnerung an eine Revolution“ (so der Untertitel des Stücks) wird bei
Kühnel/Kuttner eine Erinnerung an den Autor selbst und darüber hinaus an die versuchten
und gescheiterten Revolutionen des 20. Jahrhunderts – und zwar nicht als müder Abgesang,
sondern als überwältigender und inspirierender Assoziationsrausch. Ein Kritiker schrieb über
die Aufführung: „Der witzigste und authentischste Müller, den es je zu sehen gab“. Dem ist
nichts hinzuzufügen.
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Darstellerin/Darsteller Schauspiel
Kathrin Angerer
Nominiert für ihre Darstellung in René Polleschs Inszenierung „Service / No Service“ an der
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin
Kathrin Angerer, geboren in Oranienburg, ging 1993 in ihr erstes Engagement an die
Volksbühne Berlin. Unter der Regie von Frank Castorf spielte sie Hauptrollen in zahlreichen
Produktionen. Viele der Produktionen wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen und
gingen weltweit auf Gastspielreise. Auch in Arbeiten von Andreas Kriegenburg, Dimiter
Gotscheff oder Leander Haußmann war sie zu sehen. 2003 gastierte sie mit dem
Soloprogramm „Kriegsfibel“ von Brecht u.a. in der Akademie der Künste, Paris, Athen. 2000
wurde Kathrin Angerer mit dem Alfred Kerr Preis für die Produktion „Dämonen“
ausgezeichnet. 1999 und 2003 erhielt sie den Preis „Beste Darstellerin“ auf dem
Theaterfestival „Mess“ in Sarajevo, 1999 für „ Trainspotting“ und 2003 für „Endstation
Amerika“, beides Inszenierungen von Frank Castorf. Zwischen 2008 und 2010 arbeitete
Kathrin Angerer als freie Schauspielerin vornehmlich mit Sebastian Baumgarten, aber auch
mit Jonathan Meese und Luc Bondy an Häusern wie dem Berliner Ensemble, dem
Schauspielhaus Hannover, dem Maxim Gorki Theater und der Komischen Oper Berlin. 2010
kehrte sie zurück an die Volksbühne, wo sie 2015 erstmalig und dann wiederholt mit René
Pollesch arbeitete. Außerhalb des Theaters ist Kathrin Angerer seit 1995 in zahlreichen Filmund Fernsehproduktionen zu sehen, wo sie u.a. mit Regisseuren wie Christian Petzold,
Dominik Graf oder Wolfgang Murnberger gearbeitet hat. Ihre Stimme ist in über 80
Hörspielen zu hören.
Kathi Angerer ist in der Berliner Theaterszene eine Kultfigur. Nicht nur an der Volksbühne,
sondern auch am Maxim Gorki Theater und der Komischen Oper spielte sie Figuren von der
gnadenlosen Diva bis hin zum naiven Hausmädchen. In „Service / No Service“ führt sie einen
nahezu naturalistischen Dialog mit einem Sprech-Chor und es gelingt ihr, die meist etwas
verquasten Pollesch-Texte wie Alltagssprache aussehen zu lassen, was diese plötzlich
erstaunlich transparent macht. Sie führt diesen teils improvisatorischen, teils äußerst genauen
Abend mit einer großen Kraft, ohne jede Aufdringlichkeit, wirkt dabei bisweilen naiv und
kokett, ohne auch nur einen Funken ihrer Souveränität einzubüßen. Dass sie zuvor noch in
keiner Pollesch-Inszenierung mitspielte, wirkt vor dem Hintergrund dieser Leistung nahezu
ungeheuerlich.
Franz Pätzold
Nominiert als Alter Ego des Regisseurs in Oliver Frljićs Inszenierung „Balkan macht frei“
am Bayerischen Staatsschauspiel
Franz Pätzold wurde 1989 in Dresden geboren. Von 2007 bis 2011 studierte er Schauspiel an
der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy und stand im Rahmen
der Ausbildung bereits auf der Bühne des neuen Theater Halle. Für seine Rolle des John
Tate/Adam in „DNA“ wurde er mit dem Solopreis des 21. Bundeswettbewerbs zur Förderung
des Schauspielnachwuchses ausgezeichnet. Am Residenztheater hat er 2011 sein erstes
Engagement angetreten. 2012 erhielt Franz Pätzold zusammen mit Friederike Ott den
Förderpreis des Vereins der Freunde des Residenztheaters für seine Rolle als Anton in
„Pünktchen und Anton“. 2014 wurde er für seine Arbeit im Ensemble des Residenztheaters
mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet.
Ausgebildet an der Leipziger Schauspielschule und bereits mit 21 dort fertig, gehört Franz
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Pätzold zu den auffälligen Schauspielerpersönlichkeiten der jüngsten Schauspielergeneration.
Bei ihm findet sich eine aufregende Kombination von perfektem Handwerk und Sprache,
darstellerischer Intelligenz und gesellschaftlichem Engagement, wie er es – nachdem er von
Frank Castorf besonders gefördert und herausgefordert wurde – vor allem in Oliver Frljićs
„Balkan macht frei“ unter Beweis stellt. Hier überschreitet er, angefeuert durch die
Kompromisslosigkeit des bosnischen Regisseurs und gleichzeitig völlig selbstbestimmt und
freiwillig in seinem Einsatz, die üblichen darstellerischen Grenzen und macht den starken und
herausfordernden, viel diskutierten politischen Abend dadurch zu einem unvergesslichen
berührenden menschlichen Erlebnis.
Edgar Selge
Nominiert für die Rolle des François in „Unterwerfung“ nach Michel Houellebecq am
Deutschen Schauspielhaus Hamburg
Edgar Selge wurde 1948 in Brilon geboren. Er studierte Philosophie und Germanistik in
München und Dublin sowie klassisches Klavier in Wien und absolviert im Anschluss eine
Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Von 1975 bis 1979 war er
Ensemblemitglied am Schillertheater in Berlin, anschließend spielte er knapp zwanzig Jahre
als festes Mitglied an den Münchner Kammerspielen, wo er mit Regisseuren wie Dieter Dorn,
Thomas Langhoff, Bob Wilson, George Tabori, Hans Lietzau und Franz Xaver Kroetz
zusammenarbeitete. Er gastierte u. a. am Burgtheater Wien, am Schauspielhaus Zürich, am
Deutschen Theater Berlin, am Residenztheater München und bei den Salzburger Festspielen.
Eine kontinuierliche Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem Regisseur Jan Bosse: „Der
Menschenfeind“ (2002) und „Faust I“ (2004) am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg,
„Der zerbrochne Krug“ (2006) und „Hamlet“ (2007) am Schauspielhaus Zürich sowie
„Othello“ (2010) am Burgtheater Wien. Selge ist ein mehrfach preisgekrönter Film- und
Fernsehschauspieler. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen, wie z. B. dem GrimmePreis und dem Deutschen Filmpreis, erhielt er 2003 den deutschen Fernsehpreis für die
Verkörperung des einarmigen Kommissars Jürgen Tauber im „Polizeiruf 110“. 2011 wurde er
mit dem Bayerischen Filmpreis als bester Hauptdarsteller in dem Film „Poll“ (Regie: Chris
Kraus) ausgezeichnet.
