Rutherford-Streuung (Demtroeder, Kapitel 2.8)

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58
2. Entwicklung der Atomvorstellung
z. B. 37
17 Cl ein Chlorisotop mit 17 Elektronen, das die
atomare Massenzahl 37 hat.
Die eigentliche Erklärung der Isotopie konnte erst
nach der Entdeckung des Neutrons gegeben werden.
Isotope unterscheiden sich in der Anzahl der Neutronen im Atomkern (siehe Bd. 4). Abbildung 2.76
zeigt die Isotopenverteilung von Molybdän, gemessen mit einem hochauflösenden doppelfokussierenden
Massenspektrometer.
2.8 Die Struktur von Atomen
Die bisher behandelten Experimente haben uns Informationen über die Größen und Massen der Atome
gebracht, sowie über ihren Aufbau aus Elektronen mit
negativer Ladung und kleiner Masse und aus positiven
Ladungen mit mehr als tausendmal größeren Massen. Wie diese Ladungen räumlich im Atom verteilt
sind, konnte erst 1911 durch die Streuversuche von
Rutherford und Mitarbeitern endgültig geklärt werden.
Auch der genaue Verlauf des Wechselwirkungspotentials V(r) zwischen zwei Atomen A und B, der von
der Ladungsverteilung der Elektronen in A und B abhängt, kann durch Streuversuche bestimmt werden. Wir
wollen uns deshalb in diesem Abschnitt mit solchen
Streuexperimenten und den aus ihnen entstandenen
Modellen der Atomstruktur befassen.
2.8.1 Streuversuche;
integraler und differentieller
Streuquerschnitt
Läßt man einen Strahl von Teilchen der Sorte A mit
einer Teilchenflußdichte von Ṅ Teilchen pro Zeitund Flächeneinheit in x-Richtung durch eine Schichtdicke dx laufen, in der sich Atome der Sorte B mit
der Teilchenzahldichte n B befinden (Abb. 2.77a), so
wird infolge der Wechselwirkung zwischen A und B
ein Teil dN der einfallenden Teilchen A aus ihrer
ursprünglichen Bahn abgelenkt (gestreut).
Die Größe der Ablenkung hängt vom Wechselwirkungspotential V(r) zwischen A und B ab, von der
Entfernung r zwischen A und B, von den Massen m A ,
m B und von der Relativgeschwindigkeit vA − vB .
Wenn die Zahl n B · dx der streuenden Teilchen B
pro Flächeneinheit genügend klein ist, wird jedes
Teilchen A an höchstens einem Atom B so nahe vor-
Abb. 2.77. (a) Streuung von Atomen NA an Atomen mit der
Dichte n B in einer Schicht der Dicke dx. (b) Zur Definition
des Wirkungsquerschnittes
beifliegen, daß es merklich abgelenkt wird (Einfachstreuung) (Abb. 2.77a).
Wir definieren als integralen Streuquerschnitt
(auch integraler Wirkungsquerschnitt genannt) σ für
die Streuung von A an B diejenige Fläche σ = πr 2 um
ein Atom B, durch die ein Teilchen A fliegen muß,
damit es um einen Winkel θ, der größer ist als ein minimaler noch nachweisbarer Winkel θ0 , abgelenkt wird
(Abb. 2.77b). Entlang der Strecke dx ändert sich die
Zahl der Teilchen A durch Ablenkung um Winkel θ ≥ θ0
um
d Ṅ = − Ṅ · σ · n · dx .
(2.97)
Teilen durch N und Integration über x liefert die Zahl
der nach der Strecke x im Strahl verbliebenen (d. h. nicht
gestreuten Teilchen)
Ṅ = Ṅ0 · e−nσx
mit
Ṅ0 = Ṅ(x = 0) .
(2.98)
Der integrale Streuquerschnitt σ hängt mit der mittleren
freien Weglänge Λ über die Relation
1
(2.99)
n ·σ
zusammen (siehe auch Bd. 1, Abschn. 7.3.6).
Eine experimentelle Realisierung zur Messung integraler Streuquerschnitte ist in Abb. 2.78a gezeigt. Der
Teilchenstrahl wird durch die Blenden B1 und B2 kollimiert und tritt durch eine Folie aus Atomen der Sorte B
(bzw. bei gasförmigen Stoffen durch eine differentiell
gepumpte Kammer mit Ein- und Austrittsblende für den
Λ=
2.8. Die Struktur von Atomen
B1
B2 n
B
B3
θ0 = b/2d
θ0
θ>θ0
A
b
Detektor
d
dx
a)
1
A
B2
B
2
Detektorfläche AD
B1
A
R
b)
V = F ⋅ Δx
ΔΩ Θ
Streuebene
φ
y
dann durch die Teilchendichte n B der Streuer, die
Länge Δx des Streugebietes und den differentiellen
Streuquerschnitt dσ/ dΩ bestimmt.
Um den differentiellen Streuquerschnitt zu messen,
kann die in Abb. 2.78b skizzierte Anordnung verwendet
werden. Zwei durch die Blenden B1 und B2 kollimierte Teilchenstrahlen A und B kreuzen sich im
Streuvolumen V = F · Δx. Die in den Raumwinkel ΔΩ
gestreuten Teilchen werden durch den Detektor mit der
empfindlichen Fläche AD = R2 ΔΩ im Abstand R vom
Streuvolumen mit R Δx gemessen.
Der differentielle Streuquerschnitt dσ/ dΩ enthält Informationen über das Wechselwirkungspotential
E pot (r) zwischen den Teilchen A und B im Abstand r.
Wir wollen deshalb jetzt untersuchen, wie dσ/ dΩ mit
E pot (r) zusammenhängt.
2.8.2 Grundlagen der klassischen Streutheorie
x
Abb. 2.78. (a) Messung des integralen Streuquerschnitts σ.
(b) Messung des differentiellen Streuquerschnitts dσ/ dΩ
Strahl der Teilchen A, in der sich das Meßgas B befindet, das dauernd zugeführt und außerhalb der Kammer
weggepumpt wird). Hinter der Blende B3 sitzt der Detektor für die Teilchen A, die nur dann durch B3 laufen,
wenn sie um weniger als θ0 = b/2 d abgelenkt wurden.
Während bei der Bestimmung des integralen
Streuquerschnittes σ die Abnahme der nicht abgelenkten Teilchen gemessen wird, werden zur
Messung des differentiellen Streuquerschnittes
die Teilchen detektiert, die um einen Winkel θ im
Bereich θ ± 12 Δθ abgelenkt werden.
Sei Ṅ · F die Zahl der pro Sekunde auf die Querschnittsfläche F des Streuvolumens V eintreffenden
Teilchen und Δ Ṅ(θ, Ω) die Zahl der pro Sekunde in den
Raumwinkel ΔΩ um den Winkel θ gestreuten Teilchen.
