Praktikumsbericht

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Praktikumsbericht
Kai Zwirnmann- Cho Ray Hospital, Ho Chi Minh City (Saigon), Vietnam
Im Sommer 2013 habe ich einen dreieinhalbmonatigen Teil meines Praktischen Jahres in einem der
größten Krankenhäuser Asiens absolviert, dem Cho Ray Hospital in Ho Chi Minh City (Saigon),
Vietnam. Das HPMG-Stipendium hat mich dabei unterstützt. Als Universitätsklinik und größtes
Krankenhaus Vietnams hat das Cho Ray Hospital eine Kapazität von 1708 Betten und beherbergt in
etwa 2700 Patienten. Die Zahlendifferenz hier ist kein Zufall, sondern Ausdruck dessen, dass sich oft
zwei Patienten ein Bett teilen müssen. Das Einzugsgebiet des Krankenhauses umfasst ganz
Südvietnam. Natürlich gibt es auch kleinere andere Krankenhäuser im Umkreis, aber alle
komplizierteren Fälle kommen hierher. Für die ersten 6 Wochen war ich auf der Notaufnahme
eingeteilt. Es folgten Rotationen von je 4 Wochen in die Kardiologie und die Tropenmedizin.
Die Bedingungen in einem vietnamnesischen Krankenhaus sind für einen Europäer relativ
ungewohnt. Die Notaufnahme besteht aus nur einem Raum, der für etwa 50-60 Patienten Platz
bietet, die sehr lange auf die Behandlung warten müssen und von den Ärzten nach und nach
behandelt werden. Zusätzlich kommen noch Angehörige dazu, die eigentlich die gesamte Pflege
übernehmen. Jeder Patient wird von nur einem Arzt betreut. Das ist für einen Berufsanfänger relativ
schwierig, da es wenig bis gar keine Rücksprache oder Kontrolle, aber auch keine Anleitung durch
erfahrenere Ärzte gibt. Fehler ziehen scheinbar keine Konsequenzen nach sich.
Desinfektionsmittelspender gibt es nur wenige. In Benutzung sind sie noch weniger. Einen
Mundschutz gibt es für das Personal einen pro Person pro Schicht. Hände gewaschen haben sich die
Ärzte meistens nur vor dem Essen. Für einen deutschen Medizinstudenten, dem 6 Jahre lang der
Respekt vor Keimen nahegelegt wurde, waren diese Umstände sehr gewöhnungsbedürftig. Das
Fachwissen der Ärzte hat durchaus westlichen Standard. Die Arbeitsbedingungen eindeutig nicht.
Man sieht nicht nur aus medizinischer Sicht viel Elend. Die Patienten kommen -aus finanziellen
Gründen- nur ins Krankenhaus, wenn sie keine andere Möglichkeit mehr sehen oder vom
Krankenwagen gebracht werden. Es handelt sich etwa zur Hälfte um Verkehrsunfälle und bei dem
Rest gemischt um alle anderen Krankheitsbilder. Dabei sind Tumore in Faustgrösse, Schlangenbisse
oder wirklich fortgeschrittene Symptome, die man in Deutschland selten sieht, hier keine Seltenheit.
Trotzdem kann es passieren, dass ein Patient mit zum Beispiel einer Verletzung der Wirbelsäule
mehrere Stunden warten muss, weil andere dem Tod einfach näher sind und man Prioritäten setzen
muss. Es fehlt an Geld. Zum einen den Patienten, die sich keine adäquate Behandlung leisten können,
zum anderen dem Staat, der sich nicht mehr Personal oder modernere Arbeitsgegebenheiten leisten
kann. Auch scheint die medizinische Bildung der Bevölkerung teilweise sehr mangelhaft. Einige
Patienten versuchen, selbst Knochenbrüche oder Schlangenbisse mit traditioneller Medizin in Form
von Kräutern zu heilen, bevor sie ins Krankenhaus kommen, wenn es zu spät ist und der Körperteil
dann amputiert werden muss.
Man kann in Vietnam mit einem guten Einkommen durchaus eine dem Westen ebenbürtige
Behandlung empfangen. Es gibt private Krankenhäuser mit westlichem Standard. Zwar existiert eine
staatliche Versicherung, diese deckt aber nur die grundlegenden Behandlungen in staatlichen
Krankenhäusern ab und nur bei Kindern unter 6, Senioren über 70 und sozial sehr benachteiligten
Menschen, wobei ich nicht beurteilen kann, wie niedrig die Grenze gezogen wird. Dementsprechend
sah man in meinem Krankenhaus westliche Patienten und wohlhabende Vietnamnesen nur sehr kurz,
da sie sich selbst gleich in private Kliniken verlegen. Auch in Deutschland ist es ein Unterschied, ob
man privat versichert ist oder nicht, aber grundsätzlich bekommt hier jeder eine sehr gute
Behandlung. Dass das in Vietnam anders ist, ist keine unvorhersehbare Situation, es ist aber etwas
anderes, das auch aus der Nähe zu erfahren.