Edgar Selge spielt François, die zentrale Figur aus Michel Houellebecqs jüngstem Roman
„Unterwerfung“, und er spielt auch den Autor selbst in einer atemberaubenden dreistündigen
Soloperformance. Sein François ist verklemmt, ängstlich und frustriert, dann wieder
großspurig und überheblich. Selge zeigt sich als Meister des plötzlichen Bruchs: zwischen
Larmoyanz und Aggression, Stammtisch und intellektueller Hybris, Feingeistigkeit und
Grobheit. Er wahrt stets eine gewisse Distanz – zum Stoff, zu seiner Rolle, zu seinem Spiel
und ermöglicht dadurch einen kritischen Blick auf die Vorlage. Edgar Selge ist ein Ereignis
und stellt mit dieser Rolle erneut unter Beweis, dass er einer der wichtigsten Darsteller seiner
Generation ist.
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Regie Musiktheater
Jochen Biganzoli
Nominiert für seine Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“
am Theater Lübeck
Jochen Biganzoli, geboren in Kaiserslautern, studierte Theater- und Musikwissenschaft an der
Universität Erlangen-Nürnberg. Er war Regieassistent und Spielleiter in Karlsruhe und
Bremen und unterrichtete an der Hochschule für Künste, Bremen. Danach wurde er
Oberspielleiter am Kleist Theater in Frankfurt (Oder). Seit 1999 ist er freiberuflich tätig, u.a.
in Pforzheim, in Augsburg, sowie in Eisenach und Detmold. 2010 eröffnete er die SchumannTage in Zwickau mit „Genoveva“ und inszenierte zum 50. Jubiläum der Oper Leipzig „Die
Meistersinger von Nürnberg“ sowie in Osnabrück „Simplicius Simplicissimus“ und „Mörder,
Hoffnung der Frauen - Das Nusch-Nuschi - Sancta Susanna“, das von der „Opernwelt“ eine
Nominierung zur Aufführung des Jahres erhielt. 2013 debütierte er mit „Der Meister und
Margarita“ an der Hamburgischen Staatsoper, wofür er den Rolf Mares-Preis erhielt. 2015
inszenierte er „Tannhäuser“ in Bielefeld. In der Spielzeit 2015/16 debütierte er mit „Mathis
der Maler“ an der Semperoper Dresden sowie mit „Lady Macbeth von Mzensk“ in Lübeck.
Der in Kaiserslautern geborene und in Bremen lebende Jochen Biganzoli hat sich
deutschlandweit einen hervorragenden Ruf als Opernregisseur erarbeitet. In seiner
Inszenierung von „Lady Macbeth von Mzensk“ gelingt es ihm, Schostakowitsch in grellen und
assoziativen Bildern zu aktualisieren und der Musik zu größtmöglicher Wirkung zu verhelfen.
Er inszeniert gerade dadurch sehr musikalisch, dass er die Musik immer wieder überraschend
neu interpretiert. Zudem eröffnen die Ergänzungen mit Kammermusik des Komponisten dem
Werk neue Räume. Biganzoli gelingt es, die Tragik der Entstehungszeit mit einem
gegenwartsbezogenen Kommentar zum Stück so auszubalancieren, dass weder die stücknoch die zeitbezogenen Aspekte beschädigt werden. Er inszeniert das Ringen der Menschen in
und mit ihren privaten und gesellschaftlichen Problemen vor einer sich offenbar immer
wiederholenden gesellschaftlichen Folie. Der Abend entlässt den Zuschauer im positiven
Sinne mit vielen Fragen und dem Drang zum Nach- und Weiterdenken.
Paul-Georg Dittrich
Nominiert für seine Inszenierung von Alban Bergs „Wozzeck“ am Theater Bremen
Paul-Georg Dittrich, geboren 1983, absolvierte von 2007 bis 2011 ein Regie-Studium an der
Theaterakademie Hamburg. Er inszenierte u.a. am schauspielfrankfurt, am Theater
Heidelberg, am Schauspielhaus Wien, am Maxim Gorki Theater Berlin, am LTT Tübingen,
am Stadttheater Bremerhaven, auf Kampnagel Hamburg, an den Sophiensaelen Berlin, am
Theater Kiel, am Schauspielhaus Chemnitz, am St. Pauli Theater Hamburg und an der
Neuköllner Oper Berlin. Festivaleinladungen zu den Baden-Württembergischen Theatertagen
2013, zu Kaltstart Hamburg, den 1. Privattheatertagen Hamburg, at.tension 2 in Lärz, 100
Grad Berlin und 150% Made in Hamburg. Zugleich arbeitet er als Videokünstler.
Paul-Georg Dittrich inszeniert „Wozzeck“ in einer labyrinthischen, künstlichen und
modellhaften Welt. Eine zeitlose Welt ohne Rückzugsräume, in der alle Figuren immer
anwesend sind und sich ständig beobachten. Die Scheibe, auf der diese Welt montiert ist,
und das ständige Drehen stehen für ein geschlossenes System, aus dem keiner
entkommt. Verstärkt wird das noch durch die Kinder, die immer anwesend, zwanghaft
durch Anschauung lernen, wie dieses System funktioniert, und die am Ende durch ihr so
erlerntes Handeln alles wieder auf Anfang stellen. In den zum Teil grotesken Kostümen
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werden die Figuren künstlich überhöht, vermeiden so psychologische Darstellung und
werden zu Archetypen. Die Künstlichkeit hält das Stück auf eine Distanz, die keine
„Arme Leut“-Betroffenheit zulässt. Durch die Inszenierung wird die Musik nicht in eine
abhängige Rolle gedrängt, weder vom Text des Dramas noch vom Gang der Handlung.
Sie ist von Alban Berg in keiner Weise illustrativ komponiert, sondern „holt“, wie er
sagt, „alles“, was zur Umsetzung des Dramas auf die Bühne notwendig ist „aus sich
allein heraus“. Und sie wird auch durch die Inszenierung nicht zur Illustration
gezwungen. Sie kann so ihren eigenständigen Anteil an dem Stück uneingeschränkt
behaupten. Paul-Georg Dittrich zeigt geradezu modellhaft, was sinnvolle
Musiktheaterregie ausmacht.
