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Medizin | Interview zur Liquid Biopsy | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016
Liquid Biopsy
fotolia/Syda Productions
„Das wird am besten durch Kooperation gelöst“
Die sogenannte „Liquid Biopsy“ könnte die
Krebsmedizin weiter voranbringen insbesondere in der Therapiestratifizierung und
beim frühzeitigen Erkennen eines Rezidivs.
„Diagnostik im Dialog“ sprach mit Professor Dr. Jürgen Ruland und Professor Dr.
Wilko Weichert vom Klinikum rechts der
Isar (MRI) der TU München (TUM) über
die heute etablierte Tumordiagnostik und
welches Potenzial die Liquid Biopsy schon in
naher Zukunft haben könnte. Es wurde deutlich, dass die enge Forschungskooperation
zwischen Pathologen und Labormedizinern
für die Weiterentwicklung dieser Methode
wichtig ist und daher vermehrt gemeinsame
fachübergreifende Anstrengungen in diese
Richtung wünschenswert sind.
Professor Ruland, in der Krebsmedizin sind
die klassischen Tumormarker seit langem
etabliert. Wie schätzen Sie die Bedeutung
dieser klassischen Serumanalytik aktuell
ein? Wo sehen Sie deren Grenzen?
Die klassische Serumanalytik hat eine große
Bedeutung bei fast allen Tumorentitäten –
über die Organgrenzen hinweg. Seit vielen
Jahren gibt es in der Labormedizin eine
ganze Reihe gut etablierter Tumormarker,
im wesentlichen Glycoproteine, die von
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Tumorzellen ins Serum abgegeben werden.
Ihre diagnostische Spezifität ist naturgemäß
begrenzt, da die klassischen Tumormarker
keine veränderten Proteine darstellen, die
ausschließlich von Tumorzellen produziert
werden. Deshalb kennzeichnet ein erhöhter
Tumormarkerwert nicht zwangsläufig eine
Tumorerkrankung. Es könnte sich auch um
einen entzündlichen Prozess handeln, eine
degenerative Erkrankung oder eine individuelle Variante. Ist jedoch ein Tumor diagnostiziert – dazu stehen uns mit Bildgebung,
Pathologie und Labormedizin umfangreiche
Instrumentarien zur Verfügung – und finden wir vor Therapiebeginn einen bestimmten Serumparameter mit diesem Tumor
assoziiert, dann können wir diesen Marker
im Behandlungsverlauf verfolgen. Wir sehen
dann, ob er unter der Therapie zurückgeht,
und die Therapie somit Erfolg hat. Und in
der Nachsorge eingesetzt, kann ein solcher
Tumormarker das Auftreten eines Rezidivs
zuverlässig anzeigen.
In der Versorgung von Krebspatienten ist
es wichtig, dass viele Disziplinen Hand in
Hand arbeiten. Professor Weichert, wie
genau sieht das an der TUM aus?
Wir haben viele interdisziplinäre, klinische
Tumorboards hier am Klinikum rechts der
Isar. So begleiten wir in der Pathologie ungefähr 20 Stunden Tumorboards pro Woche
in rund 25 Disziplinen. Da treffen sich alle
Kollegen aus den unterschiedlichen Bereichen und diskutieren onkologische Fälle
zunehmend auch unter Berücksichtigung
molekularer Tumorprofile. Dieses Konzept
wurde schon sehr früh bei uns am Klinikum
verankert. Heute gilt es als internationaler
Standard und wir empfehlen sehr, dass jeder
onkologische Patient zumindest einmal in
einem interdisziplinären Tumorboard vorgestellt wird. Tatsächlich sind nahezu alle
Fachrichtungen am MRI in die Behandlung
onkologischer Patienten involviert: Das sind
natürlich die medizinischen Onkologen,
entitätsspezifische Spezialisten, Pathologen,
Radiologen, aber auch zum Beispiel das Institut für Humangenetik bei erblichen Tumorerkrankungen oder Psychoonkologen und
Sportmediziner. Man muss sich vor Augen
halten, dass etwa ein Viertel aller Deutschen
an einer Krebserkrankung stirbt. Das ist also
ganz klar einer unserer Tätigkeitsschwerpunkte hier am Klinikum.
Und wie sieht es mit Schnittstellen zwischen Labormedizin und Pathologie aus?
