Literaturempfehlung zu Spracherwerb Fromkin, Rodman, Hyams: An Intrduction to Language. Thomson & Heinle, 7. Auflage, 2003. Kapitel 8, S. 341-390 !! Nativistischer Standpunkt !! Mögliche Mechanismen Lernen durch Imitation der Erwachsenensprache? – Spielt sicherlich auch eine Rolle, aber erklärt nicht alles. – Kinder produzieren Dinge, die sie so nicht gehört haben können. Z.B.: • *holded • *tooths • *two foot – Kinder, die wegen neurologischer Störungen nicht sprechen können, sind nach Ende dieser Störungen sofort in der Lage Sprache zu nutzen. Mögliche Mechanismen Lernen durch Verstärkung? – Eltern Verstärken korrektes Sprachverhalten durch (i) Korrektur von Fehlern und (ii) Belohnung des korrekten Sprachgebrauchs – Annahme, dass letztlich auch sehr komplexe Verhaltensmuster durch operantes Konditionieren aufgebaut werden können: – Sprache = verbales Verhalten – Erwies sich als zu simplistisch Sprachlernen durch Verstärkung? – Spielt möglicherweise auch eine Rolle, aber erklärt vieles nicht. – Untersuchung von Eltern-Kind-Interaktionen: Verstärkerwirkung durch Eltern tritt viel häufiger ein auf den Wahrheitsgehalt von Aussagen der Kinder, als auf die syntaktische Wohlgeformtheit ihrer Aussagen. – Beispiel für Nutzlosigkeit von Verstärkern: Korrekturversuche Kind: Want other one spoon, Daddy. Vater: You mean you want the other spoon. Kind: Yes, I want other one spoon, please, Daddy. Vater: Can you say the other spoon? Kind: Other … one … spoon. Vater: Say … other. Kind: Other. Vater: Spoon. Kind: Spoon. Vater: Other spoon. Kind: Other spoon. Now give me other one spoon Quelle: Fromkin, Rodman, Hyams (2003) Mögliche Mechanismen Lernen durch Analogie? – Bedeutet: Einmal erkannte Regeln der Sprache werden analog auf andere Situationen angewendet. – Eher unwahrscheinlich, denn (i) dieser Weg würde schnell zu Fehlern führen und (ii) mit dieser Theorie vorhersagbare Fehler lassen sich praktisch nie beobachten. – Beispiel: • Kind hört folgendes Satzpaar: • The boy was sleeping. Was the boy sleeping? • -> Regel für Fragebildung: Bewege das Auxiliar vor das Subjekt. • Bei Anwendung dieser Regel auf folgende Relativsatzkonstruktion (The boy who is sleeping is dreaming about a new car.) müsste entstehen: *Is the boy who sleeping is deraming about a new car. • Das tritt praktisch nicht auf. Mögliche Mechanismen Lernen durch Strukturierung des Inputs? – Bedeutet: Simplifizierte und dem Kind zugewandte Sprache der Eltern ist die Basis des Spracherwerbs. (Begriffe im Englischen: motherese, CDS - child directed speech) – Eher unwahrscheinlich, denn (i) diese Sprache ist nicht syntaktisch vereinfacht; (ii) in Kulturen ohne CDS oder wo kaum zu Babys gesprochen wird, erfolgt der Spracherwerb in einer sehr ähnlichen Abfolge. – Ist eher Mechanismus zur Allokation von Aufmerksamkeit als eine treibende Kraft des Spracherwerbs. Theorien zum Erstspracherwerb – Nativismus: „Innateness“-Hypothese (das Angeborensein von Sprachkompetenz) – Behaviorismus – Kognitivismus und Konstruktivismus – Interaktionisten Nativisten wichtigster Vertreter: Noam Chomsky Annahmen: • Sprache entwickelt sich aus angeborenen, universellen sprachlichen Kategorien, d.h. jeder Mensch bringt eine genetische Ausstattung zum Spracherwerb mit; • Diese s.g. Universalgrammatik beinhaltet Prinzipien, die dann beim Erwerb einer Einzelsprache durch das kleine Kind parametrisch festgelegt werden (z.B. ob in der zu erwerbenden Sprache ein pronominales Subjekt realisiert werden muss (Deutsch) oder nicht (Italienisch)); Unterstützende