Peter Konwitschny
für seine Inszenierung von Fromental Halévys „La Juive“ am Nationaltheater Mannheim
Peter Konwitschny absolvierte ein Regiestudium an der Hochschule für Musik Hanns Eisler
in Berlin und assistierte von 1971 bis 1979 am Berliner Ensemble unter der Intendanz von
Ruth Berghaus. Erste eigene Inszenierungen entstanden Mitte der 70er Jahre. Von 2008 bis
2011 war er Chefregisseur der Oper Leipzig. Wichtige Inszenierungen der letzten Jahre waren
u. a. „Die Csárdásfürstin“ (Semperoper Dresden), „Intolleranza“ (Deutsche Oper Berlin),
„Wozzeck“, „Der Freischütz“, „Don Carlos“, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, „Der
Rosenkavalier“, „Lulu“, „Moses und Aron“, „La clemenza di Tito“ (alle an der Staatsoper
Hamburg), „Die Zauberflöte“ (Staatsoper Stuttgart), „Elektra“ (Königliches Theater
Kopenhagen), „Al gran sole carico d’amore“ (Staatsoper Hannover), „Don Giovanni“, „Così
fan tutte“, „Das Land des Lächelns“ (alle an der Komische Oper Berlin) und „Salome“
(Niederländische Oper Amsterdam). Sein Neuansatz bei der szenischen Interpretation von
Händel-Opern war wegweisend für die szenische Wiederentdeckung dieser Werke. Und auch
seinen Inszenierungen von „Parsifal“, „Tristan und Isolde“ (beide an der Bayerischen
Staatsoper München), „Tannhäuser“ (Sächsische Staatsoper Dresden), „Lohengrin“, „Die
Meistersinger von Nürnberg“ (beide an der Hamburgischen Staatsoper), „Götterdämmerung“
(Staatsoper Stuttgart) und „Der fliegende Holländer“ (Bolschoi-Theater Moskau) sind ein
wichtiges Kapitel Theatergeschichte, durch die Konwitschny eine neue Phase der
Auseinandersetzung mit den Werken Richard Wagners auslöste. Eine neue Werkgruppe, der
Konwitschny in den letzten Jahren sein inszenatorisches Interesse zuwandte, sind Bachs
geistliche Kantaten. Peter Konwitschny erhielt 1988 den Kunstpreis der DDR, 1993 den
Konrad-Wolf-Preis der Berliner-Akademie der Künste, 1997 das Bundesverdienstkreuz, 2005
den Berliner Theaterpreis und 2007 den Preis des Internationalen Theaterinstituts. Er war
fünfmal „Regisseur des Jahres“ (Opernwelt). Mit „La Juive“ ist erstmals eine Regiearbeit
Peter Konwitschnys am Nationaltheater Mannheim zu sehen.
„Nirgends brennen wir genauer.“ Jener von Ernst Bloch formulierte Satz, der einst das
künstlerischer Credo der Kroll-Oper schlagwortartig umriss, beschreibt in nuce auch die
Kunst Peter Konwitschnys: wie er aus der musikalischen Substanz eines Werkes heraus
dessen überzeitlichen humanistischen Aussagegehalt und die szenisch-darstellerischen
Komponenten ihrer Realisierung abzuleiten und mit den politischen und gesellschaftlichen
Fragestellungen der Gegenwart auf fantasievoll zwingende Weise kurzzuschließen vermag.
Die Neuinszenierung von „La Juive“ ist hierfür ein Musterbeispiel. Im Mittelpunkt der im
Jahre 1414 in der Konzilstadt Konstanz spielenden Handlung steht die als Jüdin
aufgewachsene Christin Rachel, die sich verbotenerweise in einen Christen verliebt. Um
diesen zu retten, nimmt sie die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen in Kauf. Und als der
Scheiterhaufen brennt, enthüllt ihr gleichfalls zum Tode verurteilter Ziehvater Eléazar dem
für Rachels Tod verantwortlichen Kardinal, dass er gerade seine eigene, tot geglaubte
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Tochter ins Feuer geschickt hat. Ohne vordergründig Religionskritik zu üben, interpretiert
Peter Konwitschny das Werk als eine Parabel über ideologischen Fanatismus und seine
Folgen. Selbst bei Konwitschny, der mit seiner hochindividuellen Chorführung neue
Maßstäbe setzte, hat man selten eine derart bis ins kleinste Detail gehende Individualisierung
der Massen gesehen. Gleichzeitig gelingt es ihm, die Komplexität und Gebrochenheit der
Charaktere mit außerordentlicher Intensität in Szene zu setzen und eine bisher selten erlebte
emotionale Betroffenheit des Auditoriums zu erzeugen. Aus diesen Gründen ist „La Juive“ in
Konwitschnys Interpretation zu einer maßstabsetzenden Inszenierung nicht nur der Spielzeit
2015/16 geworden.
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Sängerdarstellerin/Sängerdarsteller Musiktheater
Nicole Chevalier
Nominiert für die Rolle Stella/Olympia/Antonia/Giulietta in Barrie Koskys Inszenierung „Les
Contes d’Hoffmann“ an der Komischen Oper Berlin
Nicole Chevalier studierte an der Indiana University (USA) Musik und Gesang bei Virginia
Zeani, außerdem Schauspiel und Literaturgeschichte. 1998 schloss sie ihr Studium mit
Diplom ab und setzte ihr Gesangsstudium an der Juilliard School in New York City fort. Ihr
erstes Festengagement führte sie von 2003 bis 2007 an das Theater Freiburg, wo sie als Iphise
in „Dardanus“ (Regie: Thomas Krupa), Ilia in „Idomeneo“, die Gräfin in „Le nozze di
Figaro“, Fiordiligi (Regie: Max Färberböck), Adina und Maria Stuarda (Regie: Johannes
Schütz) zu hören war. Für die Partie der Lucia in Donizettis „Lucia di Lammermoor“ wurde
sie 2005 und 2009 in der Zeitschrift „Opernwelt“ mehrfach als Beste Nachwuchssängerin und
als Beste Sängerin nominiert. In Freiburg begann auch ihre Auseinandersetzung mit moderner
Musik. Von 2007 bis 2009 gehörte die Sopranistin zum Ensemble des Staatstheaters Kassel,
wo sie als Antonia und Giulietta in „Les Contes d’Hoffmann“, als Alice Ford, Donna Elvira
in „Don Giovanni“, Iole in Händels Oratorium „Herkules“, Blanche in „Les Dialogues des
Carmélites“, Angèle Didier in „Der Graf von Luxemburg“ und wiederum als Lucia zu erleben
war. Sie trat darüber hinaus als Konzertsängerin auf, u.a. bei den Bregenzer Festspielen 2007
mit den Wiener Symphonikern unter Kirill Petrenko und unter Gabriel Feltz mit dem
Freiburger Orchester. 2006 gewann sie den 1. Preis als beste Klassik-Sängerin beim 24.
Internationalen Zeltmusikfestival (ZMF) in Freiburg. 2010 gastierte sie mit Margarethe in
Gounods Oper „Faust“ am Staatstheater Kassel und gab im Anschluss daran in München ihr
Konzertdebüt mit den Münchner Symphonikern. 2012 wurde sie für ihre Darstellung der
Violetta Valéry in „La traviata” an der Staatsoper Hannover für den FAUST nominiert.
Nicole Chevaliers sängerdarstellerische Leistung in Barrie Koskys Inszenierung von
Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ ist schon dadurch außerordentlich, dass sie alle
vier Geliebten des Titelhelden (Stella, Olympia, Antonia und Giulietta) verkörpert. Für
jede findet sie mit staunenswerter Wandlungsfähigkeit eindrückliche Charakterisierungen, so
dass sie auf der Bühne überzeugend und mit hoher Präsenz lebendig werden. Die
überbordende Komik der Olympia gelingt ihr ebenso wie die Einsamkeit und Verlorenheit der
Antonia oder die Körperlichkeit und Sinnlichkeit der Giulietta. Mit makelloser Technik und
stimmlicher Schönheit bewältigt sie die unterschiedlichen Sopranfächer und ihre stilistischen
Anforderungen.