Der Bruchteil
nB
dσ
dσ
Δ Ṅ
=
·V ·
ΔΩ = n B · Δx ·
ΔΩ
F
dΩ
dΩ
Ṅ · F
(2.100)
aller einfallenden Teilchen, der in den vom Detektor erfaßten Raumwinkel ΔΩ gestreut wird, ist
In Bd. 1, Kap. 4 wurde gezeigt, daß die Streuung von
zwei Teilchen (Massen m 1 , m 2 , Geschwindigkeiten
v1 , v2 ) mit gegenseitigem Wechselwirkungspotential
V(|r1 − r2 |) völlig äquivalent im Schwerpunktsystem
dargestellt werden kann durch die Bewegung eines
Teilchens A mit der reduzierten Masse
μ = m 1 · m 2 /(m 1 + m 2 )
und der Geschwindigkeit
v = v1 − v2
(Relativgeschwindigkeit), das sich im Potential V(r)
bewegt, wobei r der Relativabstand |r1 − r2 | ist. Man
nennt diese Beschreibung auch Potentialstreuung, weil
zur Beschreibung der Teilchenbahn außer der reduzierten Masse μ des Systems der beiden Teilchen und der
Anfangsbedingung (r0 , v0 ) der Teilchenbahn nur die
Kenntnis des Potentials V(r) notwendig ist.
Wir wollen hier lediglich (wie oben durch die Notation schon angedeutet) den für viele Streuprobleme
zutreffenden Fall eines kugelsymmetrischen Potentials V(r) behandeln. In einem solchen Potential bleibt
der Drehimpuls L des gestreuten Teilchens erhalten
(Bd. 1, Abschn. 2.8), so daß die Teilchenbahn in einer Ebene, der Streuebene, verläuft. Wir benutzen
daher ebene Polarkoordinaten (r, ϕ) zu ihrer Beschreibung (Abb. 2.79). Wir wollen (im Einklang mit
Bd. 1, Abschn. 4.2) den Ablenkwinkel im Schwerpunkt-
59
60
2. Entwicklung der Atomvorstellung
wobei êt der Tangential-Einheitsvektor und êr parallel
zu r ist. Für den Betrag L = |L| erhält man:
y
a)
L = μ · r 2 ϕ̇ .
v0
A
ϑ
r min
r
b
ϕ
B
x
0
e
tot
p
hn
ba
ym
s
n
A
he
ilc
Te
b)
ϑ = π − 2ϕmin
b
ϑ
S
rmin
ϕmin
ϕ min
ϑ
0
Abb. 2.79. (a) Streuung eines Teilchens A der reduzierten Masse μ = m A · m B /(m A + m B ) im Potential V(r) mit
Nullpunkt in B. (b) Beziehung zwischen Ablenkwinkel ϑ
und Polarwinkel ϕmin im Punkt S nächster Annäherung
zwischen A und B
system ϑ nennen, um ihn vom Ablenkwinkel θ im
Laborsystem zu unterscheiden.
Das ankommende Teilchen möge den Stoßparameter b haben. (Dies ist der kleinste Abstand vom
Streuzentrum r = 0, den das Teilchen für V(r) ≡ 0,
d. h. bei geradliniger Bahn, erreichen würde.) Bei der
Potentialstreuung liegt der Ursprung des Potentials V(r)
am Ort des Teilchens B, das in unserem System also
ruht.
Läuft das Teilchen mit der Anfangsgeschwindigkeit
|v(−∞)| = v0 ein, so gilt wegen der Energieerhaltung:
1
1 2
μv + E pot (r) = μv02 = const ,
2
2
Die kinetische Energie im Schwerpunktsystem ist:
1
1
T = μv2 = μ(ṙ 2 + r 2 ϕ̇2 )
2
2
L2
1 2
.
(2.104)
= μṙ +
2
2μr 2
Die Gesamtenergie E 0 = T + E pot = 12 μv02 wird damit
1 2
L2
μṙ +
+ E pot (r) .
(2.105)
2
2μr 2
Aus (2.105) und (2.103) erhält man für ṙ und ϕ̇:
1/2
L2
2
,
(2.106)
E 0 − E pot (r) −
ṙ =
μ
2μr 2
L
(2.107)
ϕ̇ = 2 .
μr
Im Experiment kann die Bahn (r, ϕ) nicht im einzelnen
verfolgt werden. Aus den gemessenen Ablenkwinkeln
können aber die asymptotischen Werte für r → ∞
bestimmt werden. Da im kugelsymmetrischen Potential die Teilchenbahn symmetrisch zur Geraden OS
durch den Punkt S größter Annäherung r = rmin erfolgt (d. h. der Streuprozeß ist invariant gegenüber
Zeitumkehr), können wir den asymptotischen Ablenkwinkel ϑ mit dem Polarwinkel ϕmin = ϕ(rmin ) durch
ϑ = π − 2ϕmin verknüpfen (Abb. 2.79b). Damit ergibt
sich aus
ϕmin
rmin
rmin
+∞
dϕ dt
ϕ̇
ϕ̇
dr =
dr
·
dr =
ϕmin = dϕ =
ṙ
ṙ
dt dr
E0 =
ϕ=0
r=−∞
−∞
rmin
mit (2.106) und (2.107) die Beziehung zwischen
Streuwinkel ϑ und potentieller Energie E pot (r):
ϑ(E 0 , L)
(2.108)
r=+∞
(2.101)
weil E pot (r = ±∞) = 0 ist. E pot (r) ist dabei proportional zum Potential V(r). Der Drehimpuls des Teilchens,
bezogen auf das Streuzentrum, in dem das Teilchen B
sitzt, ist
dr
dϕ
L = μ · (r × v) = μ r ×
êr + r ·
êt
dt
dt
(2.102)
= μ · r · ϕ̇ · (r × êt ) ,
(2.103)
= π −2
rmin
L/(μr 2 ) dr
1/2 .
2/μ E 0 − E pot (r) − L 2 /2μr 2
Weil der Drehimpulsbetrag L wegen
L = μ · r · v · sin ϕ = μ · b · v0
und
E0 =
1 2
μv ⇒ L 2 = 2μb2 · E 0
2 0
2.8. Die Struktur von Atomen
durch Anfangsenergie E 0 und Stoßparameter b eindeutig bestimmt ist, läßt sich (2.108) auch schreiben
als:
∞
ϑ(E 0 , b) = π − b
rmin
dr
2
E (r) 1/2
r 2 1 − br 2 − pot
E0
E pot (r)=
a
r
Epot(r)
.
r
r
(2.109)
Man sieht aus (2.109), daß der Ablenkwinkel ϑ durch das Wechselwirkungspotential
V(r) ∝ E pot (r), durch den Stoßparameter b und
durch die Anfangsenergie E 0 bestimmt wird.