Befunde: • extrem frühe Fähigkeiten zur Sprachperzeption? • Überlegungen von Steven Pinker, der einen "Sprachinstinkt" annimmt; • früher wurde auch die Existenz von Spracharealen im Gehirn als Beweis benutzt; • Universeller Aufbau von Sprachen • Kreation eigener Sprachen (z.B. taube Kinder hörender Eltern); • Bislang wurde nur ein, für die Artikulation zuständiges Sprachgen ("FoxP2") nachgewiesen Behaviorismus wichtigster Vertreter: Burrhus Frederic Skinner (1904-1990) Annahmen: • Spracherwerb unterliegt denselben Gesetzmäßigkeiten wie der Erwerb jeden anderen Verhaltens; • Sprache ist zunächst kontingenzgeformt, d.h. sie wird durch Bedingungen in der Umwelt des Kindes geformt. • Der Erwerb der Sprache ermöglicht in der Folge das regelgeleitete Verhalten, durch das das Individuum z.T. von der unmittelbaren Kontrolle durch Umweltkontingenzen unabhängig wird. Ausführliche Darstellung und unterstützende Befunde in Skinner (1957) "Verbal Behavior"; Das Buch wurde durch Noam Chomsky (Nativist) 1959 besprochen, diese Rezension wird in der Psycholinguistik als "Widerlegung" des Skinnerschen Ansatzes betrachtet. Chomskys Kritik an "Verbal Behavior" bezieht sich jedoch kaum auf den dort dargestellten verhaltensanalytischen Ansatz und ist selbst Gegenstand der Kritik. Kognitivismus und Konstruktivismus wichtigster Vertreter des Kognitivismus: Jean Piaget (1896-1980) Annahmen: • Kognitivismus versucht, die Entwicklung der Intelligenz als stufenweise Weltkonstruktion zu beschreiben. Spracherwerb wird verstanden als eine besondere Art des geistigen Lernens auf der Grundlage der Symbolfunktion; • lt. Piaget ist Sprache lediglich ein Moment der Gesamtentwicklung beim Kind ist (wie Denken, Handeln, Urteilen, etc.), das sich nicht isoliert für sich betrachten lasse, sondern immer in Auseinandersetzung mit der Welt und mit dem Weltbild des Kindes gesehen werden müsse. Dabei gehe das Denken der Sprache voraus. Die Kognition kann im symbolischen Gefüge der Sprache Ausdruck finden. • Entspricht Vorstellungen der modernen Hirnforschung: Die natürliche Hirnreifung und körperliche Entwicklung eröffnet nach und nach neue Möglichkeiten Informationen zu verarbeiten, zu speichern und zu verallgemeinern, wodurch sich ein Durchlaufen von Entwicklungsstadien ergibt; d.h. biologische Reifungsprozesse ermöglichen kognitive Entwicklung und die zieht Sprachentwicklung nach sich. Interaktionismus Wichtige Vertreter sind Jerome Bruner, Catherine Snow und Michael Tomasello, der von der Primatenforschung kommt. Annahme: • Spracherwerb wird entscheidend durch die Interaktion zwischen Eltern und Kind angetrieben. • Bezugspersonen entwickeln ein Supportsystem, mit dem sie den Spracherwerb in relevanten Situationen stützen. • Tomasello sieht einen wesentlicher Aspekt dabei, dass menschliche Partner ein Handlungssystem und ihre Intentionen teilen können. "Shared Intentions" sind eine Grundlage für das spezifisch menschliche Sprachverhalten (Defizite dabei führen zu Sprachentwicklungsstörungen). Stadien des Spracherwerbs Grober Ablauf: • 1. Prälinguistische Phase (im ersten Lebensjahr) • 2. Holophrastische oder Einwort- Periode (Ende des ersten Jahres) • 3. Telegraphische Periode (Beginn im 2. Lebensjahr) • 4. Vorschulperiode (2,5 – 5 Jahre) Sprachproduktionsforschung Dokumentation der Spontansprache im Verlauf der Sprachentwicklung (SE) • Traditionelles Verfahren; erst Tagebücher, dann Audiospäter Videoaufzeichnungen, die entsprechend transkribiert wurden • Vorteile: klares und einfach verständliches Verfahren; zumindest