Kangmin Justin Kim
Nominiert für die des Arthur Gordon Pym in Johann Kresniks Inszenierung „Pym“ am
Theater und Orchester Heidelberg
Der koreanisch-amerikanische Countertenor Kangmin Justin Kim ist Preisträger zahlreicher
internationaler Wettbewerbe. Sein Operndebüt gab er 2013 als Menelao in einer Produktion
von Cavallis „Elena“ des Festivals Aix-en-Provence. Es folgten u. a. Idamante in Mozarts
„Idomeneo“ am Theater Gießen sowie 2014/15 Prinz Orlofsky in „Die Fledermaus“ an der
Pariser Opéra Comique zum 300. Geburtstag des Hauses unter Mark Minkowski, Sesto („La
Clemenza di Tito“) in Montpellier und im Juni 2015 Oreste in „La belle Hélène“ am Pariser
Théâtre du Châtelet. Seit der Spielzeit 2015/16 gehört er zum Opernensemble des Theaters
und Orchesters Heidelberg und singt hier Cherubino in „Le nozze di Figaro“, Aeneas in der
Deutschen Erstaufführung von Leonardo Vincis „Didone abbandonata“ beim Barock-Fest
„Winter in Schwetzingen“ sowie die speziell für ihn geschriebene Titelrolle in der
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Uraufführung von „Pym“ von Johannes Kalitzke.
Der koreanisch-amerikanische Countertenor Kangmin Justin Kim ist Preisträger zahlreicher
internationaler Wettbewerbe. Sein Operndebüt gab er 2013 mit großem Erfolg als Menelao in
einer Produktion von Cavallis „Elena“ des Festivals Aix-en-Provence, und vieles spricht
dafür, dass er am Anfang einer steilen Karriere steht. Seine Interpretation der Titelpartie von
Johannes Kalitzkes neuer Oper ist in der Tat phänomenal – er füllt unangefochten das
dramatische Zentrum dieser Produktion. Edgar Allan Poes Geschichte von Arthur Gordon
Pym aus Nantucket ist die Geschichte eines Horrortrips. Eine Katastrophe reiht sich an die
andere, und jede ist schlimmer als die vorhergehende. Kalitzkes aufwändige Partitur – ein
höchst komplexes Gebilde und musikalisch eine Zeitreise – eröffnet einen klanglichen Kosmos
mit höchsten Anforderungen an die Darsteller. Aber nicht nur als Sänger meistert Kim alle
Klippen, sondern auch als Darsteller und Tänzer wird er zur tragenden Figur des Abends.
Dabei kann er sich auf das wunderbar geführte und in allen Stimmlagen sichere Instrument
seiner außergewöhnlichen Stimme bedingungslos verlassen.
Ewa Wolak
Nominiert für die Rolle der Fidès in „Der Prophet“ unter der Regie von Tobias Kratzer am
Badischen Staatstheater Karlsruhe
Ewa Wolak erhielt ihre musikalische Ausbildung in den Fächern Gesang und Bratsche an der
Musikakademie Krakau. Ihr Gesangstudium schloss sie dort mit Auszeichnung ab. Als
DAAD-Stipendiatin vervollständigte sie ihre Ausbildung an der Hochschule für Musik in
Karlsruhe. Sie ist Preisträgerin verschiedener Gesangswettbewerbe, u. a. des „International
Vocal Competition s´Hertogenbosch“ und des „Maria Callas Grand Prix“ in Athen. 1998
wurde sie mit dem Europäischen Kulturpreis ausgezeichnet. Ihre Konzerttätigkeit führte Ewa
Wolak nach Südkorea, Israel, Japan, in die USA sowie zu zahlreichen Festivals in ganz
Europa. So sang sie u. a. bei der „European Chimey Foundation“ in Belgien, dem Warschauer
Herbst, den Tiroler Wagner-Festspielen in Erl sowie dem Vilnius Festival. Außerdem trat sie
bei den internationalen Händel-Festspielen in Göttingen, Halle und Karlsruhe in diversen
Produktionen wie „Theodora“, „Il trionfo del tempo e del disinganno“ und „Ariodante“ auf
und gastierte am Nationaltheater Mannheim, der Opéra Montpellier und der Komischen und
Deutschen Oper Berlin. Seit 1998 ist sie am Staatstheater Karlsruhe engagiert, wo sie bereits
u. a. in der Titelpartie von „Carmen“, als Erda in „Das Rheingold“ und in „Siegfried“, als
Fricka in „Die Walküre“, als Isabella in Rossinis „L’Italiana in Algeri“ sowie als Dalila in
„Samson et Dalila“ zu erleben war. Im März 2011 wurde ihr in Anerkennung ihrer
künstlerischen Arbeit der Titel „Kammersängerin“ verliehen. In den vergangenen Spielzeiten
war sie in der Titelpartie von „Carmen“, als Anna in „Die Trojaner“, als Fricka und Erda im
„Ring des Nibelungen“, als Ulrica in „Ein Maskenball“ sowie als Mrs. Quickly in „Falstaff“
zu hören.
Die Partie der Fidès in Meyerbeers „Le Prophète“ gehört unstreitig zu den anspruchsvollsten
Partien, die je für Alt geschrieben wurde. Die Fähigkeit zur gleichwohl klangschön
gestalteten hochdramatischen Attacke, zur vokalen Expansion, die ein Orchester in
Wagnerstärke (a posteriori betrachtet) unforciert zu überfluten vermag, ist ebenso
erforderlich wie die Gestaltung feiner Lyrismen. Dazu muss die Interpretin der Rolle über
eine umfangreiche Tessitura verfügen, die insbesondere in der Lage ist, in echte Alt-Tiefen
herabzusteigen. Mit anderen Worten − erforderlich ist ein Stimmtypus, der eigentlich für
ausgestorben gilt: Ein echter Contra-Alto, der über eine geheimnisvoll dunkle Klangfarbe
und eine bewegliche, dennoch voluminöse Stimme mit hochdramatischem Potenzial verfügt.
Ewa Wolaks Stimme ist ein Instrument, das diesen Anforderungen auf das Beglückendste
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entspricht und die Sängerin befähigt, mit großer musikalisch-gestalterischer Intelligenz ein
unter die Haut gehendes Rollenporträt zu liefern. Dazu besitzt Ewa Wolak eine
außergewöhnliche Bühnenpräsenz, die ihre Fidès zum sängerdarstellerischen Kraftzentrum
von Tobias Kratzers packender Inszenierung werden lässt.
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Choreografie
Alexander Ekman
Nominiert für seine Choreografie „COW“ an der Semperoper Dresden
Der gebürtige Schwede Alexander Ekman, Jahrgang 1984, tanzte beim Königlich
Schwedischen Ballett, beim Cullberg Ballet und beim Nederlands Dans Theater 2. 2006
beendete er seine Tänzerkarriere, um sich ganz dem Choreografieren widmen zu können.
Seitdem ist er international gefragt und entwickelt Werke unter anderem für das Cullberg
Ballett, die Compañia Nacional de Danza, das Göteborg Ballett, das Berner Ballett, das Ballet
de l’Opéra du Rhin, das Königlich Schwedische Ballett, das Norwegische Nationalballett, das
Cedar Lake Contemporary Ballet und das Boston Ballet. 2011 arbeitete Ekman als Lehrer und
Choreograf an der Julliard School in New York City. Von 2011 bis 2013 war er Associate
Choreographer am Nederlands Dans Theater. Auch im Bereich Filmproduktion ist er
engagiert. Für seine Werke komponierte Alexander Ekman bereits selbst die Musik, oft
kreiert er zusätzlich das Bühnenbild. Sein Werk „Cacti“, für das er auch Bühne und Kostüme
entwarf, wurde mit zahlreichen Preisen bedacht. 2013 war es an der Semperoper im Rahmen
des Ballettabends „Nordic Lights“ als sein Hausdebüt zu erleben.