Um die Integrationsgrenze rmin zu bestimmen, benutzen wir die Tatsache, daß für r = rmin die zeitliche
Ableitung ṙ = 0 wird. Aus (2.106) ergibt sich damit:
b
rmin = 1/2 .
1 − E pot (rmin )/E 0
(a)
ϑ
π
(b)
ϑ
π
π
2
b1
a/2E0
b2
b
b
Abb. 2.80a,b. Qualitativer Zusammenhang zwischen Wechselwirkungspotential und Ablenkfunktion ϑ(b). (a) Monotones Potential; (b) nichtmonotones Potential
(2.110)
Man beachte:
• Für r = rmin wird der Integrand in (2.108) unendlich.
Ob das Integral selbst endlich bleibt, hängt von der
Form des Wechselwirkungspotentials ab.
• Für b = 0 wird L = 0 und damit ϑ = π. Teilchen,
die zentral stoßen (Stoßparameter b = 0), werden in
die Einflugrichtung reflektiert.
• Wenn ϑmin der kleinste noch meßbare Ablenkwinkel
ist, dann gelten alle Teilchen ϑ < ϑmin als nicht gestreut. Dies sind alle Teilchen, deren Stoßparameter
b > bmax (ϑmin ) ist. Der integrale Streuquerschnitt ist
in diesem Fall σ = πb2max . Man sieht, daß bei dieser Definition der Streuquerschnitt σ, der ja nur von
atomaren Größen abhängen sollte, von der Meßapparatur abhängt. Dieser Mißstand wird in der
quantenmechanischen Behandlung beseitigt.
• Für monotone Potentiale V(r) (z. B. rein abstoßende Potentiale) gibt es bei vorgegebener
Anfangsenergie E 0 zu jedem b einen eindeutig definierten Ablenkwinkel ϑ (Abb. 2.80a). Dies gilt
nicht für nichtmonotone Potentiale (Abb. 2.80b),
wo z. B. für zwei Stoßparameter b1 , b2 der gleiche
Ablenkwinkel auftreten kann.
Trägt man bei monotonem V(r) für eine feste Anfangsenergie E 0 den Ablenkwinkel ϑ gegen den
Stoßparameter b auf, so erhält man qualitativ die
Kurven ϑ(b) der Abb. 2.80, deren genaue Form vom
Potential V(r) und der Anfangsenergie E 0 abhängt.
Die Meßgröße im Experiment ist der vom
Streuwinkel ϑ abhängige differentielle Streuquerschnitt. Der Stoßparameter b kann nicht direkt
gemessen werden!
Wie erhält man nun aus den gemessenen Streuquerschnitten die Ablenkfunktion ϑ(b), um gemessene mit
berechneten Werten zu vergleichen?
Wir betrachten einen parallelen Strahl von Teilchen A mit der Flußdichte ṄA = n A · vA , die auf eine
dünne Schicht von ruhenden Teilchen B fallen. Alle
Teilchen A, die durch einen Kreisring mit Radius b und
Breite db um ein Atom B laufen, werden bei kugelsymmetrischem Wechselwirkungspotential VAB (r) um
den Winkel ϑ ± dϑ/2 abgelenkt (Abb. 2.81). Durch diesen Kreisring laufen bei einer Teilchendichte n A pro
Sekunde ṄA (b) dF = n A · vA · 2πb db Teilchen A. Von
einem streuenden Teilchen B in Abb. 2.81 wird daher
61
62
2. Entwicklung der Atomvorstellung
Detektorfläche dAD
so daß wir (2.111) auch in der Form (2.100) schreiben
können als
dΩ
dAD = R2 ⋅ dΩ
= R2 ⋅ sin ϑ ⋅ dϑ ⋅ dφ
A
v0
db
b
d ṄA ( dΩ)
dσ
dΩ .
= n B · Δx ·
dΩ
ṄA · F
dφ
dφ
Der integrale Streuquerschnitt wird dann mit (2.112)
wegen ϑ(b = 0) = π und ϑ(bmax ) = ϑmin
R
r
ϑ
φ
B
dσ
dΩ =
dΩ
σ=
ϑmin 2π
ϑ=π φ=0
Fläche: 2 πb ⋅ db
ϑmin
σ = 2π
b db sin ϑ dϑ
sin ϑ dϑ ϑ=π
bmax
der Bruchteil
ṄA
dσ
sin ϑ dϑ dφ ,
dΩ
wobei ϑmin der kleinste noch nachweisbare Ablenkwinkel ist. Mit (2.112) erhält man nach Integration
über φ:
Abb. 2.81. Zum Zusammenhang zwischen Ablenkfunktion ϑ(b) und differentiellem Streuquerschnitt dσ/ dΩ
d ṄA (ϑ ± 12 dϑ)
(2.113)
db
dϑ
= 2πb db = 2πb ·
dϑ
db
d ṄA
· dφ/2π = b ·
dϑ dφ ,
dϑ
ṄA
der durch das Flächenelement b · db · dφ des Kreisringes
einfällt.
Von n B · V streuenden Teilchen B im Streuvolumen
V = F · Δx wird deshalb der Bruchteil
(2.111)
aller einfallenden Teilchen in den Detektor gestreut.
Der Vergleich mit der Formel (2.100) für
den differentiellen Streuquerschnitt ergibt wegen
dΩ = sin ϑ dϑ dφ
db
1
dσ
= b·
·
dΩ
dϑ sin ϑ
,
(2.114)
b=0
der pro Flächen- und Zeiteinheit einfallenden Teilchen A in den Winkelbereich ϑ ± dϑ/2 gestreut.
Davon gelangt auf den Detektor mit der Fläche AD =
R2 dΩ = R2 sin ϑ dϑ dφ im Abstand R vom Streuzentrum, d. h. in den Raumwinkel dΩ = sin ϑ dϑ dφ der
Bruchteil
db
d ṄA ( dΩ)
dϑ dφ
= n B · Δx · b ·
dϑ
ṄA · F
b db = πb2max .
= +2π
(2.112)
BEISPIEL
Stoß harter Kugeln mit gleichen Durchmessern D. Das
Wechselwirkungspotential ist hier:
⎧
⎨∞ für r ≤ D ,
V(r) =
⎩0
für r > D.
Aus Abb. 2.82 liest man ab:
sin ϕmin =
b
D
⇒ nur für b ≤ D findet ein Stoß statt.
ϕmin =
π ϑ
−
2 2
ϑ
b(ϑ) = D · sin ϕmin = D · cos
2
db D
ϑ
=
dϑ 2 sin 2
D · cos ϑ2 D
dσ
b db
ϑ
D2
=
=
·
sin =
dΩ sin ϑ dϑ
sin ϑ
2
2
4
D2
dσ
dΩ = 4π
= πD2 .