bei Videos ist Einbeziehung des Kontext möglich; • Nachteile: Transkription ist sehr arbeitsaufwendig; Sprachproduktion ist in der Entwicklung langsamer als Perzeption was zu systematischen Fehlern führen kann; Keine standardisierten Beschreibungsmethoden; vergleichsweise große Anfälligkeit für Konfundierungen, da Beeinflussung durch Kontaktpersonen möglich Sprachproduktionsforschung Datenbank basierte Systematisierung der Sprachproduktion im Verlauf der SE • Anfang der 80er Jahre: CHILDES (Child Language Data Exchange System) • Vorteile: große Datenmenge; Vereinheitlichung der Kodierungssystems; große Verbreitung und Nutzergemeinschaft; viele Sprachen der Welt; • Nachteile: Missbrauch; praktische Erfahrungen können unterentwickelt bleiben Sprachproduktionsforschung (z.B. Erwerb morphologischer Regeln) nach Jean Berko-Gleason Sprachproduktionsforschung Ausgelöste Produktionen unter Nutzung von Nichtwörtern (Jean Berko-Gleason; 50er Jahre) • frei von Einflüssen früherer Erfahrungen • Test für die Generalisierung von Regeln – morphologische Regeln, z.B. –s Plural; – phonologische Regeln wie [z] vs. [s]-Nutzung, z.B. dog[z], cat[s], dish[ez]; – syntaktische Regeln wie regelmäßige Tempus Markierung, z.B. gorp – gorped oder auch irregulären Formen, z.B. ting - tang Sprachproduktionsforschung Ausgelöste Produktionen bei Imitation mit spontaner Korrektur von eingebauten Fehlern • Imitation vom dem was eine Puppe sagt – wenn Regelwerk erworben, so werden Fehler (vieler Verarbeitungsebenen) in der Vorgabe spontan korrigiert Sprachproduktionsforschung Ausgelöste Transformationen • Satzergänzungsspiel mit dem Dialogpartner, Änderungen der Aussage von direkt in indirekt usw.; überprüft in wie weit Regelwerk erworben ist Ausgelöste Produktionen von Erzählungen Sprachperzeptionsforschung Fetale Untersuchungen • Untersuchung der Reizveränderungsreaktion des Fötus • Paradigma: – a) Habituation an bestimmte Reize oder Reizklassen durch wiederholte akustische Darbietung via Bauchwand; – b) Änderung definierter Stimulusparameter; – c) Beobachtung der Veränderung der abhängigen Variable; – -> Wiederholung der Messung bis eine sichere Aussage möglich ist • Abhängige Variablen: a) Fetale Herzrate; b) Rate fetaler Tretbewegungen • Index einer Reizveränderungsdetektion ist die Erhöhung der jeweiligen Rate Sprachperzeptionsforschung Postnatale Untersuchungen (Babyalter) • Nuckelrate: HAS (High Amplitude Sucking Technique) • Präferierte Kopfdrehungen: HPP (Head-TurnPreference Procedure) • Präferiertes Blickverhalten: PLT (Preferential Looking Technique) HAS (High Amplitude Sucking T.) • • • Saugreflex wird moduliert; Angenehmes und bekanntes erhöht die Nuckelrate Paradigma 1: – a) Baby liegt im Babystuhl, ein interessantes Bild lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, die Eltern sind dabei und hören über Kopfhörer Musik um mögliche Konfundierungen zu verhindern. Akustische Darbietung bestimmter Reize oder Reizklassen; Aufzeichnung der Nuckelrate; – b) Nuckelrate ändert die Reizdarbietung, z.B. hohe Rate führt zur Nutzung der Stimme der Mutter - Verringerung der Rate zur Nutzung einer fremden Stimme; – c) Beobachtung der Veränderung der Nuckelrate; – -> Wiederholung der Messung bis eine sichere Aussage möglich ist • • Abhängige Variable: Nuckelrate Index einer selektiven Reizverarbeitung ist die gerichtete Erhöhung der Nuckelrate HAS (High Amplitude Sucking T.) Paradigma 2: • Wie Paradigma 1 aber hier nicht gezielte Änderung der Nuckelrate sondern Analyse der Reaktion der