Alexander Ekman hat mit seinem Werk „COW“ mit dem Semperoper Ballett viel gewagt und
sich und seine Umwelt im Positiven herausgefordert. Er ist ein Wirkungsmechaniker und
Bilderstürmer der besonderen Art. Er schafft es, die ihm zur Verfügung stehenden Mittel
virtuos einzusetzen. Darüber hinaus verlangt er dem Hause (technische) Leistungen ab, wie
es in diesem Ausmaß in 27 Jahren seit der Eröffnung niemandem gelungen ist, und zeigt diese
immer eingebettet in Tanz und Bewegung. Ein Tanzabend, der mit Traditionen bricht. Visuell
opulente, stark energetische und stille, poetische Passagen werden immer wieder von
impulsiven Momenten unterbrochen. Ekman hält dem konservativen Theatergänger einen
Vexierspiegel vor und fordert ihn auf, die Pfade gewohnter Sichtweisen zu verlassen.
Yuki Mori
Nominiert für seine Choreografie „The House“ am Theater Regensburg
Yuki Mori, 1978 in Kobe, Japan, geboren, schloss seine Ausbildung an der Schule des
Hamburg Balletts, John Neumeier, ab. Als Solist wurde er an das Ballett Nürnberg, an die
Staatsoper Hannover und an das schwedische Ballett der Göterborg Opera engagiert. Danach
folgte er erneut dem Ruf Stephan Thoss’ an das Ballett des Staatstheaters Wiesbaden. Mit der
Spielzeit 2012/13 wurde Yuki Mori künstlerischer Leiter und Chefchoreograf von
Theater Regensburg Tanz. Er tanzte u.a. in Choreografien von John Neumeier, William
Forsythe, Mats Ek, Daniela Kurz, Stephan Thoss. Seit 1999 ist Mori als Choreograf tätig.
Er kreierte für das Sadamtsu-Hamada Ballett in Kobe, das Noh-Theater Tokio, das Ballett
Nürnberg, das Staatstheater Wiesbaden, die Staatsoper Hannover und das Tiroler
Landestheater Innsbruck. Für seine Choreografien erhielt er in Japan u.a. 2007 den
renommierten „New Artists Award“ und 2011 den „Grand Prix“ in der Kategorie Tanz des
japanischen Kulturministeriums und des National Arts Festivals. Die Choreografie „Missing
Link“ wurde 2005 beim 19. Internationalen Wettbewerb für Choreografie mit dem Kritikerund Publikumspreis ausgezeichnet. Als Chefchoreograf und künstlerischer Leiter der Sparte
Tanz in Regensburg entstanden unter anderem Arbeiten wie „Ich, Wagner. Sehnsucht!“, „Am
Rand der Stille“, „Le Sacre du Printemps“, „Don Quijote“ bis hin zu dem Tanzkrimi
„The House“. In der Autorenumfrage von „Die deutsche Bühne“ wurde der
Doppelabend „Gefangen im tRaum/ Bernarda Alba“ von Yuki Mori und Stephan Thoss
besonders hervorgehoben.
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Yuki Mori gelingt in seinem Werk „House“ eine sehr skurrile Bildersprache durch
Bewegung. Er erfindet für sein 10-köpfiges Ensemble eine eigene Geschichte eines
Tanzkrimis und betritt damit ein für den Tanz ungewöhnliches Genre. Als Handlungsballett in
eigener Autorenschaft mit Mut zum Erzählen entwickelt, entpuppt es sich als Hotspot
emotionaler Geschichten, die er mit einer zeitgenössischen Tanzsprache und mit viel
Spannung gestaltet. Seine Tänzer weiß er ausdrucksstark mit überzeugender Personenführung
einzusetzen. Er vertraut der Bewegung und verhindert dadurch Banalität und
Oberflächlichkeit.
Johannes Wieland
Nominiert für seine Choreografie „you will be removed“ am Staatstheater Kassel
Johannes Wieland ist ehemaliger Solist des Béjart Ballet Lausanne und der Berliner
Staatsoper. 2002 gründete er in New York seine eigene Kompagnie johannes wieland.
Seitdem schuf er eine Vielzahl an Choreografien. Sein Duett „shift“ erhielt 2004 den Essener
Kurt-Jooss-Förderpreis. Im selben Jahr gehörte er auch zu den Siegern des internationalen
Choreografie-Wettbewerbs des Hubbard Street 2 in Chicago. Seine Kompagnie ist bereits in
einer Vielzahl von Veranstaltungsorten in New York aufgetreten und sowohl national als auch
international eingeladen worden. Neben der Tätigkeit als Leiter seiner eigenen Kompagnie
war er auch stellvertretender künstlerischer Direktor von „Paradigm“, New York tätig.
Darüber hinaus ist er weltweit als Gastchoreograf und Lehrer für Tanzkompagnien und
Schulen tätig (beispielsweise an der Juilliard School of Music, New York). Er ist Träger eines
BFA der Universität von Amsterdam und eines MFA der New York University/ Tisch School
of the Arts. Seit der Spielzeit 2006/07 ist Johannes Wieland Tanzdirektor des Tanzensembles
des Staatstheaters Kassel.
Johannes Wieland wählt für sein Werk „you will be removed“ die Themen Flucht und
Krieg, die er in verschiedensten Facetten bearbeitet. Dafür findet er eine sehr eigene,
heutige tanztheatrale Sprache, die fern ist von „oft Gesehenem“. Die choreografischen
Bilder, die er entwickelt, werden mit schonungsloser Offenheit vorgetragen und
erzählen von seelischen Abgründen und den unausgesprochen Dingen. Es spielt sehr
geschickt mit Ensemble-Choreografien und Soli, die immer wieder im Chaos enden. Er
findet eine sehr eigene Form, die vieles aufbricht und so eine bedrohliche Atmosphäre
schafft, die sehr nah geht – nicht zuletzt, weil sie uns den Spiegel vorhält, ohne moralisch
daherzukommen, und umso nachhaltiger wirkt.
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Darstellerin/Darsteller Tanz
Tyler Schnese
Nominiert für seine Leistung als Kaspar Hauser in „Kaspar Hauser“ am Hessischen
Staatsballett
Tyler Schnese wurde in Appleton, USA, geboren. Seine Ausbildung absolvierte er an der
Codarts Rotterdamse Dansacademie und am SUNY Purchase College New York. Er ist seit
der Spielzeit 2014/15 im Ensemble des Hessischen Staatsballetts.
Tyler Schnese verkörpert die zentrale Figur und ihre Selbstbefragung mit großer physischer
Eindringlichkeit, vor allem, wenn er sich den aufrechten Gang auf der Außenkante der Füße
erkämpft, den Raum erobert und darin mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Er schafft
es über den ganzen Abend hinweg virtuos, mit viel Einfühlungsvermögen und auf berührende
Weise, Kaspar Hauser einen naiven Charakter zu geben. Durch seine großartige Darstellung
schafft es der Solist, die herbe Lebensgeschichte Kaspar Hausers dem Publikum sehr
plastisch und sinnlich näher zu bringen, so dass der mühevolle Weg zum aufrechten Gang bis
hin zum mörderischen Ende geradezu mit erlitten wird.