σ=
dΩ
4
2.8. Die Struktur von Atomen
zwischen dem Teilchen A und der Ladung q2 = el · ΔV
im Volumenelement ΔV des Atoms die Ablenkung
von A bewirkt und man deshalb aus der gemessenen Winkelverteilung NA (ϑ) auf die Ladungsverteilung
el (r) schließen kann. Dies wollen wir uns im folgenden
genauer ansehen.
Zu Anfang dieses Jahrhunderts standen außer den
Kathodenstrahlen (Elektronen) als natürlich geladene
Projektile die von radioaktiven Substanzen emittierten
α-Teilchen mit der Ladung q1 = +2e, der Masse m He
und der Energie E kin = 1−9 MeV zur Verfügung.
Schießt man diese Teilchen auf Atome B, so werden
die Elektronen der Atome wegen ihrer kleinen Masse
nur sehr wenig zur Ablenkung der α-Teilchen beitragen (siehe Bd. 1, Kap. 4). Die Ablenkung wird also
im wesentlichen durch die Verteilung der massereichen positiven Ladungsträger bewirkt. Die gemessene
Winkelverteilung N(ϑ) der gestreuten α-Teilchen gibt
deshalb Informationen über die räumliche Verteilung
der positiven Ladung im Atom. Die Berücksichtigung
der Elektronen gibt lediglich eine kleine Korrektur.
2.8.4 Das Thomsonsche Atommodell
Abb. 2.82a–c. Stoß von harten Kugeln mit Durchmesser D.
(a) Ablenkung beim Stoßparameter b < D; (b) Potential V(r);
(c) Ablenkfunktion ϑ(b)
Die Ablenkfunktion ϑ(b) für harte Kugeln (Abb. 2.82c)
ist
ϑ = π − 2ϕmin = π − 2 arcsin(b/D) ,
wie bereits in Bd. 1, Abschn. 4.3.1 für den allgemeinen
Fall D1 = D2 gezeigt wurde.
2.8.3 Bestimmung der Ladungsverteilung im Atom
aus Streuexperimenten
Um die Ladungsverteilung in den Atomen zu bestimmen, ist es zweckmäßig, bei Streuexperimenten
elektrisch geladene Partikel A mit der Ladung q1
als Sonden zu verwenden, weil dann die bekannte
Coulombwechselwirkungskraft
1 q1 · q2
FC (r) =
r̂
4πε0 r 2
J.J. Thomson hatte auf Grund seiner und anderer Experimente (siehe Abschn. 2.5) geschlossen, daß jedes
Atom aus Z Elektronen der Ladung −Z · e und Z
positiven Ladungen mit der Ladung +Z · e besteht
und daher insgesamt neutral ist, in Übereinstimmung
mit den Beobachtungen. Für die räumliche Verteilung
dieser Ladung schlug er als einfaches Modell sein
Rosinenkuchen-Modell vor, bei dem alle Ladungen statistisch gleichmäßig über das gesamte Atomvolumen
verteilt sind (Abb. 2.83). Wie läßt sich ein solches
Modell überprüfen?
Bei einer homogen geladenen Kugel mit Radius R und Gesamtladung Z · e ist das elektrische
Feld E im Abstand r vom Kugelzentrum (siehe Bd. 2,
Abschn. 1.3.4)
Z ·e·r
E=
r̂ .
(2.115)
4πε0 R3
Auf ein Elektron würde im elektrischen Feld dieser
positiven gleichmäßig verteilten Ladung (bei Abwesenheit aller anderen negativen Ladungen) die
Kraft
Ze2
F = −eE = −kr mit k =
(2.116)
4πε0 R3
63
64
2. Entwicklung der Atomvorstellung
2R
+
+ +
+
+ - +
- + - +
+
+
+ - - +
- - + + - + + + - +
+ +
- - + - +
- + - + + + - +
+
- - - - - +
+ +
+ +
+ +
+
- - + - +
ne = n + =
Abb. 2.83. Thomsonsches Rosinenkuchenmodell für die
Verteilung der positiven und
negativen Ladungen im Atom
3Z
4 πR3
wirken, die bei einer radialen Auslenkung zu einer harmonischen Schwingung des Elektrons mit der
Frequenz
k
ω=
me
führt. Nun haben wir bisher nicht die anderen (Z − 1)
Elektronen berücksichtigt. Bei einer gleichmäßigen
Verteilung von positiver und negativer Ladung mit einer
Elektronendichte
Z
ne = 4
3
3 πR
können alle Elektronen kollektiv gegen die viel schwereren positiven Ladungsträger schwingen mit der
sogenannten Plasmafrequenz
2
ne · e
3Ze2
=
,
(2.117)
ωP =
ε0 · m
4πε0 m e R3
die sich von √
der oben berechneten Frequenz nur um
einen Faktor 3 unterscheidet.
Würden die Thomsonschen Atome mit Licht
bestrahlt, so würde man Resonanzen im Absorptionsspektrum bei der Frequenz ωP und ihren Harmonischen
erwarten. Die energetisch angeregten Atome sollten
dann als schwingende Dipole auch Licht mit diesen
Frequenzen emittieren.
Die aus dem Thomsonschen Atommodell abgeschätzten Absorptions- bzw. Emissionsfrequenzen
stimmen jedoch nicht mit den im Experiment beobachteten atomaren Frequenzen überein.
Das stärkste Argument gegen das Thomsonsche
Atommodell wird durch die Ergebnisse von Streuexperimenten geliefert, die nicht die vom Modell erwartete
Winkelverteilung liefern. Dies soll mit Hilfe einer
einfachen Abschätzung gezeigt werden:
Dazu betrachten wir in Abb. 2.84 die Streuung eines α-Teilchens der Ladung q = 2e an einer positiven
homogenen Ladungsverteilung mit der Gesamtladung Q = Z · e. Wegen ihrer kleinen Masse spielen die
Elektronen für die Ablenkung der schweren α-Teilchen
praktisch keine Rolle. Sie sorgen jedoch dafür, daß das
Atom insgesamt elektrisch neutral ist. Da das Atom
wegen seiner Neutralität für α-Teilchen, die mit einem
Stoßparameter b > R an ihm vorbeifliegen, nur eine
vernachlässigbar kleine Ablenkung bewirkt, berücksichtigen wir nur die Ablenkung für Abstände r ≤ R
des Projektils vom Zentrumr = 0 der Ladungsverteilung. Diese Abschätzung liefert eine obere Grenze
für den maximalen Ablenkwinkel ϑmax , weil die
Anwesenheit der negativen Ladungen im Thomsonschen Atommodell die Gesamtablenkung noch etwas
verkleinert.