Die Ärzte im staatlichen Krankenhaus haben fast alle eine zweite Einkunftsquelle, da sie vom Staat
nur sehr schlecht bezahlt werden. Viele arbeiten zusätzlich in privaten Krankenhäusern, um sich und
ihrer Familie ein besseres Leben zu ermöglichen und oder haben andere Einnahmequellen. Viele von
Ihnen kommen nur zu Ausbildungszwecken und für den eigenen Lebenslauf in das staatliche
Krankenhaus.
Meine Arbeitszeiten auf der Notaufnahme waren in der ständigen Rotation: 07:00-14:30 Uhr / 14:3021:00 Uhr / 21:00-07:00. Das bedeutete keinen festen Alltag und vor allem kein Wochenende für
meine ersten 6 Wochen in Vietnam, allerdings sind 24 Stunden zwischen den Schichten genug
Freizeit , um die Stadt zu erkunden, so dass ich mich nach meiner Rotation in der Notaufnahme gut in
Saigon auskannte und die meisten Sehenswürdigkeiten kannte. Die wochentäglichen Arbeitszeiten
auf den weiteren Stationen gaben mir dann auch die Möglichkeit, durch Kurztrips übers Wochenende
den Rest des Landes zu erkunden.
Die Kommunikation mit den Einheimischen gestaltete sich für mich als Herausforderung. Dass die
meisten Patienten kaum Englisch sprechen und hier kaum Kommunikation möglich war, war mir im
Vorhinein bewusst. Dass allerdings auch nur wenige Ärzte gutes Englisch sprechen nicht. Zwar gab es
durchaus Ärzte mit einem einwandfreien Englisch und großem medizinischem Wortschatz, man
musste sich allerdings als nicht-vietnamnesisch-sprechender Student auch an diese halten, um etwas
zu lernen, da viele andere nur grundlegendes Englisch sprachen. Die durchaus andere Aussprache der
Vokabeln ließ mich in den ersten Tagen auch an meinen eigenen Sprachkenntnissen zweifeln,
allerdings konnte man sich schnell in das Englisch mit vietnamnesischen Aktzent hineinhören. Da die
meisten Menschen auch furchtbar freundlich zu Ausländern sind, war es im Alltag kein Problem, sich
auch mit Händen und Füßen zu verständigen. Meine Pantomime-Fähigkeiten wurden definitiv sehr
geschult.
Meine Kollegen waren sehr interessiert an mir und sehr gastfreundlich. So wurde ich während der
Arbeit immer zum Essen eingeladen, das meistens in Straßenlokalen der Umgebung stattfand, in die
ich mich sonst als Tourist nie getraut hätte, die ich wahrscheinlich in ihren kleinen Gassen nicht
einmal gefunden hätte. Nach ein paar Tagen habe ich gelernt, dass man am besten isst, wenn man
sich vollkommen den Einheimischen anvertraut und sie für sich bestellen lässt. Weitere wirklich
authentische Erfahrungen im Leben der Einheimischen durfte ich sammeln, als ich zu Familienfeiern
meiner Kollegen oder zu einem Betriebsausflug eingeladen wurde. Im Krankenhaus trifft man aber
auch auf ein paar andere europäische Studenten und kommt schnell in Kontakt, da man als einziger
Europäer in einem Raum voller Vietnamnesen schnell auffällt. So kam es, dass ich schnell auch
andere deutsche, englische und französische Praktikanten kennenlernte. Das machte das Sightseeing
und die Freizeitgestaltung auf jeden Fall noch ein Stück angenehmer.