Prof. Ruland: Die Pathologie hat den großen
Vorteil, das Gewebe als Verbund betrachten und
lokale pathogenetische Prozesse sehr detailliert
beleuchten zu können. Wir in der Labormedizin haben hingegen eine langjährige Expertise
in der hochsensitiven und qualitätskontrollierten Bestimmung von biochemischen Analyten
unterschiedlichster Stoffklassen aus verschiedenen Körperflüssigkeiten insbesondere aus
dem Serum und Plasma. Wie oben angedeutet, haben die klassischen Tumormarker nicht
notwendiger Weise etwas mit der ursächlichen
Pathogenese des Tumors zu tun. Wenn wir die
Tumorbiologie besser verstehen wollen, dann
ist eine Zusammenarbeit unserer beiden Bereiche sehr wichtig.
Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 | Interview zur Liquid Biopsy | Medizin
Prof. Weichert: Wenn Sie jetzt nach einer
routinemäßigen Kooperation unserer beiden Fachbereiche fragen, dann ist es zurzeit
so, dass wir im klinischen Bereich grundsätzlich noch nicht sehr viele Interaktionen
zwischen Pathologie und Klinischer Chemie
haben. Jedoch gibt es gerade hier bei uns
am MRI bereits gut etablierte Schnittstellen
beider Fachgebiete durch die enge Zusammenarbeit in einigen Forschungsbereichen.
Dazu gehört auch der Bereich der sogenannten "Liquid Biopsy", die ja grundsätzlich in
beiden Disziplinen eine Rolle spielt. Insofern
wird sich die Kooperation zukünftig intensiver gestalten.
Worin sehen Sie das Potenzial der Liquid
Biopsy, auch in Abgrenzung zu den klassischen Tumormarkern?
Prof. Ruland: Liquid Biopsy ist zunächst
einmal ein weiterer klinisch einsetzbarer
Test, ein blut- oder körperflüssigkeitsbasiertes Verfahren, das man nutzen kann,
um bestimmte Parameter zu analysieren.
Das sind entweder freie Nukleinsäuren
(cfDNA) oder zirkulierende Tumorzellen
(CTC). Kurzfristig sehen wir das größere
Potenzial bei den freien Nukleinsäuren. Das
heißt, wir untersuchen DNA-Fragmente,
die aus einem Tumor selbst kommen und
dadurch sehr spezifisch sind. Der Nachweis
der cfDNA bietet die Chance, auch solche
genetischen Veränderungen im Blut zu messen, die pathogenetisch relevant sind, das
heißt, die den Tumor in seinem Wachstum
treiben. Wenn es gelingt, über die Liquid
Biopsy auch bestimmte Subtypen zu unterscheiden, könnte man ein solches Verfahren
zur Therapiestratifizierung einsetzen.
Prof. Weichert: Wobei wir heute noch häufig das Problem haben, dass wir gar nicht
wissen, wie viel dieser zirkulierenden DNA
tatsächlich aus einem bei dem Patienten möglicherweise vorliegenden Tumor kommt, da
natürlich auch andere Gewebe im Körper
DNA in das Blut abgeben. Das ist eine der
methodischen Herausforderungen, die es
noch zu lösen gilt. Im Prinzip könnte man
die cfDNA ähnlich nutzen, wie einen konventionellen Tumormarker, also als Detektionsmethode in der Verlaufsbeobachtung und in
der Nachsorge. Das zweite Potenzial, das ich
wie mein Kollege sehe, liegt in der molekula-
Professor Dr. Wilko Weichert
Seit dem 1. August 2015 leitet Professor
Wilko Weichert das Institut für Allgemeine
Pathologie und Pathologische Anatomie am
Klinikum rechts der Isar der TU München. Die
Einrichtung spielt eine zentrale Rolle bei der
Diagnostik und Therapiesteuerung insbesondere von Krebserkrankungen und erforscht
die Grundlagen der Krebsentstehung. In
seiner Forschungsarbeit legt Prof. Weichert
den Schwerpunkt auf die translationale Forschung. Deren Ziel ist es, wissenschaftliche
Erkenntnisse möglichst schnell in klinische
Anwendungen zu „übersetzen“.
ren Analyse tumorspezifischer Veränderungen der zirkulierenden Tumor-DNA. Dies
würde uns in einigen Konstellationen die
Vorhersage erlauben, welches Medikament
einem Patienten bestmöglich helfen kann.
Das sind unterschiedliche klinische Herangehensweisen, die heute alle unter dem
Terminus "Liquid Biopsy" oder auch "Liquid
Profiling" subsummiert werden.
Welche klinischen Anwendungsbereiche der Liquid Biopsy gibt es denn heute
schon?