Aloalii Naughton Tapu
Nominiert für seine Leistung in „Urban Soul Café“ am Ballhaus Ost Berlin
Aloalii Naughton Tapu is a freelance artist based in Otara, South Auckland, New Zealand. He
is of Samoan descent. He has a Bachelor of Performing and Screen Arts majoring in
Contemporary Dance. He's developing a site-specific-online-improvisational-series with some
artists from New Zealand. He has recently worked with Okareka Dance Company and
Tanemahuta Gray on the world premiere of „Tiki Taane Mahuta“, a fusion of contemporary
dance and aerial theatre.
„Urban Soul Café“, ein Stück von Christoph Winkler und getanzt von Aloalii Tapu, ist eine
Art „Personality Show“, in der Tanz, erzählende Passagen und Videoeinspielungen sich
abwechseln. Erzählt wird die (autobiografische) Geschichte eines jungen Mannes, der nach
Europa kam, in Royston Maldooms Projekt „Sacre du Printemps“-Projekt mittanzte, „Cafe
Müller“ von Pina Bausch sah und beschloss, zeitgenössischer Tänzer zu werden. Sehr
anrührend und überaus authentisch gestaltet der wandlungsfähige und agile Tänzerdarsteller
den gesamten Solo-Abend. Die Vermischung von ausdrucksstarkem Maori-Tanz, Urbandance
und zeitgenössischen Tanzsequenzen artikuliert der Ausnahmetänzer sehr ehrlich, intensiv,
raumgreifend, geschmeidig, erdverbunden und äußerst sehenswert entlang der angedeuteten
Geschichten.
Max Zachrisson
Nominiert für seine Rolle als Mann in „Latent“ am Staatstheater Nürnberg
Der schwedische Tänzer Max Zachrisson erhielt seine Tanzausbildung an der Schwedischen
Ballettschule in Göteborg und der Königlichen Schwedischen Ballettschule in Stockholm.
Nach seinem Abschluss im Jahr 2007 wurde er als Tänzer an das Dortmunder Ballett
engagiert. Im gleichen Jahr war er Stipendiat u. a. der Königlichen Schwedischen Oper. Max
Zachrisson hatte zuletzt ein Engagement als Tänzer am Schleswig-Holsteinischen
Landestheater, bevor er 2008/09 als Compagniemitglied an das Staatstheater Nürnberg Ballett
verpflichtet wurde. Für seine tänzerischen Leistungen wurde Max Zachrisson mit dem
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Bayerischen Kunstförderpreis 2012 ausgezeichnet. Zu seinen Solopartien zählen u. a. Romeo
(„Romeo und Julia“), Otello („Desde Otello“), Allemande, Adagio, Presto, Grave („Vasos
Comunicantes - Kommunizierende Röhren“), Prinz („Dornröschen“), Don José, Escamillo
(„Carmen“), „Duende“, „Sechs Tänze“, Nussknacker („Der Nussknacker“), „Walking Mad“,
„A sort of ...“, „Short Works: 24“, „Cantata“, Prinz („Cinderella“), „Por vos muero“, „Black
Bile“, Christian / Valvert („Cyrano“) und „111“.
In die Satzpausen von Berlioz' Sinfonie fügt Choreograf Goyo Montero jeweils ein
Intermezzo, das sich in einer spartanisch eingerichteten Betonzelle abspielt: Ein Mann im
blauen Anzug wird von düsteren Visionen heimgesucht. Der Tänzer Max Zachrisson gestaltet
diesen Tanz durch eine albtraumhafte Seelenlandschaft sehr wandlungsfähig. Dabei stellt er
den geplagten Mann glaubhaft, beängstigend paranoid, grandios in der Verbindung
jugendlicher Artistik und altersloser Charakteristik dar, schafft es immer wieder, die
Abgründe dieser Figur in tänzerischen Gegensätzen sehr eindrucksvoll darzustellen. Im
Ausleben innerer Konflikte krümmt sich sein Körper, für den die Gesetze der Schwerkraft
nicht zu gelten scheinen.
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Regie Kinder- und Jugendtheater
Liesbeth Coltof
Nominiert für ihre Inszenierung von „Der Junge mit dem Koffer“ am Jungen Schauspielhaus
Düsseldorf
Liesbeth Coltof ist künstlerische Leiterin der „Toneelmakerij“ in Amsterdam. Ihre Arbeiten
richten sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Das Repertoire von Liesbeth Coltof
besteht aus Adaptionen von Klassikern, zeitgenössischen Autoren und einer Reihe von
Theaterprojekten. Sie arbeitet regelmäßig mit Künstlern aus anderen Disziplinen. 1999 erhielt
sie den „Prinz Bernhard Culture Award“, 2013 gewann ihre Uraufführungsinszenierung von
Ad de Bonts „Mehmet De Veroveraar“ („Mehmed der Eroberer“) den Jugendtheaterpreis
„Gouden Krekel“. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet sie auch immer wieder im Nahen Osten,
u.a. in Gaza, Hebron, Ramallah und Dschenin, wo sie inszeniert und Workshops leitet, in
denen sie sich intensiv mit dem Leben der Menschen vor Ort auseinandersetzt. In der
Spielzeit 2012/13 inszenierte sie am Schauspiel Dortmund hier „Wer hat Angst vor Virginia
Woolf?“. In der Saison 2013/14 führte sie dort Regie bei Wajdi Mouawads „Verbrennungen“.
Liesbeth Coltof ist eine der Großen in der Niederländisch-Deutschen Theaterszene.
Mit der Regiearbeit zu „der Junge mit dem Koffer“ ist ihr ein ganz besonderer Zugang
gelungen – sie hat die schlichte Geschichte von Mike Kenny in einen ganz großen
Theaterabend/-morgen verwandelt. Coltof lässt das Publikum teilhaben: In Gruppen einzeln
hereingeführt, nehmen die Zuschauer auf Koffern und gepolsterten Plastiktaschen Platz. Der
Zuschauerraum ist eingezäunt. Die Spielhandlung findet auf einem großen Gerüst in der
Mitte der Spielfläche statt, Gitter spielen überall eine Rolle. Das Spiel ist intensiv und stellt
gleichzeitig seine Figuren und ihre Not schonungslos aus. Das Setting erfordert einen
manchmal fast überdeutlichen Ton, ohne dass das Spiel dadurch an Genauigkeit oder
Feinheit verliert. Im Gegenteil, den Spielern gelingt es unter Coltofs Führung wunderbar, in
verschiedene Rollen zu schlüpfen (die wechselnde Rahmenhandlung wird von einem relativ
kleinen Team verkörpert) oder die durchgespielten Hauptfiguren berührend intensiv zu
spielen. Es ist der Regisseurin gelungen, die Themen Flucht und Suche nach einem neuen
Zuhause ohne Pathos als eine nachvollziehbare große Geschichte zu erzählen. Der magische
Moment der Inszenierung ist die von den Darstellern angeführte Wanderung der kompletten
hinteren Zuschauertribüne (mit ihren Taschen und Koffern) nach vorne, wo sie sich unter den
anderen, schon dort sitzenden, ihren Platz suchen müssen. Die Wirkung hier ist
überwältigend (sie teilt sich sogar noch in einem schlechten, aus einer durchgehenden Totale
gefilmten Mitschnitt mit). Die Inszenierung vereint starke Darsteller in einem überaus
gelungenen Bühnenkonzept mit einem wunderbaren Rhythmus. Die Schauspieler bringen die
sehr berührende Geschichte zum Leuchten. Die inhaltliche Schwere wird erträglich für das
Publikum durch das Setting und die gut dosiert eingesetzten interaktiven Elemente. Die
Möglichkeiten des Theaters werden aufs Feinste eingesetzt.