Ein Projektil, das mit dem Impuls m · v0 in
x-Richtung fliegt, wird beim Durchlaufen der Ladungsverteilung um einen Winkel ϑ abgelenkt, dessen Größe
vom Stoßparameter b abhängt. Die Ablenkung kommt
dadurch zustande, daß an jedem Punkt der Teilchenbahn innerhalb der Ladungsverteilung auf das Teilchen
die Kraft
Fy = F(r) · cos β
wirkt, die zu einer Impulsänderung
Δ p y = Fy dt
(2.118)
y
Q = +Z ⋅ e
q = 2e
v0
→
p
b
r
R
x
0
→
F β
px
ϑ
Fy
ϑ
Fx
py
Abb. 2.84. Streuung an einer kugelförmigen homogenen
Ladungsverteilung
2.8. Die Struktur von Atomen
führt. Die Kraft F = q · E im Abstand r vom Zentrum
der Ladungsverteilung wird durch das elektrische Feld
E bestimmt. Nähert man cos β ≈ b/r und setzt (2.116)
für E ein, so ergibt sich für die gesamte Impulsänderung Δ p y des α-Teilchens mit der Ladung 2e während
der Vorbeiflugzeit T am Atom mit der positiven Ladung
Z ·e
2Ze2 · b
·T .
(2.119)
Δ py =
4πε0 R3
Für eine Abschätzung der Flugzeit T können wir die
Ablenkung (die bei großen Energien der α-Teilchen sehr
klein ist, wie unten gezeigt wird) √
vernachlässigen und
die Durchquerungsstrecke d = 2 · R2 − b2 setzen, so
daß die Durchflugzeit
√
2 · R2 − b2
T=
v0
wird. Der übertragene Impuls ist dann
4Zkb 2
R − b2
Δ py ≈
v0
mit
e2
.
k=
4πε0 R3
Da Δ p y px gilt, können wir px ≈ p als konstant
ansehen, so daß gilt:
Δ py
Δ py
4Zkb 2
= tan ϑ =
≈
R − b2 . (2.120)
px
p
mv02
Der Ablenkwinkel ϑ hängt vom Stoßparameter b ab.
Man erhält den maximalen Wert ϑmax , wenn ϑ(b) nach b
differenziert und die Ableitung gleich Null gesetzt wird.
Dies liefert mit tan ϑ = ϑ
4Zk 2
b2
dϑ
2
=
R −b − √
= 0,
db
mv02
R2 − b2
Der mittlere Ablenkwinkel wird also näherungsweise durch das Verhältnis von potentieller Energie
E pot = 2Ze2 /(4πε0 R) beim Abstand R zur kinetischen Anfangsenergie (m/2)v02 gegeben. Setzt man
R = 0,1 nm als typischen Atomradius ein, so erhält
man für α-Teilchen (q = 2e) der Energie 5 MeV, die
an Goldatomen (Z = 79) gestreut werden:
ZkR2 = 2,3 · 103 eV,
mv2 = 107 eV ,
⇒ ϑ ≈ 1,8 · 10−4 rad ≈ 0,63 .
Dies ist ein extrem kleiner Ablenkwinkel, der nicht
einfach zu messen ist.
Bisher haben wir die Ablenkung durch ein einzelnes Atom betrachtet. Im Experiment werden die
α-Teilchen durch eine Folie geschossen und deshalb
an vielen Atomen gestreut. Für einen Atomdurchmesser von 0,2 nm und eine Foliendicke von 10 μm
sind dies etwa 5 · 104 Atomlagen. Da die Stoßparameter des α-Teilchens, bezogen auf die Zentren der
einzelnen Atome statistisch verteilt sind, werden auch
die durch diese Atome bewirkten Ablenkwinkel ϑ
statistisch verteilt sein (Abb. 2.85). Deshalb ist der statistische Mittelwert der Ablenkwinkel ϑ der α-Teilchen
nach m Streuungen an einzelnen Atomen (siehe Bd. 1,
Abschn. 1.8)
√
ϑ = m ·ϑ .
(2.123)
Die Winkelverteilung der statistisch gestreuten αTeilchen für das Thomsonsche Atommodell ist analog
zum Random-walk-Problem, bei dem jemand nach jedem Schritt in x-Richtung eine Münze wirft und danach
entscheidet, ob er einen Schritt Δy in die +y-Richtung
oder die −y-Richtung geht. Die Wahrscheinlichkeit,
woraus folgt:
R
2ZkR2
und ϑmax =
.
(2.121)
b(ϑmax ) = √
mv02
2
Wir können noch den durchschnittlichen Ablenkwinkel ϑ definieren durch
R
R 2πb
8Z · k
ϑ=
ϑ·
db =
R2 − b2 b2 db
πR2
mv02 R2
b=0
0
π ZkR2
π
Z · e2
=
ϑ
=
=
.
max
2 mv02
4
8ε0 R · mv02
→
e
ϑ
v0
⎛ ϑ ⎞
−⎜
⎟
⎝ ϑ ⎠
2
1
e
Goldfolie
a)
(2.122)
N(ϑ )
α-Teilchen
b)
ϑ
Abb. 2.85. (a) Vielfachstreuung im Thomsonschen Atommodell. (b) Erwartete Winkelverteilung
65
66
2. Entwicklung der Atomvorstellung
nach m Schritten die Strecke y von der x-Geraden abgekommen zu sein, wird dann durch die Gaußverteilung
(Bd. 1, Abschn. 1.8.4)
P(y) = C · e−y
2 /(m·Δy2 )
gegeben (Abb. 2.85b). Analog erhält man hier für die
Zahl der um den Winkel ϑ abgelenkten α-Teilchen:
2
N(ϑ) = N0 · e−(ϑ/ϑ)
= N0 · e−ϑ
2 /(m·ϑ 2 )
.
(2.124)
BEISPIEL
Für m = 5 · 104 wird ϑ ≈ 4 · 10−2 rad, und die Gaußverteilung, die bei ϑ = 0 ihr Maximum hat, hat
eine volle Halbwertsbreite von (Δϑ)1/2 ≈ 3 · 10−2 rad
= 1,8◦ .
2.8.5 Rutherfordsches Atommodell
Um das Thomsonsche Atommodell zu testen, führten Rutherford und seine Mitarbeiter Geiger und
Marsden ausführliche Streumessungen durch [2.50].