Prof. Weichert: Im Lungenbereich sind die
ersten Assays und Zulassungen für entsprechende Medikamente jetzt da. Tatsächlich
ist es aber noch so, dass die Kollegen dieses
Instrument zurzeit nur sehr fokussiert einsetzen, wenn zum Beispiel ein Patient nicht
biopsiert werden kann. Goldstandard ist
nach wie vor die Untersuchung des Gewebes.
Professor Dr. Jürgen Ruland
Seit dem 1. Januar 2012 leitet Professor Jürgen
Ruland das Institut für Klinische Chemie und
Pathobiochemie am Klinikum rechts der Isar
der TU München. Das Institut versorgt als
zentrales Labor die einzelnen Kliniken. Prof.
Ruland hat sich zum Ziel gesetzt, sowohl eine
hohe Qualität in der Labordiagnostik sicherzustellen als auch diagnostische Verfahren
kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dabei
strebt er eine enge Verzahnung von Grundlagenforschung und Krankenversorgung an,
um Forschungsergebnisse schnell zum Wohle
der Patienten einsetzen zu können.
Prof. Ruland: Uns fehlen im Moment noch
Studien, die untersuchen, wie wertvoll die
Liquid Biopsy im Vergleich zur Bestimmung
am Gewebe für die Prädiktion des Therapieansprechens ist. Deshalb bevorzugen die
Onkologen für die molekulare Initialdiagnostik nach wie vor gewebebasierte Tests.
Welche aktuellen Forschungsprojekte gibt
es an Ihrem Institut, die künftige Anwendungsbereiche der Liquid Biopsy untersuchen?
Prof. Ruland: Großes Potenzial sehen wir
im Bereich der Frührezidiv-Detektion. Da
bietet Liquid Profiling die Chance auf sehr
tumorspezifische Assays, um Rezidiventwicklungen frühzeitiger und präziser als
mit proteinbasierten Tumormarkern zu
entdecken. Das ist tatsächlich ein Aspekt,
an dem Professor Weichert und unser Institut gemeinsam forschen. In der Pathologie
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Medizin | Interview zur Liquid Biopsy | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016
wollen wir zunächst bestimmte genetische
Veränderungen im Gewebe detektieren und
darauf basierend dann in der Labormedizin
gemeinsam mit der Pathologie PCR-basierte
Verfahren entwickeln, um genau diese Mutationen im Serum aufzuspüren. Wir wollen
herausfinden, wie viel früher man mit einem
solchen Verfahren ein Rezidiv erkennen
kann, im Vergleich zu einer Bildgebung oder
einem konventionellen Tumormarker-Assay.
Prof. Weichert: Es geht in diesen Projekten
in der Tat um die Entwicklung individuell
auf die Patienten zugeschnittener Verlaufsindikatoren. Das wäre dann wirklich im
eigentlichen Sinne des Wortes "individualisierte Medizin". Insgesamt ist – wie für alle
diagnostischen Tests – allerdings zu beachten, dass der Einsatz im Routinekontext nur
dann seine Berechtigung hat, wenn sich hieraus auch eine therapeutische Konsequenz
ergibt. So stellt sich z. B. die Frage, wie wir in
der Klinik mit einem solch sensitiven Marker umgehen, der ein Rezidiv anzeigt, lange
bevor bildgebungstechnisch etwas zu sehen
ist. Was mache ich dann? Eine Chemotherapie? Hierzu gibt es schon einige gute Beispiele aus den blutbasierten Tumorentitäten,
die ja im Prinzip schon länger so etwas wie
molekulares Liquid Profiling betreiben. Bei
einigen Leukämien werden spezifische, im
Blut messbare, molekulare Veränderungen
als Marker in der Verlaufsbeobachtung eingesetzt und der Nachweis eines molekularen
Rezidivs führt in einigen Fällen in der Tat
zu einer Anpassung der Therapiestrategie.
Das ist durchaus auch bei soliden Tumoren denkbar, die diesbezügliche Forschung
steckt aber noch in den Kinderschuhen.
Wie organisieren Sie die Zusammenarbeit für Ihr interdisziplinäres Forschungsprojekt?
Prof. Ruland: Wir haben das Glück, dass
hier an der TUM Technologie auch im
Fokus des akademischen Profils steht. Um
solche innovativen Verfahren zu entwickeln,
braucht man eine intensive Zusammenarbeit mit den technischen Wissenschaften
einschließlich der Mathematik und der Bioinformatik. Grundsätzlich sind wir hier auf
unserem Campus recht nah beieinander.