Andrea Maria Erl
Nominiert für ihre Inszenierung von „Schneewittchen“ am Theater Mummpitz Nürnberg
Koproduktion mit dem TAK Theater Liechtenstein
Geboren 1962 in Marktredwitz, studierte Andrea Maria Erl Theaterwissenschaft und
Politische Wissenschaft in Erlangen. Erste praktische Theatererfahrungen sammelte sie in der
Freien Theaterszene Nürnbergs, als Regieassistentin an den Städtischen Bühnen Nürnberg
und Frankfurt am Main. Es folgten verschiedene Inszenierungen u.a. am Staatstheater
Wiesbaden, Theater an der Parkaue Berlin und am Theater Erlangen. Seit 1994 ist Andrea
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Maria Erl Künstlerische Leiterin und Regisseurin des Theater Mummpitz und seit 2000
Künstlerische Leiterin des Festival panoptikum in Nürnberg sowie seit 2010 stellvertretende
Vorsitzende der ASSITEJ, der internationalen Vereinigung für Kinder- und Jugendtheater.
Da erzählt eine Freie Gruppe das Märchen von Schneewittchen neu. Mit nur einer Frau und
vier Männern im Team treten sie zunächst an wie eine Jahrmarktstruppe aus alten Zeiten. Die
Bühne sinnlich ausgestattet: Holz, Leder, Pappe, Instrumente. Ein Leierkasten. Zwei Musiker.
Es ist eine unglaubliche Fülle von Ideen, die die Regie da aufbietet: Ein Schneewittchen, das
über Schuhe in verschiedenen Größen und schließlich als Puppe gespielt wird. Eine Königin,
deren eitles Spiegelbild von einem Mann wunderbar androgyn dargestellt wird, wieder ein
anderer spielt die Königin bei ihren Verführungsversuchen zum Tod und mischt dabei eine
feine Komik unter die Gefährlichkeit der Figur. Schattenspiel, Figurenspiel, dabei Figuren in
allen Variationen. Die Zwerge schließlich sind hier zu fünft – Riesenbärte für alle Beteiligten
und ein starkes musikalisches Motiv, mehr braucht es nicht, um die Zwergenwelt zu eröffnen.
Die fünf alten Männer liefern einige der schönsten Bilder der Inszenierung und sind in ihrer
Kauzigkeit die Lieblinge der Kinder. Überhaupt toll: die Musik (Beitrag der Koproduktion)
wird hauptsächlich realisiert von zwei Musikern, die am Rande auch szenische Aufgaben mit
übernehmen. Aber auch die Erzähler sind instrumental dabei. Kleine solistische
komödiantische Einlagen wie die Autofahrt der „Vertreterin für schöne Ware“ auf dem
Spielbrett oder Purple Rain für den Prinz nehmen dem an sich düsteren Märchen die
Schwere. Wenn sich zum Ende der Inszenierung die Elemente der Erzählung gegenseitig
überholen, ein Angler anstelle einer Bäuerin die dritte Verführung mit dem Apfel besorgt und
der Musiker zum Prinz wird, stellt sich der pure Genuss an der Führung der Geschichte ein.
Die Wendung ins Publikum mit der Definition der Schönheit im Land ist der Clou der Arbeit.
Das Besondere hier ist, wie Erl mit zwei Schauspielern und einer Schauspielerin, unterstützt
von zwei Musikern, dieses Kaleidoskop entwickelt, wie sie die Beschränkungen, die den
Freien oft auferlegt sind, ins Besondere wandelt. Die Inszenierung behält bei all dem
Einfallsreichtum doch immer einen wunderbaren Fluss und eine große Geschlossenheit. Der
Einsatz der Musik spielt dabei eine Rolle, aber auch der Ton, der die Geschichte wie einen
großen Gesang vorträgt. Ein extrem gut aufeinander eingespieltes Ensemble. Schneewittchen
anders, sehr anders.
Markolf Naujoks
Nominiert für seine Inszenierung von „Mahlzeit“ am Jungen Theater Heidelberg
Markolf Naujoks studierte Philosophie, Germanistik und Klassische Literaturwissenschaft in
Köln und Prag. Seit der Spielzeit 2013/14 arbeitet er als freier Regisseur regelmäßig am
Staatstheater Mainz, am Theater und Orchester Heidelberg, am Stadttheater Ingolstadt und am
Oldenburgischen Staatstheater. Zu seinen bisherigen Arbeiten zählen Stückentwicklungen,
Uraufführungen, eigene Bearbeitungen von Romanen und klassische Dramen. Er entwickelt
Inszenierungen und Performances für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Seine
Inszenierung „Superhero“ nach dem Roman von Anthony McCarten wurde als eine der besten
zehn Inszenierungen zum norddeutschen Kinder-und Jugendtheaterfestival „Hart am Wind“
2014 eingeladen (Preis der Jugendjury) sowie zum TotalTheaterTreffen am Théâtre National
du Luxembourg. Markolf Naujoks realisiert Projekte zwischen Theater, Comic, Konzert und
Performance.
Die Besonderheit von Markolf Naujoks Arbeiten ist sein Umgang mit der Musik, für die er
auch immer selbst verantwortlich zeichnet. Ausgehend von den musikalischen Fähigkeiten der
Schauspieler entwickelt er das jeweilige musikalische Konzept seiner Inszenierung. Und so
wird aus einem Stückauftrag an Bernhard Studlar zum Thema Essen „Ein Singspiel“ – der
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Untertitel, den das Theater wählt, ist: „Eine kulinarisch-dramatische Versuchsanordnung“.