Die von ihnen benutzte Apparatur ist schematisch
in Abb. 2.86 gezeigt. Die von dem radioaktiven Gas
P
F
S
M
R
D
A
A
C
C
Drehdurchführung
T
Abb. 2.86. Versuchsaufbau für die Rutherford-Streuung
Tabelle 2.5. Gemessene Zählraten für verschiedene Ablenkwinkel [2.50]
Ablenkwinkel ϑ
Zählrate dN
dN · sin4 ϑ/2
15◦
30◦
45◦
60◦
75◦
105◦
120◦
135◦
150◦
132 000
7 800
1 435
477
211
70
52
43
33
38,4
35,0
30,8
29,8
29,1
27,7
29,1
31,2
28,7
Radium-Emanation (Radon) im Röhrchen R emittierten
α-Teilchen werden durch den Blendenkanal D kollimiert und an der Goldfolie F gestreut. Die auf einen
Leuchtschirm S treffenden gestreuten α-Teilchen erzeugen Lichtblitze, die durch das Mikroskop M beobachtet
und gezählt werden. Mikroskop und Schirm sind zusammen mit der Vakuumkammer auf einem Glasschliff
drehbar gegen die α-Quelle angeordnet, so daß man den
ganzen Winkelbereich ϑ der gestreuten α-Teilchen beobachten kann. Die Experimente (Tabelle 2.5) zeigten,
daß auch sehr große Streuwinkel bis ϑ = 180◦ beobachtet wurden; ein Ergebnis, das Marsden bereits früher bei
der Untersuchung der Reichweite von α-Strahlen gefunden hatte. Rutherford war darüber sehr überrascht,
weil dies dem Thomsonschen Atommodell völlig widersprach. Er sagte: ,,Dies ist so unwahrscheinlich, als
ob man mit einer Pistole auf einen Wattebausch schießt,
und die Kugel prallt zurück“.
Nach langen Diskussionen, Nachdenken und der
Prüfung mehrerer in der Literatur vorgeschlagener Modelle gelangte Rutherford dann zu der Erkenntnis, daß
die positive Ladung des Atoms in einem sehr kleinen Volumen im Zentrum des Atoms komprimiert sein
mußte. Dieses Volumen, in dem auch fast die gesamte
Masse des Atoms (abzüglich der geringen Masse der
Elektronen) vereinigt ist, nannte er den Atomkern. Die
α-Teilchen werden praktisch nur vom Atomkern abgelenkt, weil die Massen der Elektronen sehr klein sind
gegen die des α-Teilchens. (m 1 /m 2 ≈ 1,36 · 10−4 ).
Rutherford leitete aus dieser Vorstellung seine
berühmte Streuformel her, die in quantitativer Übereinstimmung mit den experimentellen Ergebnissen
steht.
2.8. Die Struktur von Atomen
2.8.6 Rutherfordsche Streuformel
Wenn die α-Teilchen im Wesentlichen nur am Atomkern gestreut werden, dessen Ausdehnung sehr klein
ist gegen den Durchmesser des Atoms, können wir
die theoretische Behandlung der Streuung zurückführen
auf die Streuung des α-Teilchens im Coulombpotential
einer (praktisch) punktförmigen Ladung Q = Z · e, die
bereits in Bd. 1, Abschn. 4.3.1, behandelt wurde. Das
dort abgeleitete Ergebnis war die Beziehung
2E kin
4πε0
ϑ
· μ · v02 · b
=
(2.125)
cot =
2
E pot
q·Q
R ⋅ Δϑ
ΔAD
R
Δϑ
Δφ
Folie
R ⋅ sin ϑ
ϑ
mit q = 2e, Q = Z · e zwischen Ablenkwinkel ϑ und
Stoßparameter b, wobei μ = m α · m K /(m α + m K ) die
reduzierte Masse des Systems α-Teilchen-Goldkern ist.
BEISPIEL
b = 2 · 10−12 m (≈ 1/100 Atomdurchmesser), μv02 =
q = 3,2 · 10−19 C,
μ=
10 MeV = 1,6 · 10−12 J,
−17
3,92 AME, Q = 1,26 · 10 C ⇒ ϑ = 1,3◦ . Für b = 2 ·
10−13 m (≈ 1/1000 Atomdurchmesser) wird ϑ = 13,2◦
und für b = 2 · 10−14 m (≈ 10−4 Atomdurchmesser ⇒
ϑ = 51◦ .
Man sieht aus diesem Beispiel, daß für
Streuwinkel ϑ > 1◦ die Wirkungsquerschnitte
σ = πb2 ≈ 10−4 πrA2 sehr klein gegen den Atomquerschnitt πrA2 werden. Dies bedeutet, daß trotz
der vielen Atome mit Atomradius rA in der Folie, zumindest für Ablenkwinkel ϑ > 1◦ , jedes
α-Teilchen nur einmal gestreut wird!
Um jetzt den Bruchteil aller in das Streuvolumen
ΔV = F · Δx einfallenden Teilchen zu bestimmen, die
in den Winkelbereich ϑ ± 12 Δϑ gestreut wird und den
Detektor mit der Fläche
ΔAD = (R · sin ϑ) · R · Δϑ · Δφ = R2 · ΔΩ
erreicht (Abb. 2.87), benutzen wir die Definition (2.112)
für den differentiellen Streuquerschnitt
db 1
dσ
= b·
.
dΩ
dϑ sin ϑ
Durch Differentiation von (2.125) ergibt sich:
db
1 q·Q
1
=
,
2
2
dϑ
2 4πε0 μv0 sin ϑ/2
Abb. 2.87. Zur Definition des Raumwinkels ΔΩ und der
Detektorfläche ΔAD = R2 ΔΩ
woraus wir mit (2.125) und der Relation sin ϑ =
2 sin(ϑ/2) · cos(ϑ/2) den differentiellen Streuquerschnitt für die Streuung eines Teilchens der Ladung q
und der reduzierten Masse μ im Coulombfeld der
Ladung Q erhalten zu:
1
dσ
=
dΩ
4
q·Q
4πε0 μv02
2
·
1
ϑ/2
sin4
.
(2.126)
Daraus ergibt sich mit (2.100) für den Bruchteil aller
einfallenden Teilchen, die den Detektor mit der Fläche
ΔAD = R2 ΔΩ erreichen, die berühmte Rutherfordsche
Streuformel, wenn wir noch μ · v02 ≈ 2E kin setzen (weil
μ ≈ m α ):
n Gold · Δx
Δ Ṅ
=
4R2
Ṅ0 · F
q·Q
8πε0 E kin
2
ΔAD
sin4 ϑ/2
.
(2.127)
Die gemessene Streuverteilung stimmt mit (2.127) gut
überein (Abb. 2.88). Nur bei sehr großen Streuwinkeln,
also sehr kleinen Stoßparametern, treten Abweichungen
auf (Abb. 2.89), die Rutherford bereits richtig darauf zurückführte, daß der Atomkern zwar eine kleine
Ausdehnung r ≤ rK hat, aber nicht punktförmig ist.