Zu den positivsten Erfahrungen während meiner Zeit zählt definitiv die vietnamnesische Küche. Wer
hier mit Insekten, Hunden und allerlei Getier rechnet, wird enttäuscht. Ich habe fast ausschließlich
sehr gut und auch billig gegessen. Man findet derlei abenteuerlichere Zutaten mit Sicherheit, wenn
man gezielter sucht oder sich durchfragt, aber zum Standard gehören sie definitiv nicht. Die
vietnamnesische Küche besteht zum Großteil aus wirklich frischen Zutaten, mit viel Gemüse und
frischen Kräutern, die ich nicht alle benennen kann. Dazu gibt es meistens Schwein, Rind, Huhn oder
sehr oft auch Meeresfrüchte aller Art. Als Beilage werden meistens Reis oder Reisnudeln serviert. Das
ganze wird relativ fettarm gegrillt oder gekocht. Bei drei warmen Mahlzeiten am Tag (das Frühstück
macht hier keine Ausnahme) sollte man allerdings nicht damit rechnen, abzunehmen. Auch die
Auswahl an frischen tropischen Früchten muss sich nicht verstecken. Selbstverständlich gibt es auch
Zutaten, bei denen man als Europäer erst einmal zögert. So ist es in Vietnam selbstverständlich, das
ganze Tier zu verarbeiten. Dass man sein Fleisch deswegen regelmäßig von einem Knochen abnagen
muss, oder Haut, Fett oder Innereien auf seinem Teller sieht, kann bei Experimentierfreudigen
deswegen schnell passieren. Ich habe während meiner Zeit allerdings nicht einmal schlecht
zubereitetes Essen gegessen. Das Fleisch ist immer auf den Punkt gegart, das Gemüse nie verkocht
und der Reis hat die perfekte Klebrigkeit. Obwohl ich zu Hause wirklich gerne selber koche, habe ich
dies in Vietnam nur eine Handvoll mal gemacht. Die unzähligen Straßenstände, an denen es
allerbestes Essen für einen Centbetrag gibt, machen es einem sehr leicht, auch ohne eine eigene
Küche zu überleben. Allerdings gibt es auch zahlreiche Marktstände und Supermärkte mit großer
Auswahl, falls man nicht darauf verzichten mag. Das einzige Hindernis am Essen in Vietnam ist
anfangs, dass man seltener Messer und Gabel findet, sondern sich an das Essen mit Stäbchen
gewöhnen muss.
Nicht nur im Krankenhaus, sondern auch an den Straßenständen muss man schon aufpassen, da hier
die hygienischen Bedingungen nicht immer ideal sind. So wird Fleisch bei 35 °C ungekühlt gelagert
oder Essbesteck oft nur in einem Eimer mit benutztem Spülwasser gereinigt. Wenn man allerdings
ein wenig aufmerksamer und wählerischer ist, muss man sich nicht vor gesundheitlichen Problemen
fürchten und kann toll essen.
Da die Lebenshaltungskosten in Vietnam wesentlich geringer sind, als in Deutschland, habe ich mir
trotz vieler Kurzreisen am Wochenende ein schönes WG-Zimmer in Saigon mieten können und
trotzdem das Reisebudget nicht überziehen müssen. Die Wohnung lag in etwa zwischen dem
Stadtzentrum und dem Krankenhaus. Das übliche Fortbewegungsmittel ist der Motorroller. Wenn
man sich einmal an die Millionen Rollerfahrer und den nervenaufreibenden Verkehr gewöhnt hat,
kann man durchaus seinen Spaß daran finden. Für die etwas sicherheitsbewussteren gibt es
allerdings auch Taxis, welche, insofern man kein unseriöses Taxiunternehmen erwischt, nur einen
Bruchteil von deutschen Taxis kosten.
Auch die Fluggesellschaften passen sich bei ihren Inlandsflügen an das niedrigere Preisniveau an.
Einen Hin- und Rückflug bekommt man zu jeder größeren Stadt im Land für unter 100 Euro. Das
machte es mir möglich, auch auf zeitlich begrenzten Wochenendtrips einen Großteil des Landes zu
sehen und tolle Reiseerfahrungen zu sammeln. Vietnam bietet vom Wellnessurlaub an schneeweißen
Stränden unter Palmen über Erlebnis- und Sporturlaub (Tauchen, Klettern, Canyoning, Kayak fahren,
...) bis hin zu Bildungsreisen jegliche nur erdenkliche Möglichkeit der Reisegestaltung. Besonders
beeindruckt hat mich, dass man innerhalb weniger Stunden vom Chaos und Lärm der überlaufenen,
asiatischen Großstadt in eine vollkommen neue Welt gelangen konnte. Das Land bietet eine
atemberaubende Natur mit beeindruckender Flora und Fauna.
Im Nachhinein blicke ich auf eine unglaublich schöne, lehr- und erfahrungsreiche Zeit zurück und bin
dankbar dafür, dass das HPMG-Stipendium mich darin unterstützt und viele Erfahrungen auch erst
ermöglicht hat.
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