Nuckelrate auf die Reizveränderung • Abhängige Variable: Nuckelrate • Index einer selektiven Reizverarbeitung ist die gerichtete Erhöhung der Nuckelrate HPP (Head-Turn-Preference P.) • Ab dem Alter, wo Kopfdrehungen durch Babys kontrolliert werden können (ab 4 Monate); • Paradigma: – Baby liegt im Babystuhl oder sitzt auf Schoss eines Elternteils im Messraum; – vor dem Baby befindet sich ein sichtbares grünes Licht und eine versteckte Videokamera für den Beobachter, rechts und links je ein rotes Licht und ein Lautsprecher; – Beobachter registriert per Tastendruck wenn Baby den Kopf nach rechts oder links dreht; – die Eltern und der Beobachter sind über Kopfhörer abgelenkt. – Akustische Darbietung bestimmter Reize oder Reizklassen; – Aufzeichnung der Zuwendungszeiten zu den jeweiligen Reizen; HPP (Head-Turn-Preference P.) • Paradigma: – Versuchsphasen: Phase 1: Gewöhnungsphase; Darbietung der Reize einer Klasse; Phase 2: Testphase; Darbietung der gewohnten Reize plus die einer neuen Klasse in zufälliger Abfolge; – Ablauf: 1. grünes Licht in der Mitte flackert – Fokussierung der Aufmerksamkeit auf Mitte; 2. eine der roten Lampen beginnt zu flackern; Aufmerksamkeit wird darauf gerichtet; einspielen der Reize für die Gewöhnungsphase (fixe Zahl, oder bis zum Abwenden des Babys für mehr als 2 Sekunden; -> wenn eingewöhnt dann Beginn der Testphase mit dem zufällig den Seiten zugeordneten Abspielen der beiden Reizklassen; – Beobachtung der Zuwendungszeiten zu den Reizklassen; – -> Wiederholung der Messung bis eine sichere Aussage möglich ist • Abhängige Variable: Zuwendungszeiten • Index einer selektiven Reizverarbeitung ist die gerichtete Erhöhung der Zuwendungszeiten auf Reize aus der Gewöhnungsphase PLT (Preferential Looking T.) • Differentielles Blickverhalten auf 2 Stimuli zwischen denen gewählt werden kann; • Traditionell unter Nutzung der Fagan-Box (manueller Betrieb bei Zuschaltung der Bilder), jetzt computerisierte Varianten verfügbar; • Paradigma: – Baby liegt im Babystuhl oder sitzt auf Schoss eines Elternteils im Messraum; vor dem Baby wird eine Rassel betätigt, um seine Aufmerksamkeit auf die Mitte zu richten; PLT (Preferential Looking T.) • Paradigma: – Ablauf: Bilder werden für definiertes Zeitintervall gezeigt (ca. 10-20 sec); Untersucher sagt: „Schaue auf ...x...“ (wobei x das rechte, linke oder keins der Beiden Objekte sein kann); falls Wortverständnis vorhanden, so sind die Blickzuwendungszeiten relativ verlängert; – Beobachtung der Blickzuwendungszeiten zu den Objekten; – -> Wiederholung der Messung bis eine sichere Aussage möglich ist • Abhängige Variable: Blickzuwendungszeiten • Index einer Worterkennung ist die Erhöhung der Zuwendungszeiten auf die hinterfragten Reize • Computerisierte Formen erlauben auch die Untersuchung bewegter Reize und damit die Untersuchung von Wortabfolgen oder das Verständnis einfacher grammatischer Strukturen Sprachperzeptionsforschung • Mit älteren Kindern: – Off-line Techniken • Nachspiel von vorgegebenen Situation mittels Gegenständen und Puppen • Bilderauswahl aus Situationsdarstellungen – On-line Techniken • Textmonitoring mit Zielwortsuche; verlängerte Reaktionszeiten bei ungrammatikalischen Passagen Meilensteine des Spracherwerbs (grob) (vgl. Grimm 2003) Feinstruktur des Spracherwerbs im 1. Lebensjahr Quelle: Kuhl (2004) Meilensteine des Spracherwerbs (vgl. u.a. Grimm 1998; Butzkamm, 1999) Meilensteine des Spracherwerbs (vgl. u.a. Grimm 1998; Butzkamm, 1999) Meilensteine des Spracherwerbs (vgl. u.a. Grimm 1998; Butzkamm, 1999)