67
68
2. Entwicklung der Atomvorstellung
Abb. 2.88. Vergleich zwischen den experimentellen Ergebnissen Rutherfords (Kreise), dem berechneten Wirkungsquerschnitt für Coulombstreuung und dem Streuquerschnitt des
Thomson-Modells
Für Stoßparameter b < rK hat man keine Coulombstreuung mehr, sondern eine Ablenkung ϑ, die
durch (2.122) beschrieben wird. Außerdem treten für
r < rK zusätzlich zu den elektrostatischen Kräften kurzreichweitige Kernkräfte auf (siehe Bd. 4), die zu einer
Veränderung der Ablenkfunktion ϑ(b) führen. Aus dieser Abweichung der gemessenen Streuverteilung von
(2.127) kann der Radius rK des Atomkerns abgeschätzt
werden.
Abb. 2.89. (a) Bahn von an einem Goldkern gestreuten
Teilchen für ϑ = 60◦ und verschiedene Teilchenenergien;
(b) Abweichung vom Coulombstreuquerschnitt für ϑ = 60◦
bei höheren Energien E kin ; (c) Abweichung bei fester
Teilchenenergie für ϑ > 100◦
Man erhält Werte von
rK ≈ r0 · A1/3 ,
(2.128)
wobei A die Massenzahl (in AME) des Kerns und
r0 ≈ 1,3 · 10−15 m ist. Das Volumen des Atomkerns
macht demnach nur den Bruchteil (r0 /rA )3 ≈ 10−15 des
Atomvolumens aus.
ZUSAMMENFASSUNG
• Die anfangs verschwommene Atomvorstellung
• Typische Atomradien sind 0,1 nm=10−10 m bis
hat sich im Laufe der letzten 200 Jahre durch
immer bessere verfeinerte Experimentiertechnik
konkretisiert zu einem quantitativen Atommodell,
das die meisten Beobachtungen richtig beschreibt.
0,3 nm. Sie werden bestimmt aus den Wirkungsquerschnitten bei Stoßprozessen und mit Hilfe der
Röntgenbeugung an Kristallen.
Übungsaufgaben
• 1 mol ist eine Stoffmengeneinheit, die soviel
• Negative Ionen entstehen durch Anlagerung von
Atome bzw. Moleküle enthält wie 0,012 kg Kohlenstoff 12 C; oder: die soviele Gramm eines
Stoffes enthält, wie seine atomare bzw. molekulare Massenzahl (in atomaren Masseneinheiten
AME) angibt.
Die Avogadro-Konstante NA = 6,022 · 1023 /mol
gibt die Zahl der Atome bzw. Moleküle pro Mol
an.
Jedes neutrale Atom besteht aus Z Elektronen der
Masse m e = 1/1836 AME und der Ladung −e =
− 1,6 · 10−19 C und einem wesentlich schwereren
Kern mit der Ladung +Z · e und der Masse A (in
AME).
Freie Elektronen können erzeugt werden durch
Glühemission aus heißen Metallen, durch Feldemission aus Metallspitzen im elektrischen Feld,
durch Elektronenstoßionisation freier Atome
und durch Photoionisation bei der Lichtabsorption durch freie Atome oder feste Stoffe
(Photoeffekt).
Neutrale Atome können ionisiert werden durch
Elektronenstoß, Photonenabsorption, durch Stöße
mit schnellen Ionen, durch Ladungsaustausch und
u. U. auch durch Stoß von Elektronen oder Ionen mit Oberflächen fester Stoffe. Ein Atom, das
n Elektronen verloren hat, heißt n-fach ionisiert.
Elektronen an neutrale Atome. Sie haben einen
Elektronenüberschuß.
Das Ladungs-Masse-Verhältnis e/m von Ionen
kann mit Hilfe von Massenspektrometern bestimmt werden, die entweder auf der Ablenkung
der Ionen in elektrischen und/oder magnetischen
Feldern basieren oder auf der Flugzeit der durch
eine Spannung U beschleunigten Ionen.
Die Elementarladung mißt man durch neue Versionen des Millikanschen Öltröpfchenversuches.
Untersuchungen der Streuung von α-Teilchen an
Goldkernen und moderne Varianten dieser Versuche mit schnellen Elektronen und Protonen
bestätigen das Rutherfordsche Atommodell, in
dem der weit überwiegende Teil der Atommasse
im Atomkern vereinigt ist, dessen Kernradius mit
(1−5) · 10−15 m aber fast um fünf Größenordnungen kleiner ist als der Atomradius RA ≈ 10−10 m.
Das Volumen des Atomkerns beträgt deshalb nur
etwa 10−14 −10−15 des Atomvolumens.
Die positive Ladung Z · e des Atomkerns wird
in neutralen Atomen genau kompensiert durch
die negativen Ladungen −Z · e der Z Elektronen.
Für mögliche Unterschiede Δq zwischen positiver und negativer Ladung läßt sich experimentell
eine obere Schranke Δq/q < 10−21 angeben.
•
•
•
•
•
•
•
•
69
ÜBUNGSAUFGABEN
1. In 1 m3 Luft gibt es bei Normalbedingungen ( p = 101 325 Pa = 1 atm und T = 273,2 K =
0 ◦ C) etwa 2,6 · 1025 Moleküle. Wie groß sind
a) der mittlere Abstand zwischen zwei Molekülen,
b) der Raumausfüllungsfaktor, wenn die Moleküle durch Kugeln mit Radius r = 0,1 nm
beschrieben werden,
c) die mittlere freie Weglänge Λ?
2. Die Hauptbestandteile der Luft sind: 78% N2 ,
21% O2 , 1% Ar. Berechnen Sie daraus die
Massendichte der Luft unter Normalbedingungen.
3. Wieviele Atome enthalten
a) 1 g 126 C,
b) 1 cm3 Helium bei 105 Pa Druck und T = 273 K,
c) 1 kg Stickstoff N2 ,
d) eine Stahlflasche mit 10 dm3 H2 -Gas bei
106 Pa?
4. Im interstellaren Raum ist die mittlere Dichte der
H-Atome etwa 1/cm3 und die mittlere Temperatur
etwa 10 K. Welcher Druck (in Pascal) herrscht
dort? Warum kann man diesen Druck nicht auf
der Erde erreichen?
5. Stellen Sie sich vor, eine internationale Kommission hätte eine neue Temperaturskala definiert, bei
der der absolute Nullpunkt bei 0 ◦ N und der Eispunkt bei 100 ◦ N liegen. Welches wäre dann der
neue Wert der Boltzmann-Konstante k in Joule
pro ◦ N? Wo läge der Siedepunkt des Wassers auf
der neuen Skala?