Diese räumliche Nähe ist auch ein Schlüssel
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für erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Prof. Weichert: Außerdem sind wir gerade
dabei, unser TranslaTUM fertig zu stellen. Es
handelt sich um ein Forschungszentrum für
die translationale Medizin, in dem Biomedizin und Ingenieurswissenschaften unter
einem Dach zusammenkommen sollen, um
neuartige diagnostische und therapeutische
Verfahren für die Krebsmedizin zu entwickeln. Und dort werden auch wir Ende 2016
unsere Liquid-Profiling-Projekte einbringen. Wir sind wirklich stolz drauf, dass es
uns gelungen ist, ein solches interdisziplinäres Forschungszentrum hier am Standort
aufzubauen.
Könnte Liquid Profiling in Zukunft die
klassische Pathologie ersetzen? Und wer
würde dann konkret die Tests durchführen,
das klinische Labor oder der Pathologe?
Prof. Weichert: Die Pathologie macht ja
nicht nur ein molekulares Profiling, wir
bestimmen viele Parameter, die im Blut
nicht messbar sind. Liquid Profiling ist eine
Möglichkeit, das bestehende Instrumentarium in der Tumordiagnostik wirkungsvoll
zu ergänzen. Das wird am besten durch
Kooperation gelöst. Und wenn Sie fragen,
wer am Ende den Test durchführt: Nun,
das wird vermutlich je nach Standort unterschiedlich sein. An einigen wird das die
Labormedizin übernehmen und an anderen die Pathologie. Und es wird Standorte
geben, wo es beide zusammen machen, so
wie wir es hier planen. Ich glaube, wer genau
die Analytik durchführt, ist zweitrangig. Es
geht darum, dass sie indikationsgebunden,
qualitätsgesichert und gut gemacht wird –
und natürlich, dass die Technologien am
jeweiligen Standort umfassend vorgehalten
werden. Wichtig ist, dass man bei diesen
innovativen Methoden vertreten ist. Das
möchten die Labormediziner genauso wie
die Pathologen – und im Idealfall machen
das beide zusammen. Aber das ist natürlich
nur meine persönliche Meinung.
Prof. Ruland: Das sehe ich auch so. Diese
Verfahren können nur dann erfolgreich für
Patienten eingesetzt werden, wenn das multimodal erfolgt und die unterschiedlichen
Expertisen an einem Tisch zusammen-
kommen. Wir werden die gewebsbasierten
Assays aus der Pathologie weiterhin brauchen. Gleichzeitig haben wir bei uns in der
Klinischen Chemie jahrzehntelange Expertise mit blutbasierten Assays. Wir verfügen
über die Infrastruktur, solche Proben in
größeren Mengen zu verarbeiten. Darüber
hinaus haben wir die gesamte Präanalytik
an Bord. Molekulare Diagnostik ist ja seit
vielen Jahren auch Teil der Labormedizin zum Beispiel in der Blutgerinnung für
Thrombophilie oder in Form von PCRbasierten Verfahren zur Bestimmung von
­Cytochrom-C-Varianten. Für uns ist das
Messen von Tumor-DNA eine weitere Indikation, die wir mit Technologien bearbeiten
können, die wir ohnehin vorhalten. Auf der
anderen Seite haben die Pathologen große
Erfahrung mit dem Einsatz molekularer
Assays in der prädiktiven Krebsmedizin.
Entscheidend bleibt also die enge Kooperation zwischen Labormedizin und Pathologie.
Um diese unterschiedlichen Expertisen im
Sinne der Patienten zusammenzubringen,
werden wir hier am Standort Strukturen
schaffen, die es uns ermöglichen, Liquid
Profiling Hand in Hand durchzuführen.
TranslaTUM
Das TranslaTUM am Klinikum rechts der
Isar in München ist als interdisziplinäres
Forschungszentrum geplant, um Diagnoseund Therapiemöglichkeiten für Krebspatienten zu verbessern. Im November 2015
feierte der hochmoderne Forschungsneubau Richtfest. Bis Ende 2016 soll er fertig
gestellt sein. Kernziel des Zentrums ist es,
die Erkenntnisse aus der Forschung schnell
in die klinische Praxis zu übertragen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
aus Medizin, Ingenieur- und Naturwissenschaften werden im TranslaTUM deshalb
gemeinsam und langfristig daran arbeiten,
die Heilungschancen für Krebspatienten zu
verbessern.
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