Folgerichtig kündigt ein Conferencier namens Molo zunächst eine konzertante
Opernaufführung an, spricht die Sängerinnen mit ihren Eigennamen an und führt so als
Erzählerfigur durch die Handlung. Dieser Rahmen, den die Regie hier setzt, ist auch eine
Besonderheit an Naujoks Zugriff. Er erlaubt ihm nun, die krudesten Wendungen der
Geschichte, die fantasievollsten Worterfindungen und Zuspitzungen immer wieder ganz
trocken in den Zusammenhang zustellen. Denn „Mahlzeit“ zeichnet sich durch eine recht
absurd angelegte Handlung aus, beginnend mit dem Hauptmotiv: Hunger. Der größte Koch
der Welt und seine Hilfsköchin versuchen sich an Pfannkuchen – das Ei fehlt. Ein Mädchen
namens Henne, eine Lebensmittelfabrik, Kinder, die dort arbeiten müssen – und immer noch
gilt: Ein Königreich für ein Ei. Auch Märchenmotive finden Eingang in die Handlung, Hänsel
und Gretel lassen grüßen, wenn die Kinder vereint mit Molo, den Herrn der Fabrik in seinen
Ofen stoßen. Es geht aufs Land, in die Berge, es kommt zur Liebesgeschichte auf dem Gipfel
des „Mount Eiverest“ … Dass all das zum höchsten Vergnügen am Theater und außerdem
noch zu einem Ausflug durch die Musikgeschichte wird, ist die Leistung der Regie. Das Genre
Oper wird ganz nebenbei vorgestellt und höchst unterhaltsam durchdekliniert. Naujoks hat
den musikalischen Rahmen geschaffen und bringt die Spieler zu Höchstleistungen: Zwei
Sängerinnen in wunderbaren Kostümen schlüpfen in die ihnen zugedachten Rollen und
spielen und singen sie dann voll aus – alles andere als nur angedeutet. Dass die Schauspieler
so wunderbar singen, ist auch ein Verdienst der Regie. Die Wechsel zwischen erzählter und
gespielter Form gelingen mühelos. Die Entwicklung eines durchaus kruden Stück-Entwurfs in
ein derart vergnügliches, spannendes und zugleich selbstironisches modernes OpernMärchen ist im Ergebnis bezaubernd und offenbart ein großes Regie-Talent des jungen
Markolf Naujoks, der einen kleinen, dürren Text regelrecht vergoldet hat.
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Bühne/Kostüme
Achim Freyer
Nominiert für Bühne und Kostüme zu seiner Inszenierung „Esame di mezzanotte“
am Nationaltheater Mannheim
Der Maler, Bühnen- und Kostümbildner, Regisseur und Stückemacher Achim Freyer lotet in
seiner Arbeit die Grenzen zwischen Bühne und bildender Kunst aus. Meisterschüler von
Bertolt Brecht, arbeitete als Bühnen- und Kostümbildner mit Regisseuren wie Ruth
Berghaus, Adolf Dresen und Benno Besson, bevor er 1972 nach West-Berlin übersiedelte.
Gemeinsame Inszenierungen mit Claus Peymann, in den 1970er Jahren eigene RegieArbeiten. Schwerpunkt bildete zunehmend Musiktheater. Mit Glucks „Iphigenie auf Tauris”
1979 Debüt als Opernregisseur, 1980 Carl Maria von Webers „Der Freischütz” in Stuttgart,
1982 „Die Zauberflöte” an der Hamburgischen Staatsoper. Legendär: Freyers Philip GlassTrilogie am Staatstheater Stuttgart („Satyagraha” 1981, „Echnaton” 1984, „Einstein on the
Beach” 1988) sowie an der Hamburgischen Staatsoper 1997 Lachenmanns „Das Mädchen mit
den Schwefelhölzern”. 2006 wurde Achim Freyer in der Kategorie Bühne/Kostüm mit
„Medée“ am Nationaltheater Mannheim für den FAUST nominiert. „Esame di mezzanotte“
wurde von „Opernwelt“ als Uraufführung des Jahres 2015 ausgezeichnet.
Bei dieser Produktion wird die Bühne selbst zum dramatischen Ereignis: ein vom Orchester
im hochgefahrenen Graben her sich nach hinten hin verjüngender Strudel, so dass die
Zuschauer unmittelbar vor einem rätselhaften Tunnel zu sitzen scheinen, der durch immer neu
projizierte Bilder changiert und Assoziationen wachruft, von einer Großstadtfassade zu einem
Bibliotheksgang bis zu einem U-Bahnschacht. Dank dem Einsatz aller opulenten
Theatermittel birgt er eine völlig eigenständige poetische und magische Flut von grandiosen,
fantastischen Bildimaginationen und bleibt dennoch ganz im Geist der Komponistin Lucia
Ronchetti. Die grotesken Kostüme der Figuren tun bei der Entfesselung dieser Fantasmagorie
ein Übriges.
David Hohmann
Nominiert für das Bühnenbild zu Bernadette Sonnenbichlers Inszenierung „Draußen vor der
Tür“ am Theater Münster
David Hohmann, 1976 in Hamburg geboren, studierte ab 1997 freie Kunst in der
Bühnenbildklasse der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Seit 2005 arbeitet er als
freiberuflicher Bühnenbildner für Schauspiel und Opernproduktionen, u. a. mit den
Regisseuren Philipp Jescheck (am Münchener Volkstheater), Roland Schwab (am Theater
Passau) und Alexander Riemenschneider (St. Pauli Theater Hamburg und Kampnagel
Hamburg). Auch mit der Regisseurin Yona Kim verbindet ihn eine regelmäßige
Zusammenarbeit. In der Spielzeit 2012/13 stattete David Hohmann die Erstaufführung
„Frühlingsstürme“ am Theater Münster aus. 2013 wurde David Hohmann mit dem RolfMares-Preis in der Kategorie Herausragendes Bühnenbild für „Die Firma dankt“ im Theater
Kontraste ausgezeichnet.
Die Bühne von David Hohmann wird umgeben von mehreren Dutzend 1000 Liter
Wasserbehältern. Diese Kanisterwand wird von den Schauspielern berannt oder als
Klettergerüst bestiegen. Damit entsteht für Bernadette Sonnenbichlers Inszenierung ein
starker Rahmen, der sich schließlich auch als flexibel erweist. Denn teilweise ergießt sich der
Inhalt der kleinen Container auf die Bühne; das folgende Drama spielt sich also im Wasser
ab. Variabel beleuchtet ergibt diese einfache Bühnengestaltung eine sehr starke Übersetzung
20
von Wolfgang Borcherts fremder Beckmannwelt im Hamburger Hafen, ohne je oberflächlichillustrativ zu werden.
Florian Lösche
Nominiert für das Bühnenbild zu Jette Steckels Inszenierung „Kasimir und Karoline –
Glauben Lieben Hoffen“ am Thalia Theater Hamburg
Geboren 1981 in München, jobbte Florian Lösche nach dem Abitur bei einem Bühnenbildner,
baute Modelle und Bühnenbilder für Münchner Privattheater und spielte Saxophon. 2003
begann er ein Bühnenbildstudium an der Akademie der Bildenden Künste in München, 2005
wechselte er an die Hochschule für Bildende Künste nach Hamburg. Bereits während seines
Studiums entwarf er Bühnenbilder für Inszenierungen von Jette Steckel am Staatstheater
Kassel, am Thalia Theater Hamburg, auf Kampnagel und am Deutschen Theater Berlin.
Florian Lösches Bühnenbild zu „Kasimir und Karoline – Glauben Lieben Hoffen“ auf der
Bühne des Thalia Theaters besteht aus schwebenden Kugeln oder Bällen, einer Drehbühne
und Licht. So entsteht eine Art Universum mit Eigenleben. Die Drehbühne bewegt sich, die
Kugeln bewegen sich, reflektieren und fallen in sich zusammen. Diese Bühne erzeugt
metaphorisch und physisch Sinnbilder, die mit der schnörkellosen Sprache Horváths und der
brüchigen Festwiesenstimmung hervorragend zusammengehen. Florian Lösches symbolisches
Bühnenbild funktioniert hervorragend mit der Inszenierung und der Geschichte.
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