70
2. Entwicklung der Atomvorstellung
6. Verifizieren Sie die in Abschn. 2.2.3b angegebene Relation vS = vPh = (κRT/M)1/2 zwischen
Schallgeschwindigkeit vS , Molmasse M und
Temperatur T . Wie groß sind die Frequenzen der
radialen Eigenresonanzen in einem sphärischen
akustischen Resonator mit Radius r0 ?
7. In seinen Versuchen über die Dichteverteilung
von Kolloidteilchen in Wasser fand Perrin eine
mittlere Zahl von 49 Teilchen pro Flächeneinheit in der Höhe h und 14 Teilchen in der Höhe
h + 60 μm. Die Massendichte der Kolloidteilchen
war dabei T = 1,194 kg/dm3 und ihr Radius
r = 2,12 · 10−7 m. Wie groß sind nach diesen
Ergebnissen die Masse der Teilchen, die Avogadrokonstante und die Molmasse der Teilchen?
8. a) Unter welchem Winkel muß Röntgenstrahlung
mit λ = 0,5 nm auf ein Beugungsgitter (siehe Abschn. 7.5.5 und Bd. 2, Abschn. 10.5 mit 1200 Strichen/mm fallen, damit man die erste Beugungsordnung unter dem Winkel β1 = 87◦ beobachten kann? Wo liegt die zweite Beugungsordnung?
Wie groß muß α sein, damit β1 − β2 ≥ 0,75◦ ist?
b) Die erste Beugungsordnung von Röntgenstrahlen mit λ = 0,2 nm, die Braggreflexion an einer
Kubusseitenfläche eines NaCl-Kristalls erfahren,
erscheint bei einem Glanzwinkel von 21◦ . Wie
groß ist die Gitterkonstante des NaCl-Kristalls?
Wie groß ist die daraus berechnete AvogadroKonstante (NaCl = 2,1 kg/dm3 )?
c) Wie groß sind Radius und Volumen von
Ar-Atomen in einem kalten Ar-Kristall (kubischflächenzentriertes Gitter = engste Kugelpackung),
wenn bei der Braggreflexion von Röntgenstrahlen der Wellenlänge λ = 0,45 nm, die unter
dem Winkel ϑ gegen die Netzebene parallel zu den Würfelkanten einfallen, das erste
Reflexionsmaximum bei ϑ = 43◦ auftritt?
9. Man kann die Gasgleichung für ein Mol eines
realen Gases in der Form einer Taylorreihe nach
Potenzen von 1/VM entwickeln als
B(T ) C(T )
+ 2 +··· .
p · VM = R · T 1 +
VM
VM
Vergleichen Sie die Virialkoeffizienten B(T ),
C(T ) mit den Konstanten a und b der van-derWaals-Gleichung (2.24) und diskutieren Sie ihre
physikalische Bedeutung.
10. Leiten Sie (2.25) und (2.26) her.
11. Wie genau läßt sich das Verhältnis e/m für Elektronen bestimmen
a) im magnetischen Längsfeld, wenn die Elektronen in der Fokalebene durch eine Blende mit
dem Durchmesser 1 mm treten und der auf den
Detektor fallende Strom mit einer Genauigkeit
von 10−3 , das Magnetfeld B und die Beschleunigungsspannung U mit 10−4 und der Abstand L
zwischen Eintritts- und Austrittsblende mit 2 ·
10−3 gemessen werden kann?
b) im Wienfilter, wenn Ein- und Austrittsspalt mit dem Abstand d = 10 cm die Breite
b = 0,1 mm haben und die Beschleunigungsspannung U = 1 kV ist, bei Meßunsicherheiten wie
unter a)?
12. Ar+ -Ionen fliegen mit einer Energie von 103 eV
durch ein magnetisches 60◦ -Sektorfeld. Wie groß
muß das Magnetfeld B sein, damit die Brennweite
f = 80 cm ist?
13. Das elektrische Potential entlang der Achse einer
zylindersymmetrischen Elektronenlinse sei φ =
φ0 + a · z 2 für 0 ≤ z ≤ z 0 und φ = φ0 für z ≤ 0,
. Elektronen treten mit der
φ = φ0 + az 20 für z ≥ z 0√
Geschwindigkeit v0 = 2eφ0 /m in die Linse ein.
Wie groß ist die Brennweite?
14. In einer Schicht der Breite b = 2 mm in der
Mitte zwischen zwei Netzblenden im Abstand
von d = 30 mm, zwischen denen eine Spannung
U = 300 V liegt, werden Ionen der Masse m erzeugt und in ein Flugzeit-Massenspektrometer
beschleunigt.
a) Wie groß ist die Laufzeitverschmierung in einer
1 m langen feldfreien Driftstrecke? Können zwei
Massen m 1 = 110 AME und m 2 = 100 AME
noch getrennt werden?
b) Ionen im Geschwindigkeitsintervall v0 ± Δv/2
fliegen als Parallelstrahl der Breite b = 1 mm in
ein 180◦ -Massenspektrometer. Wie groß ist die
Breite des Bündels am Ausgang? Wie groß ist das
Massenauflösungsvermögen?
c) Zeigen Sie, daß beim Reflektron die Massenauflösung gegenüber dem einfachen Flugzeitspektrometer bei gleicher Länge L erhöht wird.
Wovon hängt der Verbesserungsfaktor ab?
15. α-Teilchen mit E kin = 5 MeV werden in einer
Goldfolie gestreut.
Übungsaufgaben
a) Wie groß ist der Stoßparameter b bei einem
Streuwinkel ϑ = 90◦ ?
b) Wie groß ist rmin für Rückwärtsstreuung
(ϑ = 180◦ )?
c) Welcher Bruchteil aller α-Teilchen wird
um Winkel ϑ ≥ 90◦ gestreut bei einer Goldfolie mit Dicke 5 · 10−6 m ( = 19,3 g/cm3 ,
M = 197 g/mol)?
d) Welcher Bruchteil wird in den Winkelbereich
45◦ ≤ ϑ ≤ 90◦ gestreut?
16. Man vergleiche bei einer Winkelauflösung dϑ =
1◦ die relativen Streudaten für (1 ± 0,5)◦ und
(5 ± 0,5)◦ für das Thomson-Modell und das
Rutherford-Modell des Goldatoms für die Folie
in Aufg. 2.13c.
17. Protonen fallen auf eine 12 μm dicke Kupferfolie.
a) Wie hoch muß die Protonenenergie sein, damit
rmin beim zentralen Stoß gleich dem Kernradius
rK = 5 · 10−15 m wird?
b) Für rmin < rK erwartet man eine Abweichung
der Streukurve N(ϑ) von der Rutherford-Formel.
In welchem Winkelbereich ϑ wird dies bei einer
Protonenenergie von 9,5 MeV auftreten?
71
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